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Achtundfünfzigstes Kapitel

Hadschi wird ergriffen, aber durch seinen guten Stern gerettet

Am nächsten Morgen zu früher Stunde setzte die Karawane ihre Reise fort. Ich aber gesellte mich, um nicht aufzufallen, zu den Maultiertreibern und Schmarotzern, deren stets genug bei der Hand sind. Die Sänfte der Frau des Oberpriesters samt ihrer Dienerschaft eröffnete den Zug. Dann folgten die mit den Leichnamen beladenen Kamele. Was sonst noch zur Karawane gehörte und größtenteils aus schwerbepackten Maultieren bestand, trottete, in lange, unregelmäßige Züge zerstreut, längs der Straße dahin. Weil ich beständig zitterte, mein angenehmes Äußere könnte auffallen, so beneidete ich jetzt jeden Kerl, der verwilderter ausschaute, als ich und einen noch zerlumpteren Rock trug. Wenn ich auch schier vor Neugierde verging, zu wissen, ob unter den Dienern der Witwe sich einige meiner Bekannten befänden, so fürchtete ich mich dennoch so sehr, in ihre Nähe zu kommen, daß ich sofort meinen Kopf ängstlich zur Seite drehte, wenn es nur den Anschein hatte, als könnte einer mich angucken.

Die erste Tagereise war glücklich vorübergegangen; ich legte mein Haupt auf eines der Gepäckstücke und schlief die ganze Nacht durch. Auch am zweiten Tage hatte ich Glück, und dieser Erfolg machte mich gleich wieder so übermütig, daß sich mein Ehrgeiz regte, mit etwas Besserem als nur den gemeinen Maultiertreibern verkehren zu wollen. Ich hatte deshalb mit einem Reisenden, der, wie ich hörte, ein armenischer Bischof sei, ein Gespräch angeknüpft und war gerade dabei, ihn deutlich fühlen zu lassen, wie geschmeichelt er sein müßte, von einem wahren Gläubigen so höflich behandelt zu werden, als einer der von mir so gefürchteten Diener vorbeiritt, in dem ich den Mann, der mir bei meiner ersten Aufwartung beim Molla Nadan eine Sighé hatte aufdrängen wollen, erkannte. Bei seinem Anblicke sank mir das Herz in der Brust, und wenn mir der Geist des Oberpriesters selbst erschienen wäre, hätte ich nicht mehr erschrecken können. Schnell wendete ich meinen Kopf zur andern Seite, um dieses Mal mit dem Schrecken davonzukommen, da er, ohne mich zu beachten, vorüberritt. Gleichzeitig aber beschloß ich schleunigst, mein bescheidenes Plätzchen bei den Maultiertreibern wieder einzunehmen und den Bischof seinen Betrachtungen zu überlassen. Am folgenden Tage aber, wo wir durch die von den Kurden unsicher gemachten Pässe kommen mußten, würde sicher jeder zu sehr mit seiner eigenen Sicherheit beschäftigt sein, um an mich zu denken. Hatten wir aber diese erst hinter uns, so befanden wir uns nicht mehr auf persischem Gebiete, und im Falle meiner Gefangennahme konnte ich den Schutz der Türken anrufen. An diesem denkwürdigen und ereignisvollen Tage, der in meinem abenteuerreichen Leben eine so große Rolle spielte, bekam die Karawane ein ganz kriegerisches Gepräge. Jeder, der irgend etwas einer Waffe Ähnliches besaß, suchte es hervor und tat groß damit. Der ganze Vorgang mahnte mich lebhaft an jenen mit Osman Aga gemeinsam erlebten Angriff der Turkmenen, den ich auf den ersten Seiten meiner Geschichte erwähnt habe. Heute wie damals traten die gleichen Anzeichen der Furcht in Erscheinung. Auch ich bin ehrlich genug, zu gestehen, daß der Lauf der Zeit weder meine Nerven gestärkt, noch ich das Recht erworben hatte, den Titel eines Löwenfressers zu beanspruchen.

Die ganze Karawane bewegte sich, unter der Leitung eines Tschauschs und eines Führers, eng zusammengeschlossen vorwärts, und diese nebst den Dienern der Priesterwitwe bildeten eine Art Vorhut.

Ich, der ich auf meine eigene Sicherheit aus mehr als einem Grunde bedacht sein mußte und mich beim Gedanken freute, durch kein anderes Gepäck als meine fünfundneunzig Toman im Gürtel behindert zu sein, verbarg mich in der Menge.

Stillschweigend zogen wir dahin. Außer den Glocken der Karawane war kein Laut zu vernehmen. Ganz in Zukunftspläne versunken, dachte ich eben darüber nach, wie ich bei meiner Ankunft in Bagdad meine fünfundneunzig Toman recht vorteilhaft anlegen könnte, als ich bei einer Wendung des Kopfes den Führer, von einem wohlberittenen Perser begleitet, auf mich zukommen sah.

»Hemin est!« (es ist derselbe) sagte dieser zu seinem Begleiter und zeigte mit der Hand auf mich.

»Beim Barte Alis!« entfuhr es mir, »mein gutes Glück hat mir den Rücken zugewendet!«

Als ich den Begleiter des Führers anschaute und sofort in ihm Abdul Kerim erkannte, den ich mittels meines Schreibens um hundert Toman geprellt hatte, da gab ich mich fast verloren, faßte aber wieder etwas Mut, als der Führer sagte: »Ihr seid der letzte, der zur Karawane stieß, vielleicht könnt Ihr uns sagen, in welchem Teile der Grenze der Räuber Kelb Ali sich jetzt aufhält?«

In tödlicher Verwirrung, meine Blicke beständig auf Abdul Kerim gerichtet, der mich gleichfalls mit seinen durchbohrenden Augen so argwöhnisch anstarrte, daß sich mir das Herz im Leibe umdrehte, gab ich Antwort. Als er mich daraufhin, als kämpfe er mit Zweifeln, noch immerzu unverwandt anglotzte, versuchte ich mich wegzudrücken. Endlich aber schien ihm eine Erinnerung aufzudämmern, denn er schrie laut: »Ich hab's, ich hab's, das ist der Mann, der mir die hundert Toman stahl, er war es, der mir in den Bart lachte! Wenn ihr einen Dieb sehen wollt, hier ist einer! Im Namen des Propheten, ergreift ihn!«

Jetzt begann ich, mich zu rechtfertigen und die Anklage zu widerlegen, und hätte sich nicht zu meiner größten Bestürzung der Ehevermittler noch obendrein dazugesellt, wäre es mir sicher geglückt, die Umstehenden von meiner Unschuld zu überzeugen. Nun wurde ich aber nicht nur als Dieb, sondern auch als Mörder des Oberpriesters angeklagt, ein Ereignis, das eine so allgemeine Empörung in der Karawane hervorrief, daß die Furcht vor den Räubern für den Augenblick gänzlich in den Hintergrund gedrängt wurde und jedermann herzulief, um mich anzugaffen. Man nahm mich gefangen, band mir die Hände auf den Rücken; und ich sollte gerade vor die Priesterswitwe geschleppt und ihr gegenübergestellt werden, als mein guter Planet, der im Aufsteigen war, mir zu Hülfe kam.

Aus einiger Entfernung ertönte plötzlich ein wildes Geschrei. Zu meiner größten Freude sah ich einen Haufen Berittener den Hügel herunterstürmen – es waren die gefürchteten Kurden! Der Weg wie die ganze Strecke von Marand bis jenseits des Aras (Araxes) gehört zu den zahlreichen persischen Gebieten, welche durch die Anwesenheit von Räubern ziemlich gefährdet werden. Hier sind es die Kurden, welche in der Nähe des geographisch so interessanten Grenzknotens, der des persischen, türkischen und russischen Reiches, die Reisenden durch plötzliche Überfälle belästigen und, was das Schlimmste ist, bei den Verfolgungen durch ihren Übergang auf die fremden Grenzbezirke für die Hand der Gerechtigkeit unerreichbar sind. Auf das Leben der Reisenden sehen es die Herren Kurden selten ab und werden nur dann höchst unangenehm und lebensgefährliche Gegner, wenn es einem Europäer einfällt, Widerstand zu leisten und einen Kurden durch Hiebe oder Stiche in das Jenseits zu befördern. Die augenblickliche Blutrache würde sofort den hitzigen Frengi erreichen. (Brugsch, Persische Reise.) Die Bestürzung wurde nun eine so allgemeine, die ganze Karawane geriet in solch entsetzliche Verwirrung, daß in Ermanglung mutiger Herzen und tapferer Arme sich jeder Widerstand als vergeblich erwies. Die berittenen Reisenden sprengten davon, die Maultiertreiber schnitten, um ihre Tiere besorgt, die Stränge der Ladungen entzwei, die, kunterbunt auf der Ebene zerstreut, den Räubern anheimfielen. Da die Kamele gleichfalls ihrer Bürde entledigt wurden, so kollerten zahlreiche Särge auf der Straße herum, und ich sah – als ob das Schicksal nicht müde würde, den Oberpriester zu ersäufen – seine irdischen Überreste in ein Bächlein fallen; kurz, es war eine grenzenlose, unbeschreibliche Verwirrung. Meiner Bande vermochte ich mich, sobald als ich mir selbst überlassen war, zu entledigen. Ich merkte wohl, daß die Kurden es hauptsächlich auf die Sänfte und ihr Gefolge abgesehen hatten, weil sie natürlich darin vornehme Gefangene zu finden hofften; und wie freute es mich, daß jene, welche noch vor wenigen Augenblicken die Urheber meines Unglücks waren, vielleicht sogar meinen Tod geplant hatten, jetzt in eine beinahe ebenso schlimme Klemme gerieten als die, aus der ich soeben befreit wurde. Umsonst versuchten die Diener der Witwe durch Drohungen und Schwüre, die wilden, barbarischen Kurden zu besänftigen, da diese jetzt den Teil der Karawane, der sich nicht durch die Flucht gerettet hatte, unter dem gänzlich unbegründeten Vorwande, man hätte die ihnen zustehenden Gebühren nicht entrichtet, regelrecht auszuplündern begannen. Bei diesem Anlasse konnte ich mich wieder einmal von dem mächtigen Einflusse meines guten Sternes überzeugen. Während all die reicher Gekleideten, ihrer anscheinenden Wohlhabenheit wegen, von den Räubern vor allem aufs Korn genommen wurden, schienen sie mich, samt meinem allein dahintrottenden Maultier, ihrer Beachtung für unwürdig zu halten, so daß ich, ohne im geringsten belästigt zu werden, ruhig dem Endziel meiner Reise entgegenwandern konnte.

Ich führte keinen Leichnam mit mir, brauchte daher auch keinen Zoll für einen verblichenen Angehörigen zu entrichten, war frei wie die Luft und rief, während ich meines Weges ging und mich aus all den tausend Nöten, die mir von allen Seiten gedroht hatten, befreit sah: »Barikallah ei tali-i män!« (Mein gutes Glück, das hast du brav gemacht!)


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