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Vierundsiebzigstes Kapitel

Hadschi steigt immer höher in der Gunst des Großwesirs

Ich machte jetzt die größten Anstrengungen, in der ganzen Stadt zu verbreiten, daß ich der Vertrauensmann des Großwesirs sei, ließ auch kein Mittel unversucht, den Ungläubigen die Überzeugung beizubringen, daß sie ohne meine Vermittlung überhaupt nichts auszurichten vermöchten. Die Früchte dieses Verfahrens traten bald genug zutage; denn die Art, wie ich meine dienstlichen Gefälligkeiten handhabte, erwies sich als unserem beiderseitigen Vorteile im höchsten Maße förderlich. Einer der merkwürdigsten Charakterzüge unserer englischen Gäste war der heiße Wunsch, uns gegen unsern Willen Wohltaten zu erweisen. Wenn es galt, einen solchen Zweck zu erreichen, so vermochten sie, um zum Ziele zu gelangen, weder große Unkosten noch unendliche Anstrengungen abzuhalten. Sie waren um unser Wohl viel besorgter als wir selbst. Was sie eigentlich an uns so Liebenswertes entdeckten, trotzdem wir sie nach wie vor als unreine Ungläubige, die zum ewigen Feuer verdammt waren, verachteten, das zu beantworten, wären wir selbst in der größten Verlegenheit gewesen. Ich jedoch, der ihre Geschmacksrichtung in keiner Weise teilte, machte es mir ganz im Gegenteil zur Aufgabe, herauszubringen, wie ich aus ihnen den größten Vorteil zöge, und sah meine Anstrengungen durch diese in jeder Beziehung fruchtbare Bestrebung auch vollauf belohnt.

Meine Leser werden sich vielleicht erinnern, daß ich im ersten Teile dieser Erzählung der Bekanntschaft eines ungläubigen Doktors erwähnte, der sein möglichstes tat, um neben anderen Entdeckungen in der Arzneikunde ein neues Verfahren zur Bekämpfung der Blattern einzuführen. Diese Behandlung war seit geraumer Zeit ganz in Vergessenheit geraten; unsere ärztliche Wissenschaft jedoch fuhr fort, diese Krankheit genau so zu kurieren, wie es unsere Väter getan hatten. Auch im Gefolge unseres jetzigen ›Iltschis‹ befand sich ein Arzt, der uns um jeden Preis Gutes erweisen wollte. Da er mit fanatischem Feuereifer auf die Einführung der Kuharznei hinarbeitete, war die Unzahl von Frauen, die er verführte, ihm ihre Kinder zu bringen, ganz erstaunlich groß. Ich, der jederzeit allerlei Ränke zum eigenen Vorteile schmiedete, war der erste, darob ein großes Geschrei zu erheben und diesen Andrang von rechtgläubigen Frauen in der Wohnung eines Ungläubigen, aus immer welchem Grunde, als höchst unsittlich zu erklären. Ich überredete darum den Großwesir, einen Polizeibeamten vor die Tür des Doktors zu stellen, um das Eintreten der Weiber zu verhindern.

Dieser war ganz außer sich, daß damit seine Wirksamkeit ihr Ende erreicht hatte.

»Aber warum bekümmert Euch das?« fragte ich ihn; »Ihr bekommt nichts für Eure Mühe, die Euch das Volk nicht einmal dankt!«

»O,« sagte er, »Ihr wißt nicht, was Ihr sagt. Diese segensreiche Erfindung muß in der ganzen Welt verbreitet werden. Wenn Eure Regierung sie jedoch hier verhindert, so wird das Blut aller jener über sie kommen, deren Leben sie hätte erhalten können.«

»Was geht das uns an?« antwortete ich; »laßt sie sterben, was trägt es uns ein, wenn sie leben bleiben?«

»Wenn Ihr nur auf den Vorteil seht,« sagte er, »so zahle ich lieber jede Summe, als daß ich meinen Impfstoff verliere, der eintrocknet, wenn meine Tätigkeit verhindert wird.«

Daraufhin ließen wir uns in Unterhandlungen ein. Nach vielen Schwierigkeiten, die ich geltend machte, und zahllosen Befürchtungen, die ich ins Feld führte, dadurch allenfalls die Gunst des Großwesirs zu verlieren, kamen wir endlich dahin überein, daß das Verbot, sein Haus zu betreten, rückgängig gemacht werden würde, wenn er mir von jeder Impfung persönliche Vorteile zusichern wollte.

Seine Tür ward neuerdings von einer Weibermenge umlagert, ohne daß über diese Unschicklichkeit noch ein Wort verlautete.

Eine andere seiner verrückten Begierden war es, tote Menschen aufzuschneiden. Jeder Leichnam, der zum Begräbnisse an seinem Hause vorübergetragen wurde, war für ihn ein Gegenstand heißer Sehnsucht. Es nahm mich wunder, daß das Volk, der unreinen Gelüste des Arztes wegen, nicht über ihn herfiel.

»Aber welcher Nutzen kann der Menschheit möglicherweise daraus erwachsen, wenn Ihr einen toten Muselmann zerstückelt?« fragte ich den Doktor.

»Es ist unmöglich, zu sagen, welcher Nutzen möglicherweise verloren ginge, wenn ich ihn nicht zerschnitte!« sagte er; »überdies würde meine Hand, wenn sie nicht in der Übung bliebe, ihre frühere Geschicklichkeit einbüßen!«

Er schlug mir dann aus freien Stücken vor, mir eine große Summe für irgendeinen Leichnam bezahlen zu wollen, gestand auch, es sei einerlei, ob es ein jüdischer, christlicher oder rechtgläubiger wäre; ihm sei jeder willkommen.

Ich merkte mir das, und es boten sich mir so zahlreiche Gelegenheiten, dem Vorhaben des Ungläubigen Vorschub zu leisten und zu gleicher Zeit meine eigene Tasche zu füllen, daß nach und nach mein Wohlstand zusehends wuchs.

Auch der englische Botschafter hegte gewisse Pläne, unserem Staate (wie er Persien zu nennen beliebte) aufzuhelfen; darum kann ich nicht umhin, eines Vorfalls zu erwähnen, der sich zwischen ihm und dem Großwesir abspielte. Der Botschafter gab die Absicht kund, uns mit einem gewissen, in Asien fast noch unbekannten, in Europa aber mit dem besten Erfolge angebauten Produkte der Erde ein Geschenk zu machen, das für das persische Volk von unfehlbarem, ganz unberechenbarem Nutzen werden könnte. Er bat den Wesir, ihn in seinem Vorhaben zu unterstützen, und versprach, uns in Bälde eine Probe des beabsichtigten Geschenkes zu übersenden. Der Wesir, der seine Nase schnuppernd in die Höhe streckte, sobald er ein Geschenk witterte, ermangelte nicht, sich täglich mit mir darüber den Kopf zu zerbrechen, in was die große Wohltat, die der Botschafter uns zukommen lassen wollte, wohl bestehen konnte. Seine Ungeduld, in deren Besitz zu gelangen, wuchs ins ungeheure. Durch mich hatte er erfahren, daß der Botschafter einen großen Vorrat von seinem Tuche mitgebracht habe, auf den er schon lange sein Auge geworfen hatte. Da das beabsichtigte Geschenk für die ganze Nation noch immer auf sich warten ließ, so dachte der Wesir in seiner Weisheit, der ›Iltschi‹ könne viel leichteren Kaufes davonkommen, wenn er sich entschlösse, die Gabe für die allgemeine Wohlfahrt in ein Privatgeschenk für ihn umzuwandeln. Eines Morgens beim Aufstehen rief er mich zu sich und sagte: »Beim Segen Gottes! – haben wir nicht alles, was wir brauchen, Brot und Fleisch, Salz und Reis, Getreide und Früchte, wie sie die Ungläubigen selbst nicht im Traume zu sehen bekommen; kurz, wir haben alles, was man sich nur wünschen kann. Warum sollten wir uns dem ungläubigen Botschafter für Dinge verpflichtet wissen, die wir gar nicht benötigen? Eben stieg mir ein ungemein glücklicher Gedanke auf, der dem ›Iltschi‹ nur Gewinn bringt und ihm zugleich die große Mühe, die er sich aufladen wollte, erspart. – Ich bin geneigt, anstatt der öffentlichen Wohltat ein Geschenk von Tuch anzunehmen. Das Ganze ist eine so einfache Abmachung, und Ihr – Allah sei gepriesen – ein Mann mit findigem, klugem Kopfe, könnt sie ganz leicht vermitteln. Geht, sagt es dem ›Iltschi‹ und bringt mir unverzüglich das Tuch.«

Sogleich stellte ich mich dem Botschafter vor und entledigte mich meines Auftrages. Ist es zu glauben, daß er samt seinem ganzen bartlosen Gefolge in ein so maßloses Gelächter ausbrach, daß es sicher auf dem Gipfel des Demawend noch zu hören war? »Welche Verwandtschaft besteht zwischen Kartoffeln und Tuch?« fragte der eine.

»Wir wünschten der Bevölkerung ein ebenso wohlfeiles wie bequemes Nahrungsmittel zu verschaffen!« meinte ein anderer. »Aber es scheint, Euer Wesir will die ganze Guttat, die für die persischen Magen bestimmt war, seinem eigenen Buckel zugute kommen lassen!« bemerkte ein dritter. Der Botschafter jedoch, der mir als der Vernünftigste von der ganzen Gesellschaft vorkam, befahl sofort, mir ein Stück Tuch auszuhändigen, und ersuchte mich hierauf zu wiederholten Malen aufs höflichste, dies meinem Herrn mit dem Ausdrucke seiner Freundschaft zu überreichen, nebst der Versicherung seiner unveränderlichen Gesinnung für die persische Nation, die, wie er hoffe, auch die Kartoffeln als ein Zeichen seiner hohen Achtung und Wertschätzung annehmen würde.

Jauchzend vor Glück kehrte ich zum Großwesir zurück, und dank dieses Erfolges meines Besuches, nebst allen sonstigen vergangenen Beweisen meiner Gewandtheit, gewann ich seine Zuneigung in so hohem Grade, daß ich jeden Nebenbuhler alsbald ausstach und sein Hauptgünstling und Vertrauensmann wurde.


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