Frederic Mistral
Mirèio
Frederic Mistral

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Sechster Gesang

Die Zauberin

Bei Tagesanbruch finden drei Viehzüchter Vincèn in der einsamen Crau in seinem Blute liegend. Sie bringen ihn auf ihren Armen zum Zürgelhofe. – Abschweifung: Aufruf des Dichters an seine Freunde, die Poeten der Provence. – Mirèios Schmerz. Man trägt Vincèn in die Feenhöhle, Schlupfwinkel der Nachtgespenster und Wohnung der heilkundigen Zauberin Tavèn. Die Feen. Mirèio begleitet ihren Verlobten in die Höhlengänge des Berges. Die Alraunwurzel. Die Erscheinungen in der Höhle: Die Poltergeister, Esperit Fantasti, die Waschfrau vom Ventour. Bericht der Zauberin: Die Totenmesse, der Hexensabbat, der wilde Jäger. Das schwarze Lamm, die goldene Ziege. Tavèn bespricht Vincèns Wunde. Verzückung und Wahrsagung der Beschwörerin.

 

               

                Dem ersten, fernen Frühlichtblinken
                Gesellt sich heller Sang der Finken.
Die schöne Erde harrt   des Sonnenaufgangs Lust
                Im Blütenkleid, im frisch betauten,
                Gleich einer Jungfrau ihres trauten
                Geliebten, der mit Schmeichellauten
Zur Holderglühten spricht:   O komm an meine Brust!

                Drei Männer, die vom Markte kamen,
                Viehzüchter, die den Heimweg nahmen,
Durchschritten früh die Crau.   Sie kamen über Feld
                Aus Sant-Chamas, dem reichen Flecken,
                Und kürzten plaudernd sich die Strecken;
                Geschultert, in den Manteldecken,
Trugen, nach Landesbrauch,   sie Mundvorrat und Geld,

                Als jäh der eine: Kameraden,
                Steht still: Hier kam ein Mensch zu Schaden!
Hört ihr es nicht? Mir scheint,   es seufzt im Heidekraut!
                Und die: Nichts hat es zu bedeuten!
                Es ist verwehtes Glockenläuten;
                Der Nordwind auch, der die zerstreuten
Zwergeichenbüsche fegt,   gibt manchmal solchen Laut.

                Doch jetzt verstummen sie: Ein Klagen
                Hat deutlich an ihr Ohr geschlagen!
Jawohl, es ist ein Mensch,   der also schaurig stöhnt!
                Jesus! Maria! – Sie erbleichen
                Und schlagen bang des Kreuzes Zeichen.
                Dann, ab vom Wege gehnd, erreichen
Behutsam sie den Ort,   woher das Wimmern tönt.

                O! welch ein Anblick! Auf den Kieseln,
                Die rot von seines Blutes Rieseln,
Liegt, erdwärts hingestreckt,   Vincèn; und um ihn her
                Am Boden, den die Lachen netzen,
                Das Gras zerstampft in weiten Plätzen,
                Die Ruten rings zerstreut, in Fetzen
Sein Hemd . . . und seine Brust   durchbohrt von breitem Speer.

                Verlassen, aller Hilfe ferne,
                Als Wächter nur des Himmels Sterne,
Hatte die Nacht er hier   im Fieberschlaf verbracht;
                Und als der Morgendämmrung Feuchten
                Und dann des jungen Tages Leuchten
                Die Lider ihm berührt, verscheuchten
Aus seinen Adern sie   den Tod: Er war erwacht.

                Und die drei Männer, voll Erbarmen,
                Umstanden hilfbereit den Armen;
Die Mäntel legten sie,   als weiche Krankenbahr',
                Entrollt zu Boden und geglättet;
                Die Arme unter ihr verkettet
                Trugen Vincèn sie wohlgebettet,
Zum Zürgelhof, der rings die nächste Wohnung war. . . .

                O Freunde! Jugendzeitgenossen!O Freunde! Jugendzeitgenossen! &c. – Der mit diesen Worten anhebende »Aufruf des Dichters an seine Freunde, die Poeten der Provence«, gewissermaßen eine Anrufung der Musensöhne anstatt der Musen, zeigt, wie Eduard Boehmer treffend bemerkt hat, in höchst eigentümlicher Weise den Poeten als Agitator, umringt von mitstrebenden Genossen im Dienste der provenzalischen Idee. »Es ist«, fügt Siegfried Samosch hinzu, »von besonderem Interesse, von Mistral selbst zu erfahren, wie hoch er die Mitbegründer des provenzalischen Dichterbundes, Roumanille, Aubanel, Tavan und andere Feliber geschätzt, wie innig er sie geliebt hat. Wie sympathisch erscheint uns Frederi Mistral in diesen Versen! Mit einer nie versagenden Anhänglichkeit für die provenzalische Heimat verknüpft er die innigste, treueste Freundschaft für die Jugendgefährten. So erscheint er uns nicht bloß als der hochbegabte Dichter, sondern auch als der charakterfeste Mann, der nicht minder als in seinem Vaterland im Auslande wertgeschätzt zu werden verdient.«

Zum besseren Verständnis des »Aufrufes« mögen hier die folgenden biographischen Notizen eine Stelle finden:

Jóusè Roumanille, geboren am 8. August 1818 zu Saint-Remy-de-Provence, wird der Vater des Felibertums genannt. Als siebzehnjähriger Student verfaßte er einige mit Beifall aufgenommene französische Gedichte. Da seine Mutter, eine einfache, nur provenzalisch sprechende Gärtnersfrau, dieselben nicht zu verstehen vermochte, dichtete Jóusè (Joseph) sie in die Sprache seiner Kindheit um. Auf diesen Zug der Sohnesliebe läßt sich die Entstehung der ganzen zeitgenössischen provenzalischen Literatur zurückführen; denn ohne ihn wäre Roumanille, wie er selbst versichert hat, kaum je auf den Gedanken gekommen, in provenzalischer Sprache zu schreiben.

Siebenundzwanzig Jahre alt, wurde Roumanille Lehrer am Dupuyschen Erziehungsinstitut in Avignon, unter dessen Schülern sich der damals fünfzehnjährige Frederi Mistral befand. Das innige Freundschaftsverhältnis, das sich bald zwischen dem jungen Lehrer und dem hochbegabten Knaben entspann, war von grundlegender Bedeutung für die provenzalische Renaissance. Roumanille gab später den Lehrerberuf auf und widmete sich als Buchhändler und Verleger in Avignon vornehmlich der Veröffentlichung neuprovenzalischer Schriften. Seine eigenen poetischen und Prosaerzeugnisse sind unter dem anspruchslosen Titel lis Oubreto erschienen. Den größten Ruhm brachten ihm seine Conte Prouvençau, eine Sammlung köstlicher humoristischer Erzählungen. Seit 1855 gab er den beliebten Volkskalender Armana Prouvençau heraus, der auch heute noch fast alle hervorragenden Feliber zu seinen Mitarbeitern zählt.

Mistral und Roumanille sind zeitlebens in wahrhaft idealer, nie auch nur durch den leisesten Schatten getrübter Freundschaft verbunden geblieben. – Am 24. Mai 1891 ist Roumanille gestorben.

Als der ehrwürdige Greis mit dem schönen, silberweißen Patriarchenhaupte, von seinen weinenden Familiengliedern und Freunden umgeben, auf dem Sterbebette lag, befanden sich Frederi Mistral und Frau seit einigen Monaten auf einer Erholungsreise in Italien. – »Anaïs,« flüsterte Roumanille mehrmals seiner Gattin zu, »du wirst Mistral, meinem lieben Mistral, sagen, daß ich in meiner letzten Stunde an ihn gedacht, nach ihm verlangt habe.« – Dann, als nach einer Weile seine Hand tastend auf der Bettdecke umherrirrte und Frau Anaïs den schon fast Bewußtlosen fragte: »Jóusè, was suchst du?« – antwortete er: »Ich suche die Hand des Freundes, um sie zu drücken.« – Und so verschied er.

Nun ruht der liebe Sänger an der Seite seiner Eltern im Friedhofe seines Heimatstädtchens Sant-Roumié, nach dem Wunsche, den er vor vielen Jahren in dem Sonett mounte vole mori ausgesprochen hat. Es lautet in Nikolaus Welters, des Biographen Mistrals, trefflicher Übersetzung wie folgt:

Wo ich sterben will.

        Zu Sant-Roumié birgt sich im grünen Hage
Ein Haus, von Apfelbäumen überdacht;
Dort hat dem Gärtner einst mich zugebracht
Die Gärtnerin am schönsten Erntetage.

Bei sieben Kindern ist gar groß die Plage;
Und mehr als einmal hat die ganze Nacht
Mein Mütterlein an meinem Bett gewacht,
Wenn krank ich lag mit hilflos banger Klage.

O trautes Haus in Grün und Blütenschein!
Das Vöglein, das dich ließ, gedenkt oft dein
Und sehnt sich heim in deinen duft'gen Frieden!

Und du, mein Gott, o schließ' mit sanfter Hand,
Wenn ich beendet meinen Lauf hienieden,
Mein Auge dort, wo meine Wiege stand.

Neben Mistral und Roumanille hat den größten Anteil an der literarischen Auferstehung Südfrankreichs

Theodor Aubanel, geboren zu Avignon am 26. März 1829, gestorben 1886. Sein Hauptwerk, La Mióugrano entreduberto, hat ihm den Beinamen des provenzalischen Petrarca eingetragen. Außerdem verfaßte er mehrere Dramen und größere erzählende Dichtungen.

Mit diesen dreien waren Mitbegründer des am 21. Mai 1854 im Schlosse von Font-Segugno gestifteten Bundes der Feliber (s. d. im >Namenverzeichnis) die provenzalischen Dichter:

Anselme Mathieu, geboren 1828 zu Châteauneuf-du-Pape (Vaucluse), Verfasser von La Farandoulo, gestorben 1895.

Alphonse Tavan, geboren 1833 zu Châteauneuf-de-Gadagne (Vaucluse), Verfasser von Amour e plour.

Paul Giéra, geboren 1816 zu Avignon, Verfasser von Li Graup. Schrieb unter dem Pseudonym Glaup (Anagramm von Paul G.), gestorben 1861.

Jean Brunet, geboren 1822 zu Avignon, gestorben 1894.

Die übrigen im »Aufruf« genannten Freunde Mistrals sind:

Antoine Crousillat, der Dichter von La Bresco und Li Naudau, geboren 1814 zu Seloun am Flüßchen Touloubro in der Crau, gestorben daselbst 1899. – Sein Landsmann Michael Nostradamus starb zu Seloun im Jahr 1565.

Adolphe Dumas aus Bompas (Vaucluse), der die persönliche Bekanntschaft Mistrals mit Lamartine vermittelt hat und


                Tapfre Feliber, edle Sprossen
Der herrlichen Provence,   die ihr ein achtsam Ohr
                Geliehen meinen Heimatsängen:
                Du, Roumanille, in dessen Klängen
                Voll Harmonie sich hold vermengen
Volkstränen, Jugendlust   und Frühlungsblumenflor;

                Du, der in Wäldern und an Flüssen
                Sein Herz in Liebesleidergüssen,
O stolzer Aubanel,   in Einsamkeit verzehrt!
                Du, der an Ruhm den Astrologen
                Nostradamus noch überflogen,
                Indem du den Touloubrowogen
Crousillat, durch dein Werk   den alten Glanz gemehrt;

                Anselm Mathieu, der du in Schauen
                Versunken weilest, wenn die Frauen
Und Mädchen froh vereint   du unterm Rebzelt siehst!
                Du, Spötter Paul, voll feiner Witze,
                Und du, daß Lied bei Tagwerkshitze
                Dem Heimchensang der Bodenritze
Sich eint, wenn, mein Taván,   du deine Furchen ziehst!

                Und du, der in Durancefluten
                Eintauchtest die Gedankengluten,
Adolf Dumas, der du   an unsrer Sonne Brand
                Erwärmtest deines Nordens Laute:
                Als schüchtern die nicht weltvertraute
                Mirèio sich hinaus getraute,
Führtest du zu Paris   das Mägdlein an der Hand!

                Du, Garcin, dessen Sehnen, Lieben
                Von einem Flammenwind getrieben
Des Schmiedes von Allèn   heißblüt'ger Sohn! Du auch,
                Ihr alle, Jugendzeitgefährten!
                Je mehr der Frucht, der heißbegehrten,
                Ich nah' auf meinen Höhenfährten,
Je frischer sei mein Pfad   umweht von eurem Hauch! . . .

                Meister Ramoun, grüß Gott: wir fanden
                Da draußen in den Heidelanden,
Sprachen am Ziel die drei,   hier diesen jungen Mann! . . .
                Soll überhaupt er es verwinden,
                So muß man gleich mit eurer linden
                Hausleinwand ihm die Brust verbinden!
Und auf den Schiefertisch   legten Vincèn sie dann.

                Als, was geschehn, Mirèio hörte,
                Lief sie wie eine Sinnverstörte
Vom Gartenland herbei.   Ihr Korb entfiel der Hand;
                Zum Himmel hob sie hoch die Arme:
                O Mutter unsres Herrn, erbarme
                Dich unser! Schnell auch kam im Schwarme
Vom Feld das junge Volk,   das bald den Tisch umstand

                Vincèn, was tat man dir? O wehe,
                Daß ich mit Blut bedeckt dich sehe!
Sie hebt des Liebsten Haupt   mit sanfter Hand empor;
                Dann bleibt, in schmerzvoll stummem Schauen
                Sie reglos, wie aus Stein gehauen,
                Und aus den schönen Augen tauen
Auf Wang' und Busentuch   die Tropfen schwer hervor.

                Vincèn erkennt der Teuren Hände.
                O helft mir, haucht er, Lindrung sende
Mir Gott und bleibe mir   mit seiner Gnade nah! –
                Dem Kranken einen Trank zu holen
                Hatte Ramoun indes befohlen;
                Nun sprach er: Hier! dich zu erholen
Hilft wohl am besten dir   ein Schluck Agrioutat. –

                Ja trinke, trinke! rief geschäftig
                Mirèio, der ist alt und kräftig!
Und schenkte hurtig ein:   O komm, das tut dir gut! –
                Ihr Zuspruch stillte seine Klagen,
                Besänftet schien des Schmerzes Nagen
                Und leise hörte man ihn sagen:
Solch Leid erspar euch Gott   und lohn euch, was ihr tut!

                Ein Weidenschoß wollt' ich zerspalten
                Und hatt' es gegen mich gehalten;
Da glitt das Eisen aus   und traf mich in die Brust.
                Daß er für sie gekämpft, verschwiegen
                Die Lippen, doch wie stets die Fliegen
                Zum Honig kehren, also stiegen
Der Liebe Worte nun   ans Licht, ihm unbewußt.

                Der Schmerzenszug an eurem Munde
                Ist bittrer mir, als meine Wunde,
Sprach er. Es soll nicht sein!   Das schöne Körbchen soll,
                Das wir begannen, unsern Händen
                Entgleiten, eh' wir es vollenden!
                Mirèio! Unsrer Liebe fänden,
So hofft' ich, wir dereinst   es bis zum Rande voll.

                Bleibt da . . . und laßt aus euren Augen
                Mein Herz ein letztes Leben saugen!
Sonst hab' ich keinen Wunsch. . . .   Doch: Eins noch schafft mir Pein.
                Wer soll hinfort mit meinem greisen,
                Mühsalgebrochnen Vater reisen?
                O! wollt ihr Liebes mir erweisen,
So laßt den alten Mann   euch recht empfohlen sein!

                Mirèio weint und schluchzt. . . . Indessen
                Hat sie der Wunde nicht vergessen
Und spült nun selbst sie aus.  Scharpie aus Linnen ziehn
                Die andern; wieder andre eilen
                Zum Berg, des Kräuter Wunden heilen.
                Die Mutter ruft: Nur kein Verweilen!
Zur Feenhöhle tragt,   zur Feenhöhle, ihn!

                Denn je gefährlicher die Wunde,
                Je mehr bewährt sich Zauberkunde!
Auf denn, ins Höllental,   zur Feenhöhle! Eilt!
                Vier tragen ihn. . . . Die Felsenkette
                Dort bei Li-Baus umschließt die Stätte;
                Sie dient den Molchen nur zum Bette
Und drüber kreist der Weih,   der kühn die Lüfte teilt.

                Von Rosmaringebüsch verborgen
                Erschließt die Höhle sich gen Morgen.
Seit zu Marias Ehr'   den heil'gen Engelsgruß
                Durchs Tal die Glockentöne wehen,
                Haben der Vorzeit schöne Feen
                Den Sonnenschein nicht mehr gesehen:
Aus Felsentiefen trat   nie mehr ein Feenfuß.

                Als lichte, wunderbare Geister
                Schuf, zwischen Form und Stoff, der Meister
Die Feen und hüllte sie   in klares Zwielicht ein.
                Halbirdisch-weibliche Gebilde,
                Sichtbare Seelen der Gefilde,
                Sollten die frühsten Menschen Milde
Sie lehren, ihnen Rat   und Führerinnen sein. –

                Doch bald schon für die Jugendschöne
                Entbrannten sie, der Menschen Söhne.
Törinnen! Anstatt uns   zu sich ins lichte Reich
                Der reinen Lieb' emporzuheben,
                Fielen, der Leidenschaft ergeben,
                Ins drangvoll dunkle Erdenleben
Sie jäh aus ihren Höhn,   behexten Vögeln gleich.

                Im engen, dunkeln Höhlenmunde
                Betteten auf dem schrägen Grunde
Die Träger nun Vincèn,   der langsam abwärts glitt;
                Und mit ihm den gefahrbesäten,
                Nachtfinstern Felsgang zu betreten
                Wagte Mirèio nur. Mit Beten
Befahl die Seele sie   dem Herrn bei jedem Schritt.

                An des geneigten Schachtes Ende
                Bildeten weite Grottenwände
Ein eisiges Verließ.   Und mitten inne saß,
                Am Boden einsam hingekauert,
                Tavèn, die Weise. Traumdurchschauert
                Sprach sie im Tone des, der trauert,
Zum Halme, den sie hielt,   von wildem Trespengras:

                Bescheidner Halm! Es schmähn die Leute
                Dich Teufelsweizen. Uns bedeute
Dein unverdross'nes Blühn   der Schöpfung Werdelust! –
                Mirèio grüßt sie; dann, mit Beben,
                Berichtet sie was sich begeben.
                Doch ohne nur das Haupt zu heben
Fällt ihr Tavèn ins Wort:   Ich hab' es längst gewußt!

                Dann wieder sprach mit Meckertönen
                Zur Trespe sie: Die Menschen höhnen
Dich Arme, doch du keimst   und wucherst munter fort.
                Je mehr die Herden dich verzehren
                Und dich zerstampfen und versehren,
                Je voller sprossen deine Ähren,
Je reicher schmückt dein Grün   den Mittag wie den Nord.

                Die Hexe schwieg. Rings in die Klause
                Erglomm, aus einem Schneckenhause,
Der rote Wiederschein   von eines Lichtleins Brand.
                Auf einer Stange, in der Nähe
                Der Alten, spreizten mit Geblähe
                Sich eine große schwarze Krähe
Nebst einem weißen Huhn.   Ein Sieb hing an der Wand.

                Jetzt sprach Tavèn: Die zu mir kamen,
                Befragt' ich niemals nach dem Namen.
Der Glaube schreitet blind   und die Barmherzigkeit
                Trägt eine Binde. Ihre Wege
                Finden sie doch. . . . Du heischest Pflege?
                Korbmacherssohn aus Valabrege,
Fühlst du dich gläubig? – Ja! – So komm in mein Geleit!

                An Hast der Wölfin zu vergleichen
                Begann die Alte zu entweichen;
Ihr dürrer Leib verschwand   in einem Felsenspalt.
                Das junge Paar, erstaunt, betroffen,
                Folgt eilig, zwischen Furcht und Hoffen.
                Zuweilen wird ihr Ohr getroffen
Von Krähenruf, der grell   die Finsternis durchhallt.

                Steigt rasch herab! Schon naht die Stunde
                Der Krönung mit dem Alraunbunde! –
Die beiden folgen schnell,   der feuchten Wand entlang,
                Stets eines an des andern Seite,
                Der Stimme nach, die ihr Geleite.
                Zu einer Grotte, die an Weite
Die erste übertraf,   erschloß sich jetzt der Gang.

                Steht stille! Winkte hier die Hexe. . . .
                O meines Meisters Heilsgewächse,
Des Nostradamus Zweig,   Sankt Josephs Wanderstab
                Und Mosis Reis, im Zauberglanze!
                Rief sie, und mit dem Rosenkranze
                Berührte knieend sie die Pflanze,
Die aus dem Felsen wuchs,   der rings den Raum umgab.

                Dann stand sie auf: Es ist die Stunde!
                Bekränzt euch mit dem Alraunbunde!
Rief sie von neuem aus.   Und rasch vom Felsgestein
                Beginnt sie Zweiglein abzupflücken,
                Das Paar und sich damit zu schmücken. . . .
                Vorwärts! Und durch die Felsenlücken
Dringt eifriger denn je   ins Bergverließ sie ein.

                Auf allen Rücken Lichtgefunkel
                Kriecht plötzlich durch das Höhlendunkel
Ein Käfertrupp herbei,   und heller wird der Raum:
                Den Ruhm erkauft man nie zu teuer,
                Sein Weg führt stets durchs Fegefeuer. . . .
                Seid mutig und der Sieg ist euer!
Mut! wir betreten jetzt   des Höllenkessels Saum!

                Noch war das Wort ihr nicht entflogen,
                Da kam's wie Sturmwind hergezogen:
Werft schnell euch aufs Gesicht!   Es ist der wilde Zug
                Der Poltergeister dieser Grüfte!
                Wie Wettersturm durch Felsenklüfte
                So braust und wirbelt durch die Lüfte
Der ungezählte Schwarm   und heult und kreischt im Flug.

                Und kalter Schweiß entrinnt den Schläfen
                Der dreie nun. Es ist als träfen
Die Geister, Schlag auf Schlag,   mit eis'ger Flügel Graus
                Die Stirnen ihnen. – Fort, Gelichter!
                Boshafte Rotte! Saatvernichter!
                Zurück ins Dunkel, Nachtgesichter!
Verzieht euch, rief Tavèn,   und weicht zur Seite aus!

                O der Verruchten, Bösen, Tollen!
                Daß bei dem Guten, das wir wollen,
Uns manchmal solch Gezücht   allein noch Dienste tut!
                Denn wie der Arzt aus schlimmsten Dingen
                Oft Bestes weiß hervorzubringen,
                So wir: durch Zauberkunst erzwingen
Wir von des Bösen Macht,   was heilsam ist und gut.

                Denn uns, den Herren, offenbaren
                Sich alle Dinge. Wir gewahren
Wo ihr nur einen Stein,   ein Holz, ein Siechtum seht,
                Die tief verborgnen Wunderkräfte;
                Wir sehn der Pflanzen feinste Säfte
                Im Kerker ihrer Rindenschäfte
Sich mühn, wie wenn im Faß   der Most in Gärung geht . . .

                Durchstich das Faß: in heißen Wellen
                Wird dir der Trank entgegenstellen;
Entdecke, wenn du kannst,   den Schlüssel Salomos!
                Sprich in der Sprache, die ihm eigen
                Zum Berg: er wird sich talwärts neigen. . . .
                Und tiefer, immer tiefer steigen
Die drei, Tavèn voran,   hinab im Felsenschoß.

                Ein neckisch Stimmchen, dünn und schrille
                Wie Finkenschlag, durchgellt die Stille:
Gevatterin Tavèn,   ihr seid es, meiner Treu!
                Mein Mühmchen Jano spinne, spinne,
                Bei Tag und Nacht und sinne, sinne,
                Wie's Fädchen von der Spule rinne,
Mein Mühmchen Jano spinne, spinne &c. – Kinderlied. Die kursiv gedruckten Verse lauten provenzalisch:

Viro lo tour ma tanto Jano,
Viro lo tour, e piéi debano,
La niue, lou jour, soun fiéu de lano.

Sie meint, sie spinne Garn   und spinnt doch nichts als Heu!

                Laß, Mühmchen, dich nicht irre machen! –
                Und dann erschallt ein tolles Lachen.
So wiehert auf der Au'   das junge Fohlen hell,
                Das kaum der Muttermilch entwöhnte. –
                Wes ist die Stimme, die uns höhnte,
                Bald lachend und bald singend tönte?
Fragte Mirèio bang. . . .   Und wieder scholl es grell:

                Wie heißt dein schönes junges Nichtchen?
                Erlaube, niedliches Gesichtchen,
Aus Neugier frag' ich nur,   sag an, was birgst du denn
                Im Halstuch, Kleine? Soll ich raten?
                Sind's Haselnüsse, sind's Granaten?
                Die Arme, außer sich geraten,
Rief eben ach und weh. . . .   Sei still! befahl Tavèn,

                Ein Kobold nur! Kannst ruhig bleiben!
                Er will ein wenig Possen treiben.
Das tolle Kerlchen heißt   Esperit-Fantasti:
                Ist es bei Laune, sich zu regen,
                So wird es deine Küche fegen,
                Die Hennen werden dreifach legen,
In seiner Hut verlischt   dein Bratenfeuer nie!

                Doch spuken Grillen ihm im Kopfe,
                Dann gute Nacht! Im Suppentopfe
Liegt dir ein Vierling Salz;   die Lampe löscht es aus
                Und wird im Dunkeln dich erschrecken,
                Vom Bette zerrt es deine Decken,
                Zerknittern oder auch verstecken
Wird's deinen Sonntagsstaat   zum Gang ins Gotteshaus. –

                Hört, hört der dürren Spindel Surren!
                Schweig, alte Katze, laß dein Murren!
Antwortet schnell der Schalk.   Dann eilt er lachend fort. . . .
                Und in den weiten Felsenhallen
                Verstummt der Spuk. Die Tropfen fallen
                Zum harten Boden, der kristallen
Erklingt und fernhin tönt   im finstern Höhlenort,

                Die Tropfen, die dem Quell entrinnen
                Der Wölbung. Sonst ist's stille drinnen.
Doch jetzt, von einer Bank   am Fels – o neue Pein! –
                Dort in dem nachtumhüllten Gange
                Erhebt sich eine weiße, lange
                Gestalt. Vincèn, zum Tode bange
Für sein erschrecktes Lieb,   erstarrte schier zu Stein.

                Und wenn ein Abgrund an der Stelle
                Gegähnt, Mirèio hätte schnelle
Den Sprung hinab getan,   nicht achtend der Gefahr. –
                Was soll es mit dem langen Tropfe?
                Was reißt dich, schrie Tavèn, am Schopfe?
                Was wackelst so du mit dem Kopfe?
Ihr guten Kinder, sprach   sie zum entsetzten Paar,

                Es ist die Waschfrau. Auf der Kuppe
                Des Mount Ventour kocht sie die Suppe.
Sie scheint, vom Tal gesehn, ein weißer Wolkenhauf.
                Doch naht sie, Hirten, euch, dann wehe!
                Treibt schnell das Vieh zur Stallesnähe,
                Damit kein Unheil ihm geschehe!
Denn ringsher um den Berg   rafft sie die Wolken auf;

                Und findet sie, der Haufe tauge
                Zu einer schönen, großen Lauge
So schlägt sie ihn mit Wut.   In Strömen draus hervor
                Sprühn tosend Regen, Wind und Flamme,
                Die Wogen schwellen hoch zu Damme,
                Der Schiffer, bleich, am Mastesstamme,
Schickt unsrer Lieben Frau   ein Angstgebet empor

                Und eilig treibt der Hirt zum Stalle. . . .
                Da gellt's von neuem durch die Halle
So furchtbar, daß Tavèn   das Reden jäh vergeht:
                Gemiaue wie von bösen Katzen,
                Gepfeife wie von tollen Ratzen,
                Gewinsel, abgeriss'nes Schwatzen,
Geplapper, das allein   der Böse wohl versteht.

                Horch! Paukenschall und Zimbelklänge! . . .
                Wer lärmt so durch die Felsengänge?
Und immer näher kommt's,   Gezänk und Jammerton,
                Geheul, Gezeter und Gewimmer
                Wie Schmerzgestöhn im Krankenzimmer;
                Und schlimmer tobt es, immer schlimmer
Und keucht und knurrt voll Wut   und kreischt und lacht voll Hohn!

                Reicht mir die Hand, ich will euch leiten
                Und achtet wohl, daß den geweihten
Stirnkranz ihr nicht verliert! – Und kaum der Ruf ergellt,
                Drängt es sich wirr um ihre Beine
                Gleich einem Trupp erboster Schweine:
                Es schnaubt und pustet laut das eine,
Das andre quiekt und grunzt   und jenes schreit und bellt.

                Wenn Jäger an beschneiten Tannen
                Und Brombeerstauden Netze spannen
In klarer Mitternacht;   und wenn, bei Fackelschein,
                Sie lärmend auf die Büsche schlagen,
                Dann sieht man so dem Nest entjagen
                Die Vögel, die im Schlafe lagen:
Zum Netz hin braust der Schwarm   und drängt sich toll hinein.

                Jetzt aber schrie die Hexe mächtig:
                Heuschreckenplage, niederträchtig
Gesindel, fort mit dir! . . .   und schwang dabei ihr Sieb
                In Zeichen, die bald Flammenstrichen,
                Bald purpurfarbnen Strahlen glichen.
                Die Schmutzgesellen all entwichen
Vor jenem Zauberbann,   den sie ins Dunkel schrieb.

                Geht schnell in eure finstern Ecken,
                Ihr Übeltäter, euch verstecken!
Wenn es wie Feuerpfeil   in eure Weichen sticht,
                Fühlt ihr dann nicht, daß die Alpinen
                Von goldner Sonne noch beschienen?
                Hängt euch an eure Felsenminen!
Für Fledermäusepack   taugt Tageshelle nicht. . . .

                Und sie verzogen sich in Schwärmen;
                Und nach und nach verstummt das Lärmen.
Wißt, daß den Ort hier, sprach   Tavèn, zum Paar gewandt,
                Zur Zuflucht die Gespenster machen,
                Wann über Strom und gelbe Brachen
                Des holden Tages Blicke wachen;
Allein sobald die Nacht   ihr Bahrtuch aufgespannt,

                Zur Zeit, da Februar dem Hohne
                Der Altfrau wehrt, mit derbem Lohne,Zur Zeit, da Februar dem Hohne &c. – Die provenzalischen Landleute haben die Wahrnehmung gemacht, daß die drei letzten Februar- und die drei ersten Märztage fast immer eine Zunahme der Kälte bringen, und ihre dichterische Einbildungskraft erklärt dies folgendermaßen:

Eine alte Frau hütete ihre Schafe. Es war gegen Ende des in Südfrankreich meist sehr milden Monats Februar. Die Alte, welche wähnte, dem Winter schon entronnen zu sein, erlaubte sich, den abziehenden Februar zu verhöhnen, indem sie sang:

Februar, geh heim! Denn deine Strenge
Treibt wahrlich keinen in die Enge!

Der Spott der Alten ärgert den Februar, der, sobald März in seine Nähe gekommen, diesen anruft: »Heda, März! Du könntest mir einen Gefallen tun.« – »Zwei, wenn's sein muß,« antwortet der höfliche Nachbar. – »Leihe mir drei von deinen Tagen; ich will mit ihnen

Und mit den dreien, die mir bleiben,
Das alte Weib in die Enge treiben!«

Sollt Abends spät, o Fraun,   ihr nicht zum Beten gehn.
                Wagt's nicht! Geht Abends nicht alleine
                In der verlass'nen Kirchen eine! . . .
                Ihr könntet sonst im Dämmerscheine
Die Bodenplatten rings sich jäh erheben sehn

                Und alle Kerzen sich erhellen
                Und einzeln, aus der Grüfte Schwellen,
Ins Grabtuch eingenäht,   die Toten niederknien;
                Der Priester, ihnen gleich an Blässe,
                Stimmt an das Credo und die Messe,
                Indes die dumpfen Glockenbässe,
Von selbst in Schwung gesetzt,   langhin ihr Seufzen ziehn.

                Fragt nur des Kirchturms Schleiereulen,
                (Im Winter, wenn die Stürme heulen,
Kommen, der Lampen Öl   zu trinken, sie herbei)
                Ob wahr, daß, wie ich euch berichtet,
                Der Ministrant, der, amtsverpflichtet,
                Den Kelch zur heil'gen Handlung richtet,
Der einzig Lebende bei solcher Feier sei.

                Zur Zeit, da Februar dem Hohne
                Der Altfrau wehrt, mit derbem Lohne,
Wollt ihr nicht sieben Jahr,   o Hirten, regungslos
                Trotz allem Pflastern, Salben, Reiben,
                Verhext und steif am Platze bleiben;
                Eilt, euer Vieh zum Stall zu treiben:
Die Feenhöhle läßt   ihr Heer sonst auf euch los!

                Denn alles was den Pakt beschworen,
                Und was der Seele Heil verloren,
Und was des Bösen Pfad,   und was des Lasters Bahn
                Gewandelt ist im Erdenleben,
                Was sich der Zauberei ergeben,
                Der schwarzen Kunst, dem Schätzeheben,
Durchstürmt als Satansspuk   bei Nacht den weiten Plan.Denn alles, was den Pakt beschworen &c. – In die mit diesem Verse beginnende Strophe glaubte der Übersetzer die in wörtlicher Wiedergabe folgenden sechs Strophen des Originals zusammenfassen zu dürfen:

»Und in die Crau begibt sich, auf allen vieren oder im Fluge, alles, was den Pakt geschlossen hat; und auf den gewundenen Fußpfaden kommen durch den Thymian der Magier von Varigoulo und der Hexenmeister von Fanfarigoulo, um aus der goldenen Tasse zu trinken.

Seht, wie die Heide tanzt! Schon wartet mit zitternden Eingeweiden die Garamaudo auf den Gripet . . . Pfui die Satansvettel! Gripet, beiße das Aas und reiße ihm mit den Krallen die Gedärme aus dem Leibe . . . Sie verschwinden . . . Seht, dort sind sie wieder, Greuel und Höllenlärm!

Jene dort unten, die sich durch die Wolfsmilchstauden kriechend davonmacht, wie ein nächtlicher Dieb, der gebückt entflieht: Es ist die mürrische Bambaroucho! In ihren langen Krallen und auf ihrem gehörnten Kopfe trägt sie die nackten und weinenden kleinen Kinder hinweg . . .

Seht ihr dort den Alp? Durch die Schornsteine kommt er verstohlen herab auf die müde Brust des Schlummernden, der sich unruhig umherwirft. Stumm kauert er darauf, drückt sie wie ein Turm und verwirrt den Geist des Schlafenden mit entsetzlichen Träumen und schmerzlichen Truggebilden.

Hört ihr, wie man die Türen aus ihren Angeln reißt? Die Escarinche, der Marmau, der Barban streifen in den Feldern umher . . . Sie bilden einen Nebel in der Heide; bis aus den Sevennen kommen die Kobolde mit ihren Salamanderleibern zu Dutzenden herbeigelaufen, und im Vorüberziehen, plumps! reißen sie das Dach vom Bauernhause.

Welch ein Getöse! . . . O Mond, o Mond, was erzürnt dich, daß du so rot und groß über Li-Baus hinabsteigst? Gib acht auf den bellenden Hund, o toller Mond! Wenn er dich erschnappt, wird er dich verschlucken wie einen Kuchen, denn der Hund, der dir auflauert, ist der Hund von Cambau!«

                Es knickt die Sträucher in der Heide,
                Versengt die Kräuter auf der Weide
Und Flammen leuchten ihm   zu seinem tollen Tun;
                Es stampft und klingelt durch die Pfade
                Mit Narrensprüngen, krumm und grade;
                Voran in wilder Galoppade
Durchrast die dürre Crau der Freiherr Castihoun! –

                Tavèn sprach leis und immer leiser;
                Dann blieb sie stehn, erschöpft und heiser. . . .
Doch jetzt: Die Schürze zieht   euch übers Haupt empor!
                Das schwarze Lamm! Fort, ohne Zagen! –
                Ist es das Lämmchen, dessen Klagen
                Ich höre? . . . will Vincèn noch fragen –
Doch sie: Seid auf der Hut!   Verschließet Aug' und Ohr!

                Mehr noch als am Sambücopasse
                Bedroht Gefahr euch in der Gasse
Des schwarzen Hörnertiers.   Weh dem, den es betört!
                Es läßt so lieblich durch die Hallen
                Sein Rufen und sein Blöken schallen;
                Doch wer ihm lauscht ist ihm verfallen!
Den unbedachten Sinn,   der auf sein Locken hört,

                Blendet es mit Herodes' Schatze
                Und Judas' Gold; führt ihn zum Platze,
Wo Sarazenenlist   die goldne Ziege barg.
                Und bis zum Tod, nach Lust und Willen
                Darf er den Durst nach Golde stillen;
                Doch schluckt er einst die letzten Pillen
Und heischt das Sakrament   als Zehrung in den Sarg,

                Dann wird er, statt der Gnadengaben,
                Des Schwarzen dichte Schläge haben!
Und doch, in unsrer Zeit,   in unsrer bösen Zeit,
                So reich an Lastern und an Fehlen,
                Wie viele gierig-dürren Seelen,
                Die sich dem Mammon nur befehlen
Und wo dem goldnen Kalb   der Weihrauch stets bereit! –

                Und dreimal, durch die Nebelwellen,
                Ließ ihren Schrei die Henne gellen. –
Im dreizehnten Gelaß,   im letzten Höhlenraum,
                Sind wir zu unsres Kranken Frommen
                Nun endlich, minder, angekommen!
                Sprach jetzt die Alte. – Kohlen glommen
Im Herd. Ein Katzenkreis   umgab den Feuersaum.

                Ein Kessel hing an einer Kette;
                Zwei Drachen spieen um die Wette
Dagegen Feuer aus,   mit Schnauben und Gezisch.
                Tavèn sprach: So will's Hexensitte;
                Kommt, Kinder, hierher lenkt die Schritte!
                Es ragte in der Höhle Mitte
Aus glänzendem Porphyr   ein großer breiter Tisch.

                Durchsichtig weiße Säulenschäfte,
                Das Spiel verborgner Zauberkräfte,
Wie Eiseszapfen blank,   zu tausenden gereiht,
                Beginnen hier. Die Gänge reichen,
                Tief unterm Wurzelgrund der Eichen,
                Weithin. Ein Wunder ohne gleichen
Von Feenhand erbaut   in sagenhafter Zeit.

                Erhabne, stolze Tempelhallen,
                Durchglänzt von lichtem Nebelwallen.
Ein wunderbar Gemisch   von ernster Majestät
                Und schlanker Anmut: Säulengänge,
                Korinths und Babylons Gepränge,
                Das hier sich türmt im Felsgedränge
Und das ein Feenhauch,   sobald er will, verweht.

                Gleich Strahlen, die den Raum durchzittern,
                Schweifen die Feen mit den Rittern,
Die einstens sie berückt,   im bergkristallnen Hain.
                Hier leben sie, von Pracht umgeben,
                Weitab vom wirren Weltenweben,
                Ein traumhaft süßes Liebesleben. . . .
Doch stille! Stört kein Paar,   hüllt es in Nacht sich ein!

                Schon stand Tavèn, ihr Werk bedenkend,
                Die Arme hebend bald, bald senkend;
Und auf dem großen Tisch   von rötlichem Porphyr
                Lag, harrend der Erlösungsstunde,
                Vincèn mit seiner breiten Wunde,
                Stumm und mit schmerzverzognem Munde
Wie einst Laurentius,   der heilige Martyr.

                Hochaufgerichtet, ernst und prächtig,
                Vom Geist verklärt, der in ihr mächtig
Und der Tavèn die Brust   mit Seherhauch geschwellt,
                Taucht tief mit einer Abschäumkelle
                Sie plötzlich ein in das Gequelle
                Des Kessels, in die heiße Welle.
Rings hatten sich, zu siebt,   die Katzen aufgestellt.

                Und mit geheimnisvollem Winken,
                Benetzt die Hexe mit der Linken
Vincèns entblößte Brust.   Dreimal in kurzer Frist
                Hat sie der Wunde Blut beschworen
                Mit dem Gebräu. In sich verloren
                Murmelt sie dumpf: Christ ist geboren!
Christ ist gestorben! Christ   ist auferstanden! Christ

                Wird auferstehn! . . . Und wie der Tiger
                Nach heißer Jagd im Wald, als Sieger,
Mit einem Tatzenschlag   das Ende grauser Pein
                Bereitet dem gehetzten Rehe,
                So jetzt Tavèn des Kranken Wehe:
                Dreimal mit ihres Fußes ZeheDreimal mit ihres Fußes Zehe &c. – In der Provence schlugen die Beschwörer und Krankheitenbesprecher das Zeichen des Kreuzes mit der Fußzehe über den kranken Teil. – Plutarch erzählt, Pyrrhus habe in entsprechender Weise Krankheiten geheilt und es sei seiner großen Fußzehe göttliche Kraft verliehen gewesen.
Drückt seinen Gliedern sie des Kreuzes Zeichen ein.

                Und wie verworrne Geisterkunde,
                Beschwingt und leise, strömt vom Munde
Das Wort ihr und berührt   der Zukunft Wolkentor:
                Er wird erstehn! Dies ist mein Glaube! . . .
                Von meines Hügels Rebenlaube
                Seh' ich ihn, fern im Straßenstaube. . . .
Durch Kiesel und Gesträuch   klimmt blutend er empor!

                Und im Gebüsch und im Gesteine
                Steigt er, vom Kreuz erdrückt, alleine. . . .
Wo bist mit deinem Tuch   du jetzt, Veronika?
                Wo der Kyrener, von den Knieen
                Dem Stürzenden die Last zu ziehen?
                Wo sind die weinenden Marien
Mit aufgelöstem Haar?   Ach niemand, niemand da!

                Und reich und arm steht rings im Schatten
                Und sieht des Keuchenden Ermatten
Und keiner, der ihm hilft,   und keiner, der ihn kühlt!
                Mit Gleichmut fragen rauhe Stimmen:
                Wohin? Was soll das Aufwärtsklimmen? . . .
                Weh! Kainssame! Blut des Schlimmen,
Das für den Kreuzesmann   nicht mehr Erbarmen fühlt

                Als für den Hund, den, ihn zu strafen,
                Steinwürfe des Gebieters trafen. . . .
Ha! Niedriges Geschlecht!   Die Hand, die dir die Kost
                Gereicht, die wagst du zu zerfleischen
                Und die dich schlägt, wirst du mit Kreischen
                Und Krümmen zu belecken heischen!
Doch einst durchfährt dein Mark   des Schreckens Schüttelfrost!

                Dann wird, was Stein, zu Staub versinken. . . .
                Und in der Ähren goldnem Blinken
Wühlt bittrer Weizenbrand   und läßt die Scheunen leer. . . .
                O! wie viel Schwerter! Wie viel Speere!
                Ich sehe dort am Wildbachwehre
                Berghoch gestaute Leichenheere! . . .
Bezähme deine Wut,   du sturmgepeitschtes Meer! . . .

                Weh mir! Sankt Petri morscher Nachen
                Zerbarst am Felsenriff mit Krachen! . . .
Doch nun, in neuem Boot,   von Schaum und Gischt umtanzt,
                Die er besiegt im heil'gen Zeichen,
                Seh' ich den Fischer ohnegleichen
                Der Rhone stille Flut erreichen!
Er hat das Gotteskreuz   am Steuer aufgepflanzt!

                O unermess'ne Himmelsgnade!
                Ich seh' ein neues Land, Gestade
Voll heitern Sonnenscheins!   Seh' junger Mädchen Reihn,
                Im Farandoletanz sich wiegen
                Und Früchtelast die Zweige biegen!
                Ich seh' auf Garben Schnitter liegen
Rings um ein Faß geschart,   in fröhlichem Verein.

                Und seh', erkannt in seinen Lehren,
                In seinem Tempel Gott verehren. . . .
Die Hexe von Li-Baus   schwieg still. Ihr Finger wies
                Den beiden Kindern einen schmalen
                Ausgang, an dessen Ende Strahlen
                Von Tageslicht sich niederstahlen. . . .
Und eilig und bestürzt   entflohn sie dem Verließ.

                Zur Cordohöhle führt die Enge
                Der unterird'schen Felsengänge.
Nun steigt das schöne Paar   zum Sonnenlicht empor
                Und küßt sich. Im durchglänzten Raume,
                Umringt von seinem Trümmersaume,
                Ragt Mount-Majour, gleich einem Traume
Verschollner Herrlichkeit,   aus Schutt und Binsenmoor.


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