Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel.

Die brennende Brigg. – Der Mann in der Boje. – In Kapstadt. – Zwei Kabeltelegramme. – Glückliche Menschen. – »Hallig ahoi!«

 

Obgleich zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Grad südlicher Breite westliche und nordwestliche Winde vorzuherrschen pflegen, so hatte die Hallig doch das seltene Glück, mit leichter südöstlicher Brise bis in die Nähe des Kaps der Guten Hoffnung zu kommen. In zwei oder drei Tagen mußte man die Tafelbai erreichen.

Eines Abends gegen sieben Glasen, kam über dem Steuerbordbuge eine Brigg in Sicht. Keppen Jaspersen betrachtete sie durch den Kieker, und rief dann plötzlich: »Allmächtiger, ich glaube, da ist Feuer an Bord!«

Er reichte Heik das Glas.

»Ja, Kaptein,« sagte dieser, »dor is Füer an Bord.«

Es fragte sich nun, ob die Hallig der Brigg auflaufen sollte, oder ob diese auf die Hallig abhalten würde. Es wurde sehr schnell dunkel, die Brigg war bald nicht mehr zu sehen, aber an der Stelle, wo sie sich befinden mußte, zeigte sich ein helles Licht, das bald an Glanz und Größe zunahm.

»Wir müssen ihr zeigen, wo wir sind,« sagte der Schiffer und holte zwei Magnesiumlichter aus der Kajüte. Er steckte eins in Brand und, nachdem es erloschen war, das andere, so daß beinahe zehn Minuten lang der grelle Schein die Finsternis und die leichtbewegte See in weitem Umkreise erleuchtete. Die Brise war flau, die Hallig hatte nur geringe Fahrt; Towe, der am Ruder stand, hielt, auf die Weisung des Schiffers, direkt auf die Brigg ab, und letzterer ließ alle zwei Minuten eine Rakete steigen, um den Leuten auf dem brennenden Fahrzeuge den Mut zu beleben und ihnen zu zeigen, daß die Helfer sie nicht im Stiche lassen wollten. Inzwischen war auch der Mond sichtbar geworden, so daß die Hallig von der Brigg aus deutlich wahrgenommen werden mußte.

Als die Hallig näher herankam, erkannte ihre Besatzung, warum die Brigg den Helfern nicht entgegengesegelt war. Die ganze vordere Hälfte stand in Flammen; das Schiff lag mit dem Buge gegen den eben etwas auffrischenden Wind, Wanten, Stagen und Pardunen waren bis zur Höhe des Vormars in prasselndes Feuer gehüllt; die Lohe schlug züngelnd nach hinten, und braunroter, funkendurchsprühter Qualm wälzte sich in dichten Massen nach Lee zu über die See, die von der roten Glut mit blutigem Schein übergossen wurde; auch der Himmel über dem Schiffe war gerötet. Seine eigentlichen Schrecken aber erhielt das furchtbare Schauspiel durch die Reihe von Köpfen, die über die Reling des Achterdecks der herankommenden Hallig entgegenschauten.

»Gütiger Himmel!« rief Dora, die bei Towe am Ruder stand, »ich sehe zwei Frauen unter ihnen!«

»Brigg ahoi!« dröhnte jetzt der Anruf des Schiffers über das Wasser.

Die Leute auf dem brennenden Schiffe schwenkten die Arme und ließen ein lautes Durcheinander von Stimmen hören.

»Deutsche sind's nicht,« sagte Jaspersen und fragte dann, ob jemand dort drüben Englisch verstünde. Die Antwort konnte niemand verstehen, man hörte nur schreien und sah ein verzweifeltes Winken. Boote waren nirgends zu sehen; der Ort mitschiffs, wo die Boote zu stehen pflegen, war ein Flammenmeer; auch in den Davits zeigte sich nichts.

Kurz entschlossen ließ der Schiffer das einzige Boot, das der Hallig zur Verfügung stand, zu Wasser bringen, und dann das Schiff unter verkleinerten Segeln bis dicht an das Heck der Brigg laufen. Jetzt sprangen Tome und Paul ins Boot, rojten an das brennende Fahrzeug heran und hakten an dessen Luvgroßrüst fest. Towe rief den Leuten an Deck zu, die Frauen zuerst herabzugeben. Man verstand ihn, aber es währte eine ganze Weile, ehe die widerstrebenden und kreischenden Weiber über die Seite zu bringen waren; eine stürzte dabei ins Wasser, wurde jedoch von Paul noch glücklich erwischt und ins Boot gezogen. Nachdem noch acht Mann von der Besatzung aufgenommen waren, brachten unsere beiden Halligleute diese Ladung an Bord ihres Dreimastschoners. Noch einmal machten sie sich auf die Fahrt, um den Rest der Mannschaft zu holen. Die Leute stürzten sich mit solcher Hast herab, daß sie das Boot beinahe zum Kentern brachten. Endlich hatte der letzte das Schiff verlassen.

Da tönte Kapitän Jaspersens eherne Stimme herüber.

»Gau, Towe, gau, Paul! Um Gottes willen, gau! De Brigg geiht in de Luft!«

Zwei der fremden Seeleute hatten bereits die Remen gefaßt, Towe stieß mit dem Bootshaken von der Brigg ab, und das Boot schoß in fliegender Eile der Hallig wieder zu. Hier war alles in ängstlicher Erregung. Die Geretteten kletterten an Bord.

»Schnell, Kinder, schnell!« rief der Schiffer unaufhörlich und in größter Besorgnis. »Schnell an Deck, Towe, Paul! Lat dat Boot man achteransleppen, wi hewwt jetzt keen Tid tom Upheißen! Gau an Bord, gau an Bord! Lat de Remen in de Boot liggen, Paul!«

Aus seinen Rufen und seinen Gebärden sprach eine Angst, wie die Halligleute sie noch nie zuvor an ihm wahrgenommen hatten. Paul und Towe drängten die in ihrer Hast wirr durcheinander stolpernden Leute fast mit Gewalt aus dem Boote, und hinter dem letzten Geretteten schwangen auch sie sich über die Reling.

Das Deck der Hallig wimmelte von den durcheinander rennenden Fremdlingen. Der glutrote Feuerschein beleuchtete die Gesichter so hell, daß jeder Zug, jede Linie derselben zu erkennen war.

»Junge, Junge!« sagte Heik Weers zu Towe. »Nu hewwt wi up eenmal menschliche Gesellschaft, un mehr as toveel! Dat sünd Franzmänner, soveel ick man ut ehr Gesnack vernehmen kann.«

Er irrte nicht, die geretteten Seefahrer waren Franzosen. Ihr Kapitän hatte sogleich nach seiner Ankunft an Bord Keppen Jaspersen mitgeteilt, daß die Brigg zu zwei Drittel mit Sprengpulver beladen sei, das in den Goldminen von Südafrika verwendet werden und in Port Elisabeth gelandet werden sollte; und diese gefährliche Ladung müsse nun jeden Augenblick Feuer fangen. Dies war die Erklärung für die ungewöhnliche Aufregung und Angst unseres braven Schiffers.

Die aufgegeit gewesenen Gaffelsegel wurden wieder ausgeholt, und die Hallig suchte mit möglichster Eile aus der gefahrdrohenden Nähe des brennenden Fahrzeugs zu entkommen, wobei die auffrischende Brise ihr behilflich war.

Kaum zehn Minuten mochten vergangen sein, seit das Boot von seiner letzten Fahrt zurückgekehrt war, da flog die Brigg in die Luft. Ein Feuerstrom schoß zum Firmament empor und zugleich gab es einen Donnerschlag, wie ihn nur wenige der an Bord Befindlichen jemals zuvor vernommen hatten.

»Junge, Junge!« sagte Towe zu Paul. »Nüms kann weeten, wat allens up See passeeren doon deit! Ick denk' mi, so ungefähr möt ok de Rupptatschon in de Sundasee west sin, von de Keppen Jaspersen us verteilen ded.«

Die Luft schien von Blitzen erfüllt; das waren die glühenden Stücke der Planken, Masten und Spieren, die nach allen Richtungen durch die Finsternis geschleudert wurden. Die Erschütterung des Wassers wirkte so heftig auf das Schiff, daß viele der Leute an Deck niederstürzten. Hätte das wackere Fahrzeug sich noch auf der Stelle befunden, wo es beigedreht gelegen, so wäre es unfehlbar durch die brennenden Trümmer in Brand gesteckt, oder aber durch die herabstürzenden schweren Massen zum mindesten schwer beschädigt, und vielleicht abermals zum Wrack gemacht worden.

Der Zuwachs, den die Hallig durch die Geretteten erhielt, unter denen sich auch acht französische und italienische Goldgräber befanden, belief sich auf zwanzig Köpfe. Der Kapitän und die beiden Frauen wurden in der Kajüte, die Männer im Logis untergebracht. Da das Schiff sich nicht mehr weit von Kapstadt befand, so verursachte die Ernährung dieser Menge Menschen unsern Helden weiter kein Kopfzerbrechen, aber ein Gruseln überkam sie doch, wenn sie an die Möglichkeit dachten, daß sie dieses Rettungswerk etwa tausend Meilen vom Lande hätten ausführen müssen.

Noch eine andere Lebensrettung war ihnen auf der kurzen Strecke bis ans Ziel der Fahrt vorbehalten.

Am Tage darauf kam ihnen eine große eiserne Boje in Sicht, die von ihrer Verankerung in irgend einem Hafen losgerissen sein mußte. Vielleicht hatte sie auch ein Fahrzeug aus dem Schlepp verloren. Der Wind war wieder so flau, daß das Schiff nur soeben durchs Wasser ging. Als es dicht an der Boje vorbeilief, bemerkten sowohl die Halligleute, als auch die über die Reling guckenden Franzosen, daß sie beschädigt war. Eine Armeslänge über der Wasserlinie befand sich ein Loch von etwa zwei Fuß im Durchmesser. – Fräulein Ulferts und Kapitän Jaspersen und auch der am Ruder stehende Paul beschauten sich das Ding. Plötzlich hörten sie einen dumpfen Schrei aus dem Loche hervordringen. – Anfänglich wollten sie ihren Ohren nicht trauen, da aber nicht nur sie alle drei, sondern auch die in der Nähe stehenden Franzosen den Schrei vernommen hatten, so ließ der Schiffer die Segel aufgeien und das Boot zu Wasser bringen, in dem dann Towe mit zwei von den französischen Matrosen an die Boje heranrojte.

»Is dor wen binnen?« rief Towe in das Loch hinunter.

» Ay, ay!« Gleichbedeutend mit: » Yes, yes!« Sprich: Ai, ai (deutsch). antwortete eine hohle Stimme auf englisch. »Helft mir heraus, ehe ich hier ertrinke!«

Es war in der Boje so dunkel, wie in einem Teerfaß, so daß man nichts erkennen konnte. Towe ließ zurückrojen, um eine Leine zu holen; er machte einen Paalsteek (feste Schleife) hinein, ließ die Leine in die Boje hinab und rief: » Look out!«

» All right!« antwortete die Stimme. » Hoist away (heiß' auf)!«

Towe und die Franzosen zogen aus Leibeskräften und brachten nicht ohne große Mühe einen Mann aus dem Loche heraus, der so naß war, wie eine Wasserratte. Sie schafften ihn an Bord, und nachdem er einen Blechpott heißen Kaffee getrunken und einige Beschüten gegessen hatte, erzählte er dem Schiffer und seinen Getreuen, was ihm widerfahren war.

In der vergangenen Nacht war er von einem Schoner, der nach Madagaskar segelte, über Bord gefallen. Man hatte ihm einen Rettungsring zugeworfen, den er auch erwischte. Das Boot aber, das ihn auffischen sollte, konnte ihn in der Dunkelheit nicht finden, und so hatte der Schoner seine Fahrt ohne ihn fortgesetzt.

Als der Morgen graute, sah er in einer Entfernung von etwa zweihundert Meter die große Boje treiben. Er steuerte darauf zu, da er aber nirgends einen Halt gewinnen konnte, kletterte er in das Loch, in der Absicht, mit dem halben Leibe darin hängenzubleiben, wie einer, der aus dem Fenster sieht. Allein die Ränder des Loches waren so scharf, daß er sich dort nicht halten konnte und in das Innere hinabgleiten mußte.

Es waren anderthalb Fuß Wasser in der Boje, und alle Augenblicke schütteten die Spritzwellen noch mehr dazu, so daß er wohl voraussehen konnte, was mit ihm werden würde, wenn der Wind auffrischen und die See höhergehen sollte. Er wäre einem schrecklichen Schicksal anheimgefallen, wenn ein günstiges Geschick die Hallig seinem engen Gefängnisse nicht so nahe gebracht hätte, daß man an Deck seine erstickten Hilferufe vernehmen konnte.

Er dankte seinen Rettern mit bewegten Worten und wurde dann zu den übrigen Geborgenen nach vorn geschickt.

Drei Tage später lag die »Hallig Hooge« zu Kapstadt im Dock.

Sie war wie ein Wunder angestaunt worden, als der Schleppdampfer sie durch die große Schar der im Hafen ankernden Schiffe bugsierte. Die drei Notmasten und ihre Auftakelung erregten allgemeines Erstaunen, und die vier Mann an Deck – die Geretteten waren am Tage zuvor an Land geschafft worden – vernahmen manchen anerkennenden Zuruf und manches bewundernde Wort.

Hohes Lob ward ihnen auch von den Kapitänen und den anderen Fachleuten zuteil, die das Schiff im Dock aufsuchten, um es zu besichtigen und sich seine Schicksale erzählen zu lassen. Die meisten hätten es nicht für möglich gehalten, daß eine Besatzung von fünf Mann, von denen der eine während der Zeit, wo die Hauptarbeit, die Herstellung und Aufrichtung der Masten, verrichtet wurde, mit gebrochenem Bein in der Koje zubringen mußte, ein solches Riesenwerk ausführen könnte.

Da standen die drei Masten, zwar in ihren aus Tauen und Ketten hergestellten Laschungen mehr oder weniger gelockert, aber von den Wanten, Pardunen und Stagen noch so festgehalten, daß sie bei nicht zu argem Wetter vielleicht noch auf weitere tausend Meilen ihren Dienst hätten versehen können.

Sogleich nach seiner Ankunft hatte Kapitän Jaspersen an die Reederei des Schiffes folgendes Kabeltelegramm abgesandt:

»Hallig Hooge geborgen, mit Notmasten binnen gebracht. Ganze Besatzung ausgestorben, auch Kapitän und Steuerleute. Gelbes Fieber. Fräulein Ulferts allein noch am Leben und an Bord. Unterschiff vollständig seetüchtig. Teeladung fragwürdig. Was soll geschehen?«

Die auf demselben Wege eintreffende Antwort lautete:

»Dank für Bergung. Schiff docken und mit neuer Barktakelung versehen lassen. Teeladung möglichst günstig losschlagen. Fracht für Hamburg oder sonstigen nordischen Hafen an Bord nehmen. Fräulein Ulferts mit nächstem Dampfer hierherkommen, wo Fürsorge getroffen werden wird, oder dort an Bord bleiben, ganz nach Belieben. Bergegeld wird hier berechnet und ausgezahlt. Hoffen, Sie bald begrüßen zu können.«

Drei Monate später segelte die »Hallig Hooge« als stolze Bark mit der Flutströmung die Elbe hinauf, und nach abermals drei Monaten feierte Towe Tjarks mit Katje im Pfarrhause zu Westerstrand seine Hochzeit.

Der Bergelohn hatte für jeden der beteiligt Gewesenen eine namhafte Summe abgeworfen, der Schatz von der Nebelinsel aber war zu einer Sammlung von Gestein und Erzen zusammengeschrumpft, die zwar wertvoll für die Wissenschaft war, beim Verkauf aber nicht mehr als tausend Mark eingebracht hatte, welche Summe dem jungen Ehemann einstimmig zuerkannt und trotz seines Sträubens überwiesen wurde.

»Meinswegens,« hatte er endlich gesagt, »ick nehm' dat Geld, abersten bloß unter die Bedingung, dat Heik Weers de Hälft' dorvon kriegt un sick dormit an min Eiergeschäft beteiligt. Will he dat nich, dennso verschenk' ick de dusend Mark an de erste beste fromme Stiftung.«

Worauf Heik sich brummend einverstanden erklärte.

Dora fand im Pastorhause liebevolle Aufnahme und ein dauerndes Heim. Der Anteil, den ihr Vater an der »Hallig Hooge« besessen hatte, war auf sie übergegangen, sie konnte daher als eine nicht unbemittelte junge Dame gelten.

Nach Jahresfrist war wiederum eine Hochzeit im Pfarrhause; Kapitän Jaspersen führte Pauls Schwester Gesine heim.

Paul selber wurde zu rechter Zeit Steuermann, und als er nach nicht zu langer Frist auch das Kapitänspatent erworben und die Führung eines Schiffes erhalten hatte, da heiratete er Dora Ulferts, »sin Gespenst«, wie Towe zu Heik sagte, als er sich mit dem zum Hochzeitsmahl auf den Weg machte.

Der Hühnerhof blüht, und das Eiergeschäft geht gut. Heik hat sein Häuschen ganz in der Nähe von Towes Gehöft, und wie einst auf der öden Insel im südlichen Indischen Ozean, so erschallt auch heute noch oft von einer dieser Behausungen zur andern der dröhnende Anruf:

Hallig ahoi!


 << zurück