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Zwölftes Kapitel.

Der Kampf. – Das Ende des »Perseus«.

 

Wir hatten nicht lange Zeit mehr zu unseren Vorbereitungen, aber alle Mann arbeiteten nach besten Kräften. Die Boote waren von den verschiedenartigen Geräten und Gegenständen bald ganz gefüllt, so daß kaum noch Platz genug für die Mannschaften und die Offiziere darin blieb; denn wie man sich erinnern wird, hatte der Kapitän in Arica die Besatzung des »Perseus« fast verdoppelt, so daß im ganzen vierzig Mann in den Booten unterzubringen waren, wozu auch die drei Verwundeten gehörten, die noch einer besonderen Sorgfalt bedurften. Wir fürchteten noch immer, daß der »Perseus« durch die hochgehende See von dem Felsen abgehoben werden könnte. Als das Wasser im Lauf der Nacht aber immer ruhiger wurde, schwand diese Besorgnis gar bald.

Trotzdem ließen wir in unseren Arbeiten nicht nach. Die Boote, vier an der Zahl, wurden ausgesetzt und an der Seite festgelegt; ein unbeteiligter Zuschauer hätte glauben können, daß wir eine kleine Vergnügungsfahrt zu unternehmen beabsichtigten, so ruhig und in solcher Ordnung wurden die Befehle des Kapitän Dickson ausgeführt.

»Wir sitzen in einer schlimmen Klemme, Kapitän,« hörte ich den Doktor zu dem Schiffer sagen, »und es scheint mir sehr fraglich, ob wir mit heiler Haut aus derselben davonkommen werden.«

»Sie haben recht, Doktor,« entgegnete der Kapitän, »sehr heiter sieht die Geschichte hier nicht aus. Bis jetzt aber sind wir ja noch alle am Leben, und Sie wissen aus Ihrer Praxis, daß, solange das Leben währt, auch die Hoffnung nicht aufgegeben werden darf.«

»Das ist ganz gut, wenn die Piraten nicht wären. Sehen Sie doch nur zu den Kuttern hinüber; noch vor Mitternacht werden wir sie alle auf dem Halse haben und dann –«

»Dann,« murmelte der Kapitän, »dann wird Gott uns helfen!« Damit wendete er sich ab, um noch einmal die Boote in Augenschein zu nehmen.

Die Seeräuberfahrzeuge, die uns ganz nahe gekommen waren, als sie uns auf dem Riffe festsitzen sahen, hatten sich wieder in einige Entfernung zurückgezogen und schienen darauf zu warten, daß wir uns in den Booten davonmachen sollten, um uns dann einzeln anzugreifen. Je weiter die Nacht vorrückte, desto mehr steigerte sich die Unruhe und die Besorgnis unter den Leuten des »Perseus«, und jeder bereitete sich nach Kräften auf den bevorstehenden Kampf vor.

Der Wind war inzwischen wieder schwächer geworden, er hörte endlich ganz auf, und die See lag glatt wie ein Spiegel; so lange im Westen noch ein schwacher Lichtschimmer vorhanden war, gab die regungslose Fläche das Bild der Wolken deutlich wieder. Auch die Masten und die Takelung des »Perseus« sah man ebenso deutlich im Spiegelbilde des Schiffes wie in der Wirklichkeit.

Mit der Stille, die sich auf die See herabsenkte, wurde es auch an Bord des Schiffes ruhig. Die Leute hatten alle Arbeit gethan, die noch gethan werden konnte, und standen oder lagen an Deck umher, ohne daß einer von ihnen jedoch an Schlaf gedacht hätte. Die Geschütze waren geladen, und jeder Matrose hatte sich bis an die Zähne bewaffnet; das lange Drehgeschütz auf der Vorluke war etwas nach unten gerichtet worden, um das Deck eines etwa herankommenden Piratenfahrzeuges bestreichen zu können, von dessen Annäherung wir allerdings in der Finsternis der Nacht eher etwas gehört als gesehen haben würden.

Der Koch hatte inzwischen für die Mannschaften das Abendbrot bereitet und dasselbe verteilt, als ob dem Fahrzeuge gar nichts Besonderes zugestoßen sei. Die Leute blieben alle an Deck, mit Ausnahme der Mannschaft des Großboots, welches leise und vorsichtig fortwährend rings den Dampfer umfuhr, um bei jeder nahenden Gefahr sogleich Alarm geben zu können. Aber niemand von den Piraten ließ sich hören oder sehen, so daß wir schließlich gar nicht wußten, was wir von diesem seltsamen Betragen der Feinde eigentlich denken sollten.

»Vielleicht haben wir uns überhaupt in den Fahrzeugen getäuscht,« meinte der Zimmermann, »es sind vielleicht ganz harmlose Fischer oder Küstenfahrer, und wir haben vorhin auf unschuldige Leute geschossen.«

»Unsinn, Zimmermann,« entgegnete Lambertus, der sich in der übelsten Laune befand, weil er sich bewußt war, durch seine Ratschläge und seine Ungeduld eigentlich die indirekte Ursache zu der Katastrophe gewesen zu sein. »Unsinn, Mann, wo hat man jemals harmlose Küstenfahrer oder friedliche Fischer in solchen Massen und an Bord solcher Schiffe, wie die Zweimaster da, zusammen gesehen?«

»Nun, nun, Steuermann, Sie werden doch zugeben, daß an diesen Küsten auch friedliche Fischer existieren können, und daß dieselben sich ebenso gut ihre Fahrzeuge auszuwählen das Recht haben, wie wir selber,« entgegnete der Zimmermann, »und was die Seeräuber anlangt, so scheint mir es, daß wir eigentlich auch nicht viel besser sind, als die Piraten, hinter denen wir herjagen.«

Der Steuermann heftete sein großes Auge mit einem Ausdruck der Verwunderung und Entrüstung auf den Sprecher.

Der aber ließ sich nicht einschüchtern.

»Was ich gesagt habe, das habe ich gesagt, und ich wiederhole es noch mal, wir sind auch nicht viel besser als Seeräuber! Oder ist's vielleicht keine Seeräuberei, wenn wir hinter unschuldigen Fahrzeugen, die uns nicht mal etwas gethan haben, herjagen und herschießen? Und ist es etwa keine Seeräuberei, wenn wir –«

»Ruhe!« rief der Kapitän, »spare deine Worte, Zimmermann, du wirst von der Seeräuberei über und über genug haben, noch ehe der Morgen dämmert. Horch! Ich glaube, sie kommen!«

Wir lauschten angestrengt. Ein schwaches, plätscherndes Geräusch wurde vernehmbar, und zugleich fühlten wir ein leises Erbeben des Schiffes unter unseren Füßen.

»Kapitän Dickson, die Flut fängt an, den Dampfer zu heben,« sagte ich.

»Die Flutzeit ist vorbei,« entgegnete der Kapitän, »Sie müssen sich getäuscht haben, lieber Heinz. Gehen Sie unter Deck,« fügte er freundlich hinzu, »gehen Sie in Ihre Kammer, dort sind Sie aus dem Bereich der Gefahr. Ich habe Ihrem Vater versprochen, Sie nach Möglichkeit zu schützen und zu bewahren, und doch hat es leider schon so weit kommen müssen.«

Ich glaubte, der Stimme des Kapitäns eine tiefe Bewegung anzuhören; die Nacht war aber so dunkel, daß ich seine Züge nicht zu erkennen vermochte. Ich ergriff daher seine Hand und erwiderte:

»Kapitän Dickson, niemand kann Sie beschuldigen, Ihre Pflicht vernachlässigt zu haben. Was Ihnen und den übrigen Leuten beschieden ist, wird und soll auch mir beschieden sein. Ich fürchte mich nicht. – Da! was ist das? – Haben Sie es diesmal nicht gefühlt?«

»Ja,« entgegnete er, »das Schiff hat sich bewegt.«

Der Kapitän eilte nach vorn und rief das Großboot an, welches schnell heranschoß.

»Kommt an Bord, Leute,« befahl er dem Bootsmann, welcher das Boot führte. »Habt Ihr eine Veränderung in der Lage des Dampfers bemerkt?« fragte er den alten Klaus mit leiser Stimme, als derselbe an Bord kam.

»Nein, Kapitän.«

»So springt noch einmal ins Boot und seht genau zu. Haltet Augen und Ohren weit offen; ich traue den Seeräubern nicht, auch nicht dieser eigentümlichen Stille und auch dem Riff nicht, auf dem wir sitzen.«

Klaus, der Bootsmann, that, wie ihm geheißen; er umfuhr das Schiff von allen Seiten. »So weit das Riff in Betracht kommt, ist alles in Ordnung,« rief er vom Boote aus. »Halloh! Da kommen die Piraten – aufgepaßt, Leute!«

Durch die Finsternis kam's herangeschossen, ein großes zweimastiges Fahrzeug; es fuhr krachend dem »Perseus« in die Steuerbordseite und zwar fast in demselben Augenblick, als des Bootsmannes warnende Stimme an Deck gehört wurde.

Ein großer Tumult erhob sich an Bord des Dampfers, übertönt von der Stimme des Kapitäns.

»Lambertus!« schrie er, »Sie wissen, was Sie zu thun haben. Gehen Sie mit Ihren Leuten in die Boote und bleiben Sie mit dem Großboot in der Nähe. Und nun, Leute, ein Hurrah für euer Hamburg und dann noch eins für die Sterne und Streifen der Vereinigten Staaten, und dann an die Arbeit!«

Die Matrosen stimmten in den Ruf des kühnen Amerikaners ein. Lambertus versammelte den Teil der Leute, den er zu führen bestimmt war, machte in aller Ruhe seine Boote klar und stieß dann von dem »Perseus« ab. Die Boote waren etwa um eine Schiffslänge von dem Dampfer entfernt, als ein zweiter Kutter herankam und ohne weiteres an der Backbordseite des »Perseus« festlegte.

Der Kapitän gab seine Befehle in vollkommener Ruhe und Kaltblütigkeit.

»Klar bei dem Drehgeschütz!« rief er. »Ladet und feuert so schnell wie möglich, zielt gut und wartet nicht erst auf meine Kommandos. Zielt niedrig, Leute, und nehmt die Kartätschen; Feuer Leute, Feuer! So ist's recht, fegt die Hallunken vom Deck!«

Während das lange Drehgeschütz sein Feuer gegen das zuerst herangekommene Fahrzeug richtete, empfingen die an Bord gebliebenen Leute den zweiten Kutter mit einem lebhaften Gewehrfeuer. Die Piraten ließen sich dadurch aber nicht im mindesten einschüchtern. Den Säbel in der Faust und das Messer zwischen den Zähnen sprangen sie aus ihrem Takelwerk an Deck des »Perseus« oder kletterten wie Katzen über den Seiten des Dampfers empor. Unsere Leute begegneten ihnen mit Bajonetten und Entermessern. Ich stand zu Anfang des Handgemenges hinter dem umgestürzten Schornstein, gleichsam im Hinterhalt, denn ich muß offen gestehen, daß es mir in den ersten Augenblicken an Mut gebrach, mich in den Kampf zu mischen. Man darf nicht vergessen, daß ich in solchen Dingen noch ein Neuling war. Die Seeräuber waren, wie es schien, anfänglich erstaunt, eine so starke Besatzung vorzufinden und auf so energischen Widerstand zu stoßen. Trotzdem aber ließen sie sich nicht einschüchtern.

Der Doktor stand in kleiner Entfernung von mir, ebenfalls hinter dem Schornstein, und schoß so ruhig, als befände er sich auf dem Anstand, mit seiner doppelläufigen Büchse auf die über die Regeling kommenden Piraten. Auf jeden Schuß fiel ein Mann. Indem ich ihn beobachtete, begann sein Beispiel auch mein Blut zu erregen; die Schläfe pochten mir, es zuckte mir in den Fingern, ich ergriff aus dem Haufen der hinter dem Kesselhause aufgespeicherten Waffen ein Gewehr, legte an und feuerte.

Ein Mann fiel! Ich hatte einen Mitmenschen getötet!

Zum Glück blieb mir keine Zeit, darüber lange nachzudenken. Ich sah, wie der dunkelhäutige Kerl an Deck niederstürzte, seine Arme ausbreitete und dann still liegen blieb. Der Kampf wütete fort. Ich hörte die Stimme des Kapitäns, der seine Leute anfeuerte; ich lud mein Gewehr von neuem, gar nicht darauf achtend, daß noch drei andere geladene Büchsen mir zu Füßen lagen.

Wieder knallte die Büchse des Doktors. Wieder fiel ein Schwarzer, mitten durchs Herz getroffen. Der Doktor hatte nicht umsonst Anatomie studiert, wie es schien. Wir standen hinter unserm Schornstein ganz sicher. Die Piraten, wie schon vorher erwähnt, zumeist Indianer, Neger und sonstiges halbwildes Gesindel, fürchteten sich vor dem Feuerapparat und der geheimnisvollen Maschine des Dampfers und wagten nicht in die Nähe des Kesselhauses zu kommen. Sie meinten, daß dort in dem finsteren, zischenden und rasselnden Raume der Teufel wohne.

Und dieser Furcht vor dem Teufel im Schiffe verdankten wir unser Leben.

Ich lud und feuerte mechanisch immer fort; plötzlich gewahrte ich drei Männer, die auf der Backbordseite, wo sich der zweite Piratenkutter befand, über die Regeling kletterten und dann über das Deck herankamen. Auch der Doktor sah die Kerle, dann kamen wieder drei und dann noch zwei Männer. Jeglicher Widerstand schien jetzt nutzlos zu werden.

Der Doktor schoß seine beiden Läufe ab, und dann schoß auch ich. Drei dunkle Gestalten wälzten sich, ihr Leben aushauchend, auf den Decksplanken, dann ward es plötzlich hell; ein greller Feuerschein leuchtete auf, einer der Piratenkutter stand in hellen Flammen. Ein lautes Hurra ertönte an Deck des »Perseus«; ein Hurra von der See aus antwortete; Lambertus, der Steuermann, hatte die Piraten von hinten angegriffen.

»Hurra!« wiederholten wir, »Hurra!«

Ein knatterndes Gewehrfeuer aus den Booten lenkte die Aufmerksamkeit der Seeräuber ihrem Fahrzeuge zu. Kapitän Dickson und seine Leute fochten mit erneuertem Mute, und schon schien es, als ob es gelingen sollte, die Räuber wieder an Bord ihrer Schiffe zu treiben, als wir bei dem Schein der aufsteigenden Flamme ein drittes Fahrzeug herannahen sahen.

Der Doktor rief mir und zwei Matrosen, welche sich mit den Verwundeten beschäftigten, zu, ihm zu folgen, und wir vier eilten nach hinten auf das Achterdeck. Wir konnten das von der Glut rotangestrahlte Schiff ganz deutlich erkennen, sein Deck wimmelte von Leuten, es hatte die langen Ruder ausgelegt, deren jedes von zwei Mann regiert wurde. Vorn auf der Back standen drei Männer, deren bunte Kleidung sie als Häuptlinge erkennen ließen, umringt von einer Schar wildblickender Kerle, welche allerlei Schußwaffen in den Händen hielten. Auch konnten wir drei kleine Kanonen wahrnehmen, die aus den Pforten im Bollwerk hervorlugten. Auch an Bord der übrigen Fahrzeuge hatten wir Geschütze bemerkt; die Seeräuber aber scheuten sich augenscheinlich, dieselben abzufeuern, wahrscheinlich in der Hoffnung, den Dampfer möglichst unbeschädigt in ihre Hände bringen zu können.

»Unsre Aussichten sind jetzt keinen Heller wert,« rief der Doktor, »immerhin aber wollen wir den Schuften noch ein paar Pillen hinüberschicken. Ich nehme den großen Kerl da, den mit der roten Schärpe, aufs Korn. Sie, Heinrich, nehmen seinen Freund da, der ihm zur Linken steht. Hallo, was war das?«

Ein fürchterliches, brüllendes Gezisch durchdröhnte die Luft, etwa eine Minute lang, dann hörte es auf.

Wieder tobte der Kampf lauter wie je, ein Hurra sagte uns, daß unsere Kameraden einen Vorteil über die Feinde erlangt haben mußten. Wir hatten aber keine Zeit, uns umzuwenden. Des Doktors Büchse krachte.

Der Mann mit der roten Schärpe auf der Back des Piratenkutters wankte und fiel. Seine Freunde bemühten sich, ihn wieder aufzurichten, ganz erstaunt darüber, daß sie von solcher Entfernung beschossen werden konnten. Auch die Leute an den Rudern hielten einen Augenblick inne, und jetzt krachte das Heckgeschütz, welches die beiden Matrosen inzwischen geladen und gerichtet hatten.

Die Kugel riß eine lange Gasse durch die dichte Bemannung des Piratenkutters.

»Bravo!« rief der praktische Doktor. »Jetzt Sie, Heinrich.«

Ich zielte und schoß; der neben dem gefallenen Mann knieende Seeräuber stürzte vorn über und blieb liegen. Der Kutter feuerte jetzt seine Geschütze auf uns ab, und wir hörten den Kugelhagel über uns durch die Takelung gehen. Die beiden Matrosen aber hatten das Heckgeschütz noch einmal geladen, und noch einmal riß die Kugel einen blutigen Pfad durch die dichtgedrängten Piraten. Die Leute ließen schreiend die Ruder fallen und drängten sich nach hinten, alle Ordnung war aufgelöst.

»Hurra!« schrie der Doktor, »Viktoria!«

»Hurra!« kam es wie ein Echo von dem Vorderteil des »Perseus« zurück.

Beide Kutter standen jetzt in Flammen, und eine große Anzahl der Seeräuber rang im Wasser mit dem Ertrinken. Lambertus und seine Leute hatten den zweiten Kutter geentert und die Besatzung desselben einfach über Bord getrieben, obgleich sie dabei einer gegen drei zu fechten gehabt hatten. Dann war jenes zischende, brüllende und mir unerklärliche Geräusch gekommen, welches dem Kampf ein Ende gemacht hatte. Was war das gewesen?

Johannsen, der erste Maschinist, war seit Anbruch der Nacht mit seinen Leuten unten im Maschinenraume eifrig beschäftigt gewesen, ein neues Röhrenstück an das beschädigte Dampfablaßrohr zu befestigen. Er hatte zu diesem Zwecke die Feuer aufgebänkt, den Dampf aber im Kessel behalten. Bald nach Beendigung dieser Arbeit waren die Leute an Deck gekommen, kurze Zeit vor dem Beginn des Kampfes. Als das Gefecht am heißesten war, hatte Johannsen einen starken Schlauch von Segeltuch an das Ablaßrohr schrauben und dasselbe dadurch ein gutes Teil verlängern lassen.

Er sowohl, wie seine Heizer und Gehilfen hatten sich tapfer an dem Gefechte beteiligt, als die Sache aber eine bedrohliche Wendung nahm, hatte er sich an den Kapitän gewendet und einige Worte mit ihm geredet. Gleich darauf gab dieser sich den Anschein, als ob er mit seinen Leuten nach dem Hinterteile des Schiffes zurückweiche.

Die Mannschaft sammelte sich hinter dem umgestürzten Schornstein und dem Kesselhause. Noch immer in Furcht vor dem im Schiffe wohnenden Teufel zögerten die Piraten eine Weile, dann aber stürzten sie hinter unseren Leuten her, und nun kam der Moment des Triumphes für Johannsen, unsern Obermaschinisten.

Siegesgewiß wälzte sich die Schar der Piraten heran, da sprühte ihnen plötzlich mit fürchterlichem Zischen ein dicker Strahl heißen und blendend weißen Dampfes entgegen. Die Piraten drängten entsetzt zurück und wandten sich zu wilder Flucht. Unsere Leute dagegen achteten den Dampf nicht. Sie warfen sich von neuem auf ihre Feinde und trieben dieselben bis auf den letzten Mann über Bord. Nach wenigen Minuten befand sich kein lebendiger Seeräuber mehr an Deck des »Perseus«, dank der außerordentlichen Wirkung von Johannsens Dampfkanone, wie derselbe seine neue Kriegswaffe zu nennen beliebte.

Wir hatten gesiegt und den Feind, vorläufig wenigstens, zurückgeschlagen. Wenn sich unsere Lage dadurch auch kaum gebessert hatte, so gewannen wir doch Zeit, wieder zu Atem zu kommen und unsere Verluste zu übersehen.

Der Doktor, dem die ganze Affaire ebenso viel Vergnügen gemacht zu haben schien, als hätte er sich auf der Rebhühnerjagd befunden, hatte sich an die Regeling postiert und schoß noch immer unermüdet auf die im Wasser schwimmenden Piraten. Neben dem Kapitän, dem Steuermann und dem Maschinisten mußte ihm der Hauptanteil an dem siegreichen Verlauf des Gefechtes zugeschrieben werden.

Der ganze Kampf hatte kaum länger als fünfzehn Minuten gedauert. Trotzdem hatten wir einen Verlust von fünf Toten und vierzehn Verwundeten zu verzeichnen; es war dies ein schwerer Abbruch unserer ohnehin nur geringen Streitkräfte, um so empfindlicher, als wir uns noch immer in einer Lage befanden, die noch genau ebenso gefährlich war, als sie vor dem Angriff der Piraten gewesen. Als die beiden feindlichen Kutter bis auf das Wasser heruntergebrannt waren, hüllte sich das Meer wieder in undurchdringliches Dunkel, und unter seinem Schutze schickten wir uns an, den »Perseus« zu verlassen. Die Boote hatten sicher unter dem Stern des Schiffes gelegen und waren unbeschädigt geblieben. So lange die glühenden Reste der feindlichen Fahrzeuge uns noch Licht gewährt, hatten wir die in der Nähe gebliebenen drei Kutter nicht aus den Augen gelassen, und kurz vor dem Erlöschen der Glut glaubten wir noch ein viertes Fahrzeug aus der Dunkelheit herankommen zu sehen.

Die Leichname der gefallenen Kameraden wurden still dem Meere übergeben; für die Verwundeten wurde gesorgt, so gut die Umstände dies zuließen. Sie wurden zuerst in die Boote gebracht, und dann erteilte der Kapitän, der selber eine Verwundung am Arme davongetragen hatte, seine Weisungen für unseren Rückzug.

»Sobald diese alten Kähne ganz ausgebrannt sind,« sagte er zu den ihn umstehenden Leuten, »macht ihr euch in der Dunkelheit davon und sucht die nördlichste der Chonos-Inseln zu erreichen. Ich bleibe noch an Bord mit dem Steuermann, dem Bootsmann und wer sonst noch freiwillig mit mir aushalten will. Ich will dadurch die Piraten glauben machen, daß alle Mann sich noch auf dem ›Perseus‹ befinden, damit sie eure Flucht nicht argwöhnen. Hand hoch also, wer bei mir bleiben will!«

Der Doktor meldete sich, und auch ich, dazu die besten unserer alten Leute, fast lauter Hamburger, darunter auch die Maschinisten.

Die drei Boote stießen ab, als das Feuer der brennenden Kutter erloschen war, und waren bald in der Finsternis verschwunden. Sie hatten sich keinen Augenblick zu früh davon gemacht, denn kaum waren ihre Ruderschläge in südlicher Richtung verhallt, als sich von Westen her der langsame, schwerfällige Ruderschlag des großen Piratenfahrzeugs vernehmen ließ, welches wir mit Hilfe des Feuerscheines noch vor einer Viertelstunde in der Entfernung wahrgenommen hatten. Unsere Matrosen standen fertig bei den Geschützen, und sobald die schwarze Masse des Fahrzeugs in der Finsternis sichtbar wurde, eröffneten sie ein Kartätschenfeuer auf dasselbe, und zwar so schnell, als die Geschütze sich nur immer laden und richten ließen. Die Piraten hemmten ihre Fahrt, augenscheinlich ganz unvorbereitet auf einen solchen Empfang; sie mochten geglaubt haben, daß der »Perseus« nach dem ersten heißen Gefecht mit der gewaltigen Übermacht kaum noch einen verteidigungsfähigen Mann an Bord haben konnte und daß der Dampfer ihnen jetzt als leichte Beute in die Hände fallen mußte.

Bei dem Bemühen des Kutters, zu wenden, sahen und hörten wir den Fockmast desselben, von unseren Geschossen getroffen, krachend über Bord fallen, aus den schwächlichen Anstrengungen der Piraten aber, das Fahrzeug von dem Wrack des Mastes zu befreien und dasselbe zugleich von dem »Perseus« wieder abzubringen, erkannten wir, daß der Kutter nur schwach bemannt sein konnte.

Derselbe trieb mit der Strömung langsam heran.

»Hurra!« rief der Schiffer. »Fertig zum Entern, Leute! Der Kahn treibt uns vor den Bug und wird dann, wie ich sehe, mit seinem Heck an unsere Steuerbordseite heranscheren. Bringt das Boot achteraus, Lambertus, sonst wird's uns zerdrückt! Achtung, da kommt er!«

Ein Krachen und Knacken folgte den Worten des Kapitäns. Der schwere Kutter war mit seinen vorderen Backbord-Rüsten, von denen noch immer das Takelwerk des gestürzten Mastes herabhing, in unser Vorgeschirr hineingetrieben und hatte uns den Klüverbaum, das Bugspriet und den Stampfstock weggerissen, dann legte er sich langsam mit seiner Seite gegen die unsere.

Die Piraten zeterten und schrieen. Ihre Stimmen aber und das Knirschen der einander drängenden und reibenden Schiffe wurden übertönt durch das plötzliche Hurra der Perseusleute, die, den Kapitän an der Spitze, sich im Nu über die Regeling schwangen und auf das niedere Deck des jetzt festliegenden Kutters herabsprangen und wie die Dämonen unter die in allen Ecken Schutz und Deckung suchenden Piraten fuhren. Nur wenige leisteten Gegenwehr. Ich hielt mich dicht an der Seite des Doktors, der von dem Achterdeck des »Perseus« aus in aller Ruhe Schuß auf Schuß auf die Feinde abgab und immer diejenigen traf, die sich am sichersten oben im Takelwerk oder in den finsteren Winkeln an Deck versteckt glaubten. Die Stimme und die Klinge unseres tapferen Kapitäns schienen überall zugleich zu sein. Die von panischem Schrecken ergriffenen Räuber ließen sich abschlachten oder über Bord treiben, wie eine Herde Hammel. Unsere Hamburger Janmaaten wüteten aber auch wie die Berserker. Der alte Lambertus schwang einen eisernen »Kuhfuß«, wie die an Bord verwendeten Brecheisen genannt werden, und schlug gerade dicht unter meinen Füßen – ich saß auf der Regeling des »Perseus«, hinter den Großwanten – einem der dunkelhäutigen Schurken den wolligen Schädel ein, als eine Kugel meine linke Kopfseite streifte. Mir war's, als habe mich ein Blitzschlag getroffen. Ich stürzte hinten über, sah noch, wie der Doktor, der soeben seine Büchse anlegen wollte, sich nach mir umwendete, und dann schwanden mir die Sinne.

*

Als ich wieder zu mir kam, befanden wir uns unter Segel, und zwar an Bord des Piratenkahns, wie Kapitän Dickson sich ausdrückte.

Meine Ohnmacht hatte lange Stunden gedauert.

Inzwischen war das feindliche Fahrzeug von den Perseusleuten genommen worden; von der Piratenbesatzung, die nur gegen dreißig Mann betragen hatte, war keine Seele mehr an Bord; unsere Janmaaten hatten alles, was nicht gefallen war, einfach ins Wasser getrieben, dann waren die unentbehrlichsten Geräte, vor allem aber Tau- und Segelwerk, von dem »Perseus« an Bord der Prise geschafft worden, und schließlich hatte man den Dampfer, der bereits zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, verlassen, um mit dem Kutter die Fahrt zum nächsten Hafenort fortzusetzen. Nach aller Voraussicht mußte die nächste Flut den »Perseus« von der Klippe abheben und in die Tiefe versenken.

Gegen Tagesanbruch hatte Kapitän Dickson die drei Boote eingeholt und die Mannschaften, die anfänglich vor dem Kutter die Flucht ergreifen wollten, zu sich an Bord signalisiert.

An Stelle des zerbrochenen Fockmastes war aus einigen Reservespieren ein Notmast errichtet worden, und so lief das Fahrzeug unter der geschickten Handhabung der deutschen Seeleute ganz leidlich durchs Wasser.

Meine Streifwunde machte mir, nachdem die Betäubung überwunden war, nur wenig Beschwerden; der Doktor hatte dieselbe leicht bepflastert und mir die Versicherung gegeben, daß die Schramme gar keine Bedeutung habe. Die gnädige Hand der Vorsehung hatte auch diesmal wieder die Gefahr von mir abgewendet.

Der Kapitän meinte sich mit dem Fahrzeuge, welches als Proviant nur eine Quantität Charqui und Yams an Bord hatte, bis nach Valparaiso zu schleppen, um dort zu versuchen, wieder in Besitz eines tüchtigen Seeschiffes zu gelangen.

Während des Vormittages nach der ereignisreichen Nacht, welche dem armen »Perseus« das Leben gekostet hatte, bekamen wir verschiedene kleine Fahrzeuge in Sicht, die zum Teil bei unserem Erscheinen die Flucht ergriffen, zum Teil aber auch gar keine Notiz von uns nahmen, weil sie uns wahrscheinlich für Freunde und Genossen, das heißt ebenfalls für Piraten hielten.


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