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11. Kapitel

Was die andern dazu sagten. – Wie Heik Weers den Robinson für einen Raubmörder und Brandstifter hält. – Paul und Dora. – »Dat Fräulein is'n Engel!«

 

Das Geschrei hatte alle Mann aus dem Schlafe geschreckt; der Schiffer, Towe und Gazzi kamen in eiliger Überstürzung herbeigelaufen.

»Paul, wo bist du?« rief der erstere.

»Hier, in der Kombüs'; ich habe den Geist!«

Das Erstaunen der drei beim Anblick des bewußtlosen Mädchens ist nicht zu beschreiben.

»Junge, Junge!« sagte Towe. »Ick heww mi dat Gespenst ganz anners dacht. De het jo gor keen Dodenkopp. Dat ischo 'ne ganz nüdliche lütte Deern.«

»Wollen sie achteraus bringen, ehe sie wieder zu sich kommt,« sagte der Schiffer kurz entschlossen; »hier können wir nichts mit ihr beginnen.«

Er nahm die Leblose auf und trug sie unter Pauls Beistand in die Kajüte, wo sie in des Jünglings Koje niedergelegt wurde, bis eine andere für sie hergerichtet sein würde.

Paul benetzte ihr Antlitz mit kaltem Wasser, Keppen Jaspersen kramte in der Medizinkiste nach Wiederbelebungsmitteln, und als er nichts Derartiges fand, riet Towe, der Patientin einen Schluck Grog zu geben.

»Von dem schlechten Rum, den wir hier neulich in dat eine Faß vorgefunden haben,« fügte er hinzu. »De brennt so bannig, dat man Dode dormit uperwecken künnt.«

Sie standen noch ratlos, da schlug das Mädchen die Augen auf und blickte wirr und abwesend um sich.

»Fürchten Sie sich nicht,« sagte Paul mit sanfter Stimme, »Sie sind unter Freunden. Hier tut Ihnen niemand etwas zuleide.«

Es schien, als hätte sie die Worte verstanden; sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sank wieder in Schlaf.

»Ich denke, wir können sie nun vorläufig ruhig sich selbst überlassen,« sagte der Schiffer leise. »Sie hat den Schlaf sehr nötig; wenn sie dann erwacht, wird sie hoffentlich bei klarem Verstande sein. Was mag das arme Kind ausgestanden haben! Sie wird die Tochter des Kapitäns sein; der Steuermann gedachte ihrer im Logbuch. Ich übergebe sie hiermit deiner Pflege und Aufsicht, Paul. Du hast sie gefunden, nun sollst du auch für sie sorgen. Verstanden?«

»Das will ich von Herzen gern tun,« antwortete der Jüngling. »Ich werde sie hegen und pflegen, als wäre ich ihre Mutter.«

»Nun, dann wird ihr nichts mangeln,« lächelte der Schiffer. »Aber nun kommt, sonst stören wir sie in der Ruhe.« – Sie gingen aus der Kammer. Paul schob die Türe bis auf einen schmalen Spalt zu.

»Ich möcht' woll wissen, wo sie all die Zeit verstaut gewesen is,« sagte Towe, sich an den Pfosten von Heiks Kammertüre lehnend. »Se ward uns veel to vertelln hewwen, wenn se erst ihren rechten Schick wieder hat.«

»Ihr könnt euch damals da vorn unmöglich gewissenhaft umgesehen haben,« meinte Keppen Jaspersen scherzend; »die Seekisten und Kojen habt ihr überholt und durchkramt, aber nach Damen euch umzusehen, dazu fandet ihr keine Zeit.«

»Nee, Kaptein, an Frugenslüd hewwt wi nich dacht; wat seggst du, Heik?«

»Nee, Towe, mit keen Gedanken nich,« antwortete der Invalide. »Nee, Kaptein, ganz gewiß nich. Harr ick wüßt, dat auf die ›Hallig Hooge‹ ein Frauenzimmer verstaut gewesen war, ich wär' um keine dusend Mark hier an Bord gekommen. Schiff und Mannschaft haben immer Unglück, wenn ein Frauenzimmer mit auf See geht. Nu is mich auch klar, warum ich mich das Bein un die Rippen hab' brechen müssen, un warum uns' Masten äwer Bord gahn sünd.«

Nach und nach legte sich die Erregung, die dies jüngste Ereignis hervorgerufen hatte, und jeder kroch wieder in seine Koje. Nur Paul blieb auf, weil er sich verpflichtet fühlte, über seinen Pflegling zu wachen. Er setzte sich in der Kajüte so, daß er die Türe der Kammer des Mädchens im Auge behielt, zündete seine Pfeife an und versank in Nachdenken. Dabei wurde er müde. Vergebens wehrte er sich gegen seine zunehmende Schläfrigkeit; das ungewohnte Umherstreifen über Berg und Tal hatte ihn angegriffen, und so war es kein Wunder, daß der Schlaf ihn endlich übermannte. – Draußen war es bereits heller Tag, als er mit einem Ruck emporfuhr. Towe stand vor ihm, einen Pott Kaffee in der Hand.

»Da, Sohn, drink,« sagte er. »Wo geiht dat mit din Gespenst?«

»Das Fräulein schläft noch, soviel ich weiß,« antwortete Paul. Er stand auf, ging auf den Fußspitzen zur Kammertüre, schob diese leise zurück und schaute hinein. Towe war ihm sacht gefolgt.

»Mein Gott!« flüsterte der Matrose, »wo süht se blaß un elend ut! Ich dacht' all, ick wull ehr ok en Pott Kaffee bringen, aber ick seh' nu woll, slapen is ehr gesünder.«

Paul schob die Türe wieder zu und ging dann mit Towe an Deck, nachdem er auf Towes Rat seine dicke Pijacke angezogen hatte. Es war eisigkalt; sie beeilten sich, in die warme Kombüse zu kommen, wo sich bald auch der Schiffer und Gazzi einstellten; denn auch in der Kajüte war die Temperatur nichts weniger als gemütlich, obgleich die ganze Nacht die große Hängelampe gebrannt hatte.

Der Schiffer erinnerte sich, gleich zu Anfang in einem Winkel des Vorratsraumes den eisernen Ofen gesehen zu haben, der in den kalten Gegenden in der Kajüte aufgestellt zu werden bestimmt war. Er befahl Towe und Gazzi, ihn heraufzuschaffen und an seinen Platz zu bringen. Das war bald geschehen, und von nun an brauchten unsere Freunde unter Deck nicht mehr zu frieren.

Da das Wetter gut war, wurde abermals ein Ausflug an Land beschlossen; der Schiffer hielt es für ratsam, daß alle Mann die Insel so genau als möglich kennen lernten. Paul sollte als Wächter und Koch an Bord bleiben.

Nach dem Frühstück wurde Proviant für einen Tag ins Boot geschafft; Gazzi betätigte sich bei den Vorbereitungen am eifrigsten; er war überhaupt, nachdem der Spuk gebannt war, der Munterste und Heiterste von allen.

Die Forschungsreisenden machten sich auf die Fahrt, und Paul blieb mit seinen beiden Patienten allein an Bord. Er räumte die Kombüse auf, sorgte, daß das Feuer nicht ausging, und begab sich dann in die behaglich erwärmte Kajüte, deren Scheinlicht von Towe und Gazzi in aller Eile wieder dicht gemacht worden war.

Das Mädchen schlief noch immer; er stattete daher Heik Weers einen Besuch ab. Seit das Schiff ruhig im Hafen lag, hatte sich der Zustand dieses würdigen Seefahrers wunderbar gebessert. Draußen auf See hatten ihm die heftigen Bewegungen des Fahrzeugs nicht nur fortwährend große Pein bereitet, sondern auch verhindert, daß die Knochen sich wieder aneinanderfügten. Bei dem Eintritt des Jünglings hellte sein mürrisches Gesicht sich auf, und ein freundliches Lächeln verbreitete sich bis in den struppigen grauen Bart.

»Süh dor, Paul,« sagte er. »Weetst, Sohn, ick glöw, nu ward dat all beter mit mi. Wenn dat ewige Liggen man nich so langweilig wer'. In die Kajüt' is dat nu so schön warm, mi dücht, da könnt' ich ganz gut schon ein bißchen an Deck sitzen und Segel nähen. Meinst nich auch?«

»Nein, Heik, das geht noch nicht. Du mußt Geduld haben. Ich will sehen, ob ich nicht ein Buch für dich auftreiben kann, dann hast du Unterhaltung. In der Kapitänskammer stehen drei Kisten, in die noch keiner hineingesehen hat. Vielleicht finde ich dadrin etwas zu lesen.«

Der Schiffer hatte ihm vor der Abfahrt aufgetragen, diese Kammer, die selbstverständlich bedeutend größer war, als alle andern, für das junge Mädchen herzurichten. Er schaffte daher die Kiste und das Bettzeug desselben in die Kammer des ehemaligen Steuermanns, die als solche durch allerlei nautische Instrumente und ähnliche Dinge kenntlich gemacht wurde und bisher unbenutzt geblieben war. Darauf machte er sich über die Kisten her, und da sie verschlossen waren, brach er eine nach der andern vorsichtig auf. Die erste enthielt Kleidungsstücke des verstorbenen Schiffers, Briefe und andere Dinge; er erachtete sich nicht für berechtigt, darin zu kramen, um so weniger, als dessen Tochter und Erbin an Bord war und sich, so hoffte er inständig, sehr bald selber damit beschäftigen würde.

Die zweite Kiste enthielt nichts als Damengarderobe.

»Nun ist für sie gesorgt,« dachte er erfreut. Und was für feine Kleider! Jetzt wollen wir sehen, was die dritte Kiste enthält. Aha, Bücher. Er wählte drei davon aus, klappte die Kisten wieder zu und kehrte zu Heik zurück.

»Hier ist etwas gegen die Langeweile,« sagte er. »Erstens ein Band Seegeschichten. Was sagst du dazu? Das wäre gleich etwas, nicht?«

»Seegeschichten?« entgegnete Heik verächtlich. »Bleib mich mit dat Zeug vom Leibe. Ick heww von de See all überleidig genug, von de will ick keine Geschichten mehr weeten. De dogen alltohop nix.«

»Schön; dann ist hier ein Buch mit Bildern, das handelt von Christoph Kolumbus. Wie ist's damit?«

»Wat för'n Christoph?«

»Christoph Kolumbus.«

»Den Mann kenn' ick nich. Lat dat annere Book mal sehn.«

»Das ist der Robinson.«

»De Robinson? Dat wer jowoll de Raubmörder, den se in Hamburg up den Stintfang hinricht hewwen? He harr ok mal de ganze Stadt in Brand steken. Hest nich von de grote Hamburger Brand hört? Gib mich das Buch, Paul, das will ich lesen.«

»Da, Heik,« sagte Paul und lachte. »Du irrst dich zwar gewaltig in der Person, aber das macht nichts. Robinson war weder ein Raubmörder, noch ein Brandstifter. Aber lies nur.«

»So? Wer he dat nich? Schade! Verlich verwessel ich ihm mit een annern Spitzbauwen. Gib mich das Buch. Süh, dat is schön dick, dat langt, bet ick wedder gesund bün. Ick les' man langsam, indem dat ich die Hälfte ümmer buchstabieren muß. Bildung hab' ich mein Lebtag nich gelernt, aber ich bün manchmal mit Lüd an Bord wesen, de bannig gebild't west sünd.«

Paul händigte ihm das Buch ein und ging dann an Deck, wo er die Zurrings von den Reservespieren nahm, damit diese Arbeit bereits getan wäre, wenn die Spieren zu neuen Masten verwendet werden sollten. Danach bereitete er in der Kombüse das Essen für seine Pfleglinge, eine aus allerlei Konserven zusammengesetzte kräftige Suppe.

»Großartig!« lobte er sich selber, als er sein Machwerk kostete. »Ich denke, die nächste Reise fahre ich als Koch. Damit wird der Isegrim, der Heik, endlich mal zufrieden sein.« Er hatte sich nicht getäuscht; schon nach dem ersten Löffel schmatzte der alte Matrose vor Vergnügen.

»Aber dat Buch, Paul! Zwei Seiten hab' ich nu all gelesen, dat war aber ein Stück Arbeit von anderthalb Stunden. Vielleicht kannst du mich daraus wat vorlesen, wenn du mal Zeit hast. Nee, Jung, wat is de Supp' aber schön! Loop, purr din Gespenst ut un giww ehr ok mal dorvon.«

»Nein,« entgegnete Paul, »sie soll schlafen so lange sie mag, das wird sie am ehesten wiederherstellen. Gebe Gott, daß sie klar im Kopfe ist, wenn sie erwacht. Sie muß Schreckliches erlebt haben, denn nicht umsonst hat sie Hilfe! Mörder!« gerufen, als ich sie festhielt.«

»Dat werden wir schon alles noch zu hören kriegen. Jetzt lies mich wat vor, Sohn.« – Paul setzte sich auf Heiks Seekiste und las. Heik lauschte anfangs mit großer Aufmerksamkeit, bald aber verriet ein lautes Schnarchen, daß er sanft eingeschlafen war.

Der Jüngling legte das Buch in die Koje, und ging leise durch die Kajüte bis an die Türe seiner Kammer, jetzt der Aufenthalt des jungen Mädchens. Als er die Türe sacht ein wenig zurückschob, da erwachte sie. Sie redete einige verworrene Worte, dann aber rief sie ganz deutlich: »Vater!« – Er schob die Türe weiter auf. Als sie ihn erblickte, erschrak sie heftig und suchte sich in ihren Decken zu verbergen.

»Haben Sie keine Furcht, Fräulein,« sagte er begütigend. »Wir meinen es gut mit Ihnen und werden dafür sorgen, daß niemand Ihnen etwas Böses zufügt.«

Sie schaute ihn mit ihren großen Augen furchtsam und zweifelnd an.

»Wer sind Sie?« fragte sie bebend. »Und wo bin ich? O, tun Sie mir nichts!«

»Nein, Fräulein, beruhigen Sie sich. Sie befinden sich an Bord der ›Hallig Hooge‹ und in völliger Sicherheit. Ich bitte Sie, ängstigen Sie sich nicht länger. Alle Mann würden für Ihren Schutz und Beistand gern das Leben einsetzen.«

Diese Worte des Jünglings verfehlten ihre Wirkung nicht. Das Mädchen musterte ihn lange und forschend, dann legte sie die Hand an die Stirne, als müsse sie nachsinnen.

»O, was ist geschehen?« rief sie dann leise. »Wie war es doch? ... Jetzt erinnere ich mich ... Mein Gott! Wie entsetzlich! ... Mir träumte von meinem Vater ... O Barmherziger, er ist ja tot!«

Sie weinte laut auf und barg das Antlitz in den Decken. Nach einer kleinen Weile erhob sie wieder den Kopf.

»Fassen Sie Mut, liebes Fräulein,« bat Paul, dem das Herz bei so viel Weh und Leid blutete. »Sie sind unter lauter Freunden, die Sie behüten und beschützen und glücklich heimbringen werden. Warten Sie, bitte, einen Augenblick, ich laufe und bringe Ihnen sogleich etwas zu essen, denn Sie werden sicherlich hungrig sein.«

Sie streckte den Arm aus, als wolle sie ihn zurückhalten.

»Sind alle tot? Alle?« fragte sie, ihn in banger Erwartung anblickend. – »Ja Fräulein; außer Ihnen fanden wir niemand mehr an Bord. Nun liegen Sie aber still; ich hole Ihnen eine Kumme gute Suppe.«

Damit lief er schnell davon.

»Das wird ihr gut bekommen,« sagte er zu sich selber, während er die leckersten Bissen aus dem Kessel fischte; »ich glaube nicht, daß ihr etwas Ernstliches fehlt.« Er kostete einen Löffel von der Suppe. »Ah,« sagte er, »köstlich! Ich freue mich darauf, zu sehen, wie ihr das schmecken wird. Übrigens würde ich niemals zugeben, daß meine Schwestern mit auf See gehen. Man sieht ja hier, wohin das führen kann ... Junge, Junge, die Suppe ist wirklich fein! Die muß ja jeden gesund machen, der überhaupt etwas von Suppe versteht.«

Er füllte sich eine Kumme voll und löffelte sie in einem Zuge aus.

»Damit sie Zeit gewinnt, sich ein bißchen zu sammeln,« entschuldigte er sich vor sich selber. Dann trug er des Mädchens Portion samt einem sorgfältig polierten Löffel achteraus.

Die Kammertüre war zugeschoben. Er klopfte bescheiden an.

»Herein!« tönte es leise. Er trat ein.

»Da bin ich wieder, Fräulein. Hoffentlich lege ich mit meiner Kochkunst bei Ihnen Ehre ein.«

Er reichte ihr Kumme und Löffel und trat dann zurück, die Augen erwartungsvoll auf die Patientin gerichtet, die unbefangen und mit bestem Appetit zu essen anfing.

»Sie sind so gütig,« sagte sie dabei; »ich danke Ihnen von Herzen.«

»Es schmeckt Ihnen also?« fragte er.

»Vortrefflich; seit langer Zeit habe ich nicht etwas so Gutes gegessen.«

Paul lächelte vergnügt und hochbefriedigt, als er ihr die geleerte Kumme und den Löffel wieder abnahm.

»Wie ruhig es hier an Bord ist,« bemerkte sie, sich wieder zurücklehnend.

»Das macht, wir liegen im Hafen vor Anker,« antwortete er, »und alle andern sind an Land. Es ist außer Ihnen niemand an Bord, als ich und ein Matrose, der mit gebrochenem Bein und eingeknickten Rippen in seiner Koje liegt. Ich heiße übrigens Paul Krull und bin Leichtmatrose, versehe aber schon längst Vollmatrosendienst. Darf ich nun auch um Ihren Namen bitten?«

»Ich heiße Dora Ulferts,« sagte das Mädchen.

»Sie sind die Tochter des verstorbenen Kapitäns dieses Schiffes, nicht wahr?« – »Ja,« antwortete sie, und brach in Tränen aus. Paul suchte sie zu trösten so gut er konnte, und hatte auch endlich die Genugtuung, sie wieder gefaßt zu sehen. Er erbot sich, ihr noch eine Kumme von seiner guten Suppe zu bringen; sie dankte jedoch und sprach den Wunsch aus, an Deck gehen zu dürfen.

»Sind Sie auch schon kräftig genug dazu, Fräulein Ulferts?« forschte er besorgt.

»O, gewiß, die frische Luft wird mir wohltun. Freilich –« sie unterbrach sich und warf einen zweifelnden Blick auf ihre Bekleidung.

Paul verstand. »O, das wollen wir bald kriegen, Fräulein!« rief er eifrig. »Ich habe die Kapitänskammer für Sie in Ordnung gebracht, dort werden Sie wohnen. Auch alle Ihre Kleider sind da, in der einen Kiste, wissen Sie. Jetzt bringe ich Ihnen noch warmes Wasser hinein, dann sind Sie wie zu Hause. Ziehen Sie sich nur recht warm an, denn es ist kalt an Deck. Wir haben schlechtes Wetter gehabt und alle Masten verloren; Sie werden Ihr Schiff kaum wiedererkennen. Ach bitte, Fräulein, nicht weinen! Fassen Sie Mut; der liebe Gott wird schon weiter helfen. Ihnen und auch uns.«

Damit verließ er sie. Eine halbe Stunde später erschien das junge Mädchen an Deck; sie hatte sich umgekleidet, das vorher so wirre Haar geordnet, trug einen warmen Mantel und ein Schaltuch um den Kopf. Sie sah jetzt so fein und vornehm aus, daß der herbeieilende Paul unwillkürlich tief die Mütze vor ihr zog. Er führte sie über das Deck, erzählte ihr von dem Sturme, zeigte ihr die Havarien und teilte ihr mit, daß das Schiff bald neue Masten erhalten sollte. Ein Zimmermann sei leider nicht an Bord, aber seine Maaten und er hofften zuversichtlich, diese Arbeit trotzdem ausführen zu können.

»Wieviel Mann sind Sie hier an Bord?« fragte sie.

»Im ganzen fünf, den Kapitän und den mit gebrochenem Bein in der Koje liegenden Matrosen mitgezählt. Es geht ihm aber jetzt schon besser.«

»O bitte, lassen Sie mich ihn pflegen!« rief sie. »Mein Vater hat mich den Samariterdienst erlernen lassen und ich habe auch schon einigemal an Bord Hilfe leisten dürfen. Darf ich den Mann sehen?«

»Jetzt schläft er,« antwortete Paul. »Es wäre lieb von Ihnen, sich seiner anzunehmen. Aber er ist ein alter Brummbär, das sage ich Ihnen gleich.« – Sie lächelte. »O, ich weiß mit Seeleuten umzugehen, habe ich doch drei lange Reisen mit meinem guten Vater gemacht. Wann erwarten Sie die andern an Bord zurück?«

»Nach Sonnenuntergang. Sie erforschen die Insel. Dort drüben am Strande liegt das Boot, das einzige, das uns geblieben ist.«

Als Paul später in der Kombüse das Mahl bereitete, leistete das Mädchen ihm mit kundiger Hand die besten Dienste. Es stellte sich bald heraus, daß sie vom Kochen viel mehr verstand, als er, und wahrscheinlich auch mehr, als selbst der große Towe davon wußte, der den vorzüglichsten Labskaus mischen und die feinsten Pfannkuchen backen konnte, soweit das Wasser salzig war, wie er selber behauptete.

Das Essen war fertig, die Forschungsreisenden konnten nun kommen. Dora erbot sich, dem invaliden Heik einen Blechpott voll Tee zu bringen.

»Bitte, warten Sie noch einen Augenblick,« entgegnete Paul; »ich will erst sehen, wie seine Stimmung ist.«

»Du Heik,« sagte er, als er in dessen Kammer trat, »freue dich, nun bist du bald wieder auf den Beinen. Ich habe nämlich eine geprüfte Samariterin für dich engagiert, die soll von jetzt an nach dir sehen.«

»Wat hest du ankaschiert?« entgegnete der alte Matrose mürrisch und argwöhnisch. – »Eine geprüfte Samariterin.«

»So? Wo hest du denn die up eenmal herkregen? Ick kann mi denken, wat du vörhest, aber bleib mich mit din Gespenst von Halse, hörst? Ick will von den Wiwerkram nix weeten.«

»Sei vernünftig, Heik, ohl Jung'. Das arme Mädchen hat niemand mehr auf der Welt, als uns, sie ist die Tochter des verstorbenen Schiffers der ›Hallig Hooge‹, wir müssen daher sehr gut zu ihr sein, du auch, Heik, hast du verstanden?«

»Meinswegens,« brummte dieser. »Kannst ehr jo herbringen.«

Paul ging und kam gleich darauf mit dem jungen Mädchen wieder, die den Blechpott mit Tee trug. Bei ihrem Anblick verschwand der bärbeißige Ausdruck von des alten Matrosen verwittertem Antlitz; er machte eine Bewegung, als wollte er an die Mütze greifen und sagte in merklicher Verlegenheit:

»Nehmen Sie's nich übel, Fräulein, daß ich hier so daliegen tu'; ich kann nich anners. Sie werden woll schon gehört haben. Ihr Unglück tut mich von Herzen leid; das kommt aber davon, wenn Frauensleut' zur See gehen tun. Ich wollt', ich könnt' aufstehen, dann wär' dat schicklicher, mit Sie zu reden. Entschuldigen Sie man, dat ich so auf die Seit' lieg', wie'n Fischerewer bei Ebbtid up'n Schlick, aber ich kann nich dafür. Kann ich woll, Paul?«

»Nee, Heik, ohl Fründ, dor kannst du nich för.«

Dora verweilte etwa eine Viertelstunde bei dem Patienten, dem sie versprach, daß er schon nach acht Tagen wieder aufstehen solle, wenn er ihre Weisungen genau befolgen würde.

Als sie ihn verlassen hatte, brüllte er nach Paul.

»Dat Fräulein is 'n Engel!« rief er begeistert, als dieser kaum die Kampanjetreppe herunter war. »En Engel, segg ick di, Jung'! Wo tut mich dat leid, dat ick dacht harr, se wer keen Engel! In acht Tagen schall ick all wedder upstahn, säd se. Junge, Junge, wenn doch alle Frugenslüd so wern, as düsse leewe goode Fräulein!«

Kurz vor Sonnenuntergang stieß das Boot drüben vom Strande ab.


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