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Neuntes Kapitel

Hadschi wird Tabakverkäufer

Da sich mir gar manche Möglichkeiten boten, überlegte ich lange, auf welche Weise ich mein Leben weiterfristen sollte. Der Bettlerstand schien in Meschhed gerade einen großen Aufschwung zu nehmen, auch die Erfolge, die ich als Sakka zu verzeichnen hatte, boten mir eine gewisse Gewähr, daß es mir jedenfalls in dieser Zunft ein leichtes sein würde, in Bälde eine führende Rolle zu spielen. Auch als Lûti oder Possenreißer mit einem gezähmten Bären die Welt zu durchwandern, hatte etwas Verlockendes. Allein, da ich weder ein gelernter Taschenspieler war, noch ein Tierbändiger, mußte dies Projekt wegen mangelnder Vorkenntnisse fallen. Fernerhin stand es mir frei, eine Barbierstube zu eröffnen. Aber Meschhed lag meiner schönen Heimat zu ferne, als daß ich mich hätte entschließen können, in dieser Stadt feste Wurzel zu schlagen. Nach langem Überlegen reifte mein Entschluß, ein umherziehender Tabakverkäufer zu werden; war ich doch selbst ein leidenschaftlicher Raucher. Demzufolge erstand ich unverzüglich Pfeifen in allen Größen, ein Holzgestell, um den Leib geschnallt, auf dem die Pfeifenköpfe standen, einen eisernen Holzkohlentopf, ein kupfernes Gefäß für Wasser, auf dem Rücken zu tragen, und ein paar lange Beutel, die, am Gürtel befestigt, zur Aufbewahrung meiner Tabaksorten dienten. So ausgerüstet, glich ich auf ein Haar einem Stachelschwein mit gesträubten Borsten. Ich führte gute Tabaksorten, als Tabas, Schiras, Susa und Damaskus. Allerdings muß ich bekennen, meine Mischungen waren nicht ganz einwandfrei, denn nur mit Zuhilfenahme von allerlei getrockneten schlechten Abfällen verschiedenen Ursprungs, die ich dem reinen Tabake reichlich beimischte, erzielte ich ansehnliche Vorräte. Mit dem mir angeborenen feinen Instinkt wußte ich recht bald, welche von meinen Kunden als »Kenner«, denen ich nur den reinsten Tabak verabfolgen durfte, zu behandeln waren. Der ganze Gewinn meines Handels beruhte in der Tat lediglich auf der richtigen Beurteilung der verschiedenen Persönlichkeiten. Der mittleren Klasse meiner Kunden verkaufte ich halbgemischte Ware, der etwas ärmeren zu drei Vierteln verfälschtes Kraut; die ganz Armen mußten sich mit dem reinen Miste, der auch nicht eine Faser Tabak enthielt, begnügen. Merkte ich, daß einer der Kunden das Maul verziehen wollte, so zeigte ich ihm meine feinsten Sorten, pries die Güte meines Tabaks, faselte ein langes und breites über den Gärtner, der ihn gepflanzt, ja, machte mich sogar anheischig, die Stelle, wo er gewachsen, ganz genau bezeichnen zu können. Gar bald erlangten meine Pfeifen in Meschhed eine große Berühmtheit. Mein Hauptkunde, ein Derwisch, war jedoch ein so feiner Kenner, daß ich es niemals gewagt hätte, ihm etwas anderes als den besten, reinsten Tabak zu verabfolgen. Freilich verdiente ich nicht viel an ihm, er zahlte sehr unregelmäßig, erwies sich aber sonst als ein so ausnehmend angenehmer Gesellschafter, empfahl mich so warm in seinem Freundeskreise, daß ich um seinetwillen für meine Lage große Opfer brachte. Derwisch Sefers äußere Erscheinung wirkte höchst auffallend durch eine große Adlernase, stechend schwarze Augen, einen dicken Bart und eine Fülle pechschwarzer Haare, die sein Haupt wie eine lange Mahne umwallten. Seine spitze Mütze bedeckten gestickte Koransprüche, ein Rehfell hing ihm lose um den Oberkörper, in der einen Hand trug er, meist auf die Schulter gestützt, einen eisernen Zinkenstab, in der anderen einen an drei Ketten hängenden Flaschenkürbis, den er den Vorübergehenden hinhielt, wenn sein Stolz es zuließ, diese um eine Gabe anzugehen. An seinem von Achatspangen gehaltenen Gürtel baumelte eine Fülle dicker, hölzerner Gebetsperlen. Die imposante Würde, mit der er die Straßen und Basare durchschritt, die furchterregende Wildheit, die in jedem seiner Worte und Gesten zum Ausdruck kam, mußten bei allen, die ihn zuerst sahen, ein gewisses Grauen erregen. Später freilich, als ich ihn näher kennen lernte, da wurde mir klar, all dies sei nur die angenommene Maske, die sein Stand erforderte. Rauchte er behaglich meine Pfeifen, ohne die Furcht, von Unberufenen gestört zu werden, so war er der harmloseste natürlichste Mensch von der Welt. Unsere Bekanntschaft wurde sehr bald eine wirkliche Freundschaft. Er führte mich in dem kleinen Kreise von Derwischen seines Schlages ein, mit denen er fast ausschließlich verkehrte, und ich ward gebeten, an ihren Zusammenkünften teilzunehmen. Allerdings bedeutete das für mein Geschäft gar keinen Gewinn, denn die Derwische rauchten eine viel größere Menge reinen Tabaks als alle meine sonstigen Kunden zusammengenommen. Ich aber genoß ihre Gesellschaft so sehr, daß ich lieber den guten Tabak opferte.

Eines Abends, als wir mehr denn je geraucht hatten, sagte mir Derwisch Sefer: »Hadschi, Ihr seid wirklich ein zu wertvoller Mann, um Euer Lebtag nur Tabak zu verkaufen. Warum werdet Ihr nicht ein Derwisch wie wir? – Was die Leute von uns halten, schert mich einen Dreck! – Unser Dasein ist ja mehr oder minder von Zufällen abhängig – aber ungemein abwechslungsreich und dem göttlichsten Müßiggange geweiht. Für uns bedeutet ja die ganze Menschheit nichts anderes als ein Ausbeutungsobjekt, wir leben einzig und allein von ihrer Dummheit und ihrem Aberglauben. So wie ich Euch nun im Laufe der Zeit kennen lernte, scheint Ihr mir ganz dazu angetan, unserem Stande hohe Ehre zu machen, und könntet mit der Zeit ebenso berühmt werden wie der gefeierte Schaikh Saadi selbst.« – Die zwei andern anwesenden Derwische stimmten dieser Rede begeistert bei und bestürmten mich, einer der ihren zu werden. Die Sache mißfiel mir nicht, ich befürchtete nur, daß mir alle zu diesem Berufe nötigen Vorkenntnisse gänzlich abgingen.

»Es ist ja einfach unmöglich,« erwiderte ich, »daß ein so ganz unerfahrener und ungebildeter Mensch wie ich mit einem Male all den gelehrten Kram innehätte, dessen ein Derwisch bedarf! – Ich kann allerdings lesen und schreiben, habe den Koran durchstudiert, weiß Hafis und Saadi nahezu auswendig, habe auch das ›Schah-Nameh‹ von Firdosi zum größten Teile gelesen, aber was darüber hinausgeht, davon weiß ich rein gar nichts.« »Ach, mein Freund,« meinte Sefer, »wie wenig wißt Ihr über die Derwische und noch weniger über die Menschheit Bescheid! – Derwisch zu sein, erfordert keine große Gelehrsamkeit, – aber Selbstvertrauen muß man vor allem haben. Der fünfzigste Teil Eurer Bildung, mit einer genügenden Dosis von Unverschämtheit gepaart, ist mehr als genügend, nicht nur über die Geldbeutel Eurer Zuhörer, sondern sogar über ihr Leben gebieten zu können. Durch Frechheit bin ich Prophet gewesen; durch Frechheit wirkte ich Wunder; durch Frechheit habe ich Sterbende dem Leben zurückgegeben; durch Frechheit mir ein sehr gemächliches Leben verschafft, und bin von allen jenen gefürchtet und geachtet, die, wie Ihr, nicht wissen, wie Derwische sind. Wenn ich es mir angelegen sein ließe und so viel aufs Spiel setzte, wie Mohammed selbst es tat, könnte ich vielleicht noch heutigentages ein ebenso großer Prophet werden wie er. Es würde mir ein leichtes sein, vorausgesetzt, daß es mir einmal gelungen ist, das Vertrauen meiner Zuhörer zu erringen, den Mond mit den Fingern entzweizuschneiden; Frechheit allein vermag dies – und noch weit mehr, nur muß sie richtig gehandhabt werden.« – Diese Rede erregte großen Beifall bei allen Zuhörern, ich aber hatte den heißen Wunsch, mehr vom Leben dieser ungewöhnlichen Männer zu erfahren, deren Wirkungskreis mir so viel reicher an Freuden und Erlebnissen schien, als der eines herumziehenden Tabakverkäufers.


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