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Wann dort, wo Goldorangen blinken,
Des Gottestages Strahlen sinken,
Die Fischer für die Nacht die Reusen still versenkt
In Buchten und an Felsgestaden,
Die Mädchen in den Wingertpfaden
Die Traubenkörbe hoch geladen,
Und munter Schar um Schar die Schritte heimwärts lenkt:
Dann hallt von des Argèns Geländen,
Auf Ebenen, an Hügelwänden,
In langgezog'nem Chor laut fröhlicher Gesang.
Doch nun verstummen Lust und Lieder,
Des Abends Stille senkt sich wieder
Rings auf die dunkeln Berge nieder,
Und aus den Tälern steigt der Schatten, trüb und bang.
Auf schwebten zu des Himmels Pforte
Die Heiligen. Auch ihre Worte
Verwehten, Wölklein gleich, in goldnem Abendlicht,
Wie Nachklang einer fernen Weise,
Wie Chorgesang, der Gott zum Preise
Auf Windesflügeln leise, leise
Vom Kirchlein aufwärts tönt. Mirèio hörte nicht.
Sie kniete still und schien zu träumen.
Ein seltsam Sonnenstrahlumsäumen
Verklärte ihre Stirn mit neuem Schönheitsglanz. . . .
Es hatten in den Heidelanden
Die Eltern sie gesucht und fanden
Sie endlich, endlich hier. Nun standen
Die beiden tief bestürzt im äußern Hallenkranz.
Die Hand eintauchend bei der Türe,
Daß heiliges Naß die Stirn berühre,
Betritt das greise Paar der Kirche Binnenraum.
Mirèio sieht sie. . . . Starr vor Schrecken
Gleich einer Amsel, wenn in Hecken
Verfolger jäh ihr Nest entdecken:
Ihr, Vater, Mutter, hier! ruft sie und faßt es kaum
Und sinkt. Die Mutter aber, weinend
Das Antlitz mit dem ihren einend,
Drückt sie an ihre Brust und flüstert leis und lind:
Was fehlt dir? Deine Wangen brennen!
Wirst du die Deinen wieder kennen?
Nichts soll hinfort dich von uns trennen!
Und weint und lacht verwirrt: Sie ist's, es ist mein Kind! –
Mirèio, meine süße Kleine,
Es drückt des Vaters Hand die deine!
Und ihre kalte Hand umklammert schmerzerstickt
Der Greis. Indes auf Windeswogen
Ist Kunde bis ins Dorf geflogen,
Und eilend kommt viel Volks gezogen,
Das durch der Kirche Tor gerührt ins Innre blickt.
Ihr müßt sie, hört man draußen sagen,
Zur obersten Kapelle tragen!
Tragt sie sogleich hinauf, es soll das arme Kind
Der großen Heiligen Gebeine
Im wunderreichen Gnadenschreine
Berühren! . . . Frau'n aus der Gemeine
Heben die Kranke auf und tragen sie gelind.
Das Kirchlein an des Meeres Wellen
Besteht aus drei Altarkapellen,
Turmartig aufgebaut aus roh behau'nem Stein.
Die unterste, Sara geweihte,
Ruft zum Gebet aus Näh' und Weite
Braunes Zigeunervolk. Die zweite Auf dieser ruht die höchste, dritte,
Als Krönungsbau der Tempelmitte.
Sie birgt der drei Marien geheiligtes Gebein,
Vermächtnis ihrer Erdenpfade
Und nun ein Quell der Himmelsgnade. . . .
Vier Schlüssel schließen jede Lade
Und aus Zypressenholz sind Deckel, Sims und Schrein.
Nur einmal im Jahrhundert werden
Sie aufgetan. Heil dem auf Erden,
Der solchen Wunderborn geschaut, berühret hat!
Er darf getrost aufs Meer sich wagen,
Ihm werden reich die Zweige ragen
Und körbeweise Früchte tragen,
Und seine Seele trinkt am ew'gen Gut sich satt.
Behütet wird von einem reichen
Und schöngeschnitzten Tor aus Eichen,
Geschenk der Stadt Beaucaire, das heil'ge Kirchengut.
Doch mehr als Wall und Eichenpforte
Verbürgt dem hohen Segenshorte
Die Gunst, mit der dem Gnadenorte
Der Himmel zugetan, getreue, sichre Hut.
Treppauf zur obersten Kapelle
Trug man die Kranke. Vor der Schwelle
Empfing sie der Kaplan und öffnete das Tor.
Wie wenn, vom Sturm gebeugt, die schlanken,
Fruchtschweren Gerstenhalme schwanken,
So, auf der Kirche Fliesen, sanken
Die Beter und es stieg also ihr Ruf empor:
O schöne, heil'ge Himmelsfrauen!
O wollet gnädig niederschauen
Laßt für dies arme Kind uns um Erbarmen flehn
Und gebt, daß Heilung noch gelinge!
Die Mutter ruft: O helft, ich bringe
Mein goldnes Kreuz euch, Kett' und Ringe
Und will durch Stadt und Land nur euch lobsingen gehn! –
O Heil'ge! Lasset euch bewegen!
Mein bestes Gut ist sie, mein Segen!
Fleht zitternd auch Ramoun in später Reue Pein.
O wollet, Heil'ge, sie bewahren,
Die schuldlos, schön und jung an Jahren;
Mich aber laßt zur Grube fahren,
Es kann auf Erden ja mein alt und morsch Gebein
Nur noch zum Malvendüngen taugen! . . .
Wortlos, mit halb geschloss'nen Augen,
Lag nun Mirèio da. Nicht fern mehr war die Nacht.
Weil frische Lüftchen von den Wiesen
Und aus den Tamarisken bliesen,
Hatte man auf des Daches Fliesen,
Von wo das Meer zu sehn, die Sterbende gebracht.
Denn das Portal – die Augenhelle
Der benedeiten Grabkapelle –
Führt auf das ebne Dach. Wer droben wandelt, steht,
Wie jenseits von der Brandung Schaume,
Weit draußen sich, im weißen Saume,
Die Flut eint mit dem Himmelsraume,
Und wie das große Meer die ew'gen Furchen zieht;
Sieht Wellen, die ans Ufer jagen,
In Stürzen aufeinanderschlagen,
Mit ihrem weißen Gischt die Dünen überziehn
Und brausend sich im Sande brechen;
Landeinwärts ungeheure Flächen,
Die keine Hügel unterbrechen
Und endlos, klar und blau, den Himmel drüber hin;
Und Tamarisken, deren Ranken
Im Winde hin und wieder schwanken;
Dort, salzkrautüberdeckt, den weiten Heideplan,
In dessen Teichen Schwäne baden
Und, an des Vacarés Gestaden,
Auf wildverwachs'nen Sumpflandpfaden,
Die Herden, die zum Trunk dem Wasserspiegel nahn.
Jetzt wird ein schwacher Laut vernommen,
Der von Mirèios Mund gekommen,
Und leise murmelt sie: Vom Land her und vom Meer
Sind es zwei Lüftlein, die ich fühle:
Das eine frisch wie Morgenkühle,
Das andre sengend und voll Schwüle;
Mich dünkt, es sei sein Hauch von Leid und Klagen schwer.
Nun schwieg sie . . . Nach der grünen Heide
Und nach der See im Schaumgeschmeide
Blickten erwartungsvoll gleich die Sanktiner hin;
Und einen schmucken Jüngling sahen
Sie mit beschwingten Schritten nahen;
Er war von Wirbeln Staubs umfahen,
Das Tamarisgehölz schien hinter ihm zu fliehn.
Es ist Vincèn! . . . Du armer Knabe,
Dein Hoffen geht, dein Glück zu Grabe!
Als kaum sein Vater ihm voll Leid gesagt: Mein Sohn,
Nicht gönnet dir des Schicksals Güte
Des Zürgelbaumes holde Blüte! . . .
War er, Verzweiflung im Gemüte,
Noch einmal sie zu sehn, vom Heimatdorf entflohn.
Sie ist bei den drei Heil'gen! sagte
Man in der Crau ihm. Eilends jagte
Er nach dem fernen Strand. Nicht Crau noch Rhonelauf,
Noch Marschland hemmen seine Schritte;
Kein Ort, wo es zur Rast ihn litte . . .
Jetzt steht er in der Beter Mitte:
Wo ist sie, ruft er, wo? und richtet hoch sich auf.
Sie ist beim heil'gen Schrein . . . noch lebend,
Doch schon im Todeskampf bebend! –
Da flog er atemlos den Wendelsteig hinan,
Und nun, an ihrem Lager stehend,
Die sterbende Geliebte sehend,
Hob er die Hände hilfeflehend:
Was hab' ich, schrie er auf, was hab' ich Gott getan?
Was büß' ich? . . . Nahm ich der das Leben,
Die säugend mir die Brust gegeben?
Bin ich im Kirchenbann? Wie? Sah man, daß ich je
Am heil'gen Licht die Pfeife zünde?
Hab' ich durch Kot und Distelgründe
Das Kreuz geschleift? O! welche Sünde,
Sagt an, rächt Gottes Zorn an mir durch solches Weh?
Ha! Nicht genug, sie mir zu weigern:
Man war bedacht, ihr Leid zu steigern!
Und er umschlang sein Lieb. Die rings, in dichter Schar
Um ihn gedrängt, den Jammer schauten,
Fühlten, wie bei den Klagelauten
Von Wehmut ihre Herzen tauten
Und teilten seinen Schmerz und weinten um das Paar.
Und wie von einem Wasserfalle
Aus tiefem Tal, im Wiederhalle,
Geräusch zur Alp hinauf ins Ohr des Hirten dringt,
So, aus des Tempels Tiefe, schwangen
Die Töne sich empor und drangen
Herauf zur Kranken. Sanft erklangen
Die Worte des Chorals, den der Sanktiner singt:
O teure Heil'ge, milde Frauen,
Die einst ihr unsre Marschlandauen
Für euer Grab erwählt, das leuchtend sich erhebt
Mit seinen Türmen, seinen Zinnen:
Was soll der Steuermann beginnen
Und wie des Meeres Wut entrinnen,
Wenn ihr nicht hilfbereit ihm günst'ge Winde gebt!
Und wer hilft einer armen Blinden?
Kein Salbei und kein Günsel finden
Den Ausweg ihr zum Licht und steuern ihrer Not.
Stumm, nur mit rührenden Geberden,
Bejammert sie ihr Los auf Erden . . .
O! Laßt sie wieder sehend werden,
Denn Nacht, beständig Nacht, ist schlimmer als der Tod
Herrinnen, Paradiesesfrauen,
Hort unsrer meerumrauschten Auen,
Ihr schickt, für unser Netz, die Fische küstenwärts;
O weiße Blumen unsrer Heiden,
Laßt ungetröstet und in Leiden
Die sünd'ge Schar von euch nicht scheiden;
Und gebt, wem Friede fehlt, ein friederfülltes Herz!
So, an des Heiligtumes Stufen,
Ward Hilf' und Gnade angerufen.
Und sieh! Der Heil'gen Huld gab, daß die Todesbraut
Ein Fünklein Lebenskraft durchsprühte
Und daß ihr Antlitz sanft erglühte;
Denn himmlisch süße Freude blühte
In ihrer Seele auf, als sie Vincèn erschaut:
Geliebter, hast du mich gefunden?
Gedenkst du noch der ersten Stunden
Und jenes Abends noch – wie lauscht' ich deinem Mund –
Als du auf unsern Hof gekommen,
Als ich von dir den Rat vernommen:
Geh, wenn du je vom Leid beklommen,
Schnell zu den heil'gen Frau'n, dort wird das Herz gesund.
O könntest du, dich zu erbauen,
Vincèn, in meine Seele schauen!
Mich richtet reichster Trost aus allem Leid empor:
Mein Herz ist wie ein frischer Bronnen,
Den Gnad' und Freude hell besonnen!
Es überfließt von Glück und Wonnen,
Ich seh' im Himmel schon der Gottesengel Chor. . . .
Mirèio schwieg. Die Lippen schliefen,
Doch in des Äthers blaue Tiefen
Heftete sich ihr Blick und schaute unverwandt
Nach fernen, wunderbaren Dingen . . .
Dann hauchte sie wie leises Singen:
O selig, sich dem Staub entringen,
O selig, wenn der Leib die Seele nicht mehr bannt!
Sahst du, als sie zum Himmel fuhren,
Vincèn, der Heil'gen Strahlenspuren? . . .
O welch ein schönes Buch, schriebe man alles auf,
Was sie geredet, mir zum Frommen,
Auch nicht ein Wörtchen ausgenommen! . . .
Vincèn, in Tränen, schmerzbeklommen,
Ließ dem gehemmten Weh in Klagen freien Lauf:
Gott gäb', ich hätte sie gesehen!
Mit lautem Schreien, heißem Flehen
Geklammert hätt' ich dann mich ihnen ans Gewand . . .
Laßt uns nicht jede Hoffnung schwinden,
Hätt' ich gerufen. Zuflucht finden
Wir nur bei euch! Laßt mich erblinden,
Macht zahnlos mir den Mund und fingerlos die Hand,
Ihr aber, meiner kleinen Elfe,
Gebt, gebt, daß Gottes Gnade helfe! –
O seht, da sind sie schon! O schaut, wie um sie her
Die leuchtenden Gewänder schweben!
Rief nun Mirèio. Und im Streben,
Der Mutter Arm sich zu entheben,
Winkte sie mit der Hand hinaus ins off'ne Meer.
Und alle blickten nach dem Meere,
Und alle schauten nur ins Leere.
Nichts, sprachen sie, kein Schiff, kein Wölkchen sieht man ziehn!
Wir sehn nur über'm Brandungsschaume,
Wie fern, im weißen Wellensaume,
Die Flut sich eint dem Himmelsraume,
Sonst ringsum nichts. – Wohl, wohl! O seht nur besser hin!
Auf einem segellosen Nachen
Stehn sie, rief zwischen Traum und Wachen
Mirèio. Seht, das Meer wird glatt auf ihr Gebot!
Sie sind es wohl! Wie ziehn sie leise!
Ein milder Lufthauch lenkt die Reise
Auf blauer, stiller Flut Geleise . . .
Es schwärmen, wie zum Gruß, Seevögel um das Boot! –
Sie redet irr, die arme Kleine . . .
Nichts sehn wir, als im Purpurscheine
Der See den Sonnenball, der eben niedertaucht.
Sie aber spricht: Ja, ja, sie kommen!
Sie haben mein Gebet vernommen!
Sanft wiegend kommt ihr Schiff geschwommen,
Es ist ein Gotteswind, der es ans Ufer haucht! –
Doch schon entfärbte sie das Leiden.
Weiß, wie Maßliebchen auf der Heiden,
Wird sie, das Sonnenbrand kaum aufgeblüht, geknickt;
Und ihrer Farbe Flucht belauert
Entsetzt, von allen tief bedauert,
Vincèn, der bebend, schmerzdurchschauert,
Sein brünstiges Gebet hinauf zum Himmel schickt.
Und jetzt, umblinkt von Kerzenhelle,
Erschien, im Chorkleid, auf der Schwelle
Der Priester mit dem Brot und dem Chrismarium.
Erst gab er ihr die Himmelsspeise,
Dann, nach des Kirchenritus Weise,
Die Ölung für die letzte Reise,
Und siebenmal empfing der Leib das Heiligtum.
Ganz stille war's am Gnadenorte.
Man hörte nur des Priesters Worte,
Der das Oremus sprach. Hoch an der innern Wand
Der goldig schimmernden Kapelle
Erstarb des Tages letzte Helle,
Und langsam brach die Meereswelle
Mit rauschendem Getön sich an des Ufers Sand.
Die Eltern, der Geliebte lagen
Verzweifelt auf den Knien. Ihr Klagen
Erscholl von Zeit zu Zeit wie dumpfes Schmerzgestöhn. –
Kommt, sprach Mirèio, laßt das Weinen,
Legt eure Hände in die meinen
Zum Abschied, denn in Glorienscheinen
Nahn die Marien mir, und leuchten himmlisch schön.
Es eilen ihnen allerwegen
Die Vögel froh zum Gruß entgegen . . .
Anbetend neigt sich schon der Tamariskenhain.
Sie winken mir, ich soll mich sputen
Und ohne Furcht sein. O, die Guten!
Ihr Schifflein führt durch lichte Fluten
Auf gradem Wege mich ins Paradies hinein.
Ramoun sprach: Daß mit Karst und Reute
Ich fleißig war, was hilft mir's heute,
Wenn du von Hause gehst, mein liebes, süßes Kind?
Wohl war ich oft vom Pflugscharlenken
Todmüd' in Rücken und Gelenken,
Doch braucht' ich deiner nur zu denken
Und Müdigkeit und Durst vergingen mir geschwind. –
Zieht Nachts um eure Lampe leise
Ein Falter manchmal seine Kreise:
Ich, Vater, werd' es sein . . . Nun ist das Schiff am Ziel . . .
Sie harren mein im Vorderteile . . .
Ach, nur noch eine kleine Weile,
Denn ich bin krank, mich schmerzt die Eile . . .
Da weint die Mutter laut: Nein, nein, das ist zu viel!
Ich trag' es nicht, du darfst nicht sterben!
Du mußt genesen, Kraft erwerben!
Und bist du erst gesund, so ziehn wir fröhlich aus
Und bringen einen Korb Granaten,
Die heuer ja so schön geraten,
Zu Muhm' Aurano, deiner Paten,
Die bei Maiano wohnt, nicht ferne von Li-Baus. –
Nein, Mütterchen, es ist nicht ferne!
Ach, ich begleitete dich gerne,
Doch gehst du wohl allein . . . Mir gib mein weiß Gewand:
Denn Mäntel, weiß und schön, umwallen
Die Boten aus den Himmelshallen!
Ist auf den Hügeln Schnee gefallen,
So glänzt er minder rein ins winterliche Land.
Da ruft Vincèn mit Leidgeberden:
Mein Glück, mein alles du auf Erden,
Die mir den Glanzpalast der Liebe aufgetan,
Die deiner Liebe Blumengabe
Mir dargereicht zur Seelenlabe;
Durch die der arme Flechterknabe
Zum Auserwählten ward, dem keine Tadler nahn.
Du, Sonne meiner Lebenstage,
Ist's möglich, hallt um dich die Klage?
Ist's möglich, kann es sein, umwehn dein liebes Haupt
So frühe schon des Todes Schauer?
War unser Glück so kurzer Dauer?
O große Heil'ge, rühren Trauer
Und Bitten denn euch nicht, daß solches ihr erlaubt?
Die Jungfrau aber hauchte leise:
O mein Vincèn, du sprichst nicht weise,
Denn was der Tod uns ist, du hast es nie bedacht:
Ein Wort, das wir mit Unrecht scheuen,
Ein Wolkenvorhang, dessen Dräuen
Die Sterbeglocken schnell zerstreuen,
Ein Traum, der uns erweckt, am Ende banger Nacht.
Ich sterbe nicht! Nein, ohne Wanken
Besteig' ich frei des Schiffleins Planken. . . .
Lebt wohl, lebt alle wohl! . . . Schon trägt das Meer uns fort!
Das Meer, des schöne blaue Welle
Uns wiegt, bespült die Demantschwelle
Des Paradieses, denn die Helle
Der Ewigkeit erglänzt an seinem Saume dort!
Wie sanft wir auf den Wellen gleiten! . . .
Dort, in des Abendhimmels Weiten,
Bietet ein Sternlein wohl getreue, stille Hut
Zwei Herzen, frei von Zwang und Höhnen! . . .
Horch! fernes, schönes Orgeltönen! . . .
Und plötzlich stumm, mit leisem Stöhnen,
Bog sie das Haupt zurück, wie man zum Schlafen tut.
Dem Lächeln nach in ihren Zügen
Schien sie noch Wort an Wort zu fügen . . .
Doch schon umgehn im Ring Sanktiner sie; und nun,
Indem sie sich die Kerze reichen,
Schlägt jeder ob der Todesbleichen,
Nach Brauch, damit des Kreuzes Zeichen . . .
Betäubt, vernichtet schaun die Eltern auf ihr Tun;
Und fassen's nicht: sie muß noch leben!
Strahlt doch ihr Antlitz glanzumgeben!
Daß trostlos nun das Leid in ihre Seelen zieht,
Sie können, wollen's nicht begreifen.
Vincèn läßt irr die Blicke schweifen
Und als sie nun die Teure streifen,
Als er die bleiche Stirn, die starren Augen sieht:
Tot, ist sie, tot! . . . Ihr Aug' erblindet! . . .
Und wie man Weidenruten windet,
Ringt er verzweiflungsvoll die braunen Hände wund.
Die Arme hoch zum Himmel ragen
Läßt er und ruft mit wildem Klagen:
Nicht sie allein zu Grabe tragen
Wird man! Ihr senkt mit ihr zugleich mich in den Grund!
Doch nein! Sie kann, sie darf nicht gehen!
Ein Blendwerk läßt mich irre sehen . . .
Im Namen Gottes sagt, ihr Leute, sagt mir frei,
Ihr saht der Toten mehr als einen:
Gehn jene denn, die wir beweinen,
Mit Lächeln fort? Will nicht euch scheinen,
Daß sanfte Fröhlichkeit in ihren Zügen sei?
Hilf Gott! Sie wenden sich zur Seite
Und starren seufzend in die Weite!
Zuviel! . . . So hör' ich nie, nie deine Stimme mehr?
Bleibt ewig nun dein Mund verschlossen? . . .
Und Tränenströme rings ergossen
Sich jäh. Der Brandung Wellen flossen
Mit dumpfem Klang heran, als trauerte das Meer. –
Manchmal, in einer großen Herde,
Stürzt eine Färse tot zur Erde;
Dann sammeln, sinkt die Nacht, die Stier' und Schälben sich
Um die Genossin: Und von allen
Hört man den Jammerruf erschallen,
Und Land und Wasser widerhallen
Ringsum, neun Tage lang, von Klagen, bitterlich. –
Beweine, Vater, deinen Knaben,
Bewein ihn, rief Vincèn. . . . Begraben
Sollt ihr, Sanktiner, mich mit ihr . . . Und in mein Ohr
Sprichst du, mein Lieb, im Grab, im schmalen,
Was die Marien aus goldnen Strahlen
Zu dir geredet . . . Muschelschalen
Türmest du, wildes Meer, dann über uns empor!
Sanktiner, euch will ich vertrauen!
Grabt uns in diesen Uferauen
Im weichen Sand ein Grab; denn daß ihr um uns weint,
Ist nicht genug bei solchem Leide!
In eine Wiege legt uns beide,
Und daß die Flut uns niemals scheide:
Häuft Steine auf den Ort, der uns im Tod vereint!
Und während mit der Reue Klagen
Die Stirnen die zur Erde schlagen,
Die grausam uns getrennt, ruhn wir im stillen Schrein,
Wo blaue Wellen uns umfließen
Und wir in seligem Genießen
Uns ewig in die Arme schließen
In süßer Küsse Tausch, entledigt jeder Pein! . . .
Und sinnverstört warf sich der Arme
In heißem, namenlosem Harme
Über die Tote hin, die Augen tränenleer.
Still lag, in fieberndem Umfangen,
Sein Haupt an ihren bleichen Wangen . . .
Und unten aus der Kirche klangen
Die Weisen des Chorals von neuem, voll und hehr:
O schöne Heil'ge, milde Frauen
Der bitternisgetränkten Auen,
Ihr sendet reichen Fang dem armen Fischerhaus:
O weiße Blumen unsrer Heiden,
Laßt ungetröstet und in Leiden
Die sünd'ge Schar von euch nicht scheiden;
Und wenn ihr Friede fehlt, gießt Frieden auf sie aus! |