Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundvierzigstes Kapitel

Hadschi bereitet sich für einen neuen Beruf vor

Um mich auf meine künftigen Amtspflichten vorzubereiten und ihnen das vollste Verständnis entgegenzubringen, hielt der Molla Nadan es für nötig, mich bei den Sighés einzuführen. Nach eingehender Prüfung sollte ich ein Register anlegen, in dem ihre Schönheit, ihr Alter, ihre Gemütsart und ihre sonstige Befähigung zur Ehe gewissenhaft verbucht würden; auch verpflichtete ich mich, dieses Dokument stets bei mir zu tragen, um es jedem Fremden, der mir in den Weg liefe, vorweisen zu können.

Zuerst begab ich mich in den Basar, staffierte mich mit einem Priestermantel, einem über der Brust zugeknöpften Rocke und einem langen Stück Musselin aus, das ich um meinen Kopf wand. Mit diesem Staatsgewande meiner neuen Würde angetan, begab ich mich in das Haus der Frauen, wo ich sofort vorgelassen wurde, da sie von meinem bevorstehenden Besuche unterrichtet waren.

Sie saßen alle drei in einem elenden kleinen Zimmerchen und rauchten. Nach altgewohnter Sitte unserer Frauen zogen sie bei meinem Eintritte die nur lose übergeworfenen Schleier eilends so fest über das Gesicht, daß nur ein Auge freiblieb.

»Friede sei mit euch, Khanums!« sagte ich, da ich wußte, wie einnehmend der Ausdruck scheinbar großer Hochachtung auf andere wirkt.

»Ich komme im Auftrage des Molla Nadan, um euch meine geringen Dienste anzubieten; da euch jedoch der Grund meines Besuches bekannt sein dürfte, werdet ihr wohl nichts dagegen haben, eure Schleier etwas beiseite zu schieben?«

»Ihr möget in Frieden verweilen, Molla!« antworteten sie und gaben mir durch mannigfache schmeichelhafte Reden zu verstehen, ich sei willkommen, und hofften, meine Anwesenheit brächte ihnen viel Glück.

Zwei der Frauen entschleierten alsogleich ihre Gesichter, die allerdings der Lilien- und Rosenzeit längst Valet gesagt hatten, auf denen, trotz des Surmes (Spießglanz) um die Augenlider, der blauen Kreuze auf Kinn und Stirne, und dem grellen Rot der Wangen, die Jahre ein langes Verzeichnis von Falten mit großen Buchstaben geschrieben hatten. Nur die dritte der Damen blieb standhaft verschleiert.

Sobald die beiden andern liebreizenden Geschöpfe mich mit sieghaftem Lächeln zu erobern versuchten, hielt ich mit den Ausrufen meiner Bewunderung nicht mehr zurück: »Gepriesen sei Allah! Maschallah! Schaut mich nicht so glühend an, ich laufe sonst Gefahr zu verbrennen! Dieser Anblick ist eines Ferhad würdig! O welche Augen, welche Lippen und Nasen! Seid barmherzig, ihr verzehrt mich ja mit euren Glutaugen! Aber aus welchem Grunde«, und dabei deutete ich auf die noch immer Verhüllte, »läßt jene mich so lange schmachten? Vielleicht hält sie mich ihres Anblickes nicht für würdig, da ich nur ein armer Molla bin, und das hohe Vorrecht, ihre Reize zu bewundern, kaum der allmächtigen Sonne zukäme?«

»Warum tut Ihr so ›naz‹(spröde)?« riefen ihre Gefährtinnen. »Er muß uns doch ausführlich beschreiben können, oder wir sind zum traurigen Lose eines einsamen Daseins verurteilt und werden der Spott und die Schande des weiblichen Geschlechtes bleiben!« In Persien gilt die Ehelosigkeit der Frau als eine Schande.

»So sei es denn!« rief die Verhüllte; »einmal muß die Katze aus dem Sack«, und riß mit einer krampfhaften Bewegung ihren Schleier herunter. Zu meinem allergrößten Staunen erblickte ich die mir wohlbekannten Züge der Frau meines früheren Herrn, des Leibarztes Mirza Ahmak.

»Bei allem, was heilig ist! beim Barte des gebenedeiten Propheten! wie geht das zu? Haben hier die Dschann ihre Hand im Spiele gehabt, daß dies möglich ist?«

»Ja, Hadschi,« antwortete sie sehr gefaßt, »das Schicksal ist etwas höchst Verwunderliches! Aber wie kamt Ihr, der meinen Mann umgebracht hat, dazu, ein Molla zu werden?«

»Ist Euer Mann denn tot,« fragte ich, »daß Ihr so mit mir redet? Warum werft Ihr mit so unvorsichtigen Worten um Euch? Was habe ich mit Eures Gatten Tod zu schaffen? Einst war er mein Herr, und ich beklage seinen Verlust. Doch ebensogut könntet Ihr mich beschuldigen, den Märtyrer Husseïn (gesegnet sei sein Andenken!) umgebracht zu haben. Sagt mir, was vorfiel, denn im Labyrinthe der Unwissenheit drehe ich mich nutzlos im Kreise herum.«

»Warum stellt Ihr Euch unwissend?« sagte sie in ihrem gewohnten schreienden Tone; »da Ihr doch wissen müßt, daß der Schah Seneb nur Euretwegen aus der Welt schaffte, daß des Doktors Bart um ihres Todes willen ausgerissen wurde, daß er mit ausgerissenem Barte in Ungnade fiel und diese Ungnade sein Tod war; folglich seid Ihr allein die Ursache all des großen Unglücks.«

»Wie viel Asche häuft Ihr auf meinem Haupte, o Khanum!« rief ich in größter Erregung; »wie könnt Ihr sagen, ich sei die Ursache des Todes Eures Gatten, da ich zu jener Zeit doch Hunderte von Parasangen weit von ihm entfernt war! Wäre Euer Mann an einem überfüllten Magen gestorben, so könntet Ihr ebensogut den Landmann für seinen Tod verantwortlich machen, der den Reis baute, den er aß.«

In dieser Tonart haderten wir noch eine Zeitlang weiter, bis die andern Weiber, voll Angst, ihre Interessen könnten Schaden leiden, mich mahnten, wir hätten Geschäfte zu erledigen und sie keine Lust, ihre Reize länger unbenutzt brach liegen zu lassen. Sogar die Khanum, die nur schwatzte um des Schwatzens willen, die meines Wissens ihren Gatten mit einem ungewöhnlichen Hasse verfolgt hatte, schien zu wünschen, ich möchte ihre einst glänzende Stellung vergessen und zum Geschäftlichen übergehen.

Um die Posse meiner ehrerbietigen Haltung weiterzuspielen, bat ich in erster Linie die Witwe des Doktors, mir etliche Einzelheiten ihres Geschickes mitzuteilen, damit ich in der Lage wäre, einem ungeduldigen Freier nicht nur diese, sondern auch ihre Reize als höchst begehrenswert zu schildern.

»Ihr wißt ebensogut wie ich,« sagte sie, »daß ich einst die Gunst jener Rose im Paradies der Wonne, des Königs der Könige, genoß, die erste Schönheit im Harem und der Schrecken aller meiner Nebenbuhlerinnen war. Aber wer könnte sich den Beschlüssen des Geschickes widersetzen? Es erschien eine andere Frau, welche die Gunst des Schahs durch mächtigere Zaubermittel zu fesseln wußte als ich, und vernichtete meine Macht. Doch ihre Furcht vor meinen Reizen war so groß, daß sie nicht ruhte, bis ich verstoßen ward und mich der Schah zu meinem größten Unglücke seinem Leibarzt zum Geschenke machte. Ach, niemals werde ich die Seelenpein vergessen, als ich, aus allen Wonnen des königlichen Palastes gerissen, in die Arme des Doktors fiel, um zwischen Medikamenten und Apothekerbüchsen zu hausen!

»Senebs Geschichte will ich nicht wiederholen. Als der Hakim starb, versuchte ich, die guten Gesinnungen des Schahs für mich wiederzugewinnen, doch alle Zugänge zu seinem Ohre waren mir verschlossen, und nun bin ich, die einst den Stellvertreter Allahs am Barte herumführen konnte, auf eine so tiefe Stufe des Elendes herabgesunken, daß ich mich genötigt sehe, einen Mann auf der Landstraße zu suchen!«

Hierauf begann sie zu schreien und ihr grausames Geschick zu beweinen, ich aber versuchte sie mit der Versicherung zu beruhigen, daß ich alles daransetzen wolle, ihr einen passenden Gefährten zu verschaffen.

»Ihr seht,« sagte sie mir, »daß ich noch immer hübsch bin und meine Jugend noch nicht entschwand! Schaut nur in meine Augen, verloren sie vielleicht ihren Glanz? Bewundert meine Augenbrauen! Wo werdet Ihr wieder ein Paar finden, das so vollkommen in eins zusammenläuft? Seht meinen Wuchs: meine Taille mißt kaum eine Spanne!«

In dieser Weise fuhr sie fort, mir aufs gewissenhafteste selbst ihre kleinsten Reize aufzuzählen, die ich, ihrem Wunsche entsprechend, ganz genau begucken mußte. Aber anstatt mich an Jugend und Schönheit zu weiden, bekam ich nichts anderes zu Gesicht als ein altes, aufgedunsenes Weib, an dem ich gern alle Mißhandlungen der unglücklichen Seneb gerächt hätte.

Die beiden anderen Frauen gaben mir nun ebenfalls kurze Lebensabschnitte zu hören. Die eine war die Witwe eines Goldschmiedes, den man aus einem Mörser in die Luft gesprengt hatte, weil er etwas Gold veruntreute, das ihm übergeben wurde, um dem Schah zwei Leuchter anzufertigen. Die andere wollte eine Sighé werden, um ihren Lebensunterhalt zu haben, da sie ihr Mann verlassen hatte und in Rußland Schutz vor dem Zorne des Schahs suchte.

Auch diese beiden gaben sich die größte Mühe, mich von ihrer Jugend und Schönheit zu überzeugen, die ich, so gut ich es vermochte, bestätigte.

Nachdem ich sämtliche Punkte in mein Register eingetragen hatte, versprach ich allen dreien, keine Mühe zu scheuen, um in ihrem Interesse zu wirken.

»Erinnert Euch,« sagte die eine, »daß ich erst achtzehn Lenze zähle!«

»Vergeßt nicht,« sagte die andere, »daß ich noch ein Kind bin!«

»Behaltet stets meine zwei in eins zusammenlaufenden Augenbrauen im Gedächtnis!« kreischte die Witwe des Doktors.

»Bei meinen Augen, es sei!« rief ich, als ich das Zimmer verließ, und tröstete mich über den Anblick dieser drei schrecklichen Vogelscheuchen, indem ich meinem Entsetzen durch eine Flut von Verwünschungen und lautem Gelächter Luft machte.


 << zurück weiter >>