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Siebentes Kapitel.

»Schade, daß Ihr nicht Professor geworden seid, Stüermann.« – Abschied. – Seekrank. – Wahrheit oder Erfindung? – Die Ausgesetzten. – Ein Wort über Janmaat. – Der »Pelikan«.

 

Es war, wie bereits erwähnt, auf Steinwärder bekannt geworden, daß die »Medusa« durch die Straße von Gibraltar ins Mittelländische Meer – »Mittlandssee«, wie Steuermann Schomerus sagte – eingelaufen war, nichts aber war davon verlautet, daß ein Fahrzeug, auf welches die Beschreibung paßte, dasselbe wieder verlassen hatte. Kapitän Dickson beschloß daher, den Durchgänger zunächst in diesem Binnenmeere aufzusuchen.

»Sie müssen ja am besten wissen, was Sie zu thun haben, Dickson,« wendete der Schiffsbaumeister hiergegen ein, »allein ich an Ihrer Stelle ließe Mittlandssee Mittlandssee sein und liefe direkt hinüber nach der brasilianischen Küste und dann um das Kap Horn, dann würden Sie nicht nur geschäftlich den besten Erfolg haben, sondern der Halunke liefe Ihnen dort auch schließlich wohl von selber in die Hände.«

»Wenn er inzwischen nicht in Konstantinopel oder in Alexandrien sitzt. Er kann Gibraltar nicht passieren, ohne von der Festung aus oder wenigstens von einem der ein- oder auslaufenden Schiffe gesehen zu werden. Und dann erhalten wir Nachricht, sei es wo es sei, denn der Schiffsdiebstahl ist mittlerweile überall hin signalisiert worden.«

»Wir dürfen uns nicht täuschen. Alvarado ist schlau genug, um unerkannt selbst durch die Straße von Gibraltar zu schlüpfen. Er wird Ihnen noch manches Schnippchen schlagen, ehe Sie ihn haben, verlassen Sie sich darauf. Mein Rat ist, suchen Sie die Hyäne in ihrer Höhle auf, drüben an der Küste von Südamerika.«

»Der Baas Arnold hat Recht,« fiel hier Lambertus Schomerus ein, mit einem nachdrücklichen Zwinkern seines einsamen Auges. »Wir gehen dwars über den Atlantik, bis etwa zur Mündung des Amazonas, dann klappern wir südwärts die ganze Küste ab, nehmen Fernando Noronha mit, wo die Piraten sich zuweilen aus entwichenen Sträflingen zu rekrutieren pflegen, fragen in Pernambuco vor, mustern die Wirtshäuser in Bahia, dann in Belmonte, wo ich einige interessante Spelunken weiß, gehen dann weiter nach Rio, Montevideo und nach den kleinen Löchern an der Küste von Patagonien, dann rund um das Kap und an der Westküste wieder hinauf, und ich wette mein Auge, daß wir den blixumschen Fent irgendwo aufstöbern. Was wir dann mit ihm aufstellen, wenn wir ihn erst haben, darüber wollen wir uns jetzt noch nicht aufregen.«

»Schade, daß ihr nicht Professor geworden seid, Stüermann!« entgegnete der Kapitän. »Ihr seid verteufelt klug, aber ihr habt nicht unrecht. Nun, wollen sehen. Wann kommen die beiden jungen Herren an Bord, Freund Arnold? Der ›Perseus‹ ist soweit seeklar.«

»Je eher, je besser,« antwortete der Schiffsbaumeister. »Ich würde sagen am Sonntag, wenn es bei den Seeleuten nicht für ein böses Omen gälte, am Sonntag in See zu gehen. Also dann am Sonnabend. Es wird zwar Thränen kosten, aber das hilft nichts.«

Und Thränen hat es gekostet, aber davon will ich schweigen. Willys Eltern und auch die meinen, dazu Willys Schwester Gertrud und meine Schwester Emilie blieben an Bord des »Perseus«, bis wir Kuxhaven erreicht hatten. Hier, bei der »alten Liebe«, wie das am Flusse gelegene Bollwerk im Munde des Volks und der Seefahrer heißt, gingen sie alle an Land.

Die letzten Thränen waren geflossen, zum letzten Mal hatten die Taschentücher geweht, da rief Kapitän Dickson von der Brücke sein »Voll Dampf vorwärts!« durch das Sprachrohr hinab in den Maschinenraum, und der »Perseus« rauschte hinaus in die Nordsee. Bald darauf verließ uns der Lotse; wir sahen ihn mit Wehmut in das kleine Boot gehen, welches das in einiger Entfernung kreuzende Lotsenfahrzeug für ihn gesendet hatte, schwand doch mit ihm gleichsam die letzte Verbindung mit der Heimat.

Ich schaute der im Kielwasser des Dampfers schaukelnden Nußschale lange nach. Da näherte sich mir Willy, die Hände in den Taschen seiner Seemannsjacke, so recht wie ein alter Weltumsegler.

»Famos, Heinz, wie?« sagte er. »Jetzt sind wir unterwegs, obgleich es mir, offen gestanden, noch gar nicht in den Kopf will, daß wir unsere Spritztour allen Ernstes schon begonnen haben.«

»Unsere Weltreise, willst du sagen,« entgegnete ich. »Ach, Willy, mir ist so sonderbar hier um Herz und Magen!«

»Nur Mut, my boy,« sagte Kapitän Dickson, der uns lächelnd zuhörte. »Ich vertrete jetzt Elternstelle bei Ihnen beiden, und der Steuermann hier ist unter Umständen eine nicht zu verachtende Pflegemutter.«

»Wir brauchen keine Pflegemutter, Kapitän Dickson,« erwiderte Willy Arnold abweisend und kurz. »Ich möchte Sie übrigens ersuchen, uns für die Folge doch nicht so ganz als elternbedürftige Kinder zu – ja, ich meine –«

Er unterbrach sich und schwieg in errötender Verwirrung, denn das ruhige Auge des Kapitäns ruhte mit einem so eigentümlichen Blick auf ihm, daß er in Verlegenheit geriet, und auch Lambertus Schomerus hatte sein außerordentliches Sehorgan mit einem ganz erstaunlichen Ausdruck auf Willys Gesicht gerichtet.

»Sie vergessen, young Sir, daß Sie sich gegenwärtig unter meinem Kommando befinden,« sagte Kapitän Dickson; »Sie sind hier an Bord vorläufig noch gar nichts, weder Fisch noch Fleisch, Sie sollen erst etwas lernen und werden. Am Lande waren Sie bereits ein Herr, der etwas vorstellte und auch schon auf allerlei Kenntnisse pochen konnte; hier sind Sie, so zu sagen, wieder in ihre Windeln zurückgekrochen und fangen ein neues Leben ganz von vorn an, das werden Sie bald genug einsehen. Ich aber stehe hier in loco parentis und gedenke Sie nicht zu verwöhnen, um Sie nicht zu schädigen. Im übrigen aber wird Ihnen der alte Bertus als Pflegemutter recht willkommen sein, noch ehe Sie viele Stunden älter geworden sind – auch Ihnen, Master Heinrich, das sehe ich Ihnen jetzt schon an.«

»O,« entgegnete ich, »das will ich nicht hoffen, indessen wenn Sie dies meinen, Kapitän Dickson, so muß ich Ihrer Erfahrung wohl glauben.«

Der Kapitän nickte lächelnd und begab sich wieder nach vorn.

Willy war ganz empört.

»Hätte ich geahnt, daß Dickson so gegen mich auftreten würde, ich hätte mich wahrlich bedankt, an Bord dieses alten Kastens zu gehen!« sagte er entrüstet, als der Kapitän außer Hörweite war.

»Willy, mein Sohn, gieb dich zufrieden,« entgegnete ich lachend. »Was hilft jetzt alles Räsonnieren? Dickson, wie du deinen Vorgesetzten und Gewalthaber ziemlich respektwidrig nennst, hat hier das Kommando, und wir müssen uns fügen. Ich wenigstens will dies thun, um mir weitere Sermone zu ersparen.«

»Das sieht dir ähnlich, Heinz – aber ich denke, ich thu's auch, der Gesellschaft wegen.«

Und nun lachten wir alle beide. Bald darauf aber wurden wir recht still und einsilbig. Das Schiff fing an, sehr unangenehm zu stampfen, obgleich die graugrüne See noch gar keine nennenswerten Wellen zeigte.

»Ich gehe hinunter in unsere Kammer,« sagte Willy, der ganz blaß geworden war. Er schwankte unsicheren Schrittes zur Kajütskappe und stieg die Treppe hinab.

»Seekrank,« bemerkte der Steuermann lakonisch, sein durchbohrendes aber gutmütig blickendes Auge auf mich heftend. »Diesseits des Kanals werden wir ihn nicht wieder an Deck sehen; nachher wird er zahm sein. Ich will Ihnen sagen, was das mit dem jungen Menschen, Ihrem Freund, ist: er muß ein Reff in seine Manieren stecken; er hat zu viel Leinwand stehen, darum steuert er ein bischen wild, was wir auf See »Gieren« nennen; mit der Zeit aber wird er sich wohl machen.«

»Der Kapitän gedenkt Plymouth anzulaufen, wie ich gehört zu haben glaube,« sagte ich in achtungsvollem Tone, um das Gespräch auf ein anderes Gebiet zu bringen. »Wann meinen Sie, daß wir dort sein können, Steuermann?«

»Am Montag, denke ich; die Stunde läßt sich nicht bestimmen. Das hängt vom Kapitän ab. – Dort haben wir Helgoland, an Steuerbord, dwars ab; sehen Sie die grauen Felsen?«

Ich sah das nebelfarben aus der See aufsteigende Eiland ziemlich deutlich.

Der Steuermann wendete sich nach dem am Ruder stehenden Matrosen um.

»West-Süd-West!« sagte er zu dem Manne.

»West-Süd-West!« rief dieser zurück, den erhaltenen Befehl bestätigend.

Der »Perseus« stampfte und rollte immer ungebärdiger, und noch ehe die Schiffsglocke die Mittagsstunde verkündete, kam ich zu der Überzeugung, daß der alte Bertus wirklich eine ganz unschätzbare Pflegemutter für Seekranke sei, eine Überzeugung, zu welcher Willy sich schon lange vor mir bekehrt hatte.

Es war Montag früh. Der Mann am Ruder hatte soeben an der Schiffsglocke sieben Glasen – halb acht Uhr – geschlagen. Draußen lag die See wie ein Spiegel, und die Sonne schien durch das kleine runde Fenster hell in unsere Kammer herein.

Die Schiebthür glitt in ihren Falz zurück, der Steuermann erschien vor unseren Kojen, in den Händen für jeden einen Teller mit einem herrlichen, goldbraunen Kotelett.

»Plymouth in Sicht, junge Herren,« sagte er.

»Hurrah!« rief Willy.

Wir hatten seit Sonnabend Vormittag nichts genossen. Jetzt war die Seekrankheit vorüber, und wir schmausten mit dankerfüllten Herzen.

»Wenn man Sie so füttern sieht, dann sollte man meinen, daß es gar keine Not auf See gäbe,« sagte der Steuermann, der sich auf meine Seekiste gesetzt hatte und uns mit seinem großen, funkelnden Auge beobachtete. »Und doch habe ich Hunger und Kummer die schwere Menge erlebt. Man fährt freilich nicht zum Vergnügen nun schon an die fünfunddreißig Jahre zur See, aber manchmal ging es doch ein bischen arg knapp her, was das Essen anbelangt. Besonders die eine Reise, von Amsterdam nach New-York, an die werde ich noch lange denken.«

Er schwieg und sah uns an, als erwarte er eine Aufforderung zum Weiterreden.

»Erzählen Sie uns doch, Mutter Bertus,« rief Willy übermütig. »Gab's da keine Kotelettes an Bord?«

»Kotelettes? Na, da hören Sie nur. Das war an Bord der Kuff »Trina Maria«, Kapitän Arendsen. Wir mochten ungefähr auf der Höhe von Neufundland sein, da kriegte das Fahrzeug nach dreitägigem schweren Wetter ein Leck; kein Pumpen half, es sackte weg, und wir mußten ins Boot, bei Nacht und Nebel. Es war so finster wie in 'nem Teerfaß, und kalt! Wir hatten weder Strümpfe noch Schuhe, und nur einer hatte eine Jacke, denn wir waren froh gewesen, wenigstens noch lebendig ins Boot zu kommen. Der Kapitän schrie in einem fort: »Lüd', wir sind verloren! Lüd', wir sind verloren!« und da dachte auch kein Mensch an Proviant oder Wasser, und als wir nachher Hunger kriegten und im Boot nach Beköstigung suchten, da fanden wir blos ein Talglicht und einen kleinen Medizinbuddel mit Choleratropfen.«

»Wo kam denn das Talglicht her?« fragte Willy.

»Das steckte in der Laterne,« antwortete der Steuermann, ohne eine Miene zu verziehen.

»Und die Choleratropfen?«

»Die hatte der Steward in seiner Tasche. Sie müssen mich aber nicht unterbrechen,« fuhr er fort, mit seinem weitgeöffneten Auge wie mit einem Teleskop durch das Fenster nach dem Lande spähend, dem wir uns näherten. »Die See ging hoch, und die Leute, welche zufällig noch Schuhe hatten, mußten damit das hereinschlagende Wasser aus dem Boote schöpfen. Als der Morgen dämmerte, gewahrten wir, daß wir zusammen zehn Mann in dem kleinen Fahrzeug waren. Am dritten Tage sagte einer von uns, der lange Pieter: »Das Talglicht ist verteilt und die Choleratropfen aus dem Buddel sind verteilt und unser Proviant ist damit zu Ende. Nu geht's ans Verhungern.« – »Noch nicht,« sagte Tom, der Zimmermann, »da sitzt der Steward, blühend und gesund, laßt uns den essen, solange er noch frisch und saftig ist.« Das war ja nun so ein Vorschlag, zu dem sich nicht viel sagen ließ, aber wir hockten da mit zehn Mann in dem Boot, nicht größer wie unsere Jolle, halb erfroren und halb verhungert, und das Talglicht und die Choleratropfen waren, wie gesagt, längst verzehrt. Der Steward aber benahm sich wie ein Unkluger; er heulte und jammerte, und dann riß er sein Hemd auf, zeigte seine mageren Rippen, schlug sich auf die Brust und schrie: »Wer hier noch eine Mahlzeit finden will, den muß ja wohl seine Mutter mit Knochen großgefüttert haben!« – »Ja,« meinte Tom, »dann ist das nicht anders, dann müssen wir den Koch als Proviant verteilen.« Damit war aber keiner einverstanden, weil der Koch, der ein richtiger Smeerlapp war, uns zu thranig aussah. So vergingen noch zwei Tage und zwei Nächte; wenn's finster war, dann saßen wir ganz still und kauten an unseren ledernen Messerscheiden, bei Tage aber taxierten wir uns gegenseitig auf unsere Schmackhaftigkeit, wobei aber nichts herauskam, denn der eine war zu alt, der andere zu häßlich, der dritte wieder nicht viel besser als der Koch, und so weiter. So blieb uns schließlich nichts übrig, als dem Steward das Hemd auszuziehen und es an dem Bootshaken und einem Riemen als Segel zu setzen, und so fand uns am fünften Tage ein Schiff, ein Norweger, das uns armes, verhungertes Volk aufnahm. Ich hatte das Schiff zuerst gesehen. Ja, meine jungen Herren, Sie wissen gar nicht, wie gut Sie es hier an Bord haben.«

Mit diesen Worten erhob sich der Steuermann von der Kiste, nahm uns ernsthaft die leergegessenen Teller aus den Händen, durchbohrte uns mit seinem Blicke und ging an Deck; wir aber wußten nicht, ob wir seine Erzählung für Wahrheit oder Erfindung nehmen sollten.

»Halloh, da unten!« rief Kapitän Dickson durch die Kajütskappe herab. »Plymouth! Wer mit an Land will, der beeile sich!«

Der Dampfer sollte hier Kohlen einnehmen, und da dies ein Geschäft ist, bei dem es viel Staub und Schmutz absetzt und wir uns überdies wieder durchaus frisch und munter fühlten, so waren wir im Handumdrehen an Deck, und zehn Minuten später schritten wir an der Seite des Kapitäns durch die winkligen Straßen der berühmten englischen Seestadt.

Nach Art der Seefahrer steuerte Dickson zunächst, wenn auch nach einigen Umwegen, auf ein ihm von früher her bekanntes Wirtshaus zu, welches, wenn ich nicht irre, den Namen »Die drei Fregatten« führte. Über die eigentümliche Fügung, die uns gerade hierher brachte, habe ich später noch oft nachgedacht.

In dem geräumigen Gastzimmer fielen unsere Blicke sogleich auf eine Gruppe von Seeleuten, die zwei ältere, allem Anschein nach deutsche Matrosen umstanden und eifrig den Worten derselben lauschten. Kapitän Dickson schien die Leute nur wenig beachten zu wollen, plötzlich aber horchte er hoch auf, drängte sich zwischen die Seeleute und rief in hellem Eifer:

»Was sagtet ihr da? Sagt das noch einmal! Ist das wahr?«

Die Leute sahen den raschen Amerikaner verwundert und unwillig von der Seite an, und hier und da hörte man den verdrossen gegebenen Rat, daß er gut thun würde, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

»Wahr!« rief einer der Umstehenden. »Warum sollt's denn nicht wahr sein? Sind bei euch zu Lande die Lügen so billig? Wer seid ihr denn überhaupt?«

»Das werdet ihr erfahren, wenn ihr warten gelernt habt,« entgegnete der Kapitän. »Vorläufig will ich wissen, was die beiden da von dem Steamer ›Medusa‹ zu erzählen haben.«

»So haltet euren Mund, damit die Leute wieder zu Worte kommen können. Nun redet weiter, ihr da!«

Dickson lauschte mit allen Ohren, und dasselbe thaten Willy Arnold und ich. Wir vernahmen zu unserem größten Erstaunen, daß die beiden deutschen Matrosen und auch ein neben ihnen sitzender junger Mann, den wir jetzt erst bemerkten, an Bord der »Medusa« von Bremerhaven aus in See gegangen waren, daß Alvarado sie jedoch im Atlantischen Ocean alle drei in einem der Schiffsboote ausgesetzt hatte, weil sie sich mit den Schurkenstreichen desselben nicht einverstanden erklären wollten. Welcher Art diese Schurkenstreiche gewesen waren, das blieb uns vorläufig noch unbekannt, da wir den Anfang der Erzählung nicht vernommen hatten.

Die Seeleute hörten mit größter Entrüstung zu, brachen aber in ein lustiges Gelächter aus, als der junge Mann ihnen in seinem gebrochenen Englisch schilderte, wie er in feinen Damenkleidern die Rolle der kranken Kapitänstochter habe spielen müssen; sie überschütteten denselben mit den drolligsten Spottreden, und nur mit Mühe konnte Kapitän Dickson ihn auf die Seite ziehen, um ihn aufzufordern, unter ihm Dienste zu nehmen und die Kreuzfahrt des »Perseus« gegen hohen Lohn mitzumachen. Den beiden Matrosen machte er dasselbe Anerbieten.

Die Männer weigerten sich, der junge Mensch aber ging mit Freuden auf den Vorschlag ein. Er hatte sich von den glänzenden Versprechungen Alvarados verleiten lassen, aus seiner kaufmännischen Stellung in Bremen heimlich zu entweichen und schämte sich nun, sich nach einer solchen Demütigung in seiner Vaterstadt wieder sehen zu lassen.

Kapitän Dickson war hoch erfreut über das »Stück Arbeit« dieses Morgens, wie er sich ausdrückte.

»Das erspart uns viel Zeit und Mühe und unnützes Suchen,« sagte er, die Hände reibend. »Welchen Kurs steuerte die ›Medusa‹, mein Junge, als sie euch schlippen ließ?«

»Von Gibraltar aus nach dem Kap Verde. Als der Wüterich uns aussetzte, da hatten wir schon längst kein Land mehr in Sicht. Er gab uns nur ein einziges Paar Riemen ins Boot, und wenn die See nicht so ruhig gewesen wäre, dann hätten wir uns nicht so lange über Wasser halten können; wir wären vollgeschlagen und weggesackt.«

»Vollgeschlagen und weggesackt, und das wäre dem Schuft das liebste gewesen,« bestätigte einer der Bremerhavener, und sein Gefährte nickte zustimmend.

»Gott sei Dank, es lief noch alles gut ab,« fuhr der junge Mann fort. »Nachdem wir ungefähr zwölf Stunden getrieben hatten, kam eine englische Brigg in Sicht, die uns aufnahm und uns gestern hier in Plymouth an Land setzte.«

»Sehr gut,« sagte Kapitän Dickson. »Jetzt aber gehörst du zur Besatzung des ›Perseus‹, der dort drüben an der Pier liegt, und kannst somit nach all' deinen Dummheiten von Glück sagen. Ich bin auf der Jagd nach der ›Medusa‹.«

»Eine ›Medusa‹ aber giebt's nicht mehr,« antwortete der neugebackene Perseusmann. »Der Satan, der das Fahrzeug kommandiert, hat den Namen überall auslöschen lassen und ›Pelikan‹ an dessen Stelle gesetzt. Die früher blauen Boote sind jetzt weiß, der weiße Schornstein aber ist schwarz gestrichen; Fässer und andere Gerätschaften sind über Bord geworfen, und die Mannschaft ist zu Kreuze gekrochen.«

»Das ist ganz unglaublich,« flüsterte ich Willy ins Ohr.

»Thu mir den einzigen Gefallen und finde nichts unglaublich,« raunte diese alte Teerjacke zurück; »ich sage dir, Heinz, auf See passieren tagtäglich die seltsamsten Dinge, frage nur Mutter Bertus.«

»Es ist gut, daß ich diesen Hokuspokus erfahre,« sagte Kapitän Dickson. »Ich habe zwar eine Zeichnung des Schiffes in Händen und würde es sicher auf den ersten Blick erkennen, aber so ist's besser. Wie heißest du, mein Sohn?«

»Felix Sperling,« antwortete der junge Mensch.

»Nun, Sperling, du magst dir also an Bord des ›Perseus‹ dein Nest bauen. Wende dich an den Steuermann, gieb ihm diese Karte und bitte ihn, dir deine Ausrüstung zu besorgen – aber nicht etwa wieder Unterröcke und Frauenkleider,« fügte der Kapitän lachend hinzu. »Also vorwärts, Sperling.«

Als wir einige Stunden später wieder an Bord kamen, hatte der ehemalige Handlungs-Commis bereits eine Koje im Matrosenlogis angewiesen erhalten und legte beim Übernehmen der Kohlen tüchtig mit Hand an.

Am nächsten Morgen gingen wir wieder in See, und unser nächstes Ziel waren die Kap-Verdischen Inseln. Während dieser Fahrt fand ich Gelegenheit, mich in das Leben und Treiben an Bord vollständig hineinzufinden.

Der »Perseus« war ein Schraubendampfer mit vollständiger Schonertakelage, der auch ohne Dampf und nur unter Segel seine zehn Knoten zu laufen vermochte. Kapitän Dickson hatte uns der Steuerbordwache zugeteilt und somit speziell der Obhut des alten Lambertus anvertraut, der diese Wache kommandierte, die aus der Hälfte der ungewöhnlich starken Mannschaft, acht Matrosen und einem Jungen, bestand, die beiden »Seenovizen«, Willy Arnold und Heinrich Lubau, nicht mit eingerechnet.

Hier möchte ich ein Wort über unsere Matrosen einflechten.

Janmaat, wie der Hamburger den Matrosen der Kauffahrtei zu nennen pflegt, ist ein eigentümliches, höchst interessantes, aber im allgemeinen mehr verkanntes als bekanntes Menschenkind. Mancher achtungswerte Schriftsteller ist mit der Feder in der Hand den Spuren Janmaats gefolgt und hat seinen Helden in allen möglichen Verhältnissen und Lagen gezeichnet; allein, hat er der Welt nun auch wirklich klar gemacht, was für ein Leben Janmaat führt, was derselbe für Gewohnheiten hat, was er ißt, wie er schläft und wo er sich eigentlich befindet, wenn er in Wahrheit »zu Hause«, das heißt an Bord seines Schiffes ist?

Ich will meinen jungen Lesern diese Fragen in einer allgemein gehaltenen, aber treuen und naturwahren Schilderung zu beantworten suchen.

Der »Perseus« ist acht Tage in See. Wir befinden uns im Meerbusen von Biscaya; widrige Winde haben uns noch nicht in den Atlantischen Ocean gelangen lassen; ein Unfall an der Maschine hat die Schraube außer Dienst gesetzt, und so findet uns der grau anbrechende Morgen mit zwei Reffen im Marssegel, einem Reff in der Fock und einem im Großsegel, scharf angebraßt und vier Striche vom Kurse abliegend, während die ungebärdige See über unsern Wetterbug hereinbricht und das Kielwasser eine Abtrift zeigt, die der alte Steuermann bei so dickem Wetter nur ungern wahrnimmt.

Sieben Glasen tönen über das Deck; das bedeutet, nach der Uhr, halb acht. Die Tageseinteilung an Bord geschieht nach Wachen zu je vier Stunden. Jede Wacht, oder Wache, zerfällt wieder in acht halbstündige Abschnitte, die durch Glockenschläge, Glasen genannt, kund gemacht werden. Z. B. 4 Uhr = 8 Glasen, 4½ Uhr = 1 Gl., 5 Uhr = 2 Gl., 5½ Uhr = 3 Gl., 6 Uhr = 4 Gl. u. s. w. Nach 8 Gl. beginnt es wieder von vorn. Die »Wacht an Deck« hat das Schiff gewaschen, das laufende Tauwerk sauber aufgeschossen und an die Koffeenägel gehängt und legt nun hier und da die letzte ordnende Hand an, während die »Wacht zur Koje« im »Ausreisen« (Aufstehen aus den Kojen) begriffen ist und sich zum Frühstück vorbereitet. Der Rauch aus dem Kombüsenschornstein steht nach Lee über Deck und dann hernieder auf die unruhige See; der Koch, die Ärmel seines blauen Wollhemdes weit aufgerollt und die Brust offen, klappert geschäftig zwischen dem Geschirr in seiner engen Küche; nicht weit von derselben, vor dem Fockmast und der Vorluke befindet sich das Logis. Das Dach desselben bildet die Back, das erhöhte Deck vorn im Buge des Schiffes. Man betritt es durch zwei Thüren, die sich in Falzen laufend öffnen und schließen. Die Schwelle ist hoch, um nach Möglichkeit das Wasser von den Innenräumen abzuhalten, wenn die Seen an Deck schlage oder wenn das Schiff seine Nase in den Fluten begräbt. Unmittelbar außerhalb der Thür hat die Ankerwinde ihren Platz; die gewaltigen Ketten sind ausgeschäkelt und in den Kettenkasten verstaut, der rote Rost liegt dick auf der massiven, eichenen, sechskantigen Welle.

Die Backbordthür des Logis ist geöffnet, sie führt in ein düsteres, höhlenartiges Gemach, an dessen Decke eine qualmende Öllampe hin und her schwingt, die wie ein blecherner Kaffeetopf aussieht und bei deren unbestimmtem Licht allerlei undeutliche Umrisse sichtbar werden. Dies ist Janmaats Heim, der abgeschlossenste und privilegierteste Ort des ganzen Schiffes. Keiner der Offiziere und sonstigen Bewohner des Schiffes darf denselben ohne Janmaats Erlaubnis betreten, und der Kapitän mag zwanzig Jahre dasselbe Schiff führen, ohne von dem Innern des Matrosenlogis jemals mehr gesehen zu haben, als ihm im Vorübergehen ein gelegentlicher Blick durch die Thür oder hinab durch die im Deck befindliche Luke zu enthüllen vermochte.

Es ist heute morgen ganz besonders dunkel, weil man soeben die erwähnte Luke fest verschlossen hat, des Wassers wegen, welches ab und zu über den Bug kommt und die Back überschwemmt. In kurzer Zeit aber hat sich das Auge an die Finsternis gewöhnt und wir vermögen das seltsame, massive, winklige Innere des Logis zu überschauen. Fast durch die ganze Länge des Raumes strebt schräg nach oben und nach vorn der ungeheure Baum des Bugspriets, rechts und links von der Stelle seines Austritts, also auf der Backbord- wie auf der Steuerbordseite, zieht sich je eine Doppelreihe von Kojen an der Schiffswand entlang bis zu den Eingängen. Allenthalben auf dem Fußboden gewahrt man die Seekisten der Mannschaft, teils festgezurrt an den Stützen und Beetings, teils vor den unteren Kojen stehend; Ölzeug und andere Kleidungsstücke hängen an den Stützen oder an den Decksbalken und schwingen hin und her. Hier liegt eine blecherne »Pann« (Teller), dort rollt ein »Pott« (Topf) von gleichem Metall auf dem nassen Boden; wir stolpern über einige Seestiefel, zertreten eine Thonpfeife und setzen dann den Fuß auf etwas Weiches, das sich bei näherer Betrachtung als ein Südwester entpuppt, der von einem der Nägel herabgefallen sein mag.

Aus einigen der Kojen kommen die tiefen, lauten Atemzüge der schlafenden Männer, allerdings kaum vernehmbar wegen des zischenden, schürfenden Brausens des Wassers, welches unaufhörlich draußen an den Schiffsseiten entlang tost; dazu kommt noch das Sausen des Windes unter der hochgeblähten Fock und ab und zu der Anprall der Wogen gegen den Bug, der wie ein krachender Donnerschlag das ganze Schiff erbeben macht. Die stampfende Bewegung des Schiffes wird nirgends so gespürt, wie hier vorn; jedes Niederfahren in die Höhlungen der See giebt einem die Empfindung, als falle man von einer großen Höhe herab, und bei jedem Aufbäumen ist's, als entschwebe man mit einem Ballon in die Wolken.

Die noch schlafenden Matrosen, die hier seit vier Uhr morgens ihre Wacht zur Koje gehabt haben, beginnen sich jetzt auch zu rühren; hier streckt sich ein Arm, dort ein Bein aus einer Koje heraus, oder es fällt ein Mann, wie ein Bratapfel aus der Röhre, aus seiner oberen Koje herab auf die dumpf erkrachende Kiste, wo er dann zunächst schlaftrunken sitzen bleibt. Aber dieses Übergangsstadium dauert nicht lange, bald ist die ganze Wacht in Bewegung, und Janmaat beginnt seine Toilette, die allerdings kaum in etwas anderem besteht, als in dem Anziehen seiner Stiefel. Mürrisch, verdrossen und ungekämmt, wie die eben gerufene Wacht fast immer zu sein pflegt, fischt jeder aus seiner Koje den Blechpott hervor, den er vielleicht eben noch im Schlafe halb flach gedrückt hat, und begiebt sich mit demselben zur Kombüse, um Kaffee zu holen. Charakteristisch hierbei ist, daß bei diesem kurzem Gange niemand ein Auge für das Wetter hat, ebenso wenig für die Segel, unter denen das Fahrzeug sich befindet. Janmaat ist eben noch »zur Koje«, noch geht ihn nichts an, was sich draußen zuträgt. Man lernt auf See geizen mit den Minuten der Ruhe. Einer nach dem andern kehrt mit dem dampfenden Pott zurück, nimmt sich eine Handvoll Hartbrot aus der vom Schiffsjungen auf den Boden gestellten hölzernen Back (Napf) und setzt sich damit auf seine Kiste oder aber wieder in die Koje, und beginnt hier mit herabbaumelnden Beinen sein Frühmahl.

Während die Leute noch sitzen und ihr Hartbrot kauen oder aus geschwärzten kurzen Holz- oder Thonpfeifen den beizenden Rauch von starkem Tabak, »Swarten Krusen«, vor sich hinblasen, während der hohle Logisraum unter dem Ansturm der brüllenden und tosenden Wassermassen erdröhnt und erdonnert, und gelegentlich eine grünliche Flut dicht vor der offenen Thür wie ein gläserner Vorhang von der Back herabrauscht, ertönen draußen acht Glasen, und die andere Hälfte der Mannschaft, welche seit vier Uhr die Wacht an Deck gehabt hat, kommt zu zweien und dreien hereingestampft und gepoltert. Die Vormittagswacht hat begonnen, und die Backbordleute, welche jetzt vier Stunden der Ruhe hinter sich haben, verstecken ihre Pfeifen, aus denen sie vorher noch einen letzten, gierigen Zug gethan haben, in den Kojen, bergen den Blechpott ebendaselbst oder in der Kiste, tasten hinten nach der Hüfte, um sich des Vorhandenseins des Scheidenmessers zu versichern, und stolpern hinaus an Deck, wo sie sofort an verschiedenen Orten in Thätigkeit gesetzt werden, nachdem einer von ihnen den Mann am Ruder verfangen (abgelöst) hat.

Die Leute von der Steuerbordwacht beschaffen sich nun ihr Frühstück, wie die andern vor ihnen gethan; dann zünden sie sich ihre Pfeifen an und klettern in die Kojen. Einige entledigen sich vorher der Stiefel und Piejacken, andere nicht, je nachdem mehr oder weniger Vertrauen zu dem Wetter vorhanden ist. Einige wenige ziehen es vor, auf der Kiste sitzend ein Kleidungsstück zu flicken oder ein paar Seiten aus einem Buche zu lesen. Die Lampe brennt rot und trübe, von der halb offenen Thür dringt der Tagesschimmer herein, aber nicht sehr weit, und das Logis bietet jetzt einen Anblick dar, der dem Nichtseemann höchst malerisch erscheinen würde. Einige der Aufgebliebenen unterhalten sich, aber nur im Flüsterton, denn des Schiffsgenossen Schlaf ist auf See ein heilig Ding. Die schwache Beleuchtung, die nicht bis in die Spitze des Buges zu dringen vermag, zeigt undeutlich die Schläfer in ihren Kojen; die haar- und bartumwallten Gesichter heben sich wie Kameen von den zusammengelegten Piejacken, Wolldecken oder dergleichen ab, die als Kopfkissen dienen müssen. In der einen oder der andern dunklen Kojenhöhlung ist noch ein rotglühender Funke bemerkbar, ein Zeichen, daß dort die geliebte Pfeife noch immer in Thätigkeit gehalten wird. Unter der knisternden, schwelenden Lampe, die zuweilen mit dem Fett genährt wird, welches der Koch von den Fleischtöpfen schöpft, sitzt ein Mann mit einem Buch in der Hand; seine Lippen bewegen sich, während er liest, sein Äußeres ist so malerisch, wie das eines Banditen; die Hosen sind oberflächlich in die Stiefel gestopft, das rauhe, blaue Wollhemd ist über der Brust weit offen, das volle Haar hängt ihm wirr um Stirn und Schläfe, er trägt einen ledernen Riemen um den Leib und ein Scheidenmesser an der Hüfte. Weiter gegen die Thür, im hereinfallenden Tageslicht, sitzen einige flickschneidernde Janmaaten; sie arbeiten sorgfältig und behaglich, ab und zu hebt einer oder der andere den Kopf, schießt eine Ladung Tabakssaft zwischen den Zähnen hervor gegen die Thürschwelle und fährt sich dann langsam mit dem Handrücken über den Mund.

Inzwischen aber hat sich der Wind noch stärker aufgemacht; man merkt an der größer gewordenen Abschüssigkeit des Decks, an dem lauteren Tosen der Wogen vor dem Buge, an dem vermehrten Knarren und Ächzen des Schiffes, daß die Brise zu einem gelinden Sturm angewachsen ist, und man sagt sich unwillkürlich, daß die vor kurzem in die Kojen gekrochenen Leute besser gethan hätten, wenn sie aufgeblieben wären, denn es ist fünfzig gegen eins zu wetten, daß im nächsten Augenblick ein Mann von der Backbordwacht eiligst herbeistürzen und sein »Reeve, reeve, reveeh!« Der Ruf zum Segelreffen. zum Logis hereinbrüllen wird. –

So geht die Vormittagswacht zu Ende; sieben Glasen verkünden, daß es halb zwölf geworden ist. Die Mittagszeit ist da. Heute giebt es Rindfleisch mit Sackkuchen; gestern hatte man Erbsensuppe mit Speck, wie man das gesalzene Schweinefleisch getauft hat. Der Sackkuchen ist eine Triumphleistung des Kochs. Ganz in der Frühe schon hat er Mehl und Wasser dazu angerührt und diesen dünnflüssigen Teig in zwei aus Segeltuch genähte Beutel gegossen, die etwa die Gestalt und Größe der Zipfelmütze haben, mit der man den deutschen Michel abzubilden pflegte. Dann hat er die Beutel zugebunden und bis halb elf Uhr in der Wärme über seiner Kochmaschine aufgehängt. Dadurch haben dieselben eine äußerst pralle und feste Beschaffenheit erlangt, und in dieser Gestalt wurden sie in das brodelnde Wasser versenkt.

Anderthalbstündiges Kochen hat den Sackkuchen mundrecht gemacht; auch das Fleisch ist gar. Der Koch ergreift seine große Gabel, den »Tormenter«, fischt zuerst das Fleisch aus dem Kesseltopf und legt es in die schalenförmige hölzerne Back, darauf bringt er aus demselben Topf auch die Beutel zu Tage, die er dann sogleich in eine Balje mit kaltem Wasser wirft. Dann bindet er sie auf, streift das Segeltuch ein wenig zurück und läßt den Sackkuchen in eine andere Back fallen, was mit einem dumpfen, elastischen Aufprall geschieht. Jetzt erscheinen die Schiffsjungen – für die Backbordwacht kam Felix Sperling, der ehemalige Handlungs-Commis – und schleppen die Backen ins Logis.

Sonderlich viel Zeremonien giebt's »bei Tische« nicht, die vorhandenen wenigen Regeln und Gebräuche aber werden streng gehandhabt. Ein Tisch befindet sich im Logis nicht. Die Backen mit den Speisen stehen auf dem nassen, schlüpfrigen Boden, welchen ein Junge zuvor mit dem Schwabber notdürftig gereinigt hat. Zuerst greifen die Vollmatrosen zu, und zwar nach der Altersfolge; der Älteste schneidet vor allem ein Stück Fleisch und die Spitze eines Sackkuchens für den Mann am Ruder ab, da der Abwesende nicht für sich selbst sorgen kann; derselbe kommt übrigens immer am besten dabei fort. Sodann nimmt sich jeder nach Ermessen, sorglich bedacht, weder sich noch seine Genossen dabei zu benachteiligen.

Wer seinen Teil im Blechnapf hat, zieht sich damit auf seine Kiste zurück oder setzt sich mit herabhängenden Beinen in die Koje, oder läßt sich auf der Thürschwelle, oder wo er sonst Platz findet, nieder. Zuweilen reicht man der Mannschaft zum Sackkuchen auch ein wenig Sirup, damit ist dann aber auch die Speisekarte des Tages erschöpft. Die der ganzen Woche lautet: Rindfleisch und Speck, Sackkuchen, Erbsen, Bohnen und Graupen, Kaffee und Thee. Letzteren giebt es abends; er ist schwarz und voll von Stielen und Blättern und schmeckt wie aufgewärmte Tinte, welcher man zur Verbesserung des Wohlgeschmacks eine Handvoll Sennesblätter zugesetzt hat.

Der Leser hat Janmaats Lebensweise an Bord nun einigermaßen kennen gelernt; wir sind seinem Tageslauf bis zur Mittagsstunde gefolgt und brauchen das Gesagte nur zu wiederholen, um die Runde der zwölf Stunden voll zu machen. Die Schiffsarbeit hört um sechs Uhr abends auf; die Zeit von sechs bis acht heißt die »Hundewacht«, sie ist für Janmaat die angenehmste des ganzen Tages. –

Das übelberüchtigte Biscaische Meer ließ auch unseren »Perseus« nicht ungezaust davonkommen, das Schiff, jetzt nur ein Segler, hielt sich jedoch wacker, und so bekamen wir nach weiteren zehn Tagen die Kanarischen Inseln und auch den berühmten Kegelberg auf Tenerifa in Sicht.

Damit waren wir in das Gebiet der Passatwinde gelangt; das Wetter wurde ruhig und gleichmäßig, und die Maschinisten konnten sich daran machen, den Schaden an der Maschine auszubessern. Wir steuerten eine Zeitlang den Kurs »Südwest halb Süd«, bis wir die Kap-Verdischen Inseln erreichten und hier den Hafen von Praya anliefen. Zu unserer Überraschung erfuhren wir von der Hafenbehörde, daß vor kurzem auch der »Pelikan« hier binnen gekommen und einigen Proviant eingenommen habe. Ebenso teilte man uns als Neuigkeit mit, daß die »Medusa«, ein Dampfer, über welchen von Hamburg aus unablässig Erkundigungen eingezogen worden seien, zu Grunde gegangen sei, da man ein Boot, verschiedene Fässer, Rettungsbojen und andere Gegenstände treibend gefunden habe, die sämtlich den Namen des Fahrzeugs trugen, so daß an dem Untergang desselben nicht gezweifelt werden könne.

Wir lächelten über diese Kunde, sahen uns aber nicht veranlaßt, die Leute über die Schurkenstreiche des Kapitän Alvarado aufzuklären; der Pirat hatte seine Einkäufe auch hier mit Wechseln bezahlt, die sicherlich wieder gefälscht waren.

»Sie werden schon beizeiten dahinter kommen,« meinte der Steuermann. »Warum sollen wir die Leute schon so lange vorher um ihre Ruhe bringen?«

Als wir die Verden verlassen hatten, richtete der »Perseus« seinen Kurs auf Para an der Mündung des Amazonenstromes.

Der »Pelikan« hatte in Praya eine Reparatur an seiner Maschine gehabt, die sein Auslaufen um einige Tage verzögerte. Dieser Aufenthalt schien, wie Kapitän Dickson vernahm, dem Führer des »Pelikan« sehr unangenehm gewesen zu sein; er hatte es augenscheinlich sehr eilig gehabt und war auch in ziemlicher Überstürzung wieder in See gegangen. Ob er eine Verfolgung fürchtete, da ihm die hinter der »Medusa« angestellten Nachforschungen unmöglich verborgen geblieben sein konnten, darüber vermochten wir nur Mutmaßungen zu hegen. Der Hafenkapitän von Praya glaubte aus verschiedenen Äußerungen Alvarados entnehmen zu müssen, daß derselbe zunächst nach der Gegend des Amazonas gehen würde; Kapitän Dickson, dem dies vortrefflich in seinen Plan paßte, machte sich diesen Wink zu nutze und setzte die Jagd in der Richtung fort, die der alte Schomerus schon von Anfang an als die einzige empfohlen hatte, die einige Aussicht auf Erfolg versprach.

Der »Pelikan« hatte einen Vorsprung von vier Tagen vor dem »Perseus«.

Das Wetter war andauernd schön, das Schiff lief eine ausgezeichnete Fahrt, und wir näherten uns, jetzt in genau südwestlicher Richtung liegend, schnell und stetig dem Äquator.

An einem Sonntagmorgen, ganz in der Frühe, stand ich vorn auf der Back und schaute hinaus über das wunderbar blaue, von der soeben aufgegangenen Sonne erhellte Meer.

Auf der Fockraa lehnte der Steuermann mit dem »Kieker«, wie das Fernrohr an Bord genannt wird, vor seinem Auge.

Plötzlich rief er herab:

»An Deck da!«

Ich wendete mich um, schaute zu ihm hinauf und antwortete:

»Halloh!«

»Laufen Sie achteraus, ich ließe den Kapitän bitten, an Deck zu kommen! Aber schnell!«

Ich rannte an die Kajütskappe und rief Kapitän Dickson. Der kam in Eile die Treppe herauf gepoltert und ging nach vorn.

» Well, Lambertus, any news (was neues)?«

» Ay, ay, Ruf der Bestätigung und Bejahung, englisch, aber auch auf deutsche Schiffe übergegangen. Kapitän, ein Segel backbord voraus!«

»Wie sieht's aus?«

»Noch ist der Rumpf unter dem Horizont, aber ich sehe Rauch. Würde mich nicht wundern, wenn's der ›Pelikan‹ wäre.«

Die Neuigkeit durchflog das Schiff mit elektrischer Schnelligkeit. Die Matrosen waren bereits bei dem ersten Ruf des Steuermanns aus dem Logis gestolpert und lagen nun auf der Back oder standen an der Backbord-Regeling, das Kinn auf die Arme gelegt, und schauten nach dem fremden Segler aus. Denn am Sonntag ruht die Arbeit, soweit das Wetter dies erlaubt, und Janmaat ist, den Wachtdienst abgerechnet, Herr über sein Thun und Lassen.

So kam der Mittag heran.

Nach dem »Schaffen« (Essen) machte sich alles wieder an den Ausguck.

Kapitän Dickson stand auf der Kajütstreppe, mit dem halben Leibe über der Kappe, und lugte durch sein Teleskop.

» Well, Sir?« fragte Schomerus. »Wofür halten Sie ihn?«

»Es ist der ›Pelikan‹, beim Donner!« rief der Kapitän. »Klar das Pivotgeschütz! Der Kerl muß beidrehen!«

Das lange Drehgeschütz, welches auf der Vorluke angebracht war und zwar auf einem Gestell, welches den Lauf über die Höhe der Regeling erhob, wurde fertig gemacht, und die zur Bedienung desselben ausgewählte Mannschaft stand auf ihrem Posten.

Das fremde Schiff, ein Raddampfer mit Schonertakelung, war von dem »Perseus« bis auf Kanonenschußweite eingeholt worden.

»Auf mit der Flagge!« befahl der Kapitän.

Im Nu entfaltete sich an unserer Gaffel das Seezeichen der Freien Stadt Hamburg, die rote Flagge mit den drei weißen Türmen, während zu gleicher Zeit im Vortopp die Sterne und Streifen der Vereinigten Staaten, die Nationalität des Kapitäns bezeichnend, emporflatterten.

»Gebt ihm eine Vollkugel vor den Bug! Wir werden gleich sehen, ob er ehrlicher Leute Kind ist. Feuer!«


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