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Die Navajos – Lieutenant Ives' Ankunft – Die Moqui-Indianer – Schlechte Aufnahme derselben in Fort Defiance – Aufbruch von Fort Defiance – Präriehundedörfer – Der See nahe der Wasserscheide – Besuch der Navajos im Lager – Mount Taylor – Lager am »Blue water« – Lager nahe der Camiño del Obispo – Begegnung mit einem Militärkommando – Die Lavaströme – Rio San José – Covero – Laguña – Vorsprechen beim Baptistenmissionar – Lager am Puerco – Ankunft am Rio Grande – Übergang über den Fluß
Die Navajos, Navahoes oder Apaches de Nabajoa – wie sie von den alten spanischen Reisenden genannt wurden – gehören ursprünglich zu der weitverzweigten Nation der Apachen. Hinsichtlich der Raublust ist zwischen den Navajos und den jetzigen Apachen, ihren Todfeinden, gewiß kein Unterschied zu entdecken, doch zeichnen sich erstere durch größere Neigung zur Viehzucht sowie auch durch größere Geschicklichkeit in Handarbeiten aus. Beide Stämme gehören zu den Eingeborenen, die mich nicht sonderlich für sie einnahmen, und zwar weniger wegen ihrer Raubsucht, der fast alle Indianerstämme in höherem oder geringerem Grad huldigen, als wegen tief gewurzelter Falschheit und Verräterei, die sie nicht nur gegen ihre Feinde, sondern auch gegen ihre scheinbaren Freunde, ja sogar gegen die eigenen Stammesgenossen an den Tag legen.
Die äußere Erscheinung der Navajos als eine nationale zu beschreiben, wage ich nicht, denn ich erblickte unter ihnen so viele verschiedenartige Gestalten und Gesichter, die auf eine Vermischung des Stammes mit den von anderen Nationen geraubten Sklaven deuteten, daß ich es für fast unmöglich hielt, den ursprünglichen Typus herauszufinden. Diejenigen, die mir als vollblütige Navajos bezeichnet wurden, waren große, wohlgebaute Gestalten mit hohen, vorstehenden Backenknochen, zurückgebogener Stirn und gerader Nase.
Der ganze Stamm wird von mehreren Häuptlingen beherrscht, doch scheint deren Einfluß nur in gewissen Fällen zur Geltung zu kommen und für gewöhnlich regiert jeder Besitzer seine Familie und seine Herden nach eigenem Gutdünken, ohne einem anderen irgendwie Einspruch in seine Angelegenheiten zu gestatten. Ja die Weiber behaupten sogar eine Art von Selbständigkeit und halten ihre eigenen Herden streng geschieden von denen ihrer Gatten.
Die Beschreibung ihrer Hütten gab ich schon oben, doch leben auch manche Familien in geräumigen Felshöhlen, an denen das dortige Territorium ungewöhnlich reich ist. Stirbt jemand, so wird augenblicklich die Sterbewohnung verlassen, um nie wieder bezogen zu werden, und es stammen daher auch die zahlreichen Überreste alter Hütten, die auf eine Abnahme der Seelenzahl zu deuten scheinen. Die Stärke der Nation, die ihrer Herden wegen ziemlich zerstreut lebt, wird als zwischen siebentausend und neuntausend Mitglieder angegeben, und ich bin geneigt zu glauben, daß letztere Zahl gewiß nicht überschritten wird. Eine Abnahme der Bevölkerung, wie wir es vielfach bei anderen Stämmen beobachten können, ist bei den Navajos kaum denkbar; denn wenn sie sich auch auf ihren Raubzügen dem Kriegsglück und den damit verbundenen Verlusten aussetzten, so sind sie doch im Herzen ihres schwer zugänglichen Landes gegen verderbliche Überfälle gesichert; auch die ansteckenden Krankheiten können nicht solche Verwüstungen unter ihnen anrichten, indem sie familienweise getrennt voneinander leben und es ihnen daher nicht schwer wird, Reviere, in denen Erkrankungsfälle vorgekommen sind, zu meiden.
Wie bei allen Urvölkern des amerikanischen Kontinents herrscht auch hier die Sitte der Vielweiberei, und der Mann kauft seine Frauen von deren Vätern gewöhnlich für den Preis von Pferden, deren Zahl von der Liebenswürdigkeit der jungen Gattin und von der elterlichen Zuneigung zu derselben abhängig ist. Übrigens ist die Frau nicht gezwungen, mit ihrem Gatten zusammenzuwohnen, wenn z. B. die Pflege ihrer Herden, die getrennt voneinander weiden, es nicht ratsam erscheinen läßt. Sehr merkwürdig ist es, daß das Eigentum des Vaters nicht auf den Sohn übergeht, sondern daß Neffen und Nichten als die rechtmäßigen Erben anerkannt werden, wenn nicht der Vater bei Lebzeiten schon seine Habe an die eigenen Kinder geschenkt hat.
Ihre Gefangenen behandeln sie freundlich, und sie erzielen dadurch, daß diese sich sehr bald bei ihnen heimisch fühlen und sich ganz von selbst ihrer Nation einverleiben. Überhaupt liegt Grausamkeit, nach allem, was ich über diesen Stamm vernahm, nicht in ihrem Charakter, wenn sie auch wirklich auf kaltblütige Weise morden und ihre Verräterei endlos ist. Gastfreundschaft ist eine große Tugend unter ihnen, und auch hier herrscht der Brauch, daß Besucher alle Lebensmittel in der Hütte ihres Wirts als ihr Eigentum betrachten und so lange und soviel davon genießen dürfen, wie ihnen nur immer beliebt.
Ihre Kleidung ist außerordentlich verschieden und richtet sich nach den Stoffen, die jedem einzelnen durch Zufall in die Hand gespielt werden, sowie nach dem Geschmack, mit dem er diese zur Bedeckung seines Körpers verwendet. Ich sah einzelne Navajos, die in ihren reich mit Knöpfen besetzten ledernen Kniebeinkleidern und Gamaschen sowie dem farbigen Jagdhemd kaum von einem Pueblo-Indianer zu unterscheiden waren; dagegen erblickte ich auch andere, die in weiten, baumwollenen Kleidungsstücken von weißer Farbe an die orientalischen Nomadenvölker erinnerten. Als Nationaltracht möchte ich fast die schönen Decken bezeichnen, welche beide Geschlechter gewöhnlich um die Schultern tragen. Diese werden von den Frauen aufs sorgfältigste gewebt, die sich in der Wahl der Farben und der Zusammenstellung von bunten Streifen und phantastischen Figuren in dem Gewebe gegenseitig zu übertreffen suchen. Ursprünglich trugen die Decken nur die verschiedenen Farben der Schafe in breiten Streifen, doch seit die Navajos farbige, wollene Stoffe aus Neu-Mexiko beziehen können, verschaffen sie sich solche, um sie in Fäden aufzulösen und diese dann zu ihrer eigenen Weberei zu verwenden. Vorzugsweise erblickte ich geschmackvolle Satteldecken, und es gelang mir auch, einige derselben zu erstehen, dagegen wurden mir für schöne, große Decken, die zur Bekleidung dienten, solch hohe Preise abgefordert, daß ich unter den damaligen Verhältnissen kaum imstande gewesen wäre, diese zu bezahlen, und mir ebenso leicht ein Pferd hätte kaufen können.
Wie ich schon oben bemerkt habe, besteht der ganze Reichtum dieser Leute in ihren Herden, und sie sinnen und wirken nur einzig für diese. Schon von Kindesbeinen an suchen sie ihr lebendes Eigentum zu vergrößern und scheuen kein Mittel, keinen Weg, um sich in den Besitz von Pferden, Schafen und Ziegen zu setzen, nach deren Zahl im Mannesalter ihr Ansehen und Einfluß bestimmt wird. Bei einem solchen ununterbrochenen Streben kann es nicht überraschen, daß einzelne Persönlichkeiten weit über tausend Pferde und vielleicht sechstausend Schafe und Ziegen ihr Eigentum nennen; dagegen muß es einen befremden, daß sie noch ebenso wie der elendeste Apache jeden Reisenden anbetteln, während sie doch sicher imstande wären, durch den Verkauf eines oder mehrerer Pferde oder einer Anzahl Schafe sich mit manchen Bequemlichkeiten zu umgeben. – Es herrscht übrigens in Neu-Mexiko eine gewisse Abneigung dagegen, von einem Navajo ein gutes Pferd zu erstehen, denn der Navajo trennt sich nur dann von einem guten Tier, wenn ihm die Aussicht bleibt, dieses gelegentlich zurückstehlen zu können.
Die Hauptwaffe dieser Indianer ist eine zwölf Fuß lange Lanze mit degenähnlicher Spitze, die sie mit außerordentlicher Geschicklichkeit vom Pferd herab zu führen verstehen, doch ist der Bogen in ihren Händen auch keine zu verachtende Waffe. Zu leugnen ist es nicht, daß ein auf diese Weise ausgerüsteter Krieger auf dem hohen Sattel mit den kurzen Steigbügeln, halb verhüllt mit der faltenreichen Decke, sowie mit den langen, flatternden Haaren gewiß keinen ungünstigen Eindruck macht; und es ist leicht erklärlich, daß eine Horde dieser wilden Reiter früher imstande war, Schrecken im Tal des Rio Grande zu verbreiten.
Der einzige Indianerstamm, den die Navajos fürchten und vor dem sie gewissermaßen Hochachtung hegen, sind die jetzt so sehr zusammengeschmolzenen Delawaren.Siehe »Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 57. Sie hatten sich nämlich einst an dem Eigentum einiger dieser kühnen umherstreifenden Jäger vergriffen, und die Folge hiervon war, daß die Navajos wenige Tage später mehrere ihrer Familien skalpiert fanden und die Delawaren mit einer reichen Beute an Pferden in ihre Heimat zurückkehrten.
Über die Religion der Navajos etwas zu erfahren, gelang mir nicht, doch glaube ich, daß sie sich sehr wenig um ein Leben nach dem Tod kümmern, weil sie die Gewißheit hegen, ihre Pferde und übrigen Herden zurücklassen zu müssen. Über ihren Ursprung wissen sie ebenfalls nichts; einige geben vor, daß ihre Urväter einst aus der Erde kamen, andere nähern sich der Wahrheit, indem sie behaupten, daß ihnen die Geschichte ihres Stamms unbekannt sei; und so bietet das Volk selbst nichts, was bei etwaigen Forschungen zum Anhalt dienen könnte, es sei denn die Sprache, nach der sie als Verwandte der Apachen betrachtet werden müssen, mit denen sie aber jetzt in bitterster Feindschaft leben.
Der Versuch nun, die ganze Familie der Apachen, mit den Navajos als deren aufgeklärtesten Mitgliedern an der Spitze, in irgendeine Beziehung zu den wandernden Völkerstämmen zu bringen, die einst Neu-Mexiko überschwemmten, würde, ganz abgesehen von den Sprachverschiedenheiten, vollständig scheitern. Ich weise nur darauf hin, daß, wie die Städte bauenden Indianer Jahrhunderte hindurch ihren angestammten Sitten, Bräuchen und Neigungen bis auf die jetzige Zeit treu geblieben sind, auch unter den Navajos keine wesentliche Veränderung eingetreten ist, obgleich sie während eines hundertjährigen Zeitraums von halbzivilisierten Nationen umgeben waren. Finden wir in den Pueblos und deren Bewohnern vieles, das auf einen früheren innigen Verkehr mit den gegen Süden gewanderten Völkern hindeutet, so vermissen wir dergleichen Spuren bei den Navajos ganz, denn es fehlt ihnen nicht nur die Neigung zur Anlage regelmäßiger Städte, sondern sie zeigen sogar Widerwillen dagegen. Sie beschäftigen sich nicht mit Töpferarbeit, pflanzen auch keine Baumwolle, zähmen Vögel oder sammeln Federn zu ihren Staatskleidern; sie sind jetzt, was sie vor Jahrhunderten schon waren: eine wilde, zügellose Horde. Übermütig geworden durch die allmählich gewonnene Macht über ihre Nachbarn, knechteten sie diese, und im Bewußtsein ihrer Straflosigkeit übten sie Verräterei und Falschheit, bis diese sich als erblich ihrem Charakter einverleibten und sie zu dem machten, was sie sind. Ein schönes Feld für den frommen Eifer der Missionare würde die Nation der Navajos bieten, und ich kann nicht begreifen, warum jetzt das Evangelium nur auf schon längst angebahnten Wegen vorwärts und rückwärts getragen wird, anstatt in edlem Kampf gegen tiefgewurzelte böse Leidenschaften angewendet zu werden.
Als wir am 22. Mai in den Vormittagsstunden in weitem Kreis vor dem Kaminfeuer in Webers einfachem Salon saßen und wieder mit der sorgenfreien Gegenwart beschäftigt waren, dabei in lebhaften Erzählungen der jüngsten Vergangenheit gedachten, öffnete sich plötzlich die Tür, und herein traten, dicht verhüllt mit ihren Mänteln und Decken, Lieutenant Ives, Egloffstein und Dr. Newberry. Zu gleicher Zeit versammelte sich auf der Straße ein Haufen Moqui-Indianer, die sie begleitet hatten, um in Fort Defiance ihre Klagen über die Räubereien der Navajos vorzubringen. Während nun die Indianer einen leeren Schuppen zu ihrem Aufenthalt wählten, der Packtrain nach dem Lager bei der natürlichen Brücke zog, nahmen wir die Gefährten in unsere Mitte, und nachdem sie sich durch Speise und Trank hinlänglich erfrischt hatten, begannen wir sie über ihre Erlebnisse sowie über den Erfolg ihrer Reise auszufragen. Vor allen Dingen teilten sie uns mit, daß ihre Mühe insoweit eine vergebliche genannt werden könne, als es ihnen nicht gelungen sei, den Rio Colorado wiederzufinden. Die Erfahrungen auf der Reise selbst beschränkten sich darauf, daß sie eine mühevolle Wanderung durch die Schluchten des hohen Felsplateaus zurückgelegt hatten, und nur die Schilderung ihrer Zusammenkunft mit den Moqui-Indianern sowie auch deren hoch gelegener Städte verdiente größere Aufmerksamkeit. Leider waren indessen nur mündliche Nachrichten über dieses abgesondert lebende Volk eingezogen und gesammelt worden, und man hatte ebensowohl versäumt, Wortverzeichnisse der noch vollständig unbekannten Sprache als auch Zeichnungen von den Städten mit zurückzubringen.
Nach den Beschreibungen, die ich Dr. Newberry verdanke, unterscheiden sich die Moquis in Sitten und Bräuchen kaum von den Zuñi-Indianern, und auch die Lebensweise beider Stämme ist ganz dieselbe. In einer Stärke von 6720 Seelen (nach Whipple) bewohnen die Moquis sieben Städte, die auf den fast unzugänglichen Überresten des vielmals erwähnten hohen Plateaus gegründet sind. Die größte derselben heißt Oraibe, die vier hinsichtlich ihrer Einwohnerzahl gleich großen Städte sind bekannt unter den Namen Schuhmuthpa, Muschai-i-nah, Aleh-la und Gualpi, und die beiden kleinsten unter den Namen Schiwina und Tequa. Außerdem befinden sich noch zahlreiche Trümmer in jener Gegend, welche auf eine früher bedeutend stärkere Bevölkerung schließen lassen. Die Städte liegen in geringer Entfernung voneinander, sind ziemlich regelmäßig gebaut und mit Steinmauern umgeben. Die Häuserreihen bilden einen öffentlichen Platz oder Hof, und wie bei den anderen Pueblos von Neu-Mexiko befindet sich der Eingang in die Wohnungen auf den flachen Dächern, zu denen man mittels Leitern hinaufgelangt. Quellen, die auf den Höhen aus dem festen Gestein hervorsprudeln, sowie natürliche Zisternen versorgen die Moquis mit Wasser und geben ihnen zugleich Mittel an die Hand, auf längere Zeit einer Belagerung Trotz bieten zu können; denn da der Aufgang zu einzelnen dieser luftigen Sitze aus treppenähnlichen Abstufungen im Gestein besteht, würde es gewiß eine große Übermacht erfordern, um diese mit Gewalt einzunehmen.
An den Abhängen, wo nur immer die Natur es gestattete, liegen terrassenförmig die Gärten übereinander, und in denselben erblickt man außer den Stauden von Melonen und Kürbissen wohlgepflegte Pfirsichbäume. In dem umfangreichen Tal, in dem sich die städtegekrönten Felsentürme erheben, dehnen sich die Felder aus, auf denen diese betriebsamen Menschen trotz der großen Ungünstigkeit der Bodengestaltung und des Wassermangels Baumwolle, Mais, Melonen und Kürbisse erzielen, und zwar mehr, als zu ihrem eigenen Bedarf notwendig ist. An der Arbeit beteiligen sich Männer und Frauen, und dadurch fällt der krasse Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern, der unter den meisten Indianerstämmen so sehr hervortritt, bei diesen halbzivilisierten Menschen schon von selbst weg. Sie besitzen einen gewissen Reichtum an Schafen, dagegen eine verhältnismäßig sehr geringe Zahl von Pferden und Eseln, wofür wohl die gefährliche Nachbarschaft der Navajos als Grund angenommen werden kann.
Die Kleidung der Moquis ist sehr einfach und besteht hauptsächlich aus selbstgewebten Stoffen; die Weiber tragen einen langen, schwarzen, wollenen Rock oder Überwurf, die Männer aber gewöhnlich ein leichtes Jagdhemd und über diesem eine dicke wollene, mit blauen und schwarzen Streifen gezierte weiße Decke.
Wie ich erfuhr, sollen die Moquis nicht alle eine und dieselbe Sprache haben und die Bewohner einiger Städte nicht nur fremde Dialekte, sondern sogar fremde Sprachen reden, so daß nur mittels Dolmetscher eine Verständigung zwischen diesen bewerkstelligt werden kann. Inwieweit diese Angaben begründet sind, vermag ich nicht zu entscheiden, und es ist aufs höchste zu bedauern, daß nichts Authentisches über diese gewonnen worden ist.
Was nun die äußere Erscheinung der Moqui-Indianer betrifft, so fand ich diese durchschnittlich weniger kräftig gebaut als die Zuñis, doch möchte ich den Ausdruck ihrer Physiognomien noch milder und zutrauenerweckender nennen, und sie sind auch wirklich weit und breit als eine friedliebende und betriebsame Nation bekannt. Ihre Schüchternheit gegen Fremde grenzt an Furchtsamkeit, und ihre Klagen dringen infolgedessen auch viel weniger durch als die Anschwärzungen der verwegenen, übermütigen Navajos.
Die Behandlung, die der aus fünfundzwanzig Mitgliedern bestehenden Moqui-Deputation in Fort Defiance zuteil wurde, erfüllte mich übrigens mit den bittersten Gefühlen; auch Dr. Newberry, der bei jeder Gelegenheit die größte Menschenfreundlichkeit und Teilnahme für seinen Nächsten, ohne Unterschied der Farbe, an den Tag legte, war entrüstet, als er die traurigen Mienen der in ihren Erwartungen so getäuschten Moquis beobachtete. In solcher Stimmung versprachen wir uns gegenseitig das zu tun, was in unseren Kräften stand; nämlich nicht nur dort unseren Tadel laut auszusprechen, sondern auch in unseren für die Öffentlichkeit bestimmten Arbeiten desselben zu gedenken.
Als nämlich Lieutenant Ives das Fruchtlose seines Unternehmens, an den Colorado hinabzugelangen, eingesehen hatte, wünschte er von den Moquis einen Führer anzunehmen, der ihn nach dem Cañon de Chelly oder auf den nächsten Weg nach Fort Defiance bringen sollte. Statt eines stellten sich deren über zwanzig, die sich bereit erklärten, ihn ganz nach der Militärstation zu begleiten, um einesteils die kleine Expedition auf den kürzesten Pfaden zu führen, dann aber auch, um unter amerikanischem Schutz die Länder der Navajos durchziehen und als Deputation dem Kommandanten ihre Klagen über die Räubereien der Navajos vorbringen zu können. Lieutenant Ives, stets bedacht, die ihm von seinem Gouvernement zur Verfügung gestellten Mittel auf alle mögliche Weise zu sparen, erklärte indessen, daß er nur eines oder zweier Führer bedürfe und daß er nicht geneigt sei, die ganze Gesellschaft für Dienstleistungen, die er nicht von ihr gefordert hätte, zu belohnen; daß er sie indessen nicht zurückhalte, wenn sie sich seiner Gesellschaft anschließen wolle. Die Moquis rüsteten sich daher mit Lebensmitteln aus und bildeten auf der ganzen Strecke die freundlichen und gefälligen Führer und Begleiter der Expedition.
Gleich nach ihrer Ankunft schon lernten indessen die armen Indianer kennen, wie weit die ihnen selbst angeborene Gastfreundschaft von den weißen zivilisierten Menschen erwidert wurde und was sie von einem Volk erwarten konnten, das sich nicht nur als Verbreiter der Zivilisation auf dem großen Kontinent, sondern auch als dessen unumschränkten Herrn und Gebieter betrachtet.
Die Moquis wurden nämlich gar nicht beachtet; sie begaben sich zwar nach dem zur Aufnahme fremder Indianer bestimmten Schuppen, doch bemerkte ich nicht, daß man ihnen Lebensmittel verabreichte; und als sie dann mit traurigen Mienen vor Webers Wohnung umherstanden und Lieutenant Ives ihrer ansichtig wurde, erklärte er, daß er sie nicht als Führer gedungen habe und deshalb auch nicht gesonnen sei, die Freigebigkeit des Gouvernements durch unverdiente Geschenke an die Eingeborenen zu mißbrauchen. Lieutenant Ives handelte verständig, aber in dieser Hartherzigkeit, die nicht von der liberalen Regierung der Vereinigten Staaten anempfohlen wird, äußerten sich die Vorurteile gegen eine dunkler gefärbte Haut auf eine Weise, daß es sogar den Indianern nicht verborgen bleiben konnte. Aber es waren ja nur Eingeborene; ob nun friedliche, harmlose, und vor allen Dingen moralische Menschen oder verräterische Räuber – ihre Haut war braun, und wie könnten wohl braune oder schwarze Menschen auf Milde und Freundlichkeit von der weißen Rasse rechnen?
Welche Gefühle nach solchem Verfahren die Moquis beseelen mußten und mit welchen Begriffen über die weißen Eindringlinge sie wieder nach ihren friedlichen Städten zurückkehrten, das läßt sich leicht erraten. Die Weißen hatten sie besucht, und die sogenannten Wilden waren den Fremdlingen mit Freundlichkeit entgegengekommen. Die Wilden hatten dann, Gerechtigkeit suchend, sich den Weißen genähert und nur Spott von den Navajos geerntet; doch bin ich überzeugt, daß, wenn abermals Weiße sich in die Städte der Moquis verirren, sie nichtsdestoweniger die Tür jedes Hauses von gastfreundlichen Menschen geöffnet finden werden.
Am folgenden Tag predigte in Fort Defiance ein wandernder Pater; viele Menschen befanden sich in der Kirche und beteten andächtig, dankten vielleicht auch Gott dafür, daß ihre Haut so weiß sei und ihr Herz so fromm; zur selben Zeit aber befanden sich fünfundzwanzig hungernde Moqui-Indianer auf der Reise nach ihrer Heimat.
Einige Stunden nach der Ankunft von Lieutenant Ives' Kommando ritt ich in der Gesellschaft des Dr. Newberry dem Lager zu, wir hatten uns lange nicht gesehen und deshalb mancherlei zu erzählen; besonders viel aber sprachen wir von den Moquis, und laut rühmend gedachte ich meines geschätzten Freundes, des Captain Whipple, der die Gabe besitzt, nicht nur erfolgreiche Forschungen unter den Eingeborenen anzustellen, sondern auch durch weise verteilte Geschenke, mehr aber noch durch vertrauenerweckendes Entgegenkommen das Gemüt des wildesten Indianers für sich zu gewinnen.
Als wir im Lager anlangten, befand sich schon ein Trupp Moquis dort; schweigend saßen die armen Leute umher, und so traurig und vorwurfsvoll war der Ausdruck ihrer Augen über die Rücksichtslosigkeit, mit der sie behandelt wurden, daß ich mich schämte, mein Zelt zu verlassen, denn ich war ja auch ein Weißer, an deren Hartherzigkeit, deren Ungerechtigkeit und deren Eigendünkel noch lange in den Moqui-Städten gedacht werden wird. Dr. Newberry, fast der einzige von uns, der noch etwas Wäsche und einige Kleidungsstücke übrigbehalten hatte, suchte alles hervor, was er nur irgend entbehren konnte, reichte es einem schlanken Indianer, drückte ihm die Hand und nahm freundlich Abschied von allen, doch merkte ich an dem Benehmen des braven Doktors, wie sehr es ihn schmerzte, daß den Leuten, die seit mehreren Tagen seine Reisegefährten gewesen waren, keine Speisen verabreicht wurden, obgleich wir Lebensmittel genug aus den Magazinen des Forts beziehen konnten.
Doch ich wiederhole: Es waren ja nur Indianer, die, bitter getäuscht, langsamen Schrittes und hungrig unser Lager verließen, und es waren der Regierung – gewiß gegen ihren Wunsch und Willen – dafür einige Dollar erspart worden!
Am 24. Mai verließ endlich unsere Expedition das Lager bei Fort Defiance, und wir wandten uns in östlicher Richtung dem Campbells Paß zu, durch den die Verbindungsstraße zwischen Fort Defiance und Albuquerque führt. Wir waren wieder alle vereint, sogar der mittels Handschellen gefesselte Mörder fehlte nicht, denn da er einem Zivilgericht übergeben werden sollte, so war Lieutenant Tipton gezwungen, den Menschen zu unserem Leidwesen mit nach Albuquerque zu nehmen.
Die Bodengestaltung war unserer Reise sehr günstig; die weite Ebene überschreitend, gelangten wir nach einer Stunde in die Fahrstraße und befanden uns dann bald zwischen Felsen, die, gebildet von den oberen roten Sandsteinschichten des Plateaus, überaus malerische, imposante Formationen zeigten. Da schoben sich von beiden Seiten in den talähnlichen Paß kolossale Wälle, geschmückt mit dunkelgrünen Zedern und Tannen, hinein; da ragten einzelne Hügel von Kalksteingeröll hoch empor; dort erstreckten sich weit in die Nebenschluchten, wie auf künstliche Weise hergestellt, lange Mauern mit zierlichen Pfeilern und scheinbar schwankenden Türmen; auch weite Tore nahm ich wahr, die das Gebirgswasser allmählich ausgespült hatte und durch die der klare, blaue Himmel hinter anmutigen Baumgruppen hervorschimmerte. Bei jeder Biegung der Straße, bei jeder Bewegung nach vorn verwandelten sich die Landschaften und Szenerien, so daß wir in der Naturumgebung ununterbrochen die ansprechendste Unterhaltung fanden. Die Straße war eben und glatt, doch zeigten sich in den alten, von dem dörrenden Wind festgebackenen Wagengeleisen überall die Spuren einer in nassen Jahreszeiten vorherrschenden Unwegsamkeit des Bodens.
Obgleich der Frühling sich in jenen hohen und weniger geschützten Regionen kaum angemeldet hatte und man noch erwarten durfte, einige vom Winter zurückgebliebene Feuchtigkeit zu finden, so suchten wir doch vergeblich nach Wasser in den Betten alter Gießbäche und den beckenähnlichen Niederungen, und sechzehn Meilen hatten wir zurückgelegt, als wir, durch die Nähe des Abends dazu veranlaßt, auf einer hügelähnlichen Anschwellung des Bodens unser Lager aufschlugen. Kalter Westwind fegte durch die Schluchten, sang melancholisch zwischen den Zedern, die uns und unserer Herde Schutz gewährten, und trieb prasselnd die Flammen der Scheiterhaufen empor, um die wir bis tief in die Nacht hinein plaudernd und rauchend versammelt waren.
25. Mai. Auf den stürmischen Abend und auf die rauhe Nacht folgte ein Morgen so schön und lieblich, wie ihn der erwachende Frühling nur zu bieten vermag. Es war freilich in den Frühstunden kalt, doch konnte man in der stillen, sonnigen Atmosphäre gleichsam die belebende Kraft fühlen, die Menschen und Tiere mit Wollust einatmen und die, sich verhüllend in Millionen von Tauperlen, die verborgenen Wurzeln von Gräsern und Kräutern wohl zu finden weiß. Ja, es war ein herrlicher Morgen, einige Navajo-Familien befanden sich bei uns im Lager; in malerischen Gruppen kauerten sie um die niederbrennenden Feuer oder standen auch umher, aufmerksam zuschauend, wie die Mexikaner das Gepäck auf den Rücken der geduldigen Tiere befestigten. Wir selbst prüften die Decken, die auf den braunen Schultern runzliger Krieger und schlanker Burschen hingen oder die Oberkörper unsauberer Weiber und klaräugiger Mädchen bedeckten, und stellten Versuche an, einzelne derselben, die sich durch schöne Farben auszeichneten, einzutauschen; doch leider hatten wir in Fort Defiance kein Geld beziehen können und waren so verarmt, daß wir nur noch durch unsere Federmesser die Indianer zu reizen vermochten, und es gelang uns auch wirklich, für kleine, zweiklingige Messer schöne Satteldecken einzuhandeln.
Wir brachen endlich auf und folgten unserer Straße in östlicher Richtung über Hügel, durch Schluchten, Wiesen und Waldungen. Der Charakter der Umgebung blieb beständig derselbe, doch ein steter Wechsel in der Verteilung von Fels, Baum und Ebene erfreute das Auge, und zahlreiche Herden verrieten eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung. Der Abend rückte näher, die Tiere hatten wir in der Mittagsstunde aus einer Pfütze am Weg getränkt, und als wir daher die zurückgelegte Meilenzahl bis auf zwanzig gebracht hatten, hielten wir an, wo wir uns gerade befanden, nämlich am Rande einer weiten Grasebene, wo wir zwar Futter für die Tiere, aber kein Wasser fanden. Einige Navajos, die sich zu uns gesellten, teilten uns mit, daß wir zehn Meilen weiter auf einen umfangreichen See stoßen würden, und wir brauchten uns also nicht weiter zu beunruhigen, da wir darauf rechnen konnten, in den Frühstunden des folgenden Tages imstande zu sein, zum erstenmal seit unserer Abreise vom Fort die Tiere nach Herzenslust trinken zu lassen.
Die Navajos waren sehr niedergeschlagen und ergingen sich in lauten Klagen über ihren Bruderstamm, die Apachen. Diese hatten nämlich in der vorhergehenden Nacht die äußersten Ansiedlungen der Navajos überfallen, neun Männer erschlagen und außer einer bedeutenden Anzahl von Pferden auch noch zwanzig Weiber und Kinder gefangen mit fortgeführt. – Ich darf nicht leugnen, daß ich über den Verlust der Pferde einige Schadenfreude empfand und dabei an die Moquis und Zuñis dachte; daß aber von seiten der Regierung der Vereinigten Staaten geduldet wird, daß die Eingeborenen sich untereinander in wilder Rachsucht aufreiben und sogar ihre Schlächtereien in der Nähe von Militärstationen ungestraft vornehmen dürfen, das konnte ich nur tief beklagen.
Wir setzten am 26. Mai unsere Reise fort und befanden uns fast ununterbrochen zwischen Präriehundedörfern, deren regsame Bewohner uns aus der Ferne unwillig anbellten, bei unserer Annäherung aber die kleinen Hügel vor ihren Wohnungen verließen, in ihre Höhlen hineinkrochen und, nur den Kopf hervorstreckend, eifrig weiterkläfften. Glaubten die kleinen, reizenden Tiere dann die Gefahr an sich vorübergezogen und weit genug entfernt, dann nahmen sie ihre Lieblingsplätzchen auf den Hügeln wieder ein, wedelten mit dem aufrecht stehenden Schwänzchen, sandten uns wie ungezogene Gassenbuben noch einige Scheltworte nach und vereinigten sich endlich zu tollen Spielen auf staubigem Sand im lachenden Sonnenschein. Die fröhlichen, harmlosen Tierchen – wie oft habe ich sie aufmerksam belauscht und mich an ihrem geselligen Zusammensein, an ihrem munteren Wesen erfreut!
Nur wenige Meilen waren wir erst geritten, als wir einem starken Wagentrain begegneten, der Proviant nach Fort Defiance führte. Wir hielten einige Minuten an, wechselten das Woher und Wohin, wünschten uns gegenseitig glückliche Reise, wie es gebräuchlich ist, beneideten uns gegenseitig um die besten Tiere, wie es gewöhnlich ist, wandten uns dann den Rücken, wie es natürlich ist, und gedachten einer des anderen nicht weiter als unumgänglich notwendig; und es war das gewiß eine sehr kurze Zeit in einer Naturumgebung, die dem Auge und dem Gemüt soviel Schönes, soviel Edles bot.
Wir befanden uns schon seit dem vorhergehenden Tag zwischen zwei Bergketten, die in der Richtung von Nordwesten nach Südosten parallel aneinander hinliefen. Beide waren nicht hoch – kaum über achthundert Fuß –, doch insoweit verschieden voneinander, als die südliche nur sanft ansteigende, zedernbewaldete Abhänge zeigte, während die nördliche als massiver roter Sandsteinwall senkrecht aus dem ebenen Boden emporragte. Ich glaubte übrigens zu bemerken, daß der südliche Abhang der südlichen Bergkette ebenfalls mauerähnlich abfiel und daß der nördliche Abhang der nördlichen Felsenreihe sich sanft gegen Norden senkte. – Es ist dies eine Eigentümlichkeit der meisten der einander parallel laufenden Bergketten in den Navajo-Territorien, und es hat ganz den Anschein, als ob einst die ungeheuren Gesteinslagen des hohen Plateaus vielfach linienweise durchbrochen und die solchergestalt entstandenen langen Felder auf der einen Seite furchenähnlich aus dem Boden emporgehoben worden seien, während die andere Seite in der ursprünglichen Ebene haften blieb. Diese Revolution schreibt man, beim oberflächlichen Hinblick auf diese, gern den frühesten Wirkungen der San Francisco Mountains und des noch näheren Mount Taylor zu; bei genauerer Forschung aber ist man mehr geneigt, das Erhebungssystem der Kette der Rocky Mountains als Grund hierfür anzunehmen.
Der nördliche Abhang bildete indessen keine fortlaufende, zusammenhängende Felswand, sondern dadurch, daß das Wasser Jahrtausende hindurch in den Querrissen des gehobenen Jochs niedergeströmt war, hatten die Spalten sich allmählich zu Schluchten erweitert, und wie mächtige Wälle reihten sich nun die halb getrennten Berge aneinander. Der Weg führte uns in der Entfernung von ungefähr vier Meilen an der Felsenreihe hin, so daß wir rückwärts und vorwärts schauend eine weite Strecke derselben zu überblicken vermochten, und wie an den imposanten Formationen, so erfreute ich mich nicht weniger an dem prachtvollen Farbenspiel, das durch die verschiedenen Entfernungen bewirkt wurde. Hochrot erschienen die zunächst gelegenen Sandsteinmauern; stufenweise nahmen diese eine violette Färbung an, in der, durch die Atmosphäre erzeugt, das Blau immer mehr vorherrschte, bis es endlich mit den duftigen Schatten entfernterer Gebirgszüge und namentlich des auf breiter Basis ruhenden Mount Taylor zusammenfiel.
Nach dreistündigem Ritt erblickten wir den See und lenkten sogleich auf diesen zu. Er schien noch einen hohen Wasserstand zu haben, obwohl die Tiere weit in denselben hineinwaten konnten, ehe auf dem festen Boden ihre Hufe vom Wasser bedeckt wurden, und es läßt sich wohl annehmen, daß in trockenen Jahreszeiten nur eine kleine Lache vom See zurückbleibt, der zur Zeit meiner Anwesenheit dort einen Flächenraum von wenigstens fünfzig Morgen bedeckte und dessen Stand wohl größtenteils unmittelbar von der Masse der niederschlagenden Feuchtigkeiten bestimmt wird. Der Aufenthalt am See war nur kurz; wir tränkten die Herde, füllten Feldflaschen und Krüge und setzten uns dann wieder in Bewegung auf der staubigen Straße, die uns in gerader Richtung zum Mount Taylor führte.
Nach einem Marsch von einundzwanzig Meilen hielten wir in einer lichten Zedernwaldung an; Wasser war nicht in der Nähe, dagegen erblickten wir erträglich gutes Gras, und so beschlossen wir denn, an jener Stelle zu übernachten. Der kalte Wind, der gegen Abend aufgesprungen war, wehte bis zum folgenden Morgen, und bald nach Mitternacht gesellte sich zu dem melancholischen Gesang desselben auch noch das eigentümliche Geräusch vieler Tausende von Schafen und Ziegen, die herdenweise von den durch die Apachen erschreckten Navajos an unserem Lager vorbei und tiefer in die Gebirge getrieben wurden. Mehrere Stunden hindurch dauerte diese Störung, denn kaum war das Geblöke und Gemecker einer Herde im Heulen des Windes verklungen, als von der anderen Seite der Lärm einer sich nähernden uns zugetragen wurde und es aufs neue die Aufmerksamkeit aller Leute erheischte, um nicht in der Verwirrung einige Maultiere mit den Navajos davongehen zu lassen.
Der Tag brach endlich an, und mit dem ersten Schimmer der Sonne stellten sich auch eine Anzahl der Eingeborenen jeglichen Alters und Geschlechts bei uns ein, die in tönernen Gefäßen Schaf- und Ziegenmilch zum Verkauf anboten. Gefäße sowohl wie Milch sahen nicht übermäßig sauber aus, doch mit dem schwarzen Kaffee auf dem Tisch und der weißen Milch vor unseren Augen überwanden wir leicht jedes andere Gefühl und suchten bei unserer Gesellschaft nach den letzten kleinen Münzen, für die wir von den Eingeborenen mehr Milch erhielten, als wir zum Frühmahl brauchten, so daß wir noch einige Flaschen damit anfüllen und bis zum nächsten Lager mitführen konnten.
Der dörrende Wind wehte noch immer mit Heftigkeit, und eisig kalt war die Luft, als wir das Lager verließen und in südöstlicher Richtung der westlichen Basis des Mount Taylor zu zogen. Der Boden senkte sich sanft gegen Osten, und da nunmehr niedriges, spärliches Gestrüpp die Stelle der lichten Zedernwaldung einnahm, so erhielten wir sehr bald eine volle Aussicht auf den ausgebrannten Vulkan, der jetzt in majestätischer Ruhe vor uns lag. Einen merkwürdigen Anblick gewährte dieser Berg, dessen regelmäßige, weit gedehnte Form fast den ganzen südwestlichen Horizont begrenzte und dessen Höhe weniger hervortrat, weil die Anhänge sich nach allen Seiten hin nur sanft senkten und die Basis so viele Meilen weit vom Mittelpunkt hinausrückten. Die Höhe des Gipfels über der Basis schätzte ich auf viertausend Fuß und die Entfernung der letzteren von dem alten Krater durchschnittlich auf nicht weniger als fünfundzwanzig Meilen. Wir befanden uns nahe genug, um die Formen und Linien an den Abhängen genau unterscheiden zu können, und ich erkannte leicht die unglaublich großen Lavamassen, die, einst niederwärts rollend, das flüssige Gestein stromweise viele Meilen weit in die Ebenen hinausgedrängt hatten. An einigen Stellen bildeten sie Erhebungen der in breiten Schichten übereinander abgekühlten Lava, an anderen wieder schluchtähnliche Vertiefungen, als ob der glühende Strom das schon Verhärtete wieder geschmolzen und in gewaltigem, unwiderstehlichem Andrang mit sich fortgerissen hätte. In der Ebene nun, unmittelbar an der Basis, erhoben sich Berge und Hügelketten von massiver Lava, und Ströme von derselben fest zusammengebackenen Masse liefen wie Strahlen vom Berg nach allen Richtungen hin durch das Land. Wir überschritten einige dieser schwarzen, gewundenen Wälle, und zwar an Stellen, an denen schon seit Jahren die Kommunikation hinübergeführt hatte, doch unverändert hatte sich die scharfe Kruste unter dem Druck der eisenbeschlagenen Hufe und Wagenräder erhalten, und nur durch den Sand in den Fugen und durch die an Vorsprüngen zurückgebliebenen Eisenteilchen zeichneten sich solche Übergangsstellen aus.
Nach Zurücklegung von achtzehn Meilen erreichten wir eine umfangreiche, grasige Ebene, in der sich mehrere tiefe Lachen befanden und die als Lagerplatz aller dort Vorüberreisenden unter dem Namen »Blue water« oder Blaues Wasser bekannt ist. Was zu einer solchen Benennung Veranlassung gegeben hat, vermochte ich nicht zu erraten, denn das Wasser spiegelte den wolkenlosen Himmel nicht blauer als jedes andere, und an sich trug es die Farbe, die dergleichen stehenden Gewässern eigentümlich und die nichts weniger als blau ist.
Wir trafen dort mit acht Mexikanern zusammen, die sich mit Packtieren und Waren auf dem Weg zu den Navajos befanden, um dort Tauschhandel zu treiben. Auch der wandernde Geistliche, der in Fort Defiance Gottesdienst abgehalten hatte, langte bald nach uns am »Blue water« an, wo er gleich uns zu übernachten beabsichtigte. Der Pater selbst fuhr in einem leichten, mit zwei Maultieren bespannten Wägelchen, seine beiden Diener begleiteten ihn zu Pferde, ebenso einige Soldaten, die auf der Reise durch die Länder der Navajos für die Sicherheit des frommen Mannes Sorge zu tragen hatten.
Lieutenant Ives hatte schon in Fort Defiance Freundschaft mit dem Geistlichen geschlossen, und da letzterer vermöge seiner besseren Tiere soviel schneller als wir reiste, so kam Lieutenant Ives die Bekanntschaft jetzt sehr zustatten, indem er sich dem Pater anschließen und mit ihm zwei Tage vor uns Albuquerque erreichen konnte. Es war dies um so wünschenswerter, als an jenem Ort die Expedition aufgelöst werden sollte und zum Zweck des Ablohnens der Leute das nötige Geld möglicherweise von Santa Fé herbeigeschafft werden mußte. Die Rechnungen schloß Lieutenant Ives übrigens schon im Lager am »Blue water« ab, auch mit uns verständigte er sich über unsere Heimreise. Er versprach, da er uns fest entschlossen fand, den Ritt durch die Steppen zu unternehmen, einen Wagen mit der hinreichenden Bespannung, Reittiere für uns und außerdem drei Diener zu stellen, was unsere Gesellschaft, die aus Peacock, Dr. Newberry, Egloffstein und mir bestand, auf sieben Mann brachte.
Wir kamen also mit unseren Verabredungen zu Rande; Albuquerque wurde zum Ort des Aufbruchs bestimmt, dort sollten wir unsere Ausrüstung und Geldmittel in Empfang nehmen, und während Lieutenant Ives, den die dringendsten Geschäfte nach Fort Yuma und San Franzisko zurückriefen, seine Pläne zur Rückreise nach Kalifornien mittels Postgelegenheit auf der Gilastraße entwarf, träumten wir nur von Grasebenen und Büffelherden und wünschten uns gegenseitig Glück zu dem herrlichen Ende unserer mühseligen Expedition, auf der wir während einer Reihe von Monaten mit Hindernissen der drohendsten Art zu kämpfen hatten.
Vor Einbruch der Nacht begab ich mich in der Gesellschaft des Dr. Newberry zum Rand der Blue-Water-Ebene, wo der Anblick weißer Felsformation unsere Aufmerksamkeit erregte. Wir fanden dort Kalkstein, der reich mit großen fossilen Muscheln angefüllt war, und es gelang uns endlich nach vieler Arbeit, Proben des harten Gesteins selbst sowie auch einige Exemplare der verschiedenen Muscheln loszusprengen. Dr. Newberry glaubte dieselbe Formation wiederzuerkennen, die wir zwei Tagereisen nördlich von Iretébas Abschiedslager entdeckt hatten, was sehr leicht erklärlich ist, wenn man annimmt, daß der granitische Kern der Rocky Mountains auf der Wasserscheide dieses Gebirgszugs, die auch unter dem Namen Sierra Madre bekannt ist, die ihn deckenden Gesteinslagen gehoben und durchbrochen hat. Denn wie man auf den westlichen Abhängen ansteigend von der Triasformation über die jurassische und untere Kohlenformation bis zum Granit gelangt und alle Formationen mehr oder weniger mit Lavaströmen bedeckt findet, so wiederholen sich auf den östlichen Abhängen dieselben Formationen in entgegengesetzter Ordnung ebenfalls, und zwar noch in höherem Grad überdeckt mit den Auswürfen des Mount Taylor.
Die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Ozean und der Südsee hatten wir am »Blue water« schon längst überschritten, und nach Captain Whipples Beobachtungen, die von den in Fort Defiance angestellten um ein geringes abweichen, stieg und senkte sich unsere Straße in folgender Weise: das Lager bei Zuñi befand sich 6336 Fuß über dem Meeresspiegel; Ojo del Poso 6400, Fort Defiance 6860, der Punkt nahe unserem ersten Lager östlich des Forts 6622, nahe der Wasserscheide in Campbells Paß 6952, am »Agua azul« oder »Blue water« 6852 und das folgende Lager, genannt Hay Camp, 6080 Fuß, und von dort ab verringerte sich die Erhebung langsam und gleichmäßig bis zu den Ufern des Rio Grande.
Am »Blue water« befanden wir uns im Tal eines der Zuflüsse des Rio San José, und am 28. Mai unsere Reise in demselben fortsetzend, gelangten wir bald zu dem Fluß selbst, dessen trockenes Bett und Tal für den übrigen Teil des Tages unseren Weg bezeichneten. Bald auf sandigem, unfruchtbarem Boden, bald durch abgeweidete Wiesen hinziehend und vielfach breite Lavawälle überschreitend, näherten wir uns allmählich dem Punkt, wo die Camino de Obispo,»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 262. derselbe Weg, den ich vor Jahren mit Captain Whipple zog, in unsere Straße mündete. Umfangreiche Wiesen wechselten hier mit mächtigen Lavaanhäufungen ab, und mit Rücksicht darauf, daß die Besatzungstruppen von Fort Defiance dort mehrfach Heu geerntet hatten, war jener Stelle der Name Hay Camp beigelegt worden.
Unser Marsch betrug zwanzig Meilen, und da wir in einiger Entfernung vor uns die Zelte einer anderen Karawane erblickten, so hielten wir bei dem ersten Wasser, das wir fanden, und lagerten dort, trotzdem dieses, in Pfützen stehend, einen starken Beigeschmack von Magnesia führte, während weiter unterhalb gutes, trinkbares Wasser kristallklar unter dem schwarzen Gestein hervorrieselte. Ich wanderte zu dem anderen Lager hinüber und traf dort einen amerikanischen Captain, Mr. Hatch, der sich mit einem Militärkommando auf der Reise nach Fort Defiance befand. Der Futtermangel auf jener Station hatte nämlich Veranlassung dazu gegeben, daß die Pferde der Dragoner zur Überwinterung an den Rio Grande geschickt worden waren, und Captain Hatch stand jetzt im Begriff, diese wieder zurückzubringen.
Es waren lauter schöne, große Pferde, nach meiner Ansicht jedoch zu schwer für den Dienst, zu dem man sie bestimmt hatte, und die auf solchen Pferden berittenen Dragoner oder Jäger können nie auf den Namen einer leichten Kavallerie Anspruch machen. Wie weit schwere Kavallerie in Gebirgsgegenden, sowohl mit Rücksicht auf die Bewegungen als auch auf die Mühe, die es kostet, die Pferde zu erhalten, hinter der leichten zurücksteht, das haben die Erfahrungen schon tausendfach gelehrt, und um so weniger begreife ich, warum die für die westlichen Regionen bestimmte Reiterei nicht statt der großen, eleganten Kürassierpferde die an Entbehrungen und Witterungseinflüsse gewöhnten, leicht beweglichen indianischen Ponys erhält.
Wie vor Jahren, so kletterte ich auch diesmal auf den Lavamassen umher, die überall noch so aussahen, als wenn sie eben erst erkaltet seien und die in halbflüssigem Zustand zu den merkwürdigsten Formen zusammengedrängt und -geschoben worden waren. Mit dem größten Interesse beobachtete ich die Eichhörnchen, welche die Höhlen des vielfach geborstenen und gesprungenen Gesteins schon seit undenklichen Zeiten zu ihrem Aufenthalt gewählt hatten und die nun, als ich über die metallähnlich tönende Masse hinschritt, neugierig an die Oberwelt eilten, mich mit ihren schönen, schwarzen Augen einen Moment betrachteten und dann wieder blitzschnell verschwanden. Auch die prachtvollen Blüten der Kakteen erfreuten mich, und gewiß bildeten diese fleischigen, saftreichen Pflanzen mit ihrem schimmernden Schmuck den grellsten Kontrast zu dem einfarbigen Gestein, in dessen Ritzen sie notdürftig Wurzel geschlagen hatten.
Nur eine kurze Strecke zogen wir am 29. Mai noch auf der Ostseite des San José zwischen den Lavaanhäufungen und einer abschüssigen Hügelkette dahin und überschritten dann an der Stelle, wo Captain Hatch gelagert hatte, das Flüßchen sowie auch einige kurz aufeinanderfolgende Lavawälle. Vier Meilen führte die Straße noch im Tal des San José weiter, der bald durch grasreiche Wiesen hinglitt, bald zwischen Lavablöcken hindurchschäumte, bis er endlich in ein weites Tal einbog und sich am westlichen Rand desselben herumschlängelte. Wir überschritten dort abermals das Flüßchen und befanden uns sodann im Tal von Covero,»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 262. durch welche Stadt der Weg uns in südöstlicher Richtung führte.
In Covero hielten wir nur lange genug, um die Gastfreundschaft eines rothaarigen Amerikaners in Anspruch zu nehmen, der uns mit einem Glas verdünnten Brandy bewirtete. Den Geschmack des widrigen, aber doch erwärmenden Stoffes verdrängten wir durch einen tüchtigen Trank aus der Quelle, die im Mittelpunkt der Stadt, aus massivem Gestein sprudelnd, diese mit Wasser versorgt; auch unsere Flaschen füllten wir aus der freigebigen Quelle und zogen dann durch die breite Schlucht dem Tal von Laguna zu, in dessen Mitte wir nach einem Marsch von siebzehn Meilen an einem fließenden Bach unser Lager aufschlugen.
Wie ganz anders erschien mir das Tal, das ich früher im herbstlichen Kleid und geschmückt mit mehreren breiten Wasserspiegeln kennengelernt hatte! Das letzte Grün hatte der Winter mit fortgenommen, und einfarbig und öde nahm sich jetzt die ganze Umgebung aus. Die größtenteils vertrockneten Seen, das Wasser in den Kanälen und Bächen, die Felder und die Wiesen, die zerstreut umherliegenden Ansiedlungen und die Kalksteinplateaus – alles trug eine gelblich-graue Farbe, und nur entferntere Gebirgszüge und die düsteren Abhänge des Mount Taylor unterbrachen einigermaßen die ermüdende Eintönigkeit.
Schon in aller Frühe des 30. Mai erreichten wir Pueblo de la Laguña, das auf dem linken Ufer des San José liegt. Indianische Wohnungen und mexikanische Häuser reihen sich bunt aneinander, und obgleich die Indianer hier in der Mehrzahl sind, so erblickt man auf den Straßen und in der nächsten Umgebung der Stadt vieles, was das mexikanische Element verrät; ich meine die widrige Unsauberkeit, wohin vor allem die von der Luft gedörrten Kadaver von Hunden und Vieh jeder Art gehören – ein Übelstand, den ich sonst an den indianischen Pueblos nur in geringerem Grad bemerkt hatte.
Da der Train eine Strecke hinter uns zurückgeblieben war, so beschlossen Dr. Newberry und ich, in irgendeinem Haus einzukehren, und zwar ließen wir uns in der Wahl durch die ansprechende äußere Erscheinung eines Gehöfts leiten, das etwas abgesondert von den übrigen Wohnungen lag. Wir hatten glücklich gewählt, denn als wir eintraten, wurden wir von einem Amerikaner und seiner Frau bewillkommnet, und gewiß konnte es uns nur auf das angenehmste berühren, als wir bemerkten, daß die Frau, nachdem sie ihre beiden Kinder sonntäglich gekleidet hatte, sogleich zur Bereitung eines frugalen Frühstücks schritt.
Der Mann war ein Baptistenmissionar, und er sowohl wie seine Gattin erschienen mir als überaus achtenswerte Leute. Es ist wahr, man fand dort nicht die umfassenden Kenntnisse und die Bildung, die im allgemeinen von der Geistlichkeit verlangt wird und ohne die inmitten einer in jeder Beziehung fortschreitenden Zivilisation das Amt eines christlichen Hirten gar nicht mehr denkbar ist. Ebenso vermißte man die salbungsreichen Worte und die gottergebenen, schmachtenden Blicke, nach denen leider nur zu oft die Würde und das Talent der höheren Geistlichkeit bestimmt werden; doch wurde man wohltuend berührt durch die kindliche Einfalt und einfache, aber wahre Religiosität, die sich in den Worten und Gedanken des Missionars ausdrückten. Wir unterhielten uns vorzugsweise über das Land selbst, und um keinen Preis hätte ich dazu lächeln mögen, als der Missionar von seinen dort während eines Zeitraums von vier Jahren gesammelten Erfahrungen sprach, die er sorgfältig niedergeschrieben hatte und im nächsten Jahr nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten zu veröffentlichen beabsichtigte. Eine seiner wichtigsten Entdeckungen, die nach der Ansicht des braven Mannes allgemeines Erstaunen hervorrufen mußte, war, daß das Gestein an den Abhängen des Mount Taylor einst flüssig gewesen sei.
»Es klingt unglaublich«, sprach der Missionar, »daß wirklich Felsmassen einst wie Flüsse und Bäche durch das Land rieselten; aber tagelang habe ich mich forschend an jenen Abhängen aufgehalten; aufmerksam habe ich das Gestein geprüft, und so bin ich denn endlich so weit gelangt, daß ich mit reinem Gewissen die Behauptung aufstellen kann, daß jener Berg, dessen Basis bis in unser Tal hineinreicht, sich in flüssigem und glühend heißem Zustand befand. Man wird es bezweifeln, doch gegen Zweifel bin ich gerüstet mit mühselig eingesammelter Erfahrung und aus daraus gewonnener Überzeugung.« So äußerte sich der Missionar über die Geologie des dortigen Landes, aber weder der Doktor noch ich lächelten über die Einfalt; ebensowenig versuchten wir die Illusionen des Mannes durch Unterweisungen zu stören. Herzlich erfreute es mich, als ich die Duldsamkeit des Missionars in Religionsangelegenheiten bemerkte, denn ohne Neid und Eifer setzte er uns davon in Kenntnis, daß er sich mit einem katholischen Priester in die einzige Kirche von Laguña teile, abwechselnd mit diesem Gottesdienst abhalte; daß er vorzugsweise Indianer zu seinen Zuhörern zähle und sich mit dem Unterrichten von deren Kindern beschäftige.
Unser Train hatte schon längst die Stadt verlassen und das Flüßchen überschritten, als wir dem Missionar und seiner kleinen Familie die Hand zum Abschied herzlich drückten. Alle begleiteten uns bis zur Tür, und als wir im Sattel saßen, zeigte uns der gefällige Mann eine Furt im San José, durch die wir in einer näheren Richtung in die Hauptstraße gelangten, auf der unsere Gefährten schon weit vorausgezogen waren.
Allmählich ansteigend erreichten wir das Plateau, auf dem die Ruinen einer alten Indianerstadt»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 257. liegen. Unser Weg bestand dort aus massivem, zusammenhängendem Gestein, und es erforderte einige Vorsicht, auf der Westseite des Plateaus in das Tal des gekrümmten San José niederzusteigen, indem die Hufe der Tiere auf der abschüssigen Steinfläche keinen Halt zu finden vermochten.
Nahe der Stelle, an der ich im Jahre 1853 am 11. und 12. November gemeinschaftlich mit Lieutenant Ives und einer kleinen Abteilung gelagert hatte, um die Ankunft des Captain Whipple mit der Hauptexpedition zu erwarten, holten wir die letzten Nachzügler ein, und vereinigt mit diesen folgten wir der Straße, die am Fuße des südlichen Plateaus hinführte. Nach einem Marsch von sechs Meilen erreichten wir das Ende der mit natürlichen Türmen und Mauern malerisch geschmückten Höhen und befanden uns dann auf einer der sandigen, wellenförmigen Ebenen, an denen Neu-Mexiko so reich ist und die außer verkrüppelten Zedern, die sich strichweise in lichte Waldungen zusammendrängen, kaum eine andere Vegetation zeigen. Hier nun gewannen wir eine volle Aussicht auf die imposanten Gebirgszüge, die in jener Breite das Tal des Rio Grande charakterisieren und über deren Entfernung man sich bei der außerordentlichen Klarheit der Atmosphäre immer so sehr täuscht. So hatten wir in östlicher Richtung die stolzen Gipfel des Sandiagebirges vor uns, das mit seiner nördlichen Verlängerung das Placergebirge teilweise verdeckte. Gegen Südosten ragten die gewaltigen Formen der Manzanaberge und gegen Süden die schöne Sierra de los Ladrones empor. Alle diese Berge schimmerten in einem so schönen Blau, und durch dieses hindurch vermochte man wie durch einen Schleier die Formationen und Farben so deutlich zu erkennen, daß man gern die Blicke von der wüstenähnlichen Umgebung wandte, um sie auf jenen Höhen haften zu lassen, die als stumme Zeugen schon seit Jahrtausenden auf den an ihnen vorbeieilenden Strom niedergeschaut hatten.
Nach einem beschwerlichen Marsch von fünfundzwanzig Meilen erreichten wir endlich das Tal des Rio Puerco, der über dreihundert Fuß tiefer ein weites Tal bewässerte. Wir wanden uns an den Abhängen der Hügel hinunter und errichteten die Zelte auf dem Ufer des Flusses, der zwar schmal war, aber dickes, lehmiges Wasser in großen Massen führte. Seit langer Zeit hatten wir kein übleres Lager kennengelernt; denn außer daß trockener, lehmiger Boden ohne jede Vegetation die Oberfläche des Tals bildete, konnten die Tiere auch nur in der schmalen Furt oder mittels Gefäßen getränkt werden, indem die aufgeweichten Ufer sowie der Boden des Flüßchens selbst nicht die geringste Last zu tragen vermochten und jedem sich nähernden Tier mit Untergang drohten.
Nicht ohne Gefahr und mit größter Mühe gelang es uns, am folgenden Morgen unseren Train durch den angeschwollenen Puerco zu schaffen, wir hatten indes keinen Verlust zu beklagen, und auf dem linken Ufer desselben gleichmäßig, aber stark aufsteigend, erreichten wir bald die letzte Höhe, die uns noch vom Rio Grande trennte. Dort oben erwartete uns ein ähnlicher Anblick wie am vorhergehenden Tag, nur mit dem Unterschied, daß der Sand loser und tiefer und die Vegetation spärlicher und kümmerlicher wurde. Eidechsen und Hornfrösche mancher Art schienen dagegen dort zu Hause zu sein, denn auf all meinen Reisen erblickte ich nie zahlreichere Exemplare und Varietäten auf geringem Raum als gerade dort. Der Wind hatte sich gelegt, heller Sonnenschein erwärmte den feinen Sand, und so lagen sie denn regungslos umher, die schön gezeichneten Tierchen; den Rachen hielten sie weit geöffnet, und augenscheinlich mit Wollust atmeten sie nach der winterlichen Kälte sowie nach langdauernder Erstarrung die warme Luft ein.
Mehrere Stunden waren wir geritten, als der Boden sich plötzlich vor uns senkte und wir die erste Aussicht auf den Rio Grande und sein Tal gewannen. Ich hielt an, denn vor mir erblickte ich den breiten Strom mit seinem niedrigen, ebenen Tal und der wüsten Taleinfassung, die grauen Städte und Dörfer mit ihren grünenden Obstgärten, die bei dem gänzlichen Mangel an Waldungen mit Oasen zu vergleichen waren. Da sah ich auch vor mir die Stadt Albuquerque und die alte Lagerstelle, an welchen Ort sich so manche angenehme Erinnerungen knüpften. Zahlreiche Wege zogen sich wie gelbe Bänder von dem Punkt aus, wo ich stand, niederwärts, jeder Weg hatte sein eigenes Ziel, und wenn es auch nur ein kleines Gehöft war. Wir wählten die Straße, welche dahin führte, wo wir durch das Fernrohr eine Fähre entdeckten; denn die dunkelbraune Farbe des Wassers und der Umstand, daß der Strom sein Bett vollständig ausfüllte und die niedrig gelegenen Wiesen teilweise überschwemmte, bewiesen uns, daß ein Durchwaten desselben zu den Unmöglichkeiten gehöre.
Als wir in das Tal hinabgelangten, wurden wir durch den hohen Wasserstand zu manchem Umweg gezwungen, denn die Kanäle, die zur Befruchtung des Bodens nach allen Richtungen hin aufgegraben und geöffnet waren, hatten das schwere, lehmige Erdreich in klebrigen Morast verwandelt und die Wege zum Teil unter Wasser gesetzt. Auch die Straßen der Stadt Atrisco, die in geringer Entfernung vom Fluß liegt, wurden mit kleinen Booten befahren, doch ragte zwischen dieser und dem Strombett ein schmaler Wiesenstreifen aus dem Wasserspiegel hervor; und weil an demselben die Fähre anlegte, so beschlossen wir, hier die Zeit bis zu unserem Hinüberschiffen zuzubringen.
Obgleich die höchsten Stellen der Wiese sich kaum 6 Zoll über dem sie umgebenden Wasser erhoben, fanden wir den Boden doch trocken genug, um hier zu lagern, und da der Tag zu weit vorgerückt war, um noch mit dem Einschiffen beginnen zu können, so ließen wir uns hart am Uferrand häuslich nieder, schlugen die Zelte auf, und in kurzer Zeit dufteten kräftige Speisen über den Lagerfeuern, wozu uns einige Mexikaner das Holz sowie auch Eier und Zwiebeln lieferten, das heißt, gegen das Versprechen, sie am folgenden Tag mit barer Münze zu bezahlen.
Wenn ich unvermutet auf das Ufer des Rio Grande versetzt worden wäre, so würde ich wohl schwerlich den Fluß wiedererkannt haben, durch den ich einst ritt, ohne vom Maultier herab mir die Füße zu netzen, und dessen Bett damals aus einer Reihe von Sandbänken gebildet war, zwischen denen das gelbliche Wasser träge hinrieselte oder auch pfuhlweise stillstand. Denn abgesehen davon, daß der Strom jetzt mit den angrenzenden Ebenen eine ununterbrochene Fläche bildete, tobte das Wasser mit einer solchen Wut dahin, daß man eine Reihe von aufeinanderfolgenden Stromschnellen vor sich zu sehen glaubte; und nicht ohne Besorgnis dachte ich an unsere entkräfteten Tiere, welche die reißende Flut durchschwimmen sollten.
Der Rio Grande befindet sich bei Atrisco übrigens in einer Höhe von 5030 Fuß über dem Niveau des Meeres; daher kann die furchtbare Strömung nicht überraschen, mit der die Schneewasser der zahlreichen Gebirge in diesem einzigen Kanal dem Golf von Mexiko zueilen.
Um Nachrichten von Lieutenant Ives einzuziehen, der schon am vorhergehenden Tag den Rio Grande erreicht hatte, zugleich aber auch, um auf der Militärstation in Albuquerque unsere Ankunft zu melden und neue Lebensmittel zu beziehen, ließ sich Peacock sogleich in einem kleinen Boot über den Fluß setzen. Er kehrte vor Einbruch der Nacht zurück und teilte uns mit, daß Lieutenant Ives gleich weiter nach Santa Fé gereist sei, um dort Geld abzuheben und daß uns nichts im Wege stehe, sobald wie möglich den Rio Grande zu überschreiten und auf dem linken Ufer desselben vorläufig unser Standquartier zu errichten. Auch von Fort Yuma brachte er uns Nachricht, und zwar die angenehmste, die wir nur wünschen konnten, nämlich, daß unsere kleine »Explorer« ohne Unfall die Rückreise auf dem Colorado bewerkstelligt habe, und ferner, daß man in Fort Yuma sich um unser Schicksal beunruhige, indem selbst die dort verkehrenden Indianer, sowohl die vom Gila als die vom Colorado, weiter nichts über unsern Verbleib wußten, als daß wir nördlich gezogen seien. Über den Mormonenkrieg erfuhren wir nur Unbestimmtes; die Mormonen hatten die Gebirgspässe befestigt und besetzt, und die amerikanischen Truppen, die während des Winters furchtbar gelitten hatten, zogen immer mehr Verstärkungen an sich, um beim Beginn des Sommers den Krieg mit Nachdruck eröffnen zu können.
Außer diesen Neuigkeiten brachte Peacock noch ein gefülltes Fläschchen, und so hatten wir denn weiter keine Ursache, während des Abends mit unserem Los am Ufer des Rio Grande unzufrieden zu sein.