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Zweites Capitel

Annemareili findet daß Morgenroth Regen prophezeit.

Annemareili inzwischen war über Berg und Thal gewandert. Früh mit der Sonne hatte es am ersten Tage sein armseliges Lager verlassen, war, die Schuhe in den Händen tragend, die Treppe hinuntergeschlichen, vor der Kammer, drin der Vater und das kleine Stiefbrüderlein schliefen, noch einen Augenblick stehen geblieben, hatte gehorcht und als es weiter gieng und aus der Hausthüre hinaus, sachte und verstohlen, wie ein Dieb, da war's mit der Schürze über die Augen gefahren. Hinten an den Häusern vorbei, über die Matten, um nicht bemerkt zu werden, hatte es sich schnell aus dem Dorfe gemacht. Auf der Anhöhe, bei den drei alten Nußbäumen, von wo das elterliche Haus zum letzten Male zu erblicken, kehrte sich Annemareili noch einmal um und sah zurück. Aber als brenne ihm der Fußboden unter den Füßen, so eilte es auf der andern Seite den Hügel hinunter und das Haus, das Dorf mit allem drin war verschwunden, der Kirchthurm mit dem eisernen Kreuze drauf war das Letzte, was noch eine Weile zu Annemareili hinüber guckte. Dafür aber that sich eine ganz neue Landschaft auf, mit andern Feldern, andern Dörfern und Bergen, glühend roth strahlte drüber der Himmel, wie mit Purpur begossen die einzelnen Wölkchen, es war dem Mädchen, als gienge jetzt vor ihm eine neue herrliche Welt auf, der es entgegeneile; die Pracht aber prophezeite – Regen.

Annemareili rannte getrost in den Tag hinein, achtete nicht einmal des Weges besonders, so lange dieser nur von heim wegführte, obgleich es eigentlich nach der Stadt wollte, drin viel Tausend Menschen seien und schon manch ein arm Mägdlein oder Bürschlein sein reichliches Brot gefunden. Ob nun dieser Weg, den es gerade gieng, dahin führe, wußte es freilich nicht so genau, es meinte ja. Mehrere Stunden war es gelaufen, trotz dem es ein warmer Tag war und die Hitze bald in drückende Schwüle übergieng, daß ihm das Gesicht glühte und die Füße es zu brennen anfiengen. Aber lange achtete es dessen nicht, stärkte sich mit dem Gedanken an seine Freiheit wieder die müden Glieder und kam's ihm gar zu sauer vor, so dachte es an daheim, wo's ja zum sauren Leben noch Schläge obendrein gekriegt hatte.

Gegen Mittag jedoch konnte es nicht mehr weiter, hinter einem einzelnen Hofe, ein wenig von der Straße abseit, setzte es sich in's Gras. Mit geballten Wolken hatte sich der Himmel dicht umzogen, erdrückend war die Luft, kein Vogel pfiff, kein Mücklein summte, wie erstickt lag die Natur ringsum, dumpf und stumm, und Annemareili hatte noch nichts gegessen heute, nur Wasser getrunken hie und da ein Paar Schlücke an einem Brunnen im Vorbeigehn, war gelaufen so lang es gekonnt, daß ihm sein Herz jetzt wie ein Hammer klopfte und die verwilderten nassen Haare wirr über's erhitzte Gesicht hiengen. So lag es da, als die Bäurin des Hofes gerade vom Felde heim kam und an ihm vorbeischritt nach der Wohnung, verlechzte schier und hatte doch kaum das Herz, die Frau um etwas Essen anzusprechen, denn geheischen hatte es noch nie, bei aller Armuth nicht. Mit einem Gemisch von Mißtrauen und Theilnahme blieb die Bäurin vor Annemareili stehen und fragte mit einem scharfen Blicke, was es hier suche? Auf die Antwort, daß es müde sei und heute noch nichts gegessen habe, fragte die Frau weiter, wo es herkomme und hin wolle? Das Eine aber durfte Annemareili nicht sagen und das Andere wußte es ja selber nicht bestimmt und gab darum stotternd einen undeutlichen Bescheid, der die Bäurin nur stutziger machte und sie sah es für eine herumziehende Dirne an, die zu einer der Vagantenfamilien gehöre, welche jetzt die Gegend unsicher machten. Solche Gäste aber sieht Niemand gerne in der Nähe seines Hauses, auch die Bäurin nicht; indeß mit ihnen es ganz verderben durch ein kurzes Abweisen, scheuen auch wieder viele Leute, namentlich auf dem Lande, aus Furcht vor ihrer Rache. So schüttelte drum auch die Bäurin wohl den Kopf, blieb auch beständig in der Nähe der Fremden und schalt einen der Knechte, daß sie immer den Ringgi mitnähmen auf's Feld, er gehöre an die Kette hinter's Haus! holte aber dabei doch ein großes Stück Brot und ein Becken Milch aus der Stube, die sie dem zweideutigen Gaste vorsetzte. Annemareili verschlang die Speise und war im Hui fertig damit, so daß die Geberin jedenfalls zu der Ueberzeugung kam, möge die Dirne sein wie und wer sie wolle, die Wohlthat sei gewiß nicht am unrechten Platze gewesen. Die Blicke aber, mit denen die Bäurin das arme Mädchen beobachtete, die Redensarten, die ihm zu verstehen gaben, daß sie ihm nichts weniger als traue, thaten diesem doch wehe, um so weher, da sie von Jemand kamen, der ihm Gutes erwiesen. Denn je seltener Annemareili dergleichen noch erfahren, ein um so empfänglicheres Gemüth hatte es dafür. Darum vermochte es auch nicht aufzubegehren über dieses Mißtrauen in seiner Ehrlichkeit, wie es doch so gerne gemocht, aber um so tiefer wurmte es der Argwohn im Innern. War auch sein Leib erquickt worden, es trug eine schmerzende Wunde im Gemüthe mit fort, als es sich so bald möglich wieder aufmachte und für's Essen kleinlaut bedankte. Lange noch sah ihm die Bäurin nach, ob es nicht etwa auf einem Seitenwege sich zurück gegen den Hof schleiche?

Es gieng hart, bis die brennenden Füße wieder recht im Gange waren, und immer schwärzer zogen sich oben am Himmel die Wolken zusammen. Als hiengen die alle über seinem Herzen, so schwer wurde es dem Mädchen zu Gemüthe und es dachte schon etwas häufiger nach Hause als am Anfange seiner Reise, wo es noch den leichten Muth und die getroste Hoffnung im Herzen, in allen Gliedern Frische und Kraft verspürt. Die aber waren nun durch die Müdigkeit und die Hitze und die schwarzen Wolken fast völlig aufgezehrt. Der Abend näherte sich und Annemareili wußte nicht, wo übernachten und ob ihm Jemand werde Obdach geben gegen das Ungewitter? Dieses wenigstens habe ihm daheim nicht gemangelt! dachte es schon. Da flammte es fürchterlich roth vom Himmel hernieder, ein schmetternder Krach erschreckte die einsame Fußgängerin und eine geraume Weile noch rollte dumpf und schwer der Donner nach, als ob Kanonen über eine lange hölzerne Brücke führen. Dicke Tropfen folgten bald, die Blitze und Donner kamen häufiger, hier, dort, die Tropfen verwandelten sich in Streifen, die Streifen in Güsse. Verwöhnt war Annemareili just nicht, darum auch nicht gleich ausser sich, stundenlang schon war es ja ehedem im Regen draussen auf der Waide gestanden oder im nassen Grase gesessen bei seinen Gaißen; es stand darum auch nicht besonders unter, sondern schritt durch das Unwetter keck drauf los, daß ihm bald das Wasser aus den Haaren troff und den Nacken hinunter rieselte über den erhitzten Leib. Sie that ihm im Gegentheil wohl, diese Kühlung, und der Tumult am Himmel und auf Erden paßte gerade zu seiner Stimmung. Das Gewitter dauerte bis gegen die Nacht, wo dann Annemareili in die Nähe eines Dorfes kam, triefend von Regen, bespritzt bis an die Schultern von Koth, am ganzen Leibe keinen einzigen trocknen Faden mehr. Weiter gehen konnte es nicht, Geld hatte es keines und es war auch nirgends bekannt; so mußte es sich auf die fremde Barmherzigkeit verlassen.

Es stand im Dorfe; in der untern Stube eines stattlichen Bauernhauses brannte schon Licht, Vater, Mutter und ein Trüpplein Kinder saßen um den runden Tisch herum, drauf eine gewaltige Schüssel mit Suppe dampfte, worein Jedes seinen Löffel tunkte. Lange sah ihnen Annemareili mit hungerigen Blicken zu, endlich faßte sich's ein Herz und klopfte an's Fenster. Der Mann kam und öffnete: was es gebe? fragte er. Und als das Mädchen um ein Nachtlager im Stalle bat, schüttelte er den Kopf: er nehme bei Nacht und Nebel niemand Fremden mehr in sein Haus auf! und damit schloß er wieder das Fenster. Annemareili gieng verblüfft weiter, klopfte noch hier an, dort an, mit immer leiserem Finger, immer kleinrer Hoffnung im Herzen und wurde hier und dort noch abgewiesen. Die Fenster schlugen ihm klirrend vor der Nase zu, an einem Orte flog noch eine Drohung nach, an einem andern, wo mildre Leute wohnten, dagegen ein Stücklein Brot, als Loskaufsschilling gleichsam. Von mehrern andern Häusern schreckten es die Hunde zurück, die ihm lautbellend gegen die nackten Füße fuhren und ihm sich zu nähern verwehrten. Noch bei einem der äußersten Häuser stand unter der Stallthüre ein Mannsbild mit einer Pfeife im Maul; es war dunkel, Annemareili meinte, es sei der Bauer, denn es wußte nicht, daß nur Knechte aber nie die Meister sich erlauben im Stalle zu rauchen, und fragte darum, ob es hier nicht ein Plätzchen finden könne zum übernachten, um Gotteswillen!

Freilich, wenn du keine Häßliche bist, komm' nur in meine Kammer da neben dem Stall an! lachte eine rohe Stimme, daß Annemareili erschrak, es wußte nicht warum. Als aber eine freche Hand nach ihm langte, riß es sich mit kräftigem Stoße los und lief davon, was es vermochte, und weit von dem Dorfe erst stand es wieder stille; doch die Kniee zitterten dem starken Mädchen noch, daß es sich kaum drauf halten konnte.

Trüben und geängstigten Herzens wanderte es jetzt weiter, nicht wissend, wo sein müdes Haupt niederlegen. Da stand an der Straße ein leeres Heuhäuslein, freilich mit hartem steinigen Boden und von allen Seiten dem Winde zugänglich. Annemareili stieg durch das verfallene Fenster hinein und kauerte sich in eine dunkle Ecke. Es war eine lange, lange Nacht, die es hier verbrachte, und was Alles in ihm vorgieng, wäre schwer genau anzugeben, denn es schoß gar Mancherlei durcheinander und von eigentlichem Schlafe war keine Rede. Eine Weile wurde es noch von dem Gedanken gequält, es sei in Gefahr hier und eine bisher ungekannte Furcht überfiel es, obwohl es schon oft nicht besser übernachtet als dießmal, da es noch Gaißen gehütet und doch immer getrosten Muthes gewesen war. Wehte jetzt der Wind durch die Spalten und Ritzen dürres Laub oder einige zurückgebliebene Heuhalme über den Boden, so hielt Annemareili lange und furchtsam den Athem an um zu lauschen, pfiff es gar um das Häuslein oder klapperte mit einer losen Planke, so fuhr es zusammen. Recht hilflos und verlassen kam es sich vor, wußte nicht wo Beistand finden und Schutz, da die Menschen alle es abgewiesen. Zum Herrgott müsse sich wenden wer verlassen und hilfsbedürftig sei, der helfe auch den Armen! so etwas war Annemareili noch von der Christenlehre her in der Erinnerung geblieben, es hatte das aber bis jetzt nicht gebraucht, weil es sich weder je gefürchtet, noch auch besonders hilfsbedürftig oder unglücklich vorgekommen war. Nun aber fühlte es so etwas und darum dachte es auch an das Wort des Pfarrers und sagte alle Gebetlein her, die es halb oder ganz auswendig wußte, daß ihm der Herrgott helfen möge und es beschütze in der Nacht, ihm zu essen gebe und es den andern Tag doch ein Dienstlein oder sonst ein Unterkommen finden lasse! Neben dem Hunger und der Furcht, die Annemareili litt, begann es bald auch noch zu frieren in seinen nassen Kleidern, die allmälig an ihm trockneten, darum dem armen Mädchen diese Nacht noch viel endloser vorkam, war es doch die erste, die es nicht schlafen konnte! Gegen Morgen erst fiel es in einen kurzen bangen Schlummer, darin es wilde Träume ängsteten. Es kam ihm vor, die Bäuerin, von der es am Morgen die Milch erhalten, heiße es ins Haus treten, es könne dienen bei ihr. Wie es aber über die Schwelle schreiten will, hält es Jemand am Rock hinten, es kehrt sich um, eine schwarze Gestalt steht hinter ihm und es fürchtet sich, will sich losreißen, da hört's das Gelächter wieder, das es letzten Abend so erschreckt und es springt in der Angst nach der Küche zurück und zu der Bauernfrau. Statt der steht aber plötzlich die Stiefmutter da mit dem großen Brotmesser und schlägt nach ihm, daß der Schmerz brennend durch seinen Arm zuckt. Ins Freie hinaus will es jetzt rennen und kommt auf die Wiese, dort bellen ihm jedoch schon eine Herde Hunde nach mit feurigen Rachen und glühenden Augen, die haben sich von den Ketten losgerissen, schleppen sie klirrend nach und kommen immer näher. Die Matte jedoch ist ohne Ende und kein Bäumlein, kein Busch darauf, nur am Himmel droben schwarze zerrissne Wolken, die bis auf den Boden herabhängen und es finster machen ringsum. Je schneller Annemareili laufen will, um so weniger kommt's vom Flecke, kann die Beine nicht mehr heben, alles Springen hilft nichts, immer näher gellt das Geheul, immer näher das Klirren der Ketten, die Erde zittert, die Wollen versperren den Weg, dumpf rollt der Donner, Ruck! da kracht ein Schlag und Annemareili fährt erschrocken auf von seinem harten Lager, zitternd und steif an allen Gliedern, im Innersten durchfroren, mit wüstem Kopfe. In der Ferne rasselte die Post, der Postillon knallte von Zeit zu Zeit mit der langen gewaltigen Peitsche, das Mädchen rieb sich die Augen, die sich nicht recht öffnen wollten vor der Schwere, die heute darauf lag und der Hitze, die drin brannte. Es stand auf, schüttelte seine armseligen Kleidlein zurecht und trat traurig aus dem zerfallenen Heuhäuslein in die kalte graue Morgendämmerung hinaus. Wenn es brav laufe, werde es erwarmen und ihm besser werden! tröstete sich Annemareili und lief denn wieder drauf zu. Aber heute wollte das Gehen nicht so wohl ausgeben wie gestern, schon daß es alle Halbstunden absitzen mußte, brachte es wenig vorwärts. Das Laufen fieng jetzt an ihm zu verleiden: es sei weit genug von Hause! meinte es, als wollte es doch nicht ganz die Heimath aufgeben, in der es wenigstens ein sichres Obdach gehabt. Irgendwo sitzen bleiben und ausruhen, ein Paar Tage hinter einander, das hätte Annemareili jetzt am liebsten mögen, so müde war es. Darum beschloß es, am ersten besten Orte sich nach einem Dienste, wär's auch nur beim Vieh, umzusehen, und bat den lieben Gott, ihm doch ein solch Plätzlein zu verschaffen, es wollte ihm dankbar sein für's ganze Leben. Wenn nur bald so ein Ort käme! wünschte es und blickte sehnsüchtig über die Straße in die Ferne. Da stand hinter einem Hügel, um den der Weg bog, auf einmal eine stattliche Mühle, die Sonne schien hell auf die weißen Mauern, in den aufgeräumten und saubern Hof hinein, der Morgenwind fuhr durch die hohen Pappeln, die davor standen und aus dem Kamin zuoberst auf dem Dache wirbelte ein feiner blauer Rauch. Unten war ein Fenster offen und Tauben spazierten gurrend und pickend auf dem Gesimse herum, dahinter aber, in der Stube, stand eine stattliche alte Frau in schneeweißen Hemdärmeln, die streute den Thierlein Brosamen hin. Annemareili fragte die Frau, wie weit es noch habe bis nach dem nächsten Orte? und als es hieß, eine gute Halbstunde, mußte Annemareili ein betrübtes Gesicht gemacht und der Frau gar nüchtern vorgekommen sein, denn diese fragte: ob's etwa ein Schüsselein Caffe wolle, es sei noch da? Hätte auch Annemareili gewußt, was Complimente sind, es hätte jetzt keine gemacht und so lange es heute schon marschiert, war es noch nie so rasch gelaufen als von der Straße die steinernen Stufen hinauf und bis in die Stube hinein.

Eine gewaltige dreibeinige Caffekanne, spiegelblank, stand noch auf dem Tische neben dem großen geblümten Milchhafen. Das »Mannenvolk« hatte erst gefrühstückt und die Großmutter besorgte nun das Abräumen, währenddem die Kinder und Großkinder schon wieder an der Arbeit waren. Scheu sah sich Annemareili in der saubern Stube um, als spüre es selber, dahinein passe es eigentlich nicht recht. Keine Hühner spazierten hier auf den Dielen umher, am Ofen hiengen keine Lumpen oder Strümpfe zum Trocknen, die Vorhänglein an den Fenstern waren schneeweiß, die Scheiben blank, den Spiegel mit den großen Kornähren dahinter, hatten die Fliegen nicht undurchsichtig gemacht, sowenig als sie die Vorhänge um das große zweischläfrige Bette getüpfelt, auf dem Geschirre über dem Känsterlein lag kein fingersdicker Staub, im Gegentheil, es war wie Crystall so rein – lauter Dinge, welche dem Mädchen ganz fremdartig vorkamen, wenn es auch nicht genau sagen konnte, warum. Deßhalb auch mußte die Großmutter es nöthigen zuzulangen, und sie füllte ihm ein Schüsselein bis oben an den Rand. Das Warme that Annemareili gar wohl in seinem leeren und durchfrorenen Magen, auch wenn der Caffe trüber und die Milch blauer gewesen wären. Sogar das Herz thaute ihm auf davon; vielleicht aber war daran auch die Art und Weise Schuld, mit der die Großmutter zu ihm sprach. Es wußte nicht wie's kam, aber dieser Frau mußte es Alles sagen, was sie nur wissen wollte von ihm, manchmal ehe sie nur recht gefragt, und doch hatte es einen Respekt vor ihr wie bisher noch vor Niemandem sonst. So erzählte es denn, wie es einen Dienst suche und gab nicht undeutlich zu verstehen, daß es gerne hier bliebe, wenn man es brauchen könnte. Die Großmutter aber schüttelte den Kopf. Wir machen Alles selber, entgegnete sie, haben niemand Fremden; sieben Kinder besorgen Feld und Mühle, sie, die Großmutter, rüste das Essen. Alles gehe leichter und in der halben Zeit, wenn man es ohne Dienstboten machen möge, Keinem sei da etwas zu viel, saure Gesichter gebe es selten, Verdruß und Streit noch weniger und was gemacht werde, das werde recht gemacht und nicht halb. Aber wenn sie auch Diensten brauchte, – und hiebei sah die Frau das Mädchen an, daß das meinte, ihr Blick dringe ihm bis in's Herz hinunter, – so möchte sie Annemareili doch nicht: Eines, das seinen Eltern fortgelaufen in Unfrieden, bringe keinen Segen in ein Haus! Und als Annemareili krebsroth wurde und die Augen niederschlagen mußte, war's als habe die Großmutter Mitleid mit ihm: sie rieth ihm ernst, aber milde, wie nie noch eine Mutter zu dem armen Mädchen gesprochen, wieder heimzukehren, nicht um daheim zu bleiben, sondern um in Frieden zu scheiden vom Vaterhause.

So gerührt Annemareili war, diese Zumuthung weckte in ihm all den alten Groll und Widerwillen gegen die Heimath und es wehrte sich lebhaft dagegen: Die Stiefmutter sei gar eine böse und würde es nur auslachen und ihre Freude daran haben. Die alte Müllerin drang hierauf nicht weiter in Annemareili, sondern sagte bloß: mir ist, du müssest noch allerhand erleben und nicht nur Angenehmes; wohin du aber laufen magst, da denke wenigstens nur, daß du Einem nicht entläufst und an den halte dich, so wird's dir am Ende nicht so schlimm gehen, auch wenn du Umwege machen mußt. Jetzt behüt dich Gott, und da nimm dieß Stück Brod noch auf den Weg! Das arme Mädchen säumte sich hierauf nicht länger, stand auf und dankte, vor der Thür draussen kam es sich aber wieder doppelt hilflos und verlassen vor.

Nach Verlauf einer guten Halbenstunde, – denn in den Beinen lag's Annemareili heute wie Blei so schwer, – war das Städtchen erreicht, darin das Mädchen sein Heil zu versuchen beschloß; noch beim Eintritt hatte es seine Bitte um ein Plätzlein dem lieben Gott wieder in Erinnerung gerufen. Das Städtchen war weder besonders groß noch gar schön und stattlich: Hühner spazierten über die Straßen, Misthaufen rauchten hin und wider neben den Häusern, viele der Einwohner lebten von Landbau und kamen auch wie Bauern daher, nicht wie Herrenleute. Aber gleichwohl vermochte das arme Annemareili nirgend anzukommen, überall sah man das unreinliche, verwahrloste Mädchen an vom ungestriegelten Kopfe bis zu den schmutzigen und zerrissenen Schuhsohlen, schüttelte schweigend den Kopf oder sagte kurz Nein. Als es an einem Orte anhielt: nur als Viehmagd möge man es probieren mit ihm! hieß es mit einem Blick auf seinen Anzug: sie hielten ihr Vieh reinlicher als nur so!

Annemareili's Hoffnung, sein Muth schwanden immer mehr; wenn es wieder irgendwo anfragte, so that es das so kleinlaut, als wisse es zum Voraus, es sei nichts und da trauten ihm die Leute nur um so weniger und sahn es um so scheeler an. Wer weiß! wäre es keck aufgetreten, hätte von seinem besondern Ungefäll gejammert, viele Worte gemacht, wie es ein ganzes Koffer voll Kleider gehabt und ihm die von der Meisterin, welche es mit Gewalt im Dienst halten wollen, noch nicht herausgegeben, oder ihm sonst gestohlen worden; wie es um seiner Tugend willen stehenden Fußes aus einem zwölf Neuthalerigen Platze gelaufen, – kurz, hätte Annemareili in dieser Tonart gesprochen, es hätte vielleicht eher ein Unterkommen gefunden. Aber wie sollte Annemareili jetzt zu so einer Sprache kommen? es war ihm ja ganz anders zu Muth in seinem Herzen, kam sich selber schlecht und gering vor, wie so Jedermann im Widerwillen sich von ihm abwandte, denn es sah noch obendrein erbärmlich aus: das Roth seiner Wangen drang nicht mehr durch die unsaubre Kruste hindurch, die Augen waren trüb und schläfrig, stand es irgendwo, so mußte es sich halten, anlehnen vor Müdigkeit. So eine Magd aber stellt Niemand an, denn wer auch nicht besonders auf Reinlichkeit achtet, der lugt dann wenigstens auf ein Paar kernhafte Arme und strotzende Gesundheit.


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