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Achtzehntes Kapitel.

Wider die Instruktion. – Die streitbare Smack. – »Klar zum Entern!« – Rufino Garillas. – Willy Arnold. – Hurra!

 

Die Instruktion für den »Dickson« lautete, ohne Aufenthalt nach dem Archipel zu segeln und hier bei einer näher bezeichneten kleinen Insel unter Land liegen zu bleiben, den schärfsten Ausguck zu halten, den Piraten den möglichsten Abbruch zu thun und nur im höchsten Notfalle die Station zu verlassen und die Korvette aufzusuchen.

Mit diesen Weisungen lichtete der »Dickson« seinen Anker und lief von der kleinen Rhede auf der Westseite der Insel Chiloe, wohin die Korvette ihn begleitet hatte, in südlicher Richtung dem Chonos-Archipel zu.

Am Spätnachmittag des zweiten Tages unserer Fahrt in der elenden kleinen Smack – der Abstand zwischen der geräumigen Kadettenmesse an Bord der Korvette und dem engen, niedrigen Loche, welches die Kajüte des »Dickson« darstellte, war ein gar gewaltiger – vernahmen wir draußen in der offenen See Kanonenschüsse, die in schneller Reihenfolge, aber nur schwach, zu uns herüberdröhnten.

Die scharfäugigen Araukaner lugten unablässig ins Weite, Kommandant Korkfender und meine Wenigkeit aber stiegen bis zum Sahling des Fockmastes empor und suchten von hier aus mit unseren Teleskopen die westliche Kimmung ab.

Wir hatten nicht lange zu suchen.

Eine große Bark und ein niedriger Schoner mit auffällig schräger Maststellung waren hart an einander und unterhielten, unter vollen Segeln und dicht an den Wind gebraßt neben einander dahinlaufend, ein scharfes Gefecht.

Nach der Takelage zu urteilen war keins von beiden Fahrzeugen ein Kriegsschiff. Über den Charakter des einen derselben, des Schoners, aber sollten wir nicht lange in Ungewißheit bleiben.

Der Toqui, der araukanische Bootsmann, war uns in die Want nachgeklettert.

» Capitan,« rief er, nachdem er die kämpfenden Schiffe erspäht und aufmerksam beobachtet hatte, » Capitan, sehen den Schoner? Das sein Flaggschiff von Admiral Alvarado, das sein der ›Luzifer‹.«

»Der ›Luzifer‹!« wiederholte ich mit stockendem Atem.

»Ja, Sennor,« bestätigte der Toqui. »Der ›Luzifer‹. Mächtig Schiff, viel Kanonen, viel araukanische Männer an Bord. Sennor Alvarado an Bord, Admiral von Chonospiraten, Freund von Orelio, König von Araukanien. Mächtig Mann, aber Spitzbub, böser Spitzbub!«

»Wer?« lachte Korkfender. »Alvarado oder König Orelio Antoine?« Orélie Antoine I., König von Araukanien und Patagonien, regierte von 1860 bis 1861 und dann wieder von 1870 bis 1871. Derselbe war eigentlich ein französischer Abenteurer mit Namen Tonneins; er starb am 19. September 1878 in Frankreich.

Wir stiegen an Deck hinab.

»Eine Instruktion ist da, damit man sie buchstäblich befolgt,« sagte Korkfender, der das Teleskop unter den Arm genommen und das Monokel ins Auge gekniffen hatte. »Wenn aber die Instruktion einen anweist, in den Rattenlöchern der Küste herumzuwühlen, während draußen auf offener See der Oberpirat, der »mächtig Mann aber böser Spitzbub« angesichts Seiner brasilianischen Majestät Kreuzer-Smack einen harmlosen Kauffahrer abkehlt und ausraubt, dann – ja, dann hole der Teufel eine solche Instruktion, mit Respekt zu sagen. – Vier Strich abhalten!« rief er dem Mann am Ruder zu. »Fier weg die Schooten! So, macht fest! – Lubau, Ihr Freund Arnold befindet sich dort an Bord des ›Luzifer‹ – sind Sie einverstanden, wenn wir jener Bark zu Hilfe kommen und den Schoner angreifen? Es ist dies gegen die Instruktion, sonst würde ich den Teufel nach Ihrer Ansicht fragen, so aber – und da Sie der Neffe meines Kommandanten sind – –«

»Wir müssen unsere Pflicht thun,« antwortete ich. »Ich bin noch nicht alt genug im Dienst, um nach allen Richtungen hin ein klares Urteil zu haben, eins aber weiß ich, daß ich die heilige Pflicht habe, mein Leben an die Rettung Willy Arnolds zu setzen, und darum bitte ich Sie inständigst, uns unverzüglich den ›Luzifer‹ angreifen zu lassen!«

Das Schießen war lauter geworden, ein Zeichen, daß die kämpfenden Fahrzeuge sich der Küste näherten. Unsere Araukaner waren eifrig beschäftigt, alles zum Kampfe vorzubereiten, ohne erst lange den Befehl des Kommandanten abzuwarten. Als der Ruf »Klar zum Gefecht!« jetzt erfolgte, begrüßten sie denselben mit lautem Freudengeschrei.

Der »Dickson« führte zwei Geschütze, einen Achtzehnpfünder auf einer beweglichen Karronade auf dem Vordeck und ein langes, leichtes Pivotgeschütz auf dem Achterdeck.

Der Wind war frisch und günstig, und wir hofften, daß er bis zum Einbruch der Nacht andauern würde. Der Toqui hatte in die Mündung eines jeden Geschützes ein Stück Speck gesteckt, eine Art von Zaubermittel, um die Schüsse wirkungsvoll zu machen. Korkfender lachte über des Mannes Aberglauben, da derselbe aber von der geheimnisvollen Kraft des Schweinefleisches ganz ernstlich überzeugt war, ließ er ihn gewähren.

»Zwei Reff ins Großsegel und eins in den Besahn!« befahl der Kommandant, nachdem wir eine Weile mit halbem Winde durch die immer höher gehende See gefegt waren. Wir schossen dahin in einer Wolke von Gischt, die in der zunehmenden Dunkelheit so phosphorisch leuchtete, daß wir fürchteten, der Seeräuber würde uns vor der Zeit entdecken. Ab und zu, wenn der Wind in Böen daherkam, ließen wir die Schooten fliegen, da die Smack dann so überholte, daß die Lee-Regeling gänzlich unter Wasser war.

Wir näherten uns den kämpfenden Schiffen mit großer Schnelligkeit. Je näher wir kamen, desto mehr stieg die Aufregung bei uns an Bord. Die Mannschaft hatte ihr Abendbrot erhalten und war nun zum äußersten entschlossen.

Die Nacht war hell, trotz der unter dem Himmel dahinziehenden Wolken. Wir bargen noch mehr Leinwand, um dem Piraten nicht zu früh in Sicht zu kommen.

»Ich müßte mich sehr irren,« sagte Korkfender, der unausgesetzt durch den Kieker sah, »wenn Alvarado der Bark nicht mit seinen Booten zu Leibe gehen sollte. Wir wollen auf ein paar Minuten beidrehen – noch hat man uns nicht bemerkt, wir haben das dunkle Land hinter uns und außerdem fängt es an nebelig zu werden.«

Das Manöver wurde ausgeführt, und dann brachten die Araukaner die langen Riemen in Bereitschaft, die an der Stelle, wo sie gegen die Dollen zu liegen kamen, umwickelt wurden, um jedes Geräusch zu verhindern. Wir lagen jetzt ganz still auf dem unruhigen Wasser.

»Kommen Sie, Lubau,« rief Korkfender mir zu, »wir wollen ein wenig rekognoscieren.«

Wir sprangen in eins unserer kleinen Boote und ruderten vorsichtig vorwärts. Das Land lag deutlich sichtbar an der östlichen Kimmung. An dem Schein der ab und zu aufblitzenden Schüsse des »Luzifer« konnten wir erkennen, daß er bestrebt war, die Bark gegen die Küste zu treiben; er scheute sich offenbar, mit dem Fahrzeug ins Handgemenge zu kommen, ehe er dasselbe auf die Untiefen gedrängt hatte. Mit Hilfe des Teleskops gewahrten wir auch, daß der Pirat alle seine Boote bereits zu Wasser gebracht hatte, sich also anschickte, die Bark auf diese Weise zu nehmen.

Die Schüsse fielen nur noch vereinzelt. Die Bark befand sich augenscheinlich in vortrefflichen Händen, sie mußte aber im Takelwerk bereits erheblich gelitten haben. Auch der »Luzifer« war schon zum Teil verkrüppelt. Soviel wir erkennen konnten, hatte er nicht nur die Vormarsstenge, sondern auch die Gaffel verloren.

Wir kehrten zum »Dickson« zurück. Als bald darauf die Piratenboote vom »Luzifer« abstießen und auf die Bark zuschwärmten, gab Korkfender den Befehl, die Schooten anzuholen und geradenwegs auf den Schoner abzuhalten. Zugleich hieß es »Alle Mann klar zum Entern!«

Das war ein verwegenes Unterfangen, aber es war auch des Versuches wert. Die Mehrzahl der Seeräuber befand sich in den Booten, und der Mannschaft der Bark blieb es überlassen, sich mit dem Gesindel abzufinden. Mit den wenigen Zurückgebliebenen mußten wir eine verhältnismäßig leichte Arbeit haben.

Korkfender hatte eigenhändig die Ruderpinne ergriffen und ließ nun die Smack dicht unter dem Heck des Schoners herumlaufen.

»Los alles! Herunter die Segel!« schrie er.

Knirschend und knarrend drängte sich der »Dickson« an die Backbordseite des »Luzifer« heran, und ohne noch ein Kommando abzuwarten, kletterten unsere Araukaner, die langen Messer zwischen den Zähnen und mit der Behendigkeit von Ratten nicht nur in den Rüsten, sondern auch an den glatten Seiten empor und schwangen sich über die Regeling unter die Piraten, die anfänglich über diesen unvermuteten Angriff ganz verdutzt waren.

Von der Bark aus hatte man unser Vorgehen beobachtet; ein lautes Hurra begrüßte uns, als wir den »Luzifer« enterten, und die Boote des Piraten wurden mit einer schweren Salve empfangen.

An Deck des Schoners entspann sich ein erbitterter Kampf; wirre Knäuel ringender, stechender und schießender Männer wälzten sich hierhin und dorthin, so viel aber war zu ersehen, daß unsere Araukaner überall schnell die Oberhand gewannen.

Ich hielt mich in unmittelbarer Nähe des Toqui, der mit fürchterlicher Kraft und Geschicklichkeit seine Bolas schwang und mit jedem Schlage Knochen brach und Schädel zertrümmerte.

Korkfender, mein Kommandant, focht mit echt germanischer Tapferkeit, sah sich aber bald in der Nähe des Großmastes einem spanischen Kerl gegenüber, der ihm mit einem langen Entermesser schwer zu schaffen machte. Schon nahm ich den Seeräuber aufs Korn, als ich plötzlich einen schlanken, jungen Menschen in Korkfenders Rücken auftauchen sah, im Begriff, den erhobenen Dolch von hinten in des Leutnants Genick zu stoßen. Ich erkannte sein Gesicht – es war Rufino Garillas!

Eine Woge des Kampfes riß mich zur Seite. Im Zurücktaumeln aber gewahrte ich einen zweiten jungen Menschen, zur Mannschaft des »Luzifer« gehörig, wie ich glaubte, der von der Kajütskappe her wie ein Tiger auf Rufino zusprang und demselben, noch ehe letzterer den meuchlerischen Stoß vollführen konnte, die Ladung einer langen Pistole in den Leib jagte.

Rufino stürzte, und ich atmete hoch auf. Das Ganze hatte sich im Zeitraum von fünf Sekunden vollzogen. Korkfender schlug seinen Mann nach kurzem Kampfe zu Boden, und dann war das Getümmel zu Ende. Die Araukaner hatten keine Seele am Leben gelassen.

Nunmehr ließ Korkfender die Geschütze des Schoners gegen die Boote richten, die jetzt, zwischen zwei Feuern, keine Aussicht auf Entkommen mehr hatten. Trotzdem gelang es zweien Bootsmannschaften, die Bark zu entern, die eine erkletterte das Schiff am Buge, die andere an der Großrüst. Die Kauffahrteileute aber mochten die Banditen wohl warm empfangen haben, denn bald darauf sah man eine Anzahl derselben wie Frösche ins Wasser springen, und zu gleicher Zeit ertönte von drüben ein siegesfreudiges Hurra.

Wir auf dem »Luzifer« gaben das Hurra zurück, und unsere Araukaner stimmten mit lautem »Yah, yah!« in das Triumphgeschrei ein.

Wo aber waren – –

»Der verwünschte Mohr hat nun endlich doch seinen Lohn dahin,« sagte eine Stimme dicht hinter mir, eine Stimme, deren Klang mir das Herz stille stehen ließ. »Gott sei Dank, daß ich dich endlich wiedersehe, Heinz, mein lieber, alter Junge!«

Ich drehte mich um – da stand der junge Mensch, den ich für einen von der Mannschaft des »Luzifer« gehalten, der dem Leutnant Korkfender das Leben gerettet hatte – Willy Arnold, lebendig, munter und gesund!

Hurra!


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