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Zwölftes Capitel

Fortsetzung, oder ein Tyrann vergreift sich an den Menschenrechten des Rudi und bringt ihn in's rechte Geleise.

Rudolf gieng, er war in peinlicher Lage: sein Ehrgefühl fand sich, vielleicht am unrechten Orte, jedenfalls zur unrechten Zeit, gewaltig angegriffen. So geringschätzig hatte ihn der alte Zopf und Knicker behandeln dürfen! Das könne er sich nimmer gefallen lassen; man sei in einem freien Lande und nicht bei Sklavenhaltern; was der Aristokrat sich eigentlich einbilde? Lasse er Solches ruhig auf sich sitzen, wahrlich, so müsse er sich in Zukunft Alles gefallen lassen, auch daß man die Schuhe an ihm abwische! Nein, lieber – – und hier blieb der Gedankenfluß Rudolfs plötzlich stecken. Was lieber? – fortgehen, in einen andern Dienst treten! – Wohl; aber auch gleich einen solchen finden? und vorher erst in's Gefängniß spazieren, zur Empfehlung!

Rudolfs Selbständigkeit und Charakter kamen in bedeutende Gefahr. Vergebens sagte er sich: wenn er jetzt ducke, müsse er sich in alle Zukunft selber verachten. Aber trotz diesem lauten und heftigen Schimpfen und Sichsträuben flüsterte ihm inwendig und ganz im Stillen eine Stimme, der Alte meine es am Ende gar nicht so böse; Complimente zwar mache er keine, das sei richtig, aber ein klein wenig Recht, wer wisse? habe er vielleicht doch! Und dann das Geld, das verdammte Geld, das nothwendig war und zwar bald – Rudolf hörte schon in der Ferne die Kerkerschlüssel rasseln. Er entschloß sich zu einem Mittelwege, wie er meinte: einstweilen zu bleiben, aber dran zu denken und die erste Gelegenheit zu benützen (wenn er nur erst einmal aus der Klemme sei), und dem Alten den Sack vor die Thüre zu werfen, mit Glanz natürlich, indem er dann in kräftigen Worten seine Ehre wieder herstellte.

Hiebei blieb es denn und der achte Tag gieng vorüber ohne daß der Gekränkte seine Dienstkündung wiederholte, hatte er doch ein wenig sogar das Gefühl wie nach einer Blutsreinigung oder einem kalten Bade, wobei man sich, der guten Wirkung unbeschadet, ja auch gelegentlich schüttelt. Am Tage darauf rief ihn der Kaufherr nach dem Frühstück in's Ladenstübchen; sie waren alleine, noch keiner der Angestellten sonst anwesend.

Der Alte werde jetzt schadenfroh triumphieren, wenn er ihm das Geld gebe! dachte Rudolf in verbissnem Ingrimm. Der Alte aber war so trocken und geschäftsmäßig, wie wenn er einen Frachtbrief über eine Sendung Caffe diktirte. Er zählte einfach zwei Monatslöhne auf den Tisch: da sei das Geld! war Alles was er dabei sprach. Jetzt sehe man daß der Wuchrer kein Herz habe, sondern an dessen Stelle einen Goldklumpen! grollte hierüber der Andre und machte wenigstens ein Gesicht darnach, wenn er auch nichts zu sagen wagte.

Der laufende Monat und der nachfolgende, so wie der dritte verliefen ohne jeden Zwischenfall. Rudolf machte so wenig Worte als möglich, und gab sich alle Mühe daß auch der Kaufherr nichts zu sagen fand, er war ein wahres Muster von einem Knechte: der Alte müsse noch recht empfinden was er an ihm habe und verliere, wenn er ihm einmal künde. Es war wieder Samstag geworden, der gewöhnliche Zahltag und Rudolf trug eben das mit reinem Sande frisch gefüllte Spuckkästchen in das Ladenstübchen, als ihn sein Herr bleiben hieß.

»Hier der Monatslohn«, – begann er in seinem vertrakten Geschäftstone, – »nach Abrede behalte ich einen Drittheil davon zurück, du trägst ihn nach der Ersparnißkasse und verlangst ein Büchlein dafür. Mit dem was dir baar in Handen bleibt, kannst du auskommen«. Obschon Alles genau so verabredet war, wallte es in Rudolfs Adern doch von neuem; sein Herr aber langte nach ein paar Silberstücken, die auf der Seite lagen. »So viel du einlegst, lege ich ebenfalls für dich ein; schon lange hätte ich dir den Lohn aufgebessert, nicht weil du mit dem Bisherigen nicht ausreichen kannst, sondern weil du mehr verdienst; aber ich wollte das Geld nicht weggeworfen sehen. Laß Beides jetzt auf der Sparkasse einschreiben und gieb mir dann das Büchlein zum Aufbewahren.«

Gerieth Rudolf je in seinem Leben aus der Fassung, so war es dießmal, wußte er doch nicht, ob er zürnen oder danken sollte? ob der Alte sein Wohlthäter oder sein Todfeind sei? Während er sich verwirrt zurecht zu finden trachtete, trat ein Kunde und Bekannter seines Herrn in das Ladenstübchen und Rudolf konnte nun nichts Andres thun, als das Geld nehmen und damit hinausgehen. Nachmittags händigte er dem Kaufmann das Büchlein der Sparkasse ein, welches dieser schweigend, indeß mit zufriednem Gesichte, in sein Pult verschloß.

Beinahe von diesem Tage an gieng mit Rudolf eine Revolution vor; aber keine plötzliche und schnelle, sondern eine ganz allmälige und ruckweise. Noch grollte er häufig genug dem »wunderlichen Kauze« und seiner »tyrannischen Laune«; er fand es schreiend Unrecht, daß ihm die freie Verfügung über seinen verdienten Lohn entzogen werde. Er schalt und spottete: es werde auch viel herauskommen bei alle dem Knickern und Entbehren und wie viele Millionen Zins so ein paar lumpige Fränklein am Ende des Jahres wohl abwerfen würden? Die Herren sollten doch ihre Nasen lieber in den eignen Hafen stecken s. v., statt in einen der sie nichts angehe!

So schalt und haderte der unwirsche Knecht noch lange, während er im Herzen schon geraume Zeit umgewandelt war. Daß er nun Geld an Zins habe, kitzelte halt doch auch seinen Ehrgeiz und nachdem er nur erst ein paar Einlagen gemacht und die Posten gelegentlich zusammenzählte, kam er sich schon nicht mehr ganz so vor wie der Vogel auf dem Zweige. Jetzt solle ihn sein Herr wieder so schrauben wollen und solche Bedingungen vorschreiben! – drohte er zwar noch rachgierig; indeß schon das nächste Mal legte er selber etwas mehr als den bedungnen Theil freiwillig in die Sparkasse ein. War es Zufall? Als er das Büchlein nachher dem Herrn wieder zur Aufbewahrung gab, erhielt er von diesem des andern Tages einen Auftrag, der ein artiges Trinkgeld eintrug. Damit könne er nun einmal sich ein Gutes thun! dachte Rudolf in der ersten Freude; nachher aber wußte er eigentlich doch keinen rechten Anlaß, wollte dieß und das daraus kaufen; für's Eine war's zu wenig, für's Andre zu viel, das Dritte brauchte er nicht nothwendig, so daß er am Ende allen Wenn und Aber ein Ende machte, indem er das Geld einstweilen in die Sparkasse legte: er könne es ja dort immer wieder holen! Aber er holte es nicht, so wenig als ihn dieser Ausweg jemals reute.

Als er nach einem Lohntage dem Kaufherrn das Sparkassenbüchlein wieder einhändigen wollte, schob es ihm dieser zurück: er könne es nunmehr selber aufbewahren! Der Knecht wußte nicht, wie das wieder gemeint sei, gut oder böse? »Er hab' es ihn ja nicht geheißen zu Handen nehmen, wenn's dem alten Egoisten zu viel Mühe mache; aber da er's habe, wäre es doch keine zu große Zumuthung, daß er es nun auch behalte. Gleichviel, er wolle nun zeigen, daß das Büchlein in seinen Händen gerade so sicher aufgehoben sei als in dem Pulte mit dem Vexierschlosse dran!

So haderte jetzt Rudolf, dem es fast leid that, daß er wieder zum unumschränkten Herrn seines Geldes gemacht wurde, derselbe Rudolf, der zuvor in der Bevogtung die himmelschreiendste Tyrannei erblickt hatte. Die Zeit in der er seinem Herrn den Sack vor die Füße werfen wollte, war eigentlich auch schon längst da, es hatte sich aber immer keine Gelegenheit finden wollen, wie verhext keine, gerade jetzt, wo er doch so gerüstet war, während sich deren früher, in seiner mißlichen Lage, zu Dutzenden geboten. Der gute Rudolf ahnte freilich nicht, daß er der Gelegenheitmacher gewesen und es jetzt nicht mehr war. Sodann mußte er im Verlaufe allmälig doch darüber stolpern, daß sein Herr, – ob der zwar nie dergleichen that, – mit ihm es nicht halb so übel meine, vielmehr auf seiner Leute Nutzen sehe, und auch auf des Rudolfs seinen und ihm gern behülflich sei. Warum auch that er das, der alte Aristokrat? Es war das lange für den Mißtrauischen ein Räthsel, welches ihm viel Kopfzerbrechens kostete, bevor er, fast von selber, auf das Einfache fiel: der Kaufherr meine es gut mit ihm und es müsse demselben an einem ordentlichen Knechte eben mehr liegen, auch im eignen Vortheile, als an einem unordentlichen.

So war denn das Uebelaufnehmen oder Uebelauslegen mehr nur ein Aeußerliches, wo es sich bei Gelegenheit etwa noch zeigte, so aus alter Gewohnheit und sollte fast eher eine Rechtfertigung des frühern eignen Betragens sein, als eine Anklage gegen dasjenige des Herrn. In der That aber verzog doch der Nebel des Mißtrauens sich immer dünner und dünner in Rudolfs Gemüth und Verstand und da stellte bei dem siegenden Sonnenschein auch Alles was er sah rings um sich und in sich, im Hause und in der Welt, stets in hellrem Lichte in klarerer und dabei richtigerer Gestalt sich dar. In dieser kam es ihm fast wie eine neue Welt vor, fand er doch jetzt Beziehungen, Zusammenhang, Gründe, wo er zuvor aus trübem gestaltlosem Grau nur Vereinzeltes und oft ungeheuerlich Verzognes erblickt, einen schroffen Giebel mit einem rostigen Blitzableiter, ein Kreuz, eine verwitterte Mauer, einen bodenlosen Abgrund oder ein in der Luft schwebendes Thurmdach. Ueber dieß Alles machte sich Rudolf zwar kaum eine klare Vorstellung, aber, was folgenreicher und für ihn mehr werth war, er erlebte es, es trat ihm unbewußt in Saft und Blut. Aus Saft und Blut aber werden ja alle Theile des Menschen ergänzt, ernährt und erneut und so fand denn auch die allmälige Umwandlung seines ganzen Wesens, seiner ganzen Auffassung des Lebens und von dessen Verhältnissen statt: eben von innen heraus, durch die kleinsten Adern, zu klein um nur zu pulsiren, die die Lebensstoffe bloß durchsickern lassen an die verschiednen Organe.

Das Sparkassenbüchlein, das ihm Anfangs so schweres Aergerniß bereitet, konnte er nun mit einer fast andächtigen Freude in den Händen halten und sich halbstundenlang an den schwarzen Schwänzen und Ringlein und Haken der trocknen Zahlen weiden. Wohlgefällig überschlug er auch wieder einmal so nach einem Geschäftsjahr bei der Zinsverrechnung, was er das Jahr über erspart und eingelegt und wie viel, jährlich steigend, der Zins betrage. Wie auf einer Leiter, immer höher, stiegen da in dem Büchlein, von der ersten Seite bis zur letzten, die Ziffern des Guthabens an Einlage und Zinsen und Rudolf stellte gleich auch, dem gewiegtesten Finanzminister zum Trutz, das rosenfarbenste Budget für die Zukunft. Dann betrachtete er wieder die letzte Zahl der letzten beschriebnen Seite, seinen jetzigen Vermögensstand und verglich die vierziffrige fette Summe mit der magern ersten Einlage zuoberst auf dem ersten Blatte. Unwillkürlich mußte er über den Gegensatz lächeln, da er sich erinnerte, wie schwer ihm am Anfang die kleine Ersparniß gefallen und was für ein Vergnügen er jetzt empfinde, wenn er einen weit stärkern Betrag seines Lohnes sich freiwillig abziehe. Wieder einen Blick auf die lange Zifferreihe, mit den dazwischen eingeschobnen Zinsen werfend, schien es ihm gleichwohl ein Räthsel, ein halbes Wunder, in verhältnißmäßig so kurzer Zeit diese einzelnen kleinen Beiträge zur namhaften Summe angewachsen zu sehen. Er mußte die einzelnen Posten in's Auge fassen, um des natürlichen Schlüssels gewiß zu sein. Und nun konnte er es fast gar nicht begreifen, wie nicht Jedermann gerne spare: es sei so leicht! mache so viel Vergnügen! meinte jetzt derselbe Mensch, der mit Gewalt hatte müssen dazu gezwungen werden. Behaglich weilte er bei den einzelnen Einlagen, den regelmäßigen und außerordentlichen, und erinnerte sich da und dort des besondern Anlasses, der ihm dieselben ermöglicht. Er freute sich an den schwellenden Zahlen wie der Landmann an dem Gedeihen und Wachsthum seiner Früchte und labte sich an dem Eingeheimsten wie dieser, auch bevor er noch davon kostete.

Solche und ähnliche Betrachtungen stellte Rudolf mit seinem Sparkassenbüchlein in der Hand an; er hätte auch noch in ganz andren sich ergehen und weitre Folgen des Sparens in's Auge fassen können, die freilich nur mit Geheimschrift zwischen den Zahlen des Büchleins zu lesen waren. Z. B. hätte er fragen können: wie er bei diesem seinem Sparen denn überhaupt weggekommen, wie gelebt? So gar entsetzlich bedauerlich doch nicht. Er würde dann haben gestehen müssen, es im Grunde nicht schlechter gehabt und auch sich nicht unzufriedner gefühlt zu haben, jetzt, da er ein Drittheil und oft noch mehr seines alten Lohnes sich abgeborgt und in die Kasse gelegt, als zu der Zeit, wo er mit dem Ganzen nicht recht ausgelangt.

Er hätte sich auch nur ganz äußerlich umsehen können: zwar trug er nicht viel Staat, keine katzengoldnen Hemdknöpfchen und vergoldete Uhrketten, keine buntgeblümte seidne Weste und spinnwebige Halsbinde, sogar das Tuch seines Rockes war mehr solid als fein; aber seine einfache und auf die Dauer abgesehne Kleidung trug auch keine Wein- und Schmutzflecke, sauber und ordentlich war Alles und das schneeweiße Leinenhemd machte in seiner derben Frische gleichwohl eine weit vortheilhaftre Gattung, als die ehmaligen gefältelten und sogar gestickten, zerknitterten Vorhemdchen. Alles an Rudolf verrieth, daß es da sei um auszudauern und nicht um heute zu paradieren und brillieren und morgen für immer die Flügel hängen zu lassen. Alles auch schickte sich wohl zusammen, und nirgend schrie etwas Nagelneues unter Abgetragnem, oder vielmehr frühzeitig Verdorbnem, hervor nach Errettung. Rudolf sah allerdings jetzt weit mehr einem ordentlichen und wohlgestellten Knechte gleich, als einem gefehlten Herrn, aber es war das merkwürdiger Weise was er gerade wollte, und worin er seine Ehre suchte und es nimmermehr verläugnete. Er bewies mit seiner ganzen Erscheinung wieder die alte Wahrheit, daß die Leute, welche aus Häuslichkeit wenig ausgeben, gar nicht diejenigen sind, die am dürftigsten oder unvortheilhaftesten aussehen, indem sie auch in Besorgung des Aeußerlichsten, ihrer Kleider, sorgfältig, genau, ordnungsliebend sind, Acht geben und schonen. Denn das Aeußere ist doch meist immer der Wiederschein des Innern! – Diese fernere Betrachtung hätte Rudolf bei seinem Sparkassenbüchlein ebenfalls über sich anstellen können. Und wenn er da vom Kleide unter den Rock und das Hemde bis in sein Herz würde hineingeblickt haben, die Umwandlung, das heißt der Unterschied gegen früher, wäre ihm noch weit augenfälliger entgegengetreten. Merkwürdige Entdeckungen wären zu machen gewesen. Rudolf hätte da nimmer den alten leichtsinnigen, genußsüchtigen und doch stets unzufriednen Menschen gefunden, der die Arbeit als eine Last ansah, die man so nothdürftig als nur immer angeht abzumachen suchte. Er hätte dafür einen zuverläßlichen Burschen wahrgenommen, der zu Allem, was ihm aufgetragen war, ordentlich sah, besonnen und vorsichtig war, seine Ehre drein setzte recht viel und Großes anvertraut zu erhalten und das Zutrauen zu rechtfertigen, der überlegte, aufpaßte, kurz den Verstand walten ließ, wo er früher in den Tag hinein gelebt. An Stelle des Leichtsinns würde er Neigung zu Ernstem, zu Belehrung und Bereicherung nicht allein durch Geld, sondern auch durch Kenntniß entdeckt haben, an Statt der Unzufriedenheit ernstes Streben vorwärts zu kommen und die Zuversicht in die Zukunft, die nicht mehr neblig und ungewiß war, nicht windig oder trübe, auch nicht trügerisch. Neben dem Gelde und dessen klingenden Zinsen hatte das Sparen all diesen ganzen großen Gewinnst abgeworfen. Wer wollte nicht sparen? mußte Rudolf wieder fragen, ob er auch nur einen kleinen Theil dieser Schätze, nämlich nur den in der Sparkasse aufgehobnen, so überblickte und in Betracht zog.

Ein Gedanke noch drängte sich jetzt immer deutlicher und mächtiger aus der Tiefe des Herzens oder Kopfes hervor bei Rudolf, ein Gedanke, der, wie ein zweiter Napoleon, die andern Gedanken, die ihn Anfangs überragt, rasch in Schatten stellte und als Vasallen zu beherrschen begann, der königliche Gedanke an seine einstige Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Früher war dieser Wunsch zwar auch schon aufgetaucht, aber als Phantasiegebilde ohne Halt und Körper, als ein Feenmärchen, an das er doch selbst nicht glaubte und das ihn daher nur zu unzufriedner Begierde aufzustacheln vermochte. Jetzt aber erhob sich hinter der langen Reihe der Zahlen seines Büchleins, die sich, über das Papier auswachsend, in die dämmrige Zukunft hinauszogen, der Gedanke als etwas Wirkliches, Körperhaftes, ob noch duftig und in unsichren Umrissen, Rudolf wußte auch nicht genau, worin dessen wirkliches Wesen bestand, wie man ja in weiter Ferne auch nur einen ungewissen Fleck sieht und kann nicht bestimmt sagen, ob es ein Baum, ein Thurm oder eine Kirche, sondern nur, daß es kein bloßes Luftgebilde ist. Wie seine Selbständigkeit sich gestalten, welche eigne Existenz er sich gründen werde, das konnte auch er nicht sagen, es fehlte ihm aber, – das erkannte er zugleich mit einiger Unruhe, – hiezu Eins noch namentlich, welches die Sparkasse ihm nicht bot, nämlich mehr Bildung, mehr Schulkenntniß als ihm sein ziemlich vernachläßigter Jugendunterricht verschafft hatte. Zwar etwas von dem Gefühle verspürte er, daß er nun wohl ohne Schande und Spott seinen eignen Herrn und Meister würde vorstellen können, nachdem er sich in der Unterordnung unter den fremden Willen bewährt, denn der frühre Uebermuth, das Herrschen zu verstehen ohne das Gehorchen gelernt zu haben, war ihm, bei allem Knurren gegen seinen Herrn, doch wie von selbst wipfeldürr geworden.

Zum Glücke war Rudolf keine Natur, die sich leicht durch Schwierigkeiten abschrecken ließ, wo es ihm wirklich Ernst war. Er war weder zu träge, noch zu gleichgültig, noch schämte er sich am unrechten Orte, hielt sich auch nicht für zu alt zum Lernen. Er beschloß darum herzhaft an's Werk zu gehen, inzwischen mehre sich in der Sparkasse ja nur sein Schatz. Einer der Commis, der eine vorzügliche Handschrift schrieb, verfertigte ihm Vorlagen für die Schönschrift, welche der alte Schüler dann oft Abends, wenn ihm die Arme von der harten Arbeit müde geworden, im Ladenstübchen beim einsamen Lampenscheine nachzumachen sich befließ. Auch leichtre und dann etwas schwerere Rechnungsexempel ließ er sich als Vorbilder wie als Aufgabe geben und zerbrach sich manche Abendstunde den harten Kopf daran. Wie groß war seine Freude wenn da eine Seite sauber geschrieben vor ihm lag oder eine schwere Rechnung endlich endlich glücklich gelöst wurde! Er hätte sich aber auch gar zu gerne andre, weitre Kenntnisse verschafft. Wohl wußte er von Büchern, worin Vieles stehe, was ihm wissenswerth schien, aber er kannte diese Bücher nicht, konnte nicht die tauglichen von den untauglichen unterscheiden und vor Allem dieselben sich, nicht verschaffen. Da wußte er keinen Rath und an den Herrn zu gelangen, scheute er sich theils, theils mochte er ihm auch nicht so recht, wie man sagt, die Ehre darum anthun; vielleicht würde er doch nur abgewiesen oder ausgelacht! –

Es war wieder im Beginne des Winters und der langen Abende. Eine gemeinnützige Gesellschaft, welche für Arbeiter und Handwerksgesellen Sonntagsschulen eingerichtet hatte, sandte eine Einladung an alle Meister und Herren, ihre Angestellten zum Besuche dieser Unterrichtsstunden aufzufordern. Als Rudolf Abends sein stilles Plätzlein im Ladenstübchen wieder einnehmen und an den gestellten Rechnungsaufgaben kauen wollte, fand er gerade da, wo er zu sitzen pflegte, diesen Aufruf. Er las und las ihn noch einmal: das war ja gerade was ihm fehlte und was er suchte! Aber wer hatte die Aufforderung ihm hingelegt? Wohl niemand als sein Herr! Jedoch warum? – mußte er fragen. Hätte man ihm nicht das Wort gönnen dürfen, wenn es gemeint war daß er die Gelegenheit benütze? Indeß mußte Rudolf bei einigem Besinnen gestehen, Herr Steinmann habe ihn ja schon vor Jahren zu dem Besuche der Abendschule veranlassen wollen, er jedoch in Trotz und Mißtrauen sich dagegen gesträubt. So entschloß er sich zu fragen und einen abschlägigen Bescheid erhielt er natürlich keinen; in der Abendschule aber war er bald einer der Fleißigsten und Gelehrigsten, er kam nicht nur rasch, sondern auch leicht vorwärts, weil Alles planmäßig und mit vortrefflichen Mitteln getrieben wurde.


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