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Einundfünfzigstes Kapitel

Der Ehrgeiz Nadans stürzt Hadschi ins Unglück

Bei näherer Bekanntschaft entpuppte sich mein neuer Gebieter, der Molla Nadan, nicht nur als der habgierigste, sondern auch als der ehrgeizigste aller Menschen, dessen Dichten und Trachten sich nur darauf richtete, Oberpriester in Teheran zu werden. Tag und Nacht schwebte ihm dies hohe Ziel vor Augen. Kein Mittel war ihm zu gering, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sei es durch übertriebene Frömmelei oder durch Verfolgung jener, die als Feinde der wahren Religion gelten konnten. Er war Vorbeter in der königlichen Moschee, hielt Vorträge in der ›Medresseh‹ oder Universität, und sooft sich Gelegenheit bot, munterte er die Streitenden auf, sie möchten ihre Streitfragen ihm zur Entscheidung überlassen. Bei jeder Gelegenheit, besonders bei dem Neujahrsfeste »Nouruz«, wenn sämtliche Mollas in prächtigen Gewändern vor dem Könige vorüberziehen, um für seine Wohlfahrt zu beten, wußte er sich durch übertriebene Augendienerei besonders hervorzutun, und seiner wohltönenden Stimme gelang es, die andern sämtlich zu überschreien. Durch alle diese Machenschaften war er unter dem Volke zu großer Berühmtheit gelangt, wenn auch alle jene, die ihn näher kannten, keine allzu großen Stücke auf ihn hielten.

Der Winter war über unsere Häupter hinweggebraust und das Frühjahr schon beträchtlich vorgeschritten, als Nachrichten aus den südlichen Provinzen, vor allem aus Lar und Fars, in die Hauptstadt drangen, daß dort der gänzliche Mangel an Regen den Ausbruch einer Hungersnot ernstlich befürchten lasse. Der Schah hatte befohlen, in allen Moscheen um Regen zu beten, und der Molla-Baschi setzte alles daran, diesen Befehl noch zu verschärfen.

Mein Gebieter Nadan aber dachte, diese herrliche Gelegenheit, seinen religiösen Eifer ins hellste Licht zu stellen, dürfe er sich nicht entgehen lassen; er wollte sich durch ganz besondere Dinge hervortun und verlor keinen Augenblick, mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, darauf hinzuarbeiten.

Im Bewußtsein seines wachsenden Einflusses beim niederen Volke ging er noch einen Schritt weiter als der Oberpriester, lockte eine große Volksmenge vor sein Haus und überredete diese, ihm auf einen weiten Platz vor der Stadt zu folgen, wo er ihr vorbetete. Da die Dürre aber immer noch nicht nachließ, gab der Schah den Befehl aus, alle Volksklassen müßten, um das Gebet kräftiger zu machen, dem Molla Folge leisten und tüchtig mitbeten. Nadan, der dies als eine große Auszeichnung und einen wahren Triumph betrachtete, ließ seinem Eifer mehr denn je die Zügel schießen.

Nicht nur alle Mohammedaner, nein, auch alle anderen Sekten: Christen, Juden, Parsen und Armenier mußten auf seinen Befehl hin öffentliche Bittgebete abhalten. Der Himmel jedoch blieb unerbittlich, es regnete nicht, die Verzweiflung wuchs, Nadan hingegen verdoppelte seinen religiösen Eifer.

Endlich eines Morgens, als die Schwüle noch drückender war als sonst, hielt er an eine mit Vorbedacht vor seinem Hause zusammengerottete Pöbelmenge folgende Ansprache: »O Männer von Teheran, sollte es denn kein Mittel geben, um das Unglück, von dem das Land Iran bedroht ist, aufzuhalten? Offenbar hat sich der Himmel von uns abgewendet, weil die Mauern dieser Stadt einige umschließen, deren Laster und Verbrechen die Rache des Allmächtigen auf uns herabrufen. Diese Elenden sind aber keine anderen als die ›Kafirs‹, diese Ungläubigen, die unsere Mauern besudeln und unsere Straßen zum Schauplatze ihrer Laster machen, indem sie öffentlich Wein trinken, den unser heiliger Prophet (auf dem Heil und Segen ruhe!) verboten hat.

»Kommt, folgt mir, laßt uns hingehen, wo diese Saufbrüder wohnen und ihre Weinkrüge So ausgezeichnet auch die persische Traube ist, so wenig bemühen sich die Eingeborenen, und zwar nur die Christen und Juden, für eine ordentliche Bereitung des »Vaters des Verderbens« oder des Weines Sorge zu tragen. Sie keltern die Trauben nach unserer Art, bewahren den Wein aber in tönernen Gefäßen auf, da Holz im Lande ein äußerst seltener Artikel ist. Troß des Verbotes im Koran trinken die Perser den Wein in ebensogroßen Massen wie den Arrak oder Branntwein, nur vermeiden sie die Öffentlichkeit. (Brugsch.) zerbrechen, damit wenigstens eine der Ursachen, die uns Allahs Zorn zugezogen haben, aus der Welt geschafft wird!« Die Antwort darauf war eine allgemeine Erregung der Menschen, in deren Herzen ein Fanatismus angefacht ward, der sich vorläufig auf die gräßlichsten Schimpfworte beschränkte, die nur zu bald in eine so blinde Raserei ausarten sollten, wie ich sie nicht für möglich gehalten hatte. Nadan stellte sich an die Spitze des Pöbelhaufens, dem ich ebenso fanatisiert wie alle anderen folgte, und der, angefeuert von den aufrührerischen Reden des Molla, sich von diesem bis ins armenische Viertel weitertreiben ließ.

Als die friedliebenden Christen diese wutentbrannte Horde von Mohammedanern auf ihre Häuser zukommen sahen, wußten sie nicht, was sie tun sollten. Einige verbarrikadierten ihre Türen, andere ergriffen die Flucht, viele jedoch waren vor Schrecken wie gelähmt. Lange aber konnten sie über die Absichten des Pöbels nicht im Zweifel sein, denn bald regnete ein Hagel von Steinen, begleitet von laut geschrieenen Verwünschungen und Schmähungen, mit einer Heftigkeit auf sie nieder, daß sie sich auf ein allgemeines blutiges Gemetzel gefaßt machen mußten. Der Molla Nadan, von den Blutgierigsten der Rotte gefolgt, drang in das Haus des vornehmsten Armeniers ein, um dort eifrig nach Wein zu suchen. Ohne jede Rücksicht auf die Frauengemächer wurden die Türen erbrochen; kurz, die Zerstörungen, die sie anrichteten, bis sie endlich die großen irdenen Gefäße mit Wein fanden, will ich lieber gar nicht schildern. Beim Anblick der in tausend Scherben zerschlagenen Krüge, des Weines, der in allen Richtungen dahinströmte –: was konnte der bedauernswerte Besitzer anderes tun, als verzweifelt die Hände ringen.

Die sinnlose Wut des Pöbels, die kein Haus verschonte, war aufs höchste gestiegen, so daß die wilde Rotte sogar die Kirche erbrach und dort alles zerstörte, was diese an Büchern, Kruzifixen, Zieraten und Einrichtung enthalten hatte. Nichts wurde verschont. Da es aber bei solchen Anlässen Spitzbuben in Menge gibt, so verfehlten sie auch bei dieser Gelegenheit nicht, alles fortzutragen, was die Beraubten Kostbares besessen hatten. Bald war alles vollkommen zerstört, und die Wut des Pöbels, die sich nur noch an den armen Notleidenden selbst hätte schadlos halten können, machte sich schon zu einem Angriffe auf sie bereit, als ein königlicher Färrasch in Begleitung des vornehmsten Armeniers auf der Bildfläche erschien, was eine allgemeine sofortige Ernüchterung hervorrief.

Da die Furcht vor den möglichen Folgen ihrer Aufführung alle begeisterten Anhänger Nadans zum eiligen Rückzuge trieb, so standen ich und der Anführer bald ganz allein vor dem königlichen Offiziere. Als wir vernahmen, daß dieser uns vor dem Schah sofort zu erscheinen befahl, war uns gar nicht beneidenswert zumute. Zuerst blickte der Molla mich an, dann ich ihn, und wir kamen uns trotz unserer Bärte wie zwei auf böser Tat ertappte unreife Buben vor.

Um Zeit zu gewinnen, ersuchte der Molla den Offizier, ihn zu seinem Hause zu begleiten, damit er seine roten Tuchstrümpfe Der Wesir ließ sich seine roten Stiefeln herbeiholen, mit welchen allein bekleidet er sich nach alter Sitte der heiligen »Gegenwart« vorstellen darf. (Audienz beim Schah. Brugsch, Persische Reise.) anlegen könne. »Ihr werdet keiner roten Strümpfe bedürfen,« antwortete barsch der Färrasch.

Als bei diesen Worten Nadan am ganzen Körper ein Zittern befiel, da, muß ich gestehen, fühlte auch ich mich davon in unbehaglichster Weise angesteckt.

»Im Namen des Propheten, was habe ich denn Unrechtes getan?« rief Nadan. »Müssen die Feinde unseres heiligen Glaubens nicht vernichtet werden?« fragte er den Färrasch.

»Das werdet Ihr schon sehen!« erwiderte der Unerbittliche, der gewohnt war, mit Schlägen zu antworten.

Als wir endlich den Palast erreichten und in das Zimmer des Oberexekutors traten, fanden wir den Molla-Baschi mit dem Großwesir im Gespräche. Wie wir an das Fenster traten, fragte der Großwesir den Molla: »Im Namen Alis, was müssen wir hören? Habt Ihr den Verstand verloren? Habt Ihr vergessen, daß es in Teheran einen König gibt?«

»Und wer bin ich,« rief der Molla-Baschi, »daß Ihr Euch erfrecht, den Kampf gegen die Ungläubigen aufzunehmen?«

»Führt sie dem König vor!« mahnte der Oberexekutor, indem er sich erhob und seinen Kommandostab in die Hand nahm; »laßt den Mittelpunkt des Weltalls nicht warten.«

Mehr tot als lebendig führte man uns durch die Zugänge in den Palast. Wir traten durch eine kleine, niedere Tür, die uns in den verschlossenen Garten brachte, wo wir den König in einem oberen Gemache sitzen sahen. Als ich des Herrschers ansichtig wurde, drehte er seinen Schnurrbart, was bei ihm stets als ein Zeichen von Wut galt. Ich schaute dann auf Nadan, dem der Schweiß aus allen Poren drang. Sobald wir vor den König hintraten, zogen wir die Schuhe aus und näherten uns dem mit Marmor eingefaßten Wasserbecken. Der Oberexekutor legte seinen Kommandostab auf den Boden, machte eine tiefe Verbeugung, und nach der üblichen Form, in welcher der Schah angeredet zu werden pflegt, sagte er: »Hier ist der Molla Nadan und sein Diener.«

»Sage, Nadan, seit wann unterstehst du dich, meine Untertanen zugrunde zu richten?« sprach der König zu meinem Herrn, in sehr gemäßigtem Tone. »Wer verlieh dir dazu die Macht? Bist du ein Prophet geworden, oder läßt du dich etwa gar herab, selbst den König zu spielen? Sage, du Kerl, welchen Kot hast du gefressen?« Der Angeklagte, der sonst nicht auf den Mund gefallen war, stammelte einige unzusammenhängende Worte von – Ungläubigen – Wein und Mangel an Regen – um dann gänzlich zu verstummen.

»Was sagt er?« – fragte der Schah den Molla-Baschi. »Ich habe noch immer nicht verstanden, wer ihm die Befugnis erteilte.«

»Ich bin Euer Opfer,« antwortete der Oberpriester; »er meinte im Interesse der Untertanen Eurer Majestät zu handeln, die Regen brauchen, der nicht fallen könnte, solange die Ungläubigen in Teheran Wein tränken.«

»So! – also einen Teil meiner Untertanen richtest du den übrigen zu Gefallen zugrunde! Bei des Königs Bart!« rief der König, zu Nadan gewendet, »sage mir, Nadan, bin ich wohl ganz überflüssig in meiner Hauptstadt? Sollen soviel arme ungläubige Hunde unter meiner Nase ruiniert werden, ohne daß man mich befragt, ob das mein Wille war oder nicht? Sprich, Mensch, hast du geträumt? Ist dir das Hirn verdorrt?« Dann aber sagte er mit laut vernehmbarer Stimme: »Kurz, unsere Herrschaft bedeutet noch etwas in unseren Reichen, und die Kafirs, wenn sie auch zehnmal Ungläubige sind, sollen das erfahren. Hier, Färrasche, reißt diesem Elenden den Turban vom Kopfe und den Rock vom Leibe, rauft ihm den Bart aus dem Kinn; bindet ihn rittlings auf einen Esel, führt ihn so durch die Straßen, dann packt ihn beim Kragen und werft ihn zur Stadt hinaus; mag sein hoffnungsvoller Schüler ihn begleiten!«

Zum größten Glücke hatte man in mir nicht den einstigen Geliebten Senebs wiedererkannt. Mein Schicksal war, mit dem meines Gebieters verglichen, geradezu ein Paradies zu nennen; denn rascher wurde wohl niemals ein Urteil vollstreckt als das, was der Schah über den Molla verhängt hatte. Nadans Bart rissen die Färrasche so geschickt aus, als rupften sie ein Huhn. Ausgiebige Püffe und Schläge mahnten zur Eile. Der ehrgeizige, stolze Molla wurde rittlings auf den nächstbesten Esel gesetzt, der vorüberkam, und dann langsam durch die Straßen geführt.

Tief betrübt, meines Molla-Turbans beraubt, den man auch mir vom Haupte gerissen, und ohne Mantel, den man mir gleichfalls von den Schultern gezerrt, schlich ich hinterdrein.

Als wir an einem der Stadttore ankamen, mußte Nadan absteigen; und kaum mit ein paar Fetzen bekleidet, jagte man uns ins freie Feld hinaus. Ist es nicht merkwürdig, daß genau in dem Augenblicke, wo wir aus der Stadt herauskamen, der Regen in Strömen zu fallen begann, als ob der Himmel gewartet hätte, um Augenzeuge des Schimpfes zwei der geriebensten persischen Spitzbuben zu sein und so den Molla, zugunsten der armen geschädigten Armenier, Lügen zu strafen.


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