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VII.

Ich werde sie töten … Sie liegt in ihrer Kammer, ohne Licht, im Bette …

Ich gehe im Toilettenzimmer auf und nieder, auf und nieder … Mit pfeifendem Atem, mit geballten Fäusten, ungeduldig nach Rache lechzend, gehe ich da auf und nieder … Ja, ich will sie totschlagen … Sie weint … Im nächsten Augenblick werde ich zu ihr hineingehen … Ich werde hineingehen und sie aus dem Bette reißen, sie bei den Haaren packen, mich auf sie stürzen und ihren Schädel an den scharfen Marmorecken des Kamins zerschmettern … Ich will, daß das Zimmer rot von ihrem Blute sei … Ich will, daß ihr Körper nichts sei als ein Klumpen Fleisch, den ich in den Kehricht werfe, und den morgen der Kärrner wegfährt … Weine, weine! … in einer Stunde wirst Du heulen, Freundchen! … Bin ich dumm gewesen! … An alles habe ich gedacht, nur nicht daran! … Vor allem habe ich Angst gehabt, nur nicht davor! … Jeden Augenblick habe ich mir gesagt:

»Sie wird mich verlassen,« und nie, niemals: »Sie wird mich betrügen.« Von diesem Schmutz, diesem Alten dort, diesem Sündenpfuhl, habe ich keine Ahnung gehabt! … Nein wahrhaftig, daran habe ich nie gedacht, blindes Tier, das ich gewesen bin! … Wie wird sie gelacht haben, als ich sie anflehte, mich nicht zu verlassen! … Mich verlassen? Ach ja, mich verlassen! … Das wollte sie ja gar nicht … Ich begreife jetzt … Ich bedeute für sie nicht Anständigkeit und ehrenhafte Stellung, sondern ich bin nur ein Aushängeschild, eine Fabrikmarke, eine Werterhöhung … Ja, wenn man sie an meinem Arm sieht, dann hat sie einen größeren Wert, dann kann sie sich teurer verkaufen, als wenn sie, eine nächtliche Hyäne, im Finstern auf den Trottoirs umherschweift und das unzüchtige Dunkel der Straßen prüfend durchstreift … Mein Vermögen hat sie in einem Bissen verzehrt … Meine Intelligenz ist von ihren Lippen, mit einem Zuge, ausgesogen … Nun spekuliert sie auf meine Ehre, das ist logisch … Auf meine Ehre! … Wie sollte sie wissen, daß ich keine mehr habe? … Soll ich sie denn jetzt töten? Tot sein, dann ist alles vorbei! … Man nimmt den Hut ab vor dem Sarge eines Banditen, man neigt sich vor dem Leichnam einer Prostituierten … In den Kirchen knieen die Frommen nieder und beten für die, welche gelitten, für die, welche gesündigt haben … Auf den Kirchhöfen wacht die Achtung bei den Gräbern, das Kreuz beschützt sie … Sterben heißt: Verzeihung finden! … Ja, der Tod ist schön, ist heilig und erhaben! … Der Tod, das ist der Anfang zur großen, ewigen Klarheit … Oh! sterben! … sich auf ein Polster ausstrecken, das weicher ist als die weichsten Daunen der Nester … Nicht mehr denken … Nicht mehr den Lärm des Lebens hören … Die unendliche Wollust des Nichtseins empfinden! … Eine Seele sein! … Ich werde sie nicht töten … Ich werde sie nicht töten, denn sie muß noch leiden, sie muß noch furchtbar leiden … Durch ihre Schönheit muß sie leiden, durch ihren Stolz, durch ihr zur Schau gestelltes Geschlecht als verkaufte Dirne! … Ich werde sie nicht töten, sondern werde sie mit solcher Häßlichkeit brandmarken, werde sie so abstoßend und widerlich machen, daß alle bei ihrem Anblick erschrocken aus ihrer Nähe fliehen sollen … Und mit abgehackter Nase, mit Augen, die aus den mit Wunden bedeckten Augenlidern hervorquellen, werde ich sie zwingen sich jeden Tag und jeden Abend, ohne Schleier, auf der Straße, im Theater, überall, zu zeigen!

Plötzlich erschüttert mich ein heftiges Schluchzen … Ich wälze mich auf dem Divan herum, beiße in die Kissen hinein und weine, weine! … Die Minuten entfliehen, die Stunden verstreichen, und ich weine! … Ach Juliette, Juliette, weshalb hast Du das gethan? … Weshalb? Hättest Du mir nicht sagen können: »Du bist nicht mehr reich, und es ist Dein Geld, das ich will … gehe Deiner Wege!« Es wäre grausam gewesen; vielleicht wäre ich daran gestorben … Einerlei, es wäre besser für mich gewesen … Wie ist es möglich, daß ich Dir fortan ins Gesicht sehe … Daß mein Mund jemals wieder den Deinigen sucht? … Künftig liegt zwischen uns die ganze Unübersteigbarkeit jenes verruchten Hauses! … Ach, Juliette! … Unglückliche Juliette! …

Ich weiß noch ganz genau, wie sie fortging … Ich erinnere mich an alles, an jede Kleinigkeit … Ich sehe sie wieder vor mir, in ihrem dunkelgrauen Kleide, ich sehe den Schatten ihrer Hand, der so sonderbar auf dem Tischtuche hin und her hüpfte … Ich sehe sie so deutlich wieder, deutlicher als wenn sie in dieser Minute vor mir stände … Sie war traurig, sie weinte … Das kann ich nicht geträumt haben … sie weinte … denn ihre Thränen benetzten meine Wangen … Weinte sie meinetwegen, ihretwegen? … Ach, wer kann es wissen? … Ich erinnere mich … ich sagte zu ihr: »Gehe nicht aus, meine Juliette! …« Sie antwortete mir: »Drücke mich an Dich, fester, fester!« … Und ihre Küsse hatten ein so schmerzliches Verweilen, es lag eine krampfhafte Angst in ihr, als wollte sie sich an mich festklammern, als wollte sie zitternd in meinen Armen Schutz suchen … Ich sehe ihre Augen wieder, ihre bittenden Augen … Sie flehen mich an: »Etwas Böses treibt mich vorwärts … Halte mich zurück … Ich liege an Deinem Herzen … Laß mich nicht von Dir gehen! …« Und statt sie zu nehmen, sie fortzutragen, sie zu verbergen und so mit Liebe zu umgeben, daß sie schier von Glück betäubt wurde, habe ich die Arme geöffnet und habe sie gehen lassen! … Sie suchte Zuflucht an meinem Herzen, und mein Herz hat sie von sich gestoßen … Sie rief mir zu: »Ich bete Dich an! Ich bete Dich an!« … Und ich habe da gestanden wie ein Dummkopf, ebenso erstaunt wie das Kind, dem soeben der gefangene Vogel mit einem unvorhergesehenen Flattern davonfliegt … Von ihrer Traurigkeit, ihren Thränen, ihren Küssen, ihren zärtlichen Worten, ihrem Zurückschaudern habe ich nichts verstanden … Und jetzt erst höre ich die melancholische, stumme Rede, die sie mir hält: »Mein lieber Jean, ich bin eine arme kleine Frau, so schwach und auch etwas unzurechnungsfähig! … Ich habe so wenig Begriff von irgend etwas … Wer hätte mich auch gelehrt, was Keuschheit, was Pflicht und Tugend heißen will? … Als ich noch ein Kind war, hat der Anblick des Lasters mich bereits beschmutzt, und das Böse ist mir von denen enthüllt worden, denen es oblag über mich zu wachen … Trotzalledem bin ich nicht schlecht, und ich liebe Dich … Ich liebe Dich mehr als je! … Mein angebeteter Jean, Du weißt so viel schöne Dinge, die ich nicht begreife … Ach, verteidige Du mich! … Ein Verlangen, das stärker ist als mein Wille, treibt mich dort unten hin … Weil ich Schmucksachen, Kleider und entzückende Kleinigkeiten gesehen habe, die sehr teuer sind, und die Du mir nicht geben kannst, die sie mir aber dort unten versprochen haben! … Mein Gefühl sagt mir, daß es schlecht ist, was ich thue, und daß es Dir Kummer machen wird … Ach, nimm Du meinen Willen in Deine Hand! … Ich wünsche nichts sehnlicher, als gut und tugendhaft zu sein … Lehre mich … Wenn ich Dir Widerstand leiste … schlage mich!« … Arme Juliette! … Es ist mir, als wäre sie dicht neben mir, als läge sie da, mit gefalteten Händen, auf den Knieen vor mir … Die Thränen rinnen aus ihren Augen, aus ihren großen, demütigblickenden und sanften Augen, die Thränen rinnen unaufhaltsam, wie früher aus den Augen meiner armen Mutter … Und bei dem Gedanken, daß ich sie habe töten wollen, daß ich dieses köstliche, von der Reue erfüllte Gesicht durch schreckliche Verstümmelungen habe verunstalten wollen, ergreifen mich Gewissensbisse, der Zorn zerschmilzt in Mitleiden … Sie fährt fort: »Verzeihe mir! … Oh, mein Jean, Du mußt mir verzeihen … Es ist nicht meine Schuld, besinne Dich … Hast Du mich ein einziges Mal gewarnt? … Hast Du mir ein einziges Mal den Weg gezeigt, den ich folgen sollte? … Durch Weichheit, durch die Furcht, mich zu verlieren, durch eine übertriebene und strafbare Nachsicht hast Du Dich allen meinen Launen, selbst den unheilvollsten gefügt … Wie war es möglich, daß ich die Schlechtigkeit meiner Handlungen verstehen sollte, da Du nie etwas einzuwenden hattest? … Statt mich vom Rande des Abgrundes, an dem ich herumspielte, zurückzuhalten, hast Du mich hineingestürzt … Welches Beispiel hast Du mir vor Augen gehalten? … Wo hast Du mich hingeführt? … Hast Du mich, wenn auch nur für einen Tag, aus der aufregenden Umgebung der Ausschweifung entfernt? … Weshalb hast Du nicht Jesselin, Gabrielle und alle die verderbten Wesen, deren Gegenwart eine Aufmunterung zu neuen Verrücktheiten war, fortgejagt? … Du hättest mir etwas von Deiner Seele einhauchen sollen, die Nacht meines Denkens mit dem Lichte Deines Geistes erleuchten sollen, – denn das war es, was mir not that! … Ja, mir das Leben zum zweiten Male geben, meine Seele umschaffen! … Ich bin schuldig, mein Jean! … Und die Scham drückt mich dermassen nieder, daß ich nicht hoffen kann, die Infamie jener verruchten Stunde, und wäre es durch ein ganzes Leben der Reue und der Selbsthingabe, loszukaufen … Aber Du! … Hast Du das Bewußtsein, Deine Pflicht erfüllt zu haben? … Kannst Du Dich zum Richter eines Verbrechens aufwerfen, daß ich begangen habe, freilich – aber auch Du, weil Du nicht verstanden, es zu verhindern! … Mein liebes Herz, mein Jean, höre mich … Du empfindest Abscheu vor diesem Körper, den ich zu beflecken versucht habe; Du glaubst ihn künftig nicht mehr sehen zu können ohne Zorn und Seelenkummer … Gut, er möge verschwinden! … Er möge in der Vergessenheit des Friedhofes ruhig verwesen … Meine Seele soll Dir bleiben, sie gehört Dir, denn sie hat Dich nie verlassen, denn sie liebt nur Dich … Siehe sie ist ganz weiß …« Ein Messer blitzt in Juliettens Händen … Sie will sich erstechen … Da breite ich die Arme aus und rufe: »Nein, nein, Juliette, nein ich will es nicht … Ich liebe Dich! … Nein, nein, ich will es nicht!« … Meine Arme schließen sich wieder, ich umarme nur den leeren Raum … Ich blicke um mich, verstört … Das Zimmer ist leer! … Ich blicke wieder hin … Das Gas brennt, gelb und niedrig, in den Lampen neben dem Toilettetische … auf dem Teppich liegen zerknitterte Röcke, hingeworfene Stiefel umher. Und ein bleiches Frühlicht stiehlt sich durch die Ritzen der Fensterläden … Ich habe Angst, daß Juliette sich wirklich getötet haben könnte, denn weshalb wäre mir sonst diese seltsame Vision gekommen? … Auf den Zehenspitzen schleiche ich leise zur Thüre hin und horche … Ein tiefer Seufzer dringt zu mir heraus, darauf ein Stöhnen, ein Schluchzen … Und wie ein Wahnsinniger stürze ich mich ins Zimmer … Eine Stimme spricht aus dem Dunkel zu mir, Juliettens Stimme:

»Ach, mein Jean! Mein armer, kleiner Jean!«

Und, wie unser Herr Jesus Christus die Sünderin Magdalena küßte – so küßte ich ihre Stirn mit keuschem Kuß.


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