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Fünfzehntes Capitel

Ein Stärkrer tritt auf; die Schwiegermutter ebenfalls.

Die ersten Wochentage waren Annemareili unter den gewohnten Dienstverrichtungen verflossen und es hatte nicht viel Zeit gehabt den Erlebnissen vom Sonntag nachzuhängen. Erst als es gegen Ende der Woche von Rudolf auch gar nichts vernommen, ihn weder einen Augenblick gesehen, noch eine Nachricht, einen Gruß erhalten, gedachte es wieder ihres letzten Zusammenseins und das erste Gefühl dabei war die Furcht, Rudolf möchte ihm zürnen und sich absichtlich zurückziehen. Gerade das Opfer, das es gebracht, schien ihm in seiner Gewissensunruhe das Uebel herbeigeführt zu haben, das es vermeiden wollen. Seine Unruhe steigerte sich rasch, es wäre am liebsten nach der Wohnung des Herrn Steinmann geeilt, aber eine gewisse Scheu, halb Trotz, halb Furcht, hielt es wieder davon ab. Am Samstag endlich kam Bericht, ein andrer als das Mädchen erwartet, aber gleichwohl kein guter: Rudolf ließ sagen, er sei schon seit Montag krank, wie der Doktor sage, könne die Krankheit längere Zeit andauern und da er in seinem Dachkämmerlein nicht die nöthige Pflege finde, so habe er sich entschlossen in den Spital zu gehen. So lautete, was ein Laufbursche des Kaufmanns Annemareili mittheilte. Ein Stein fiel dabei wohl vom Herzen der armen Magd, jedoch nur um einem andern, fast eben so schweren, Platz zu machen: Rudolf zürnte ihr allerdings nicht, aber er war krank, in Gefahr! flüsterte ihr die gesteigerte Besorgniß drohend in's Ohr. Ein Besuch im Spital war das Nächste, und dieser war allerdings wenig geeignet die Befürchtung zu mindern. Es zeigte sich hier auch daß der erhaltne Bericht von Rudolfs Erkrankung und Versetzung in das Krankenhaus nicht unmittelbar von ihm selbst herrührte, sondern von seinem Herrn. Rudolf selbst hatte aus seinem Kranksein nicht viel machen wollen, trotz der völligen Abgeschlagenheit und geistigen Stumpfheit, welche gleich am Anfang auftraten. Er meinte, wenn er etwas zum Stärken und eine Blutsreinigung erhielte, würde es schon besser. Nachdem er aber in einer der ersten Nächte im Hemde aufgestanden und die Treppen hinuntergestolpert, um das Ladenstübchen zu kehren, hatte sein Herr keine Rücksicht mehr auf das Widerstreben genommen, sondern angeordnet, daß er in den Spital abgeholt werde. In seinen lichten Augenblicken hatte sich Rudolf hierüber sehr ungehalten gezeigt und auf den Kaufherrn losgezogen, dem gleich Alles zu viel sei und der ihn, wenn er ihm nicht nützen könne mit Arbeiten, sofort sich vom Halse schaffe!

Annemareili, wie froh es war, daß Rudolf gleich in die rechte Pflege gebracht worden, verließ den Spital doch sehr betrübten und niedergeschlagnen Herzens. Es sah, Rudolf war von schwerer Krankheit ergriffen; es war aber nicht die Krankheit allein welche es bedrückte, sondern die Gedanken, die es damit verknüpfte und die ihm im ersten Anlaufe alle seine Beschwichtigungen und Scheingründe für das eigensüchtige Benehmen gegen die Schwiegermutter über den Haufen warfen. Diese Angst und die Gewissensbisse nahmen zu mit der Krankheit des Verlobten und von einem Besuchstage zum andern. Und wie sehr der Anblick des meist Irreredenden und tief Darniederliegenden das Herz Annemareilis folterte, es konnte doch die Stunde, da es ihn wiedersah kaum erwarten. Da lag der Arme mit verstörten Augen und Sinnen in seinem Bette, die Zunge lallte Unverständliches, die Hände zitterten, der Kopf bohrte sich unruhig in die Kissen oder die verwirrten Gedanken, die innre Angst und Unruhe richteten den entkräfteten Körper in Fieberhitze empor. Zuweilen erkannte er Annemareili, zuweilen aber, und oft in demselben Augenblicke wieder, sah er es als eine fremde Person an, starrte es wild und fremd an oder fürchtete sich vor ihm. Er sprach in seinen Phantasien viel von Geld, meist mit dem Ausdruck innerster Angst und Erregung. Jetzt wehrte er sich daß man ihm Alles genommen, er verlangte hunderte von Franken von seiner Verlobten, beschuldigte sie, daß sie ihn hintergehe; dann jammerte er, daß er den Spital nicht zu bezahlen vermöge, man vergante ihm Alles, er müsse aufstehn, und wollte hastig das Bette verlassen. Ein andermal wieder faßte er das Mädchen, das nassen Auges an seinem Lager stand, bei der Hand, fragte, ob denn wirklich Alles verloren sei? oder hieß es schnell zum Krämer gehen, der heimlich die Mutter in das Haus gelassen und die ihm nun den eignen Eintritt verwehre. Meistens endeten all diese Ausbrüche in ein wirres und sinnloses Durcheinander, daß Annemareili selber darob der Kopf zu schwindeln begann, während das Herz von Stichen durchbohrt ward durch die Reden, die, bei allem Unsinn, doch wie lauter Anklagen klangen. Seine von Angst geschärften Sinne sahen und hörten überall nur den Fluch des Mammons, der Leib und Seele des Kranken in seinen ehernen Banden halte und durch keinen lindernden Tropfen den Armen erquickt werden lasse. Und in heftigen Gewissensbissen wachte das eigne Verschulden zugleich auf: das sei der Sünde Lohn! Rudolf werde sterben müssen, um ihrer Beider Schuld willen. Es habe ihm ja nachgegeben und, aus Furcht ihn zu verlieren, ihn durch unrechte Mittel halten wollen. Darum werde er ihm jetzt um so gewisser genommen werden, denn gegen Gottes Willen helfe keine Untreue, er bleibe der Stärkre und wolle höher gehalten sein als die Creatur. Und am meisten bekümmerte es Annemareili, daß Rudolf gerade dann stets am wildesten seine Fieberträume auflodern ließ, wenn es ihn besuchte und ihm Linderung und Trost zu bringen vermeinte. Es fühlte sich so ihm zum Unheil werden, dem es doch seine Ueberzeugung zum Opfer gebracht und auch jetzt Alles Alles dahingegeben hätte. Es machte eine lange bange Zeit durch und erschwerte sich die Last durch eigne Qual bis zum Unerträglichen. Brach dann aber doch auch in die finstersten Augenblicke hinein wieder ein Schimmer der Hoffnung und des Trostes und die Angst ließ sein Herz eine Weile los, daß es sich aufraffte, so gelobte es sich: wenn Rudolf genese und ihm erhalten bleibe, seine letzte Kraft daran zu setzen, auch ihn der Gewalt des Mammons zu entreißen. In geläuterter Liebe und heiligem Eifer fühlte es sich stark dazu und tüchtig, vor keiner Menschenfurcht mehr zurückzuschrecken und den Sieg zu erkämpfen. Dieser Vorsatz wurde mit der zurücktretenden Gefahr immer fester, in seiner Erregtheit sah ihn Annemareili als den Kaufpreis an für die Errettung des Geliebten und hielt ihn heilig wie das feierlichste Gelübde. Und es schien sich die Gewalt des Leidens allerdings zu brechen, freilich, zu Annemareilis Demüthigung, ohne seine äussre Beihülfe, sondern durch Anstoß von einer ganz andern Seite her.

Als Rudolf krank und hülflos dalag und er noch wie in innrer Unruhe sich in seinem Bette umherwarf, kam auch seine alte Mutter ihn zu besuchen. Auf ihrem entfernten Dorfe und bei ihrer Abgeschlossenheit von der Welt, hatte sie erst spät von der Erkrankung des Sohnes etwas vernommen. Mühsam hatte sie sich alsbald aufgemacht zu dem ungewohnten und schweren Gange nach der Stadt und an das Krankenlager ihres Kindes. Da saß ihre gebeugte Gestalt an seinem Bette mit dem sorgenvollen treuen Gesichte, ihm zum bittern Vorwurfe und zum Troste zugleich. Er hatte sie in ihrer Noth und seinem Glücke verlassen und sie suchte ihn in seinem Unglücke auf, ja wendete ihr Wittwenscherflein ihm zu; hatte er doch wohl bemerkt, wie sie unter der Thüre der Wärterin wollte ein Stücklein Geld geben, daß er besser verpflegt würde. Wie lange mochte sie dran gespart haben, wie empfindlich mochte sie's entbehren! und er hatte von der Summe, ja vergleichsweise dem Reichthum, der ihm in der Sparkasse an Zins lag, auch nicht ein Kleines nur ihr gegönnt, er wollte ihr sein Haus verschließen, um es Fremden zu öffnen gegen Geld. Die Thränen, die aus den Augen der alten Frau ihm auf die Hände fielen, brannten ihn wie Feuer, er schämte sich und hätte sich in die Kissen vergraben mögen, wenn er nicht doch wieder die Mutter in ihr erblickt hätte, die ihn als Kind gepflegt und geduldet, die ihn in seiner Schwachheit und mit seinen Fehlern von je gesehen und lieb gehabt. Das Gefühl des Kindes zur Mutter ward in Rudolf wieder lebendig, sein Herz regte sich, erwachte aus langem langem Schlafe. Es schmolz die Kruste des Weltsinnes und der Eigensucht, nachdem der Verlaß auf das Vergängliche schon vom Feuer der Krankheit verzehrt worden. In seiner Schwäche wußte er nicht recht zu unterscheiden, ob er wache oder träume und wie viel Wirklichkeit sei? Die innern und die äußern Bilder verkehrten mit einander, verflossen zusammen. Müde, aber beruhigt, schloß er die Augen und da schien ihm, er sei wieder ein kleines hilfsbedürftiges Kind und die Mutter sitze an seinem Bettlein und pflege ihn, und er verließ sich auf ihre Hülfe, fürchtete nichts und hielt an ihr mit all seiner Sorge und seiner Hoffnung. Lange dachte er sich so in die frühre unschuldige Kinderzeit zurück und hinter seinen geschlossnen Lidern glätteten sich die Runzeln der Mutter und ihr Angesicht ward frisch und leuchtend, daß es ihm wie das eines Heiligenbildes erschien, in dessen Schutz und Schirm er sicher sei. Ruhe zog nach langer Zeit zum ersten Male wieder in seine Seele, die Bangigkeiten und Besorgnisse, die Furcht und Unruhe, die ihn gepeinigt, wichen. Wie die schwülen Dünste der Erde unter dem sanften milden Gesichte des Mondes sich als Thau niederschlagen und die verdurstenden Halme erquicken, so fühlte sich jetzt auch Rudolf erlabt an Leib und Seele zugleich durch den Frieden der über ihn kam: sein Halbschlaf gieng sanft in einen gesunden Schlummer über, den ersten während seiner Krankheit, aus dem er, nach mehrstündiger Dauer, gestärkt und mit dem Gefühle der beginnenden Genesung erwachte. Die Krankheit war gebrochen; der Arzt gab Tags darauf seinen Arzneien die Schuld, welche die heilsame Krise herbeigeführt; Rudolf aber kam es vor, er habe lang und schwer geträumt, bis ihn die Mutter geweckt; er fühlte sich gesund, aber todtmüde sank er zurück, als er sich im Bette aufrichten wollte.

Sicher, wenn gleich langsam gieng die Genesung vorwärts, es vergiengen noch Wochen, eh Rudolf nur das Bett verlassen konnte und dann war er erst noch schwach und hülflos wie ein Kind. Auch sein Gemüth, das so heftig von der Krankheit ergriffen worden, war weich, empfindlich, für jeden Eindruck empfänglich, einem schaallosen Eie vergleichbar, ganz im Widerspiel zu seiner frühren Festigkeit und Entschlossenheit, ja selbst Derbheit. Annemareili, das ihn redlich besuchte und ihm für Alles, was er bedurfte, getreulich sorgte, fiel diese innre Umwandlung besonders auf und es freute sich ihrer in seiner Seele. Die Thränen traten dem Mädchen wohl in die Augen, aber es waren keine bittern oder brennenden, wenn Rudolf dankbar und gerührt die bewiesne Liebe und Sorgfalt erkannte, wenn er sich an Annemareili schmiegte, auf seine Kraft sich stützte und für Alles einen aufmerksamen und freundlichen Sinn hatte, was er in gesunden Tagen nicht beachtet oder, ohne Zeichen der Anerkennung, sich als selbstverständlich gefallen lassen. Er bat die Freundin, auch der guten alten Mutter zeitweise von dem Fortschritte seiner Bessrung Kenntniß zu geben und zeigte bei jedem Besuche eine unverholne Freude, die in herzlicher Begrüßung und in dankbarem Händedruck beim Abschiede sich kundgab. Obwohl Beide noch nie ein Wort über ihre zeitlichen Angelegenheiten gesprochen, da Rudolf noch der Schonung bedurfte, Annemareili hatte gleichwohl das Gefühl, daß die Kluft zwischen ihm und Rudolf nun nicht mehr bestehe, ja daß sie sich in ihren Herzen viel näher ständen als je zuvor: die Liebe hatte eine Feuerprobe bestanden. – Diese Weichheit und Schmiegsamkeit verlor sich zwar mit den zunehmenden Kräften bei Rudolf, aber etwas Inniges und Dankbares blieb doch in seinem Wesen zurück, die das Zeugniß einer bleibenden tiefern Umwandlung ablegten. Noch ein paar Wochen und der Genesne konnte das Krankenhaus verlassen, besonders da Herr Steinmann zugesagt hatte, ihn die erste Zeit noch schonen zu wollen.


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