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Vierzehntes Capitel

Die Schwiegermutter. Herbstnebel. Annemareili giebt nach.

Sie trafen die Alte in kaum viel günstigern äussern Verhältnissen als die Stiefmutter. In einer ziemlich verfallnen Kammer, hinten an eine Scheune stoßend, sah Alles gar ärmlich und verbraucht aus, Nothdurft und Unvermögen blickten von jedem Stück Geräthe und aus jedem Winkel den Eintretenden fast wehmüthig entgegen. Und sie paßten allerdings weit besser zu der gebrechlichen und gebeugten Gestalt der Bewohnerin, die sich mühselig von einem mit Schnüren zusammengebundnen Sessel erhob, als zu dem frischen und kräftigen Paare, das in seinem Sonntagsputze wie verirrt inmitten der Stube stand. Gleichwohl fiel Annemareili alsbald ein großer Unterschied auf zwischen der Armuth hier und der bei seiner Stiefmutter. Die Schmidtwittwe hatte es im Leben hart gehabt und jetzt im Alter nicht freundlich; aber sie hatte immer redlich gekämpft, war Bessres gewohnt, und rang auch jetzt noch nach ihren schwachen Kräften, nicht unterzusinken. Wie arm und gebrechlich ein Jedes war, die Reinlichkeit und Ordnung drang doch durch alle Dürftigkeit siegreich hindurch und eine bessre Zeit blickte da und dort noch, ob auch scheu und unsicher, in die schlimme Gegenwart herein. Man sah es, die Frau leistete gegen das völlige Verkommen noch immer muthigen Widerstand, hatte nicht das Gewehr gestreckt oder gar mit dem Erbfeinde, der Unordnung und Gleichgültigkeit ein Schutz- und Trutzbündniß geschlossen. Reinlich waren die wenigen abgebrauchten und hinfälligen Geräthschaften, reinlich Boden und Wände, die Bettdecke alt, verwaschen und hundertfach geflickt, aber ganz, das wenige Geschirr, vom Geringsten, stand gescheuert ein jedes an seinem Orte. Kurz, der gute Wille zeigte sich überall, aber das Vermögen fehlte, da langten die schwachen Kräfte der alten Frau nicht mehr hin. Sie wollte den Kindern gerne einen rechten Caffe machen, aber man sah ihr die Verlegenheit an, daß es ihr so ziemlich an Allem dazu fehlte: nicht genug Caffe, zu wenig Milch, hartes Brod und ungenügendes Geschirr. Die jungen Leute dankten, es sei nicht nöthig, sie müßten ja doch ins Wirthshaus! und mit sichtlicher Wehmuth verzichtete die Mutter auf diesen Ehrenpunkt der weiblichen Gastfreundschaft, indem sie beifügte: Rudolf und Annemareili würden es halt besser gewohnt sein! Rudolf schien es hier überhaupt nicht recht wohl zu sein, bald drängte er wieder fort, als triebe ihn eine heimliche Unruhe oder ein stiller Vorwurf. Man müsse noch zum Gemeinderath und dem Schreiber, meinte er, von wegen der Schriften und da sei es jetzt Zeit aufzubrechen. Annemareili, das zu der alten Frau halb aus Mitleid, halb aus Zuneigung sich hingezogen fühlte, und auch gerne ihr Vertrauen sich erworben hätte, hieß Rudolf allein zu den Behörden gehen und die Sachen abmachen, es sei doch unnöthig dabei, und wolle lieber inzwischen bei der Mutter bleiben und hier auf Rudolfs Rückkunft warten. Ein etwas verwunderter aber freundlicher, ja fast dankbarer Blick der Alten bestärkte es in diesem Vorsätze, als der Verlobte nicht ganz damit einverstanden schien, sondern meinte, es könnte leicht irgend einen Anstand geben und auch sonst wäre es ihm lieber wenn Annemareili dabei wäre, es gehe sie Beide ja gleich an. Annemareili aber erklärte, von derlei Geschäftssachen ja doch nichts zu verstehen, es wäre nur das fünfte Rad am Wagen. Auch die Mutter ergriff nun die Partei der Schwiegertochter und wo zwei Weiber recht zusammen halten, da zieht ein Mannsbild, und wenn es auch der zähste Rudi wäre, gewiß den Kürzern, wenn es nicht gar das Rauheste herauskehren will.

Kurz Rudolf gieng zu den Gemeindebehörden und die Frauen, sobald er den Rücken gekehrt, machten sich nun doch dran, einen kleinen bescheidnen Caffe zu kochen, als das sicherste Mittel, ihre Herzen gegenseitig zu erschließen und sich näher zu kommen. Schon bei dem Herbeiholen und Benützen des dürftigen Kochgeschirres, womit aber Annemareili, so gerne es behülflich war, sich in der Dürftigkeit nicht zurecht zu finden wußte, schon am Anfang, noch ehe der Trank selber seine Wirkung that, ließ die alte Wittwe Las theilnehmende Mädchen ein wenig in ihre Noth blicken; mehr jedoch daß sie in Entschuldigungen als in Klagen sich ergoß. Es brauchte nicht gar vieler Hin- und Herreden, so erkannte Annemareili, daß Rudolf für seine Mutter nichts that, sondern sie so gut oder so schlimm als möglich sich behelfen ließ. Allerdings hatte die Frau auch nichts von ihm verlangt, ein einziges Mal ausgenommen an den Hauszins. Da sei aber der Sohn selber in Geldverlegenheit gewesen, sonst hätte er es gewiß gethan! – fügte sie entschuldigend bei. Später, da es ihm besser ergangen, habe er sie ein paar Male gefragt, ob sie etwas bedürfe, ihr auch wiederholt ein Geschenk gemacht. In neurer Zeit freilich nicht mehr und da hatte sie halt geglaubt, Annemareili sähe es vielleicht ungern; sie sehe nun aber wohl daß dem nicht so sei und es freue sie, wenn es ihr an Rudolf auch wehe thue, er habe sonst immer ein Herz für sie gehabt! Indeß, – fügte sie wieder entschuldigend bei, – eine neue Einrichtung kostet Geld, besonders solch ein Geschäft, wie des Krämers seines, zudem habe er ja Alles selber verdienen müssen, sie wolle sich in Gottes Namen behelfen, es sei noch immer gegangen, Gott werde sie auch jetzt in ihren alten Tagen nicht verlassen! Die arme Frau wollte auch durchaus nicht, weder selber mit ihrem Sohne sprechen, noch daß Annemareili es thue: wenn es ihm einmal möglich sei und sie nicht mehr selber es vermöge, werde er ihr schon behülflich sein! Annemareili war tief ergriffen, verschiedenartige Empfindungen bemächtigten sich seines Herzens, vor allem aber ein inniges Mitgefühl mit der guten Wittwe. Im Drange seines Gefühles leerte es sein Geldbeutelchen auf den Tisch aus und bat fast flehentlich, als gölte es eine Schuld zu sühnen, die seines Verlobten, die kleine Baarschaft anzunehmen. Sie seien ja jetzt nahe verwandt, es die Tochter und sie die Schwiegermutter, da dürfe ja eins von dem andern schon etwas annehmen. Der Schmidtsfrau traten Thränen in die vertrockneten Augen, aber sie war nicht zur Annahme der Liebesgabe zu bewegen, nur das versprach sie endlich, wenn sie wirklich Noth leide und der Hülfe bedürfe, sich vor Allen an Annemareili wenden zu wollen.

Die Beiden waren sich schnell näher gekommen, sie standen wirklich wie Mutter und Tochter zu einander, als Rudolf wieder eintrat, der inzwischen die Geschäfte abgethan und nun zum Aufbruch mahnte. Sie wollten noch vorher etwas im Wirthshaus essen und er lud hiezu auch die Mutter ein, welche es aber entschieden ablehnte. Die beiden Jungen giengen allein und Rudolf, in Betracht seiner künftigen Stellung als Krämer, ließ sich 's dießmal wider Willen etwas kosten, Wein und Braten mußten ihm auf den Tisch kommen. Er aß freilich beinahe allein, denn seine Braut rührte die Speisen kaum an. Sie gab dem genossenen Caffe Schuld, in Wahrheit aber hatte ihr etwas ganz Anderes den Appetit genommen: die Lage und die Mittheilungen der armen Schwiegermutter. Als sie fast fertig waren, bat es, der Mutter doch auch etwas zukommen zu lassen, ein Stück Braten und eine Flasche Wein. Rudolf sah Annemareili prüfend, ja fast mißtrauisch an. Die Mutter hätte ja mit ihnen kommen können! – meinte er, – indeß er habe nichts dagegen ihr etwas zu schicken! und die Magd des Wirthes trug nun alsbald die ungewohnten Leckerbissen nach der armseligen Wohnung der Schmidtswittwe hinüber.

Als die Zwei sich auf den Heimweg machten und vom Dorfe den Hügel wieder hinan stiegen, wälzte sich über die Höhe desselben ein dicker grauer Herbstnebel und verhüllte die Sonne, die nun nur zeitweise wie eine mattglänzende silberne Scheibe durch die leichtern Wolkenmassen hindurch drang, aber weder zu erwärmen, noch zu erleuchten vermochte. Es war kalt und feucht droben, besonders da zwischen der Berglücke noch der Wind herüber blies und von den Ranken und Zweigen des Gebüsches die Nebeltropfen den Wanderern gelegentlich in's Gesicht und auf die Hände schüttelte. Auch das Gras war naß und die Herbstblumen, die Morgens so lachend ihre bunten Köpflein der Sonne zugekehrt, ließen dieselben nun schauernd und trauernd in der unfreundlichen Luft hängen. Die entferntern einzelnen Bäume aber sahen in dem dicken Nebel wie mächtige graue Gespenster aus, schienen weit weit im Hintergrunde zu stehen und mit einmal standen sie dann doch hart am Wege. Die beiden Verlobten fühlten sich nicht minder unbehaglich und Rudolf knüpfte seinen Rock zu, während Annemareili das Halstuch dichter um den Nacken zusammenzog. Aber kalt schien der Nebel auch in ihre Herzen hinein zu dringen und sie schlossen sich nicht enger an einander, sich zu erwärmen, sondern jedes gieng, wie in eignen Gedanken, für sich selber.

Annemareili hatte viel zurecht zu legen, womit es nicht wohl zu Stande kam. Ein Gefühl von Unruhe, das zuweilen in Bitterkeit, zuweilen mehr in Angst umschlug, hatte sich seiner bemächtigt und schloß ihm den Mund. Das Elend von Rudolfs Mutter hatte sein Innerstes verletzt, besonders da der Sohn gar kein Auge dafür zu haben schien. Auch daß dieser so rücksichtslos den Stiefbruder wegen des Lehrgeldes an den Vogt und die Gemeinde gewiesen, that ihm weh und es machte sich hintendrein nun Vorwürfe, daß es dazu nur geschwiegen. Überhaupt fühlte es sich durch sein bisheriges Zusammengehen mit Rudolf halb in dessen Schuld verflochten und war darum doppelt gegen ihn verstimmt, jetzt, da ihm die Augen aufgiengen. Zu erwerben und zu sparen für einen guten und ehrenhaften Zweck hatte es bisher gemeint und sich auf dem besten Wege geglaubt. Nun sah es in einen Abgrund schwarzer Selbstsucht, in den sein Fuß jeden Augenblick hinunter zu gleiten Gefahr lief. Es erkannte, wie der eine Gedanke des Geldes alle andren Gedanken, gleich einem Ungeheuer, verschlungen, auch die, welche das Nächste und Heiligste umfiengen. Es ward ihm klar, wie schon lange diese Hast und Gier nach Geld in Rudolf aufkeimte und gewachsen war, es hatte mit geholfen, jeden Zweifel zurückgedrängt, weil es keine Gefahr darin geahnt und Alles nur zum Guten ausgelegt. Jetzt sah es die Früchte davon und schauerte: dem Leichtsinn, der Verschwendung und Genußsucht waren sie wohl entflohen, aber dafür der Hartherzigkeit, Lieblosigkeit und dem Mammonsdienste in die Arme gerannt.

Indeß auch Rudolf war durch die Noth der Mutter, welche ihm heute erst recht sichtbar vor die Augen getreten, verstimmt und Vorwürfe, Mitleid und Entschuldigungen rangen in seinem Innern wirr mit einander um die Oberherrschaft. Daß Annemareili mit der Mutter dann noch allein gewesen und gewiß tiefer in die Verhältnisse geschaut, beunruhigte ihn nicht minder, sagte ihm doch sein böses Gewissen, daß er dabei nicht zum Besten weggekommen. Dazu kam die Besorgniß, Annemareili möchte jeden Augenblick, wenn er mittheilsam und freundlich sich zeige, das Anliegen des Stiefbruders wegen des Lehrgeldes wieder vorbringen; hatte er doch gar wohl bemerkt, wie es, trotz des Schweigens, gar sehr ein Gelüsten trug, dem Burschen das Geld selber zu zahlen. Aber weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über! heißt es nicht umsonst. Und von unten bis oben angefüllt war Rudolfs Herz mit den Sorgen und Plänen und Berechnungen wegen des neuen Geschäftes, das er zu übernehmen im Begriffe stand. Diese Gedanken schwollen an und verdichteten sich immer mehr, bis sie endlich in Worten laut wurden und überflossen:

Sie würden, – begann er auf einmal mitten im Nebel, – wohl mit zwei Stuben in der künftigen Wohnung sich behelfen können; wenigstens für die erste Zeit! Das Uebrige könne man dann vermiethen und so trage es wieder etwas an den Zins bei.

Fast selbstvergessen hatte Rudolf dieses mehr zu sich gesagt, als zu seiner Begleiterin. Diese aber konnte nun auch nicht anders, als die Gelegenheit, besonders da sie sich so schön bot, zur Erleichterung des Herzens ergreifen.

»Ich habe gedacht, du wollest dann die Mutter zu dir nehmen;« – begann Annemareili, und als Rudolf erwiderte, davon sei nie die Rede gewesen, fuhr es fort: »Ich möcht' es ihr wohl gönnen; sie scheint es nicht zum Besten zu haben in ihren alten Tagen; hast du nicht gesehen, wie das Wasser an den Wänden herunter lief?« –

»Es ist die Frage, ob ihr's nur recht wäre? alte Leute ändern nicht gerne; hat sie's auch jetzt nicht am bequemsten, so ist's seit Langem so, und sie hat nicht Ansprüche wie Leute die das Stadtleben gewohnt sind. Zudem würden wir ein schönes Stück Zins verlieren, auf das wir sehen müssen; man kann nicht immer thun, was man gerne will!« –

Diese ablehnende Rede des Verlobten reizte Annemareili nur noch mehr an, seiner Stimmung Luft zu machen und die Vorwürfe der Härte und der Unkindlichkeit durchblicken zu lassen. Auf so gespartem Geld könne kein Segen ruhen, – schloß es, – und es fürchte sich mehr mit dieser Schuld ihre Zukunft anzutreten, als wenn sie noch so viel Geld auf dem Kramladen stehen hätten!

Rudolf, ärgerlich und ängstlich zugleich, klagte, daß Annemareili, statt ihm behülflich zu sein, ihm nur entgegentrete. Ob er nicht sonst schon genug zu sorgen und zu kämpfen habe? Er würde auch lieber den Gutthätigen spielen, wenn's damit dann nur gethan wäre. Oder ob er sich's denn leicht mache und nur an Andern sparen wolle? das werde niemand sagen dürfen. Hingegen würde er es ungern sehen, den Laden nicht behaupten zu können, und wie der Schneiderpeterli nach ein paar Wochen ganten zu lassen. Hätte er bisher nicht so sehr gespart, so könnte gar keine Rede von der Uebernahme sein, lange es doch so nur knapp. Annemareili liege, schein' es, nicht viel dran, noch einige Jahre zu warten bis sie die Haushaltung anfiengen; er aber fürchte, mit dem Krämerheinrich möchte inzwischen der ganze Handel wieder zurück gehen, wenn man ihn weiter hinaus schiebe: sein Vetter suche ihn so dagegen aufzustiften, er hab' es wohl bemerkt. Wenn er Ueberflüssiges besäße, niemand lieber als er würde es der Mutter leicht und bequem machen, aber vorerst müßte er doch selber leben können. Habe man sich einmal aus der gröbsten Schuld heraus gearbeitet, nun ja, da könne man noch bedenken, was zu thun sei; die Eltern hätten ihm übrigens auch nicht zu dem verholfen, was jetzt sein gehöre, vom ersten Heller habe er's selber verdienen müssen. »Nicht, Annemareili,« – schloß er etwas empfindlich, – »wenn dich dein Geld reut, so bist du freilich Herr darin, ich habe nichts zu befehlen; aber bisher habe ich drauf gezählt gehabt und wie ich mir die Sache bis jetzt gedacht, könnte ich's nicht mangeln.« –

Durch diese Entgegnung ließ sich Annemareili nicht sowohl überzeugen und geschweigen, als vielmehr erschrecken und einschüchtern. Nicht nur ließ es durch Rudolfs Aengstlichkeit und Kleinmuth sich selber verzagt machen und um das Vertrauen bringen, es fürchtete nicht bloß, das Ziel, das es sich so nahe dachte, in unsichre Ferne hinausgerückt zu sehen, sondern es besorgte überdieß eine Entfremdung von Rudolf, ja sogar dessen Verlust. So hinderte es die falsche Liebe zu dem Verlobten sowohl ihm entgegen zu treten als ihn muthig zu sich herüber zu ziehen; sie drängte auch die innre Stimme zurück und ließ es untreu werden an dem, was es für das Bessre erkennen mußte. Annemareili schwankte zwar anfangs, es hätte sich frei gemacht, wenn ihm Jemand nur ein klein wenig geholfen hätte; der das aber am besten gekonnt, war ja bemüht, es nur noch enger zu umstricken, nicht mit glühender Leidenschaft, sondern mit kalten Verstandesbanden, gegen welche die Stimme des Herzens keine Kraft besaß. Obwohl es sich nun selbst zu überreden suchte, daß das, was Rudolf von der Mutter sagte, diese ja selber auch gesagt und keine Klage geführt, so trug es gleichwohl das heimliche Gefühl in sich, etwas Höheres und Heiligeres in ihm sei verletzt worden, und es habe etwas Unvergängliches an zeitliches Gut dahin gegeben. Es für sich verrieth zwar nicht das Heilige für die Silberlinge, aber es duldete den Verrath und verläugnete es aus Menschenfurcht, als ein schwacher Petrus. Indeß gerade dadurch trübte sich seine Aussicht auf ihr gemeinsames künftiges Glück, das es retten wollte, indem es die Kluft, die zwischen ihm und dem Verlobten sich aufgethan, nicht bleibend ausfüllte oder überbrückte, sondern bloß oberflächlich überschüttete mit Gras und Laub das heute grün und morgen verdorrt ist.

Wenn darum eine äußere Einigung die Beiden auch wieder verband, so kehrten sie innerlich getrennter als je von ihrem Besuche in der Heimat zurück, Annemareili zumeist mit dem Gefühle des bösen Gewissens. Eins fühlte sich deßhalb auch durch die Gegenwart des andern befangen und sie schämten sich fast wie Adam und Eva, da die von der verbotnen Frucht gekostet und ihre Blöße erkannten. Es wurde ihnen erst wieder etwas leichter, als sie nicht mehr alleine zusammen waren auf dem stillen Sträßlein, sondern in das Dorf und an die Haltstelle gelangten, an welcher der Eisenbahnzug sie aufnehmen und nach der Stadt bringen sollte. Die vielen Leute, die sie hier trafen, die Unruhe, ja der Lärm einiger Bursche, die zu viel getrunken und die Zeit bis zur Ankunft des Bahnzuges mit lautem und rohem Wesen ausfüllten, waren ihnen heimlich willkommen, übertäubten sie doch die leise unzufriedne Stimme ihres Innern und brachten sie zerstreuend auf andre Gedanken. Unterwegs war Rudolf einsylbig, klagte Müdigkeit und lehnte mit halbgeschlossnen Augen in einer Ecke des Wagens, während Annemareili sich zwang auf die Reden der Mitfahrenden zu achten, um nicht in unbequemes Nachdenken und Grübeln zu versinken. Beide trennten sich in der Stadt nach kurzem und nicht sehr innigem Abschiede, obwohl jedes mehr gegen sich selbst als gegen das Andre verstimmt war.


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