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Vorrede
zur neunten Auflage der französischen Ausgabe

Ein Golgatha

ist von den Patrioten hart mitgenommen worden – diese Leute verstehen nämlich keinen Spaß – ebenso hart mitgenommen wie ein Faß deutschen Bieres – was wohl dazu geeignet wäre meine Eigenliebe zu beleidigen – oder eine Oper von Wagner – was ihr nur schmeicheln könnte. Die Patrioten haben aus meinem Buche ein kurzes Kapitel herausgelöst, worin in schmerzlichen Worten vom Kriege die Rede ist, (vielleicht hätten sie es lieber gesehen, daß ich in scherzendem Tone darüber gesprochen, wie über ein Vaudeville oder ein Ballet etwa) und an diesem einen, losgelösten Kapitel haben sie nun ihren vaterländischen Feuereifer ausgelassen, sodaß diejenigen, die das Buch noch nicht gelesen, glauben könnten, Ein Golgatha sei ein militärischer Roman. Beleidigende, ja, vernichtende Bezeichnungen sind mir nicht erspart worden, und es fehlte nicht an Auseinandersetzungen, die vom ungeduldigsten Patriotismus überströmten. Einige wollten, mit einem Lächeln auf den Lippen, in vierundzwanzig Stunden für das Vaterland sterben, um mir zu beweisen, daß die Vaterlandsliebe nicht tot sei, daß ich sie nicht aus der Welt geschafft habe. Bei dieser Gelegenheit habe ich Sätze gelesen, die bewunderungswürdig sind, und die es verdienten, noch feucht von der Tinte, in die unparteiische und endgültige Geschichte eingereiht zu werden. Ich gebe gern zu, daß es ein schönes Schauspiel, und ganz besonders ein sehr tröstendes Schauspiel war.

Aus allem, was über Ein Golgatha geschrieben ist, erhellt: daß ich ein Schänder der Heiligtümer bin, weil ich es gewagt habe, in die schonungslosen Grausamkeiten des Krieges ein Flehen um Mitleid zu mischen. Daß ich ein ruchloser Bilderstürmer bin, weil meine Seele, angesichts der Vernichtung der Dinge und des Todes junger, lebenskräftiger Männer, aus ihrer Ruhe aufgescheucht wurde und in Erschütterung geriet. Daß ich ein deutscher Spion bin, weil ich unsere Niederlage offen eingestand; daß ich ein Fahnenflüchtiger bin, weil man mutmaßt, mein Roman werde demnächst ins Deutsche übersetzt Le calvaire erschien 1886 in Frankreich und wird heute nach zehn Jahren zum ersten Mal in deutscher Sprache publiziert. Anmerk. d. Verl., was bisher keinem französischen Werk passiert wäre, und so weiter … Ich gehe drüber hinweg … Die Wohlwollendsten unter ihnen haben, indem sie mich aufrichtig bedauerten, behauptet, ich sei ein ganz verworrener Kopf, sozusagen verrückt, weil man niemals schreiben dürfe, was wahr ist, und weil man unter dem heuchlerischen Blumengewinde der Schriftstellerei die Wahrheit so gut verbergen müsse, daß niemand sie entdeckt. Alles in allem ist man sich darüber einig, daß ich eine verbrecherische, antifranzösische Handlung begangen, oder zum mindesten eine unvorsichtige …

Mir wohlgesinnte Menschen haben mir zu einer Antwort geraten. Antworten? Wem, – und auf was? Und was sollte ich sagen? … Ich gestehe, daß mir die gemachten Vorwürfe ganz unverständlich sind, und ich würde sicher ganz ungeheuer erstaunt sein, mich so vielen Anschuldigungen ausgesetzt zu haben, wäre ich nicht schon längst in die Gewohnheiten eines gewissen pariser Journalismus eingeweiht, der heute Sachen hochachtet, die er morgen beschimpft, ohne sich genau klar zu machen aus welchem Grunde, als daß es Abonnenten giebt, und daß man sie zufrieden stellen muß.

Keiner, auch nicht der eingefleischteste unter den Patrioten, hat die Vaterlandsliebe von Stendhal verdächtigt, weil er die Schlacht bei Waterloo beschrieben. Alle preisen die heiße Menschenliebe, welche Tolstoi seine zornflammenden Seiten gegen den Krieg diktierte; ich habe noch nie davon gehört, daß auch nur der geringste der Reporter in die Tiefen des Gewissens vom Herrn Ludovic Halévy gestiegen sei, um ihm Die Invasion vorzuwerfen, ein düsteres und furchtbares Buch, trotz der verhüllenden Einkleidung und trotz des politischen Parteigeistes, der es belebt. Was soll ich noch mehr drüber sagen? … Ich habe keineswegs ein Buch über den Krieg geschrieben. Ich habe in einem Kapitel, wo in schmerzlichen Worten die herzzerreißenden Qualen einer besiegten Armee geschildert sind, die Psychologie meines Helden entwickelt, der eine zartfühlende Seele besitzt und eine unruhige, träumerische Natur ist.

Überdies versteht ja jeder den Patriotismus auf seine Weise.

Die Liebe zum Vaterlande, die ich meine, putzt sich nicht heraus in lächerlichen Kostümen, beteiligt sich nicht an den Beerdigungen mit Gebrüll und Geheul und setzt nicht durch unzeitige Manifestationen und strafbare Aufreizungen die Sicherheit der Durchreisenden, ja, die Ehre des Landes aufs Spiel. Denn so weit haben wir's heutzutage glücklich gebracht. Man lebt ja förmlich in Angst und Beben, daß der Patriotismus, an Tagen der Nationalfeste, der öffentlichen Trauer, jener Ereignisse, die die Volksmassen auf die Straßen treiben, uns irgend einen gefährlichen Possenstreich spiele und dadurch ein unabwendbares Unglück über uns heraufbeschwöre.

Die Liebe zum Vaterlande, die mir heilig ist, arbeitet im Stillen. Sie bestrebt sich das Vaterland durch die Verehrung der Dichter, Künstler und Gelehrten, durch den Schutz seiner Arbeiter, Handwerker und Bauern, groß zu machen. Wenn sie sich weniger daraus macht, Federbüsche an die Hüte der Generäle zu stecken, so sorgt sie statt dessen besser für die Bekleidung des armen Mannes. Sie bestrebt sich den geheimen Zusammenhang der Dinge zu ergründen, die Natur zu überwinden, sie in ihren Werken zu verherrlichen. Sie bemüht sich, kraft des Genies, die unversiegbare Quelle des Fortschritts zu sein, zu der die Völker kommen ihren Durst zu löschen. Und dieser Patriotismus, gleicht er auch nicht den wütenden Bestien, den verbrecherischen Bilderstürmern, die Gemälde verbrennen, Statuen zertrümmern und die nicht begreifen können, daß Kunst und Philosophie die engen Kreise der Grenzen zersprengen und ihre Fluten über die ganze Menschheit ergießen – so versteht er doch ebenso gut wie sie, und besser als sie, wenn es sein muß, sich auf einem Schlachtfelde »den Schädel einschlagen zu lassen.«

Paris, 7. Dezember 1886.
Octave Mirbeau.


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