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Einundvierzigstes Kapitel

Hadschi wird ein heiliger Büßer

Mirza Abul Kasim hatte im Laufe der Zeit so viel von meiner Heiligkeit vernommen, daß er anläßlich seines Besuches im Heiligtume selbst die Gelegenheit wahrnahm und mich rufen ließ. Ich jedoch sah diesem Ereignisse mit einigem Bangen entgegen; denn wie sollte ich es anstellen, um meine Unwissenheit vor einem Manne zu verbergen, der sicherlich die Absicht hegte, meiner vorgeblichen Weisheit ernstlich auf den Zahn zu fühlen. War ich doch so unwissend, daß ich mich nicht imstande fühlte, nur einigermaßen genauen Bescheid über die ersten Grundlagen des mohammedanischen Bekenntnisses zu geben. Ich begann darum mein Gedächtnis zu prüfen, um zu rekapitulieren, was ich überhaupt davon wüßte, und kam zu folgenden Ergebnissen: »Erstens weiß ich, daß alle, die nicht an Mohammed und seinen Jünger Ali glauben, Ketzer und Irrlehrer sind, die den Tod verdienen; zweitens ist mir bekannt, daß alle Menschen mit Ausnahme der Rechtgläubigen nach ›Dschahannam‹ (der Hölle) kommen; drittens ist man verpflichtet, Omar zu verfluchen. Ferner bin ich fest überzeugt, daß alle Türken in die Hölle kommen werden; alle Juden und Christen ›nädschis‹ (unrein) sind und ebenfalls zur Hölle fahren müssen. Daß es gegen das Gebot ist, Wein zu trinken und Schweinefleisch zu essen, daß es geboten ist, fünfmal am Tage zu beten und vor dem Gebete die Waschungen so vorzunehmen, daß das Wasser vom Ellenbogen aus gegen die Finger zu läuft, nicht umgekehrt, wie es die ungläubigen Türken machen. Gerade als ich meine ganze religiöse Weisheit zusammenkramte, trat der Derwisch bei mir ein, dem ich ohne weitere Bedenken die Ursachen meiner Bedrängnis mitteilte.

»Seid Ihr, nachdem Ihr so lange in der Welt gelebt habt, noch nicht zur Einsicht gekommen, daß man ohne Frechheit niemals ein Ziel erreichen kann? Haben Euch die Geschichten, die uns Derwisch Sefer erzählte, so wenig Eindruck gemacht?«

»Sie haben mir einen so großen Eindruck gemacht und als Moral eine so scharfe Bastonade meiner Fußsohlen eingetragen, daß Ihr versichert sein könnt, schon um des Fäläkäs willen, der wohl das beste Mittel sein mag, das Gedächtnis zu stärken, werde ich sie und Euch niemals vergessen. Und erleide ich nun einen gänzlichen Mißerfolg, so soll ich wohl nach allem, was Ihr mir selbst erzählt habt, voraussichtlich gesteinigt werden, ein Vergnügen, auf das ich, wie Ihr mir sicher nachfühlen könnt, lieber verzichten möchte. O Derwisch, sagt mir, was soll ich tun?«

»Ihr seid gar nicht der Hadschi Baba, für den ich Euch bisher hielt,« erwiderte mir der Derwisch, »wenn Ihr Euch nicht Schlauheit genug zutraut, den Mudschtähid hinters Licht zu führen. Hüllt Euch wie bisher in tiefstes Schweigen, bleibt dabei, zu seufzen, verzückte Gesichter zu schneiden und die Augen zu senken; den, der Euch dann beweisen könnte, daß Ihr ein Esel seid, den möchte ich gerne sehen – das brächte selbst ich nicht fertig.«

»Gut!« sagte ich; »so sei es. Allah kerim! (Gott ist gütig). Aber ist es nicht ein ganz ausgesuchtes Pech, feierlich zu seiner eignen Schmach und Schande eingeladen zu werden?«

Ich machte mich dann auf, um mit demütig gesenkten Blicken und einer wahren Armesündermiene vor dem Mudschtähid zu erscheinen, und glaube wirklich, es konnte sich keiner in der ganzen Stadt eines geknickteren und bußfertigeren Gesichtes rühmen.

Nichtsdestoweniger fiel mir, als ich so demütig dahinschritt, eine kleine Geschichte aus einem Kapitel unsres großen Dichters Saadi ein, das die Moral der Derwische beleuchtet und so auf meinen Fall paßte, daß ich es ihm allein verdanke, wenn ich der Prüfung durch den Mudschtähid mit etwas gehobenerem Mute entgegenging. Die Geschichte lautet folgendermaßen: Eine fromme Persönlichkeit wurde einst um ihre Ansicht über einen sehr heiligen Mann befragt, nachdem sich andre überaus geringschätzig und abfällig über diesen geäußert hatten. Die Antwort lautete:

»Wer makellos im äußeren Gewande ist,
Den sieh, als ob er wirklich rein auch sei, an;
Und wenn dir auch sein Innres nicht bekannt ist,
Was geht das innre Haus die Polizei an?« Übersetzung von Friedrich Rosen.

Der Mudschtähid hatte eben sein mittägliches Gebet beendet und war gerade dabei, seinen Kopf langsam erst auf die rechte, dann auf die linke Schulter zu wenden, als ich das offene Gemach betrat, wo er seinen Schülern, die zu ihrem Lehrer mit wahrer Bewunderung und Ehrfurcht aufblickten, Unterricht gab. Ein Molla, der mich kannte, tat meiner Erwähnung, worauf ich gebeten wurde, auf dem Teppiche Platz zu nehmen, wozu ich mich erst anschickte, nachdem ich einen Zipfel der Gewandung des heiligen Mannes in demutvoller Ehrfurcht geküßt hatte.

»Du bist willkommen,« sagte er, »wir haben von dir gehört, Hadschi, und, Inschallah, dich führt dein Weg zum Heile. Setze dich auf einen besseren Platz.«

Ich machte allerlei Einwände, einen höheren Platz einzunehmen (hatte ich mir doch vorher wohlweislich den niedrigsten ausgesucht), und war bemüht, als ich mich auf den von seinem Finger bezeichneten Fleck niederließ, nicht nur meine Füße zu verbergen, sondern auch meine Hände sorgfältig mit meinem Obergewande zu bedecken.

Der Mudschtähid unterbrach das große Schweigen, indem er mich fragte: »Beruht es auf Wahrheit, o Hadschi, daß dein ›Taleh‹ (Glück) sich gegen dich gewendet und du deshalb hier eine Zuflucht suchtest? Ich und die Welt haben schon so lange voneinander Abschied genommen, daß es nicht Neugierde ist, die mich zu fragen drängt, sondern ich möchte alle Umstände genau erfahren, um zu wissen, auf welche Weise ich dir nützen könnte. Unser heiliger Prophet (mit dem Friede und Heil sei!) sagt: Laßt alle Rechtgläubigen sich untereinander helfen: es mögen die Sehenden die Blinden führen und die, denen es wohl ergeht, jene unterstützen, die in Not sind.«

Daraufhin faßte ich frischen Mut und erzählte meine Geschichte so demütig, drehte alle Umstände so zu meinen Gunsten, daß ich wahrhaftig glaube, meine Zuhörer betrachteten mich beinahe wie einen Märtyrer.

»Wir haben vernommen,« sagte der Mudschtähid, »daß du ein auserwählter Sklave des Allerhöchsten bist, einer, dessen Worte mit seinen Taten im Einklange stehen, der keinen zwiefarbigen Bart trägt, der sich nicht nach außenhin wie ein Muselmann gebärdet, im Herzen aber nur ein Kasir (Heide) ist.«

»Möchte Eure glückverheißende Herablassung sich niemals vermindern!« sagte ich. »Euer Knecht ist der Letzte der Letzten, der sich die Stirn auf der Schwelle wundreibt, die zur Herrlichkeit des Allmächtigen führt.«

Hierauf entstand eine tödliche Stille, in der alles in tiefe Betrachtung versunken schien.

»Wenn sich alles so verhält,« sagte der Mudschtähid, »so ist vielleicht der Tag nicht ferne, wo ich das Werkzeug in Gottes Hand sein kann, um dir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Schah wird das Heiligtum noch vor Ablauf der Woche besuchen, und da sein Auge wohlgefällig auf mir ruht, so sei versichert, ich werde nicht ermangeln, alles zur Wiedererlangung deiner Freiheit zu tun.«

»Was könnte ein Sünder, wie ich es bin, einem so großen Heiligen erwidern? Ich will für Euch beten, und der Staub Eurer Füße wird meinen Augen Kollyrium sein. Was immer Ihr für mich tut, ist nur ein Ausfluß Eurer Güte.«

»Es ist klar, daß du einer der Unsern bist!« sagte der Mudschtähid, dem es augenscheinlich wohl gefiel, von mir nahezu wie ein göttliches Wesen verehrt zu werden. »Wahre Muselmänner erkennen sich immer untereinander ganz auf die gleiche Weise wie die fränkische Sekte, die sich ›Faranuschi‹ Die Perser nennen die Freimaurer Faranuschi und stellen bezüglich derer viele Fragen. nennen und die sich durch ein Wort, einen Blick oder einen Händedruck unter Tausenden zu erkennen vermögen.«

»Allaho Akbar! Gott ist groß. La Allaha ill Allah!« Es gibt keinen Gott, außer Gott. riefen alle Anwesenden voll Bewunderung der Weisheit des Mudschtähids. Dann fuhr dieser fort, mich zu fragen: »Bei dir wohnt ein Adschami, Perser. der sich einen Derwisch nennt. Ist er dir näher bekannt? Er behauptet, du und er, ihr wäret ein Herz und eine Seele. Verhält sich das so?«

»Tschi ärz bekunäm? Was soll ich sagen? Ja, er ist ein Fakir, ein armer Kerl, dem ich Unterschlupf bei mir gab, eingedenk einiger kleiner Gefälligkeiten, die er mir erwiesen hat.«

»Ihr müßt an Euch selbst denken,« sagte ein alter Molla, der neben mir saß; »denn nirgends findet man ärgere Spitzbuben und Schurken als gerade unter den Adschamis.«

»Ja,« sagte der Mudschtähid, beide Hände auf den Gürtel gelegt, indessen seine Schüler, die wußten, dies sei die Lieblingsstellung, wenn er eine Rede zu halten gedachte, ihre Gesichter sofort in erwartungsvolle Falten legten, »ja, diese und alle, welche sich Derwische nennen, seien sie nun Jünger des ›Nur-Ali-Schahi‹ oder ›Zahabias‹ oder ›Nakschbendis‹ oder gar aus der verfluchten Sekte der ›Urwesis‹, alle sind sie Heiden und Ungläubige und verdienten sämtlich den Tod. Die einen wagen zu behaupten, das Fasten im Ramasan, unsre Waschungen, die Form und Zahl unsrer Gebete seien zur Erlangung der ewigen Seligkeit keineswegs nötig; sie sagen, im Herzen müßte der Sitz der Frömmigkeit sein, sie bestünde nicht in äußeren Zeremonien. Sie erkennen zwar den Koran an, verwerfen hingegen gehässig alle Aussprüche des Propheten, auch die Anschauungen der Heiligen, und bekunden ihren religiösen Eifer, indem sie gleich brüllenden Löwen so lange Allah schreien, bis ihnen der Schaum vor dem Munde steht, und nennen das selbstgefällig Religion. Eine andre Sekte behauptet, die Religiosität bestünde in dem Gelöbnisse, den äußeren Menschen zu verunstalten und sich Bußwerken hinzugeben, die weit mehr an das Gebaren von Marktschreiern mahnen, denn an Diener des Allmächtigen erinnern. Die vierte Sekte aber, die Allerungläubigsten, möchten uns glauben machen, sie befänden sich in ewiger Verbindung mit überirdischen Mächten, hüllen sich in geflickte, fadenscheinige Kleider, verachten scheinbar alle irdischen Güter und erhitzen sich an metaphysischen Betrachtungen, die weder sie noch irgendein andrer Mensch versteht. Ob rein oder unrein, schert sie – die ewig in der Hölle braten mögen – wenig; ob gesetzlich oder verboten, gilt ihnen gleich, sie essen und trinken völlig wahllos, und selbst der ungläubige Giaur ist in ihren Augen ohne Makel. Und diese Männer nennen sich ›Sufis!‹ So sind eure Leuchten in der Welt! Fluch ihren Bärten!« Alle Anwesenden ließen als Echo ein ›Amin‹ Amen. ertönen. »Fluch über ihre Väter und Mütter! Fluch über ihre Kinder! Fluch über ihre Angehörigen! Fluch über Schaikh Attar, Fluch über Dschelaleddin Rumi!« Die größten Gelehrten der Sufiten.

Nach jedem neuen Fluche antwortete die Versammlung mit einem ›Amin‹. Als die Rede beendet war, schaute die ganze Jüngergemeinde, während sie zugleich diese Rede laut bewunderte, gespannt auf mich, um zu sehen, ob ich nicht starr vor Staunen sei. An den erforderlichen Ausrufen ließ auch ich es meinerseits nicht fehlen und spielte meine Rolle so wahrheitsgetreu, daß ich auf alle den günstigsten Eindruck machte.

Der Mudschtähid, der durch seine eignen Worte in Feuer geraten war, fuhr fort mit solcher Leidenschaft gegen die Sufiten loszudonnern, daß ich überzeugt bin, wäre einer zur Stelle gewesen, alle hätten sich wie ein Mann erhoben, um ihn umzubringen. Insgeheim freute ich mich, mit so viel Erfolg den frommen Muselmann gespielt zu haben, und begann allmählich mir einzubilden, daß ich in der Tat ein solcher wäre. »Wenn das, was ich tue, schon den frommen Mann ausmacht,« sagte ich mir, »mir hohes Ansehen in der Welt verschafft, so ist ja nichts leichter als das. Warum sollte ich mich als Sklave irgendeines Tyrannen elend durchs Leben schinden, jedem Ungemache preisgegeben sein, keinen Augenblick das Bewußtsein einer gesicherten Existenz haben und jedem Übel zum Opfer fallen?«

Ich verließ den Mudschtähid und kehrte mit der festen Absicht in meine Zelle zurück, auch fernerhin meinen streng religiösen Neigungen nachzuhängen. Als ich wieder mit meinem Gefährten zusammenkam, erzählte ich ihm alles, was über ihn und die Derwische überhaupt gesagt worden war, riet ihm auch, bei der allgemein feindlichen Gesinnung sich schleunigst auf die Beine zu machen und einen Ort zu verlassen, wo alle Köpfe und Hände sich gegen ihn wendeten. »Mein Freund, wenn sie Euch erwischen,« sagte ich, »werden sie Euch steinigen. Aber nehmt das alles nicht zu schwer.«

»Möchten die Steine auf die Köpfe dieser blutdürstigen Heiden zurückfallen,« rief der Derwisch; »das ist eine schöne Religion, die einem harmlosen Menschen nach dem Leben trachtet. Ich komme hierher, habe weder etwas mit einem ›Suni‹, einem ›Sufi‹, ›Schia‹ oder ›Mohammedaner‹ zu tun, kümmere mich im Gegenteile gar nicht um sie, mache den ganzen Mummenschanz, mich fünfmal am Tage zu waschen und fünfmal zu beten, mit, und damit sind sie noch nicht zufrieden! Aber ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben; ich gehe, ich verlasse diese gleisnerische, heuchlerische Stadt, und nur die allergrößte Not könnte mich zwingen, diese Wascherei und Beterei jemals wieder mitzumachen.«

Ich gestehe offen, daß mich der Entschluß des Derwisches keineswegs betrübte. Mit Freuden sah ich ihn sich mit seinem breiten Ledergurt, an dem lange Schnüre von Gebetsperlen baumelten und in den er seinen langen Löffel steckte, umgürten und half ihm auch sein Hirschfell auf der Schulter befestigen. In der einen Hand trug er seinen eisernen Zinkstab, den er auf die Schulter stützte, in der andern den an drei Ketten hängenden Flaschenkürbis; und wir nahmen scheinbar sehr gerührt voneinander Abschied.

Nun wurde ich Alleinherrscher in der Zelle, er aber machte sich mit so heiterem fröhlichen Sinne auf seinen Weg ins Blaue hinein, als gehöre ihm die ganze Welt, und doch besaß er außer seinen zwei Füßen nur seinen findigen Kopf, um sich durchs Dasein zu schlagen.

»Möge die Barmherzigkeit Allahs dich lustigen Erzschelm mit Glück überschütten,« sagte ich, als er meinen Blicken entschwand; »möchten deine Füße nie des nötigen Schuhwerks ermangeln, deine Zunge nie um eine heitere Geschichte verlegen sein und du mit Hilfe dieser beiden zu deiner und andrer Freude fröhlicher durchs Leben schreiten als der reiche Mann, der ein Sklave von tausend Bedürfnissen ist, den schon die gewöhnlichsten Bequemlichkeiten des Daseins zum Vasallen seiner Untergebenen machen.«


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