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Neuntes Capitel

Annemareili spart. Ein Vetter erscheint am Horizonte.

Als so nach längerm Auf- und Niederwogen die Wellen in Annemareilis Herzen sich geglättet und ihre ruhige Fläche wieder einnahmen zwischen den Klippen und Sandbänken der Leidenschaft und der Freudlosigkeit, da war es allerdings nicht zu verkennen, daß das Mädchen im Ganzen doch ernster geworden war. Der heitere leichte Sinn, der wohl in Leichtsinn ausgeartet und in das heftige Feuer der Leidenschaft aufgelodert, der aber auch mit kindlicher Unbefangenheit und Frische die Eindrücke der umgebenden Welt aufgefaßt und wieder zurückgestrahlt, dieser Sinn, jetzt geläutert, aber auch gehärtet im Feuer der Erfahrung, richtete sich immer mehr und mit Vorliebe auf das Wahrhafte und Tüchtige. Und zwar im innerlichen Leben wie im äußerlichen. Mied Annemareili laute Lustbarkeit und gieng weit lieber der Sammlung nach als der Zerstreuung, und einer ernsthaften Unterhaltung vor einer leichtfertigen, so zog es auch äußerlich ein einfaches aber dauerhaftes Kleid dem Flitter- und Scheinstaate entschieden vor und beneidete nie seine Genossinnen, die es in Putz und Mode überholten. Die natürliche Folge hiervon war, daß es weniger Ausgaben als Andre hatte, kleinre sowohl als seltnere, weil ja die soliden Stoffe auch länger hielten. Dadurch aber, und bei der geringen Neigung nach kostspieligen Vergnügen, sammelte sich in seiner Sparbüchse ein von Halbjahr zu Halbjahr stets anwachsender Schatz. Die fleißige Magd erstaunte, als sie zuerst, wie unversehens, diese Entdeckung machte; denn nicht sowohl um zu sparen und Geld anzusammeln hatte sie weder dem Putze noch der Vergnügungssucht gefröhnt, sondern ganz nur aus innrem Sinne, aus dem Ernste ihrer Lebensauffassung, wenn sie es auch nicht mit diesem Namen nannte, was als Herzens- und Gewissensstimme aus der Tiefe in ihr sprach und regierte.

Sieht eine arme Dienstmagd den mit Händearbeit sauer verdienten Lohn als Häuslein selbsterworbnes Geld vor sich liegen, so ist ein erhebendes Gefühl nicht allein natürlich und verzeihlich, sondern ganz gerechtfertigt. Auch für Annemareili war es die gesegnete Ernte der Saat seines Fleißes und seiner Mäßigung und die innre Befriedigung der erfüllten Pflicht schloß sich gerne an dieses gleichsam sichtbare Zeichen und Zeugniß. Der Schatz war ihm lieb, denn wie viel nicht knüpfte sich daran, in Freud und Leid! Wer Handkehrum durch einen Wurf, ein Spiel, ein Wagniß Geld scheffelweise gewinnt, der hat freilich nur einen ganz schlechten Begriff von dem Gefühl einer Magd über den sauer verdienten Thaler. Kalt sieht er den Haufen an, ob auch gierig, mit den Sinnen nur, aber nicht mit dem Herzen, denn es lebt ihm ja nichts darin, der Schatz hat keine Geschichte, keine Berechtigung, er ist halt nur gewonnen, nicht verdient, wenn man die beiden Wörter schon oft genug verwechselt. Und wie Annemareili sein Schatz lieb war, so trug es ferner den Wunsch, und er mehrte und verstärkte sich, – ihn zu wahren und zu vergrößern. Auch das ist recht und löblich, denn auch in äußerlichen Gütern müssen Ernst und Ordnung walten und sie sollen dem Herzen angelegen sein, sind doch auch sie anvertraute Pfunde. Um diese erlaubte Liebe des Besitzes und Mehrens zeitlicher Schätze aber zieht sich eine feine scharfe Linie, jenseits der die sündhafte und abgöttische Liebe sitzt mit lachendem lockendem Angesicht, das Auge voll verführerischen Glanzes und den Mund voll Versprechungen. Diese sucht das Herz über die Grenzlinie hinüberzulügen auf ihr heidnisches Gebiet, der Weg ist ja so eben und glatt, nur der scharfe seine Strich dazwischen. Hat sie es geblendet hinübergelockt, so reckt sie ihre Riesenarme aus und zieht es immer näher an sich, an ihre versengenden Blicke, ihren giftigen Odem, ihre eisige Brust. Schwer entwindet sich der Gefangne und findet wieder den Rückweg und seine Rettung.

Ob auch Annemareili sich wird blenden lassen oder ob seine Liebe zu seinem Schatze die Probe bestehen wird? – Einstweilen hütete es diesen noch gelassen: die Anfechtung tastete ihm noch nicht daran. Als es den erhaltnen Halbjahrlohn dem frühern beilegte, das es in einer alten Holzschachtel in der Tiefe des Kastenfußes wohl verwahrt hatte, da wog es wohl das schwellende und schwerer gewordne Säcklein mit sichtlicher Zufriedenheit; indeß es langte doch wieder ein großes Silberstück heraus und legte es bei Seite, damit auf die nahe Weihnacht dem Vater und dem Stiefbruder eine freundliche Christbescherung zu kaufen und heimzuschicken. Und als der Thaler so nebenaus auf dem Tische lag, da lächelte Annemareili nur noch inniger und zufriedner denn zuvor, als der fröhliche Geber, den Gott lieb hat.

Das Christgeschenk war Vater und Bruder sehr willkommen gewesen; Annemareili erhielt von dem kleinen Stiefbruder einen Brief voll Dankes und Lobes über die schöne Gabe; man habe sie im ganzen Dorfe bewundert! Die Schwester müßte es doch gut haben und in der Stadt Geld wie Steine verdienen! – habe der Schneiderpeterli gefügt, der die Profession jetzt aufstecken und eine Wirtschaft anfangen wolle; schrieb der Junge. Annemareili mußte über den kindischen Brief und über des Schneiderpeterlis gute Meinung unwillkürlich lächeln; doch ein wenig fühlte es sein Selbstgefühl dadurch doch gekitzelt und gedachte seines geheimen Schatzes. Nicht lange nachher langte ein zweiter Brief aus der Heimat an; die Frau reichte ihn Annemareili, als es eben vom Markte nach Hause zurück kam. Verwundert besah es die fremde Handschrift und studierte das Schreiben darauf allein in der Küche. Die Suppe, die noch nicht gesalzen war, blieb nun auch ungesalzen, dafür brannte aber das Gemüse etwas an und da es leine Aepfelschnitze waren, noch gelbe Rüben, denen ein braunes Käpplein wohl ansteht, sondern Kohl, so schüttelte die Herrschaft über dieß ungewöhnliche Ereigniß den Kopf, zwar nur stillschweigend, weil ja jedem Menschen einmal etwas Menschliches begegnen könne. Als aber Nachts die Betten im Schlafzimmer nicht aufgedeckt waren, am folgenden Mittag der Salat ohne Essig auf den Tisch kam, und Annemareili, das Vergessne gut zu machen, den Oelkrug hinstellte, da schien der Frau doch etwas nicht richtig zu sein, besonders da sie der Magd zwei und dreimal dasselbe wiederholen mußte, was sonst nie der Fall gewesen. Abends nach dem Kaffetrinken, da Annemareili, wie gewohnt, in der Stube die Tassen spühlte und eben eine noch nicht gewaschne Tasse mit dem Abtrockentuch auswischte, begann denn, nach einem langen forschenden Blicke in das zerstreute Gesicht des Mädchens, die Frau ihrem Erstaunen Luft zu machen.

»Aber Annemareili«, – sprach sie freundlich, – »wo fehlt es dir denn auch? Du scheinst ja die Gedanken ganz verloren zu haben?«

Und als Annemareili roth ward, aber schwieg, fuhr sie fort: »Hast du vielleicht ungute Nachrichten von Hause erhalten? ich will nicht hoffen; aber seit dem Briefe, den du von daheim bekommen, bist du wie verwandelt. Kann ich dir was rathen oder helfen, so weißt du wohl, du hast mich noch immer bereitwillig gefunden; aber nicht, daß ich in ein Geheimniß dringen wollte, behüte!«

Annemareili stand mit seiner Frau auf gutem Fuße und in Manchem hatte es ihr schon vertraut und ihren Rath begehrt, denn es spürte, obwohl sie Respekt verlangte, war sie doch nicht hochmüthig, und obgleich sie die Herrschaft war, zeigte sie ihm stets ein wohlwollendes und freundliches Herz. Dabei hatte sie ihren Beistand nie aufgedrängt, sondern immer nur angeboten und dem Mädchen den freien Willen gelassen ihn anzunehmen oder nicht, weil sie kein erzwungnes Vertrauen mochte. Annemareili erinnerte sich auch jetzt manches guten und uneigennützigen Dienstes der verständigen und wohlwollenden Frau, und so lockten denn die freundlichen einladenden Worte bei seiner Verlegenheit und Unruhe bald das alte Vertrauen hervor, so daß es rückhaltlos Alles mittheilte:

Allerdings war der erhaltne Brief an der Umwandlung Schuld, der Brief aber kam von Niemand Andrem als dem Schneiderpeterli, einem etwas entfernten Vetter Annemareilis, der nun auf einmal den theilnehmenden und vorsorglichen Verwandten ihm gegenüber herauskehrte, von seiner Liebe und seinem Wohlwollen für Annemareilis Mutter selig sprach, und wie er diese Gesinnung von je auch auf die Tochter übergetragen und deßhalb über deren gegenwärtiges Wohlergehen sich so sehr freue, als ob's sein eignes Kind beträfe. Nach dieser gar schönen Einleitung, die für Annemareili ziemlich neu war, kam denn noch die Nutzanwendung, die aber nicht sehr erbaulich klang, wie überzuckert sie aussah. Der Schneiderpeter brauchte nämlich Geld für seine neu angefangne Wirthschaft, er hatte zwar mehr als genug, aber nicht flüssig, es stand noch aus bei guten Freunden, denen er's jetzt nicht wohl zurückverlangen konnte, ohne sie in Verlegenheit zu setzen, was er nicht wollte. Da hatte er gedacht sich an das liebe Bäslein zu wenden, das sein Geld doch nur todtliegen hatte, von fremden Leuten mochte er nichts wissen, Annemareili aber gehörte zur Verwandtschaft, da würde es ihm nicht mißdeutet, er kenne sein gutes Herz, Zudem gönnte er auch niemand so den Vortheil wie diesem, denn er begehrte es nicht umsonst, behüte! Vier Procent Zins wollte er ihm zahlen, oder wenn es das lieber hätte, auch vier und ein halbes: die Anlage sei so sicher als eine und wenn es das Geld zurückverlangte, jeden Augenblick, es brauchte nur zu winken. Die nächste Woche am Freitag gedachte der Schneiderpeter in die Stadt zu kommen, die Handschrift gleich mitzubringen und das Geld dagegen mitzunehmen; er verließ sich darauf, da es ja ihnen beiden gleich dienlich wäre. Unten am Briefe stand noch ein P. S.: Annemareili sollte Niemand davon sprechen, der Vetter fürchtete, Andre könnten es übel nehmen, daß er nicht bei ihnen angeklopft hätte.

Dieses Alles enthielt der Brief, welchen Annemareili nach einigem Zögern seiner Frau zu lesen gab und den ihm der Schneiderpeter geschickt, obwohl nicht selber geschrieben, nach der saubern Handschrift und dem unleserlich darunter gekritzelten Namen zu urtheilen. Stillschweigend faltete die Frau nach dem Lesen das Papier wieder zusammen und sah das Mädchen an, dann fragte sie ruhig, was sie zu thun gedenke?

Aber das war es ja eben, was dem armen Annemareili die Gedanken genommen und es aus dem ordentlichen Geleise gebracht hatte. Es sah wohl ein, daß sein Geld leicht wo besser und sichrer könnte angelegt werden als bei dem Schneiderpeter, wie großmäulig der von seiner neuen Wirtschaft reden mochte und von seinem Geldüberfluß, kannte es ja die Verhältnisse des verkümmerten Männleins genau genug. Dann aber leider gehörte dieser doch zur Verwandtschaft, ob er sich früher, da es als verwildertes Mädchen die Geißen gehütet und von der Stiefmutter mißhandelt worden, gar wenig oder nichts seiner angenommen, sondern erst jetzt Theilnahme zeigte, da es die nicht brauchte. Auf dem Lande gilt ein Vetter noch mehr als in der Stadt und die Verwandten hängen fester zusammen; der Schneiderpeter brauchte Geld und Annemareili hatte vorräthiges unbenutzt im Kastenfuß liegen: auf das Gesuch nur so kurz Nein sagen konnte es doch auch nicht, denn einen andern Grund, als den des Mißtrauens, wußte es kaum anzugeben, dieses aber schickt sich am wenigsten einem leiblichen Vetter gegenüber. Daneben hatte Annemareili auch schon so etwas von Anlagen und Zinsen gehört, und wie dadurch das ausgeliehne Geld sich ohne Mühe und Arbeit mehre. Solches könnte es wohl brauchen, so gut wie Andre, aber es ahnte ihm auch, es werde dabei auf allerlei noch ankommen, auf Sicherheit und Versatz und die Art der Verschreibung, kurz auf Dinge, von denen es nichts verstehe.

Die Frau hatte es ruhig seine Meinungen und Bedenken aussprechen lassen. »Ich verstehe diese Dinge auch nicht«, – sagte sie darauf, »es sind Geschäftssachen der Männer; auch den Schneiderpeter kenne ich nicht, aber was er da von sich schreibt und wie von dir, das giebt mir nicht die beste Meinung von ihm. Schon daß er sein Handwerk verläßt und eine Wirthschaft anfängt, ist kein gutes Zeichen. Dann schmeichelt er dir, während er etwas von dir begehrt, das gefällt mir eben so wenig. Wie weit du ihm aber nun als Verwandten verbunden bist, weiß ich nicht, allem nach zu schließen, standet ihr euch doch nie sehr nahe, so daß du wohl auf deine Sicherheit sehen darfst bei dem Gelde, das du mit Arbeit verdienen müssen: einmal wirst du noch froh über deine Ersparniß sein. Ob und wie aber Sicherheit bei dem Vetter zu erhalten wäre, daß du ihm gefällig sein könntest, das weiß ich nicht, da muß jemand rathen, der sich auf Derlei versteht; wenn es dir nicht unlieb ist, so will ich mit dem Herrn deßhalb reden, als Kaufmann wird er's am besten wissen.«

Annemareili gedachte nicht, wie viele andre Mägde und Knechte und Arbeiter, das Gegentheil von dem was ihm die Herrschaft rieth und für das Beste hielt, andre, die in ihren Brotgebern ihre natürlichen Feinde zu sehen meinen, welche immer nur eigensüchtige Zwecke verfolgen aber nie den Vortheil ihrer Dienstleute im Auge haben. Es hatte eben auch das gute Gewissen, selber auf den Nutzen der Herrschaft zu sehen und somit auch den Glauben, daß diese auf den seinigen achte, dermalen man niemand hinter einer Thüre sucht, hinter der man nicht selbst schon gestanden. So hatte es denn ebensowenig dießmal weder Bedenken noch Mißtrauen gegen die Worte der Frau; allein nun gleichfalls dem Herrn die Sache mitzutheilen, das war doch etwas Andres. Es verkehrte ja überhaupt fast nie mit diesem, und wenn es auch Respekt vor ihm hatte und kein Mißtrauen, eine gewisse Scheu hielt es doch zurück, die eignen Anliegen ihm mitzutheilen: das werde ihm jedenfalls zu wenig sein, um den Sparpfennig einer armen Magd sich zu bekümmern, und sich ernstlich des Bischen Geldes in seiner Spindellade anzunehmen, er, der alle Tage die große eiserne Kasse mit den sieben Schlössern auf und zuschloß und das Geld haufenweise ausgab und einnahm.

Die Frau indeß meinte, diesen leise geäußerten Bedenken gegenüber, Annemareili solle sie nur machen lassen, möge es ihr den Brief anvertrauen, so wolle sie schon mit dem Herrn reden. Das Mädchen mußte nun wohl oder übel willfahren, im Stillen aber dachte es doch, es wollte, es hätte nichts von der Sache gesagt, es sei ja am Ende sein Geld und andre Leute brauchten nichts dazu zu reden.

Mittags, als das Essen abgetragen war, begann denn der Herr auch sogleich selber von der Angelegenheit zu sprechen, freundlich und einläßlich, dabei aber in seiner Meinung sehr entschieden. Daß ihm das Anleihen des Schneiderpeters noch weniger einleuchtete als am Morgen seiner Frau, ist leicht zu errathen: ihm zu willfahren wäre für Annemareili der kürzeste Weg um seine Ersparniß zu kommen! behauptete er geradezu, denn von einem ordentlichen Unterpfand sei ja keine Rede. Die runde und sichre Art, in der der Herr von der Angelegenheit sprach, als von einem Geschäfte und nicht einer Herzenssache, machte auf das Mädchen einen Eindruck und es konnte nichts dawider einwenden, aber sie hob ihm seine Verlegenheit doch nicht so völlig. Die Scheu bezwingend und das Herz in beide Hände nehmend, fragte es, was es aber dem Vetter sagen solle? es könne doch nicht vorwenden, daß es das Geld nicht habe, und thue es das nicht, so lasse der ihm keine Ruhe bis er es dennoch ihm abgeschwatzt.

Der Herr indeß meinte trocken: »Doch, daß du das Geld nicht habest, das gerade mußt du ihm sagen!«

Und als Annemareili ob der zugemutheten Unwahrheit stutzig und verblüfft dreinsah, fuhr er fort: »Ich will dich nicht zum Lügen verleiten; geh nach der Ersparnißkasse und lege dort dein Geld ein. Damit fängst du zwei Fliegen auf einen Schlag: du stellst dein Erspartes vor den Klauen des Vetters sicher und aller andern Vettern der Art, und dann machst du es dir nutztragend.«

Annemareili hatte zwar schon von der Ersparnißkasse gehört, aber es war ihm nie eingefallen, daß diese auch ihm zu gute kommen könnte. Da seine Vorstellung davon etwas dunkel und unklar war, so hatte es auch einiges Vorurtheil dagegen, ein Mißtrauen eher als ein Zutrauen, obwohl es nicht recht wußte warum; vielleicht nur weil es eine Kasse und keine Person war, und sich von ihr nichts Andres vorstellen konnte, als daß sie schwarz sei und von Eisen und mit verschiednen Schlössern und Riegeln versehen sei. Vor den Fingern des Schneiderpeters sicherte nun eine solche Kasse das Geld schon, das begriff Annemareili, aber sie sah ihm auch so darnach aus, als wenn es selber dann ebenfalls nicht mehr recht Herr über seine Sache sein würde. Es sagte darum auch, daß es nicht wisse, wann es selber etwas von dem Gelde brauchen werde und da könne es schwerlich nur so schnell abkünden. »Warum nicht?« – fragte sein Herr; – »jeden Augenblick kannst du holen von dem deinen, so viel du brauchst, ohne Abkündung, für dich und wenn du's begehrst, wie du auch jeden Augenblick dazu legen kannst, selbst die kleinste Ersparnis, ein Franken, wird angenommen und Rechnung darüber geführt, und er trägt alsbald ebenfalls Zins, abgesehen davon, daß viele kleine Beiträge einen großen ausmachen.«

Annemareili aber war noch nicht bekehrt: Das sei wohl schön, aber Solches gebe Schreibereien und Verrechnungen, auf die es sich nicht verstehe und werde immer mit Unkosten verbunden sein.

»Darum brauchst du dich nicht zu kümmern,« – erwiederte hierauf der Herr, – »laß du getrost die dafür sorgen, welche das verstehen und einmal sich der Sache angenommen. Viele Hunderttausende kleiner und großer Ersparnisse sind so eingelegt und viele Hunderttausende schon wieder daraus gezogen worden, Tag für Tag, das ist das Geschäft. Sachkundige Männer besorgen es und sorgen für die gehörige Sicherheit der Anlagen nicht nur, sondern auch drüber hinaus, daß nichts kann verloren gehen. Unkosten aber macht dir Alles das gar keine.«

Das Mädchen wußte nicht mehr viel zu entgegnen, nur schüttelte es etwas ungläubig den Kopf: umsonst werde man es doch wohl auch nicht thun, es will Jeder für seine Mühe belohnt sein und besonders Leute die einen nichts angehen!

Da sah es aber der Herr groß und ernst an, daß es fast erschrak. »Wenn du in der Kirche dein Almosen giebst, was bekommst du dafür?« – fragte er ruhig, – »und letzthin, als ich dich antraf, wie du der alten Holzhackersfrau den schweren Korb, darunter sie fast zusammensank, vom Markte nach Hause trugst, was gab sie dir dafür? sie gieng dich ja auch nichts an!«

Annemareili ward roth: so was sei nichts als Nächstenpflicht! sagte es endlich.

»Gut! Annemareili, die haben Andre eben auch, nicht nur du allein. Wenn man einem braven Knecht, oder einer fleissigen Magd, zu einem Nothpfennig behülflich ist und ihre Ersparnisse mehrt und schützt vor Blutsaugern und Betrügern, oder vor ihrem eignen Leichtsinn, wenn man ihnen an die Hand geht, in der Zeit der Noth sich selber mit Ehren zu helfen oder zu einer Unterstützung im Alter, so ist das auch nichts als Nächstenpflicht und Nächstenliebe und die Bezahlung dafür keine andre als der Gotteslohn. Diesen sucht das Eine so, das Andre so sich zu verdienen, ein jedes nach seinem Vermögen.«

Annemareili schwieg beschämt und sein Herr drang auch nicht ferner in es, sondern ließ ihm freien Willen, dem Rathe zu folgen oder nicht. Den andern Morgen aber, als es auf den Markt gehen sollte, das benöthigte Gemüse einzukaufen, hatte es sein Geldschächtelchen in der Hand und fragte die Frau, wie es das nun anstellen und was sagen müsse, wenn es sein Geld in die Ersparnißkasse einlegen wolle? es verstehe das nicht. »So viel ich weiß wird das einfach sein,« – entgegnete die Frau, – »du kannst deutsch und die Herren dort auch; da sagst du denn, du habest da dein Geld und wollest es einlegen, sie möchten dir ein Sparnißkassenbüchlein geben. Das bekommst du gleich und vorn drin steht dein Name und was du hinträgst, wird sofort drein eingeschrieben und von dem bezeichneten Datum an trägt es dir Zins. Bringst du nachher Neues nach, fünf Franken oder ein Franken, so werden die jedesmal dazu geschrieben in das mitgebrachte Büchlein und am End vom Jahre ein Strich drunter gemacht, die Einlagen zusammengezählt und der Zins dazu geschlagen.«

Mit einigem Herzklopfen und auch einiger Scheu, seinen heimlich ersparten und im Dunkel des Kastenfußes bisher verwahrten Schatz an's Licht zu tragen und vor die Augen fremder Menschen, legte Annemareili nun in der That sein Geld in der Sparkasse nieder und war sehr verwundert, als ein angesehner Herr, der bei seiner Herrschaft öfter aus und eingieng, sich sogleich freundlich zu ihm wandte, da es verlegen an der Thür stehen blieb und wartete, es nach seinem Begehren fragte, ihm bereitwillig das Büchlein ausfertigte, das Geld abnahm und eintrug, Alles, als wenn er ganz eigens nur auf das Annemareili gewartet hätte. Ueber Verhoffen gut lief Alles ab und das Mädchen gieng mit ganz eignem Gefühle, sein Büchlein in Händen, das erste Mal von der Sparkasse nach Hause. Nun hatte es Geld gar an Zins, es, die ehmalige Geißenhüterin, das nicht einmal das zerfetzte Röcklein, das es allein trug, sein nennen konnte, geschweige etwas Andres, es, das alle Welt nur verachtet und als das Geringste geschätzt. Es war frohen und hohen Muthes, aber aus Demuth, nicht aus Hochmuth, indem es fühlte, wie auch ein kleiner Besitz doch ein mächtiger Halt sei, ein Anker gegen die Brandung des Lebens und seiner Stürme, der Zufälle, bei hellem Himmel aber und günstigem Winde ein förderndes Segel. Mit seiner Ersparnißkasseneinlage, dem greifbaren Lohne seines Fleißes und Wohlverhaltens, stand es nun in der Mitte der menschlichen Gesellschaft, gleichsam im großen Verkehr der Welt und nicht mehr so allein und nebenaus, lieh es doch Geld und zog dafür Gewinn. Fröhlich, und mit dem Vorsatz nun erst recht haushälterisch und sparsam zu sein, um bald eine Zulage hintragen zu können, eilte es nach Hause und versah seinen Dienst nur um so pünktlicher und auch freudiger.


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