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Viertes Kapitel.

Kapitän Dickson. – »Auf eine glückliche Jagd!« – Die Piraten des Chonos-Archipels.

 

Am Vormittag des folgenden Tages schlenderte ich mit meinem Freunde Willy Arnold am Hafen entlang und bewunderte »der Schiffe mastenreichen Wald«, der sich flußaufwärts bis weit in das Land hineinzuziehen schien. – In der Gegend der sogenannten »Steinernen Treppe« trat uns plötzlich ein hochgewachsener, sonnenverbrannter Mann entgegen.

»Halloh, Master Arnold, sind Sie das?« rief er meinem Begleiter auf englisch zu.

» Yes,« erwiderte Willy in derselben Sprache, »der bin ich. Sie aber – wie, sehe ich recht? Sind Sie nicht der Kapitän Dickson?«

Wir hatten in Doktor Niebuhrs Anstalt von allen fremden Sprachen vornehmlich die englische treiben müssen, und das danke ich dem guten Doktor noch heute. Die englische Sprache ist die eigentliche Weltsprache; wo mich in fremden Landen mein Französisch und besonders mein Deutsch längst im Stich gelassen hatten, da ebnete mir mein Englisch alle Wege. Es giebt kein Küstenland, in welchem die Eingeborenen nicht wenigstens englisch radebrechen. Dem Kaufmann, dem Forscher, überhaupt jedem, der draußen in der weiten Welt, fern von der heimatlichen Ofenecke, sein Fortkommen sucht, ist die Sprache der Briten unentbehrlich.

»Genau derselbe, mein junger Freund,« lachte der Fremde. »Phineas P. Dickson, von New-Orleans. Ich liege dort unten mit Baumwolle. Wo befindet sich Ihr verehrter Herr Vater?«

»Zu Hause, im Kontor,« antwortete Willy. »Ich habe heute einen Feiertag, meinem Freunde Heinrich Lubau zu Ehren, den ich Ihnen hiermit vorstelle.«

»Freue mich, Sie kennen zu lernen,« sagte der Kapitän zu mir. Dann fuhr er fort: »Ich bin eigentlich hierher nach Hamburg gekommen, um mir ein neues Fahrzeug – einen Dampfer – zuzulegen. Ich muß schnellere Reisen machen. Die Welt schreitet vorwärts, und da darf ich nicht zurückbleiben.«

»Giebt's in Amerika keine Dampfer für Sie?« fragte Willy lächelnd.

»Die schwere Menge,« antwortete Kapitän Dickson. »Hamburg ist mir aber jetzt näher, und ich hab's eilig. Übrigens werden Sie mir wohl gestatten, meine Fahrzeuge zu kaufen wo ich will, selbst wenn es bei der Firma E. W. Arnold auf Steinwärder wäre.«

Willy lachte.

»Selbstverständlich, Kapitän,« sagte er. »Kommen Sie, ich begleite Sie zu meinem Vater. Wir haben ein prachtvolles Boot drüben, so recht wie für Sie geschaffen.«

»Wie groß?«

»Gegen vierhundert Tonnen.«

»Das trifft sich herrlich. Kommen Sie, Gentlemen.« –

Herr Arnold empfing den amerikanischen Schiffer mit freudiger Herzlichkeit; derselbe war ein alter Bekannter und langjähriger Kunde von ihm.

»Sie bleiben doch zu Tisch bei mir,« sagte er. »Meine Frau wird sich freuen, Sie begrüßen zu können. Ich habe Ihnen viel zu erzählen. Das Neueste sollen Sie zuerst hören: beim letzten Geschäft bin ich wie ein Grüner beschwindelt worden.«

»Sie? Beschwindelt? Na, das muß ich sagen! Aber Sie waren von jeher zu gutmütig. Wie ging denn das zu?«

»Sie sollen alles erfahren. Willy, führe den Kapitän hinüber zur Mutter. Ich komme auch gleich.«

Nach Tische kam das Gespräch auf Alvarado und die »Medusa«.

Kaum hatte Dickson den Namen gehört, als er sich mit weit geöffneten Augen und gespitztem Munde in seinen Stuhl zurücklehnte.

»Alvarado!« rief er. »Also mit dem haben Sie zu thun gehabt? Dann ist's kein Wunder, daß Sie betrogen wurden. Der Kerl ist ein Schurke, wie er im Buche steht. Ich habe ihn zuerst in New-Orleans getroffen, dann in Westindien und zuletzt in Valparaiso, wo mir Mordgeschichten über ihn erzählt wurden. Er ist von Beruf ein Seeräuber, neuerdings aber hauptsächlich Agent für die Piraten, die die chilenischen und brasilianischen Küsten unsicher machen und ihre Schlupfwinkel im Chonos-Archipel haben sollen. Auch ich habe mit dem Halunken noch abzurechnen und ich denke, ich thu's sobald als möglich.«

»Hat er Ihnen auch in Ihrem Beruf Schaden zugefügt?« fragte Frau Arnold.

»Das nicht, Madame; er hat mir Schlimmeres gethan. Ich liebte ein schönes Quadronenmädchen und dachte dasselbe heimzuführen. Da kam der Schurke mir in den Weg – genug. Er zwang Rosabella, ihn zu heiraten. Das ist lange her, aber in meinem Herzen brennt's noch, wie damals. Zu der Zeit nannte er sich noch nicht Kapitän Alvarado; er war Bootsmann an Bord eines Sklavenschiffes und hieß Garillas.«

»Garillas!« riefen Willy und ich zugleich.

»Ja, Garillas. Er ist ein halbcivilisierter Indianer und dabei der gewissenloseste Schuft zwischen den Wendekreisen.«

»Auch unser Mohr heißt Garillas!« rief ich. »Die beiden sind entweder Brüder oder aber Vater und Sohn. Und Ihnen haben sie die ›Medusa‹ gestohlen, Herr Arnold!«

»So ist's,« sagte Kapitän Dickson. »Ich will Ihnen was sagen, Freund Arnold. Sie geben mir Ihren Dampfer, und ich jage hinter der ›Medusa‹ her und fange sie, und wenn auch tausend Klapperschlangen ihren Kopf umzischten!«

»Bravo, Kapitän Dickson!« rief Willy.

» Yes, Master Arnold, und Sie nehme ich mit an Bord, als Purser (Zahlmeister), wenn Sie wollen, und auch Ihr Freund, Master Lubau, kann die Fahrt mitmachen. Er sieht ein wenig blaß aus, und der Seewind wird ihm gut thun. Das ist also abgemacht, Herr Arnold, wie? Halt, kein Wort! Sie haben ein ebenso großes Interesse an der Auffindung des Piraten wie ich, obgleich er Ihnen Ihre Frau, meine hochverehrte, liebenswürdige Wirtin, diesmal noch gelassen hat. Stoßen Sie also mit mir an: Auf eine glückliche Jagd!«

Der Enthusiasmus des Amerikaners hatte uns junge Leute in Feuer und Flammen gesetzt. Wir erblickten in der Jagd auf die »Medusa« nicht nur eine unabweisbare Pflicht, sondern auch eine Art von romantischem Kreuzzug, reich an kühnen Abenteuern und verlockenden Gefahren. Und so saßen wir bei einander, wir, die wir noch vor wenigen Stunden nicht im entferntesten daran gedacht hatten, die Heimat zu verlassen, und erwogen, ob es möglich sein würde, schon um die Weihnachtszeit den Chonos-Archipel anzulaufen. Was mich betrifft, so galt es bisher als feststehend, daß die körperlichen Schädigungen, die ich bei jenem Eisenbahnunglück davongetragen, meine Aussichten auf die Seemannslaufbahn um mindestens ein ganzes Jahr hinausgeschoben hatten, und in diesem Sinne hatte mein Vater auch an den Onkel Konstantin geschrieben.

»Sachte, Kinder! Sachte, mein verehrter Freund!« rief der Schiffsbaumeister, als die erste Erregung sich gelegt hatte. »Das geht denn doch nicht so leicht. Sie können das nicht ernstlich gemeint haben, Kapitän Dickson.«

»So? Kann ich nicht? Ich habe es aber ernst gemeint!« erwiderte der Schiffer. »Und warum auch nicht? Da sitzt Ihr Sohn, ein frischer, kräftiger Jüngling, der unter allen Umständen die Welt sehen muß, ehe er Ihr würdiger Nachfolger werden kann. Und da sitzt sein Freund, dem die Seeluft sehr not thut. Und hier sitze ich und koche innerlich wie ein Vulkan vor Zorn gegen den schwarzschwartigen Schuft! Mir sei es nicht ernst? Bei Jingo, mir ist's so ernst zu Sinne, wie einer Eule, die um ihren Sonntagsbraten gekommen ist!«

Gegen diese Beteuerung ließ sich nichts einwenden, und eine eigentliche Einwendung sollte es auch wohl nicht sein, als Frau Arnold begann:

»Heinrich Lubaus Eltern aber müßten doch erst befragt werden, Kapitän Dickson, und bis zum Eintreffen der Antwort müssen Sie sich mit Ihren Plänen gedulden. Inzwischen –«

»Inzwischen will ich Ihnen mitteilen, wie's gekommen ist,« unterbrach der Schiffsbauer. »Reiche dem Kapitän die Cigarren hinüber, liebe Frau. So! Nun also die Geschichte, wie die Firma E. W. Arnold beschwindelt worden. Kam da eines Tages ein ausländischer Mann zu mir, braun wie eine Olive, aber in anständiger Seemannstracht. Seine Sprache war ein Gemisch von schlechtem Deutsch, schlechtem Englisch und schlechtem Spanisch, wir konnten uns aber ganz gut verständigen. Er sagte mir, daß er Alvarado heiße und ein chilenischer Kapitän sei, gegenwärtig aber als Agent eines gewissen Kapitän Deinhard fungiere, der in Brasilien lebe, ein Mann von hervorragender Stellung und großen Mitteln sei und einen Dampfer zu kaufen oder zu mieten wünsche, in welchem Fräulein Deinhard, seine Tochter, eine halbjährige Reise nach einem ihr zusagenden Klima machen könne. Das Fräulein sei leidend, und der Vater wolle ihr gern dies Opfer bringen. Es fügte sich, daß ich gerade einen kleinen Dampfer, die »Medusa«, im Dock liegen hatte. Das Fahrzeug gefiel ihm. Seine Referenzen waren gut, Kapitän Deinhard war unserer Bank sehr wohl bekannt und hatte daselbst einen bedeutenden Kredit; alles schien in bester Ordnung, und so nahm ich die Wechsel mit Deinhards Unterschrift.

Auch die Schiffshändler gingen mit Vergnügen auf das Geschäft ein. Sie schafften Proviant und Wein an Bord und wurden ebenfalls mit Wechseln bezahlt. Ich ließ die ›Medusa‹ noch einmal ordentlich überholen, machte sie seeklar und schickte sie mit einer interimistischen Mannschaft nach Bremerhaven, wo Alvarado die Leute abbezahlte und seine eigene Mannschaft an Bord nahm. Auch Kohlen hat er dort eingenommen und, wie ich vermute, wiederum gegen falsche Wechsel.

So wäre ich nun also die ›Medusa‹ los. Der olivenbraune Spitzbube aber hat ein gutes, seetüchtiges Schiff mit reichlichem Vorrat an Proviant und Kohlen, ohne auch nur einen Pfennig dafür bezahlt zu haben!«

»Das sieht ihm ähnlich,« sagte Dickson. »Übrigens ist mir's ganz gleich, zu welchem Zweck er das Fahrzeug gebrauchen will. Der Schuft hat mir ein schweres Herzeleid angethan, an Ihnen ist er zum Spitzbuben geworden und an den Gesetzen Ihres Landes zum Verbrecher. Ich gedenke jetzt auf Südamerika zu fahren, dort liegt ein gutes Geschäft für mich. Dazu brauche ich Ihren Dampfer, Mr. Arnold. Ich will ihn ausrüsten und bewaffnen. Die ›Medusa‹ mag sich vorsehen! Es könnte sich ereignen, daß ich ihr vor den Bug komme. Mehr sage ich nicht. Hände hoch, wer mit will!«

Willy und meine Wenigkeit streckten alle zehn Finger in die Luft. Herr Arnold aber schüttelte den Kopf.

»Sachte, sachte; da haben auch noch andere Leute mitzureden. Sie sollen Ihr Fahrzeug haben, Kapitän Dickson. Die Mannschaft werden wir dann schon kriegen.«

»Und die ›Medusa‹ auch!« beharrte der Amerikaner. »Jetzt aber muß ich mich empfehlen; ich habe noch Geschäfte in der Stadt. Morgen komme ich wieder und sehe mir den Dampfer an.« –

Wir redeten an jenem Tage noch lange über den Vorschlag des unternehmenden Schiffers. Die abenteuerliche Fahrt sagte uns über die Maßen zu. Alvarado war Dicksons Todfeind und der letztere ergriff nun die Gelegenheit, neben seinem geschäftlichen Vorteil auch seiner Rache Genüge zu thun. Mir aber öffnete sich die Aussicht, auf diese Weise eher, als ich's erwartet, zu meinem Onkel zu kommen.

Alvarado war ein Abenteurer der schlimmsten Gattung, ein Mensch von niederer Herkunft, der bereits Sklavenhandel und Seeräuberei getrieben und sich nun durch seinen letzten Erfolg auch als geschäftskundiger Hochstapler zu erkennen gegeben hatte. Rufino Garillas war ohne Zweifel sein Sohn, das Kind jener Quadronin, deren Verlust der Kapitän Dickson noch immer nicht verschmerzen konnte. Er hatte versucht, demselben eine oberflächliche Erziehung geben zu lassen, nicht um ihn zu einem ehrenwerten Mitglied der civilisierten Gesellschaft zu machen, sondern um ihn in den Stand zu setzen, später einmal unter dem Seeräubervolk, welches seine Jagdgründe an den Küsten Südamerikas und seine Schlupfwinkel im Chonos-Archipel hatte, einen hervorragenden Platz einzunehmen.

Die Handelsschiffe aller Nationen hatten damals von diesen Piraten viel zu leiden, obgleich die Regierungen der südamerikanischen Küstenstaaten beständig ihre Kreuzer in den am meisten bedrohten Fahrstraßen hielten. Die Seeräuberflotte, denn um eine solche handelte es sich, war auf das beste organisiert, sie bestand aus Fahrzeugen aller Art, von der malayischen Prau bis zum schnellsegelnden Klipperschiff, und man war der Ansicht, daß sie ein bestimmtes Oberhaupt haben müsse. Garillas, oder Alvarado, wie er sich in civilisierten Kreisen zu nennen beliebte, diente den Piraten zeitweise als Führer, zeitweise als Agent und Spion, auch als Ratgeber. Er unterrichtete sie von dem Ein- und Auslaufen der reich beladenen Kauffahrer, die mit Südamerika Handel trieben; er stand ihnen mit seinen seemännischen, politischen und sonstigen Kenntnissen zur Seite, er kaufte Fahrzeuge und andere Bedürfnisse für sie, und er focht mit ihnen Schulter an Schulter, wenn Gelegenheit dafür vorhanden war. Er vollbrachte seine Missionen unter den verschiedenartigsten Verkleidungen; sein tollkühner Mut und seine Waghalsigkeit kannten keine Grenzen, dabei war er grausam wie ein Tiger und gewissenlos wie eine Schlange.

Unter solchen Umständen konnte ihm die »Santissima Trinidad« und ihr Führer, der Kapitän Deinhard, nicht unbekannt sein. Die Korvette hatte, als Schnellsegler, den Piraten mehr Abbruch gethan und sie ungleich häufiger in Schrecken gesetzt, als die anderen Kreuzer dies vermocht hatten, und so war er auf die Idee gekommen, sich in den Besitz eines Dampfers zu setzen und mit demselben den Piraten beizustehen, oder aber auch auf eigene Rechnung Seeräuberei zu treiben, je nachdem es ihm in den Sinn kommen würde.

Der Plan war ihm bis hierher gelungen. Er befand sich im Besitz eines trefflichen Seebootes und auf dem Wege nach dem Chonos-Archipel.


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