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Achtes Capitel

Ein Spaziergang. Joseph kehrt ein; Annemareili auch, aber an anderm Orte.

Als Nachmittags zur festgesetzten Zeit Annemareili unter dem Thore sich einfand, wartete hier bereits der Joseph seiner. Aber er war ganz allein und da das Mädchen einigermaßen verlegen nach seiner Schwester und nach Vreneli fragte, so hieß es: erstre könne nicht mitkommen, ihre Frau sei krank geworden, das Vreneli aber und sein Bruder seien schon versagt gewesen. Nach Ueberwindung von einigem Widerstreben, wozu es jetzt doch nicht mehr die Zeit war, und nach der wiederholt abgegebenen Versicherung, ja bald wieder umzukehren, giengen denn die Beiden einzig weiter; Annemareili erst befangen, einsylbig, von Joseph entfernt und hie und da nach den Leuten sich umschauend, die ihnen begegneten oder nachfolgten, mehr als ein Mal auch das Nastuch vor den Mund haltend, als wolle es sein Gesicht, oder wenigstens seine Verlegenheit, dahinter verbergen. Um so mittheilender und zuthunlicher war dagegen der Joseph und nahm sich auch in seiner neuen hellblauen Jacke, dem buntseidnen flatternden Halstuche und dem weißen Hütlein über'm Ohr, gar nicht übel aus; soviel mußte selbst seine Begleiterin bei all ihrer Verlegenheit eingestehen. War nun dieß die Ursache oder daß er so liebreich nach dem Unrecht, das Annemareili erst heute wieder erlitten, sich erkundigte und sich's sehr zu Herzen nahm, oder aber wirkte der heitre schöne Sonntag, der kein Wölklein am Himmel trug, so wohlthätig auf das arme Mädchen; gleichviel, es thaute nach und nach auf und vergaß allmälig alle Bedenklichkeit und scheue Zurückhaltung.

Schon lange war Annemareili nicht mehr spazieren gewesen, nicht mehr draussen durch Flur und Feld gegangen zu seinem Vergnügen und nun noch gar an der Seite Dessen, den es aufrichtig liebte. Noch nie waren ihm die Wiesen so lieblich grün erschienen, die fernen Berge so mit einem eignen Dufte übergossen, so prächtig und zauberhaft der Wald, worin sonst nur das dürre Reisig als Brennholz seine Theilnahme erweckt. Heute schien ihm ja jedes Blümlein zuzulächeln und es mit besondrer Bedeutung anzublicken, nicht bloß als Futter, das die Geißen gerne fressen. Alle Herrlichkeit und aller Reichthum der Welt, daran es bisher vorbeigegangen, wie an verschlossnen Schätzen, rings lagen sie nun vor ihm offen; was es sonst nicht beachtet, was ihm ganz gleichgiltig gewesen, heute fiel's ihm auf, heute kam es ihm merkwürdig vor. Ganz anders, meinte es, scheine jetzt die Sonne als in allen den zwanzig Jahren, die es schon auf der Welt gelebt: milder, erquickender, duftender! Es nahm jetzt Theil an Allem wie an seinem Eigenthume, was ihm sonst fremd gewesen, was höchstens nur seinen Neid erweckt; mit einem Worte: neue Sinne schienen in dem Mädchen aufzuwachen, die es zu einem neuen Menschen umwandelten.

Vor diesem sonnigen, neuerstandnen Frühlingstage in und um Annemareili schwand nicht nur immer mehr die steife Zurückhaltung und spröde Blödigkeit, sondern auch der ganze trübe, freudlose Winter seines Dienstlebens und alles Dessen was daran hieng. Abgestreift lagen Bitterkeit und Aerger, mit Sorgen und Mühen auf einem kleinen unscheinbaren Häuflein, weit weit hinten, und zwischen diesem grauen Häuflein und dem Mädchen wogten jetzt die Saatfelder, blühten und grünten die Matten, rauschten schattige Bäume und klangen die süßen schmeichelnden Worte des Geliebten. An Annemareili war da keine Spur mehr von der hart gehaltenen, gescholtnen und fremder Laune bloß gestellten, mißvergnügten Magd zu finden, es lebte und webte ja allein in den seligen Gefühlen des zum ersten Male liebenden Mädchens, dem eine neue herrliche Welt in das scheu sich öffnende Herz eindringt. In dieser Seligkeit schwelgte und verlor sich die Glückliche und wie sie sich darin vergaß, so gedachteste auch nicht der Zeit, nicht ihres Dienstes, der ja so gar nicht paßte zu dieser Stimmung, zu dem Himmel, worin sie lebte.

Aber Joseph selber, ohne es zu wollen, erinnerte Annemareili daran und riß es aus seinen selbstvergessnen Liebesträumen. Ueber eine einsame offne Anhöhe waren die Beiden durch ein lichtes Gehölz alter Eichen gewandert, auf dessen hellgrünem Rasen die Schatten der Blätter und Zweige mit den durchdringenden goldnen Sonnenstrahlen spielten und sie jagten, je nach der Laune des lauen Windes, der bereits leise die Nähe des Abends anmeldete. Sie traten eben wieder in's Freie und schritten über die Wiese den Hügel hinunter, dem Dorfe zu, das grade zu ihren Füssen lag. Es sei Musik im Schlüssel und lustige Gesellschaft! sagte da Joseph und lud seine Begleiterin ein zu einem Glase Wein und dann zu einem Tanze. Dieß weckte Annemareili plötzlich auf, paßte doch weder der Wein noch die Trinkstube noch das Gedränge und Getöse des Tanzsaales zu seiner Stimmung. Mit dem Erwachen aber trat ihm auch die ganze übrige Wirklichkeit wieder vor Augen, sein Dienst und daß es zur rechten Zeit in der Stadt sein müsse. Indeß war es doch nicht allein dieses bloße Pflichtgefühl, sondern eben mit jener innre Widerwille gegen den Wirthshauslärm und die vielen Augen dort, und die Furcht vor der Störung seines stillen Glückes, was das Mädchen so entschieden und fast nöthlich auf's Nachhausegehn dringen hieß. Dort auf dem Tanzboden gehörte ja sein Joseph ihm nicht mehr ganz einzig an, und dort waren eine Menge fremder Menschen, vor welchen es sich verbergen und verstellen mußte. Joseph jedoch schien diese Bedenken nicht zu theilen, ja nicht einmal recht zu verstehen, denn er meinte wirklich, nur Aengstlichkeit und Dienstrücksicht seien die Ursachen des Widerstrebens. Deßhalb auch suchte er Annemareili dieselben auszureden: Wenn auch die Herrschaft schelte, daß es zu spät nach Hause komme, das lasse sich ja leicht abschütteln, fressen könnten sie es doch nicht und in wenig Tagen sei Johanne. Es wäre thöricht sich um eine Lust zu bringen, Dank werde ihm doch keiner dafür; wer sich sechs Tage lang abschinde und halb todt ärgre, der dürfe sich am siebten Tage wohl ein Vergnügen erlauben, dafür sei ja eben der Sonntag da. Es sei gerade Recht, den Narren einmal einen Possen zu spielen, so erführen sie, daß man sie gleichfalls cujonieren könne wenn man wolle!

Dieß Zureden Alles paßte eigentlich nicht auf Annemareilis Bedenken, aber es beschwor den in der Tiefe ruhenden Groll herauf und wie mit einem Zauberschlage standen all die erlittnen Unbilden grell vor des Mädchens Seele, zuvorderst die Mißhandlung am heutigen Morgen. Ein süßes Rachegefühl überwältigte schnell die milden und liebevollen Empfindungen, welche sein Wesen noch den Augenblick zuvor so ganz ausgefüllt und Hand in Hand damit trat das Bestreben auf, dem Liebsten einen Gefallen zu thun und ein Opfer zu bringen, sich und ihm zum Beweise wie ganz es ihn liebe. Was es denn sonst auf der Welt habe? warf es selber die bittre Frage der Unruhe und der abmahnenden Stimme seines bessern Innern entgegen, das sich gleichwohl noch widersetzte und Annemareilis Herz mit einem unerklärbaren Bangen erfüllte. –

Unter diesem ungleichen und immer matter werdenden Kampfe der doppelten Versuchung mit dem zum ängstlichen Gefühle zusammengeschrumpften Gewissen, hatte sich das Mädchen von Joseph stets näher an das Dorf herannöthigen lassen. Die Schatten der Bäume fielen schon länger über die Wiese hin, rundum war es stille, nur die grellen Geigenstriche, welche wilde Tanzweisen spielten, drangen vom Wirthshause zu den Beiden herüber und sie sahen in der Ferne an den offnen Fenstern des Saales mit rasender Eile die Paare vorüberwirbeln. Josephs Begier schien sich daran noch ungestümer zu entzünden, während Annemareilis Kampf dadurch mehr erschwert ward. Er drängte stärker, legte seinen Arm um das Mädchen und blickte ihm mit heißen Blicken und doch so zärtlich in die Augen, dann neigte er sich flüsternd zu seinem Ohre. Annemareili zitterte im Sturme der erregten Gefühle, heftig klopfte ihm das Herz, es hielt sich fest am Geliebten und widerstrebte doch und fürchtete sich vor ihm, und da er's noch heftiger in den Arm preßte, fuhr es erschrocken zusammen. Er aber lachte hierüber halb, halb spottete er, daß es so einfältig thun könne! Wider den eignen Willen folgte ihm das Mädchen Schritt um Schritt, das erste, das zweite Haus des Dorfes lag schon hinter ihnen, immer schriller und näher erklang die lustige Musik. Da verstummten auf dem Tanzboden die Geigen und Pfeifen einen Augenblick, es folgte eine Pause, lautlose Stille herrschte und auch das gefangne und geängstete arme Annemareili athmete einen Augenblick freier auf. Mit einmal erhob sich ganz in der Nähe eine laute Stimme. Das Mädchen stutzte, erschrak, ihm war als rief ihm seine eigne Mutter selig, wenigstens hatte es diesen Klang schon ein Mal gehört vor langer langer Zeit, so bekannt kam er ihm vor und es wußte sich doch nicht zu besinnen darauf. Unbeweglich mußte es stehn bleiben, allem Drängen von außen und von innen zum Trutze, mußte lauschen, denn diese Stimme übertönte alle andern Stimmen, die es noch erst betäubt hatten. Und doch war es nur die zitternde Stimme eines alten Weibleins, das laut seinen Psalm zur Abendandacht vor sich hinlas, gerade in dem niedern Stüblein vor dessen Fenster Joseph und Annemareili in dem Augenblicke standen. Unwillkürlich hatte letztres hineingeblickt in das arme Kämmerlein: an dem schweren braunen Tische saß eine alte Bauernfrau in dürftigem Sonntagsstaate, den Rücken dem Fenster zugekehrt, vor sich aber ein dickes Buch offen. Auch dieses Buch mit dem Messingbeschläge dran, der Tisch, jenes ärmliche, aus hundert Lappen zusammengeflickte Bette, der hohe zerfallne Lehnstuhl, das Spinnrad dort am Kunstherde, – Alles dieß hatte ja Annemareili auch schon ein Mal gesehen. Gefesselt starrte es vor sich hin und hieng der dunkeln verwischten Erinnerung nach, die nun so ganz nahe und unmittelbar vor seinen Augen stand und wozu es doch den Schlüssel nicht finden konnte. Da vernahm es die Worte:

»Meine Augen sehen stets zu dem Herrn, denn er »wird meinen Fuß aus dem Netz ziehen. Wende dich zu »mir und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und elend. »Die Angst meines Herzens ist groß, führe mich aus »meinen Nöthen. Siehe an meinen Jammer und Elend »und vergieb mir alle meine Sünde! – – Schlecht und »recht, das behüte mich; denn ich harre deiner! – –«

Annemareili klangen diese Verse nicht anders als spräche sie eine Stimme in seinem eignen Herzen. Das Weiblein aber wandte sich da auf ein Mal gegen das Fenster und wie ein Blitzstrahl fuhr's durch des Mädchens Seele, denn plötzlich stand ihm wieder vor den Augen, wie es einst bettelarm, todtmüde und von Krankheit gebrochen an dieser selben Stelle, wo es jetzt sich fand, ohnmächtig auf den Spänhaufen niedergesunken, wie auch eben jenes Weiblein es gewesen, das seiner sich erbarmt, in dieß Stüblein da es aufgenommen, jenes Bette mit ihm getheilt, hinter jenem Spinnrade in dem hohen Lehnstuhle dort an seinem Lager gewacht und das gleiche dicke Psalmenbuch vor sich aufgeschlagen gehabt, mit der zitternden Stimme daraus gebetet und der Kranken und Verzagenden Trost zugesprochen. Dieß Alles drängte sich jetzt in einen einzigen Augenblick und einen einzigen Gedanken zusammen, der so gewaltig wirkte, daß der Zauber, worin das junge Herz gefangen gelegen, jählings daran zerschellte. Es kam Annemareili nicht anders vor, als es befände sich zum zweiten Mal in Lebensgefahr: seelenangst ward ihm, die arme Wittwe aber stand da wieder als sein rettender Engel vor ihm. Erschrocken raffte es sich auf, riß sich los von seinem Liebsten, seine zärtlichen wie seine spöttischen Worte vernahm es nicht mehr, es rannte davon ohne Umsehn, der Stadt zu. In <em>einem</em> raschen Gange eilte es nach Hause, sah unterwegs nichts und beachtete Niemanden, an wie viel Leuten es auch vorbeistürmte. Mancher gemächlich heimkehrende Bürger hatte ihm wohl nachgeblickt und behaglich gesagt: da pressiert's! Oder ein Andrer: die muß noch das Nachtessen kochen und hat sich verspätet! Aber von dem Allem hatte Annemareili nichts gehört, nur die Geigentöne zuckten noch im Ohr und vor seinen Augen wirbelte und tanzte es, bis es endlich erhitzt und athemlos am Thore anlangte. Hier erst mäßigte sich sein Schritt, sammelte es sich wieder und athmete tief auf. Daheim ließ es sich von seiner Herrschaft geduldig ausschelten ob seiner Verspätung und alle spitzen und unfreundlichen Worte nahm es heute stillschweigend hin; das heimliche Gefühl der Sicherheit, wie dunkel es auch sein mochte, ja das der Errettung, wußte es gleich nicht recht wovor? diese verdrängten jede andre Empfindung. Der Joseph aber war seiner Liebsten nicht nachgerannt, sondern erst verdrießlich und unwillig stehn geblieben, hatte etwas von Narrheiten in den Bart gebrummt und von Gans, am Ende war er dann allein in den Schlüssel hinauf gegangen.

Am Dienstag Morgen traf Annemareili das Vreneli am Brunnen an, als es Wasser holte. Dieses erzählte, wie's am Sonntag so lustig gewesen im Schlüssel zu ...*, wie närrisch sei da getanzt worden; es habe keinen (Tanz) versäumt, rühmte es, ein Paar nagelneue Sohlen seien soviel als durch. Der Joseph sei auch dort gewesen und wie der hab's Keiner getrieben; warum Annemareili nicht mit ihm hingekommen? Ob sie vielleicht zusammen etwas gehabt? Denn als es jenen nach seinem abwesenden Schatze gefragt, hab' er nur so leicht weg und mit Lachen geantwortet: Annemareili werde wahrscheinlich in's Betstündlein müssen am Abend! Hingegen hab' er ärger als je, und daß es Allen aufgefallen, der Lene wieder den Hof gemacht, die er doch sonst sitzen lassen und sie nachher auch nach Hause begleitet; die Allerletzten seien die zwei fortgegangen. Er sei halt ein kurioser Kauz, aber doch der lustigste Vogel und man könne ihm nicht gram sein, wenn man auch wollte nicht. Erst vor einer Stunde, – fuhr Vreneli fort, als keine Bemerkung Annemareilis erfolgte, – erst vor einer Stunde sei es auf dem Markte gewesen, habe noch Suppenhafengemüse holen müssen und sei da der Lene begegnet. Der arme Narr lebe ganz wieder auf und bringe den Mund nicht zusammen vor Freude; sie habe ihm gleich ein Halstuch gezeigt, welches ihr der Joseph verehrt und das wenigstens vier alte Franken gekostet, es sei ganz Seide!

So plauderte Vreneli noch eine geraume Weile in den Tag hinein, Niemand gab ihm Antwort als die sprudelnde Brunnröhre, ja Niemand sogar hörte mehr auf seine Worte, denn vor dem armen Annemareili giengen Brunnstock und Vreneli und Straßenpflaster, die Häuser und die Menschen, Alles im Ring herum. Wie es da den Wasserzuber auf den Kopf gehoben, wie es nach Hause, die Treppe hinauf nach der Küche und dann in sein Kämmerlein gekommen, davon wußte es kein Wort und hätte keine Auskunft darüber geben können, wenn man ihm das Messer an den Hals gesetzt hätte, nicht. In seinem Kämmerlein aber brach es zusammen, fiel auf's Bette hin und raufte sich die Haare, schlug sich die Faust in's Gesicht, schluchzte und rang die Hände, bis endlich ein Strom von Thränen hervorstürzte und den wilden Kampf löste. O, wenn es nur sterben könnte! wimmerte es verzweiflungsvoll; war es ihm doch so ganz darnach zu Muthe. Aber ein gesundes zwanzigjährig Mägdlein stirbt nicht so leicht, wenigstens an der Krankheit nicht, woran Annemareili jetzt litt. Nachdem es sich recht müde geweint und ihm leichter geworden, wie elend und unglücklich es sich noch fühlen mochte, elender und unglücklicher als sonst ein Mensch auf Erden, da regte sich doch gleich wieder in ihm auch jener Trieb, der gegen den Tod kämpft, der den Lebenssatten, welcher sich in's Wasser stürzt, zwingt, die Arme zum Schwimmen zu gebrauchen. Dieser Trieb hieß es, seine alte und beste Freundin, die Wärterin im Spitale, wieder aufzusuchen, die es schon so lange nicht mehr besucht, sondern ganz vernachläßigt in der letzten Zeit, die ihm seither wohl hie und da einmal in Gedanken erschienen, die es aber nicht freundlich empfangen, sondern vor der es sich verläugnet, ja, der es wohl gar den Rücken gekehrt hatte, als fürchte es ihre Warnung, ihre Mißbilligung. Diese Scheu, die Furcht des bösen Gewissens, war nunmehr verschwunden, weggewaschen von den bittern heißen Thränen, und das Mädchen fühlte sich jetzt gerade zu dieser treuen Freundin hingezogen, bekam just eine Sehnsucht nach ihrem Zuspruch, ihren Ermahnungen, lag doch hart hinter denselben, – dieß wußte Annemareili, – auch die warme Theilnahme, der freundliche gute Rath und der mildernde Trost.

Und es täuschte sich darin nicht, sondern fand bei der Freundin den Halt und all die Anleitung und Unterstützung, welche nach dem ersten Schmerzausbruche nöthig wurden um sich wieder zurecht zu finden und nach allem Irrsale den richtigen Weg zu betreten und zu verfolgen. Wohl stimmte Annemareili am Anfang nicht völlig in den Trost ein: es möge Gott danken, daß die Versuchung so an ihm vorübergegangen und der Unwürdige noch zur rechten Zeit sich in seiner wahren Gestalt gezeigt! – empfand das arme Mädchen doch zu schmerzlich nur was es eingesetzt und verloren.

Auf seinen neuen Dienst aber, in den es nun trat, war der Einfluß dieser Erschütterung und innern Einkehr der beste: in aller Stille lebte Annemareili vor sich hin, mied alle »Bekanntschaften«, zur Seltenheit nur machte es einen Spaziergang mit einer Freundin dahin oder dorthin an einem Sonntagnachmittag, nie aber an Vergnügungsorte, wo es laut hergieng. Um so häufiger und lieber dagegen besuchte es die Wärterin im Spitale, die ihm wieder Alles geworden und noch mehr als sie nur jemals gewesen. Bei solch eingezogenem und sittsamem Wesen ward Annemareili bald auch wieder gewissenhafter in seinem eigentlichen Dienste, benahm sich nicht mehr als der verdrossne Miethling und wurde darum selber wohl auch gelitten und gehalten und verblieb Jahre lang bei derselben Herrschaft. Es hatte in der Folge freilich wieder gute und böse Dienste, ehrbar und treu aber war es in jedem und nicht nur auf dem Papier, das sein Abschiedszeugniß enthielt.

Und allmälig und unversehens heilte so unter der kühlenden lindernden Hand der Zeit auch die tiefe Wunde, die Annemareili für unheilbar gehalten: sein Unglück kam ihm selbst nicht mehr so bitter und beklagenswerth vor, ja an den nackten Dornen schlug sogar hie und da wieder das kräftige und frische Grün der Hoffnung und des Lebensmuthes aus. Wie Annemareili sich zum zweiten Mal gerettet gefunden, so glaubte es jetzt auch mit stets lebendigrer Ueberzeugung: so wie es gegangen, sei es gut gegangen und Alles besser geworden, als es nur gedacht und es je verdient.


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