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Schluß
Wenn nach langer, mühevoller Arbeit das Ende derselben nicht mehr fern ist, so stellt sich, obwohl man ungern von der nach besten Kräften gelösten Aufgabe gänzlich scheidet, gewöhnlich eine besondere Neigung ein, durch vergrößerte Eile das Ziel schneller zu erreichen. So geht es mir jetzt, da mir nur noch wenige Seiten zu berichten übrigbleiben; so fühlte ich damals, als wir uns schnell dem Missouri näherten und die schön gelegene, aufblühende Stadt Leavenworth endlich erblickten.
Seit des Irländers Abschied hatten wir uns mehr oder weniger zwischen Ansiedlungen, eingefriedeten Gärten und Feldern befunden; wir bewunderten alles, wie es nach einem langen Aufenthalt in der Wildnis kaum anders zu erwarten ist; doch nur im Vorbeiziehen, denn zum Anhalten war keine Zeit, und ihre letzten Kräfte mußten die armen Tiere aufbieten, um so schnell wie möglich ihre Herren an die Grenzen einer vorangeschrittenen Zivilisation, sich selbst aber auf die fetten Weiden des Militärpostens zu bringen. Sogar die vielen Hunderte von schweren Wagen, die wir überall wahrnahmen und die zum Transport von Lebensmitteln für die am Großen Salzsee konzentrierte Armee bestimmt waren, entlockten uns nur oberflächliche Bemerkungen, seitdem wir erfahren hatten, daß ein Waffenstillstand zwischen den Vereinigten Staaten und den Mormonen geschlossen sei und ein baldiger Friede in Aussicht stehe.
Interessanter war uns, daß wir, je näher wir der Stadt kamen, mit um so neugierigeren Blicken betrachtet wurden, denn da in unserem Äußeren und an dem Zustand der Tiere die Spuren einer langen, scharfen Reise nicht zu verkennen waren, so wurden wir gewöhnlich für Kuriere vom Kriegsschauplatz gehalten, und wenn wir dann einzelnen Fragern von der Colorado-Expedition erzählten, dann lächelten sie ungläubig, blinzelten mit den Augen und erwiderten: »Wir wissen schon, ihr kommt vom Salzsee mit geheimen Depeschen und wollt nicht ausgefragt sein. Glück auf den Weg«, rief man, wenn wir uns losmachten und lustig unseres Weges trabten.
Am 24. Juli, bei Einbruch der Nacht, lenkten wir endlich in die Stadt Leavenworth, deren erleuchtete Häuser uns bald in dunklen Massen umgaben. Wir ritten die Straßen hinauf und hinab, ehe wir einen Gasthof entdeckten, für den wir uns entschieden. Der eine war nach Peacocks Ansicht zu vornehm für unsere Erscheinung, der andere nach meiner Meinung wieder nicht vornehm genug, und es war daher schon spät, als wir vor einem sogenannten Boarding House (Logierhaus) abstiegen, um hier den kommenden Morgen zu erwarten. Zum Glück hatten wir unsere Begleitung außerhalb der Stadt ihr Lager aufschlagen lassen, denn nur mit knapper Not fanden wir vier ein Unterkommen in den ziemlich unsauberen Räumen.
Unerwähnt darf ich wohl nicht lassen, daß wir erst die gewünschte Bequemlichkeit erhielten, nachdem wir uns als zahlungsfähig ausgewiesen hatten. Verdenken konnte man den Leuten dies nicht, denn alles zusammengenommen, was wir außer den Waffen auf dem Körper trugen, war nicht mehr soviel wert, um das Nachtquartier eines einzigen damit bezahlen zu können; und die ermüdeten Tiere bedurften gewiß einer langen und sehr sorgfältigen Pflege, um überhaupt wieder zur Arbeit verwendet werden zu können, weshalb diese sich ebenfalls nicht zu willkommenen Pfändern geeignet hätten. Wir vergaßen das in uns gesetzte Mißtrauen indessen nicht, denn am folgenden Morgen, nachdem wir durch ein Bad und durch die Hände eines schwarzen Friseurs gegangen waren und uns danach in einem Kleiderladen von Kopf bis Fuß umgezogen hatten, eilten wir zu unserem Wirt – wo inzwischen die Leute mit dem Wagen eingetroffen waren –, bezahlten unsere Rechnung und siedelten dann, trotz höflicher und unhöflicher Einladungen, nach dem ersten Hotel der Stadt über.
Unser nächstes Geschäft war, die Leute abzulohnen, danach Maultiere, Wagen, Geschirr und Sattelzeug – kurz alles Eigentum der Regierung – auf dem drei Meilen abwärts, und zwar sehr malerisch gelegenen Militärposten abzuliefern; und da wir weiter nichts als unsere Tagebücher und Sammlungen zurückbehalten hatten, so wurden wir nicht gehindert, bis zur Abfahrt des nächsten St.-Louis-Dampfbootes uns ganz den kleinen Genüssen hinzugeben, welche die Zivilisation bietet und die uns so neu geworden waren.
Am 27. Juli gingen wir mit allen Sachen an Bord eines prächtigen Missouridampfers. Egloffstein hatte in Leavenworth einen Bekannten gefunden und blieb deshalb noch einige Zeit zurück; Peacock verließ uns noch am gleichen Tag mit dem erbeuteten Pferd, das ihm niemand streitig machte, in Independence, seiner alten Heimat, und so bildeten denn der Doktor und ich den ganzen Rest der Expedition, die zwei Tage später wohlbehalten in St. Louis landete. – Dort nun trennten auch wir uns, jedoch nur auf zwei Tage, indem der Doktor direkt nach Cleveland in Ohio zu seiner Familie eilte, während ich selbst mit allen Sammlungen dorthin nachzufolgen versprach. Ich hielt Wort und erreichte Cleveland nach einer glücklichen Reise auf der Eisenbahn, auf der ich weiter nichts Besonderes erlebte, als daß die Lokomotive, der Tender und einige leere Packwagen zu dicht ans Ende einer halb abgebrochenen Brücke über ein totes Nebenwasser des Mississippi gerieten, mit derselben zusammenbrachen und dann spurlos in den morastigen Fluten versanken, nachdem es noch gerade geglückt war, die gefüllten Personen- und Gepäckwagen loszuketten.
Wenn die Stadt Cleveland mit ihrer malerischen Lage am Eriesee, mit ihren reizenden Villen und Gärten schon einen angenehmen Eindruck hervorrief, so wurde derselbe noch bedeutend erhöht, als ich das Haus meines alten Freundes und Reisegefährten Newberry betrat und von ihm und seiner liebenswürdigen Gattin nebst den drei prächtigen Knaben auf so warme und herzliche Weise willkommen geheißen wurde.
Acht Tage lang genoß ich die Gastfreundschaft bei dieser mir so lieben Familie; wenn ich aber beschreiben wollte, wie man alles hervorsuchte, um meinen Aufenthalt dort zu einem angenehmen zu machen, so würde das allein schon ein ganzes Werk bilden. Es wären ja nicht nur die reizenden Ausflüge und Reisen in der Umgegend zu schildern, unter denen ich die Fahrt nach den wunderbar schönen Cuyahoga-Fällen zu des Doktors Eltern obenan stellte, sondern vorzugsweise die heimische Ruhe, die mich umwehte, wenn ich im stillen, häuslichen Kreis all die kleinen Aufmerksamkeiten beobachtete, die mir gespendet wurden, um mich gleichsam für die nötig gewordene Verzögerung meiner Abreise nach der eigenen Heimat zu entschädigen und zu trösten.
Mit innigster Freundschaft gedenke ich des Dr. Newberry, seiner anmutigen Gattin sowie deren Kinder und sende ihnen auf diese Weise meinen Dank und Gruß über das Meer.
Nicht ohne einen Anflug von Wehmut schied ich von Cleveland und eilte auf dem Schienenweg der Stadt New York und danach Washington zu. Wie bei meiner Ankunft im vorhergehenden Jahr, so besuchte ich jetzt vor meiner Abreise nach Europa ebenfalls alle Freunde und Bekannte. In New York traf ich sodann im bestimmten Hotel mit dem von Kalifornien auf dem Seeweg heimkehrenden Lieutenant Ives zusammen, verabredete mit demselben die zu liefernden Ausarbeitungen und war endlich reisefertig, um in dem Schraubendampfer »Saxonia« am 1. September 1858 die Fahrt über den Atlantischen Ozean anzutreten.
Als ich an Bord ging, prangte New York, wie alle übrigen Städte des amerikanischen Kontinents, in seinem schönsten Festkleid. Flaggen schmückten Schiffe und Häuser; Kanonen donnerten von den Bastionen und Verdecken; bunt uniformierte Bürgersoldaten bewegten sich auf der Straße und in den Schenken; Musik ertönte überall, und warm strahlte die Sonne auf das allgemeine fröhliche Treiben, einen schönen Abend versprechend, an welchem das Sonnenlicht durch Illumination und Feuerwerke ersetzt werden sollte.
Es war ein tolles Treiben; aber es galt ja auch die beiden Depeschen zu verherrlichen, welche die Königin Victoria und der Präsident Buchanan auf unterseeischem Weg mittels des elektrischen Funkens gewechselt hatten.
Gleichviel, ob es nun die ersten und letzten auf diesem Weg beförderten Depeschen waren oder ob noch andere folgten – es war und blieb ein großer Tag, denn der menschliche Geist feierte einen schönen Triumph, und mächtig stiegen die Aktien (freilich nur auf kurze Zeit) der Atlantischen Telegraphen-Kompanie. Die besten Geschäfte aber machten die Goldarbeiter Jiffany und Comp. am Broadway, die einige hundert Ellen des übriggebliebenen, von ihnen erstandenen Telegrafenkabels in dünne Scheiben schnitten, diese in Gold und Silber faßten und an das freudetrunkene Publikum verkauften.
Von allen Seiten donnerten die Geschütze, als die »Saxonia« ihren Ankerplatz verließ und, mit ihren beiden sechspfündigen Kanonen tapfer antwortend, zwischen den zahlreichen Fahrzeugen hindurch dem Ausgang des Hafens zu dampfte. Die Häuserreihen verschwammen bald ineinander, doch solange noch ein Turm zu sehen war, schaute ich nach dem festlichen New York hinüber; dann aber wandte ich meine Blicke gegen Osten über die still wogende Wasserfläche nach der Richtung, wo meine Heimat, mein Vaterland lag.