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Fünftes Kapitel

Die Quendel hatte nach ihrem Mittagsschlaf das Bedürfnis, etwas zu unternehmen. Sie war verliebt und nervös. Am besten wär's gewesen, mit Glenn auf eine Almhütte zu marschieren und ein Glas Milch zu trinken und über die Liebe zu philosophieren. Das hätte dem Nachmittag die Süße gegeben, nach der ihr Verlangen ging, wenn auch lauter bittere Dinge über die Liebe herausgekommen wären. Aber Glenn war nicht da, und sie war zu unruhig, um seine Rückkehr vom Ragazer Hof abzuwarten. Außerdem war es nicht klug, nach dieser Nacht und diesem Morgen ihm auch noch den Nachmittag zu widmen. Nicht wegen der Klatschbasen vom Pürschhaus, sondern weil er mit Umsicht behandelt werden mußte, das Teufelchen. Also zog sie mit Papa Stettenheimer los. Der betrieb einen netten kleinen Alten-Herren-Flirt mit ihr und war der beste Ersatz.

Sie liehen sich von Onkel Fergus den Kutscher mit dem Schimmel und fuhren in die Riß hinunter. Dort hatte die Quendel ihren Ford eingestellt. Der Kutscher konnte gleich wieder zurückfahren, den Heimweg am Abend wollten sie zu Fuß machen. Ohne Ziel gondelten sie los. Zwanzig, dreißig Kilometer nordwärts, zwischen den Vorbergen dahin, sich ein wenig vom Wind verblasen lassen, vielleicht eine Bauernkonditorei finden, wo es Kaffee mit Nudeln gab, oder Tee mit Toast und Butter und Honig, oder ein paar altbayrische Wachsstöcke für Tante Fergus.

»Warum haben Sie nicht geheiratet, O. B. S.? Erzählen Sie mir! Wenn man Sie den Tee bereiten sieht, möchte man schwören, daß Sie ein alter Ehemann sind.« Sie saßen in einer wackeligen Je-länger-je-lieber-Laube, vor welcher die Hühner des Bäckers herumscharrten.

Otto Bruno Stettenheimer servierte weiter, ohne zu antworten. Die Hühner kamen näher, eine reizende Schar weißer Leghorn mit einem braunen Gockel. Die Quendel warf ihnen den klebrigen Gesundheitskuchen hin, den die Bäckersfrau mit dem Toast aufgetragen hatte. Es ging ein gieriges Picken und Schlucken los, wobei der Gockel ritterlich abseits trat. Das war so amüsant, daß die Frage nach der Heiraterei bereits vergessen war, als O. B. S. seine Zeremonie beendet hatte.

»Schick!« Sie wandte sich ihm wieder zu. Ihr Teller war mit bestrichenem Toast vollgelegt, in winzige Stückchen geschnitten wie für ein Baby.

»Sie sind ein Schäfchen, Josephinchen«, sagte O. B. S. »Haben Sie schon einmal gesehn, daß ein Ehemann so schön aufdecken kann? Haben Sie noch nicht bemerkt, daß alle Ehemänner hoffnungslose Faulpelze sind? Es ist genau umgekehrt, wie Sie meinen: nur ein Junggeselle hat noch die Spannkraft zu einem solchen Arrangement. Wäre ich ein verheirateter Mann, dann hätten gefälligst Sie den Toast richten müssen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Wäre das nicht ganz schön, O. B. S.?« Sie aß mit bestem Appetit. Dieser ganze Tag bestand aus Hunger und Schlaf und Verliebtheit, wie es sich im Juli gehörte. »Stellen Sie sich vor, daß immer jemand da wäre, der Ihnen das Sabberlätzchen umbindet, das wäre doch reizend für Sie?«

»Richtig, das Sabberlätzchen, das habe ich ganz vergessen.« Er stand auf, um ihr die Serviette umzubinden, mit einem großen Zipfel im Nacken.

Sie ließ es geschehn. Aber als er sie um den Hals faßte, um ihr einen Kuß zu geben, drückte sie ihn weg.

Er ging demütig auf seinen Platz zurück, ohne den Versuch zu wiederholen. Es war nur ganz mechanisch passiert. Die grauhaarige Gewohnheit der Liebe, wenn die Hoffnungen bereits so prompt zu Boden klatschten wie die Äpfel im späten Herbst.

»Ich will Ihnen verraten«, sagte er, »warum ich nicht geheiratet habe, mein liebes Josephinchenkindchen. Ich bin zu sentimental dazu. Menschen, welche so sentimental sind wie ich, dürfen nicht heiraten. Das gibt unter allen Umständen ein Unglück. Ist es eine Frau, die unter einem steht, dann erniedrigt man sich, bis man auf ihre Stufe heruntergerutscht ist. Und steht sie über einem, dann wird man ihr Höriger, ihr Lakai. O nein! Ich bin überzeugt, daß nur die Sentimentalität der Männer schuld ist, wenn mit der Ehe nichts mehr los ist auf der Welt – warum soll ich ein neues Beispiel für die Unmöglichkeit dieser Institution liefern?«

»Aber es könnten doch zwei gleichwertige Kameraden sein?« warf die Quendel ein. »Dann wäre die Sentimentalität doch ausgeschaltet? Dann wäre kein Grund zu irgendeiner Erniedrigung da?«

»Schwindel, mein liebes Kind. Die Frauen wollen, daß der Mann vor ihnen her marschiert, wenn sie auch millionenmal das Gegenteil behaupten und Millionen Bücher über die Gleichberechtigung der beiden Partner schreiben. Die Frauen hassen die Männer, welche nicht vor ihnen her, sondern neben ihnen her oder hinter ihnen her marschieren. Ganz fürchterlich hassen sie solche Männer, bewußt oder unbewußt, mit einem mörderischen Haß. Das ist der große Haß, den man in allen Ehen sehen kann, wenn man näher hinschaut.«

»Sie sind schrecklich klug, O. B. S.chen«, sagte die Quendel und dachte an Philipp Glenn. Vielleicht war's dies, was sie an ihm faszinierte? Daß er weder Seite an Seite mit einem Weib marschieren wollte, noch hinter einem Weibe her? Vielleicht wollten die Weiber tatsächlich nichts als dies, einen Mann, der vor ihnen her marschierte, gleichgültig wohin?

»Aber warum denn«, fragte sie O. B. S., »warum sind denn die Männer so sentimental geworden, daß die Liebe und die Ehe dran kaputt gegangen sind?«

»Das hängt mit dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis zusammen«, dozierte Stettenheimer. »Am Baum des Lebens hängen keine sentimentalen Äpfel. Aber am Baum der Erkenntnis hängen sie dran, zentnerweise. Und zur Zeit ist nun einmal der Baum der Erkenntnis so schrecklich in Saft geschossen, daß dem armen Baum des Lebens nebendran alle Säfte entzogen sind.«

»Fürchterlich«, rief die Quendel verzweifelt. »Was macht man denn da?«

»Nichts«, erwiderte er lachend. »Man erkennt es und läßt es über sich ergehn.«

»Wissen Sie, was Sie sind, O. B. S.?«

»Nun?«

»Ein sentimentaler Nihilist.«

Er war begeistert von dieser Diagnose. »Sie sind ein schlaues Luder, Josephine Quendel. Ich werde im allgemeinen für einen sachlichen Menschheitsbeglücker gehalten, aber Sie haben recht, das ist nur die gute jüdische Maske. Sentimentaler Nihilist, ausgezeichnet.«

Sie warf den Hühnern den Rest des Kuchens hin. Es interessierte sie nicht, ob Stettenheimer dies oder jenes war. Zu dieser Stunde saßen Millionen vornehmer und halbvornehmer Pärchen beim Tee und Toast und quatschten solches Zeug, quatschten und quatschten. Und am Abend stiegen die weniger vornehmen Pärchen aus ihren Arbeitskleidern und Blusen heraus, setzten sich zusammen und quatschten ebenfalls um ihren Nihilismus herum. Alle Männer waren zu sentimentalen Nihilisten geworden, mit irgendwelchen guten oder schlechten Masken. Nur Philipp Glenn nicht. Der zeigte seine Verzweiflung viel ehrlicher als diese verzweifelten Kapitalisten und Proletarier ringsum, aber der hatte den Vorwurf des Nihilismus mit einem Ernst zurückgewiesen, an den nicht getippt werden konnte. Ja, sie war richtig verschossen in ihn.

Stettenheimer philosophierte weiter.

Die Quendel unterdrückte ein Gähnen, wobei sich die Nüstern ihrer junonischen Nase sehr häßlich blähten. Erst als er merkte, daß er sie zu langweilen anfing, brach er das Thema ab. Nein, dieser Bande konnte mit keiner Erkenntnis mehr geholfen werden. Mit aller Erkenntnis war es vorbei. Der Baum der Erkenntnis war so mächtig gewuchert, daß er nicht nur dem Baum des Lebens sämtliche Säfte gestohlen hatte, sondern daß auch seine eigenen Äpfel kaputt gegangen waren, wässerige Riesenfrüchte ohne jeden Geschmack.

Aber vor der Laube geschah es da gerade, daß der braune Italienergockel eine von seinen schneeweißen jungen Hennen besprang. Er packte sie am Kragen, hielt sie fest, besprang sie, war weg von der Erde und weg von sich selbst, sprang ab, krähte und war wieder da. Kein Grund zur Sentimentalität, da er der Träger von etwas anderem war, was jenseits seines kleinen eigenen Gockel-Ichs stand.

Auch die Quendel hatte es gesehen. Sie jedoch hatte nur das Bild der Henne in sich aufgenommen. Die hatte nichts weiter getan wie stillgehalten. Die war nicht weg von der Erde gewesen, nur still, still und gebannt, gebannt auf der Erde. Dann hatte sie sich geschüttelt und war mit eifrig wackelndem Hinterteil weitergelaufen, um weiterzupicken, neuen Stoff in ihre Eiermaschine hinein.

Die Quendel schüttelte sich ein klein wenig in den Hüften, dann steckte sie schnell den Rest der Babybissen, die noch auf ihrem Teller lagen, in den Mund. Stettenheimer ging ins Haus, um zu zahlen. Die Teestunde war vorbei.

Der Bäcker ging mit ihnen ans Auto und wartete am Schlag, bis sie sich placiert hatten. Die Dorfstraße war leer, es war die Stunde des Melkens. Im Süden stieg das Karwendel hoch, eine Fata Morgana aus Kalk. Die Bäckerei lag mit ein paar anderen Gehöften auf einem kleinen Hügel, so daß man weit übers Land sehn konnte. Weiter draußen schlich sich ein schwarzer Zug durchs Wiesenland. Man trug einen alten Bauern aus seinem Hof hinaus, nachdem er sich am Leben gesättigt hatte. Eine lange tiefe Sättigung ohne Hast war's gewesen, jetzt trugen sie ihn aus dem Haus der Geburt und der Sättigung hinaus, die Nachbarn, hinüber zu der kleinen Kirche mit dem Zwiebelturm. Und wieder weiter draußen andere Nachbarn, die fuhren grad das Heu ein. Dicke Rösser vor den grün betürmten Wagen, die letzten Bayernrösser, ehe die Traktoren kamen, die stählernen Drachen.

Bayern, mein Bayern! Stettenheimer fragte den Bäcker, ob es im Dorf keine alten Wachsstöcke zu kaufen gäbe, der Preis sollte keine Rolle spielen. »Wachsstöck?« sagte der Mann, »nein, da weiß i nix.« Die Quendel sagte: »Aber vielleicht wissen Sie, ob's noch einen alten silbernen Miederschmuck zu kaufen gibt?« Der Mann dachte angestrengt nach. »Miederschmuck? Nein, da weiß i nix. Da weiß i noch eher die Wachsstöck!« Und als die Fremden daraufhin noch einmal nach den Wachsstöcken fragten, wurde der Mann zornig in seiner Seele. Diese Hammel, dachte er sich, weder von den Wachsstöcken noch von dem Miederschmuck wußte er etwas, aber von dem Miederschmuck wußte er noch viel weniger als von den Wachsstöcken, das war doch klar? Und den Preis dafür würden sie ja doch nicht Zahlen, diese städtischen Knicker, diese ganz knickerigen!

Sie fuhren los. Die Quendel saß am Steuer. Papa Stettenheimer streichelte ihr hin und wieder über die Hand und übers Knie. Es ging schnurstracks ins Karwendel zurück. Die kalkenen Mauern im Süden! Und zu ihren Füßen das verborgene Ladiz!

Terese Ragaz befand sich während dieser Zeit im allerverborgensten Winkel von Ladiz, in dem kleinen Holzschlag oberhalb vom Kuhbrunnen. Auf der Lichtung mit den Farnkräutern schrieb sie in der Abendsonne einen Brief. Sie schrieb selten Briefe, aber wenn sie schrieb, dann am liebsten hier, bäuchlings auf einer Pferdedecke liegend. Die Hauptsache war, daß sie nicht von Lois und Barbi entdeckt wurde, denn es war ein schwieriger Brief. Sie mußte eine halbe Stunde ganz für sich haben. Ihr Bruder, der einzige Mensch neben Xaver, mit dem sie eine wahrhafte Beziehung verband, brauchte ihren Rat. Er war fünf Jahre jünger als sie, einunddreißig, und besprach seine sämtlichen Liebesgeschichten und Berufsgeschichten mit ihr.

Sie schrieb: »Lieber Frank, das Leben ist wunderbar, glaub's mir, auch wenn Du jetzt ein paar schlimme Wochen hast. Xaver behauptet, es wäre ein Glück für Dich, daß Onkel Herberts Geschäft bankerott gegangen ist. Er findet es natürlich ebenso schrecklich wie ich, daß Du dabei Deinen Anteil verloren und drei Jahre umsonst geschuftet hast, aber daß Du wieder einmal auf der Straße sitzt, findet er gut. Du kennst ihn ja und weißt, daß er nur Dein Wohl mit großem W im Sinne hat, wenn er so was sagt. Er sagt, Du wärst in Onkel Herberts Bank faul geworden, faul in Deinem Herzen drin, wenn es immer so glatt weitergegangen wäre. Er sagt, die ganze Welt wäre innen drin faul, alles Getöse wäre nur eine Entschuldigung für diese schreckliche innere Faulheit. Also ist es vielleicht wirklich ein Glück, daß diese Pleite gekommen ist? Daß Du wieder einmal ganz zu Dir selber kommst? Daß Du vor einer neuen Entscheidung stehst? – Au, die Schnaken, die verstechen mir die ganzen Beine, ich hätte Strümpfe anziehn sollen, und das Salmiakfläschchen hab ich auch vergessen, es sind gemeine Biester, ich glaube, es gibt einen Wetterumschlag, weil sie heute abend so verrückt sind. – Aber darüber hat Xaver furchtbar geschimpft, daß Du als Arbeiter in eine Fabrik nach Neuyork gehn willst. Ich finde es auch nicht richtig, Franki. Natürlich, viel lieber als einen Bruder mit einem dicken Kaufmannsbauch hätte ich so einen finsteren Fabrikarbeiterbruder, welcher in der Masse untertaucht und doch sein eigenes Herz im Busen trägt. Aber ich fürchte, dieser Plan gehört auch in das Kapitel von der inneren Faulheit. Weil Du beim Bankgeschäft Pech gehabt hast, wird jetzt einfach das Vorzeichen von Plus auf Minus umgestellt und die Gegenseite ausprobiert? Nein, Frank, das ist zu einfach, so findest Du nicht aus dieser Pleite heraus. – Au, gemeine Viecher sind das! – Xaver kam gestern von einer schreckbaren Tour zurück. Es muß sein, aber manchmal hab ich doch Angst. Man sagt, daß Zweiundvierzig schon zu alt ist für diese Sachen? Ich hab jetzt ein wenig mehr Angst als in den ersten Jahren. Das darfst Du ihm aber niemals verraten! Es ist sein Beruf – er schickt Dir nächstens sein letztes Buch von einer Wintertour auf den Col de Pétéret, wunderbare Bilder – und es ist so unwürdig, wenn Frauen Angst haben, so besitzerisch. Aber es kommt auch wegen der Kinder oft über mich. Er selbst vertraut auf seinen Stern. Und er hat auch einen Stern, nicht? – Lieber Franki, jetzt kommt die Hauptsache, und zwar ganz kurz, denn die Bremsenviecher wollen mich totstechen. Du sollst hierherkommen, sofort, dann wollen wir alles besprechen. Nachdem Onkel Herbert bereits an die See gereist ist, scheint ja die Abwicklung, oder was ihr da noch machen müßt, beendet zu sein? Und hier kannst Du Deinen neuen Lebensplan fassen. In Berlin kannst Du das nicht. Wir wollen gar nicht viel quasseln, Du legst Dich in die Sonne, ich bringe Dir hie und da ein wenig Kuhdreck mit Apfelkompott zu essen, da kannst Du wieder zu Dir selber kommen. Telegraphier gleich Deinen Zug, dann holt Xaver Dich mit dem Fuchs ab. – Schluß, Gruß, Kuß. Das Wetter schlägt um, heute nacht ist Vollmond. Die Meteorologen behaupten zwar, es bleibt noch schön, und der Mondwechsel hat nichts mit dem Wetter zu tun, er hat aber doch damit zu tun, und wenn sich alle Meteorologen auf ihre Glatzköpfe stellen. Aber bis Du hier einpassiert bist, ist gewiß wieder schönes Wetter. Djüs, auf diesem wunderbaren Erdenstern!«

Sie warf den Füllfederhalter weg und klatschte an ihr Schienbein. Dieses Biest war kaputt, aber gestochen hatte es doch noch, in der letzten Sekunde seines Lebens. Es war nicht mehr auszuhalten, sie mußte fliehn. Sie lief zum Haus hinunter.

Am Kuhbrunnen saßen zwei verschwitzte Touristinnen, die sich bei ihr nach dem Weg zur Unterkunftshütte erkundigten. Zwei ältere Jungfrauen auf der Ferienreise, Lehrerinnen oder Bürodamen. Die eine war groß und trug eine Brille und fragte tausend Fragen. Die Kleinere sagte kein Wort, schaute einem aber unverwandt in die Augen, mit einem sonderbaren Blick, spöttisch, hämisch, der Teufel wußte warum.

Terese beantwortete willig sämtliche Fragen, nach dem Weg, nach den Preisen auf der Hütte, nach den Wetteraussichten. Dabei versuchte sie zu erraten, warum die Kleine so hämisch glotzte. Schließlich wurde es ihr zu dumm, und sie fragte geradeheraus: »Warum schaun Sie mich denn so bös an?«

»Wer? Ich? Bös?« sagte die Kleine und meckerte ein gehässiges Meckern. »Wieso denn?«

»Nicht?« sagte Terese. »Dann bitte ich um Verzeihung. Ich dachte, Sie haben etwas gegen mich?«

»Ich gegen Sie?« sagte die Kleine. »Was soll ich denn gegen Sie haben? Wie komme ich denn dazu? Ich hab Sie doch in meinem ganzen Leben noch nicht gesehn?«

Die Große wollte noch wissen, ob Terese Sommer und Winter hier wohnte und ob im Winter viel Schnee käme, und Terese sagte: »Einmal viel und einmal wenig«, und verabschiedete sich schnell.

Sie lief im Trab zum Hof hinunter. Aber sie hörte noch, wie die Kleine ihrer Freundin einen kurzen Satz zurief, der sie und ihre ganze Ladizer Existenz lächerlich machen sollte. Das hörte man an dem darauffolgenden Meckern ganz deutlich, wenn man auch die Worte nicht verstehn konnte.

»Das ist sehr einfach«, sagte Xaver, dem sie dieses Erlebnis beim Abendessen Wort für Wort erzählte. »Die hat nichts gegen dich gehabt. Wenn du ihr Barbi hingestellt hättest oder ein Schaf oder einen Christbaum, dann hätte sie genau so hämisch geglotzt und gemeckert. So schaun jetzt alle Menschen die Welt an, ich hab's schon oft gesehn. Du kommst nur viel zu selten mit ihnen in Berührung, um es zu beobachten. Ich glaube, sie fangen an und lieben ihr Leben nicht mehr. Das gibt dann diesen sinnlosen Haß auf alles, was ihnen in den Weg läuft und sein Leben noch liebt.«

»Das arme Luder«, sagte Terese, »ganz genau so war's.«

»Außerdem war sie eine alte Jungfrau und hat dir angerochen, daß du verheiratet bist, und es gibt keinen größeren Haß als diesen Weiberhaß ums Männchen.«

»Die Weiber sind furchtbar«, sagte Terese. »Schlimm, wenn man sein eigenes Geschlecht verachten muß, aber es ist so.«

»Die Männer sind noch viel schlimmer«, erwiderte Xaver, »weil sie auch zu Weibern geworden sind.«

Er hatte ihr nicht erzählt, wie der Abschied von Glenn verlaufen war. Auch von den Gruben war nicht mehr die Rede gewesen. Das Erlebnis am Kuhbrunnen war eine gute Ablenkung. Aber nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren, verriet er ihr doch seinen Plan.

Hinterher ärgerte er sich, daß er nicht dicht gehalten hatte. Es war seine besondere Sache, sein ureigenes Geheimnis. Sobald man darüber sprach, wurde ein Spleen daraus. Wenigstens konnte er an dem Ärger über seine Geschwätzigkeit lernen, daß er in Zukunft alles, was in der Fehde mit Glenn noch kommen mochte, ganz und gar für sich zu halten hatte. Diesmal war nichts mehr zu machen. Das einzige war, es als Spaß ohne jede tiefere Bedeutung aufzuziehn.

»Der Vollmond heute nacht paßt mir gerade«, schloß er mit schüchternem Lachen. »Ich schütte alles wieder zu und weiß von nichts, wenn sie morgen angelaufen kommen und jammern.«

Erst riet sie ab, da sie es für einen Lausbubenstreich hielt, unter seiner Würde. Dann ließ sie sich überzeugen, daß es noch Männer auf der Welt geben müßte, die ihren Willen behaupteten und sich nicht »faul« machen ließen. Zum Schluß war sie so begeistert, daß sie selber mitgehn wollte, um den Alten Mann zuzuschütten, es war ein Mordsspaß.

Nein, er ging allein. Um neun Uhr kam der Mond, da marschierte er mit seiner Schaufel los. Totenstill lag Ladiz. Aber droben von den Graten polterte, jetzt wie je, der ewige Steinschlag; das hatte der Alpinist im Gefühl.


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