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17. Kapitel.

»Es ist nicht unmöglich, daß ihnen etwas zugestoßen ist«. – Heiks Klipper. – Die Suche an Land. – Die Höhle. – »Ich hoffte schon, daß du ein Schwein wärest«. – »Towe war also wieder mal der Retter des Vaterlandes«. – Schlechte Kost.

 

Das so schnell heraufgezogene Unwetter und das Ausbleiben der beiden Gefährten erfüllte die an Bord der Hallig Zurückgebliebenen mit großer Sorge. Am meisten ängstigte sich Dora. Sie fragte den Schiffer immer wieder aufs neue nach den Aussichten, die die beiden in ihrem kleinen Boote und bei solchem Sturme wohl hätten, und dieser versuchte nach Kräften, sie zu beruhigen und ihr alle Angst auszureden. Er sagte, er wäre überzeugt, daß sie nicht daran dächten, unter solchen Umständen das Einlaufen in den Hafen zu versuchen und wohl längst irgendwo auf der Insel Zuflucht gefunden hätten. An Proviant fehle es ihnen nicht, das Segel gebe ein treffliches Zelt ab, und so würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach am nächsten Vormittag wohlbehalten wieder an Bord der Hallig erscheinen.

Diese in zuversichtlichem Tone gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, und leichteren Herzens begab das junge Mädchen sich zur Ruhe.

Schnell, wie es gekommen war, ging das Unwetter auch wieder vorüber. Der folgende Morgen war so ruhig und klar, als gäbe es gar keine Stürme und keinen Nebel in der Welt. Den ganzen Vormittag schauten Dora und die übrigen Halligleute nach den beiden Seglern aus, aber weder im Hafeneingang, noch drüben an der Landungsstelle des Strandes ließen diese sich blicken. Auch der Nachmittag verstrich unter vergeblichem Harren und Hoffen, und als die Nacht wieder finster über dem Hafenkessel und dem Schiffe lag, da waren die Trostgründe, mit denen der Schiffer sich und die anderen zu beruhigen suchte, nicht mehr zuversichtlich.

»Es ist nicht unmöglich, daß ihnen etwas zugestoßen ist,« sagte er zu Heik Weers. »Sind sie morgen früh noch nicht hier, dann müssen wir an Land gehen und nach ihnen suchen.«

»Dat is ganz schön, Keppen Jaspersen,« erwiderte der alte Matrose, »aber ohne Boot an Land gehen, dat soll nicht so ganz leicht sein. Zum Schwimmen is mich das Wetter zu kalt, sonst tät' ich dat sacht. Ich hab' keine Bang' um uns' Maaten. Towe is en fixen Kerl, der sich ümmer un äwerall to helpen weet, un Paul is grad so een'; ick heww noch keen' ohle Matros' kennt, mit dem de Jung' dat nich jederzeit aufnehmen könnte.«

»Um an Land zu kommen, ist gerade kein Boot nötig,« entgegnete der Schiffer; »dazu genügt auch ein Floß. Sind sie morgenfrüh noch immer nicht da, dann zimmern wir eins zurecht. Kommt das Boot nicht wieder, dann brauchen wir ohnehin ein solches Verbindungsmittel mit dem Lande. Heute nacht wollen wir übrigens Ankerwache halten. Es weht eine leichte Brise, vielleicht kommen sie noch. Gazzi nimmt die erste Wache, meinetwegen bis neun. Sie gehen bis zwölf und ich von da ab bis zum Morgen.«

Die Nacht verging, die Vermißten aber kamen nicht. Dora lag schlaflos in ihrer Koje und machte sich schon vor Tagesanbruch mit ganz verweinten Augen in der Kombüse zu schaffen.

Auch Jaspersen war es schwer ums Herz, als er in den grauenden Tag hinausstarrte.

»Kann ich Paul nicht mit mir heimbringen,« sagte er zu sich selber, »dann mag auch ich Westerstrand nicht Wiedersehen. Der Schmerz würde seinem alten Vater das Herz brechen. Und die arme Mutter! Möge Gott noch alles zum guten wenden!«

Mit Sonnenaufgang gingen sie an die Arbeit. Aus vier Fässern und einigen leichten Spieren wurde das Gerüst des Floßes hergestellt und das Ganze mit Planken bedeckt. Da die weggeschlagene Schanzkleidung noch immer nicht ausgebessert worden war, so machte das Zuwasserbringen des ungefügen Fahrzeuges keine Schwierigkeiten. Als es langseit lag, behauptete Heik, es sähe so schneidig aus, wie ein richtiger Klipper Mit sehr scharfen Linien gebauter, aufs beste ausgestatteter Schnellsegler, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts den transozeanischen Handelsverkehr vermittelte.. Er zimmerte aus einigen Brettstücken noch ein Paar Paddel zurecht und erklärte dann das Floß für seeklar.

Ohne noch länger Zeit zu verlieren begab sich die ganze Gesellschaft, auch Fräulein Ulferts, an Bord des »Klippers«, und da das Wasser spiegelglatt war, so gelangte man auch bald und ohne Fährlichkeit zur Landungsstelle. Hier trennte man sich. Der Schiffer und das junge Mädchen sollten die Küste bis zur Mündung des von Paul entdeckten Baches absuchen, Heik erhielt den Auftrag, querlandein zu wandern, den Aussichtsberg zu ersteigen und von dort sorgfältig in die Runde zu spähen, und Gazzi wurde angewiesen, nördlich zu steuern und das Land bis zum Robbenkap abzustreifen. –

Die Suche dauerte lange Stunden; wir wissen, daß sie vergeblich bleiben mußte.

»Es nützt nichts,« sagte Jaspersen endlich zu dem ermüdeten Mädchen, »wir müssen's aufgeben. Auf dieser Insel sind sie nicht gelandet.«

»Auch nicht an der Nordseite?« fragte Dora.

»Dort am allerwenigsten; das hätte Towe bei dem Sturme niemals unternommen. Ich denke, sie werden die andere Insel angelaufen sein, die von dem Berge aus zu sehen ist.«

»Konnten sie bei dem schrecklichen Unwetter in dem kleinen Boote bis dorthin gelangen?«

»Ich hoffe es; beide sind gute und erprobte Segler. Habe ich Ihnen schon erzählt, daß Paul einer von der todesmutigen Besatzung des Rettungsbootes gewesen ist, das Towe Tjarks und mich dem Tode entriß, als mein Schiff, die ›Hammonia‹ bei Westerstrand aufgelaufen und in Stücke gegangen war?«

»Nein. Wieviel Unglück Sie doch schon gehabt haben! Bitte erzählen Sie.«

Und Jaspersen erzählte ihr von dem Schiffbruch und von der liebevollen Pflege, die er im Pfarrhause zu Westerstrand gefunden hatte. Er redete mit Wärme und Eifer und großer Ausführlichkeit, um sie nicht zu der Frage kommen zu lassen, die er im Grunde seines Herzens so sehr fürchtete, zu der Frage, ob er die Vermißten noch am Leben glaube. Scheute er sich doch, sich selber diese Frage zu beantworten, denn er wußte als erfahrener Seemann, daß bei dem Unwetter jener Nacht das Boot und seine Insassen nur durch ein Wunder dem schwarzen Verhängnis entronnen sein konnten.

Sie stellte diese Frage nicht, wohl aber wollte sie wissen, ob Menschen auf den andern Inseln auch Mittel und Wege finden würden, ihr Leben zu fristen. Das wollte der Schiffer nicht in Abrede stellen. Wenn sie dort gelandet wären, so zweifle er keinen Augenblick daran, daß sie auch ihr Leben fristen und eines Tages zurückkehren würden. Janmaat wüßte sich immer zu helfen und in allen Lebenslagen, zu Wasser wie zu Lande, Rat zu schaffen.

»O, wer kommt da?« rief Dora plötzlich. »Ich glaube das ist Towe!«

Es war jedoch nur Heik Weers. Er hatte keinerlei Spuren gefunden, wohl aber von der Höhe des Aussichtsberges die Insel gesehen, die ihm den größten Teil des Tages in Nebel gehüllt zu sein schien. Ein paarmal habe er ein Stück von ihr in Sicht gehabt, aber immer wieder habe sich der Nebel davorgezogen, obgleich die Luft sonst ganz klar war. Weit sei es nicht bis dorthin, das wisse er jetzt.

»Un nah mine Gissung (Schätzung) sitten se beid' up dat Eiland, vorutgesetzt, dat se nich nah Gottes Keller gähn sünd.«

Auf dem Rückwege hing jeder seinen Gedanken nach; kein Wort unterbrach das bedrückende Schweigen. An der Landungsstelle saß Gazzi bereits und wartete. Da auch er nichts zu berichten hatte, paddelten sie langsam zum Schiffe.

Kapitän Jaspersen nahm sich vor, mit der Auftakelung des Fahrzeugs fortzufahren, so gut dies nach dem Verluste von zwei Mann immer gehen mochte. Auch beschloß er, ehe die Heimreise angetreten wurde, jener Insel einen Besuch zu machen, obgleich er in seinem Innern die traurige Überzeugung hegte, daß, wenn Paul und Towe wirklich dorthin verschlagen sein sollten, sie doch an einem völlig wüsten Ort und in einem solchen Klima unmöglich auf so lange Zeit ihr Leben würden fristen können.

*

Als Paul nach langem Schlaf aufwachte, mußte er zuerst seine Gedanken sammeln. Der Ort, an dem er sich befand, war dämmerig, etwa wie das Logis an Bord der Hallig. Es dauerte eine Weile, ehe er sich darauf besann, was mit ihm vorgegangen war. Plötzlich richtete er sich auf und blickte um sich. Towe war nicht da. Der treue Schiffsmaat lag vielleicht zwischen den Felsblöcken am Strande, ein verstümmelter Leichnam, ein Spiel der grausamen Brandung, hin und her geworfen von jeder anrollenden und wieder abrollenden Woge!

Die Stätte, die ihm so unerwartet Schutz geboten hatte, war eine Höhle, oder vielmehr ein tiefes Loch, von einem Felsendache weit überragt und auf dem Boden hoch mit Seetang bedeckt, den die Flut bei schweren Stürmen hineingespült haben mußte. Es war jedoch ersichtlich, daß die Roller nur selten diese hochgelegene Vertiefung erreichten, denn der Tang war so trocken wie Zunder. Dazu hielt das Felsendach sowohl den Nebel, als auch die Schnee- und Regenfälle ab, die in jenen Breiten den größten Teil des Jahres so trostlos machen.

Nicht ohne einige Mühe kletterte unser Freund an der Wand des Loches empor ans Tageslicht. Die Sonne blendete ihn, die Augen schmerzten von dem Seewasser, dessen Salzkristalle ihm Haar, Gesicht und Hände dicht bedeckten.

Noch immer toste die Brandung um die Klippen, noch immer trafen die Wogen mit schweren Schlägen den zerklüfteten Strand. Zahllose Seevögel umschwirrten ihn schreiend; sie kreisten ganz nahe um seinen Kopf und sahen ihn mit ihren blanken Augen feindselig an, als wollten sie ihm das Recht, auf dieser Insel zu weilen, streitig machen.

Obgleich die Sonne nur geringe Wärme herabstrahlte, so erfüllte sie ihn dennoch mit neuem Lebensmut, und dankbar wendete er den Blick mit einem kurzen Stoßgebet nach oben. Dann ging er, sich nach Trinkwasser umzuschauen, denn er verspürte einen brennenden Durst. Dabei kam ihm sein verlorener Gefährte keinen Augenblick aus dem Sinne. Allenthalben auf dem Strande und den Felsblöcken lagen Tanghaufen in mannigfacher Gestalt; in jedem fürchtete er den leblosen Körper seines Freundes zu erkennen.

Die Nebelinsel war bei weitem nicht so bergig und unwegsam, wie das Halligeiland. Nach kurzem Gange hatte er eine mit Regenwasser angefüllte Felsvertiefung gefunden; er löschte seinen Durst, wusch sich das Salz aus Gesicht und Augen und wendete sich dann zum Strande zurück, um nach Towe zu suchen.

Auf dem Wege fand er das an Land geworfene Ruder ihres Bootes; es war unbeschädigt. Überall stieß er auf ganze Lager angeschwemmten Tanges, zum Teil hoch auf dem trockenen Lande, ein Zeichen für die Heftigkeit des Seeganges während der Nacht.

Etwa hundert Schritt von der Stelle, wo das Ruder gelegen hatte, sah er große Scharen von Vögeln in großer Aufregung über einer bestimmten Stelle kreisen. »O, mein Gott!« sagte er zu sich selber, »da wird der arme Towe liegen!«

Unter Furcht und Zittern ging er zögernd näher. Die Vögel schienen durch einen Tanghaufen angezogen zu werden. Er blieb stehen, um sich innerlich zu festigen und auf den schrecklichen Anblick vorzubereiten, denn er war fest überzeugt, demnächst vor seines Gefährten Leiche zu stehen.

Langsam, Schritt für Schritt, ging er weiter. Jetzt hatte er den Tanghaufen erreicht. Da – was konnte das sein? Seltsame Laute drangen an sein Ohr. Er lauschte. Seevogelstimmen konnten solche Töne nicht Hervorbringen.

»Sollte ich etwa doch auf der Eberinsel sein?« sagte er zu sich selber.

Denn was er da hörte, waren Laute, wie sie in der Regel nur das bekannte Borstenvieh von sich zu geben pflegt.

Er lauschte mit gespanntester Aufmerksamkeit, dann trat er kühn ganz dicht an den Haufen heran und neigte sich darüber.

Außer dem Tange war nichts zu sehen; die Töne aber drangen aus dem Innern des Haufens hervor, daran war nicht zu zweifeln. Auch glaubte er, jetzt eine schwache Bewegung darin wahrzunehmen.

Wenn da ein Schwein läge!

Bei diesem Gedanken wurde der Hunger, den er bereits eine Weile verspürt hatte, geradezu unerträglich. Er rannte zurück und holte das Bootsruder, um sich seiner als Waffe zu bedienen, wenn der Eber, oder die Sau, was immer es sein mochte, sich etwa kriegerisch zeigen sollte.

Mit der Rechten hob er das Ruder schlagbereit hoch empor, mit der Linken zog er die oberste Schicht des Tanges zurück. Ein wildes Aufgrunzen – aber nicht aus der Kehle eines Schweins; denn unter dem Tange lag Towe Tjarks, naß, in zerfetztem Zeug, aber so fest schlafend, als ruhe er in seiner warmen Koje an Bord der Hallig.

»Towe!« schrie Paul jubelnd. »Towe!«

Der Matrose richtete sich auf, rieb die Augen und blickte verwundert um sich. Plötzlich sprang er empor, schlang die Arme um den Jüngling und drückte ihn glückselig an seine Brust. Paul erwiderte die Umarmung mit gleicher Inbrunst, und die wild umherkreisenden Vögel schauten erstaunt auf ein Schauspiel nieder, desgleichen ihnen auf ihrer Nebelinsel noch niemals zu Gesicht gekommen war.

Towe fand zuerst wieder Worte.

»Min leewe Jung'!« rief er. »Ick dacht', du wärst lange dod un all min Söken nah di müßt nu vergewens blewen. Un äwer düssen groten Smerz bün ick inslapen.«

»Just so war's mit mir,« antwortete Paul. »Ich hätte darauf geschworen, daß du ertrunken seist, und da habe ich mich auch schlafen gelegt.«

»Un nu lewt wi alle beid' noch, un ausgeruht haben wir uns auch. Ob dat woll Water auf düsse Insel geben tut? Ick bün mächtig drög, wenn ich auch von buten naß aussehen tu'.«

»Wasser genug, aber zu essen habe ich noch nichts gefunden. Ich hoffte schon, daß du ein Schwein wärest.«

»Danke, sehr freundlich. Ick bün aber ümmer noch Towe Tjarks. Wat hest du dor?«

»Das Bootsruder. Hoffentlich finden wir das Boot auch noch.« – Paul führte den wiedergefundenen Gefährten zu dem Frischwasserbecken, wo dieser einen tiefen Trunk tat und sich das Salz vom Gesicht und aus dem struppigen Barte spülte. Dann gingen sie strandwärts, das Boot zu suchen. Beiden war's hohl im Magen; sie schauten mit begehrlichen Blicken nach den Vögeln, und warfen auch mit Steinen nach denen, die auf den Felsen saßen, ohne jedoch einen zu treffen. Pinguine, die sie leicht hätten erlegen können, waren nicht sichtbar. – Da gelang es Paul, einen Albatros zu beschleichen und mit dem Bootsruder niederzuschlagen.

»Da haben wir etwas zu Mittag,« sagte er, als er dem Vogel den Kopf abgeschnitten hatte.

»Hunger heww ick jo,« meinte Towe, die blutige Beute betrachtend, »aber so weit is dat mit mich noch nich, dat ich rohe Albatrosse verzehren könnt'; laß ihn man noch liegen.«

Paul war derselben Ansicht. Der Vogel sah durchaus nicht verlockend aus. Später, wenn ihr Hunger größer wäre, würden sie vielleicht nicht mehr so wählerisch sein. Sie schnallten ihre Leibriemen enger und gingen zum Strande hinab. Dabei berichtete Paul von der Höhle, in die ihn ein gütiges Geschick, allerdings mit einem Kopfstoß, hineingeführt hatte und von dem trefflichen Nachtlager, das er dort gefunden. Eine gute Unterkunft hatten sie also jetzt, um das übrige wollten sie sich vorläufig keine Sorgen machen. Es müßte ganz verdwars gehen, sagte Towe, wenn sie schließlich nicht doch noch mit heiler Haut und wehender Flagge davonkommen sollten.

Und als ein gutes Omen entdeckten sie gleich darauf hinter einer scharfen Biegung des Strandes das Boot. Es lag kieloben, hoch und trocken und außerhalb des Bereiches des gewöhnlichen Hochwasserstandes. Mit lautem Hurra eilten sie daraufzu und betrachteten es von allen Seiten.

Ihre Freude wurde aber erheblich gedämpft, als sie ein großes Loch im Buge wahrnahmen.

»Dor kannst du din Kopp dörstecken,« knurrte Towe. »Keen Mast is ok nich dor, keen Seil (Segel), keene Rem's, keen nix.«

»Schadet nichts, Towe,« entgegnete Paul, »das Boot ist da, das ist die Hauptsache, und wir müßten ja Pomuchelsküppe Pomuchel = Dorsch. sein, wenn wir's nicht wieder ausflicken und seetüchtig machen könnten.«

»Hast recht, Sohn,« sagte Towe. »Wi ward de Sak woll bestroppen. Wi hewwt zwar keen Holz un ok keen Werkzeug nich, aber wat makt warn kann, ward makt. Dat Boot is de Hauptsak, hest recht. Eenige Tid ward dat aber woll duern. Lat us dat Boot nu noch en beten wider rupholen; Vörsicht is beter as Nahsicht; un dunn gahn wi nah din Höhl'.«

Sie richteten das Fahrzeug auf und zogen es eine Strecke höher aufs Land, so daß selbst die höchste Flut und die stärksten Roller es nicht mehr zu erreichen vermochten; darauf schritten sie der Höhle zu, wobei sie nicht vergaßen, den erlegten Albatros mitzunehmen.

Towe war ganz erstaunt über das wettersichere und trauliche Obdach, das die Natur hier für sie eingerichtet hatte.

»Hier het de Jung' legen un slapen as de Sultan von Fez un Marokko, un ich mußt' da draußen unter den Hümpel Tang krauchen un frieren as 'n wilden Eber!« rief er in komischer Entrüstung. »Wo heet dat doch glick, Paul, dat von de ungleiche Verteilung.«

»›Ungleich verteilt sind die Güter des Lebens unter der Menschen flüchtig Geschlecht‹, – meinst du das?«

»Ja, dat meen ick. Un de Tang is manchmal ok ungleich verteilt. Din hier is as drög un week un warm as Eiderdunen, un min was natt un kolt un rök nah fulen Fischkram. Aber lat man, slapen heww ick doch.«

Paul lachte, dann sagte er:

»Ob wir diesen trockenen Tang wohl als Zunder verwenden und ein Feuer damit anmachen könnten? Du hast ja Stahl und Stein bei dir. Wir haben allerdings kein Holz, aber wenn es gelänge, einen tüchtigen Haufen Tang in Glut zu bringen, dann hätten wir auch Hitze genug, den Albatros gar zu kochen. Versuche dein Heil, ich balge inzwischen den Vogel ab.«

Pauls Arbeit war die leichteste, denn Towe schlug im Schweiße seines Angesichts Funken aus dem Steine, bis ihm die Finger erlahmten, aber der Tang wollte nicht Feuer fangen. Endlich gab er's auf und rief seinem Leidensgefährten zu, daß sie entweder den Albatros roh essen oder verhungern müßten.

»Ich warte noch bis morgen,« war die Antwort; »dazu bin ich noch nicht hungrig genug.«

Da auch keine Vogelnester mit Eiern auf dieser Seite der Insel am Strande zu finden waren, so mußten sie sich endlich mit knurrendem Magen auf das Lager strecken. Trotzdem waren sie herzlich zufrieden. Sie hatten gutes Wasser, gute Unterkunft und im Notfalle konnten sie sich mit rohem Vogelfleisch ernähren. Andere Schiffbrüchige hatten viel größere Drangsale auszustehen gehabt. Ihre Kleider waren im Laufe des Tages auf ihren Leibern getrocknet, an die Kälte hatten sie sich so ziemlich gewöhnt, hier in dem Loche spürten sie sie kaum, und als sie sich in den Tang eingewühlt hatten, war ihnen bald ganz behaglich und warm.

Paul schlief einige Stunden tief und fest, dann weckte ihn das laute Schnarchen seines Genossen. Aufblickend gewahrte er einen schwachroten Feuerschein an der Decke der Höhle, und zugleich verspürte er einen beißenden, unangenehm riechenden Qualm. Er sprang auf, kletterte aus dem Loche heraus und sah nun, daß der Haufen Tang, den Towe vergeblich zu entzünden versucht hatte, sich in voller Glut befand. Die Felsen im näheren Umkreise waren davon rot angestrahlt, und ein dicker bräunlicher Rauch wälzte sich langsam landeinwärts.

»Törn ut, Towe! törn ut!« schrie er in das Loch hinunter. »Wir haben ein prachtvolles Feuer!«

Towe erhob sich schnell, hustete, schalt auf den Rauch und fragte dann, indem er emporkroch, wer das Feuer angemacht habe.

»Wer anders, als du?« antwortete Paul. »Deine Funken müssen doch wohl irgendwo gefangen haben, der Tang hat dann sachte weiter geschwelt, und nun siehst du, was draus geworden ist.«

»Towe war also wieder mal der Retter des Vaterlandes,« sagte der Matrose. »Nu leg' din Albatros up de Glut, deck' em mit Tang to und dann sollst du sehen, ehe eine halbe Stunde vergeht, haben wir den feinsten Braten.« – Gesagt, getan. Sie warteten gar nicht erst so lange, bis das Fleisch vollkommen gar war, sondern machten sich nach kurzer Zeit darüberher wie ein paar hungrige Wölfe.

»Ah!« rief der Matrose, als er den letzten Knochen abgenagt hatte, »nu is mich wieder wohl! Schön het dat verrökerte, tranige Fleesch just nich smeckt, aber ich bün satt, un man muß nich zuviel verlangen. Nu wüllt wi wedder intörn'.«

Sie schoben die Glut ein Stück weiter nach Lee, damit der Qualm nicht mehr in die Höhle ziehen konnte, deckten noch einen Haufen Tang darauf, um das Feuer zu erhalten, und legten sich dann aufs neue zum Schlafe nieder.

Viele Tage lang lebten sie von solchem in der Glut gerösteten Vogelfleisch. Diese Nahrung war kümmerlich und auch wenig zuträglich, aber sie hielt doch Leib und Seele zusammen. Zuweilen, wenn die Luft ausnahmsweise einmal klar war, konnten sie in blauer Ferne das Halligeiland liegen sehen, zumeist aber lagerte dichter Nebel über ihrer Insel. Ihre größte Sorge war, wie sie das Boot ausbessern könnten, da sie weder Holz noch Werkzeug hatten. Dazu war das Wetter fast unaufhörlich rauh' und stürmisch, die Regengüsse löschten mehrmals das Feuer aus, und der Vorrat an trockenem Tang verminderte sich in bedenklicher Weise. Bald mußte es mit diesem Brennmaterial zu Ende sein.

Um so lange als möglich damit zu reichen, erlegten sie eine große Anzahl von Pinguinen, deren Nistplätze sie inzwischen entdeckt hatten, und rösteten alle auf einmal. In dem kalten Klima hielt das Fleisch sich lange, ohne zu verderben; sie brauchten nun das Feuer nicht immerwährend in Brand zu halten und konnten den Tang sparen. Zur Aushilfe hatten sie auch die Eier, die sie den Nestern entnahmen.

Towe war der erste, der zu murren begann und sich mit dieser Kost unzufrieden zeigte.

»Dat is nix nich für christliche Seefahrer,« sagte er verdrossen. »Wir müssen das Boot seeklar kriegen, oder wir gehen hier an Skorbut zugrunde. Dazu aber is mich mein Leben noch zu lieb, auch hab' ich Katje zu versorgen.«

»Katje ist in unserem Hause daheim gut genug versorgt,« entgegnete Paul, »aber fort müssen wir dennoch von hier. Wenn wir nur die Remen fänden, dann ließe sich wohl der Versuch machen. Sie müssen doch irgendwo an den Strand getrieben sein. Dann verstopfen wir das Loch im Boote mit Stücken von unseren Kleidern oder von dem Segel, das ich neulich aus der Brandung fischte und halten uns warm durch Rojen und Ösen Das in ein kleines Fahrzeug oder Boot eingedrungene Wasser ausschöpfen; auch ausösen.

»Dat hört sick ganz good an, Sohn, aber wi hewwt de Rem's man nich, un wi könt ok dat Boot nich dicht maken, un stoppten wi ok all uns' Tüg rin. Nee, min Jung', wi möt wat anners utdenken.«

»Wie du meinst. Jedenfalls aber müssen mir nach den Remen suchen. Wir sind noch gar nicht auf der anderen Seite der Insel gewesen; vielleicht liegen sie da schon längst und warten auf uns.«

»Dat is nich unmöglich. Schaden kann dat nich, wenn wi dor ens herumsnökern. Mit Nichtstun erreichen wir nix nich, un in letzter Tid is uns' ganze Arbeit man bloß Nichtstun gewesen. Also morgen früh schall dat losgahn, denn wüllt wi um diese Perle des Ozeans ens herümlopen. Verlich finn' wi wat. Kann wesen, kann ook nich wesen.«


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