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Erster Teil

Erstes Kapitel.
Auf Helgoland.

»Wo mag nur Erich heute wieder so lange bleiben, lieber Wilhelm,« sagte Frau Doktor Walder, als sie an einem stürmischen Novemberabend in das Studierzimmer ihres Gatten trat, und mit besorgtem Ausdruck auf dem lieben, milden Antlitz durch die Fenster auf das Unterland der Helgoländer Felseninsel und die weite, tief unten brüllende Nordsee blickte.

»Ängstigest du dich wieder um deinen wilden Jungen, Mamachen?« erwiderte der Doktor, sein Buch niederlegend, und umschlang liebreich die zarte Gestalt, »er ist ja schon zwölf Jahre alt und kommt nicht mehr so leicht zu Schaden. Was sollte ihm denn auch passieren, auf das Meer fährt er nicht wieder ohne meine Erlaubnis im kleinen Ruderboot hinaus, seit ich ihm das streng verboten habe, denn wenn auch unternehmend und waghalsig, ist er doch stets ein braver, gehorsamer Sohn. Wahrscheinlich wird er auf der Heimkehr von seinen englischen Stunden im Hause des Gouverneurs am Falm bei den Fischern stehengeblieben sein, die in der Dämmerung, als ich vorüberging, zu Dutzenden ein Schiff in der Ferne beobachteten, das von den hochgehenden Wogen hin und her geworfen, den Eingang der Elbe zu erreichen suchte und in großer Gefahr war, den bösen Seehundsklippen zu nahe zu kommen, auf denen schon so mancher stolze Dreimaster zerschellt wurde.«

»Gott bewahre die arme Besatzung!« rief Frau Walder erbleichend, »lieber Mann, wie beunruhigt mich Erichs täglich' zunehmende Vorliebe für das Meer und sein heißer Wunsch, einmal Seemann zu werden!«

»Das mußt du überwinden, liebes Kind,« sagte der Doktor freundlich, aber mit ernsterem Ausdruck auf seinen gütigen, männlich schönen Zügen, »ich habe dir ja oft gesagt, daß es mir auch nicht lieb wäre, wenn er sich diesen Beruf wählen würde, aber wir dürfen es ihm nicht verbieten, wenn er wirklich einmal ernstlich darauf bestehen sollte. Ich möchte ihn am liebsten zu einem tüchtigen Arzt erziehen, als solcher kann er ja auch, wie ich in meiner Jugend, als Reisebegleiter eines Fürsten oder eines andern reichen Herrn, auch als Schiffsdoktor die weite Welt kennen lernen.«

»Ja, von seinem Papa hat er diese unbezwingliche Reiselust offenbar geerbt,« sagte sie lächelnd, »und ich habe auch gewiß nichts dagegen einzuwenden, nur möchte ich nicht, daß er Seemann wird, und ein so ruheloses Leben voll steter Gefahren, immer in weiter Entfernung von uns, führt. Dazu der harte Anfang für so einen armen Schiffsjungen, der auf deutschen Fahrzeugen, wie ich gehört, mehrere Jahre von den Matrosen manchmal geradezu mißhandelt und zu den gröbsten Arbeiten angestellt wird. Aber ich hoffe, daß seine heiße Liebe zum deutschen Vaterlande und die Rückkehr in die Heimat seiner Eltern, wo er geboren und die ersten Kinderjahre so glücklich verlebte, ihn bald wieder auf andere Gedanken bringt. – Das allein tröstet mich etwas bei der Aussicht auf die bevorstehende Trennung.«

In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und der Gegenstand der mütterlichen Sorge, ein frischer, fröhlicher Knabe mit strahlenden, blauen Augen und dunkellockigem Haar, stürmte herein, übergab dem Vater einige Briefe und Zeitungen, welche die Postschaluppe mitgebracht und ihm vom Boten am Falm übergeben waren, und dann erzählte er der Mutter die Erlebnisse der letzten Stunden. Mit freudiger Teilnahme hörte sie ihm zu, alle vorhergegangene Sorge war vergessen, erkannte doch das Mutterherz mit Stolz und Wonne, daß ihr Erich nicht allein ein schöner, kluger, sondern auch ein braver, gutmütiger Junge sei. Wie feurig schilderte er ihr seine Angst um die Menschen auf dem gefährdeten Schiffe, und seine Freude, als die erfahrenen Fischer am Falm, die dasselbe durch ihre Fernrohre beobachteten, ihm endlich versicherten, daß es nach hartem Kampfe mit Sturm und Wogen, den Seehundsklippen entgangen, und in das richtige Fahrwasser zum Elbeingange gelenkt sei.

Doktor Walder hatte indessen seine Briefe gelesen, und das vierte Glied der Familie, die kleine, liebliche, blondlockige Helga sprang herein, um das fertige Abendessen anzumelden.

Ja es war eine sehr glückliche Familie, die das idyllische Schweizerhäuschen bewohnte, das mit umlaufenden Galerien hart am Felsenabhange auf dem Oberlande von Helgoland erbaut war.

Doktor Walder und seine bedeutend jüngere Gattin waren in dem grünen Harzgebirge geboren, und als Sohn eines unbegüterten Arztes, in der armen Bergstadt Klausthal, hatte er in seiner Jugend hart gearbeitet und mit den Sorgen des Lebens gekämpft, um seine Studien zu vollenden. Wohlwollende Beschützer hatten dann den tüchtigen jungen Doktor einem reichen Bremer Kaufherrn als Reisebegleiter für dessen einzigen Sohn empfohlen, mit dem er die weite Welt durchfahren, und als er nach Jahren heimkehrte, unterstützte er seinen alten Vater in dessen Praxis. Arme Bergleute und ihre Familien waren seine Patienten, und seine Einnahme reichte lange nicht aus, um sich einen eigenen Herd zu gründen. So wurde er über vierzig Jahre alt, bis er imstande war, die zarte liebliche Tochter des Predigers in einem benachbarten Dorf als Gattin heimzuführen. Leider wurde sie nach einigen Jahren sehr kränklich; ihr Halsleiden machte ihm viele Sorgen, und dankbar nahm er deshalb die Einladung seines alten Onkels an, der als unverheirateter Arzt seit vielen Jahren auf Helgoland lebte und ihn aufforderte, mit der jungen Frau und ihrem kleinen dreijährigen Sohne Erich für den ganzen Sommer auf die idyllische Nordseeinsel zu kommen und ihn, da er nachgerade alt werde, in der Badezeit bei der Behandlung seiner Patienten zu unterstützen. Mutter und Kind erholten sich in der frischen, stärkenden Seeluft wunderbar; mehrere Sommer wurde der Aufenthalt dort wiederholt. Erich war der Liebling des alten Onkels geworden, und als ihm in seinem sechsten Jahre auf Helgoland zu seiner großen Freude ein kleines Schwesterchen geschenkt wurde, die der Insel zuliebe den Namen Helga erhielt, – da war das Glück der Familie vollkommen.

Der Onkel hätte sie gern das ganze Jahr über bei sich behalten, aber dazu konnte sich Doktor Walder nicht entschließen, teils weil er als glühender Patriot sein deutsches Heimatland nicht ganz verlassen mochte, um für immer auf einer zu England Helgoland wurde erst am 15. Dezember 1890 von England an Deutschland abgetreten. gehörenden Insel zu leben, besonders aber, weil sein alter Vater anfing, sehr schwach zu werden, und in dem rauhen Harzwinter seine Patienten nicht ohne Beistand behandeln konnte.

Als Erich zehn Jahre alt war, traf die Familie binnen sechs Monaten ein doppelter Verlust, der alte Doktor Walder starb im Frühjahr, und sein Sohn war gezwungen, alle Patienten einem jungen Kollegen zu überlassen, da ein Brief aus Helgoland ihm meldete, daß auch sein alter Onkel erkrankt sei. Da kein zweiter Arzt dort war, mußte er sofort, früher als gewöhnlich, mit seiner Familie nach der Insel reisen, um ihn zu pflegen. Er erkannte bald, daß er ihn in nicht ferner Zeit verlieren würde. Wohl erholte sich der alte Herr noch so weit, daß er das Bett verlassen, und sich den Sommer über auf der Altane und im hübschen Gärtchen an den fröhlichen Kindern erfreuen konnte, aber beim Eintritt der rauhen Herbstwinde fühlte er sein Ende nahe und bat den Neffen dringend, nun ganz auf Helgoland zu bleiben, er wolle ihm dann nicht allein seine Patienten, sondern auch sein hübsches Schweizerhaus mit der ganzen Einrichtung als Erbteil hinterlassen. – Doktor Walder kämpfte einen schweren Kampf, es ward ihm nicht leicht, seine heißgeliebten grünen Berge für immer aufzugeben – und dennoch – ein Blick auf das zarte Antlitz der Gattin und ihr Ebenbild, die kleine Helga, die Ueberzeugung, daß die nun jahrelang gewohnte Seeluft ihrer Gesundheit notwendig sei, half ihm, seine eigenen Wünsche zu unterdrücken. Er willigte ein, der Onkel machte sein Testament, setzte ihn zum Haupterben ein, bestimmte ihm sein Haus, und den übrigen Verwandten nur ein kleines erspartes Kapital. Es war dem alten Herrn eine große Freude, daß der Neffe, den er hochschätzte, fortan alle seine Pflichten übernehmen und die kleine Familie, die ihm sein Alter verschönt hatte, nun stets in seinem lieben, selbst erbauten Häuschen leben würde. Wenige Wochen nach diesen Bestimmungen wurde der Greis auf dem kleinen Friedhof zur letzten Ruhe bestattet, tief betrauert, nicht nur von Doktor Walder und den Seinigen, sondern von allen Helgoländern, die er ebenso sehr geliebt wie die einsame Felseninsel inmitten der wilden Nordsee, auf der er fünfzig Jahre gelebt hatte.

Ja, Helgoland hat einen eigentümlich fesselnden Reiz für alle, die einmal die frische, stärkende Seeluft, das ungezwungene Leben daselbst genossen haben, das beweisen die Tausende von Badegästen, die alljährlich dort Erholung suchen. Niemand vergißt jemals den wunderbaren Anblick, wenn man mit dem Dampfschiffe von Bremerhaven oder Hamburg kommend, zum ersten Male diesen schroffen, viel zerklüfteten, sechsundsechzig Meter hohen Felsen inmitten der unermeßlichen Wasserfläche erblickt, der von wilder Brandung umtost, mehr und mehr abbröckelt, und sicher einst einmal ganz von der brausenden Nordsee verschlungen wird.

Unzählige Seemöwen und andere hellfarbige Vögel nisten auf den roten Klippen, und flattern in großen Schwärmen über den blaugrünen Wogen hin und her oder setzen sich auf die gewaltigen, phantastisch gestalteten Felskolosse, die vor den andern Klippen weit vorspringen, oder wie der sogenannte »Mönch«, »die Kanzel«, »der Pastor«, im Laufe der Jahrtausende ganz von der Insel losgerissen sind.

Am besten sieht man die seltsamen Formen der Felsenriffe, die tiefen unheimlichen Grottentore – von den Insulanern »Gatte« genannt – bei einer Rundfahrt um die ganze Insel, wie die Badegäste sie besonders gern bei Meerleuchten und Vollmondschein unternehmen, oder bei der alljährlich einigemal veranstalteten bengalischen Beleuchtung dieser Grotten. Solch einen Anblick vergißt man nie im Leben, ebensowenig wie den Sonnenuntergang auf der nordwestlichen Endklippe des Oberlandes. Wohl nirgends ist derselbe so erhaben schön als hier, wo man eben nichts sieht als das unermeßliche Meer, das purpurn und goldig gefärbt erscheint, unter den letzten Strahlen der Abendsonne, die dann langsam wie eine große feurige Kugel in der Ferne versinkt.

Selbst der redseligste Zuschauer verstummt bei diesem Anblick und tritt, in ernste Gedanken versunken, den Heimweg an durch die sogenannte Kartoffelallee, besucht aber zuvor die nicht weit von der Nordspitze errichtete Nebelsignalstation, welche die vorüberfahrenden Schiffe durch alle zehn Minuten abgefeuerte Knallraketen bei Nebel vor der Nähe der gefährlichen Riffe vor Helgoland warnt. Mancher Schiffbruch ist schon durch diese segensreiche Einrichtung verhütet worden, ebenso durch den achtzehn Meter hohen, auf dem Oberlande erbauten Leuchtturm, dessen strahlendes, von einer sechsdochtigen Lampe mit Spiegelreflektoren gespendetes Licht, auf zwanzig Seemeilen Entfernung zu sehen ist. Nahe dabei liegt der alte, von den Hamburgern im Jahre 1670 erbaute Leuchtturm, jetzt nur noch als Signalstation für die Schiffer verwendet, auf dessen umlaufenden Ruhebänken die fremden Kurgäste gern die wundervolle Rundsicht auf den unermeßlich weiten Wasserspiegel genießen.

In dem Hügel, auf dem das alte Gebäude steht, fand man Urnen und Gebeine, ebenfalls im sogenannten »Moderberg« nahe der Südspitze, wo die Kanonen aufgestellt sind. Ein gut erhaltenes männliches Skelett von zwei Gipsplatten umschlossen, wurde dort ausgegraben, nebst einer Bronzewaffe und zwei goldenen Spiralringen, die im Museum von Kopenhagen aufbewahrt werden. Sachverständige hielten das Grab etwa tausend Jahre alt, und man nimmt an, daß es die Ueberreste des Friesenkönigs Ratbod enthielt, der zu jener Zeit auf der Insel lebte.

Von der Südspitze gelangt man in die Hauptstraße des Oberlandes, die sich hart am Felsenabhang, mit einer Mauer versehen, die ganze Ostseite entlang zieht, dort sind die besten Logierhäuser mit gar herrlicher Aussicht auf das Unterland und weit hinaus über die Dünen und das Meer. Von früh bis spät stehen hier »am Falm« die älteren Schiffer und Lotsen, mit der kurzen Pfeife im Munde, und spähen unverwandt nach fernen Segeln und Schiffen in Not und Gefahr, denen dann die von der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger angestellte Küstenwache mit ihren vorzüglichen Rettungsapparaten trotz Sturm und Wogengebrüll zur Hilfe eilt, denn die Helgoländer Schiffer trotzen mutig jeder Gefahr. Sie sind überhaupt biedere, prächtige Menschen, groß und kräftig gebaut, aber von ernstem Wesen, und haben sich fast alle auf ihren weiten Reisen als Seefahrer und im Verkehr mit den vielen Fremden, welche die Insel besuchen, eine gewisse Bildung und Menschenkenntnis erworben. Verbrechen sind bei ihnen unerhört, und es hat noch nie ein Gefängnis auf Helgoland existiert. Sie sprechen einen friesischen, für die Badegäste schwer verständlichen Dialekt, aber Gottesdienst und Schule finden in deutscher Sprache statt. Die etwa 2300 Einwohner hängen alle sehr an den Sitten und Gebräuchen ihrer Vorfahren, nur die kleidsame Nationaltracht ist bei der jüngeren Generation durch den Fremdenverkehr sehr verdrängt worden. Den »Peik«, das ist der kleidsame scharlachrote Rock unten mit breitem Bande besetzt, sieht man nur noch bei den alten Frauen, die eine lange schwarze Schürze und den schwarzen, vor der Sonne schützenden Helgoländer Hut mit auf den Rücken herabfallendem Zipfel dazu tragen. – Sie sind ein sehr tanzlustiges Volk, und viele Kurgäste besuchen weit lieber die Tanzlokale »Im grünen Wasser« und »Zur Meereswoge«, wo sie die hübschen, schlanken Insulanerinnen mit den jungen Fischern tanzen sehen, als die Bälle im großen Saale des Konversationshauses, der achthundert Personen fassen kann. Derselbe befindet sich im Unterlande, das durch eine hundertundneunzig Stufen hohe, sehr breite, mit Ruhebänken versehene Treppe mit der oberen Stadt verbunden ist; außerdem besteht seit 1885 ein durch Dampfmaschine betriebener Personenaufzug, dessen zwei Fahrstühle je zwanzig Personen fassen. Das ist jedenfalls für die Fremden eine bequemere Beförderung, als die bei brennender Sonne sehr beschwerliche, schattenlose Treppe, die früher bei der Rückkehr vom Bade mittags und dann wieder abends zu den verschiedenen Vergnügungslokalen doch gar zu anstrengend war, denn auch das sehr elegant eingerichtete Theater, sowie Leihbibliothek, Lesesäle und Kaufläden befinden sich im Unterlande, während die meisten Fremdenwohnungen oben sind.

Als Erich Walder erfuhr, daß er fortan immer auf Helgoland bleiben müsse, nicht mehr wie sonst im Herbst in die grünen Tannenwälder des Harzes zurückkehren sollte, war er tief betrübt; er liebte wohl sehr die hohe Felseninsel, und vor allem das weite, wogende Meer, – aber sein Heimatland ging ihm doch über alles, dazu die Schulkameraden in der teuren Vaterstadt in den Bergen, und sein geliebter Klassenlehrer Dr. Bucher, der es so meisterhaft verstand, seine Schüler in der Weltgeschichte zu unterrichten. Sie alle sollte er nun verlieren! – Das war die erste schwere Prüfung in seinem jungen Leben, und der sonst so heitere Knabe war für mehrere Wochen völlig niedergeschlagen und in sich gekehrt. Seine Eltern boten alles auf, um ihn zu zerstreuen, ihm die neue bleibende Heimat angenehm zu machen und waren sehr erfreut, als der alte kinderlose Gouverneur gerade um diese Zeit seinen Abschied nahm, und die englische Regierung seine Stelle einem Offizier übergab, der früher lange in Indien gedient hatte, und seine jungen Töchter und zwei Söhne in Erichs Alter nun aus dem englischen Institut nahm, und mit nach Helgoland brachte. Er hielt denselben einen englischen Hauslehrer, und als sich bald eine warme Freundschaft zwischen den beiden Familien entspann, wurde vereinbart, daß Erich den Unterricht mit den beiden Knaben des Gouverneurs und dem einzigen Sohne des zweiten Predigers, der sie Weltgeschichte, Geographie und andere Wissenschaften lehrte, sowie die englischen Sprechstunden bei dem Erzieher teilen sollte. Er lernte nun ebenso fleißig als früher in der Klausthaler Schule, gewann seine neuen Kameraden lieb, und sein alter Frohsinn kehrte bald zurück. Der frische und dabei so gutherzige Sohn des allgeehrten Doktors wurde nach und nach der Liebling aller Inselbewohner, und besonders ein alter biederer Seemann, der nach langjähriger Abwesenheit vor kurzem mit einem kleinen, fremden, sechsjährigen Mädchen, das er bei einem Schiffbruch rettete, auf die heimatliche Insel zurückgekehrt war, wurde Erichs bester Freund. Die Frau desselben hatte nach dem Tod ihres einzigen Kindes, das einsame Leben bei der steten Abwesenheit ihres Mannes nicht aushalten können, und deshalb im Unterlande am Fuße der Treppe ein kleines Handelsgeschäft mit gemischten Waren angefangen, das sehr gut ging und sich immer mehr vergrößerte. Sie lieferte besonders den Frauen Kleidungsstücke und andere notwendige Artikel für die Haushaltung, den fremden Kurgästen hübsche Kleinigkeiten und Andenken an die Insel, aus Muscheln verfertigt, und alle unterhielten sich gern mit der klugen, freundlichen Frau, die bald für Erich und seine kleine Schwester Helga eine große Vorliebe faßte. Frau Doktor Walder kam selten ins Unterland, schickte meistens die Kinder hinab, um bei Frau Hamke ihre Einkäufe zu besorgen, die an Sonntagen auf dem Kirchwege häufig im Doktorhause vorsprach, um nachzufragen, ob etwas Besonderes notwendig sei, das sie durch die Postschaluppe von Hamburg mitbringen lassen wolle.

Als nun ihr Gatte nach langjährigen Irrfahrten in fremden Meeren und Ländern endlich zu ihrer großen Freude zurückgekehrt war, und ihr noch dazu ein kleines Pflegetöchterchen mitgebracht hatte, meldete sie dies frohe Ereignis gleich dem auf dem Wege zur Post vorbeigehenden Erich, und gern versprach er ihrer Einladung, am nächsten Sonntag auf einige Abendstunden zu kommen, Folge zu leisten. Es war ihm zu interessant, die kleine Marie zu sehen, den alten Hochbootsmann oder Quartermeister kennen zu lernen und aus seinem Munde die wunderbare Geschichte ihrer Rettung zu hören, die mit vielen Zusätzen auf der ganzen Insel besprochen wurde.


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