Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel

Der zweite Dienst; oder es ist nicht Alles Gold, was glänzt.

Bei Frau Säuberling hatte Annemareili wohl größern Lohn und bessres Essen, auch weniger schwere Arbeit; indeß vom Essen allein lebt der Mensch nicht, nach schwerer Arbeit aber schmeckt die Ruhe besser als nach leichter und mit Geld läßt sich nicht Alles kaufen, oft nicht einmal so viel als ein freundliches Wort umsonst erhält. Dieß sollte das arme Mädchen immer deutlicher und unverkennbarer erfahren. Ja, schien Annemareili der Haushalt, das Leben und Betragen seiner Herrschaft wohl vornehm, so mußte es nach und nach immer deutlicher empfinden, wie auch es selber ebenfalls vornehm behandelt werde, was ihm freilich nicht so schmecken wollte.

Nachdem Annemareili ein Paar Wochen im Hause und nicht mehr der neue Besen war, der Alles recht kehrt, und ebenso die Frau und Jungfer wieder in ihr altes Geleise gekommen, – denn auch Herrschaften sind neue Besen, – da hatte es hundertfältig und tagtäglich die Gelegenheit sich zu überzeugen, wie nicht Alles Gold sei was glänze. Es war weniger, daß es sich in den Dienst nicht zu schicken wußte, oder daß ihm derselbe zu schwer fiel: bei seinem hellen Kopfe und unschicklichen Wesen fand es sich ziemlich leicht auch in das Neue, begriff bald was gemeint war und weil es wohl aufpaßte, war ihm das Nachmachen keine Hexerei. Mehr als ein Mal brauchte man ihm selten etwas zu zeigen oder zu sagen und das Commandieren und Anweisen war ja weder für Frau Säuberling noch für die Jungfer Emeline eine besonders leidige oder ungewohnte Sache; in dem Punkte hätten sie vielmehr ein ganzes Regiment Soldaten in Athem halten und den gewilltesten Exerciermeister zu Schanden machen können. Es fehlte Annemareili einzig an einem Dutzend Hände und einem Halbdutzend Ohren mehr und es wäre Alles gut gewesen, am Mund und an der Zunge, die diese gehörig in Anspruch genommen, hätte es schwerlich gefehlt. In der Bibel heißt es zwar nur, Niemand könne zwei Herren dienen! von zwei Frauen ist nirgend die Rede; wahrscheinlich jedoch nur darum, weil das eine Unmöglichkeit ist, die sich von selber versteht. Die Beiden waren wohl gleich wunderlich, aber wann die Eine am Ende eben doch müde werden und nachlassen mußte, rückte dann die Andre hervor, noch frisch und mit andern Befehlen, anderm Tadel und neuen Launen. Hielt die Mutter besonders die Küche im Auge und sah in der Haushaltung bis in die kleinste Spalte hinein, daß ja Alles spiegelblank glänze, nirgends ein Stäublein liege, alle Häfelein nach der Größe, denselben Weg gekehrt, in Reih und Glied standen und gerade soviel Scheitlein Holz unter der Pfanne brannten, als sie im Sinne trug; so gab hingegen Jungfer Emeline mit ihrer eignen werthen Person zu schaffen. Und bald riß Annemareili beim Kämmen sie zu sehr an den Haaren oder scheitelte krumm, bald roch es, wenn es schnell aus der Küche springen und aufwarten mußte, unausstehlich nach Rauch oder Zwiebeln, die es eben zerschnitten. Ein ander Mal waren die Schuhe nicht blank genug gewichst, das Bette schlecht aufgeschüttelt und die Leintücher nicht glatt gezogen oder das Fenster im Zimmer zu lange oder zu wenig lang offen gewesen; kurz, der Faden gieng da nie aus. Annemareili hatte noch Vieles zu lernen und Dienstboten müssen sich's einmal gefallen lassen, nach der Herrschaft sich zu richten und von der sich weisen zu lassen. Dieß war es auch nicht so sehr was Annemareili kränkte, als vielmehr der Ton und die Geberden, womit derlei gesagt wurde. Sprachen in seiner Anwesenheit Mutter und Tochter von ihm, so hieß es immer nur »die Magd.« Die Magd kann dieß thun, soll dorthin gehn, muß Jenes ausrichten! Annemareili wußte nun gar wohl, daß es die Magd sei und wollte keineswegs eine Mamsell vorstellen, auch schämte es sich seines Standes nicht. Indeß bei solchen Gelegenheiten mit dem Namen sich nennen zu hören, welchen es in der Taufe bekommen, wäre ihm doch lieber gewesen. Es konnte sich zwar nicht recht sagen warum? aber so kam es sich selber immer wie fremd vor in dem Hause und als gehöre es nicht herein, als nehme Niemand auch nur ein wenig Antheil an ihm, besonders da ihm scheinen wollte, dieses Wort werde obendrein mit einer Art von Geringschätzung ausgesprochen. Es wurde überhaupt Weniges in einem freundlichen Tone abgethan, in zutraulichem gar nie, sondern meist so, als wäre es wunder welch Vergehen von Annemareili, das nicht schon im Voraus zu errathen was man zu ihm sagte. Gewöhnlich sah auch Frau Säuberling das Mädchen, wenn sie mit ihm zu sprechen hatte nur halb von der Seite an, Jungfer Emeline freilich gar nicht, außer wenn sie recht in Zorn gerathen. War dieses der Fall, dann wurden die Worte nie sehr abgewogen: das und das sei gut für's Vieh! – beim Lumpenpack wäre Solches der Brauch! – ob es im Stalle auferzogen worden? – derlei Redensarten waren weder sehr selten noch von den beleidigendsten, was für eine dicke Haut auch sie voraussetzten.

Am schlimmsten indeß ergieng es Annemareili, wenn Eine der Beiden sich unwohl befand, Kopfweh oder Zahnweh klagte oder sonst angegriffen war: da wollten die Launen auch gar kein Ende nehmen. Bald trat dann das arme Mädchen zu schwerfällig wie ein Elephant auf und schmetterte alle Thüren expres heftig zu, oder, trat es leise ein, so erschreckte es durch sein Schleichen und plötzliches Dastehn. Der Thee war zu stark angebrüht oder nur bloßes Lauwasser. Annemareili stand alle Augenblicke da, hatte Maulaffen feil, machte sich überflüssig, oder ließ sich nie blicken, zeigte keinen Funken voll Theilnahme, ließ seine Herrschaft verrebeln, kurz, benahm sich wie ein völliger Barbar. Und doch hatte von Rechtswegen die ganze Welt Theil nehmen sollen an dem Nervenkopfweh und den Athem an sich halten und auf den Zehen schleichen und verweinte Augen haben aus reinem Mitgefühl, geschweige denn nur so eine Magd.

Freilich, wenn etwa <em>diese</em> einmal krank war, da nahm keine Seele Notiz davon, Niemandem fiel dabei ein, daß nur ein wenig Schonung ihr gar sehr wohl thäte. Es schien, als müsse Annemareili entweder gar keine Nerven haben, oder jedenfalls die zu wenig, welche Frau Säuberling und Jungfer Emeline zu viel besaßen. Wenn es auch den ganzen Tag innerlich gefroren und kaum einen Löffel voll Suppe gegessen, das hinderte nicht, daß es Nachts ein oder zwei Mal aus dem Bette herausgeklingelt wurde, der Jungfer ein Glas Zuckerwasser anzumachen, oder den Vorhang besser zu schließen, durch dessen Spalte gerade der Mond in's Zimmer schien. Waren ihm vor Kälte die Hände aufgesprungen, oder hatte es eine faustgroß geschwollne Backe, man hieß es darum nicht aus der kalten Küche in die Stube hereinkommen, und war es gar Freitag, so mußte auch mit der geschwollnen Backe gefegt werden, Flur und Treppen, hiegegen war kein Kraut gewachsen. Es gehörte dieß einmal zur Ordnung: nicht <em>rein</em> mußte es sein im Hause, sondern gefegt am Freitag, das war die Hauptsache. Wer aber glaubte, Annemareilis Herrschaft habe darum ein fühlloses Herz gehabt, der würde sich gröblich irren. Er hätte es nur ein einzig Mal mit anzusehn brauchen, wie das Schoßhündlein, der kleine Ami, gepflegt und bemitleidet wurde und die zärtlichsten Schmeichelnamen erhielt, und der dringendste Verdacht wäre sogleich verschwunden. Lief das gute Thierlein gelegentlich zur Thüre hinaus und mußte draußen warten, bis sie wieder sich öffnete, oder es kratzte dran, so war da des Bedauerns kein Ende und mehr als ein Mal erhielt die Magd, die oft den ganzen Tag in keine warme Stube kam, einen scharfen Verweis wegen ihrer Unbarmherzigkeit, bei solchem Wetter den Ami vielleicht zwei Minuten lang draußen stehn und warten zu lassen. An Ami wurden aber nicht nur die zärtlichsten Worte verschwendet, sondern er erhielt auch an Essen die besten Leckerbissen; wenn er sie nur abnahm galt es für eine Tugend! Den Tag über hatte er sein warmes seidnes Nestlein, am Ehrenplatz beim Fenster natürlich! darin er sorgfältig gegen jedes Lüftlein geschützt ward, während er die Nacht gewöhnlich zu Füssen und im Bette von Frau Säuberling selber schlief. Kurz, wäre Annemareili nur der Abfall von all dieser Fürsorge und Zärtlichkeit zu Theil geworden, es würde sich keinen bessern und angenehmern Dienst haben wünschen können. So aber diente diese Verschwendung nur dazu, ihm seine Lage um so schwärzer und seine eigne Behandlung um so kränkender erscheinen zu lassen, denn von sonst rohen Menschen würde es das Alles nicht so schwer aufgenommen haben, als es hier that, war es ja nichts weniger als verwöhnt. Und immer greller und empfindlicher stach der Unterschied hervor zwischen diesem Dienste und dem frühern bei der Handwerkerfamilie, an den es nun öfter und lebhafter zu denken begann und Vergleichungen anstellte, bald in jedem einzelnen Falle. Wie manches Mal sehnte es sich im Stillen nach jener braven Bürgersfrau! Hatte es dort gleich einen mühseligen Dienst gehabt, es war doch auch fast wie ein Familienglied gehalten wurden, das seinen ehrlichen Antheil empfieng an Freud und Leid, am gleichen Tische mit Allen gegessen und nicht in der kalten oder nassen Küche allein, als wäre es räudig oder doch von einem schlechtem Teige. Und daß seine Herrschaft selber Alles, auch Last und Mühsal, mit ihm getheilt, das war ihm ein größrer Trost gewesen als es sich jemals vorgestellt. Dort war es sich wenigstens wie ein Mensch vorgekommen und nicht wie – ein Hund! sagte Annemareili in seinem Mißmuthe mehr als ein Mal. Es habe wohl viel zu arbeiten gegeben, aber dann sei man doch zufrieden gewesen mit ihm, hab' ihm ein gutes Wort geschenkt und ein freundlich Gesicht gemacht und Ruhe gegönnt, von kranken Tagen, in denen es wie ein eignes Kind besorgt worden, gar nicht zu reden. Hier dagegen, bei aller Vornehmheit – – – und ein bittrer Strom wallte in des Mädchens Herzen auf und überschwemmte ihm mit seiner trüben Fluth alle Zufriedenheit und allen Müh, sogar die Billigkeit. Denn je rosenfarbner ihm nun sein alter Dienst erschien, um so mächtiger schwoll auch der Widerwille gegen den jetzigen und um so schwärzer malte es sich Jedes darin aus. Ein Mal aber so weit, gieng es bald noch weiter und zu weit, und fand Anlässe zu Dutzenden um Aergerniß daran und Das und Jenes schwer zu nehmen, was es früherhin entweder leicht abgeschüttelt, ja gar zum Guten statt zum Bösen gewendet hätte; legte es doch Vieles, das nicht so böse gemeint war, in seiner Verstimmung in Uebel oder als beabsichtigt aus. Bei dieser Gemüthsrichtung war es begreiflich, daß das Mädchen immer am empfindlichsten sich verletzt fand, wenn es von seiner frühern Herrschaft beleidigend sprechen hörte, woran es Frau Säuberling und ihre Tochter nicht fehlen ließen und jene nur mit »gemeine Leute« betitelten oder Annemareili bei jedem Anlaß vorwurfsvoll und geringschätzig bedeuteten: es befinde sich hier nicht in einer Handwerksboutique, wo Alles gut genug sei! Seine Anhänglichkeit mochte Solches nicht verwinden und jetzt zu allerletzt, da es, neben der Gereiztheit über die eigne Unbill, in solchen Vorwürfen zugleich lebhaft das Unrecht fühlte, das jenen Handwerksleuten angethan wurde. Denn war es bei ihnen auch etwas knapp hergegangen, so hatten doch überall, bei aller Einschränkung, Ordnung und Rechtschaffenheit geherrscht und daß die Hausfrau nicht Fünfe grade sein lassen, wußte ja Annemareili am allerbesten selbst. Je weniger aber dieses jetzt das arme Mädchen war, das Gott danken mußte, nur irgendwo unterkriechen und ein Plätzlein finden zu können, wo es vor Elend und Hunger geschützt sei, um so mehr verbitterte es sich auch und stellte es sich seiner jetzigen Herrschaft entgegen. Sein Herz erkühlte und es that seinen Dienst mehr nur aus einer angewöhnten Art Schuldigkeit, weil es einmal dafür da und bezahlt war, aber ohne innern Trieb, der besser aufpaßt als das Auge des wachsamsten Herrn je es vermag, ohne guten Willen und ohne die innere Hinneigung gegen seine Herrschaft. Ja, an die Stelle von Liebe und Wärme waren vielmehr Feindseligkeit und Kälte bei ihm eingezogen und es war eine unnütze Magd geworden, in dem Sinne, wie vom unnützen Knechte die Rede ist, solchem nämlich, der nichts thut als (wie man sagt) seine verdammte Schuldigkeit. Das sei ja, was man allein verlangen könne! meinen Viele. Wo aber auf diese Art gedient wird, da bleibt's nicht lange bei der eigentlichen Schuldigkeit stehn, sondern es wird von dieser Schuldigkeit immer mehr und mehr weggemarktet und sie schrumpft nach und nach so zusammen, bis sie, man merkt oft gar nicht wie bald, als nackte Schuld dasteht. Wo man froh, wenn Etwas nur abgethan ist, und dann nicht lange sieht <em>wie</em> eigentlich, da fehlt es hier gewöhnlich irgendwo, dort ist Etwas übersehen, vergessen worden: es hat sich halt nicht von selbst gemacht oder ist nicht gleich auf den ersten Anlauf gerathen! So sehr nur sie selber an Allem Schuld sind, der Knecht und die Magd, werden sie doch so ungeduldig oder böse darüber, als geschehe ihnen wunder welches Unrecht! So ergieng's auch dem Annemareili: die Vorwürfe und Anklagen und Zurechtweisungen hatten es am Anfang vielleicht öfter ungerecht getroffen, nun aber, nachdem es von der treuen Magd zum verdroßnen Miethling herabgesunken, mochten sie nur zu oft ihren guten Grund haben. Freilich, wie viel eigentlich auch davon der Herrschaft auf deren eigne Rechnung zu setzen war, bleibt eine andre Frage und das Abwägen in solchen Fällen ist schwer: Eins arbeitet eben dem Andern merkwürdig fleißig vor oder kommt ihm entgegen. Der Tadel und die Vorwürfe trugen natürlich bei Annemareili nicht viel zur Besserung bei, sie liefen über seine Haut hinunter wie Regentropfen über eine Oelstande, war ihre Kraft doch schon längst verbraucht worden, damals nämlich, als man das Mädchen mit Unrecht oder um Kleinigkeiten willen gescholten. Jetzt, da der Wolf wirklich da war, half alles Schreien nichts mehr, Annemareili war es zu gewöhnt, glaubte nicht daran, auch wo es hätte sollen und bereute nur was es jemals davon zu Herzen genommen. Dafür mußte es freilich gewärtig sein, und war es wirklich, am Ende noch aus dem Dienste geschickt zu werden. Im Grunde war ihm das gar nicht unlieb, tröstete es sich doch jetzt: Plätze gebe es genug und leicht einen bessern! Dabei gedachte es Dessen, was es nun zu leisten vermöge und ließ es im Uebrigen beim Alten bewenden, das heißt, nährte neuen Groll, neuen Widerwillen, neue Gleichgiltigkeit im Herzen.

Während auf diese Art Annemareili sich seinen gegenwärtigen Dienst so schwer als möglich schuf, vor lauter Bemühen ihn so leicht als möglich zu machen und sich daneben jene erste Zeit bei der Handwerkerfamilie wie ein Paradies ausmalte, während dem sehnte sich Frau Säuberling nicht minder lebhaft nach ihrer frühern Magd, der alten Lisebeth, im Stillen sowohl als auch laut bei allen möglichen Anlässen. Im Herzen wohl müßte es dieser gethan haben, hätte sie nur die Hälfte all des Lobes gehört, das sie als die Vortrefflichkeit selber schilderte, – etwas das ihr früher nie eingestanden worden! Begreiflich giengen diese Erhebungen stets Hand in Hand mit den Klagen über Annemareili. Daß aber dieses gleichwohl immerfort noch im Dienste behalten wurde, mochte doch seine Ursache darin haben, daß eben Frau Säuberling derlei Unzufriedenheiten auch etwas gewohnt sein mußte und sie dadurch nicht so sonderlich angegriffen wurde oder, auf Erfahrung gestützt, nichts Besseres nachher erwartete.

Gleichviel, Herrschaft und Magd machten sich einmal, das Leben herzlich sauer, mit allem Fleiße. Am meisten litt indeß Annemareili, das ja sonst nichts hatte, woran es sich schadlos halten konnte, das nur auf sich angewiesen war, nicht hierhin gehen und sich erholen oder mit Dem und Jenem zerstreuen und wieder erheitern konnte, das eben einem fremden Willen unterworfen blieb. Es sah in des Mädchens Herzen bald nicht mehr allein gegen seine Herrschaft so feindlich wild und unzufrieden aus, diese Stimmung verbreitete sich auch weiter hin. Eins hieng am Andern, mit oft unsichtbaren Faden, aber untrennbar. Wenn jetzt Annemareili, in seiner Entfremdung von der Herrschaft, den Dienst nicht mehr als Hauptsache ansah die ihm am nächsten lag, der Aerger, der Groll, die eigne innre Unzufriedenheit, die damit verbunden waren, arbeiteten doch an ihm überall und Gefühle bekamen wieder bleibend die Oberhand, die es seit dem Verlassen seiner Stiefmutter nicht mehr genährt hatte. Sie machten es unglücklich und verstimmt, auch außer dem Dienste, gereizt und empfindlich noch gegen Andre als nur gegen Frau Säuberling und Jungfer Emeline; sogar gegen die Wärterin im Spitale, welche es doch stets gut mit ihm gemeint und vor der es immer einen so großen Respekt gehabt, daß es bei nichts Höherm geschworen hätte, als bei deren Aussprüchen. Dieser Wärterin, die es noch immer von Zeit zu Zeit besucht, hatte es wohl auch über seinen bösen Dienst geklagt: wie es nichts recht machen könne und so launisch und geringschätzig behandelt werde. Seine Freundin hatte ihm erst zur Geduld gerathen und nachher, als es sich noch leidenschaftlicher beklagt, förmlich zugesprochen und es an seine frühere Lage und den ehemaligen Zustand erinnert. Sie schlug ihm auch Stellen in der Bibel auf und wies sie ihm, wie die: ihr Knechte seid unterthan den Herrn, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen! – oder jene, da der Engel zur Hagar spricht, die gezüchtigt von ihrer Frau, der Sara, davon gelaufen: Hagar, Sarai Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: ich bin von meiner Frau Sarai geflohen. Und der Engel des Herrn sprach: kehre wieder zu deiner Frau und demüthige dich unter ihre Hand!... Auf Derlei wußte Annemareili freilich nie viel zu erwidern, darum schwieg es dazu, aber etwas Fremdes legte sich dabei allmälig zwischen sein bisheriges hingebendes Zutrauen und die Wärterin. Ja es wurde sogar empfindlich, meinte im Stillen: so eine Wärterin habe lange gut reden, gut zusprechen, die sitze im Warmen, wisse nicht was Alles eine Magd sich müsse gefallen lassen, die alle Augenblicke abhängig sei von der fremden Laune vornehmer Leute, welche nicht wüßten wo hinaus vor Langeweile. Oder es dachte gar: die Wärterin nimmt gegen mich Partei, sie hält's mit den Vornehmen, – und die Besuche im Spital nahmen ab, wurden nicht nur seltner, sondern auch immer kühler und kürzer, Annemareili konnte es selbst nicht sagen wie? So war es denn einerseits ganz wieder das alte Mareili geworden, nur hatte es nicht mehr das harmlose kindliche Herz, das es doch damals bei aller Verwahrlosung und Verwildrung und trotz Schmutz und Lumpen noch besessen; es schüttelte nicht mehr Alles so leicht ab oder schlug es in den Wind, sondern ließ sich nun jede Freude dadurch vergällen, fühlte sich einsam, verlassen und ausgestoßen, mit einem Worte, recht elend und unglücklich und dieß bei all dem größern Lohne, nach dem es sich einst so gesehnt, und mitten in dem vornehmem Dienste, um den es bei seiner frühern Herrschaft andre Mägde so manches Mal beneidet.


 << zurück weiter >>