Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2
Balduin Möllhausen

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Peacocks Erzählung von der Ermordung Jarvis' – Lager am Kleinen Arkansas – Turkey Creek – Diamantquelle – Der Neoscho – Das Städtchen Council Grove – Das Kolonisationswesen in den Vereinigten Staaten – Lawrence am Kansas – Der Kansas – Übergang über denselben – Der Umweg – Der Wolkenbruch

Nachdem wir den Cow Creek überschritten hatten, führte der Weg uns nach einer Höhe hinauf, von wo aus wir den gewundenen Lauf des Flüßchens mit seinen bewaldeten Ufern bis dahin, wo es sich mit dem Arkansas vereinigte, überblicken konnten. Wir ritten nebeneinander und lauschten Peacocks Erzählung, in dessen Gedächtnis die Umgebung wieder eine seiner Mordgeschichten wachgerufen hatte.

»Bemerken Sie dort unten die kurze Biegung des Cow Creek?« fragte er uns, und als wir dasselbe bejahten, fuhr er fort: »In jenem Winkel lagerten vor zwölf Jahren zur kalten Winterszeit, also wenn der Verkehr auf dieser Straße nur sehr gering ist, zweiundzwanzig Reisende. Sie führten nur so viele Wagen oder vielmehr Packtiere mit sich, als gerade zum Transport ihrer Lebensmittel dienten, denn es waren teils Kaufleute, die in Santa Fé ihre Niederlagen hatten und dorthin zurückkehrten, teils Leute, die den Missouri verließen, um sich in eben genannter Stadt für den kommenden Frühling und den Sommer Anstellungen in der gegen Mexiko bestimmten Armee zu sichern; mithin lauter Männer, die möglichst schnell zu reisen wünschten und dabei weniger auf Bequemlichkeit Rücksicht nahmen. Ein reicher Kaufmann namens Jarvis befand sich ebenfalls unter der Gesellschaft; er war teils wegen seines Ansehens, teils wegen seiner Erfahrungen zum Reisehauptmann gewählt worden, und da er gegen hunderttausend Dollar Regierungsgelder bei sich trug, so schätzte er sich glücklich, von einer Wache umgeben zu sein, die nicht nur mit dem Leben in den Wildnissen vertraut, sondern auch teilweise schon in den Indianerkriegen Erfahrungen gesammelt hatte. Ohne Unfall, ja ohne Verdruß gelangte die Gesellschaft bis in jenen Winkel; sie hätte auch ebensogut hier an der Straße lagern können, wo sie ebenfalls Brennholz im Überfluß gefunden hätte; da aber die ganze Mannschaft sich einstimmig für jenen Winkel erklärte, so gab Jarvis, der keine Ahnung von Verrat hatte, nach und verließ mit der ganzen Karawane die Straße, um dort in Verborgenheit zu übernachten.

Als Jarvis am folgenden Morgen seine Vorbereitungen zur Weiterreise traf, überraschte es ihn, daß kein einziger der Gesellschaft seinem Beispiel folgte; mehr aber überraschte es ihn, daß, als er nach der Ursache eines solchen Benehmens fragte, ihm niemand Rede stehen wollte, und ihm alle scheu aus dem Weg gingen. Ein gewisser MacDaniel, Jarvis' Vertrauter und zugleich der Rädelsführer, der es verstanden hatte, die ganze Gesellschaft für seine verräterischen Pläne zu gewinnen, trat endlich vor Jarvis hin: ›Ihr seid im Besitz von hunderttausend Dollar‹ hob er an. ›Jetzt schaut auf uns – wir alle sind einig, daß das Geld unter uns geteilt werden soll; um dies aber auszuführen, müßt Ihr sterben.‹

Jarvis, der wohl einsah, daß ihn nichts mehr aus den Händen seiner Mörder retten konnte, wandte sich darauf an die Leute: ›Seid ihr wirklich Willens‹, sagte er, ›mir mein Eigentum zu rauben, so nehmt es hin, zusammen mit meinem Schwur, nie ein Wort darüber zu verlieren und euch im unbestrittenen Besitz desselben zu lassen; nur gestattet mir heimzukehren zu meiner Familie, und besudelt eure Hände nicht mit meinem Blut, was gewiß mehr um Rache gegen euch schreien wird als das Geld, nach dem euch gelüstet.‹

Diese Rede brachte eine Bewegung unter den Leuten hervor, und es bildeten sich alsbald zwei Parteien, von denen die eine für den Tod des Kaufmanns und die andere gegen denselben stimmte. Wenn sich auch wirklich einzelne dabei befanden, die gern zurückgetreten wären und die am liebsten Jarvis mit seinem ungeschmälerten Reichtum zu den Seinigen hätten heimkehren lassen, so durften diese es doch nicht wagen, ihre Stimme zu erheben, wenn sie nicht ebenfalls spurlos in der Prärie verschwinden wollten. Es blieb also bei den zwei Parteien, und diese schritten alsbald zur Abstimmung über Leben und Tod. Das Resultat ergab, daß von einundzwanzig Mann acht auf dem Mord bestanden, dreizehn dagegen unter der Bedingung des erwähnten Eides Jarvis unberührt lassen wollten. Ein Streit erhob sich, und es wäre gewiß auch zu Tätlichkeiten gekommen, wenn nicht MacDaniel plötzlich mit den Worten: ›Die Toten können nichts nachreden‹ seine Büchse angelegt und dem unglücklichen Jarvis eine Kugel durchs Herz geschossen hätte.

Nach dem Mord schritt man zur Teilung des Raubes, verpflichtete sich gegenseitig durch Schwüre und Drohungen zu unverbrüchlichem Stillschweigen, scharrte die Leiche am Rand des Creeks in den Boden und trennte sich voneinander mit den Worten: ›Auf Nimmerwiedersehen‹. Die acht Mörder schlugen den Rückweg nach dem Missouri ein, die übrigen dreizehn dagegen, von denen sich die Hälfte unfreiwillig an dem Raub beteiligt hatte, zogen nach Santa Fé und machten trotz aller Schwüre und Drohungen das Verbrechen sogleich bekannt.

Natürlich wurden auf frischer Tat Kuriere nach Independence am Missouri gesandt, und obgleich die Mörder sich schon längst voneinander getrennt und verschiedene Richtungen eingeschlagen hatten, so gelang es der sie verfolgenden Polizei doch, sie einen nach dem anderen einzufangen, und sie büßten bis auf einen oder zwei für ihr Verbrechen am Galgen.«

So lautete Peacocks Erzählung; kaum hatte er diese beendet, als er sich einer anderen, ähnlichen erinnerte, und wir berührten wenig Bäche oder Flüsse, die in seinem Gedächtnis nicht ein eigenes Erlebnis oder die Abenteuer anderer Reisender wachgerufen hätten, in denen Raub und Mord gewöhnlich die Hauptrolle spielten. Aber dergleichen kann nicht überraschen; denn wie der weite Spiegel des endlosen Ozeans unbekümmert um das, was seine Tiefe birgt, den ewigen Gesetzen der Natur folgend in angewiesener Richtung dahinwogt oder sich ebnet und glättet, so keimt, grünt und verdorrt die blumenreiche Steppe, unbekümmert um die Verbrechen, die vielfach ihre Oberfläche entweihen. Auf den Gräbern der Erschlagenen keimen Blumen, und jeder Frühling deckt mit einem neuen Mantel den von Blut geröteten Boden, um gleichsam die »Geheimnisse der Steppe« zu verhüllen, von denen nur sehr wenige verlauten.

Nach einem Ritt von achtzehn Meilen erreichten wir den Kleinen Arkansas, ein Flüßchen, das sich tief in den lehmigen Boden hineingewühlt hat und auf seinen schroffen Uferwänden die Baumvegetation Missouris zeigt. Wir lagerten auf dem rechten Ufer in der Nähe eines kleinen Blockhauses, das sich einige Abenteurer zum Zweck des Tauschhandels mit den Kaw-Indianern errichtet hatten. Das Lager der Indianer erblickten wir weiter oberhalb in der Entfernung von ungefähr vier Meilen; auch einen vereinzelten Krieger sahen wir, dieser schlich im Schatten des Waldes dahin und schien uns zu meiden, doch wurden wir wider Erwarten während der Nacht nicht beunruhigt, und wenn die diebischen Kaws nach indianischer Gewohnheit die frühe Morgenstunde wählten, um sich einige unserer Tiere anzueignen, so kamen sie zu spät, denn noch ehe der Tag graute, befanden wir uns schon wieder unterwegs, während auf der verlassenen Lagerstelle die absichtlich mit trockenem Holz genährten Feuer lustig flackerten.

Feiner, aber durchdringender Regen machte die Reise während der ersten Hälfte des Tages beschwerlich, am Nachmittag dagegen klärte das Wetter sich wieder auf, die warme Sonne trocknete unsere Kleider sowie unsere Straße, und fast sichtbar hoben sich Halme und Blütenstengel, die infolge der anhaltenden dürren Hitze sich traurig dem Boden zugeneigt hatten. Überhaupt umgab uns, in dem Maße, wie wir uns dem Missouri näherten, üppigere und frischere Vegetation; das kurze, unscheinbare, aber deshalb nicht weniger nahrhafte Büffelgras verschwand ganz, und an dessen Stelle trat das lange, dunkelgrüne, krautreiche Gras, das sich so vortrefflich zu Heu eignet. Die Senkungen des Bodens wurden tiefer, die Schwellungen höher und zahlreicher die Quellen und Bäche, deren Bett unsere Straße durchschnitt. Hinauf und hinunter ging es in der wellenförmigen Ebene, und nach einem Marsch von siebenundzwanzig Meilen erreichten wir den Turkey Creek, wo wir zu übernachten beschlossen. Warum das Flüßchen nach den wilden Truthühnern benannt worden ist, konnte ich mir nicht erklären, denn so weit ich dasselbe zu übersehen vermochte, entdeckte ich keinen Baum oder Strauch, und bekanntlich wählen die Turkeys vorzugsweise Waldgegenden zu ihrem Aufenthalt, um sich zur Nachtzeit in den Kronen der Bäume ihren zahlreichen Feinden entziehen zu können.

Der Marsch des 14. Juli brachte uns um die Mittagszeit an den Cottonwood Creek, ein über alle Beschreibung reizendes Flüßchen, das mit seinem sanft ansteigenden Tal und seinen prachtvollen Baumgruppen schon einige Ansiedler herbeigelockt hatte. Die wenigen kleinen Blockhütten, die ich in weiten Zwischenräumen voneinander wahrnahm, änderten freilich noch nichts in dem Charakter der Landschaft, doch wurde das Auge angenehm berührt durch eine schmale Rauchsäule, die dem Schornstein einer menschlichen Wohnung entstieg; durch die Einfriedung, die ein grünendes Maisfeld umgab, und durch die scheckigen Kühe, die am Rand des Bachs im fetten Gras weideten. Wir rasteten mehrere Stunden an dem plätschernden Wasser im Schatten eines mächtigen Cottonwood-Baums, und erst als die Strahlen der Sonne schräger fielen, bestiegen wir wieder unsere Tiere und ritten noch sieben Meilen weiter bis zu einer wasserhaltigen Schlucht, in der wir dann übernachteten.

Am 15. Juli befanden wir uns auf der ganzen Strecke von achtundzwanzig Meilen zwischen Landstrichen, die wie zur Urbarmachung und Bevölkerung geschaffen schienen. Wenn auch manche Höhen weiter nichts als gute Weiden versprachen, so zeigte sich dafür in den Niederungen eine so anmutige Abwechslung von Wiesenflächen und schmalen Waldstreifen, und in der kräftigen Baum- und Grasvegetation verriet sich eine solche Zeugungsfähigkeit des Bodens, daß man sich unwillkürlich davon angezogen fühlte und eine gewisse Neigung verspürte, alle Mühen und Hindernisse, mit denen die ersten Ansiedler stets zu kämpfen haben, zu übersehen und nur an die Genüsse zu denken, die eine paradiesische Umgebung sowie ein dankbarer Boden dem fleißigen und genügsamen Ackerbauer gewähren. Leider besteht aber in diesen Regionen ein so krasser Unterschied zwischen dem Winter und den wärmeren Jahreszeiten, daß doch mancher, dessen Auge und dessen Gefühle bei seinem ersten Besuch im milden Frühling oder in den ersten Sommermonaten bestochen wurden, sich trotz der ihm gebotenen Vorteile in seinen Erwartungen getäuscht findet; und größtenteils deshalb, weil es ihm schwer wird, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen – eine Einsamkeit, die nur dann bitter empfunden wird, wenn der scharfe Winter mit seinen Schneestürmen die Kommunikation hemmt und den Ansiedler wie in einem Gefängnis an seine Blockhütte bannt.

Kurz vor Abend erreichten wir eine solche abgesonderte Ansiedlung; diese lag malerisch am Abhang eines kleinen Tals, wo eine eisig kalte, kristallklare Quelle aus dem Gestein sprudelte. Diamond Spring oder Diamantquelle ist jener Punkt genannt worden, und einen angemesseneren Namen hätte man wohl kaum ersinnen können, denn wie Diamanten quillt ein starker Wasserstrahl aus dem Boden hervor und rieselt bachähnlich dem nahen Tal zu. Obgleich noch weit von den Grenzen der Zivilisation entfernt, schienen die Bewohner jener Ansiedlung, unter denen ich auch einige Frauen und Kinder erblickte, doch überaus zufrieden mit ihrer Lage zu sein. Hauptsächlich bauten sie Mais, und außer daß sie stets Gelegenheit fanden, ihre Bodenerzeugnisse auf der nahen Handelsstraße zu verwerten, hatten sie auch noch den Vorteil, daß ihnen von den Reisenden das Geld ins Haus gebracht und die Ware dafür mitgenommen wurde, der Transport ihnen also nicht die geringste Mühe verursachte.

Auch wir erstanden hier einige Säcke Futterkorn für unsere Tiere, denn wenn diese auch im besten Zustand den Rio Grande verlassen hatten, so begannen ihre Kräfte jetzt doch sehr zu schwinden, und die einst so kräftige, wohlgenährte Herde zeigte nur noch hagere, schattenähnliche Gestalten.

Wir lagerten einige Meilen östlich von Diamond Spring an einem namenlosen Bach. Hohes Gras umgab uns; ein Übelstand, dem wir nicht ausweichen konnten – und ein empfindlicher Übelstand, weil starker Tau dasselbe schon in den Abendstunden beschwerte und wir bei jeder Bewegung, besonders aber in der Frühe, als wir uns zum Aufbruch rüsteten, bis über die Hüften durchnäßt wurden und weder Kleidungsstücke zum Wechseln noch brauchbares Schuhzeug mehr besaßen. Ein Gewitter drohte die unleidliche Nässe noch zu vergrößern; es verzog sich indessen während der Nacht mit viel Geräusch, ohne daß dabei ein Tropfen Regen gefallen wäre, und der klare, blaue Himmel spiegelte sich in der betauten Prärie, als wir am Morgen des 16. Juli unsere Reise fortsetzten.

Nach einem Marsch von sechs Meilen auf einer höher gelegenen Abflachung befanden wir uns plötzlich am Rand des Tals des Neoscho, dem letzten Zufluß des Arkansas, den wir auf unserer Reise berühren sollten. Schon am Walnut Creek hatten wir uns aus der unmittelbaren Nähe des Arkansas, der dort eine südsüdwestliche Richtung einschlägt, entfernt und waren dafür dem Kansas näher gerückt, mit dem wir die gleiche Richtung gegen Nordosten verfolgten. So nahe wir uns auch dem letzteren Strom befanden und so schnell sich die Entfernung bis zum Arkansas vergrößerte, so hatten wir bis jetzt doch nur Nebenflüsse des letzteren überschritten. Seit unserem Übergang über den Arkansas warer wir dagegen immer im Kansas-Territorium gereist, dessen südliche Grenze der Arkansas und dessen nördliche der Nebraska oder Flache Fluß bildet. Die Benennung ist dem Strom entnommen, der die ungeheure Landstrecke fast in der ganzen Breite durchschneidet.

Seit mehreren Tagen zogen wir also durch Landschaften, nach denen jetzt vorzugsweise der Strom der Auswanderung hingelenkt wird, und zwar von zwei verschiedenen Parteien, deren jede darnach trachtet, durch überwiegende Stimmenzahl die neue Konstitution des jungen Staates zu beeinflussen und denselben nach den Grundsätzen oder vielmehr nach den persönlichen Interessen der siegenden Partei zu einem »Freien oder einem Sklavenstaat« zu bilden. Wie aus den letzten Seiten meiner Beschreibung hervorgeht, waren die Ansiedlungen in dortiger Gegend noch sehr spärlich zerstreut, doch kann es keinem Zweifel unterliegen, daß unter Verhältnissen, in denen zwei mächtige Parteien um den Vorrang streiten, das Anwachsen der Bevölkerung beschleunigt werden muß; und ob nun der freie Mann im Schweiße seines Angesichts sein Brot ißt oder der farbige Sklave unter der Peitsche eines grausamen Herrn zuckt – dem Andringen der Zivilisation kann kein Damm mehr entgegengestellt werden, ebensowenig wie der endlichen Lösung der Sklavenfrage, die wohl noch auf künstliche Weise während kommender Jahrzehnte in der Schwebe gehalten werden mag, aber als naturwidrige Einrichtung, zumal in einer Zeit des Fortschritts und der keimenden Aufgeklärtheit, in sich selbst zusammenbrechen muß.

Wir erreichten also den Rand der Höhe, von wo wir eine Aussicht auf das bewaldete Tal des Neoscho und das anmutig gelegene Städtchen Council Grove gewannen, und wir hielten fast unwillkürlich an, um uns längere Zeit in den Anblick der über alle Beschreibung lieblichen Landschaft zu versenken. Der dichte, lebenskräftige Wald mit seinen scharf begrenzten wunderlichen Außenlinien entzog das Flüßchen selbst zwar unseren Blicken, doch wie ich niederschaute auf die Kronen der Eichen und Hickorys, der Sykomoren und Cottonwood-Bäume, die sich mit ihren prachtvollen Färbungen wie zu einem einzigen Teppich zusammendrängten, und wie ich die Schatten kleiner Federwolken beobachtete, welche träge, aber doch gleichsam belebend über die Waldfläche dahinglitten und das frische Grün der Bäume auf Minuten dunkler färbten – da glaubte ich nie etwas Schöneres und Anmutigeres gesehen zu haben, und aufmerksam verfolgte ich mit den Blicken die Windungen des Tals aufwärts und niederwärts, bis dahin, wo bläulicher Duft holzreiche Niederungen und grasige Höhen schleierähnlich verhüllte. Aus den Winkeln des Waldbrandes lugten graue Blockhäuser hervor, an den grünen Abhängen weideten Viehherden, und gerade vor mir lag die Ansiedlung mit ihren beiden Häuserreihen, ihren Einfriedungen und Maisfeldern. Auf der Straße spielten Kinder, Hunde bellten, Hähne krähten, und deutlich vernahm ich den regelmäßigen Schlag des Hammers, der, geführt von kräftiger Hand, schwer auf das sprühende Eisen und den klingenden Amboß fiel.

Council Grove oder Beratungshain heißt das aufblühende Städtchen, und zwar zur Erinnerung daran, daß vor wenigen Jahren noch die wilden Söhne der Steppe sich dort zu ihren Beratungen versammelten und auch jetzt noch alljährlich die benachbarten Stämme dort eintreffen, um sich mit den Weißen in Verhandlungen einzlassen, die gewöhnlich neue Gebietsabtretungen oder die Zahlungen für die schon abgetretenen Ländereien betreffen. Die nächste Umgebung von Council Grove ist den Konzas – auch Kaw- oder Kansas-Indianer – vorbehalten worden, und es befindet sich dort eine Missionsschule, auf der die Kinder der Eingeborenen zu Christen erzogen und zu fleißigen Bürgern herangebildet werden sollen. Doch der Hang zum freien, ungebundenen Nomadenleben ist bei den nordamerikanischen Indianerstämmen zu tief gewurzelt, als daß er plötzlich erstickt werden könnte, und deshalb durchstreifen die Konzas, mit Ausnahme einer kaum nennenswerten Zahl, die schon zum Ackerbau hinneigt, noch immer jagend, kämpfend und raubend die Prärien.

Wir ritten hinab, und als wir in die einzige, sehr breite Straße einbogen, erblickten wir zu beiden Seiten an allen Häusern, deren Zahl sich auf ungefähr dreißig belaufen mochte, roh gemalte Schilder, die darauf hindeuteten, daß ausschließlich Geschäftsleute den Ort bevölkerten. Doch auch zwei Gasthöfe machten sich durch ihre weiß angestrichenen Außenwände bemerklich, und wir sprachen in einem derselben vor, in dem mit der Gastwirtschaft zugleich ein Kaufmannsladen verbunden war. Wir hielten hier nur lange genug, um eine erst acht Tage alte Zeitung zu lesen und ein Frühstück einzunehmen, mit dem uns eine alte Negerin bediente und in dem frische, kühle Buttermilch und Maisbrot die Hauptbestandteile bildeten. Von der Buttermilch erstanden wir soviel, als wir in unseren Schläuchen fortzubringen vermochten, und auf diese Weise bereichert, verließen wir die Stadt, um nach Überschreitung der Neoscho im Schatten hoher Bäume einige Stunden zu rasten. Während die Maultiere es sich im fetten Gras wohl sein ließen, erfrischten wir uns durch ein Bad in dem Flüßchen, und erst, als die Sonne die Mittagslinie durchschnitten hatte, verließen wir das anmutige Tal.

Ich vermeide es, den Rest der Reise ferner in Tagebuchform zu beschreiben, denn auf der ganzen Strecke vom Neoscho bis an den Missouri, einer Strecke, die wir in sechs Marschtagen durchzogen, befanden wir uns ständig in einer Umgebung, deren Charakter unverändert blieb, die uns aber deshalb nicht minder schön und einladend von allen Seiten entgegenlächelte. Denn wenn auch blumenreiche Grasfluren, schattige Haine und klare Bäche sich wiederholen, ebenso wie der mit schwarzen Wolken verhangene, drohend entflammte Himmel mit lieblichem, sonnigem Blau abwechselt, so bleibt doch ewig neu, was die Natur dem Menschen bietet; denn mit den wiederkehrenden Formen, Gestalten und Farben wiederholen sich bei Freunden der Natur auch die ungeschwächten Eindrücke.

Wir stießen jetzt nur noch auf Zuflüsse des Kansas-Flusses, die teils als unscheinbare Bäche, teils als angeschwollene Ströme paradiesische Landstriche vielfach durchschnitten und bewässerten. Überall aber nahm ich die Spuren furchtbarer, in jüngster Zeit gefallener Regengüsse wahr, und wir mußten mehrfach vor Bächen liegenbleiben, die, durch einen einzigen nächtlichen Regen in reißende Ströme verwandelt, die Weiterreise auf einen ganzen Tag unmöglich machten. Wir setzten durch den Rock Creek, in dessen Tal die Kornfelder der Ansiedler durch heftige Wolkenbrüche größtenteils fortgeschwemmt waren, und überschritten danach den Bluff Creek und den »Creek 142«, letzterer benannt nach der Zahl der Meilen, welche die Entfernung von dort bis nach Independence beträgt.

Am Elm Creek harrten wir auf das Fallen des Wassers, erreichten am folgenden Tag den Punkt, wo die Independence-Straße sich von der Fort-Leavenworth-Straße trennt, und übernachteten in der Nähe von Brownsville, einer anmutig gelegenen Stadt von ungefähr dreißig Häusern. Wir erfuhren an jenem Ort, daß die Brücke über den Kansas bei dem Städtchen Topeca von dem angeschwollenen Strom fortgerissen sei, und wandten uns deshalb der weiter östlich gelegenen Stadt Lawrence zu, wo die Verbindung zwischen den beiden Ufern des Kansas notdürftig durch eine Fähre aufrechterhalten wurde.

Am 19. Juli überschritten wir den Waucarusa, und am 20. gegen Mittag lagerten wir angesichts der Stadt Lawrence, wo wir am folgenden Tag den Übergang über den Kansas zu unternehmen beabsichtigten.

Zahlreiche Ansiedlungen hatten wir in den letzten Tagen von der Straße aus wahrgenommen, doch waren die wenigsten derselben wirklich bewohnte Gehöfte, und an den regelmäßigen Zwischenräumen, in denen sich die kleinen, mit einer Einfriedung umgebenen Blockhütten erhoben, erkannte ich leicht, daß die Landspekulanten auch hier den eigentlichen Ansiedlern vorausgeeilt waren.

Wenn nämlich die Regierung der Vereinigten Staaten durch Übereinkommen oder Kauf die Ländereien von den Indianern an sich gebracht hat, so beeilt sie sich vor allen Dingen, diese vermessen und in Bezirke und danach in regelmäßige sogenannte »Blöcke« von achtzig und hundertsechzig Morgen einteilen zu lassen. Diese Blöcke überläßt nun die Regierung an die neuen Ansiedler und Ankömmlinge zu dem geringen Preis von 1¼ Dollar für den Morgen. Um aber eine schnellere Kolonisation zu bewirken, wird dem Käufer die Bedingung gestellt, nicht nur eine geringe Grundsteuer zu zahlen, sondern auch auf seinem Besitz ein Haus zu bauen, Acker unter den Pflug zu bringen sowie einzufrieden und dann auch wenigstens einen Teil des Jahres dort zu wohnen oder einen Pächter oder Knecht dort wohnen zu lassen. Außerdem werden an die Soldaten, wenn sie ihre Zeit abgedient haben, bei ihrem Abgang Zertifikate verabreicht, kraft deren ihnen für jede vier Dienstjahre achtzig Morgen Land gehören, die sie sich von den Regierungsländereien, wo es ihnen nur immer beliebt, auswählen dürfen.

Diese sogenannten »Landwarrants« werden indessen nur in den seltensten Fällen von ihren ursprünglichen Besitzern in der von der Regierung beabsichtigten Weise benutzt und wandern, je nach Umständen, für den Preis von einer Flasche Whisky bis zu hundert Dollar in die Hände der Landspekulanten. Wendet sich nun der Strom der Einwanderung nach einer bestimmten Richtung hin, so eilen die Leute, die sich im Besitz von hinreichenden Mitteln oder auch nur von Landwarrants befinden, dem Ackerbauer voran, realisieren die auf die Soldaten lautenden Zertifikate und kaufen noch so viele Blöcke dazu, wie ihnen angemessen erscheint oder wie sie bezahlen können. Um dann dem Gesetz zu genügen und ihre Ansprüche nicht zu verlieren, errichten sie auf jeweils hundertsechzig Morgen eine kleine Hütte sowie etwas Einfriedung, pflügen auch wohl ein Stückchen Wiese um, lassen einen Menschen abwechselnd auf einer ganzen Reihe von sogenannten Farmen wohnen und warten dann ruhig so lange, bis die andringende Bevölkerung ihnen Gelegenheit gibt, das Doppelte und Dreifache von dem, was sie kurze Zeit vorher selbst zahlten, einzunehmen. Dem Mißbrauch, der auf diese Weise mit der Freigebigkeit der Regierung getrieben wird, ganz Einhalt zu tun, wird wohl schwerlich jemals gelingen; doch ist es vorauszusehen, daß sich Stimmen gegen ein Verfahren erheben werden, durch das die dem Unbemittelten zugedachten Erleichterungen und Wohltaten nur Leuten zugute kommen, die deren nicht bedürfen.

Leider befinden sich unter den Landspekulanten Leute vom größten Ansehen und Einfluß, Leute, die ein schweres Gewicht in die Waagschale zu werfen vermögen, wenn es jemandem einfallen sollte, ihre Freiheit des Willens und des Handelns anzugreifen, auch dann, wenn ein derartiger Angriff mit den Gesetzen der Menschlichkeit im Einklang steht. Doch um solche Übelstände, ich möchte sagen Krebsschäden in der menschlichen Gesellschaft, zu entdecken, bedarf es nicht der Reise nach dem Fernen Westen; wir finden sie überall, wo Menschen gesellig beieinander leben und deshalb Egoismus, Vorurteil, Eigendünkel und Meinungsverschiedenheiten existieren und den Grund zu Unterdrückung und nie zu schlichtendem Hader bilden. Die Stadt Lawrence hat eine schöne Lage auf dem rechten Ufer des Kansas unter den Abhängen der ungefähr dreihundert Fuß höher gelegenen Prärie, die sich dort dem Strom mit seinem waldigen Tal bis auf tausend Schritt nähert. Die Einwohnerzahl mag sich auf 12 000 belaufen, und es herrscht ein überaus lebhaftes Treiben in den regelmäßigen Straßen, die von schönen, massiven, vierstöckigen Häusern, von Bretterbuden und Blockhütten eingefaßt sind. Kaufläden, Billardsäle und Branntweinstuben reihen sich überall in buntem Gemisch aneinander, und zwischen diesen erblickt man hin und wieder ein deutsches Bierhaus, in dem von untersetzten »Landsleuten« gutes bayerisches Bier ausgeschenkt wird. Die Vorurteile der Amerikaner gegen alles, was aus Deutschland stammt, sind nämlich in einigen Beziehungen schon bedeutend geschwächt worden, denn wenn zum Beispiel – wie ich mich genau erinnere – vor wenigen Jahren noch unter den geborenen Amerikanern das Tragen von Schnurrbärten ebenso verpönt war wie das Biertrinken lächerlich, so erblickt man jetzt dafür selbst in den östlichen Staaten unter allen Klassen der Gesellschaft Bärte, die einem deutschen Demagogen Ehre und einen verzärtelten Fähnrich stolz machen würden; wie auch die an stärkere Getränke gewöhnten Amerikaner jetzt Bier trinken, als ob sie es auf deutschen Universitäten gelernt hätten. Wenn auch ersteres, wie alle der Mode unterworfenen Bräuche, weiter keine Bedeutung hat und ich desselben nur als einer Merkwürdigkeit gedenke, so ist letzteres dagegen bis zu einem gewissen Grad nicht ohne eine segensreiche Wirkung für die Nation, denn augenblicklich nimmt der Geschmack am Alkohol in dem Maße ab, wie die Liebe zum Malzgebräu wächst.

Wir begaben uns sogleich an den Fluß hinunter, und ich war nicht wenig erfreut, als ich den breiten Strom wiedersah, der, angeschwollen durch die zahlreichen Regengüsse, wie in wilder Wut dahintobte und -schäumte. Die Kommunikation war am vorhergehenden Tag vollständig gehemmt gewesen, und erst kurz vor unserer Ankunft hatte man begonnen, mittels eines geräumigen Flachbootes harrende Reisende nebst Wagen, Pferden und Rindvieh hinüber- und herüberzuschaffen. Als ich nun das schwere Fahrzeug beobachtete, das wie eine Feder auf den empörten Wogen tanzte und jeden Augenblick Gefahr lief, von mächtigen Treibholzstämmen zerschmettert zu werden, da gedachte ich längst vergangener Zeiten, und vor mir tauchte in der Erinnerung der friedliche Kansas auf mit seiner spiegelglatten Oberfläche und seinem sicheren Boden, wie ich ihn damals kennenlernte, als ich zum erstenmal die Fluren Missouris betrat und in der Gesellschaft des Herzogs Paul von Württemberg eine kurze Strecke oberhalb jener Stelle durch denselben setzte.

Der Fährmann störte mich in meinen Betrachtungen: »All ready, gentlemen!« rief er uns zu, und bald darauf waren wir emsig mit dem Einschiffen unserer Sachen und Tiere beschäftigt. Ohne Unfall gelangten wir auf das linke Ufer des Stroms, wo wir sodann unsere Reise ohne Zeitverlust fortsetzten. Die Straße führte durch niedrige Talgründe, die teilweise überschwemmt waren, und wir kamen daher nur sehr langsam von der Stelle.

Gegen Mittag dagegen erreichten wir höheren Waldboden, und als wir eben die Hoffnung aussprachen, nun nicht ferner durch Unwegsamkeit gehindert zu sein, befanden wir uns plötzlich am Rande einer tiefen, mit Wasser gefüllten Schlucht, von der die letzten Regengüsse die Brücke fortgerissen hatten. Zu beiden Seiten erblickte ich Gruppen von Menschen, die im Begriff standen, auf einem von den Überresten der Brücke zusammengefügten Floß die Passage wieder zu eröffnen. Da selbstverständlich unter den Reisenden, die übergesetzt zu sein wünschten, je nach ihrer Ankunft Reihe gehalten werden mußte, so konnten wir nicht darauf rechnen, noch am gleichen Tag unsere Reise fortzusetzen. Wir überließen daher unsere Tiere der Freiheit und lagerten auf dem Ufer, von wo aus wir zuschauten, wie die Menschen unter Lebensgefahr und die Wagen stückweise auf dem gebrechlichen Fahrzeug befördert wurden.

Die glühende Sonnenhitze machte die Atmosphäre in dem schattigen, feuchten Wald fast unerträglich; dies zusammen mit dem Umstand, daß oft Wagen und Gepäck in den Fluten versanken und erst mit Hilfe einiger gefälliger Shawnee-Indianer herausgezogen werden konnten, wir aber unsere Sammlungen vor allen Dingen gegen Nässe schützen mußten, veranlaßte uns, Erkundigungen einzuziehen, ob nicht ein anderer Weg nach Fort Leavenworth führe. Ein junger Irländer, der dort unter den Shawnees lebte und ebenfalls hilfreiche Hand beim Hinübersetzen leistete, teilte uns mit, daß er allerdings einen anderen Weg kenne, daß dieser aber wenigstens sechs Meilen weiter sei. Die Gefahr für die Sammlungen erschien uns indessen zu groß, als daß wir uns vor dem Umweg gescheut hätten, und da der Irländer sich willig finden ließ, uns als Führer zu dienen, so sattelten wir noch vor Abend auf und folgten ihm an der Schlucht hinauf nach.

Wir befanden uns bald in einer umfangreichen Wiese, die ringsum von Waldstreifen eingefaßt war, und eilig ritten wir dahin durch das hohe Gras, dessen Halme über unsere Sättel hinaufreichten.

Nicht ohne Besorgnis beobachteten wir den westlichen Himmel, den drohendes Gewölk mit rasender Schnelligkeit überzog und der durch die versteckten Strahlen der Sonne eine feuerrote und schwefelgelbe Schattierung erhielt. Wir vernahmen bald das dumpfe Rollen des Donners, einzelne heftige Schläge wurden deutlich, und ehe wir noch übereingekommen waren, wo wir das Nachtlager aufschlagen sollten, brach das Wetter mit einer Heftigkeit über uns los, wie ich es bis dahin noch nie kennengelernt hatte. Wir suchten uns gegen den Wolkenbruch zu schützen, indem wir die Sättel auf den Boden legten und uns selbst, mit den Schußwaffen unter uns und einer Decke um die Schultern, auf diese hinkauerten, doch das Himmelsgewölbe schien zusammenzubrechen, und nach wenigen Minuten schon saßen wir in tiefem Wasser, das heftig dem Kansas zuströmte. Die gelbe Färbung hatte sich unterdessen der ganzen Atmosphäre mitgeteilt, und wie ein feuriger Dom schien das berstende Gewölk auf blendenden Säulen und Zickzacklinien zu ruhen. Das Krachen des Donners war endlos; die Erde bebte unter den betäubenden Schlägen, und furchtsam drängten sich die Tiere zu uns heran, wie schutzsuchend gegen die empörten Elemente.

Da, als das Wetter seinen Höhepunkt erreicht hatte, trennte sich plötzlich die schwarze Wolkendecke von der Ebene, ein feuriger Streifen schoß gegen Norden und Süden dahin, und im vollsten Glanz zeigte sich auf wenige Minuten die scheidende Sonne. – Der Regen verzog sich bald, aber während der ganzen Nacht fühlten wir unter dem sternenklaren Firmament den erkältenden Einfluß der übermäßigen Nässe. – Das war unser letztes Erlebnis in der Prärie.

Begleitet von dem Irländer gelangten wir am Abend des folgenden Tages in die Hauptstraße, welche direkt nach Fort Leavenworth, unserem Ziel, führte, von dem uns nur noch zwei starke Märsche trennten.


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