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Neuntes Kapitel.

Para. – Der »Benito«. – Was Kapitän Dickson bei dem holländischen Kaufmann erfuhr. – Auf dem Amazonenstrom. – Was wir in dem Hause des Don Hombrecillo erlebten. – Colonel Clafflin aus New-Orleans. – »Kein Mensch kann seinem Schicksal entgehen.« – Der Zweikampf auf der Insel.

 

Die Maschine konnte mit den an Bord vorhandenen Mitteln nicht wieder dienstfähig gemacht werden, die Schraube wurde daher über Wasser gehißt, und der »Perseus« setzte seinen Weg als Segelschiff fort. Dadurch verzögerte sich, bei dem meist ganz leichten Winde, unsere Fahrt so sehr, daß wir erst zehn Tage nach unserer Begegnung mit dem unglücklichen Spanier in Para eintrafen.

Die Stadt Para liegt an dem Flusse Para, einem Mündungsarm des Amazonenstromes; der Fluß gleicht hier einem Meerbusen und hat eine Breite von fast fünfzig Seemeilen. Die Stadt liegt auf dem rechten Ufer, das Land auf dem linken bildet die Insel Marajo, von der indessen, selbst von des Stromes Mitte aus, nichts zu sehen ist, da sie ganz aus flachem, sumpfigem und oft überschwemmten Boden besteht.

Ein kleiner Schleppdampfer zog uns gegen die außerordentlich starke Strömung flußaufwärts, so daß wir gegen Abend bei der Stadt zu Anker gehen konnten.

Der Steuermann hatte von dem Augenblick an, wo die Mastspitzen der zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe sichtbar wurden, die Back nicht mehr verlassen. Sein ganzes Sinnen und Trachten war auf die »Medusa« gerichtet, und eifrig musterte er durch den langen Kieker jeden Raddampfer, den sein Auge erspähte.

»Es kann ja sein,« sagte er, »daß sie um diese Zeit tausend Meilen von uns entfernt ist, es kann aber auch ebenso gut sein, daß ... bei den blonden Meisjes Holländisch für Mädchen. von Haarlem! Die ›Medusa‹ ist da! Dort liegt der blixumsche Kasten, so wahr ich Lambertus Schomerus heiße!«

Der Ruf des Steuermanns brachte alles, was Beine hatte, nach vorn; jeder wollte das Fahrzeug sehen, wo der arme Willy sich an Bord befinden mußte. Man überlegte eifrig, was zu thun sei.

Kapitän Dickson kämpfte gewaltsam seine Erregung nieder.

»Hier giebt es nur eins,« sagte er, als er mit dem Steuermann und mir auf dem Achterdeck hin und herschritt. »Sowie der Anker gefallen ist, gehe ich an Bord und trete dem Schurken Auge in Auge gegenüber. Vor allen Dingen will ich den jungen Arnold zurückholen, das andere findet sich hernach.«

»So ist's recht, Kapitän,« stimmte Lambertus bei; »zuerst muß er den Willy herausgeben, oder wir machen ihn kalt.«

Die »Medusa«, oder der »Pelikan«, oder der »Seguro«, hatte ganz nahe an Land herangeholt und lag dort so harmlos, als sei sie das respektabelste und friedlichste Fahrzeug im ganzen Hafen.

Der Lotse brachte den »Perseus« etwa eine halbe Seemeile von ihr entfernt zu Anker.

Die Segel wurden fest gemacht, das Deck wurde aufgeklart, und Johannsen, der erste Maschinist, ging mit dem Lotsen zugleich an Land, um die nötigen Schritte zu einer gründlichen Reparatur der Maschine zu thun.

Dann ließ der Kapitän das Großboot aussetzen.

»Lassen Sie acht Mann sich fertig machen, Stüermann,« sagte er; »geben Sie Säbel und Pistolen für die Leute heraus, die einstweilen unter den Duchten verstaut werden können.«

Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Was würde ich jetzt von meinem Freunde Willy zu hören bekommen?

»Darf ich mit Ihnen gehen, Kapitän?« fragte ich.

»Nein, Heinrich,« entgegnete der Schiffer. »Sie setzen mir keinen Fuß auf das verwünschte Fahrzeug. Wollte Gott, daß ich auch den jungen Arnold davon zurückgehalten hätte!«

Ich mußte mich fügen, wenn auch mit widerwilligem Herzen.

Das Großboot setzte ab und ich schaute ihm, auf der Kajütskappe sitzend, nach.

Die Stadt Para bietet vom Flusse aus einen imposanten Anblick, wozu vornehmlich die große Anzahl der stattlichen Kirchen beiträgt. Besonders hervorragende Gebäude sind das Kloster San Merced, der Palast des Präsidenten und das Theater. Der Parafluß gewährt hier einer ganz unbeschränkten Anzahl von Schiffen einen vorzüglichen Ankerplatz, und besonders zahlreich liegen hier die Dampfer, welche den Verkehr auf dem Amazonenflusse vermitteln. Der Fluß hat die Eigentümlichkeit, am Strande fortwährend neues Land anzuschwemmen, es müssen daher nicht nur die Werften und die Piers von Zeit zu Zeit weiter hinausgebaut und verlängert werden, sondern es zeigt sich hier auch die eigentümliche Thatsache, daß die Stadt sich, anstatt in das Hinterland hinein, nach dem Flusse zu ausdehnt. Die Rua da Praia, zu deutsch Strandstraße, führte vor sechzig Jahren unmittelbar am Gestade entlang; heute befinden sich zwischen ihr und dem Strande bereits drei neue, gleichlaufende Straßen.

»Nun, junger Herre,« sagte der Steuermann, der seine Unterhaltung mit dem Matrosen Klaus vorn bei dem Drehgeschütz beendet hatte und nun nach hinten auf das Achterdeck kam, »jetzt hätten wir die ›Medusa‹ also gefunden. Wenn ich nur erst den Herrn Arnold hier wieder an Bord wüßte. Ich weiß nicht, mir ist noch gar nicht so, als ob wir ihn so bald schon wiedersehen sollen.«

»Machen Sie mir das Herz nicht noch schwerer, Steuermann,« entgegnete ich. »Sehen Sie doch einmal durch den Kieker hinüber. Ich kann da keine Seele an Bord wahrnehmen.«

»Ich sehe auch niemand,« sagte Schomerus, das Glas ans Auge haltend. »Das Großboot ist schon beinahe längsseit, und noch zeigt sich keine Katze am Fallreep.«

Das sah verdächtig aus. Als das Boot jedoch anlegte, kam ein Mann am Radkasten zum Vorschein, der nach dem Begehr der Ankömmlinge fragte.

Was nun vorging, vernahmen wir erst später, es mag aber schon hier erzählt werden.

Kapitän Dickson verlangte an Bord gelassen zu werden, da er den Kapitän des Dampfers sprechen müsse.

»Hier giebt's keinen Kapitän,« erwiderte der Mann. »Ich bin der Wächter des Dampfers. Was wünschen Sie?«

Der Mann war ein Holländer und redete nur wenig englisch und noch weniger deutsch. Aus der Verhandlung mit ihm ging hervor, daß der »Benito«, wie die »Medusa« jetzt wiederum hieß, vor vier Tagen mit einer Ladung Kaffee hier binnen gekommen und sogleich, Ladung und Schiff zusammen, an eine in Para ansässige holländische Firma verkauft worden sei, und zwar für den billigen Preis von hunderttausend Thalern.

»Und wo sind der Kapitän und die Mannschaft geblieben?« fragte Dickson weiter. »Mir liegt viel daran, dies zu erfahren, da sie einen jungen Menschen geraubt und mit sich geschleppt haben, der zu meinem Schiffe gehört.«

»Ich habe wohl gemerkt, daß mit dem Volke nicht alles in Richtigkeit war,« sagte der Holländer. »Zwischen dem Kapitän und den Leuten wäre es zu Mord und Totschlag gekommen, wenn die Hafenpolizei nicht interveniert hätte. Die Leute sagten, daß der Schiffer ihnen sein Wort nicht gehalten hätte; von einem Verkauf des Fahrzeugs sei nicht die Rede gewesen, als sie anmusterten, man hätte ihnen im Gegenteil versprochen, daß sie an der Küste von Chile Kaperfahrten machen und viel Geld verdienen sollten. Und dann hieß es auch noch, daß der Kapitän ein flüchtig gewordener Verbrecher sei, den man vor den Hamburger Konsul bringen wolle, ihn und den Steuermann; ehe die Kerle aber zu einem Entschluß kommen konnten, war der Fuchs über alle Berge. Wie ich hörte, ist er an Bord eines Fahrzeugs der ›Amazonas Dampfschiffahrts-Gesellschaft‹ mit noch drei andern nach Manaos hinauf. Das kann aber auch eine Finte gewesen sein, um die Leute auf eine falsche Fährte zu bringen. Der ganze Lärm entspann sich erst, nachdem Schiff und Ladung bereits verkauft waren, sonst hätten sich die Käufer auch wohl noch besonnen.«

Kapitän Dickson durchwanderte das Schiff von hinten nach vorn und kam zu der festen Überzeugung, daß dasselbe die »Medusa« sei; er erkannte an einigen untrüglichen Merkmalen, daß es von der Schiffswerft der Firma E. W. Arnold auf Steinwärder herstamme.

Im Besitze dieser Informationen begab er sich an Land zu der holländischen Handelsfirma, die den Dampfer gekauft hatte. Er erklärte dem Chef derselben, daß das Schiff in Hamburg auf betrügerische Weise in die Hände des Kapitän Alvarado gekommen sei, und daß er, Dickson, als Bevollmächtigter des Erbauers und Eigentümers der »Medusa«, den Dampfer reklamiere.

Mynheer Adrian van Vechter, der Kaufherr, ließ sich jedoch auf nichts ein.

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen,« sagte er. »Sie suchen einen Dampfer, von dem Sie nicht einmal wissen, ob er ›Medusa‹, ›Pelikan‹ oder ›Seguro‹ heißt. Das Schiff, welches ich gekauft habe, ist der ›Benito‹, also wiederum ein ganz anderer Name. Sie sagen mir, daß der Kapitän, den Sie Alvarado nennen, den ich aber als Garillas kennen gelernt habe, ein Schwindler, Betrüger und Verbrecher sei. Ja, wie komme ich denn dazu, Ihnen alles dies zu glauben? Außerdem aber sind Sie, wie ich verstehe, hauptsächlich hinter dem Kapitän her. Nun, der ist, wie ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen kann, vorgestern stromaufwärts nach Manaos gefahren. Jetzt erinnere ich mich übrigens, auch den jungen Mann, den Sie vorhin erwähnten, in seiner Gesellschaft gesehen zu haben. Ich denke wenigstens, daß es derselbe gewesen sein wird. – Sie mögen ja recht haben, Kapitän, der Mann kann ja ein Schurke sein, ja, ich glaube dies jetzt sogar, allein, was soll ich dabei thun? Wenn Sie vor drei Tagen gekommen wären, dann läge das Ding jetzt vielleicht anders.«

»Sie haben also den armen Arnold gesehen!« rief Kapitän Dickson. »Und nach Manaos sind sie hinauf?«

»Nach Manaos. Was Garillas dort vor hat, weiß ich nicht. Außer dem jungen Deutschen war noch ein großer, rotbärtiger Mann, ebenfalls ein Deutscher, wenn ich nicht irre, sein ehemaliger Steuermann, bei ihm, und ein junger, hochgewachsener, spanischer Halbblut, den er Rufino nannte. Ich habe nicht viel gefragt. Kaffee und Schiff waren billig genug. Ich bin froh, daß ich den Dampfer habe. Sie thun mir leid, Kapitän, aber der Kauf ist vor dem niederländischen Konsul abgeschlossen und daher nicht anzufechten.«

»Also nach Manaos ist er?« wiederholte Dickson.

»Nach Manaos.«

»Und mit dem jungen Arnold?«

»Mit dem jungen Arnold, wenn das der Name des jungen Menschen ist.«

»Und mit dem Spitzbuben, dem Rufino?«

»Mit Rufino.«

»Und wann ging er ab?«

»Vorgestern Abend.«

»Mit welchem Schiff?«

»Mit dem ›Obidos‹, so sagte er wenigstens.«

»Der ›Perseus‹ wird hier gedockt und gründlich überholt werden müssen,« sagte Kapitän Dickson nach einigem Besinnen – »ich hätte mithin einige Wochen Zeit – nicht doch, ich wäre sogar gezwungen, einige Wochen hier still zu liegen. Diese Zeit aber soll nicht verloren sein. Ich will versuchen, ob ich den Schurken Garillas in Manaos fassen kann.«

»Das wird so aufs Geratewohl schwierig sein, Kapitän,« antwortete der Holländer.

»Gleichviel. Soll ich hier müßig bleiben, während er den armen Jungen Gott weiß wohin schleppt?«

»Wie Sie meinen. Ich will Ihnen einen Empfehlungsbrief an meinen Geschäftsfreund in Manaos, den Don Hombrecillo, mitgeben. Der kann Ihnen vielleicht nützen. Übrigens ist mein Trockendock frei und steht Ihnen zur Verfügung. Ich will Ihr Schiff reparieren, Sie sollen zufrieden sein. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

»Ich werde sogleich meinen Baas an Bord schicken, damit er nachsieht, wo es fehlt.« –

Nach zweistündiger Abwesenheit kehrte Kapitän Dickson mit dem Großboot zum »Perseus« zurück. Er erzählte uns, was er erfahren hatte, und fügte dann hinzu:

»Zunächst müssen wir nun Herrn Arnold einen genauen Bericht schicken und ihm mitteilen, daß wir die ›Medusa‹ gefunden haben und was aus dem Schiffe geworden ist. Von Willy erwähne ich, daß er lebt und gesund ist, sonst aber kein Wort. Wozu auch? Soll ich dem Vater das Herz vor der Zeit schwer machen? Wenn das Glück gut ist, dann haben wir den Jungen befreit, ehe der Brief in Hamburg ist, und dann mag er selber sein Abenteuer schreiben.«

Darauf teilte er uns seinen Plan mit, nach Manaos zu gehen und dort die Spur Alvarados aufzusuchen. Lambertus Schomerus, meine Wenigkeit und der Matrose Klaus sollten ihn begleiten, während das Schiff ins Dock geholt und repariert wurde. Die Aufsicht und das Kommando an Bord sollte in der Zeit unserer Abwesenheit Johannsen, der erste Maschinist, übernehmen.

Die aufwärts gehenden Flußdampfer pflegen in der Regel um Mitternacht von Para abzufahren, um die Bay von Marajo noch am Vormittag des folgenden Tages passieren zu können, da die gleich nach der Mittagszeit einsetzenden Passatwinde die Fahrt für die mit sehr hohen Deckhäusern versehenen Dampfer sonst zu einer schwierigen und gefährlichen machen würden.

Wir behielten daher noch einen ganzen Tag für unsere Vorbereitungen, die darin bestanden, uns mit leichten Kleidern, Hüten und Schuhen zu versehen, da unsere Hamburger Garderobe uns in diesem tropischen Klima zu lästig geworden wäre. Der Steuermann und der Matrose Klaus verwendeten ganz besondere Sorgfalt darauf, sich als echte Sennores herauszustaffieren, und da die Mittel des ersteren ihm dies erlaubten, Klaus aber von des Kapitäns Geldbeutel einen uneingeschränkten Gebrauch machen durfte, so wurde es schwer, in den beiden modisch gekleideten Herren, die am nächsten Mittag an Bord kamen und sich uns unter grotesken Verbeugungen vorstellten, unsere alten Schiffsgenossen Lambertus Schomerus und Klaus Klaussen zu erkennen. Besonders der letztere hatte sich durch den Wegfall seines gewaltigen, struppigen Bartes so sehr verändert, daß ich ihn, als er in dem seine hagere Gestalt eng umschließenden graugelben Anzuge, mit der roten Kravatte und dem eleganten breitrandigen Palmenhut vor mir stand, im ersten Augenblick für einen der spanischen Schiffsmakler hielt, mit denen der Kapitän zu thun hatte.

Um zwölf Uhr nachts gingen wir an Bord des Flußdampfers, der zu meiner Verwunderung ein gut Teil größer war, als unser Seedampfer, der »Perseus«. Die ungeheure Breite des Flußarmes, der den Namen Para führt, und die Leuchttürme, die in der Nacht vom Ufer und von den Inseln ihren Feuerschein in die Weite senden, ließen denselben in der Finsternis wie ein Meer erscheinen.

Am ersten Tage passierten wir die kleinen Ortschaften Boa Vista und Corralhina, deren weiße Häuser und Kirchen gar freundlich zu uns herüber blickten. Dann kamen am zweiten Tage die Ortschaften Breves, Parainha und Gurupa; wir befanden uns nunmehr auf dem eigentlichen Amazonenstrom und erreichten am dritten Tage Montalegre und die weiten Pampas, auf denen unzählige Rinderherden gezüchtet werden.

Die Inseln und die Ufer des unteren Amazonenstroms sind bis in das Wasser hinein mit einer so dichten Vegetation bedeckt, daß sie für kein anderes Geschöpf als den Tapir, hier Anta genannt, passierbar sind. Ein dichter Urwald bedeckt allenthalben das Land, durchwoben von Lianen und üppigen Sumpfgewächsen, die die Räume zwischen den riesigen Stämmen undurchdringlich machen.

In den Klärungen und Lichtungen des unermeßlichen Waldgebietes aber hausen die Gummisammler, teils Portugiesen, teils Neger oder Mulatten, die hier das kostbare Harz aus den Gummibäumen zapfen und nach Para schaffen, der Stadt, die wegen ihres Gummihandels berühmt ist. Die Hütten dieser Leute stehen auf Pfählen hoch über dem sumpfigen Boden, um gegen die Überschwemmungen geschützt zu sein, die hier oft eintreten, wenn im Flusse Hochwasser ist. Die Atmosphäre in dieser feuchten, grünen Wildnis ist so ungesund, daß die Bewohner derselben sehr vom Fieber zu leiden haben.

Die »Fazendas de Ganado« oder Viehtriften, in den Pampas sind die Haupterwerbsquellen der am Flusse liegenden Ortschaften und daher äußerst wertvoll, besonders diejenigen, welche sich über hügeligen Boden erstrecken, da die zahllosen Rinderherden hier bei den Überschwemmungen auf den Anhöhen Zuflucht finden können.

Am vierten Tage der Reise lief der Dampfer die Stadt Santarem an, unweit der Mündung des Tapajoz in den Amazonenstrom gelegen. Der Tapajoz ist ein mächtiger Fluß voll schönen, dunklen Wassers, welches seltsam gegen die weißlichen Fluten des Amazonas absticht.

Eine weitere Tagesfahrt brachte uns nach Obidos, der größten der bisher passierten Städte. Dieselbe liegt über hundert deutsche Meilen vom Meere entfernt, dennoch aber ist der Wechsel von Ebbe und Flut hier noch bemerkbar; die Wasserhöhe verändert sich dabei um etwa zwei Fuß, während in Para der Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Wasserstand nicht weniger als zwanzig Fuß beträgt.

Obidos ist bekannt als ein Hauptstapelplatz für »Charqui«, oder gedörrtes Fleisch. Charqui wird bereitet, indem man das frische Rindfleisch in große und breite Lappen, »Mantas« oder Decken genannt, schneidet, dieselben mit Salz einreibt und dann an der Luft trocknet. Hierauf werden sie in Bündel zusammengerollt, mit Lianen umwunden, und nun sind sie fertig zum Verkauf. Solch ein Bündel wiegt gegen dreißig Pfund. Charqui bildete in der Folge unsere Hauptnahrung; ich gewöhnte mich schwer an diese eigentümliche Kost, war dann aber oft recht froh, wenn ich sie hatte.

Der sechste Tag brachte uns an Villa Bella vorüber und nach Serpa; wir hatten die Provinz Para nunmehr hinter uns und befanden uns in der Provinz Amazonas.

Am siebenten Tage vormittags langten wir in Manaos, der Hauptstadt der letztgenannten Provinz, an. Dieselbe liegt am Rio Negro, fast unmittelbar an der Mündung dieses gewaltigen Nebenflusses des Amazonenstromes.

Kapitän Dickson machte sich hier ohne Verzug daran, Erkundigungen über den Verbleib Alvarados einzuziehen und suchte zu diesem Zweck zunächst den Don Hombrecillo auf, an welchen er ein Empfehlungsschreiben des Herrn van Vechter in der Tasche trug. Schomerus, Klaus und meine Wenigkeit begaben sich inzwischen in das Madeira-Hotel, welches das Eigentum eines Hamburgers war. Hier erfuhren wir, daß die Deutschen nicht nur in der Stadt, sondern auch in der ganzen Provinz in hohem Ansehen standen; erst vor kurzem hatte die Regierung eine Anzahl Zimmerleute, Maurer und Schmiede aus Hamburg herüberkommen lassen, damit dieselben den eingebornen Handwerkern als Lehrer dienten.

Um die Mittagszeit kehrte der Kapitän zurück mit der Nachricht, daß Garillas-Alvarado zwei Tage vor unserer Ankunft in Manaos sich von hier aus in einem großen Boote nach San Antonio am Madeira-Flusse aufgemacht habe. Don Ricardo Hombrecillo, auf dessen Bootswerft der Gauner das Fahrzeug und dessen Ausrüstung gekauft hatte, diesmal gegen bare Bezahlung, hatte ihm diese Neuigkeit mitgeteilt. Garillas Expedition bestand, außer ihm selber und der indianischen Bootsmannschaft, noch aus drei andern, zwei Weißen und einem Halbblut; Willy Arnold also war noch immer in seiner Gewalt.

Es wurde beschlossen, den Banditen so schnell als möglich zu folgen und zwar in einem der kleinen Dampfer, welche hier in Manaos speziell für die Beschiffung des Madeira gebaut werden. Don Hombrecillo wollte uns zu einem solchen verhelfen, zunächst aber hatte er uns alle zur Mittagstafel, die um sechs Uhr abends stattfand, in sein Haus geladen.

Die weiße Bevölkerung von Manaos, zumeist aus Portugiesen bestehend, ist außerordentlich gastfrei und dabei gegen jeden anständigen Fremden von einer geradezu vertraulichen Liebenswürdigkeit.

Lambertus und Klaus, die beiden alten Teerjacken, machten mit peinlicher Sorgfalt Toilette, und dann begaben wir uns auf den Weg.

Manaos ist eine kleine aber sehr reinliche und gut gebaute Stadt von ungefähr 5000 Einwohnern. Wir trafen auf unserem Wege einen Obelisk, der zur Erinnerung an die Freigabe des Verkehrs auf dem Amazonenstrom für alle Nationen errichtet worden ist, ein Ereignis, welches im Jahre 1867 auf Befehl des Kaisers von Brasilien stattfand.

Die schwarze Farbe des Wassers des Rio Negro soll von einer Baumart herrühren, die an seinen Ufern wächst und dem Wasser einen Tanningehalt mitteilt; auch hält man dies für die Ursache davon, daß in der Nähe dieses Flusses weder Moskitos noch andere jener blutdürstigen Insektenarten zu finden sind, die den Aufenthalt in den übrigen Landstrichen Brasiliens oft zu einem so unleidlichen machen.

Don Hombrecillos Haus war ein großes Backsteingebäude mit weißem Kalkanstrich. Vor den Fenstern des ersten Stockwerks zog sich eine breite hölzerne Veranda rings um das Haus, das untere Stockwerk diente als Lagerraum für Charqui, Felle, Zucker, Kaffee und eine große Menge anderer Handelsartikel.

Der Hausherr, ein kleines, dünnes Männchen in weißem Leinenanzug, feiner Wäsche und mit einer funkelnden Diamantnadel in der seidenen Kravatte, empfing uns mit großer Freundlichkeit am Fuße der breiten, in das erste Stockwerk führenden Treppe und führte uns in ein weitläufiges, dunkles, kühles Gemach, welches mit gebrannten Thonfliesen getäfelt war. Hier standen allenthalben Lehnstühle in den verschiedensten Formen und Größen umher, ein mächtiger, unförmlicher Tisch nahm die Mitte des Zimmers ein, und an der einen Wand stand ein wurmstichiges, lederbezogenes Sopha. Auf dem Fußboden lag und spielte ein halbes Dutzend fast gänzlich unbekleideter Kinder, beaufsichtigt von zwei Negerinnen, die an der Thür des dem Eingang gegenüber liegenden Zimmers kauerten.

Unmittelbar nach unserem Eintritt erschien die Hausherrin in dem Gemach, eine kleine Dame in einem altmodischen, schwarzseidenen Kleide.

Ich muß hier erwähnen, daß keiner von uns genügend portugiesisch oder spanisch, die Umgangssprachen in diesen Gebieten, verstand, Klaus Klaussen ausgenommen, der diese Sprachen ganz erträglich radebrechte und uns daher zum Dolmetscher dienen mußte. Don Hombrecillo redete ein wenig deutsch und ein wenig holländisch, seine Frau dagegen nur ihre Muttersprache.

Don Ricardo stellte uns seiner Gemahlin vor.

»Mein Freund, der Kapitän Dickson.«

Kapitän Dickson verbeugte sich.

»Mein Freund, Don Enriko Lubau.«

Don Enriko Lubau verneigte sich gleichfalls.

»Mein Freund, Don Lamberto.«

Don Lamberto machte einen Kratzfuß und sagte: » Mucho, mucho,« das einzige portugiesische Wort in seinem Lexikon. Dasselbe heißt zu deutsch »sehr« oder »viel«, und der alte Bertus wollte, als höflicher Mann, damit ausdrücken, daß er die Ehre, die Dame kennen zu lernen, »sehr« zu schätzen wisse.

Nachdem noch Klaus als Don Claudio vorgestellt worden war, geleitete uns Don Ricardo in eine Art von Halle, in welcher die Tafel gedeckt stand. Wir setzten uns nieder, nachdem wir noch einige, bereits hier anwesende Gäste begrüßt hatten, und warteten der Dinge, die da kommen sollten, denn auf dem Tischtuch befand sich, außer den Messern, Gabeln und Löffeln, noch nichts. Die Gesellschaft bestand aus Don Hombrecillo, Donna Hombrecillo, einem Bruder der Dame, zwei halbblütigen jungen Männern aus Don Hombrecillos Kontor, und drei jungen Sennoras.

Lambertus Schomerus hatte seinen Platz neben der freundlichen Wirtin erhalten; als dieselbe gewahrte, daß er kein Wort von der allgemeinen Unterhaltung verstand, sah sie sich veranlaßt, eine längere Ansprache an ihn zu halten, bei welcher der gute Steuermann in ganz gewaltsamer Weise sein einziges Auge verdrehte, um einiges Verständnis zu heucheln, obgleich ihm der fremdartigen Laute Sinn vollständig dunkel blieb. In angemessenen Zwischenräumen aber brachte er laut und eifrig sein » mucho, mucho« an, und so schienen die beiden ganz prächtig mit einander auszukommen.

» Trae la comida – bringt das Essen herein!« rief jetzt der Hausherr, und sogleich erschienen vier schwarze Dienerinnen, von denen die eine eine Schüssel voll Reis mit Huhn und Zwiebeln, die zweite ein Gemisch von Rindfleisch, Geflügel und Fisch, stark gewürzt mit Knoblauch, die dritte Charqui, in Streifen geschnitten und in »Seba«, oder Fett, schwimmend, die vierte aber einen großen Napf voll von jenem unbeschreiblichen Gerichte, von dem ich im Don Quixote unter dem Namen » Olla potrida« gelesen, hereinbrachte. Die schwarzen Mädchen trugen die Speisen um die Tafel herum, und jeder nahm sich von dem, was ihm am meisten Vertrauen erweckte. Sodann wurden die Schüsseln auf den Tisch gestellt, und nunmehr brachten die Dienerinnen auf silbernen Schalen Weißbrot herbei, welches, wie dicke Tauenden, aus drei Kardehlen zusammengedreht war, dazu geröstete Yams, zierlich in Bananenblätter gewickelt.

Zu trinken gab es bei Tische nichts als schönes, klares Wasser, womit ich sehr zufrieden war, obgleich Don Claudio verschiedentlich suchende und fragende Blicke umherschweifen ließ und auch Don Lamberto einen unendlich komischen Blick auf sein Wasserglas heftete, welches Sennora Hombrecillo ihm mit liebenswürdiger Zuvorkommenheit immer von neuem füllte.

Gegen das Ende der Tafel, gegen acht Uhr, aber erschienen auf Don Ricardos Wink die schwarzen Mädchen noch einmal und stellten neben jeden Gast eine langhalsige Karaffe mit Rotwein; Don Lamberto begrüßte diese Überraschung mit seinem stets bereiten » mucho, mucho« worüber die Damen herzlich lachten, und unter lebhaftester Unterhaltung blieb die Gesellschaft noch bis nach zehn Uhr beisammen, um welche Zeit die weiblichen Teilnehmer, die beiden jungen Kaufleute und der Bruder der Sennora sich höflichst empfahlen.

Kapitän Dickson hatte dem Drängen des gastfreundlichen Don Ricardo nachgegeben und darin eingewilligt, daß wir alle vier auch noch zur Nacht unter dem Dache desselben blieben.

Gegen halb elf Uhr erschienen drei Negerinnen in der Speisehalle, jede mit einem »Quatre«, einem zerlegbaren hölzernen Bettgestell von eigentümlicher Form, in den Händen. Dasselbe glich ungefähr einem Tisch, dessen Beine durch Latten kreuzweis verbunden sind und der als Platte eine ausgespannte Leinwand trägt.

Die schwarzen Mägde schlugen die Betten dicht neben dem Tische auf, und der Steuermann beobachtete sie dabei mit unverhohlenem Erstaunen.

»Du, Klaus,« sagte er endlich zu seinem alten Schiffsmaaten, »sollst du auf die vierbeinige Hangmatte da zu liegen kommen?«

»Ja, Stüermann,« entgegnete jener, »das wird wohl nicht anders werden, und ich kann Ihnen soviel sagen, daß ich schon schlechter gelegen habe.«

Nachdem die Betten aufgestellt waren, machten die schwarzen Fräuleins sich an das Abräumen des Tisches, indem sie, ohne lange zu fragen, die Karaffen nebst den Gläsern forttrugen.

»Halloh!« rief Kapitän Dickson mit einem verwunderten Blick auf Don Ricardo. Der aber sagte gar nichts, sondern stand auf, schleppte seinen Stuhl bis an die Thür, die in ein dunkles Nebenzimmer führte und begann hier ganz kaltblütig Stück für Stück seiner Kleidung abzulegen und auf den Stuhl zu packen.

»So was hab' ich noch nicht erlebt!« sagte Lambertus Schomerus. »Am Lande passieren doch noch tollere Sachen, als auf See! Na, das soll ja wohl ländlich sittlich sein. Ein kurioses Volk, diese Dons.«

Der Hausherr schien für unsere Verwunderung kein Verständnis zu haben, er entkleidete sich ruhig bis auf sein kurzes Hemd, machte uns dann eine höfliche Verbeugung, wünschte uns eine gute Nacht, drehte sich um und verschwand durch die Thür.

Die schwarzen Mägde hatten inzwischen den Tisch abgeräumt und legten nun eine Matratze von gelbem Leder und ein ebensolches Kopfkissen darauf. Nachdem sie noch eine weiße Leinendecke hinzugefügt, verließen sie mit einem » buenos noches – gute Nacht – Sennores«, den Raum.

Der alte Steuermann hatte ganz starr vor Erstaunen gesessen und sein weit geöffnetes Auge keinen Augenblick von dem Hantieren der Negerinnen verwendet; Kapitän Dickson aber, ebenso wie ich und Klaus, folgten dem Beispiel des Don Ricardo und lagen gleich darauf auf unseren »Quatres«, während Lambertus noch immer regungslos vor der gelben Matratze saß.

»Nun, Bertus, worauf warten Sie noch?« fragte der Kapitän. »Wir müssen hier mit den Wölfen heulen und in Manaos thun, als ob wir in Manaos zu Hause wären.«

»Das sagen Sie wohl, Kapitän,« entgegnete der Steuermann mürrisch. »Haben Sie aber schon mal gehört, daß ein christlicher Seemann auf 'nem Eßtisch zur Koje gegangen ist? Soll ich mich vielleicht hier wie ein gebratener Schweinsfisch servieren lassen? Nun, meinetwegen, mir soll's recht sein, wenn's denn nicht anders ist.«

Damit warf er seine Oberkleider ab, setzte die weiße Zipfelmütze auf, die für jeden von uns zurechtgelegt war, und streckte sich der Länge nach auf dem Tische aus. Ich löschte die Lichter und überließ mich dann gleichfalls dem Schlafe.

Es mochte gegen Mitternacht sein, als ich mit einem großen Schrecken wieder erwachte. Lambertus war von seinem Tische herab auf mein »Quatre« gerollt, dasselbe war unter uns beiden zusammengebrochen und nun wälzten wir uns in dem Getrümmer und in dichter Finsternis auf den Dielen.

»Mord!« schrie der Steuermann. »Hilfe! Mörder! Ein Skorpion ist von der Decke gefallen, mir gerade ins Maul, und dann hat er mich in die Nase gestochen! Mord! Kapitän Dickson – ist denn kein Doktor da? – Klaus, zu Hilfe! Heinrich, mein Heinz – so wachen Sie doch auf!«

Als ob ich noch geschlafen hätte!

Durch des Steuermanns Gebrüll und durch das Krachen des zersplitterten Quatre hörte ich, wie Don Ricardo im Nebengemach einige Stühle über den Haufen rannte und Streichhölzchen anriß, um Licht zu machen. Gleich darauf erschien er mit einer brennenden Kerze, und hinter ihm lugte die Sennora in einem weißen Gewande zur Thür herein.

» Ave Maria, purissima!« rief die Dame. »Was geht hier vor? Wo ist el Sennor Lamberto

» Mucho, mucho!« schrie der Steuermann unter dem Tische hervor. »Holt den Doktor, gute Leute, ich sterbe, ich bin tot und sprachlos! Hilfe! Hilfe!«

» Dios guardo usted – Gott schütze uns!« lamentierte Don Ricardo. »Was ist dem Manne geschehen?«

Er richtete diese Frage an Kapitän Dickson, der, noch schlaftrunken, aber wie ein ragender Leuchtturm hoch aufrecht auf seinem knackenden Quatre stand und sich die Augen rieb.

»Klaus, so sag's ihm doch,« zeterte Lambertus unter dem Tische. »Du redest ja die verdammte Sprache! Sag' ihm, daß ein Skorpion von der Decke gefallen ist und mich in die Nase gestochen hat. O, das blixumsche Beest! Wäre ich doch niemals an Land gekommen!«

Klaus war soeben erst aus einem sehr gesunden Schlafe erwacht und hatte seine Sinne noch nicht vollständig wieder gesammelt. Außerdem sollte er so ohne weiteres spanisch reden, eine Aufgabe, die ihm selbst am hellen Tage gar nicht so leicht wurde, und so war es wohl zu entschuldigen, wenn er in diesem Wirrwarr über einige Vokabeln stolperte. Ein Skorpion heißt auf spanisch Alacran, ein Alligator aber Cayman; die Worte haben nicht viel Ähnlichkeit mit einander, bei beiden aber liegt der Ton auf den Endsilben. Daher kam es, daß Klaus sie in der Eile verwechselte.

»Don Lamberto sagt,« so begann er in seinem miserablen Spanisch, »daß er einen Alligator verschluckt habe, oder so was Ähnliches.«

»Was? Was hat er verschluckt?« rief Hombrecillo in großem Erstaunen.

»Nicht doch,« brummte Klaus, noch immer halb im Schlaf, »nicht doch – ein Alligator hat ihn gestochen.«

»Ein Alligator hat ihn gestochen? Unmöglich!«

»Ja, dann kann ich mir nicht helfen,« sagte Klaus hartnäckig, »wenn ihn keiner gestochen hat, dann hat er einen verschluckt, eins von beiden ist passiert. Ein Alligator hat unseren armen Steuermann entweder gestochen oder aber verschlungen – so, nun sehen Sie zu, was Sie damit anfangen können, Don Hombrecillo.«

»Das ist ja aber Unsinn, mit Respekt zu sagen,« erwiderte unser Gastfreund. »Wie kann Don Lamberto einen Alligator verschlucken, und andrerseits, wie sollte ein Alligator vom Flusse hier hereinkommen und sich mit Don Lamberto Ungehörigkeiten erlauben?«

»Ach was,« knurrte Klaus unwirsch. »Das ist seine Sache! Mögen der Steuermann und der Alligator das unter sich abmachen! Ich bin müde. Ich habe blos verdolmetscht, was Lambertus mir gesagt hat – und – und –«

Seine Rede endigte in einem lauten Schnarchen; er war auf seinem Quatre wieder eingeschlafen.

»Hilfe! Mord!« begann der Steuermann sein Geschrei von neuem. »Helft mir doch, gute Leute, meine Nase wird sonst so groß wie dem Koch seine Erbsenkessel! Hilfe! Mord! Feuer!«

Wir zogen jetzt unseren Genossen unter dem Tische hervor, und wahrlich, solch' eine Nase habe ich in meinem Leben nicht wieder gesehen!

Des Steuermanns Riechorgan mußte sonst, im Gegensatz zu seinem außerordentlichen Sehwerkzeug, zu den kleinsten seiner Art gerechnet werden, jetzt aber war es zur Größe einer Faust angeschwollen und dunkelrot. Denn ein Skorpion hatte den Ärmsten thatsächlich gestochen, und noch dazu ein recht bösartiger.

Don Hombrecillo und seine Frau bereiteten sogleich einen Umschlag aus zerquetschtem Kürbis und Rizinusöl, und zwar brachten sie eine ganze Schüssel voll von dem dünnen Brei zur Stelle.

Kapitän Dickson übernahm den Samariterdienst, und ich leistete ihm dabei hilfreiche Hand.

Lambertus mußte sich wieder auf seine Matratze legen, und der Kapitän packte ihm mit einem großen Schöpflöffel den Brei aufs Gesicht, wobei nicht zu vermeiden war, daß dem Patienten auch eine Quantität davon in den Mund geriet.

»Kürbis – puh – und Rizinusöl – pfui Deubel! – Kapitän – puh – Mann, ich ersticke – Hilfe!« gurgelte und sprudelte der Steuermann.

»Dem wollen wir abhelfen,« sagte Don Ricardo. Damit lief er hinaus und kam gleich darauf mit einem Endchen hohlen Rohrs zurück, welches er dem Don Lamberto zwischen die fest zugekniffenen Lippen schob.

Der Gedanke war gut. Unser Freund konnte nun atmen, ohne den Mund öffnen zu müssen, und nach einer Weile schlief er ruhig wieder ein, den Brei auf dem Gesicht, wie jemand, von dessen Antlitz man eine Gipsmaske abnehmen will.

»Da liegt er und pfeift durch seinen künstlichen Schnabel, wie eine kranke Schnepfe,« sagte der Kapitän lächelnd und sich wieder auf sein Lager streckend.

Der Rest der Nacht verlief ohne weitere Störung. Am Morgen zeigte sich die Nase des guten Lambertus zwar noch immer geschwollen, allein die Wirkung des Skorpiongiftes war durch Don Ricardos Hausmittel, welches übrigens allenthalben in den Tropen im Gebrauch ist, beseitigt worden.

Schon ganz in der Frühe geleitete uns Don Hombrecillo nach seiner Werft. Kapitän Dickson hatte hier sehr bald unter den vorhandenen drei kleinen Dampfern seine Wahl getroffen, die Warenlager des Gastfreundes lieferten die uns nötige Ausrüstung an Kleidern, Waffen und Mundvorräten, und so hatten wir uns schon im Laufe des Vormittages an Bord des »Mosquito«, eines Fahrzeugs von kaum vierzig Fuß Länge und sechs Fuß Tiefgang, für die Reise eingerichtet. Wir brannten darauf, die Fahrt anzutreten, da aber Don Hombrecillo uns die nötige Mannschaft vor dem Abend nicht zu stellen vermochte, mußten wir uns bis dahin gedulden.

Mißgestimmt über diese Verzögerung schleuderten wir, Kapitän Dickson und ich, durch die im Sonnenbrande liegenden Straßen nach dem Madeira-Hotel.

Das hohe und weite Gastzimmer war dunkel, luftig und kühl. In einer entfernten Ecke saßen zwei Männer in rohrgeflochtenen Lehnstühlen an einem kleinen Tische und tranken Eiswasser. In der Dunkelheit war nur wenig von ihnen zu erkennen, aus den spärlichen Worten aber, die von ihrer Unterhaltung ab und zu an unser Ohr drangen, konnten wir entnehmen, daß sie englisch mit einander redeten.

Kapitän Dickson ging quer durch das Zimmer auf das Büffet zu, welches sich an derselben Wand befand, an der die Männer saßen.

Während er mit der elegant gekleideten Mulattin redete, die ihren Platz inmitten der dort aufgestellten Flaschen und Gläser hinter dem Schenktische hatte, unterbrachen die beiden Gäste ihre Unterhaltung, und der eine von ihnen erhob sich schnell und trat an den Kapitän heran.

»Mr. Dickson, wenn ich nicht irre,« sagte er mit einer Stimme, die gedehnt und eigentümlich, keineswegs aber angenehm klang, so daß ich mich unwillkürlich meinem Kapitän näherte.

» Yes, Sir, Kapitän Dickson, der bin ich,« antwortete der Gefragte nachlässig, den Fremden leicht über die Schulter ansehend. Plötzlich aber schien er denselben zu erkennen.

»Ah,« sagte er kühl, »Sie sind's, Mr. – Mr. – ja, wie war doch gleich Ihr Name?«

»Merkwürdig, daß Sie meinen Namen nicht mehr wissen,« entgegnete der andere finster und höhnisch. »Ich bin der Colonel Clafflin aus New-Orleans – der Colonel Clafflin – erinnern Sie sich jetzt?«

Der Colonel war ein Mann von hoher Gestalt und aristokratischer Erscheinung; er trug einen Anzug von weißer Bastseide, sein Gesicht war von einem glänzend schwarzen Barte umrahmt und von gleicher Farbe waren die sorgfältig gepflegten Haare, welche sich unterhalb seines kahlen Schädels vom Genick aus bis an die Schläfen legten. Auf einem Seitentischchen lag sein kostbarer Panama-Hut und ein Stockdegen mit goldenem Knauf.

»Colonel Clafflin, ganz recht,« sagte Kapitän Dickson eisig, indem er einen Schritt zurücktrat. »Sie hier? Aber ich verstehe. In den Vereinigten Staaten hat der Handel mit Menschenfleisch aufgehört, in dem allerchristlichsten Brasilien aber noch nicht. – Master Lubau,« wendete sich der Kapitän jetzt an mich, »Sie haben ja wohl noch keinen Sklavenhändler gesehen, ich stelle Ihnen hier einen solchen in dem Colonel Clafflin aus New-Orleans vor.«

»Der Sklavenhandel ist ein Handel wie jeder andere, daher beleidigen mich diese Ihre Worte nicht,« entgegnete der Colonel vornehm. »Immerhin mögen sie mit auf das alte Kerbholz kommen. Auf das alte Kerbholz, Kapitän Dickson,« wiederholte er mit drohendem Nachdruck, während sein dunkles Auge haßerfüllt und triumphierend aufleuchtete. »Sie haben mich vor sieben Jahren tödlich beleidigt, als Sie mich hinter meinem Rücken auf das nichtswürdigste verleumdeten. Wir dienten damals zusammen in der Armee, wie Sie sich erinnern werden. Es war in Galveston. Major Smith erzählte mir alles, aber leider zu spät. Sie waren wieder zur See gegangen und für mich unerreichbar. Jetzt treffe ich Sie hier in Manaos, am Rio Negro. Kein Mensch kann seinem Schicksal entgehen, auch Sie sollen's nicht. Sie sind ein Verleumder, ein ehrloser Schurke! Hören Sie dies?«

Er erhob seine Stimme und wiederholte diese beschimpfenden Worte noch einmal, so daß sie das Haus durchschallten. Schwarze und braune Bedienstete zeigten ihre neugierigen Gesichter in den Thüren. Kapitän Dickson stand totenbleich; kein Wort kam über seine Lippen. Ich schaute ihn ängstlich an.

»Sie werden sich mit mir schlagen,« fuhr der Colonel fort, und jedes seiner Worte fiel mir wie erkältendes Blei auf das Herz. »Und gleich heute. Gleich jetzt. Sie könnten mir sonst wieder entwischen.«

Er schwieg und betrachtete den Kapitän erwartungsvoll und mit hochmütigen, rachedürstenden Blicken.

Der aber stand noch lange wie betäubt. Endlich raffte er sich zusammen, als schüttele er einen wüsten Traum von sich ab.

»Ich kann mich nicht mit Ihnen schlagen, Colonel,« sagte er heiser und verstört. »Wenigstens jetzt nicht. Meinetwegen später, aber jetzt nicht. Eine heilige Pflicht lastet auf mir, der mein Leben gehört. Ich habe einem Vater seinen Sohn wiederzugeben. Ehe dies nicht geschehen, darf ich mich mit Ihnen nicht schlagen.«

Er wischte sich den Schweiß von der bleichen Stirn.

»Und warum soll ich mich mit Ihnen schlagen?« fuhr er fort. »Ich kenne Sie kaum. Sie sagen, daß ich Sie vor sieben Jahren verleumdet hätte. Davon weiß ich nichts, so wahr Gott lebt! – Was soll das alles? Warum fallen Sie mich hier an?«

Sein Gesicht rötete sich, seine Augen blitzten, und schnaubend vor Zorn trat er jetzt dicht an den Colonel heran, der unbeweglich, wie eine Statue, vor ihm stand.

»Wie kommen Sie dazu, mit mir Händel zu suchen?« schrie er. »Sind Sie vielleicht ein Verbündeter des Spitzbuben Garillas? Ich habe Sie nie verleumdet, das ist eine Lüge! Ich wiederhole Ihnen, ich bin weder Herr meiner Zeit, noch meines Lebens! Lassen Sie mich ungeschoren, Mensch, sonst vergesse ich mich und schlage Sie zu Boden, wie es einem solchen Raufbold gebührt, der harmlose Leute nicht ungehindert ihres Weges ziehen lassen will.«

»Wenn Sie ein Mann von Ehre und Mut wären,« entgegnete der Colonel, »so würden Sie meiner Forderung nicht ausweichen. Aber Sie sind ein Poltron und ein Feigling!«

Er trat einen Schritt zurück, griff nach seinem Stockdegen, zog denselben blitzschnell aus der Rohrscheide und richtete die dünne, blitzende Klinge auf den Kapitän.

»Sie sind ein Poltron und ein Feigling!« wiederholte er mit schallender Stimme, als er sich durch die Waffe gedeckt wußte.

Die Mulattin hinter dem Schenktische kreischte entsetzt auf und schlug die Hände zusammen.

Der Kapitän wurde totenbleich.

»Es ist gut, Colonel Clafflin,« sagte er kalt, »Sie sollen Ihren Willen haben. Ich werde mich mit Ihnen schlagen, und zwar gleich! Master Lubau, Gott und Sie sind meine Zeugen, daß ich nicht anders konnte! Wie, oder habe ich unrecht?«

Ich blickte ihn an. Sein ehrliches, männliches Gesicht erschien mir ganz verändert. Die Thränen traten mir in die Augen. Was sollte ich erwidern? Hatte er recht? Hatte er unrecht?

Der Colonel war an seinen Tisch zurückgetreten und redete leise mit seinem Gefährten. Dann wendete er sich wieder an den Kapitän.

»Ich nehme an, daß Sie mit mir einverstanden sind, so wenig Aufsehen als möglich zu erregen,« sagte er höflich. »Jetzt ist es zwei Uhr mittags. Um vier Uhr können Sie Ihre Vorbereitungen beendet haben.« Er sah den Kapitän fragend an; derselbe nickte schweigend. »Sehr gut, dann möchte ich Sie bitten, sich um vier Uhr drüben auf der Insel im Flusse, und zwar auf der westlichen Spitze derselben, einzufinden. Dieser Herr hier, Mr. Clinch aus Baltimore, wird mein Zeuge sein. Mit Pistolen kann ich Ihnen dienen, wenn Sie nicht etwa vorziehen sollten, die Ihren mitzubringen. Inzwischen habe ich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen, Kapitän Dickson.«

Der Colonel und sein Zeuge verließen das Gastzimmer.

»Heinrich,« sagte der Kapitän, seine Hand schwer auf meine Schulter legend und dann auf einen Stuhl sinkend. »Heinrich, wer hätte das vor einer halben Stunde gedacht! Gott im Himmel, ist es denn möglich? Wie ist es denn alles gekommen? Wer hätte jemals an diesen Clafflin gedacht? Wie kommt der Mensch hierher? Was will er von mir? Vor sieben Jahren soll ich ihn verleumdet haben, ich, dem jegliche Verleumdung fremd ist! Vor sieben Jahren! Gott, wie seltsam, wie fürchterlich seltsam ist das Leben! ... Aber es muß sein ... Der arme Willy Arnold! Ich muß an Bord, Heinrich, und dem Steuermann Bescheid sagen.«

Kapitän Dickson eilte hinaus, und ich blieb allein zurück. Noch nie war mir das Herz so beklommen gewesen. Wenn der Kapitän nun auf dem Platze blieb? Ich wagte den Gedanken nicht auszudenken.

Die Mulattin kam hinter dem Schenktische hervor und bestürmte mich mit Fragen, von denen ich keine einzige verstand. Dasselbe thaten die Aufwärter, die mich in allen Farben, vom dunkelsten Schwarz bis zum hellsten Safrangelb, umringten. Das wurde mir zuviel.

Ich ging hinunter zum Flusse und ließ mich von einem indianischen Bootsmann nach der Insel hinüber rudern. Der Fluß ist sehr breit und die Strömung geht stark; es dauerte eine gute halbe Stunde, ehe das Boot drüben anlegte.

Das westliche Ende der Insel ist das flußaufwärts gelegene. Ich hatte von der Landungsstelle bis dorthin noch eine viertel deutsche Meile zurückzulegen.

Dichter, hoher Wald bedeckte die Insel allenthalben, von üppigem, tropischem Buschwerk durchsetzt und von Schlingpflanzen so vielfältig durchwoben, daß man nur auf einem schmalen Uferpfade vorwärts kommen konnte. Der Wald schwärmte von geräuschvollem Tierleben; große und kleine Papageien flatterten und kletterten kreischend in den Baumkronen, zahllose Tauben von verschiedenster Art kreisten in Scharen um die Wipfel; Spechte liefen hämmernd an den Stämmen auf und nieder, und in dem freien Wasser zwischen dem Uferschilf stelzten schwarze, graue und weiße Kraniche umher, suchend, lauschend und meine ungewohnte Erscheinung mit Mißtrauen betrachtend. Entenvölker rauschten auf und zogen schnatternd und mit eilfertigen Flügelschlägen über das Wasser, aus einer Bucht in die andere, und Guanas, die großen, drachenhaft aussehenden Eidechsen, fuhren blitzschnell auf den knorrigen Zweigen hin und her, wobei sich das bunte Farbenspiel ihrer Haut im Wechsel von Licht und Schatten unaufhörlich und wunderbar veränderte.

Klare, durchsichtige Wassertümpel, tief und dunkel, unterbrachen meinen Pfad und in denselben spiegelte sich die Umgebung so ruhig und deutlich, daß ich meist nicht zu unterscheiden vermochte, wo die Vegetation aufhörte und wo das Spiegelbild derselben anfing.

Als ich nach langer, oft durch Sumpf und Dickicht unterbrochener Wanderung am Ende der Insel anlangte, fand ich hier auf einer Lichtung unweit des Wassers die beiden Gegner mit ihren Zeugen und einem fünften Herrn in schwarzem Anzuge und Cylinderhut bereits anwesend. Sie hatten sich durch einen der Dampfer hier an Land setzen lassen.

Kapitän Dicksons Zeuge war Lambertus Schomerus, der Steuermann.

Der alte Seefahrer schaute mich mit seinem großen Auge gar trübselig an.

»Hab' ich nicht immer gesagt, daß einem am Lande die nichtswürdigsten Dinge passieren können?« sagte er. »Von meiner Nase und dem Skorpion will ich gar nicht reden, aber wie, wenn unser Kapitän hier so um nichts und wieder nichts sein Leben lassen muß? Der Seelenverkäufer, der Clafflin, ist ein höllisch geübter Schütze, Kapitän Dickson aber schießt mit 'ner Pistole nicht besser als mit 'nem krummen Knüppel, das hat er mir selbst gesagt. Bitten wir den Herrgott droben, daß er ein Einsehen habe und die Anschläge der blixumschen Edomiter zu Schanden mache!«

Mr. Clinch kam heran und zog den Steuermann auf die Seite. Sie redeten einige Augenblicke, dann schritten sie eine Distanz von fünfzehn Schritten ab und legten an beiden Endpunkten derselben ihre Taschentücher in das Gras.

Die Zeugen traten zur Seite, und die Gegner stellten sich auf ihre durch die Taschentücher bezeichneten Plätze.

Ich eilte zu Kapitän Dickson und ergriff, keines Wortes mächtig, seine Hand.

Er sah mich lange an und schob mich dann sanft zurück.

Mir stürzten die Thränen aus den Augen.

Der Steuermann kam, nahm mich beim Arm und führte mich auf den Fleck, den er selber eingenommen hatte.

Die Kämpfer standen einander gegenüber.

In den Baumkronen schrieen die Papageien, der Wind rauschte leise in dem hohen Schilfe, und große, bunte Schmetterlinge gaukelten in dem in die Lichtung hereinfallenden Sonnenschein.

Mein Herz pochte zum Zerspringen. Da unterbrach Colonel Clafflins Stimme das drückende Schweigen.

»Kapitän Dickson,« sagte er, »noch liegt es in Ihrer Hand, die vielleicht unangenehmen Folgen dieser Affaire abzuwenden. Ich frage Sie, nach Rücksprache mit meinem Zeugen: Wollen Sie mir Ihre Verleumdungen abbitten?«

Das kam unerwartet. Ein solches Einlenken von seiten Clafflins hatte niemand vorausgesehen. Ich glaubte eine eigentümliche Unruhe und Erregtheit an dem Manne wahrzunehmen, die zu seinem vorherigen triumphierenden und höhnischen Wesen in entschiedenem Gegensatze stand.

Kapitän Dickson war ganz der Alte. Er hatte seinen Hut ins Gras geworfen und harrte nun, vollkommen ruhig und den einen Fuß auf dem am Boden liegenden Taschentuche, der Dinge, die da kommen sollten; er war sehr bleich und sah aus wie ein Mann, der bereit ist, sein Leben auch für eine nutz- und ruhmlose Sache in die Schanze zu schlagen, weil das Verhängnis dies nun einmal so wollte.

Er richtete die Blicke eine Minute lang empor zum blauen Firmament, ehe er antwortete.

»Colonel Clafflin,« begann er dann langsam und deutlich, »ich wiederhole, was ich Ihnen bereits mehrmals gesagt habe, dieser Streit ist nicht durch mich herbeigeführt worden. Sie beschuldigen mich, Sie vor sieben Jahren durch Nachreden beleidigt zu haben. Sie führen die Aussage eines achtungswerten Offiziers dafür an. Dieser Offizier ist nicht zur Stelle, er kann daher Ihre Behauptung nicht bestätigen. Ich versichere Sie auf meine Ehre, daß ich mich nicht erinnere, zu jener Zeit die mir zugeschriebenen Äußerungen über Sie gethan zu haben.«

»Das kann mir unmöglich genügen, Kapitän Dickson,« sagte Clafflin.

»Und Sie verlangen Unmögliches von mir, Colonel Clafflin,« fuhr Dickson in demselben gemessenen Tone fort. »Ich kann und werde Ihnen nichts abbitten, was ich meines Wissens nie gesagt habe. Einem andern gegenüber würde ich vielleicht ein weiteres Entgegenkommen zeigen, Ihr Ruf als nie fehlender Pistolenschütze aber macht mir dies unmöglich.«

»Dann muß ich bedauern,« sagte Colonel Clafflin achselzuckend.

Die Sekundanten händigten nunmehr den Gegnern die Pistolen ein. Aus der Stellungnahme der letzteren war deutlich zu erkennen, wer der geübte Duellant und wer der Neuling war. Der Colonel hatte seinem Widersacher genau die rechte Schmalseite zugekehrt, um demselben nur die kleinste Oberfläche darzubieten; den Kopf hatte er nach rechts gedreht und die Augen fest auf den Kapitän gerichtet; den rechten Arm hielt er senkrecht gegen den Körper gedrückt, den Hahn der Pistole nach außen, so daß schon durch ein einfaches Emporheben des Unterarmes die Waffe die Richtung des Gegners finden mußte. Kapitän Dickson dagegen stand in seiner ganzen Breite dem Colonel gegenüber, die Pistole mit beiden Händen, an Mündung und Kolben, quer vor sich haltend.

»Drehen Sie mir Ihre Seite zu, Kapitän,« sagte der Colonel in einer Regung von Ritterlichkeit. »Sie begeben sich sonst eines großen Vorteils.«

Kapitän Dickson blickte ihn erstaunt an und öffnete den Mund, wie zu einer Entgegnung. Er schwieg jedoch, folgte aber nichtsdestoweniger dem Rat und wendete dem Gegner seine Steuerbordseite zu.

Mr. Clinch trat jetzt einen Schritt vor.

»Fertig?« fragte er.

»Fertig!« erklang die Antwort hüben wie drüben.

»Eins, zwei, drei – Feuer!«

Der Kapitän schoß ohne lange zu zielen.

Ich erwartete ihn jeden Augenblick fallen zu sehen.

Aber er stand fest und rührte sich nicht.

Dann blickte ich zu Clafflin hinüber.

Der stand mit erhobenem Arm und angeschlagener Pistole, hatte aber noch nicht abgedrückt. So verharrte er, wie ein Wegweiser, vielleicht zehn Sekunden lang, dann sank seine Hand nieder, seine Waffe entlud sich und die Kugel fuhr nicht weit von ihm in den Rasen. Und nun stürzte er selber, schwer hinschlagend, zu Boden. Sein Gesicht war in dem hohen Grase verborgen und seine Hand wühlte krampfhaft in der weichen, schwarzen Erde.

Der Herr im schwarzen Anzuge sprang herzu. Es war ein Arzt, den der Colonel mitgebracht hatte. Er schüttelte den Kopf.

»Es ist vorbei mit ihm, meine Herren,« sagte er.

Der Kapitän stand eine Weile wie versteinert.

»Ich habe es nicht gewollt,« stieß er dann hervor. »Ich habe es nicht gewollt!«

Der Mann, der an Bord seines Schiffes kaltblütig ein feindliches Fahrzeug in Grund und Boden kanoniert und mit Mann und Maus in die Tiefe versenkt hätte, erschauderte hier vor einem Totschlage, zu dem man ihn gezwungen hatte und den er fast willenlos vollführt. Ich habe später noch lange und oft über diesen Widerspruch nachgedacht.

Der Sklavenhändler hauchte seine Seele aus, ohne noch einen Laut von sich zu geben.

Mr. Clinch sagte uns, daß er in der Nacht zurückkommen und den Leichnam auf der Insel begraben lassen würde. Damit war das ebenso unerwartete wie grausenvolle Abenteuer zu Ende.

Wir gingen den Pfad zurück, den ich gekommen war. Mein Bootsmann lag mit seinem Fahrzeug noch im Schilfe. Wir fuhren über den Fluß und befanden uns eine Stunde später an Bord des »Mosquito«, wo Klaus die inzwischen eingetroffene indianische Bemannung dem Kapitän vorstellte.

Die Leute trugen Hemden und Beinkleider von hellem Baumwollenzeug, dazu Basthüte, und sahen im allgemeinen aus, wie Schiffsleute überall aussehen.

Während Kapitän Dickson mit dem auf der Werft anwesenden Don Hombrecillo die letzten geschäftlichen Abmachungen traf, wurden die Feuer in der Maschine angezündet, und um neun Uhr abends verließen wir Manaos, begleitet von den besten Wünschen unseres Gastfreundes, dem unser Steuermann noch von weitem sein » mucho, mucho!« zurief.


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