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Siebenundsechzigstes Kapitel

Hadschi sucht Rat und Trost beim alten Osman

Als ich auf die Straße gelangt war, rannte ich, ohne mich recht darum zu bekümmern, wohin ich meine Schritte lenkte, eine Zeitlang geradeaus sinnlos weiter. Da ich nahezu die Besinnung verloren hatte und mir tausend widerstreitende Leidenschaften das Herz zusammenkrampften, so dachte ich angesichts des Meeres allen Ernstes daran, ob es vielleicht nicht das Klügste wäre, mich kopfüber hineinzustürzen.

Doch als ich über einen großen, freien Platz kam, da ereignete sich ein Vorfall, der, so nichtig er auch scheinen mag, dennoch für mich von großer Bedeutung wurde, weil er meinen Gedanken eine neue Richtung gab und mich dadurch vom Selbstmord abhielt.

Wie man es in den Straßen von Konstantinopel so häufig sehen kann, ward ich Zeuge eines blutigen Kampfes unter den Straßenhunden. Ein Hund, der in das Gebiet einer anderen Gemeinde geraten war, hatte durch den Diebstahl eines Knochens deren Rechte verletzt. Sogleich entstand ein schrecklicher Aufruhr, alle Hunde waren auf den Beinen und bellten aus Leibeskräften; der fremde Hund aber wurde über die Grenze in sein eigenes Quartier zurückgejagt. Hier traf er einige Freunde, versammelte diese um sich und wagte einen neuen Angriff. Als ich vorüberging, hatte die allgemeine Schlacht gerade begonnen. Während ich mir dies Schauspiel ansah, blitzte mir ein Gedanke auf, und ich rief: »O Allah! wie unerforschlich sind deine Absichten; niemals sollte der Mensch, der engherzige, kurzsichtige Mensch, über deine Beschlüsse murren! Nun zeigst du mir auf diese Weise, welche Richtung ich auf meinem Lebenspfade einschlagen soll, denn dein Beistand wird jenen werden, die ihn suchen. Ich will deine Lehre, wenn sie mir auch nur durch einen Hund gegeben wurde, beherzigen. Nein, ich werde mich über nichts mehr wundern, sehe ich doch, daß unvernünftige Tiere wie mit Vernunft begabte Menschen handeln. Ich will mich nicht vom Unmute besiegen lassen, sondern dahin gehen, wo ich einen treuen Freund finde, der mir durch seinen Rat und seine Erfahrung Trost spenden kann!« Hierauf schlug ich fast mechanisch die Richtung ein, um zu Osman zu gelangen, der, obgleich ein Türke, sich gegen mich stets benommen hatte, als ob er mein Landsmann und meines Glaubens wäre. Er empfing mich in seiner gewohnten, gemessenen Art, blies, nachdem ich ihm all mein Mißgeschick geklagt hatte, eine lange Rauchwolke aus seinem stets brennenden Tschibuk vor sich hin und rief mit einem tiefen Seufzer: »Allah Kerim! Gott ist barmherzig!«

»Mein Freund!« sagte er, »als du hier vor den Persern in all deiner Pracht erschienst, da befürchtete ich gleich, es möchte dir Übles begegnen. Vielleicht bist du noch nicht alt genug, um gelernt zu haben, welche Gehässigkeit Vergleiche erzeugen. Wie konntest du nur einen Augenblick annehmen, daß Menschen in deiner eigenen Lebenslage, die sich Tag für Tag schinden und plagen müssen, um ein Pfeifenrohr oder einen Beutel Schirastabak zu verkaufen, ein Prahlen mit deiner Größe und deinem Glücke, das alles, was sie je zu erreichen vermögen, so unendlich überstrahlt, mit ansehen und ertragen könnten? Wärest du in einem besseren Rocke als sie, oder einer feineren Mütze erschienen, oder zu Pferde gekommen, während sie sich höchstens einen Esel vergönnen können, so hätten sie vielleicht nichts weiter gesagt, als du verstündest es, dein Glück zu machen und deine Waren besser als sie an den Mann zu bringen. Sie jedoch durch deinen prächtigen Anzug, deine Pfeifen mit Bernsteinspitzen, deinen Dienertroß und das reichgezäumte Pferd, vor allem aber durch deine hoheitsvolle und gönnerhafte Haltung niederzuschmettern und zu demütigen, das war mehr, als sie gestatten konnten. Darum standen sie dir sofort feindlich gegenüber und beschlossen, dich wo möglich wieder auf deine frühere niedere Stufe herunterzuzerren. Offenbar waren sie es, die den Brüdern deiner Frau in die Ohren raunten, du wärest kein Kaufmann aus Bagdad, sondern nur der Sohn eines Barbiers aus Ispahan und ein armseliger Kleinkrämer wie sie.

»Zweifellos haben sie ihnen die Unmöglichkeit dargetan, die Bedingungen zu erfüllen, zu denen du dich deiner Frau gegenüber im Ehekontrakt verpflichtet hattest. Sicherlich haben sie über deine angeblich vornehme Geburt ebenso unverhohlen ihre Meinung geäußert, als über deine blühenden Handelsbeziehungen sowie deinen großartigen Warenaustausch in Bokhara und deine nach China segelnden Schiffe.

»Wärest du zuerst in aller Stille als Hadschi Baba aus Ispahan und nicht als Hadschi Baba, der türkische Aga, zu mir gekommen, ich hätte dich vor einer unzeitigen Schaustellung deiner Person und deines Reichtums bei deinen Landsleuten gewarnt. Aber sobald die Untat geschehen war, kam der Schaden zum Vorschein. Alles, was ich jetzt empfehlen kann, ist, daß du aus der Vergangenheit Erfahrung für die Zukunft gewinnst.« Nach Beendigung dieser Rede begann er, mit neuer Kraft weiterzupaffen.

»Das mag wohl richtig sein!« antwortete ich; »was geschehen ist, ist geschehen, aber bin ich nicht ein Muselmann, dem ebenso wie jedem anderen Gerechtigkeit gebührt? Noch niemals hörte ich, daß eine Frau sich ihres Mannes entledigte, während das Gegenteil häufig genug der Fall ist. Ich kann noch immer nicht begreifen, warum ich der einzige Rechtgläubige sein soll, den man zuerst ins Haus ruft, um ihn dann wieder auf eine Art hinauszuwerfen, die für einen Hund zu schlecht wäre, bloß weil es einer launenhaften Frau einfällt, mich eines Tages heftig zu lieben, um mich am andern nicht mehr ausstehen zu können? Warum soll ich mich nicht an die zahllosen Kadis, Muftis und Scheich ül-Islams wenden, von denen es hier, wie in allen mohammedanischen Städten, wimmelt? Werden sie nicht dafür bezahlt, das Recht zu schützen? Sollen sie, wenn Ungerechtigkeiten vorkommen, die nach Sühne schreien wie jene, von denen ich heimgesucht wurde, keinen andern Zweck haben als mit übereinandergeschlagenen Händen dazusitzen und die Perlen ihres Rosenkranzes zu zählen?«

»Hadschi,« rief der Alte, »bist du verrückt geworden, nur an die Möglichkeit einer Genugtuung von seiten der Verwandten der Witwe eines der mächtigsten Emire des Islams zu denken, nachdem ihre Brüder, zwei der reichsten Kaufleute in Konstantinopel, ihre Sache verfechten? Wo bist du nur dein Lebtag gewesen, um nicht zu wissen, daß, wer am meisten Gold besitzt, stets recht bekommt? Erscheint ein Mann wie du vor dem Richterstuhle eines Muftis, und spräche jedes Wort, jede Zeile, jedes Blatt und Sure des Korans zu deinen Gunsten, dein Gegner aber wäre so reich und mächtig, wie es die Brüder deiner Frau sind, so würdest du dich so lange umsonst auf dein heiliges Buch berufen, bis du endlich müde wärest, dich stets von neuem im gleichen Kreise zu drehen; denn Gerechtigkeit würde man dir nimmer widerfahren lassen.«

»O Ali! O Mohammed!« rief ich, »wenn es in der Welt wirklich so ungerecht zugeht, dann hat Hadschi Baba freilich einen schlechten Handel gemacht, und ich wünschte wahrhaftig, ich wäre wieder im Besitze meiner Pfeifenrohre! Aber so leichten Kaufes kann und will ich nicht alles fahren lassen! Lieber steig ich aufs Hausdach und verkünde dort der Welt mein Unglück.«

In äußerster Verzweiflung begann ich, heftig zu weinen und zu klagen, und riß mir sogar einige Barthaare mit der Wurzel aus.

Osman versuchte, mich mit dem Hinweise auf mein vergangenes Leben zu trösten, und brachte mir unsere gemeinsamen Erlebnisse in der Gefangenschaft der Turkmenen in Erinnerung.

»Gott ist allmächtig und allbarmherzig,« sagte er. »Da unsere Schicksale im Buche geschrieben sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ihnen zu unterwerfen.«

»Ich aber bin ein Perser«, rief ich, dem ein neuer Gedanke aufblitzte, »sowohl als ein Muselmann! Warum sollte ich die Ungerechtigkeiten eines Türken ruhig hinnehmen? Sind wir nicht eine Nation, die sich durch ihre Dschingis, ihre Timurs und Nadirs in der ganzen Welt einen Namen gemacht hat und die Väter der Türken verbrannte, wo immer sie ihrer habhaft werden konnte? – Ich will meinen Botschafter aufsuchen, und wenn er ein Mann ist, so wird er darauf bestehen, daß mir Gerechtigkeit widerfahre! Ja, ja, o glücklicher Gedanke! durch den Botschafter werde ich meine Frau wiederbekommen, und dann wollen wir sehen, wer es wagt, sie mir abermals wegzunehmen.«

Von dieser Idee ganz trunken, hörte ich gar nicht mehr darauf, was mir Osman in dem Falle hätte raten können, sondern lief, von frischem Mute wie neuer Kraft beseelt, auf und davon, um den Stellvertreter unseres Königs aufzusuchen, der vor kurzem erst zur glückbringendsten Stunde, mit einer Mission für die Hohe Pforte betraut, angekommen war.


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