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Fünfundfünfzigstes Kapitel

Hadschi wird von Molla Nadan überlistet

Ich gab mir die redlichste Mühe, den Molla von der Vorherbestimmung seines Schicksals zu überzeugen, das zuerst ebensogut über seinen Erfolgen wie später über seinem Mißgeschicke gewaltet hätte und das ihm auch zweifellos wieder zu seiner früheren Stellung verhelfen würde.

»Haben wir beide denn nicht genug vom Leben in Persien gesehen und uns von seiner Unbeständigkeit überzeugt?« sagte ich. »Da die Ereignisse vom Willen eines einzigen Mannes abhängen, so kann die gleiche Gewalt, die Euch den Bart ausraufte und der Stadt verwies, Euch auch wieder aus der Verbannung zurückrufen. Im Unglücke liegt eine umwälzende Kraft, die sehr häufig erhöhtes Gedeihen bewirkt. Sprengt der Schmied Wasser auf sein knisterndes Kohlenfeuer und drohen die Flammen, vom Rauche erstickt, zu verlöschen, so bedarf es nur eines leisen Luftzuges seines Blasebalges, damit sie mit verdoppelter Helligkeit wieder emporlodern.«

»Mit ganz den gleichen Gedanken, die mich sogar zum Singen verleiteten, ehe du mich einholtest, habe auch ich mich getröstet,« antwortete mein Gefährte. »Der Schah hielt ein öffentlich leuchtendes Beispiel seiner Gerechtigkeit für nötig, um sich bei den christlichen Kaufleuten einzuschmeicheln. Doch der Tag, wo er die unabweisbare Notwendigkeit einsieht, sich mit den Stützen der mohammedanischen Religion ins beste Einvernehmen zu setzen, wird kommen, und dann wird die treue Gesinnung eines Mannes, wie ich es bin, den das Volk so liebt, von allergrößter Bedeutung sein. Ich muß gestehen, daß ich schon einige Male daran dachte, das ganze Pfaffentum fahren zu lassen und ein Kaufmann zu werden. Jedoch nach reiflicher Prüfung aller Verhältnisse gedenke ich nun dennoch meiner ursprünglichen Bestimmung treu zu bleiben. Jetzt habe ich die Möglichkeit in der Hand, als Märtyrer aufzutreten, was, wie ich wohl erwogen, größeren Wert für mich hat als all meine irdische Habe, mein Haus, meine Einrichtung, mein weißes Maultier, selbst meine Sighés.«

»Und was habt Ihr jetzt für Pläne,« fragte ich, »werdet Ihr mit mir nach Bagdad reisen oder den Lauf der Dinge in Persien abwarten?«

»Vorderhand ist mein Plan, mich nach Hamadan zu begeben, wo mein Vater das größte Ansehen genießt, und ich will durch seine Vermittlung Verhandlungen anbahnen, die mir meine Rückkehr in die Hauptstadt ermöglichen und mich schließlich wieder in mein Amt, dessen man mich beraubte, einsetzen. Aber welche Wege gedenkst du einzuschlagen? Denn, Inschallah, so es Gott gefällt, daß ich Amt und Würden wiedererlange, werde ich deine geschickte Beihilfe erbitten, um mein Sighé-Unternehmen abermals in Schwung zu bringen. Jetzt tätest auch du wirklich am besten, in Hamadan mein Los mit mir zu teilen.«

»Ach, mein Freund!« sagte ich, »bei allem Glücke, das mir im Augenblicke zu lächeln scheint, habe ich doch weit mehr Grund als Ihr, mich als Verbannten zu betrachten. Die Ereignisse haben mir übel mitgespielt; denn schließlich bin ich (weiß Gott wie unfreiwillig) nichts anderes als ein ausgemachter Dieb – aber konnte ich mich gegen ein Verhängnis sträuben, das mich in die Kleider des Oberpriesters steckte, mich mit seinem Gelde bereicherte und mich auf die reichgezäumte Stute des Oberexekutors setzte? Dasselbe Schicksal zwingt mich auch, außer Landes zu fliehen; denn bleibe ich hier, so laufe ich Gefahr, verhaftet zu werden und gevierteilt die Tore der Stadt zu schmücken. Nein, nach Ablauf weniger Tage hoffe ich, die türkische Grenze erreicht zu haben; denn früher bin ich nicht in Sicherheit.«

Daraufhin bot ich ihm, um sein Stillschweigen zu erkaufen, einen Teil meiner eroberten Beute an und war hocherfreut, daß mich meine Hoffnung nicht getäuscht hatte, ihn in diesem Punkte keineswegs zimperlich zu finden. Er nahm zehn Toman (mir verblieben noch fünfundneunzig), die, wie er mir versicherte, für seine augenblicklichen Bedürfnisse vollkommen ausreichten, versprach mir auch, sobald er wieder im Amte sei, mir das Geld zurückzuzahlen, und beschwor mich bei diesem Anlasse aufs neue, mit ihm nach Hamadan zu gehen.

Er schilderte mir in den düstersten Farben, welche Gefahr ich liefe, nicht nur auf persischem Boden, sondern selbst nach Überschreitung der Grenze verhaftet zu werden. »Denn«, sagte er, »im Augenblicke, wo der Tod des Molla-Baschi bekannt wird und sobald der Oberexekutor den Verlust seines besten Pferdes erfährt, wird er unverzüglich nach allen Richtungen hin seine Offiziere aussenden, die deiner auffallenden Persönlichkeit nur zu bald auf der Spur sein werden. Darum wäre es weit klüger, dich bei mir zu verbergen, da ich nicht ermangeln würde, alle Nachforschungen abzuwenden, bis der erste Lärm vorüber ist und es dir dann freistünde, später deine eigenen Wege zu gehen. In einiger Entfernung von Hamadan besitzt mein Vater ein Dorf, wo du dich ganz unbeobachtet aufhalten könntest. Was dein Pferd samt Zaumzeug anbelangt, so wollen wir das schon auf eine Art, die jede Entdeckung ausschließt, unterbringen. Hamadan ist nicht mehr weit. Wenn wir um Mitternacht aufbrechen und zu zweit auf deinem Pferd reiten, so können wir es morgen früh mit Leichtigkeit erreichen. Bedenke, wie weit die Reise nach der türkischen Grenze ist; und wie wolltest du deinem Schicksale entgehen, wenn deinem Tiere etwas zustieße?«

Seine Worte gaben meinen Gedanken eine neue Richtung, weil ich einsah, daß er die Sprache der Vernunft redete. Da ich in diesem Teile Persiens weder Weg noch Steg kannte und fühlte, wie nötig es wäre, nicht allein die großen Straßen, sondern auch die weniger begangenen Fußwege zu benutzen, so sah ich ein, daß die Flucht nach der Grenze ein weit schwierigeres Unternehmen bedeutete, als ich angenommen hatte. Wollte der Molla mich verraten, so war es ganz gleichgültig, ob ich floh oder in seinen Plan einwilligte. Daher schien es mir sicherer, ihm zu trauen, anstatt an ihm zu zweifeln, und willigte demzufolge ein, mich ihm anzuschließen.

Erfrischt durch Schlaf und Nahrung, brachen wir um Mitternacht auf und hatten, ehe die Sonne aufging, schon einen großen Teil des Weges nach Hamadan hinter uns. Auf einer Anhöhe, die einen weiten Ausblick auf die Stadt gewährt, machten wir Halt, um unsere nächsten Unternehmungen zu beraten. Nadan zeigte mit der Hand auf das Dorf, das ungefähr eine Parasange weit entfernt lag, und sagte: »Hier liegt das Dorf, in dem du dich so lange aufhalten mußt, bis die Begebenheit der außerordentlichen Todesart des Molla-Baschi etwas verraucht ist. Doch in diesen reichen Gewändern und auf diesem edlen Pferde kannst du dich, ohne Verdacht zu erregen, dort unmöglich zeigen. Darum schlage ich dir vor: wir vertauschen die Kleider, und du überläßt mir dein Pferd. Auf diese Weise wirst du ganz so aussehen wie die Untergebenen meines Vaters im Dorfe, während mir alles daran liegt, bei meiner Heimkehr die Schwelle des Vaterhauses standesgemäß ausgerüstet zu überschreiten. Diese Vereinbarung wird unsern gemeinsamen sowie gegenseitigen Interessen sehr zum Vorteile gereichen. Du wirst nicht mehr verdächtig, ich nicht mehr so ärmlich aussehen wie jetzt. Das Gerücht meiner Ungnade wird meiner Familie nur zu bald zu Ohren kommen und die Welt sie deshalb vielleicht geringer achten. Allein in diesem Lande, wo so viel vom äußeren Schein abhängt, wird man mir und ihnen unsere alte, angesehene Stellung wieder einräumen, sobald verlautet, ich sei zu Pferde, auf einem Sattel mit goldenem Knopfe, mit emailleverzierten Zügeln und einem Kaschmirschal um die Taille heimgekehrt. Habe ich erst ein paar Tage die Annehmlichkeiten dieser erborgten Herrlichkeiten genossen, so wird es mir ein leichtes sein, sie unter irgendeinem glaubwürdigen Vorwande loszuschlagen, und du wirst dann den dir von Rechts wegen gebührenden Erlös richtig erhalten.«

Trotzdem mir alles, was er sagte, vollkommen einleuchtete, überraschte mich sein Vorschlag doch aufs peinlichste. Ich setzte zu geringes Vertrauen in meinen Gefährten, um ihm auf sein bloßes Wort hin einen so beträchtlichen Teil meiner Habe auszuhändigen. Freilich, ohne Verdacht zu erregen, konnte ich mich in meinen prächtigen Gewändern und im Besitze eines so edlen Pferdes unmöglich zehn, vielleicht sogar vierzehn Tage, ohne mich zu erkennen zu geben, im Dorfe aufhalten. Allerdings befand ich mich ganz in der Gewalt des Mollas. Doch sein Vorschlag machte ihn nun zu meinem Mitschuldigen, und ohne sich selbst schwer belastet in mein Vergehen zu verwickeln, konnte er mich nicht mehr verraten.

»Ach,« sagte ich, »wenn nun ein Nessektschi das Pferd wiedererkennt, wird man Euch gerade so gut verhaften wie mich.«

»Gott ist groß!« antwortete der Molla Nadan. »Kein Mensch konnte so schnell reisen wie wir; ehe ein Nessektschi in Hamadan erscheinen kann, bin ich in Sicherheit in meines Vaters Haus und werde in der Stadt das nötige Aufsehen erregt haben. Dann wird es auch ein leichtes sein, sowohl das Pferd als auch das prunkvolle Sattelzeug zu verbergen; dafür laß mich nur sorgen!«

Damit war mir die Rede abgeschnitten. Wir schälten uns aus unseren Kleidern und vertauschten sie. Von mir bekam er die Unterkleider des Oberpriesters, seine ›Kaba‹ oder Leibrock, seinen Kaschmirgürtel und seinen dunkelgrünen, feinen Tuchmantel. Ich tauschte dafür seine alten Kleider ein, die man ihm am Tage, wo er aus der Stadt gejagt wurde, am Leibe zerrissen hatte. Ich gab ihm meine schwarze Mütze, um die er den von mir verwahrten Schal des Oberpriesters wand, und erhielt dafür sein Schlafkäppchen. Des Molla-Baschis Geldbeutel, die Uhr und seine Siegel behielt ich für mich und gestattete ihm, sich des Spiegels, des Rosenkranzes, des Kammes und des Tintenfasses zu bedienen. Als er so prächtig ausstaffiert, die Papierrolle im Gürtel, zu Pferde saß, war er so ganz das Ebenbild des Oberpriesters, daß mich die Ähnlichkeit beinah erschreckte. Unser Abschied gestaltete sich sehr rührend. Er versprach, mir sofort Nachrichten zukommen zu lassen, gab mir zwischendurch alle nötigen Aufschlüsse bezüglich des Dorfes seines Vaters und überließ es meinem Scharfsinne, mich dort mit einer glaubwürdigen Geschichte einzuführen. Als er fortritt, überkam mich die peinliche Empfindung, verlassen und einsam auf der Welt zu sein, und ich sah mich, ohne meinem gegenwärtigen Geschicke vertrauen zu können, einer ungewissen Zukunft preisgegeben.

Tapfer schritt ich dem Dorfe zu und war nur um einen Vorwand, der mich bei den Bauern einführen konnte, sehr verlegen. Ich sah nämlich in der Tat wie ein vom Himmel Gefallener aus. Welchem Stande konnte ein schöner stattlicher Mann angehören, der weder einen Schal um die Taille noch einen Oberrock auf den Schultern trug, dessen Füße in Pantoffeln steckten und dessen Kopf ein Hauskäppchen bedeckte? Nach langem Zögern entschloß ich mich, vorzugeben, ich sei ein von Kurden ausgeraubter Kaufmann und durch Krankheit gezwungen, im Dorfe zu bleiben, wo ich mich so lange, bis mir der Molla eine Botschaft schickte, zu verstecken gedachte.

Es gelang mir vollkommen, die gutmütigen, mit einer gehörigen Dosis Dummheit gesegneten Bauern im Dorfe, die alles glaubten, was ich ihnen aufband, zu täuschen. Ich mußte nur eine Unannehmlichkeit erleiden, nämlich alle entsetzlichen Arzeneien einer alten Frau verschlucken, die in der Gemeinde als Arzt tätig war und herbeigerufen wurde, um ihre Künste auch an mir auszuprobieren.


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