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Dreiundsechzigstes Kapitel

Hadschi heiratet die reiche Witwe des Emirs

Allzu lange litt es mich nicht mehr unter der Zypresse, hatte ich doch vor dem Stelldichein noch viele Dinge zu erledigen. Notwendigerweise mußte schon mein Äußeres den Stempel eines gewissen Reichtums tragen, eine wohlgefüllte Börse zu meiner Verfügung stehen und meine Kleidung ganz meinem Stande entsprechen. Überdies erheischte die Schicklichkeit, meine Person im Bade denkbarst einnehmend herrichten zu lassen und mich ausgiebigst der einschmeichelndsten Wohlgerüche zu bedienen. Als ich die Straße entlang dahinschritt, konnte ich nicht umhin, ganz entzückt und hochbefriedigt mich selbst zu beloben und des öfteren auszurufen: »Ei, Freund Hadschi, beim Barte deines Vaters und bei deiner eigenen Seele! dies eine Mal hast du als Weiser und nicht als Tor gehandelt. Famos hast du deine Sache gemacht – du Abkömmling der Mansuris, du Sproß aus der Wurzel Koreisch!« Koreisch, ein arabischer Stamm, der in Mekka seinen Wohnsitz hatte und zu dem des Propheten Mohammed gehörte. Im fünften Jahrhundert hatte dieser Stamm eine so ansehnliche Stellung erlangt, daß seinen Mitgliedern die Oberaufsicht über die Kaaba in Mekka anvertraut wurde, wodurch sie einen Vorrang vor den andern Stämmen bekamen.

In tiefstes Nachdenken über mein zukünftiges Glück verloren, erreichte ich endlich meine Karawanserei. In der einen Ecke fand ich den alten Osman sitzen, der den möglichen Gewinn an seinen Waren berechnete, in der andern sah ich meine Pfeifenrohre stehen. Der Anblick dieser unwürdigen Dinge bildete einen so grellen Gegensatz zu den hochfliegenden Zukunftsträumen, die mein ganzes Denken erfüllten, daß sich unwillkürlich in meine gewohnte Haltung der Ton einer gewissen Überlegenheit einschlich, den ich vorher niemals an mir bemerkt hatte. Ob Osman ihn durchfühlte, weiß ich nicht. Allerdings erschien er mir etwas betreten, als ich ihn ersuchte, mir augenblicklich fünfzig Goldstücke zu borgen, wofür ich ihm als Sicherheit meine sämtlichen Waren anbot.

»Mein Sohn,« sagte der Alte, »was soll das bedeuten? Wozu verlangst du in solcher Hast mit einem Male so viel Geld? Bist du nicht richtig im Kopfe, oder wurdest du ein Spieler?«

»Gott vergebe mir,« antwortete ich, »ich bin weder ein Spieler noch ein Narr, mein Kopf ist in schönster Ordnung. Die Welt will mir wohl, und das übrige werdet Ihr mit der Zeit schon erfahren.«

Hierauf besann er sich nicht länger, meinem Wunsche nachzukommen; wußte er doch, daß dies Geschäft für ihn ebenso sicher wie einträglich sei. Nachdem er mir ohne Zögern das Gold ausbezahlt hatte, verließ ich ihn.

Ich kaufte mir auf der Stelle noch etliche höchst prächtige Dinge zur Bereicherung meines Anzuges, begab mich dann unverzüglich ins Bad, wo ich geradezu ein Reinigungsfest feierte, und putzte mich hierauf, wie ein Mann von höchstem Stande, ganz köstlich heraus. Bis ich mit meinen Verschönerungen zu Ende gekommen war, nahte schon die Stunde des Stelldicheins heran, und klopfenden Herzens begab ich mich zur bezeichneten Stelle. Dort wartete bereits die Alte und und führte mich, nachdem sie vorher nach allen Seiten ausgelugt, ob niemand uns bemerke, durch eine im hintersten Winkel befindliche Tür ins Haus.

Ich war ganz entzückt von der großen Wohlhabenheit und Bequemlichkeit, die hier überall zutage trat; denn im Herzen betrachtete ich mich jetzt schon als den Herrn und Meister alles dessen, was ich zu sehen bekam. Wir hatten uns gleich in die zum ausschließlichen Gebrauch der Frauen bestimmten Gemächer begeben, da der Haupteingang des Hauses, als wolle man das Andenken des Emirs ehren, jetzt nur sehr selten benutzt zu werden schien. Auch hier im Harem wurde die gleiche geheimnisvolle Vorsicht, als ob der alte Mann noch am Leben wäre, aufrecht erhalten.

Durch die schmale Straßentür gelangten wir in einen Hofraum mit einem Springbrunnen, stiegen von hier aus eine hölzerne Treppe hinauf, die ein buntfarbiger Vorhang von einem Vorzimmer abschloß, das keine anderen Möbel aufwies als weibliche Pantoffeln und eine Lampe. In diesem Raume, in den vier verschlossene Türen mündeten, ward ich mir selbst überlassen, während meine alte Führerin davonwatschelte, um ihre Herrin auf meinen Besuch vorzubereiten. Aus den verschlossenen Türen drangen Stimmen, die wohl den Besitzerinnen der Pantoffeln gehören mochten, und ich fühlte viele Augen, die ich durch die Ritzen blitzen sah, auf mich gerichtet. Endlich öffnete sich im hintersten Winkel die Tür, und man winkte mir, näher zu treten.

Mit gewaltigem Herzklopfen schritt ich vorwärts, bedeckte mich zum Zeichen meiner Ehrerbietung ganz mit den Zipfeln meines Mantels und betrat ein Gemach, wo nur eine Lampe alles darin Befindliche mit sanftem Dämmerschein umfloß.

In einer Ecke, ganz in der Nähe des Fensters, auf einem längs den Wänden hinlaufenden, mit dem köstlichsten hellblauen, von Goldfransen umsäumten Atlas überzogenen Diwan saß der Gegenstand all meiner Wünsche. Ihre ganze Gestalt war von Kopf bis zu Fuß in einen dichten Schleier gehüllt, der mir nur den Anblick von ein paar blitzenden, schwarzen Augen vergönnte, die sich voll Entzücken an der Ungeduld, die meine Züge widerspiegelten, zu weiden schienen. Sie lud mich zum Niedersitzen ein, was ich jedoch zum Beweise meiner tiefsten Ehrfurcht und Ergebenheit beharrlich ablehnte. Als mir schließlich jeder weitere Widerstand unangebracht schien, legte ich meine Pantoffeln ab, setzte mich zaghaft auf die äußerste Kante des Diwans, hielt meine Hände durch meine Ärmel verdeckt und heuchelte eine Schüchternheit und Zimperlichkeit, über die ich, wenn ich daran denke, noch heute lachen muß.

Nachdem wir uns einige Minuten gegenübergesessen hatten, ohne uns mehr als die gewöhnlichen Artigkeiten zuzuflüstern, befahl meine schöne Gebieterin der alten Ayscha (so hieß die Vermittlerin), das Zimmer zu verlassen. Während sie sich dann vorwärtsbeugte, als wolle sie ihren Pfauenfedernfächer, der auf einem Kissen lag, aufnehmen, ließ sie, wie von ungefähr, den dicken Schleier fallen und zeigte meinen ungeduldigen Blicken das schönste Antlitz, welches die Natur je hervorbrachte.

Dies war für mich ein Zeichen, alle Zurückhaltung abzulegen. Mit der inbrünstigen Andacht eines verzückten Beters warf ich mich vor dieser Göttin nieder, meine Lippen überströmten von so überschwenglicher Liebe und Bewunderung, daß in ihrem Gemüte jeder Zweifel an der Zärtlichkeit meines Herzens, der Schärfe meines Verstandes und der Vortrefflichkeit meines Geschmackes schwinden mußte. Kurz, die Emirswitwe hatte allen Grund, mit der Wahl, die sie getroffen, zufrieden zu sein. Der Umstand, daß sie mich sofort zum Mitwisser ihrer intimen Angelegenheiten machte, bewies mir, welches Vertrauen sie mir entgegenbrachte.

»Ich befinde mich in einer sehr schwierigen Lage,« sagte sie, »und meine Seele ist mit Bitternis erfüllt, weil mich so viele scheelen Auges betrachten. Ihr könnt Euch leicht vorstellen, daß ich, dank des Reichtums meines verstorbenen Gatten (auf dem Heil und Segen ruhe!) sowie meiner eigenen sehr beträchtlichen Mitgift, so gequält und belästigt wurde, daß ich darüber schier den Verstand verlor. Alle meine Verwandten behaupten, ebensoviel Recht auf mich zu besitzen, als wäre ich ein Teil des Familiengutes. Schlagen mir meine Brüder einen Gatten vor, so haben sie gerade so ihren Vorteil im Auge, als tauschten sie einen Sack mit Wolle gegen Beutel voll Reis ein.

»Ein Neffe meines Mannes, ein Rechtskundiger, behauptet, Anspruch auf mich erheben zu können, da einem alten Herkommen gemäß ein Anverwandter des verstorbenen Mannes, wenn er einen Mantel über die Witwe wirft, ein Recht auf sie geltend machen kann. Ein anderer Verwandter behauptet wiederum, ich hätte dem Gesetze nach nicht zu beanspruchen, was ich jetzt besitze, und droht es mir streitig zu machen. Kurz, diese Verhältnisse bedeuten für mich einen so traurigen Wirrwarr, daß ich keinen anderen Ausweg vor mir sah, als eine zweite Ehe zu schließen. Das Schicksal hat mir Euch in den Weg gestellt und damit allen meinen Verlegenheiten ein Ende bereitet!«

Sie teilte mir ferner mit, daß, so ich damit einverstanden sei, bereits alle Vorbereitungen zu unserer sofortigen Vermählung getroffen wären. Sie verwies mich an einen Rechtskundigen, dem sie ihre Interessen anvertraut und der bereits alle Papiere besorgt habe und nur darauf warte, seines Amtes zu walten. Da ich allerdings auf so große Eile nicht vorbereitet gewesen war, begann mein Herz so unruhig zu schlagen, als schwebte ich zwischen Himmel und Erde, was mich aber durchaus nicht hinderte, meiner Zukünftigen meine ewige Liebe und Hingebung in glühenden Worten zu versichern und ihr so zärtliche Dinge ins Ohr zu flüstern, daß sie vor Wonne und Entzücken ganz überwältigt schien.

Ihre Ungeduld, unverzüglich unsre Ehe zu schließen, ward so brennend, daß sie der alten Ayscha befahl, mich sofort zu dem Rechtskundigen, der in einem kleinen entfernter liegenden Zimmer wartete, zu führen. Dieser hatte noch einen zweiten Rechtsbeistand mitgebracht, da, wie man mir sagte, zur Schließung einer Ehe diese Mittelspersonen als Zeugen sowohl von seiten des Mannes als auch der Frau erforderlich sind. Der Zeuge meiner Zukünftigen zeigte mir gleich den ›Akdnameh‹ oder Ehekontrakt, in welchem er bereits die aus dem persönlichen Vermögen der Frau bestehende Mitgift eingetragen hatte, vor und fragte mich hierauf, was ich meinerseits hinzuzufügen gedenke.

Nun hieß es abermals, meine ganze Schlauheit zu Hilfe zu nehmen. Die beste Antwort, die ich zu geben vermochte, war, zu wiederholen, was ich schon der alten Ayscha gesagt hatte, nämlich: ein Kaufmann wäre niemals in der Lage, mit Bestimmtheit sein Vermögen anzugeben, da es in Handelsartikeln über die ganze Welt verstreut sei, jedoch wolle ich alles, was ich besäße, rückhaltlos meiner Frau verschreiben, wofern diese Verbindlichkeit auf Gegenseitigkeit beruhe.

»Das ist sehr großmütig,« erwiderte verschmitzt mein Schreiber; »doch wir verlangen noch bestimmtere Angaben. Was besitzet Ihr zum Beispiel hier in Konstantinopel? denn nur wichtiger Zwecke halber werdet Ihr so weit hergereist sein. Vorderhand genügt es, wenn Ihr den ganzen Besitz, über den Ihr hier an Ort und Stelle verfügt, bestände dieser nur aus Bargeld, Waren oder Häusern, verschreibt.«

»Nun gut,« sagte ich und zeigte bei der Frage ein möglichst unbefangenes Gesicht, »das werden wir gleich haben,« tat, als berechnete ich im Kopfe, über was ich verfügen könnte, um gleich darauf keck zu sagen: »Ihr könnt niederschreiben, daß ich zwanzig Beutel in Geld und zehn in Kleidern gebe.«

Daraufhin fanden zwischen der Witwe und ihrem Vertreter, der ihr meine Vorschläge, denen sie zustimmen mußte, unterbreitete, einige Verhandlungen statt.

Nach kurzer Unterredung war die ganze Angelegenheit zur Zufriedenheit aller Teile geordnet. Nachdem wir unsere Siegel unter die Urkunde gesetzt und die Vekils die gesetzlich nötigen Eheverspruchsformeln laut verkündet hatten, wurde unsere Ehe für rechtsgültig geschlossen erklärt, worauf ich die Glückwünsche der Anwesenden entgegennahm. Ich ermangelte nicht, die beiden Schreiber vor ihrer Entlassung zu belohnen und auch für das Hausgesinde meiner Braut eine reichliche Schenkung zu machen. Und nun, anstatt zum alten Osman und zu meinen Pfeifenrohren, die mir bisher als Kopfkissen gedient hatten, zurückzukehren, zog ich mich mit der ganzen Gelassenheit und Wichtigkeit des würdevollsten aller Türken in meinen Harem zurück.


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