Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2
Balduin Möllhausen

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Vierunddreißigstes Kapitel

Das Lager bei Fort Union – Wahl des Reisehauptmanns – Erfolgreiches Angeln – Ankunft der Post vom Missouri – Leroux' Söhne – Fort Union und seine Lage – Aufbruch von Fort Union – Erzählung von Ben Shaws Ermordung durch die Apachen – Lager im Apache-Cañon – Übles Verhältnis zwischen der Expedition und der Eskorte – Lager am Canadian River – Erfolgreiches Angeln – Reise durch die Prärie am Point of Rocks vorbei – Lager nahe White's Massacre – Wetzstein Creek – Der Emigrantentrain – Die beiden hübschen Emigrantinnen – Gänzliche Trennung von der Eskorte – Rabbit Ear Creek – Cottonwood Creek – MacNisse Creek – Cedar Creek – Lager am Cool Creek

Auf abschüssigem Weg gelangten wir in die Ebene hinab und wandten uns dann einem abgesondert stehenden Haus zu, vor dessen Tür wir einige Offiziere erblickten. Man hieß uns freundlich willkommen und bezeichnete uns in geringer Entfernung von dem Posten einen tiefen Teich, dessen grasreiche Umgebung sich vortrefflich zum Lager eignete. Holz war dort freilich nicht vorhanden, doch wurde uns dieses sowie auch Mais im Überfluß von dem sehr gefälligen Quartiermeister des Postens nachgesandt, und es erging auch zugleich die Weisung an uns, alles, was wir nur irgend noch während unseres Aufenthalts daselbst oder zu unserer ferneren Reise gebrauchen sollten, zu nennen und zu beziehen. Ferner riet man uns, einige Tage dort zu verweilen, um die Tiere bei gutem Futter noch einige Kräfte sammeln zu lassen, sowie einem gewissen Captain Gibs und seiner Familie Gelegenheit zu geben, sich zur Reise an den Missouri uns anschließen zu können. Wir waren natürlich mit Freuden bereit dazu, obgleich wir die Eskorte sehr gern an Captain Gibs abgetreten hätten und ohne Verzug weitergereist wären. Die große Freundlichkeit der Offiziere sowie das angenehme Leben in unserem Lager, wo es uns nicht an Bequemlichkeiten und Unterhaltung fehlte, entschädigte uns übrigens reichlich für den Verlust an Zeit; nur Captain Gibs, der vereint mit uns die Prärien zu durchreisen beabsichtigte, hielt sich fern von uns, und wir wußten keinen anderen Grund dafür zu finden, als daß er vielleicht gesonnen war, als ältester Offizier gleichsam der Kommandeur unserer ganz unabhängigen Gesellschaft zu werden. Es ist nämlich Sitte bei Reisenden oder Emigranten, die im Begriff stehen, die Grasfluren zu durchwandern, unter sich einen Captain zu wählen, dessen Anordnungen Folge zu leisten sich jedes Mitglied der Gesellschaft auf die Dauer der Reise verpflichtet. Auch wir vier schritten zu einer solchen Wahl; und zwar kamen wir überein, unseren Freund Peacock, der jene Straße so genau kannte, als unseren Reisehauptmann anzuerkennen und keinem anderen Menschen – ob nun von weißer, roter oder schwarzer Farbe, ob Freund oder Feind – eine Einmischung in unsere Angelegenheiten zu gestatten.

Bis zum 23. Juni blieben wir in Fort Union – also fünf Tage – und fanden durchaus keine Ursache, über Langeweile zu klagen, denn jede Stunde, die möglicherweise dem Müßiggang hätte gewidmet sein können, brachten wir mit Angeln hin. Da es nur fünf Schritte von unserer Zelttür bis zu dem fast bodenlosen Teich war, so wurde es uns leicht, ständig einen Vorrat von wohlschmeckenden Fischen für unsere Küche zu halten, und ich erinnere mich, an einzelnen Tagen über achtzig Stück schnell hintereinander aus dem Wasser gezogen zu haben. Waren der Doktor und ich unermüdlich im Angeln, so erwiesen sich O'Connor und Wigham unermüdlich im Schuppen und Reinigen der Beute, und nur Egloffstein und Freund Peacock fanden Genuß darin, uns müßig zuzuschauen.

Außer den Fischen, unter denen ich nur eine einzige Art der Pomotis entdeckte, befanden sich in dem Teich zahllose gefleckte Salamander, die von Zeit zu Zeit, wie um Luft zu schöpfen, an die Oberfläche des Wassers kamen und ebenso schnell wieder verschwanden, als sie erschienen. Es gelang mir nicht, eines dieser absonderlichen Tiere zu erhaschen, doch zog ich ganz unvermutet einen schwarzen, riesenhaften Salamander, der wohl ein halbes Pfund wiegen mochte, aus der Tiefe. Der dickköpfige Geselle mit seinen gefiederten Kiemen und ungestaltenen Füßen schien mir einer noch unbekannten Art anzugehören, und ich trug Sorge, denselben wohlbehalten nach Washington zu schaffen.

Die Post der Vereinigten Staaten, die in diesen Tagen vom Missouri eintraf, brachte nur unwesentliche Neuigkeiten; auf dem Kriegsschauplatz, am Großen Salzsee, war wenigstens noch nichts von Bedeutung vorgefallen; man rüstete mit Macht auf beiden Seiten, man zeigte sich die Zähne, stieß die fürchterlichsten Drohungen aus, doch gewann es den Anschein, als ob es dabei bleiben sollte und als ob sich das Recht nach der Seite neige, wo das meiste Geld vorhanden war. Es entging mir übrigens nicht, daß die Vereinigten Staaten ihre Mormonenfeinde weit unterschätzten und, wie aus ihren unverantwortlich schwachen Truppensendungen leicht zu schließen war, ähnlich wie im mexikanischen Krieg drei Mormonen auf einen Amerikaner rechneten. Ich mag nicht leugnen, daß ich vor den Amerikanern auch als Soldaten die größte Achtung hege, doch kann es keinem Zweifel unterliefen, daß in einem Guerillakrieg der einzelne Mormone vollkommen soviel wert ist wie der einzelne Amerikaner und in manchen Fällen vermöge seiner in der Wildnis gesammelten Erfahrungen denselben noch überwiegt.

Unter den Passagieren, die den Postwagen zu Pferd begleiteten, befanden sich auch zwei Söhne meines alten Freundes Leroux, zwei hübsche junge Burschen von siebzehn bis zwanzig Jahren. Sie kamen von St. Louis, wo sie die Schule besucht hatten, und ihr nächstes Ziel war Taos, der Aufenthaltsort ihrer Eltern. Ich freute mich, die Söhne meines alten Reisegefährten kennenzulernen, doch ist es wohl erklärlich, daß ich lieber ein Stündchen mit ihrem Vater verplaudert hätte. Es blieb mir also weiter nichts übrig, als dem alten Leroux meine herzlichsten Grüße zu senden.

Das Fort nun, das wie die meisten dergleichen Etablissements jeder Befestigung entbehrt und mehr militärische Ansiedlung als irgend etwas anderes ist, hat eine überaus günstige Lage, indem die Abhänge der höheren Ebene dasselbe gegen Nordwesten schützen, während gegen Osten und Südosten die Prärie sich ausdehnt und wie in einem Becken die erste Frühlingswärme auffängt, gleichsam um diese den Gärten und Feldern der Station zugute kommen zu lassen; aus denselben Gründen mag aber auch die Hitze des Sommers mitunter ans Unerträgliche grenzen. Reichlich Wasser befindet sich in der langgedehnten Senkung des Bodens, die sich ähnlich dem Bett eines Flusses von Norden nach Süden an dem Posten vorbeizieht und das Wasser eines bedeutenden Landstrichs aufnimmt, jedoch nur nach heftigen und anhaltenden Regen stromweise gegen Süden dem Moro zuführt. Für gewöhnlich zeigt das fast zugewachsene Flußbett nur eine Reihe abgesonderter, sehr tiefer und sumpfiger Teiche, die, nie vertrocknend, den angrenzenden Viehweiden den eigentlichen Wert verleihen.

Das Wasser, obgleich frei von alkalischen Bestandteilen, eignet sich nicht sonderlich zum Trinken und führt einen starken Beigeschmack von dem Moder, der in Unmassen den Boden der kleinen Seen deckt; dagegen befindet sich nur einige hundert Schritt entfernt von den südlichsten Gebäuden des Postens eine Quelle, die mehr schönes, klares Wasser liefert, als nötig wäre, um eine zehnfach größere Ansiedlung und eine zehnfach stärkere Besatzung damit zu versorgen. Um den Andrang des Viehs zurückzuhalten, hat man ein kleines Häuschen über der Quelle errichtet, die, aus ebener Erde hervorsprudelnd, sorgfältig vertieft und ausgemauert ist. Stundenlang saß ich zur heißen Mittagszeit dort unter dem schattigen Dach, schaute hinab in den vier Fuß tiefen, mit dem klarsten Wasser gefüllten Behälter und ergötzte mich an den Blasen, die ununterbrochen an verschiedenen Stellen des sandigen Bodens hervorquollen und das Überrieseln des Beckens bewirkten.

Eingeborene bemerkte ich in Fort Union gar nicht, auch nur wenige Mexikaner, und es schienen Leute, die in keiner Verbindung mit dem Posten standen, sich überhaupt fern von dort zu halten. Militärische Sauberkeit und Ordnung blickte überall durch; die Gebäude waren regelmäßig und fest von Adobes aufgeführt, und besonders sprachen mich die zierlichen Häuser der Offiziere und Beamten an, weil sie trotz der Einfachheit einer gewissen Behaglichkeit in der Einrichtung nicht entbehrten.

So angenehm uns die Zeit auch in Fort Union verstrich und so liebenswürdige Leute wir auch dort fanden, so waren wir doch sehr erfreut, als wir am 22. Juni Gewißheit erhielten, daß wir am folgenden Tag endlich unsere Reise antreten konnten. Wir verabredeten uns daher mit Lieutenant Tipton, dessen Kommando eine Meile von uns lagerte, mit ihm und Captain Gibs im Apache-Cañon zusammenzutreffen, um dort zu übernachten; und als am 23. Juni die ersten Sonnenstrahlen Fort Union beleuchteten, bestiegen wir unsere kräftigen Tiere, und dahin ging es in raschem Schritt auf der ebenen Straße.

Der Weg führte uns in nordwestlicher Richtung zwischen kurze Gebirgszüge hinein, so daß die Sierra de las Gallinas und die Wagon Mounds südlich von uns liegen blieben; doch nur kurze Zeit hemmten diese Höhen die freie Aussicht, und schon am Nachmittag konnte das Auge wieder ungehindert über die Ebene hinschweifen, die sich mehr und mehr vor uns auseinanderzurollen schien. Die ehrwürdigen Gipfel der Raton Mountains, der Taos Mountains, der Spanish Peaks und des Fisher's Peak dagegen, die sich in weitem Bogen von Nordosten nach Nordwesten hinzogen, blieben uns sichtbar, und nach mehreren Tagen beobachteten wir noch die weißhauptigen Berge, wie sie sich allmählich in einen duftigen Schleier verhüllten und unseren Blicken endlich ganz entschwanden.

Um die Mitte des Tages gewahrten wir die Eskorte mit ihrem Train, sie folgte in der Entfernung von sechs Meilen langsam unseren Spuren; als wir indessen durch die starken Schwellungen des Bodens die Aussicht auf sie verloren und auch auf der höher gelegenen weiten Ebene nicht wieder gewannen, gaben wir die Hoffnung auf, diese am Abend bei uns im Lager zu sehen, und kamen daher überein, uns, unsere Tiere und Sachen fortan selbst zu bewachen. Wir waren sieben Mann, und wir hielten den Koch für den einzigen unserer Gesellschaft, der während der Nacht nicht gestört werden durfte, weil bei unserem jedesmaligen Aufstehen das Frühstück bereitgehalten werden mußte. Es wurde diesem also die erste Tagesstunde für die Dauer der Reise als Wache zuerkannt, während wir übrigen uns in die Zeit von abends neun Uhr bis morgens um drei teilten und uns regelmäßig von Stunde zu Stunde ablösten. Wer an einem Tag um neun Uhr auf Wache zog, erhielt in der folgenden Nacht die Stunde zwischen zehn bis elf, in der darauffolgenden die zwischen elf und zwölf und immer so weiter, bis er die ganze Nacht durchgewacht hatte und wieder von vorn anfangen konnte. Wir bezweckten mit diesem Wechsel, uns gegenseitig das Leben soviel wie nur möglich zu erleichtern, denn da wir darauf angewiesen waren, Tag für Tag zwölf bis fünfzehn Stunden im Sattel zuzubringen, so mußten wir mit unserer Nachtruhe geizen und unseren Körper frisch zu erhalten suchen. Auch versäumten wir nicht, durch Erzählungen von Indianerüberfällen und grausigen Mordtaten in der Prärie die Wachsamkeit unserer Leute anzustacheln und sie recht besorgt um ihren Skalp zu machen.

Unser Haupterzähler blieb während der ganzen Reise Freund Peacock, denn fast jeder hervorragende Punkt und jede vereinsamte Baumgruppe, die weithin sichtbar als Landmarke betrachtet werden konnten, riefen in seiner Erinnerung Erlebnisse längst vergangener Zeiten wach.

»Dort drüben, wo die beiden Hügel wie verloren aus der Prärie emporragen«, begann Peacock, kurz bevor wir den Apache-Cañon erreichten, »ungefähr sechs Meilen von hier, zieht sich die alte Santa-Fé-Straße hin; es ist dieselbe, die wir bei Las Vegas verließen und die kurz vor dem Canadian River mit unserer Straße wieder zusammenfällt. Im Jahre 1850 reisten Ben Shaw und Captain Frank Hendrichson, zwei meiner Freunde, an jenem Punkt vorbei; sie kamen vom Missouri, und ihre Karawane bestand aus zehn mit Maultieren bespannten Wagen und zwölf Knechten. Ihre Reise war soweit glücklich vonstatten gegangen, und in zwei Tagen schon hofften sie Tucalohte und in zwei anderen ihren Bestimmungsort Santa Fé zu erreichen. Fort Union stand damals noch nicht, doch hielten sie sich durch die Nähe der Ansiedlungen, vielleicht aber noch mehr durch ihr gutes Glück, gegen die feindlichen Angriffe der Indianer geschützt, und mit weniger Vorsicht, als es sonst ihre Gewohnheit war, näherten sie sich jenen Hügeln. Da sie auf der ganzen Reise – wahrscheinlich infolge ihrer Wachsamkeit – nie zur nächtlichen Stunde gestört worden waren, so erwarteten sie gewiß nichts weniger als einen Angriff am hellen Tag, und anstatt auf dem Sattel, ruhten ihre und ihrer Leute Büchsen in den Wagen. Wenn sie indes auch ihre Waffen wirklich zur Hand gehabt hätten, so würde es doch nur wenig genützt haben, denn als sie sich mit ihrem ganzen Zug den Hügeln gegenüber befanden, krachten plötzlich hinter Felsblöcken und aus Vertiefungen hervor eine Anzahl von Schüssen, die sogleich Ben Shaw, Frank Hendrichson und fünf ihrer Leute von den Pferden warfen. Mehrere Zugtiere waren ebenfalls getötet worden, so daß in den Gespannen eine allgemeine Verwirrung entstand, und bevor noch die unglücklichen Leute sich zur Wehr setzen konnten, war eine Schar der wildesten aller Steppenbewohner, der Apachen, aus dem Hinterhalt auf sie hereingebrochen und hatte sie bis auf den letzten Mann unter schrecklichem Triumphgeheul mit Pfeilen niedergeschossen.

In Las Vegas war die Ankunft dieser Karawane schon durch einen vorausgesandten Boten angemeldet worden; da sie aber nicht zur bestimmten Stunde eintraf, so begaben sich einige von Ben Shaws Freunden auf den Weg, um die Ankommenden zu begrüßen und sich zugleich nach der Ursache der Verzögerung, die sie dem Zusammenbrechen eines Wagens zuschrieben, zu erkundigen. Achtzehn Stunden ritten diese Leute ununterbrochen auf der Straße, auf der sie der Karawane jeden Augenblick zu begegnen erwarteten, ohne auch nur eine Spur von ihr zu entdecken; als sie sich dann aber den Hügeln dort drüben näherten und die auf der Ebene verstreut umherstehenden Wagen erkannten, außer einem Rudel von Wölfen und einigen Krähen aber kein Leben bei denselben wahrnahmen, wurden sie von den schwärzesten Ahnungen erfüllt. Immer deutlicher traten die einzelnen Gegenstände hervor; und durch die Anwesenheit der wilden Bestien zu der Überzeugung gelangt, daß sie sich einer Szene des Verrats und des Mordes näherten, die Räuber aber sich schon längst entfernt hatten, beeilten sie ihre Schritte, um das Unglück, das ihre Freunde betroffen hatte, in seinem ganzen Umfang kennenzulernen.

Der Anblick, der sich ihnen dort bot, war über alle Beschreibung schreckenerregend, denn außer daß die Wagen ihres Inhalts entledigt waren und dieser, soweit die Räuber ihn als wertlos oder als zu schwer zum Transport erkannt hatten, nach allen Richtungen hin die Ebene bedeckte, lagen auch noch zwischen den getöteten Tieren die Leichen von Ben Shaw und seinen Gefährten. Alle waren skalpiert und bis auf einen Wagenführer mehr oder weniger von den Wölfen angefressen worden.

Dieser letztere nun war beim ersten Angriff durch den Hieb eines Tomahawks betäubt zusammengesunken und erwachte erst wieder, als einer der grausamen Sieger ihm die Kopfhaut vom Schädel streifte. Die Liebe zum Leben ließ ihn die gräßliche Tortur, die mit Schnelligkeit ausgeführt wurde, ohne Zucken ertragen, und erst als die Räuber sich mit der Herde und sovielen Waren, als sie fortzubringen vermochten, entfernt hatten, wagte er wieder, sich umzuschauen und an die Selbsterhaltung zu denken. Da er durch den Blutverlust und die rasendsten Schmerzen so geschwächt war, daß er sich kaum noch erheben konnte, die Indianer aber alle Tiere bis auf die erschossenen fortgeführt hatten, so beschloß er, einige Lebensmittel zusammenzusuchen und in einem der Wagen geduldig sein Schicksal zu erwarten.

Beim Umherspüren nach gefüllten Wasserflaschen stieß er auf drei seiner Gefährten, die noch schwache Lebenszeichen von sich gaben, aber nicht mehr zum Bewußtsein gelangten; und als die Nacht sich einstellte, war er der letzte Lebende von den vierzehn Männern, die am frühen Morgen lustig durch die Prärie zogen.

Zweimal vierundzwanzig Stunden waren seit jenem Abend verflossen; die Schwäche des Verwundeten hatte in solchem Grad zugenommen, daß er den Wagen nicht mehr verlassen konnte, und mit kaum vernehmbarer Stimme begrüßte er die Leute, die zu spät kamen, um ihn zu retten. Ehe noch der zu seinem Transport bestimmte Wagen eintraf, starb der Unglückliche.

Es bildete sich zwar eine Kompanie, die schleunigst zur Bestrafung der indianischen Räuber aufbrach, doch hatten diese einen zu weiten Vorsprung gewonnen, und unverrichteter Sache kehrte diese zurück, nachdem sie zwei Wochen in der Wildnis umhergeirrt war.

Und hier ist der Apache-Cañon«, fuhr Peacock fort, indem er sein Maultier am Rand einer neuen Abstufung der Prärie anhielt. »Dort ist die Schlucht, wo wir Wasser finden und übernachten müssen und wo ebensogut einige Dutzend Apachen verborgen sein können wie nicht.«

Ungefähr hundert Fuß tiefer lag also die Abstufung, die sich wie mächtige Wogen unabsehbar gegen Osten ausdehnte, deren Einförmigkeit aber durch keinen Baum, keinen Strauch unterbrochen wurde. Leicht gelangten wir hinab an die Mündung der Schlucht, wir fanden da gutes Gras, und an einer Stelle, die entfernt von Felsblöcken und Gestrüpp war, die verräterischen Räubern ein Versteck hätten gewähren können, schlugen wir unser Zelt auf. Unsere nächste Beschäftigung war, die Tiere zum Wasser zu treiben und uns zugleich mit dem Charakter der Umgebung bekannt zu machen. Die Schlucht, die in nordwestlicher Richtung wieder nach der höher gelegenen Ebene hinaufführte, war allmählich durch niederströmendes Wasser gebildet worden. Felsblöcke und wildes Gestrüpp bedeckten die steilen, aber doch zugänglichen Abhänge, und einzelne knorrige Eichen beschatteten die Quelle, die, zwischen geborstenem Gestein hervorrieselnd, nach kurzem Lauf in der Schlucht selbst wieder versank. Ein viel betretener Pfad, auf dem die Tiere nur eins hinter dem anderen getrieben und getränkt werden konnten, führte zum Wasser, doch beendeten wir unsere Arbeit sehr schnell, und als die Dämmerung sich einzustellen begann, pflockten wir die Tiere im Kreis um unser Lager an, verabreichten jedem ein Dutzend Maiskolben und streckten uns dann noch ein Stündchen vor dem Zelt ins Gras, um den herrlichen, milden Abend zu genießen.

Es ist mir nicht möglich, eine genaue Beschreibung der behaglichen Zufriedenheit wiederzugeben, der man anheimfällt, wenn man nach einem ermüdenden Ritt so unter dem lieben blauen Himmel sein Obdach gewählt hat und sich zusammen mit der schönen Natur der Rast und der Ruhe hingibt; alles ringsum ist so friedlich still, bläuliche Nebelstreifen lagern sich auf den Niederungen, das milde Licht des Mondes erhellt die feuchte Atmosphäre, heimlich senkt sich der Tau auf Blumen und Gräser, und Stern auf Stern entsteigt der fernen Ebene, um sich mit seinen vorangeeilten Gefährten zu Bildern zu vereinigen. Man scheut sich fast, zu solcher Stunde den Schlaf zu suchen, und trennt sich mit Widerstreben von dem kleinen niedergebrannten Feuer, mit dessen Rauch sich der Dampf der Pfeifen vereinigt und vor dem so manche schöne Geschichten erzählt wurden, so manches fröhliche Lachen erschallte und so mancher herzliche Gedanke der fernen Heimat galt.

Unsere Eskorte traf also wirklich nicht bei uns ein, und mit Freuden versah jeder den Dienst, der ihm durch die Abwesenheit der Soldaten zugefallen war. Die Nacht verstrich ohne die geringste Störung, und frühzeitig schon waren wir am 24. Juni bereit, unsere Reise fortzusetzen. Wir kamen indessen überein, die Ankunft der Eskorte zu erwarten, die möglicherweise durch irgendeinen Unfall aufgehalten sein konnte.

Sie ließ indessen lange auf sich warten, und erst gegen acht Uhr erschienen Lieutenant Tipton und Captain Gibs, gefolgt von ihrem Train, am Abhang des Apache-Cañons, und während ihre Wagen auf der Straße weiterzogen, sprengten die beiden Offiziere in unser Lager. Egloffstein war außer den Leuten der einzige, der sich beim Wagen befand, und Captain Gibs richtete die Frage an ihn, ob wir nicht zu reisen gedächten. Egloffstein setzte ihm dagegen deutlich auseinander, daß wir aufbrechen würden, wann es uns beliebte; die beiden Herren ritten darauf im Galopp davon, und wir hatten den ersten Beweis erhalten, daß an ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns und den Offizieren nicht zu denken sei.

Eine Stunde später folgten wir der Eskorte und holten diese nach einem Marsch von zwölf Meilen am Ocate-Flüßchen ein, wo sie, um einige Stunden zu rasten, die Tiere ausgespannt hatte. Unsere Kavalkade war noch vollständig frisch, und so beschlossen wir, in einer Tour bis an den Red River (den oberen Canadian River) zu reiten, und dort die Nacht zuzubringen. Um eine Annäherung zwischen den beiden eigensinnigen Gesellschaften zu ermöglichen, richtete Peacock an Lieutenant Tipton die Frage, ob er ebenfalls am Canadian River zu lagern und sich zu uns zu gesellen gedenke. Lieutenant Tipton, oder vielmehr der kleine, breitschultrige Captain Gibs, sagte zu, und eine Stunde später hatten wir sie schon wieder aus den Augen verloren. In einiger Entfernung vom Ocate River, einem Zufluß des Canadian River, der aber kaum einen anderen Namen als den eines Bachs verdient, verfolgten wir unsere Straße, die mit wenig Unterbrechung die nordöstliche Richtung beibehielt. Der Ocate und sein Tal zeichneten sich nur hin und wieder durch kleine Schilfstreifen und dunkler gefärbtes Gras aus, doch nicht genug, um in der Ferne wahrgenommen werden zu können; so wurde das Einförmige unserer Umgebung fast während des ganzen Tages nicht unterbrochen.

Neugierige Antilopen beobachteten uns aus der Ferne und gaben durch ihr scheues Wesen zu erkennen, daß sie hier vielfach gejagt worden seien, denn ich brauchte mich nur eine kurze Strecke vom Wagen zu entfernen, um sie in weiten Sprüngen davoneilen zu sehen. Auch Wölfe zeigten sich schon in größerer Anzahl; träge, mit niederhängendem Kopf schlichen sie wie in Gedanken dahin, und nur gelegentlich standen sie einige Sekunden still, um uns mißtrauisch zu mustern, worauf sie mürrisch ihre einsamen Spaziergänge wieder fortsetzten. Die weite Fläche, die wir überblicken konnten, war also nur wenig belebt, denn wie vereinzelte Weihen und Prärielerchen im endlosen Luftraum verschwanden, so verschwanden auch die wenigen Tiere, ja sogar unsere kleine Karawane in der unabsehbaren Steppe.

In den Nachmittagsstunden gelangten wir zwischen eine Reihe zusammenhängender Hügel, und bald darauf schauten wir hinab in das Tal des Canadian River, das baumlos wie die angrenzenden Höhen den Charakter einer tiefen Senkung der Prärie trug. Mehrere Quellen bemerkte ich an den Abhängen, als wir niederwärts zogen, und diese hatten, wo ihnen der Abfluß fehlte, den Boden so sehr aufgeweicht, daß es mehrfach der ganzen Kraft unserer Tiere bedurfte, um ihre Lasten über sie hinüberzuschaffen. Ungefähr sechshundert Fuß betrug der Höhenunterschied zwischen der Ebene und dem Tal des Flusses, und letzteres erstreckte sich weithin von Norden nach Süden in einer durchschnittlichen Breite von anderthalb Meilen. An der Furt trafen wir einen starken Train von achtzehn mit Ochsen bespannten Wagen gelagert; derselbe hatte am heißen Mittag dort Halt gemacht und beabsichtigte, die Reise gegen Abend wieder fortzusetzen – eine gewöhnliche Art der Karawanen, zu reisen, wenn sie das gegen übermäßige Hitze so empfindliche Rindvieh mit sich führen.

Wir gingen durch den Fluß, der an jenem Punkt ungefähr dreißig Fuß breit ist und eine bedeutende Masse trüben, aber guten und trinkbaren Wassers führt, und eine massive Sandsteinlage bildet den Boden der Furt, wodurch den zahlreichen Karawanen, die alljährlich den Strom überschreiten, gleichsam eine Brücke ersetzt wird. Auf dem linken Ufer, wenige Schritte von den eilenden Fluten, richteten wir unser Zelt auf, und nachdem wir uns durch ein Bad im kalten Wasser erfrischt hatten, suchte ich meine Fischergeräte hervor und füllte die Zeit bis zum Abend mit Angeln aus. Merkwürdigerweise verschmähten die Fische den sonst so beliebten fetten Speck, den ich als Köder gebrauchte, und erst als die Sonne untergegangen und ich im Begriff war, meine Bemühungen als fruchtlos einzustellen, riß es heftig an der Schnur, und gleich darauf zog ich einen großen Katzenfisch ans Ufer. Diesem ersten folgten bald mehr, und als ich mich endlich zur Ruhe begab, hatte ich einen Vorrat von schmackhaften Fischen, der uns zum folgenden Morgen eine luxuriöse Mahlzeit versprach.

Meine Wache fiel zwischen zwölf und ein Uhr, der Mond schien hell, weithin vermochte ich die Umgebung zu überblicken, die Fische bissen vortrefflich, und selbstverständlich setzte ich mein Angeln fort – zum größten Vorteil Wighams, dessen Wache dadurch bis auf eine halbe Stunde verkürzt wurde. Leider war es am folgenden Tag so warm, daß der ganze Vorrat von Fischen, den wir mitführten, verdarb und als unbrauchbar fortgeworfen werden mußte. Gern hätte ich Captain Gibs von dem in den Prärien seltenen Gericht für seine Familie im Überfluß mitgeteilt, doch hatte sich leider die militärische Gesellschaft abermals abgesondert und ihr Lager zwei Meilen hinter uns bezogen.

Die ersten Sonnenstrahlen beleuchteten die Abhänge der westlichen Hochebene, und Schatten ruhte noch auf dem Canadian River und seinen grünen, betauten Ufern, als wir unsere Maultiere bestiegen und den östlichen Abhängen zueilten. Der Weg nach der Ebene hinauf war steil, aber nicht sandig, und führte fast ununterbrochen über Kreideformation; als wir aber die Höhe erreichten, dehnte sich die weite Ebene wieder vor uns aus, in größter Ähnlichkeit mit einem endlosen Ozean, dessen langsam und regelmäßig bewegtes Wasser plötzlich in eine regungslose Masse verwandelt wurde. Am Rand der Ebene wandte ich mich noch einmal zurück und schaute zum Fluß nieder, an dem ich vor Jahren in südlicheren Breiten so viele Monate zugebracht hatte; ich verglich in Gedanken den schmalen, aber reißenden Strom vor mir mit dem breiten, sandigen, wasserarmen Canadian River, wie er mir noch in der Erinnerung vorschwebte; ich gedachte auch der Umstände, die mich noch einmal an den Fluß zurückgeführt hatten, von dem ich einst auf ewig Abschied zu nehmen glaubte. Ich sah das rege Treiben der am Ufer lagernden Handelskarawanen und die Eskorte, wie sie bedächtig durch die Furt setzte; ich schwenkte meinen alten Strohhut, gab meinem Maultier die Sporen, und nach wenigen Minuten befand ich mich wieder an der Seite der Gefährten.

In dem Maß, wie wir uns östlich bewegten, nahmen auch die Schwellungen und Senkungen der schattenlosen Prärie zu, so daß unsere Umgebung mehr einem Hügelland glich, durch das sich die feste, chausseeähnliche Straße hinwand. Die Junisonne brannte heiß auf uns nieder, und äußerst willkommen war es daher, als wir gegen Mittag einige Wasserpfützen erreichten, wo wir die Tiere tränken konnten. Das Hügelland nahm sein Ende, und daran schloß sich wieder die ebene Fläche an, in die von Norden her die Ausläufer der Raton Mountains oder vielmehr des Fisher's Peak, keilförmig hineinragten und in einigen zusammenhängenden schroffen Hügeln endeten. Unsere Straße führte dicht an letzteren vorbei, und nicht ohne Interesse betrachtete ich die versteckten Schluchten, die als Lieblingsverstecke raubsüchtiger Indianerhorden verrufen sind und aus denen so oft schon das Verderben über Vorbeireisende hereinbrach.

Point of Rocks oder Felsenspitze heißt jene Landmarke, die einst die ersten Reisenden in der Wahl ihrer Richtung leitete; eine kleine Pyramide, von Feldsteinen aufgeführt, erhebt sich, weithin sichtbar, auf dem südlichsten Punkt, und der Name mag von diesem unbedeutenden Mauerwerk hergeleitet sein. Ob nun die Pyramide, die nur ihrer hervorragenden Stellung wegen Erwähnung verdient, von den Weißen errichtet wurde, um die Landmarke kenntlicher zu machen, oder ob die Indianer sich dort oben einen besseren Überblick über die Ebene zu verschaffen suchten, vermag ich nicht anzugeben, doch bin ich geneigt, letzteres zu glauben, indem die Hügelreihe auch ohne den Steinhaufen ein unverkennbares Zeichen für jeden Präriewanderer ist und Baulichkeiten jeder Art überflüssig macht; vielleicht befindet sich auch dort das Grab irgendeines großen Häuptlings.

Eine schwache, aber sehr klare Quelle rieselte am Fuß des Point of Rocks zwischen schwarzen Basaltfelsen hervor; wir tränkten dort, füllten unsere Feldflaschen und setzten unsere Reise nahe dem trockenen Bett eines Bachs, des Arroya de Don Carlos, auch Willow Point Creek genannt, in östlicher Richtung bis dahin fort, wo der Bach gegen Süden abbog und eine Reihe von sumpfigen, tiefen Wasserpfützen barg. Nach einem Ritt von sechsundzwanzig Meilen lagerten wir an dem langen Abhang, der von der Prärie zu dem Arroya hinunterführte, und zwar entfernt genug von Bäumen und Strauchwerk, um gegen etwaige verräterische Handlungen umherstreifender Indianer gesichert zu sein. Wir befanden uns nämlich auf dem Boden, der unter dem Namen »White's Massacre« bekannt ist, eine Bezeichnung, die an und für sich schon hinreicht, Reisende, die zwischen den Schluchten und Verstecken jener Gegend lagern, zur Vorsicht und Wachsamkeit zu mahnen.

Freund Peacock teilte uns die Geschichte von Whites und seiner Karawane Ermordung durch die Indianer noch an demselben Abend mit, und obgleich die Erzählung sich nur durch die Namen von der früher gegebenen unterschied, so lauschten wir doch nicht weniger gespannt, und es war schon spät, als wir uns zur Ruhe begaben.

Am 26. Juni ließen wir die Eskorte, die nur eine Meile von uns gelagert hatte, weit hinter uns zurück und erreichten nach einigen Stunden den Wetzstein Creek, von dessen kühlem, prachtvollem Wasser wir einen Vorrat für den ganzen Tag mitnahmen. Der Bach oder vielmehr die Quelle rieselte unter einer niedrigen Wand von Sandsteinfelsen hervor, die, in dünnen, horizontalen Schichten übereinanderliegend, das Ufer einer unbedeutenden Senkung des Bodens bildete. Der Sandstein war von grauer Farbe und so fein, daß jedes Bruchstück, das man leicht loszutrennen vermochte, sich vortrefflich zum Schärfen von Messern und Äxten eignete, was natürlich Veranlassung zu den Namen gegeben hatte.

Auch mehreren Emigrantenzügen begegneten wir wieder; ihr Ziel war Kalifornien, und es herrschte ein fröhliches Treiben unter den Mitgliedern jeglichen Alters und Geschlechts, die teils zu Wagen, teils zu Pferd langsam dem Land ihres Wünschens und Hoffens zu zogen. Mit den meisten wechselten wir Grüße und Glückwünsche, auch wohl einen Händedruck, wenn wir Ratschläge, die unbekannte Straße betreffend, erteilt hatten. Einige Männer äußerten mir gegenüber Besorgnis hinsichtlich ihres Übergangs über den Colorado sowie der Stimmung der dortigen Eingeborenen. Ich gab ihnen eine flüchtige Beschreibung von allem und ließ sie die Namen Kairook und Iretéba aufschreiben, die ich ihnen zugleich als Männer bezeichnete, deren guten Willen sie vor allen Dingen zu gewinnen suchen sollten. Ich gab ihnen auch meinen Namen, und zwar mit dem eigentümlichen Akzent, mit dem die eben genannten Häuptlinge denselben auszusprechen pflegten; ich bat sie, meine alten Freunde von mir zu grüßen, ihnen in meinem Namen einige Geschenke zukommen zu lassen und sie beim Übergang über den Strom um ihre Hilfe zu bitten. – So geringfügig dergleichen Umstände auch oftmals erscheinen, so hat die Erfahrung doch vielfach gelehrt, daß es dem Fremden bedeutend erleichtert wird, sich bei den Eingeborenen einzuführen, wenn er imstande ist, sich als der Freund jemandes auszuweisen, der nicht nur den Indianern persönlich bekannt ist, sondern dessen sie sich als eines Freundes erinnern. Die Urwilden haben sich nämlich trotz ihres mehrfachen Verkehrs mit der zivilisierten Rasse noch nicht soweit emporgeschwungen, daß es der Vetterschaft oder der warmen Fürsprache großer Häuptlinge bedürfte, um von jemand anders als von Dienern der öffentlichen Sicherheit beachtet zu werden; sie sind noch einfältig genug, »den Freund ihres Freundes« auch als den eigenen Freund zu betrachten, selbst auch dann, wenn ihnen die neue Bekanntschaft weder von Vorteil noch von Interesse erscheint.

Mit Dank nahmen die Leute jeden Rat hin, und Wagen auf Wagen rollte bei uns vorüber; einzelne mit Lebensmitteln, andere mit Kaufmannsgütern und wieder andere mit weiblichen Passagieren beladen, während die berittenen Männer und Knaben des Zugs eine zahlreiche Viehherde umschwärmten.

Plötzlich lenkte einer der Wagen aus der Reihe, und als er neben mir hielt, vernahm ich aus dem Innern desselben das von zwei freundlichen Mädchenstimmen gesprochene: »Guten Morgen, Fremder!«

Ich bog mich vom Sattel, schaute unter das Leinwandverdeck und erblickte auch wirklich zwei junge, niedliche Mädchen, welche die vordere Hälfte des Wagens zu ihrem Parlour eingerichtet hatten. Beide befanden sich in dem interessanten Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren, hatten also ein doppeltes Recht, von jedermann Höflichkeit und Zuvorkommenheit zu beanspruchen, ein Recht, das durch vier schöne Augen noch vervierfacht wurde.

»Guten Morgen, meine schönen Damen!« rief ich in den Wagen hinein, und gleich darauf weidete mein Tier am Weg, ich selbst aber stieg auf die Deichsel, stützte meine Arme auf einen schweren Kasten, der gleichsam eine Barrikade vor den beiden hübschen Emigrantinnen bildete, und ihnen recht freundlich in die Augen blickend, fragte ich, ob ich mit irgend etwas dienen könnte.

»Gewiß!« antworteten beide lachend, und einige Briefe aus ihren Busentüchern hervorziehend, fragten sie, ob ich diese wohl mit an den Missouri nehmen und dort auf irgendeine Post geben wolle?

»Mit Freuden!« rief ich aus. »Und zwar nicht allein die Briefe, sondern auch euch selbst, wenn Ihr es verlangt!«

»Wenn wir nur dürften, gingen wir schon mit Euch zurück«, erwiderte die Wortführerin, »denn es wird uns schon bang in der Wildnis; aber ich sage Euch, wir dürfen nicht, und so müßt Ihr Euch wohl mit den Briefen zufriedengeben.«

Ich nahm die Briefe hin, las die Adressen: An Herrn N. und an Herrn N., und zu den Mädchen aufblickend sagte ich mit verzeihlicher Präriefreiheit: »Unglückliche Liebe, wie es mir scheint!«

Die Mädchen erröteten, und hastig flüsterte die Wortführerin: »Sprecht nicht so laut, damit unser Wagenführer Eure Worte nicht vernimmt; ja, Ihr habt recht, es ist unglückliche Liebe, die aber, so Gott will, noch eine recht glückliche werden soll; denn denkt Euch nur, Fremder, wir beide sind gegen unseren Willen und Wunsch der Heimat entrissen worden, und deshalb bitten wir Euch vertrauensvoll, die Briefe an ihre Adressen gelangen zu lassen; es befinden sich dort Leute, die uns folgen werden und deren Ankunft in Kalifornien wir schmerzlich, aber voll Hoffnung entgegensehen; das andere könnt Ihr Euch schon alles denken.«

»Natürlich kann ich es mir denken und gratuliere«, antwortete ich; »aber ich denke zugleich, daß Leute, die ein Paar so liebenswürdige Damen, wie Ihr seid, durch die Steppen reisen lassen, ohne sich in ihrem Gefolge zu befinden, nicht wert sind, daß Ihr noch Briefe an sie richtet.«

»Ja, sie sind es wert«, rief zornig die schweigsamere Schöne jetzt; »es fehlten ihnen nur die Mittel dazu, sich uns anschließen zu können, und –«

»Laßt nur gut sein«, unterbrach ich hier das eifernde Mädchen, »ich fühle mich nicht befugt, in Eure Herzensangelegenheiten einzudringen, aber Eure Briefe werden befördert, oder die Komantschen müßten mir denn den Skalp vom Schädel streifen.«

»Redet doch nicht so fürchterliche Worte«, fiel hier die erstere ein. »Ihr seht ja, daß meine Nachbarin schon bebt bei der bloßen Erwähnung der Indianer; besorgt unsere Aufträge, und verdient Euch einen Gotteslohn.«

»Verlaßt Euch darauf«, antwortete ich, »daß sie ausgeführt werden; und was die Indianer anbetrifft, so braucht Ihr Euch vor ihnen nicht zu fürchten, denn Ihr seid ein Paar so schöne Damen, daß selbst die Eingeborenen sich Euch gegenüber wie Gentlemen benehmen werden. Aber ich sehe, Ihr habt Milch im Wagen, wollt Ihr mir meinen Wasserschlauch damit füllen?«

»Gewiß«, antworteten beide zugleich, »die Milch ist ganz frisch und erst heute früh gemolken; gebt nur Euren Schlauch her!«

Ich sprang zu meinem Maultier, löste den Behälter vom Sattelknopf und beobachtete dann die beiden zarten Präriereisenden, wie sie vorsichtig den Schlauch füllten und sich gegenseitig die Milch auf den Schoß gossen.

»Hier ist Eure Milch«, sagte endlich die Ältere. »Nehmt im voraus unseren Dank für Eure Güte; und jetzt müssen wir uns trennen.«

Auch ich sprach meinen Dank aus, drückte, nicht ohne ein Gefühl der Rührung, den beiden Mädchen die Hand, bestieg mein Tier und trabte an den letzten Wagen vorbei, meinen Gefährten nach.

Einem einzelnen Reiter begegnete ich noch, es war ein hagerer, finsterer Amerikaner, und nach dem gewöhnlichen »How do you do?« fragte dieser: »Wie viele Meilen zum nächsten Wasser?«

»Sechs Meilen«, antwortete ich und fragte ebenso kurz: »Wie steht's mit den Büffeln dieses Jahr?«

»Viel Büffel acht Tagesreisen von hier«, lautete der Bescheid, und jeder zog seiner Straße.

Das war das Begegnen in der Prärie. An die beiden jungen Mädchen habe ich oft gedacht, ich hoffe, daß sie Kalifornien glücklich erreicht haben; die Briefe sind pünktlich besorgt worden, und es mag die Erfüllung ihrer geheimen Wünsche wohl nicht lange auf sich warten haben lassen.

Dreiundzwanzig Meilen legten wir an diesem Tag zurück; die ununterbrochene grüne Ebene bildete ständig unsere Umgebung, auf dieser spielten herdenweise muntere Antilopen, und hin und wieder erblickte ich einen gebleichten, verkalkten Büffelschädel, der mit hohlen Augen in die Sonne starrte und an die Zeiten erinnerte, in denen die Bisonherden noch die Prärien vom Mississippi bis an die Rocky Mountains überschwemmten. Lehmiger Boden schimmerte überall zwischen dem Rasen hindurch, und wo niederströmendes Regenwasser das Erdreich fortgewaschen hatte, da zeigte sich mehrfach das schwarze Gestein der Trappformation.

Wir lagerten an einer wasserhaltigen, grasreichen Vertiefung der Steppe, an deren Abhängen oder vielmehr Ufern der Basalt in großen Massen hervortrat, weshalb jenem Punkt auch wohl der Name Rock Creek oder Felsenbach beigelegt worden ist.

Obgleich wir am 27. Juni fast unausgesetzt mit der Verfolgung von Antilopen beschäftigt waren, brachten wir die Reise des Tages doch bis auf achtundzwanzig Meilen. Während der heißen Mittagsstunde rasteten wir am Fuß einer kurzen Hügelreihe, an welcher der Rabbit Ear Creek oder Hasenohrbach entspringt. Das Flüßchen ist nach dem hervorragendsten der Trapphügel benannt worden, doch gehört keine geringe Einbildungskraft dazu, eine Ähnlichkeit des konischen Hügels mit dem Ohr eines Hasen herauszufinden. Die ersten Reisenden dieser Regionen nahmen es aber nicht so genau mit den Benennungen, und von ihnen haben sich die merkwürdigen Namen bis auf den heutigen Tag erhalten. Wir übernachteten am Ufer des Cottonwood Creek, dem trockenen Bett eines Gießbachs, in dem sich da, wo massive Sandsteinfelsen den Boden bildeten, einzelne Wasserpfützen erhalten hatten. Die wenigen Baumgruppen, von denen der Bach seinen Namen herleitet, prangten im vollsten Blätterschmuck und standen in schönem Einklang mit der dort so üppigen grünen Wiese, in der sich Blume an Blume hervordrängte, wie um das liebliche Bild des Frühlings zu vervollständigen.

Als ich am folgenden Morgen durch die paradiesischen Fluren dahinritt, da war es mir, als ob ich mich in einem wohl gepflegten Garten befände. Balsamischer Duft erfüllte die Atmosphäre, schillernde Tautropfen beschwerten die gebogenen Halme und reizenden Blütenkelche, Falter verschiedenster Art sonnten ihre prächtigen Schwingen, und fleißige Bienen summten nahe dem Boden. Doch nur auf eine verhältnismäßig kurze Strecke erfreute uns die Prärie in ihrem Festkleid, denn als wir die nächste Anschwellung der Ebene erreichten, umgab uns wohl noch der frische grüne Rasen, aber die Blumen suchten wir vergebens, und statt ihrer erblickten wir einen Streifen verkrüppelter Zedernbüsche, die fast jeder Landschaft einen so eigentümlich melancholischen Charakter verleihen.

»Dies ist MacNisse's Creek«, sagte Peacock, als wir durch das trockene Bett eines Bachs ritten. »Er ist nach einem Handelsmann benannt worden, der vor einigen Jahren auf jenem Hügel unter dem weitverzweigten Zedernbaum erschossen wurde.«

»Heraus mit der Mordgeschichte«, riefen wir fast gleichzeitig, und Peacock, nachdem er den Tabak in seinem Mund einige Male hin und her gerollt hatte, begann:

»MacNisse war ein Handelsmann, wie es deren so viele gibt; das heißt, er kaufte Waren am Missouri, schaffte sie über die Ebenen, verkaufte sie in Santa Fé mit Vorteil und war auf dem besten Weg, ein reicher Mann zu werden, als der Tod ihn plötzlich ereilte. Es ist ungefähr zehn Jahre her, als er, vom Missouri kommend, mit einem starken Train diese Gegend erreichte. Er war seiner Karawane eine Strecke vorausgeeilt, und ermüdet und erhitzt hatte er sich unter jenem abgesondert stehenden Baum zur Ruhe hingestreckt, während sein Pferd es sich auf der üppigen Weide schmecken ließ.

Eine Stunde mochte vergangen sein, als der Train hier anlangte und die Leute MacNisse aus der Ferne erkannten, wie er im Schatten des Baumes rastete, aber auch zugleich sein Pferd vermißten, das er sonst nie weit von sich ließ. Um den Schlafenden zu wecken und auf das Abirren des Pferdes aufmerksam zu machen, ging ein Arbeiter hinüber und fand zu seinem nicht geringen Schrecken den Kaufmann zwar in einer gemächlichen, ruhenden Stellung, allein mit zerschmettertem Haupt. Natürlich hielt die Karawane augenblicklich an, und genaue Nachforschungen ergaben, daß ein vereinzelt umherstreifender Indianer MacNisse im Schlaf überrascht, mit dessen eigener Büchse getötet und sich danach mit dessen Pferd und den Waffen davongemacht hatte. Also das Pferd und die Büchse hatten die Raubsucht des Wilden gereizt und gewissermaßen die Veranlassung zu dem Tod des Kaufmanns gegeben. Der arme Mensch liegt dort im Schatten des Baums begraben, und das Andenken an ihn wird nur so lange fortleben, wie diese Schlucht seinen Namen trägt oder bis eine wissenschaftliche Expedition hier übernachtet, einen anderen Namen erfindet und auf der Karte niederschreibt.«

Während Peacock in seiner gleichmütigen Weise erzählte, hatte ich einen großen Wolf beobachtet, der auf unserer linken Seite in guter Büchsenschußweite gleichen Schritt mit uns hielt. Als die Geschichte nun beendet war, brachte ich mein Tier zum Stehen, und da der Wolf meine Bewegung nicht sogleich bemerkte, pfiff ich auf dem Finger, was auch die beabsichtigte Wirkung hatte, daß der grimmige Geselle sich breit hinstellte und zu mir herüberschaute. Langsam hob ich meine Büchse, und da mein Tier mit jeder Art von Jagd vertraut war, so konnte ich mit aller Ruhe mein Ziel nehmen. Endlich gab ich Feuer, und durch den Dampf hindurch sah ich den Wolf, wie er gegen fünf Fuß hoch in die Luft emporschnellte, wieder auf seine Füße zu stehen kam, einige Male mit den Zähnen nach seiner Seite schnappte und dann spornstreichs davonrannte. Er lief indessen nicht weit, und schon auf der nächsten Schwellung des Bodens, also in der Entfernung von einer halben Meile, brach er zusammen.

Nach kurzer Zeit erreichten wir eine andere Schlucht, die nach einigen Zedernbüschen, die ihre Ufer schmückten, Cedar Creek genannt worden ist. Wir tränkten daselbst, zogen dann nach der Ebene hinauf, wo wir an einer grasigen Stelle rasteten, und eine Stunde später verfolgten wir wieder die alte Straße, die von nun ab vorzugsweise über ebenes Land ohne Schwellungen und Senkungen dahinführte.

Die Sonne neigte sich dem Westen zu, weithin dehnten sich unsere Schatten aus, doch keine Senkung des Bodens verriet die Nähe einer Quelle oder Pfütze; die Dämmerung brach ein, wir ritten abseits von der Straße, um nach Wasser zu spüren, aber vergeblich; der Mond entstieg der östlichen Fläche und beleuchtete eine Hügelreihe vor uns, aber eine Lagerstätte erreichten wir erst, nachdem wir den größten Teil des Weges zwischen den Hügeln hindurch zurückgelegt und unseren Tagesmarsch auf vierzig Meilen gebracht hatten. Es war schon zehn Uhr, als wir am Coal Creek das Zelt aufschlugen und die Tiere anpflockten; eine halbe Stunde später saßen wir fröhlich um unseren Feldtisch. Nach Beendigung der Mahlzeit hing ich mir die Doppelflinte über und umkreiste als Schildwache das Lager, während alle übrigen sich der Ruhe hingaben.

Wenn nächtliche Ruhe über der ganzen Umgebung schwebt, der Mond mit seinem milden Licht selbst entferntere Gegenstände deutlich hervortreten läßt, die satten Tiere behaglich stöhnen oder mechanisch das taufeuchte Gras abrupfen, Grillen und Heuschrecken ihre endlosen Triller dazu singen, der lichtscheue Uhu unheimlich lacht und heulend der Wolf in der Ferne seine Beute verfolgt, dann bietet eine Stunde der Wache ebenfalls ihre Annehmlichkeiten. Ohne die Aufmerksamkeit von der Umgebung abzuwenden, läßt man die Gedanken frei wandern, wandern über Länder und Meere.

Schon im jugendlichen Alter bietet die Vergangenheit zahlreiche Punkte, die man sich gern vergegenwärtigt und bei denen man geistig länger und lieber weilt. – Wo nun das Leben reich ist an Ereignissen und Erfahrungen, die nicht allein durch lange Zeitabschnitte voneinander getrennt sind, sondern auch durch Tausende von Meilen, da fliegt der Gedanke leicht über Zeit und Entfernungen hinweg. Fast in demselben Augenblick befindet man sich am friedlichen, heimischen Herd, in prächtigen, hellerleuchteten, aber fremden Räumen oder in der Urwildnis; man durchfurcht den weiß schäumenden Ozean, man wandert mühsam im Schatten dicht berankter Wälder, und überall findet man Anknüpfungspunkte. Einen kalten Blick wirft man im Vorübergehen auf den trügerisch schimmernden Teil der menschlichen Gesellschaft, aber freudig pocht man an die heimatliche Tür. Lauter liebe, bekannte Gesichter tauchen dann freundlich in der Erinnerung auf, und kühn versucht die Phantasie den dunklen Schleier der Zukunft zu lüften. Wieder erscheinen die lieben, bekannten Gesichter, man vernimmt den freudigen Ruf des Willkommens, man bemerkt mit Entzücken eine Träne der Freude und . . .

Doch was ist das? Ängstlich schnaubt ein Maultier, ein anderes folgt dem Beispiel, man wirft sich auf den Boden, um die niedrigeren Gegenstände zwischen das Auge und das lichtvolle Firmament zu bringen, und lauscht. Das Schnauben der Tiere vermehrt sich, und bald darauf unterscheidet man einen räuberischen Wolf, der sich bis in die Nähe des Zelts gewagt hat; man könnte ihn durch einen Schuß erlegen, warum aber eines Wolfs wegen die Kameraden aus dem erquickenden Schlummer stören? Sie würden auf das gegebene Signal sogleich an den Tisch vor dem Zelt stürzen, auf dem wohlgeordnet nebeneinander geladene Doppelflinten und Büchsen liegen; Revolver und Messer trägt ja jeder im Gurt. Warum also die Störung? Man erhebt sich, schreitet auf die Bestie los, die feige die Flucht ergreift, und einige Minuten später herrscht wieder lautlose Stille im Lager, nur die Grillen singen noch, und die beruhigten Maultiere atmen lang und tief. Mein Nachfolger im Wachdienst war Wigham, unser getreuer, verschlafener Irländer, und keine geringe Mühe kostete es mich jedesmal, dem unwirschen Gesellen begreiflich zu machen, daß er wirklich aufwachen müsse. Wenn er indessen die Augen erst aufgeschlagen hatte, so gab es keinen gewissenhafteren Wächter als ihn. Um nun die Zeit nicht mit nutzlosem Wecken zu verlieren, versuchte ich ein ganz neues Mittel, das sehr guten Erfolg hatte und einen solchen Anklang fand, daß es später mehrfach angewandt wurde. Fünf Minuten nämlich vor Ablauf der Wache nahm ich einen Becher, füllte ihn bis zur Hälfte mit Wasser und zur Hälfte mit Kognak, fügte den entsprechenden Zucker hinzu und stellte das Ganze dicht vor Wighams schnarchende Nase. »Wigham, es ist Zeit!« rief ich dann, wobei ich mit dem Teelöffel in dem blechernen Gefäß rasselte; Wigham stand auf, trank den Punsch, ergriff sein Gewehr und verschwand in der Dunkelheit, und ich glaube, in der schwärzesten Nacht hätte sich keine Schlange, viel weniger noch eine Rothaut unbemerkt zu uns ins Lager schleichen können. Jeder wußte aber auch, daß von der Wachsamkeit allein die Existenz unserer kleinen Expedition abhing.


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