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Drittes Capitel

Hülfe und noch einmal Hülfe bei großer Noth.

Annemareili wußte nicht was anfangen, noch wohin sich wenden. Nirgend fand es Aufnahme, war krank, konnte hier nicht bleiben und nach einem andern Orte nicht hinkommen, keine Seele nahm sich seiner an oder rieth ihm. Auf dem ganzen Erdboden habe es Niemanden, der es mit ihm wohl meinte! so kam's jetzt dem armen Mädchen vor in seiner Noth. Als es sich darum weiter fortschleppte auf der Straße, wußte es nicht, was oder wohin eigentlich es wollte, es hatte nur im Sinne so lange zu gehen, bis es umfalle und sterbe, denn ganz sturm war es im Kopf, sah den Weg unter den Füssen nicht mehr deutlich, stolperte auf dem ebnen Boden, wie Wellen siedendes Wasser schlugs ihm an die Schläfe, in die Augen fuhr's ihm wie pures Feuer, daß es zeitweise gar nichts sah, oder nur schwarz Alles, die Füße zitterten, es gerieth in den Straßengraben ohne zu wissen wie? Dazu schoß es ihm wie Nadeln durch die Narbe, welche es noch von dem Brotmesser hatte, der Arm schwoll zusehends, ward roth, steinhart und es klopfte drin wie in einem Hammerwerke. Immer wilder tobte die Krankheit in Annemareilis Blut, je länger und je hastiger es lief, es wußte nicht, wem es begegnet war unterwegs, wußte nicht, wie lange es so fortwankte, kaum des Dorfes achtete es, in das es nun kam, aber wie es darin hinter das letzte Häuslein gerathen und da auf einem Haufen Späne hingesunken, das hätte es nimmer sagen können, denn eine tiefe Ohnmacht bedeckte alle seine Sinne.

Lange mochte es so da gelegen sein, ohne Bewußtsein, von Niemandem bemerkt, denn es war schon finster, als ein altes Weiblein mit einer Laterne aus der armseligen Hütte schlich nach dem Spänhaufen, darauf Annemareili lag, sich eine Handvoll davon zum Kochen seines dünnen Nachtsüppleins zu holen. Das gute Frauelein erschrak erst, wollte davon laufen und Mordjo schreien im Dorfe, als es da im Scheine seiner trüben Laterne etwas wie ein Mensch liegen sah, faßte sich aber, wie Alles stille war, doch ein Herz und zündete hin und Annemareili gerade in's Angesicht. Da regte sich das Mädchen, seufzte ein Paar Male tief und schlug die Augen auf, verwundert und scheu bald die Späne anblickend, darauf es saß, bald das alte Mütterlein, bald ängstlich in die Nacht hinaus schauend. Die Frau aber, die nun wohl merkte, daß das fremde Mädchen krank sein müsse und vor Elend auf den Spänhaufen niedergesunken, half ihm mitleidig aufstehen und führte es in das Stüblein hinein. Annemareili klapperte im Fieber mit den Zähnen und vermochte kaum sich in die Hütte zu schleppen. Das Fraueli aber, eine arme Wittwe, hieß es hier in den alten zerfallenen Lehnstuhl sich setzen, den sie ihm an die warme Kunst gerückt und gieng an den Kochherd hinaus, ein Häfelein Thee kochend zum Schwitzen. Und als Annemareili von dem Thee getrunken, da theilte die Wittwe ihr ärmliches Bette und machte aus der bessern Hälfte dem Mädchen ein Lager am Boden und half ihm aus den Kleidern. In brennender Hitze und dann in schüttelndem Frost warf sich die Kranke noch lange auf dem Bette herum, bis sie in einen unruhigen Schlummer fiel, während die arme Frau noch spät bei dem trüben Lämplein am Spinnrade saß und spann, dann aber mit halblauter Stimme einen Psalm las und sich selber auch zur Ruhe legte.

Am andern Morgen fühlte sich Annemareili allerdings ein wenig wohler als an dem Abend vorher, aber es war doch krank und der Arm sah gar bedenklich aus und schmerzte bis hoch in die Schulter hinauf. Der Caffe, den nun die Wittfrau kochte, war freilich nicht der bessre, aber wär's auch dreimal theurerer gewesen, oder gar solcher, wie ihn nur allein der Großtürk selber trinkt, er hätte Annemareili doch nicht geschmeckt. Wenn aber Weibsleuten der Caffe nicht mehr mundet, dann soll's ein sicher Zeichen sein, daß sie wirklich krank sind und nicht bloß in der Einbildung. Das mußte auch die Wittwe so ansehen, als sie zu dem Mädchen sagte: Ich wollte dich gern behalten und ein Paar Tage pflegen, wie es Christenpflicht ist, so arm und übelmögend ich bin, doch das wird nicht so schnell gehen und einen Dokter vermag ich nicht zu zahlen, der aber ist wohl nöthig, zudem fehlt dir hier, beim besten Willen, so Manches was nothwendig, um dich so bald möglich wieder gesund zu machen und ohne Letze; ich bin eben nicht für Kranke eingerichtet. Aber von hier nach der Stadt ist nicht gar weit, es giebt wohl auch Gelegenheit zum Aufsitzen unterwegs, denn heute ist Markttag. In der Stadt wohnen gute Leute und die haben einen so schönen Spital wie vielleicht mancher Fürst kaum einen Palast; geh du in Gottes Namen dorthin und bitte, daß sie dich aufnehmen, so bist du am besten versorgt.

Annemareili meinte, es könne nicht zahlen und sei fremd, da werde man's nicht aufnehmen, sonst würden schon viele Leute von andern Orten sich auch haben aufnehmen lassen und es jedenfalls zu spät kommen.

Das mag wohl sein für gewöhnlich, erwiderte die Wittwe, doch du mußt auch ein Vertrauen haben in die Hilfe unsres Herrgottes und die Barmherzigkeit der Menschen. Ich weiß, daß schon mehr als ein armes fremdes Bürschlein, ohne einen Rappen Geld in dem Spital ist aufgenommen, ja noch mit Kleidern oder einem Zehrpfennig auf die Reise entlassen worden; von Jemandem aber, der auf der Straße dort zu Grunde gegangen, hab' ich noch nie gehört.

Annemareili machte noch einige Einwendungen: es meine, in Spital gehen wäre nicht gerade nöthig, wenn's etwas Dokterzeug zum Stärken hätte und etwas, das ihm das Kopfweh vertreibe und den inwendigen Brand lösche und dann für seinen Arm ein wenig Trusenbranntwein zum Einreiben, so würde ihm bald wieder besser werden. Das Fraueli aber glaubte das nicht und auf den ersten Schuß treffe es der beste Dokter selten, zudem koste das Alles Geld. Mach was du willst, schloß sie, aber da fährt der Staudenhans mit einem Wagen Mist vorbei nach seinem Acker, dem kannst du aufsitzen hinten und dann hast du noch eine halbe Stunde bis in die Stadt, es giebt vielleicht wieder Gelegenheit!

Halb freiwillig, halb genöthigt stand Annemareili schon vor der Thür und der Staudenhans ließ es aufsitzen auf Empfehlung der Wittwe, die in der Hütte wieder verschwand, ohne daß Annemareili nur dazu gekommen wäre ihr noch zu danken für ihre Barmherzigkeit.

Langsam zogen der Stier und der Gaul vor dem Mistwagen und unter dem einförmigen hüst Lise! und hüst Stern! hatte Annemareili Zeit genug, über seine Lage und seinen Zustand nachzusinnen, die ihm heute noch viel verlassener und trauriger vorkamen als am ersten Tage. Annemareili hatte auch gar kein Vertrauen mehr, trotz der Barmherzigkeit, die es eben erst bei dem armen Fraueli so zur rechten Zeit erfahren. Es erinnerte sich zwar wieder, daß der Pfarrer daheim gesagt, man dürfe nie verzweifeln, Gott verlasse Niemanden und sei dann gerade am nächsten, wann's am schlimmsten zu stehen scheine. Ja, das könne so ein Herr gut sagen in seiner Stube drin und hinterm Ofen, so Einer wisse nicht was Alles einem armen Mädchen begegnen könne und wie's ihm dann zu Muthe sei, wenn es zu allem noch so elend erkranke! Ob es denn nicht vertrauensvoll gebetet zu Gott, daß er ihm ein Plätzlein verschaffe, nur ein geringes? und er habe ihm doch keines verschafft, ja Hab' es noch krank werden lassen obendrein und nun komm' es ärger und immer ärger trotz allem Beten; wenn es nur schon todt wäre!

Nach solchen Ausbrüchen der Ungeduld und des Schmerzes aber sank dann die lodernde Flamme des Unmuthes plötzlich wieder zusammen zu einem ganz kleinwinzigen Aschenhäufchen, denn handkehrum wieder hielt sich Annemareili für zu schlecht und unwürdig, als daß Gott besonders seiner achten sollte. Ob es leide oder fröhlich sei, lebe oder sterbe, kümmere auf der Welt keine Seele, geschweige den großen Herrgott im Himmel, der auf andres zu sehen habe als auf so ein elendes Mädchen. Das sei traurig, wohl, aber darüber beklagen dürfe es sich nicht, es habe Ihm ja lange genug auch nicht nachgefragt!

Und bei diesem demüthigenden Gefühle seines Unwerthes, was der erste Schritt der Erkenntniß ist, sah Annemareili jetzt auch seine Heimath, den Vater, ja sogar die Stiefmutter mit andern Augen an als bisher. Es hätte nun nicht mehr sagen können, »es ist nur die Stiefmutter!« sah auch nicht einzig nur an dieser Fehler und Härten und Flecken. Waren diese gleichwohl nicht weggewischt, so drückte es jetzt der Balken im eignen Auge doch viel zu schwer, als daß es gewagt hätte nach dem fremden Splitter zu langen. Da ihm nicht anders zu Muthe war als, es müsse sterben in seiner Verlassenheit, so drangen ihm schwere bittere Thränen aus den heißen Augen und nur der Gedanke brachte noch einige lindernde Erleichterung, daß es doch auch etwas verzeihen könne: das Unrecht, das man ihm gethan und das es jetzt in seiner Zerschlagenheit so gerne vergeben wollte.

Unter diese trüben Erinnerungen seines Lebens und Treibens daheim wischte sich ein einziger heller Strahl und fiel dem Mädchen wohlthuend auf's wunde Gemüth, seine Liebe und Sorgfalt nämlich, die es dem kleinen Stiefbrüderlein erwiesen. Es kam ihm vor, das Kind müsse gestorben sein, – hatte es den Knaben doch drei Tage lang nicht besorgt, – und eben darum müsse es jetzt auch sterben, ihn zu pflegen in der Ewigkeit. Dieser Gedanke war Annemareilis einziger Trost, seine alleinige Hoffnung, daran hielt es sich, wenn dumpfe Verzweiflung sich seiner bemeistern wollte, wie denn immer von den hellsten Stellen auf Erden das himmlische Licht am ersten sich widerspiegelt! Oehä! – rief hier auf einmal, mitten in Annemareilis schwere Gedanken hinein, der Staudenhans seinem Stern und Lisi zu, denn er war an seinem Acker angelangt. Stern und Lisi hielten still und Annemareili stieg vom Wagen, zu Fuß noch den Rest des Weges zu machen. Da gieng es freilich gar langsam und mühselig ab Fleck und die schweren Gedanken drückten nur noch mehr auf die ohnehin so zitternden Beine. Als nun aber plötzlich die Thürme der Stadt vor Annenmareili standen und die unzähligen Häuser sich ausdehnten vor ihm in der weiten Ebne mit den blauen Bergen hinten dran und den vielen blauen Rauchwölklein die über den rothbraunen Dächern schwebten, da siel dem armen Mädchen doch Alles noch um Vieles drückender auf's Herz. In dieser großen Stadt, bei diesen wildfremden Menschen, Herrenleuten obendrein, hier sollte es, das blutarme, kranke, verwahrloste, überall ausgestossene Annemareili Aufnahme suchen? es, das dem geringsten Bäuerlein für sein Vieh zu hüten zu schlecht gewesen, es, das keinen Funken Muth, keine Spur von Vertrauen in sich selbst besaß, das nichts als zur Last fallen konnte? Solches wollte Annemareili durchaus nicht in den Kopf und es bedauerte schon, daß es der armen Wittwe so bereitwillig gefolgt: das sei wohl ein gutes Fraueli, aber doch gar unverständig und unerfahren!

Ohne Hinderniß, unbemerkt sogar kam Annemareili zum Thor hinein und gieng durch die langen Häuserreihen hin, mitten unter den vielen Menschen sich doch wie in einer Wildniß vorkommend. Es fragte nach dem Spital und da wies man es die Gasse hinunter, dann rechts, dann wieder geradeaus, hierauf über einen Platz, darnach die zweite Straße links – kurz es hätte Annemareili vor der Explication gesurrt im Kopf, wenn der auch in viel besser in Stande gewesen wäre als er in Wirklichkeit war. Von Zeit zu Zeit wieder fragen und nur auf die ersten Worte merken jedesmal, brachte das Mädchen noch am Besten vorwärts und am Ende denn auch soweit, daß es richtig vor dem Spitale stand. Indeß Annemareili hatte sich alte graue Mauern vorgestellt mit trüben, vergitterten Scheiben drin und einem zerfallnen Bänklein davor, auf dem Sieche und Krüppel herumhockten. So ein Haus aber sah es nirgend, sondern im Gegentheil ein langes prachtvolles Gebäude mit hohen Fenstern und großen hellen Scheiben, das die halbe Straße einnahm, und so, wie es dachte, daß ein König ein Haus haben müsse. Es fragte darum wieder einen Vorbeigehenden, wo der Spital denn eigentlich sei? Der lachte und hieß es sich nur umkehren, so steh' es davor! und wäre das kein bestandener, ernster Mann gewesen, der ihm diesen Bescheid gab, Annemareili hätte jedenfalls geglaubt, man halte es zum Besten, denn gerade dieß große königliche Gebäude sollte ja der Spital sein.

Daß dadurch der Muth des armen Mädchens nicht außerordentlich wuchs, sondern es sich noch einmal ganz ernstlich besann, ob es wirklich hier sich melden wolle, ist ziemlich wahrscheinlich. Wäre es ein klein wenig wohler gewesen und nicht schier umgesunken vor Schwäche, es hätte nimmer an der großen Spitalglocke geschellt, denn gleich zur offnen Thüre hineinzugehen, so frech war es doch nicht. Auf das Läuten, das Annemareili durch alle Glieder fuhr, kam ein ältrer Mann heraus und fragte es nach seinem Begehren. Es möchte gern in Spital, habe eine grausame Schwäche und Schmerzen im Kopf und im Arm, antwortete das Mädchen, nicht wenig erschrocken, daß man ihm das nicht zum Voraus schon ansah.

Wo's den Aufnahmsschein habe vom Arzte, und ob der wegen der Bezahlung unterschrieben sei, oder ob es Geld habe zum hinterlegen?

Von dem Allem hatte und wußte Annemareili nichts und sah den Fragenden an, ziemlich wie aus den Wolken herabgefallen.

Eh das Alles in Ordnung sei, – fuhr jener trocken fort, – könne vom Eintreten nicht die Rede sein und es solle nur wieder umkehren!

Das Hab' es ja wohl gewußt, dachte Annemareili mit einem tiefen Seufzer bei sich im Stillen, die Wittfrau hab' es mit dem Spital sich nur vom Halse schaffen wollen und nun sei es übler daran als je: weit weit weg von Hause und mitten in einer großen Stadt, drin es weder Weg noch Steg wisse und keine Sterbensseele kenne! Und es kam ihm fast vor, der Mann wolle ihm das Thor der Rettung und Seligkeit verwehren und es in's zeitliche und ewige Verderben stoßen, wie er es so unter der Thüre abwies. Es kehrte darum auch nicht gleich um, sondern, im Innersten erregt, mit überströmenden Augen, aber zugleich auch mit einer verzweifelten Entschiedenheit, über die sich's nachher selber wunderte, erklärte es, hier bleiben zu müssen, es könne nicht mehr fort! Der alte Mann indeß war nichts weniger als hart, wenn er auch ein wenig kurz gewesen, da er eben gar manchen Bescheid den Tag über zu geben hatte, zudem hatte er sich ja bloß an seine Vorschrift und an die Ordnung des Hauses gehalten. Als nun aber das fremde Mädchen so nöthlich that und auch wirklich elend genug aussah, hieß er's gleichwohl ihm folgen, führte es zum Arzt, nachher zur Verwaltung und da war wohl von Bezahlen die Rede, indeß am Ende vom Liede, – und Annemareili selber wußte nachher nicht mehr recht wie Alles gegangen, – am Ende vom Liede wurde die Kranke aufgenommen und in ein Zimmer gewiesen.


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