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14. Kapitel.

Paul und Towe an Land. – Die Pelzrobbe. – Warum Paul seinen Stiefel aufgeben mußte. – »Schall ick di nu nich en beten up'n Puckel nehmen?«

 

Mehrere Tage lang war das Wetter naßkalt und böig. Die Arbeit an Deck wurde unterbrochen und alle Mann saßen in der Kajüte bei der Anfertigung der neuen Segel. Fräulein Ulferts hatte auf Heiks inständiges Bitten diesem gestattet, die Koje zu verlassen und sich auch daran zu beteiligen; nun saß er seelenvergnügt, wenngleich noch mit den Schienen am Beine, mitten unter seinen Schiffsmaaten und arbeitete, ohne aufzuschauen, mit größtem Eifer, als müsse er nachholen, was er so lange versäumt hatte.

Eines schönen Morgens aber stieg die Sonne strahlend am heiteren, blauen Himmel empor.

»Jetzt ist's Zeit!« rief der Schiffer fröhlich. »Towe und Paul, marsch, vorwärts an Land! Schafft uns Kohl an Bord und vergeßt auch nicht, soviel Kaptauben zu schießen, wie ihr nur irgend könnt. Gazzi setzt euch an Land und bringt dann das Boot zurück, weil ich es brauchen will, um allerlei Kram nach der Obeliskenklippe zu schaffen. Und bleibt euch noch Zeit, dann steigt auf einen Berg und schaut euch um, ob irgendwo andere Eilande in Sicht sind. Das Wetter ist klar genug dazu.«

Die beiden Freunde machten sich auf den Weg. Sie beschlossen, sich die sichtige Luft gleich zu Anfang zunutze zu machen und nach andern Inseln auszuschauen, da man nicht wissen konnte, ob der ganze Tag so heiter bleiben würde. Sie steuerten daher sogleich auf den höchsten der sich vor ihnen erhebenden Gipfel zu, und als sie ihn nicht ohne Anstrengung erklommen und oben eine Weile Rundschau gehalten hatten, da entdeckten sie in östlicher Richtung Land.

»Dat muß die Eberinsel sein, Paul,« sagte Towe. »Mensch, wenn ich jetzt so 'ne gebratene Schweinskeule hier haben täte! Bi düssen Hunger, den ick nu all wedder verspüren do! Wat seggst du, Sohn, schalt wi us hier dalsetten un wat eten?«

»Ich bin dabei, obgleich wir vorhin erst an Bord gefrühstückt haben. Aber hier oben gibt's auch Wasser, wie ich sehe; also setzen wir uns.«

Sie hatten einen reichlichen Vorrat von Hartbrot und Salzfleisch mitgenommen; letzteres war von Fräulein Ulferts in Scheiben geschnitten und säuberlich in ein reines Leinentuch gepackt worden.

»Junge, Junge, et is doch en annern Snack, seit wir dat Fräulein bei uns haben,« sagte Towe kauend und stellte lange und tiefsinnige Betrachtungen an über den Unterschied der Verpflegung in einem von einer klugen Frau geregelten Haushalt und im Mannschaftslogis an Bord, »wat en wohren Swinkram dorgegen is.« – Paul, der ganz derselben Meinung war, mahnte bald zum Aufbruch; denn sein Gefährte hatte bereits wieder Katje und das Eiergeschäft mit in seine wirtschaftlichen Ausführungen gezogen, und es war zu fürchten, daß er nun sobald kein Ende finden würde.

»Wir haben viel vor uns,« sagte er, indem er sich erhob. »Ich denke, wir steuern zunächst östlich, dann kommen wir zu dem Teil des Strandes, wo die Vögel nisten. Es ist eigentlich seltsam, daß sie sich nur dort aufhalten, und nicht überall an der Küste.«

»De wern woll weeten, worüm se dat doon,« entgegnete Towe. »Wohrschinlich sünd de Fisch dor beter, verlich sünd ok de Felsen dor härter un unbequemer, denn so 'n Seevogel kann gor nich hart und unbequem noog sitten, wenn he brüden doon deit.«

Um zum Strande zu gelangen, verfolgten sie eine tiefe, vielfach gewundene Schlucht, die oft so steil abwärts führte, daß sie in Gefahr gerieten, zu stürzen. Hie und da versperrten gewaltige Steinblöcke den Pfad und zwangen sie, all ihre Kletterkünste in Anwendung zu bringen. Diese Blöcke sahen so aus, als seien sie durch Erderschütterungen von den oberen Teilen des Berges losgerissen und herabgeschleudert worden.

»Der Schiffer wird wohl recht haben, wenn er meint, daß die Crozets vulkanischen Konvulsionen ihre Entstehung verdanken,« bemerkte Paul, »sie scheinen, nach diesen überall umherliegenden Brocken zu urteilen, auch jetzt noch, nachdem sie vielleicht schon ungezählte Jahrtausende existieren, ab und zu an solchen Zuckungen zu leiden.« – »Möglich is dat jo woll,« erwiderte Towe. »Aber solange wir mit de Hallig nach hier sünd, könt wi keen Konvulsitschon nich bruken. Denk' doch mal, wenn so'n Undiert von Steen von baben kümmt, un keen Mensch röppt: wohrschu!«

Nach vielen Mühseligkeiten kamen sie endlich unten am Strande an. Die Wasserkante war hier viel zerrissener, als in der Gegend vom Jaspersenhafen. Überall, bis weit in die See hinaus, ragten Klippen aus dem Wasser empor, über die hinweg die Brandung mit ungeheurer Gewalt gegen das zerklüftete Land anstürmte, wo sie sich weit in die Risse und Spalten des Felsbodens hinein verlief.

»Da liegt ein Seehund,« rief Paul, der seine scharfen Augen überall umherschweifen ließ. »Dort auf dem flachen Steine!«

»Junge, Junge, dat ischo 'ne Pelzrobbe!« sagte Towe in hellem Eifer. »Wenn wir so 'n paar hundert Stück davon kriegen könnten, dennso könnten wir den Tee man ruhig über Bord hieven, denn der is doch schon muffig geworden. De Pelzrobben geben dat feine Pelzwerk, dat Sealskin, weetst dat ok, Sohn? Dat kost't bannig deuer. Schieß ihm, Paul, schieß ihm!« – »Von hier aus erreiche ich ihn nicht mit dem Revolver; ich muß mich näher heranschleichen, dann will ich ihn schon treffen. So einer wäre besser als hundert Kaptauben; viel traniger, als die, wird sein Fleisch auch nicht sein. Beschleiche du ihn von dieser Seite, Towe; halte mich aber nicht für den Seehund, wenn du schießen willst.«

»Ick ward mi woll vörsehn, min Jung'. Schieß du nur nich vorbei, so 'n Sealskinpelz wer so wat für min Katje.«

»Hm!« sagte Paul zu sich selber, »Freund Towe ist doch etwas voreilig. Treffe ich den Seehund, dann soll Fräulein Ulferts den Pelz bekommen, und keine andere.«

Auf verschiedenen Wegen pirschten die beiden sich nun über Steingetrümmer und wassergefüllte Felsspalten an das ahnungslose Wild heran. Plötzlich krachte ein Schuß, und mit betäubendem Geschrei erhoben sich Tausende von Seevögeln von ihren Felsensitzen in die Lüfte. Der Seehund aber lag regungslos und tot. Paul hatte ihn gut getroffen.

»Hurra!« rief Towe. »Geschossen wie der Schützenkönig von Husum!«

Paul schob den Revolver in die Tasche und eilte auf seine Jagdbeute zu, leichtfüßig über Felsblöcke und Spalten hinwegsetzend. Schon hatte er die Robbe fast erreicht, da tat er einen Fehlsprung und fiel bis an den Gürtel in das eisige Wasser eines breiten Risses. Er wollte wieder aufs Trockene klettern, vermochte dies aber nicht, weil sein rechter Fuß in eine Klemme geraten war.

Die Schwell von der See draußen wirkte auch auf die den weiten Spalt füllende Flut, die alle Augenblicke bis zu Pauls Hals emporschwappte. Er riß und zerrte, aber es half ihm nichts, er steckte mit dem Fuße wie in einem Schraubstock. Endlich brüllte er laut nach Towe.

»Wo bist du?« rief dieser, der ihn aus den Augen verloren hatte.

»Hier! Mach' schnell! Ich ertrinke und erfriere!«

Towe war im Nu zur Stelle, allein, soviel er auch zog und wuchtete, er konnte Paul nicht befreien.

»Töw, Sohn,« sagte er endlich keuchend vor Anstrengung, »töw, wi kriegt dat woll. Dat Been kann ick di nich utrieten, aber den Stäwel kreeg' ick sacht af.« – Damit warf er blitzschnell seine Kleider ab und stieg, das Messer zwischen den Zähnen, vorsichtig ins Wasser.

»Was hast du vor?« fragte Paul zähneklappernd.

»O, keine Bang' nich; dat Been snid ick di nich af. Halt' mir unter Wasser, wenn ich wieder hochkommen sollt', ehe du frei bist.«

Er tat einen tiefen Atemzug und tauchte unter. Paul fühlte einen Schmerz im Fuß und zugleich auch, daß derselbe nicht mehr so fest in der Klemme stak, und dann kam Towe wieder hoch, wobei er fast so aussah, wie die Kreatur, die dieses Mißgeschick verursacht hatte.

»Dat is bestroppt,« sagte er; »nu töw, bet ick di helpen kann.«

Er kletterte aus dem Loche, packte Paul bei den Armen und zog ihn empor. Der Stiefel blieb zurück, der Fuß aber wurde frei, wenn auch mit einer blutenden Wunde auf seinem oberen Teile, wie der Jüngling gewahrte, als er triefend neben seinem Retter stand.

»Dank', Towe, alter Freund,« sagte er. »Hättest du mir nicht geholfen, dann wäre ich vor Kälte umgekommen. »Zieh' dich schnell wieder an, du klapperst noch mehr als ich.« Während der Matrose mit größter Behendigkeit die Kleider anlegte, drückte Paul nach Möglichkeit das Wasser aus den seinen und dann schleppten beide die Robbe auf das eigentliche Festland.

»Ein schwerer Kerl,« sagte Towe. »Ich will ihn ausnehmen, dann wird er leichter und wir können ihn besser tragen. Die Robbenklopper Seefahrer, die die Seehunde ihres Tranes wegen erlegen. Dies geschieht mit dem Robbenknüppel, einem am Ende mit eiserner Spitze und Haken versehenen schweren Stocke. Die Robbenklopper erschlagen die Tiere auf den Eisfeldern der nördlichen Meere zu Tausenden, so daß in manchen Gegenden die Seehunde schon fast ausgerottet sind. ziehen die Felle mit dem Specke daran gleich an Ort und Stelle ab; die verstehen sich aber auch darauf; wir verstehen uns nicht darauf, worüm? wi sünd keen Robbenkloppers nich.«

Als die Robbe ihrer Eingeweide entledigt war, band Towe sie Paul auf den Rücken, denn der fror in seinen nassen Kleidern am meisten und hatte daher eine tüchtige körperliche Anstrengung am nötigsten.

»Jetzt noch Kohl und Kaptauben, und dann zurück an Bord,« sagte er, als sie ihren beschwerlichen Weg wieder antraten. Er hatte Pauls stiefellosen und verwundeten Fuß fest mit seinem eigenen Wollhemd umwickelt, denn anders war dem Schaden vorläufig nicht abzuhelfen. Es ließ sich in dieser ungeschickten Fußbekleidung schlecht ausschreiten, da sie an dem zackigen Gestein überall haften blieb. Der ohnehin schon unter der Last des schweren Seehundes keuchende Paul ward hierdurch bald so erschöpft, daß er nicht weitermarschieren konnte. Warm war er allerdings jetzt geworden.

Sie kamen überein, diese Jagdbeute liegen zu lassen und mit Tang und Steinen zu bedecken, damit die Vögel den Pelz nicht beschädigen konnten. Wenn sie sich noch weiter damit schleppten, dann mußte es Mitternacht werden, ehe sie an Bord kamen.

Die Robbe war bald sicher geborgen, eine Arbeit, die Towe besorgte, während Paul sich ausruhte und die Fußbandage neu befestigte. Dann ging es weiter, dem Wasserlaufe zu, in dessen Nähe der Kohl wuchs. Sie sammelten einen Vorrat davon, schossen auch noch sechs Kaptauben, beluden sich damit und setzten ihren Weg fort.

Die Wunde an Pauls Fuß war inzwischen sehr schmerzhaft geworden. Sie rührte von einem Messerschnitt her, den Towe ihm bei dem Ablösen des Stiefels beigebracht hatte. Er begann so stark zu hinken, daß der wackere Matrose sich voll Mitleid erbot, ihn auf den Rücken zu nehmen. Davon aber wollte der Jüngling nichts hören; er biß die Zähne zusammen und stapfte mutig vorwärts. Trotzdem kamen sie nur langsam von der Stelle, und da auch die Umhüllung des Fußes oft von neuem befestigt werden mußte, so waren sie, als die Nacht einsetzte, noch weit vom Jaspersenhafen entfernt.

»Wenn wir uns nur ein Feuer machen könnten,« sagte Towe, »dennso täten wir die Nacht hier kampieren, oder du bliebst hier und ich holte noch einen von Bord, dann trügen wir dir bis ins Boot. Aber ohne Feuer tätest du bald erfrieren, wenn du auf uns töwen müßtest.«

»Wir müssen also weiter, Towe,« antwortete Paul. »Es bleibt uns nichts anderes übrig. Mehr als drei Knoten Fahrt werden wir allerdings nicht rauskriegen. Und da geht die verflixte Bandage schon wieder auf!«

»Un hier kommt ok 'ne Bö!« rief Towe. »Nu gaht dat slechte Weder all wedder los! Hest din Bandasch wedder fast? Schön; nu man weiter mit Sang un Klang, wir fahren auf der Eisenbahn, so lang es uns gefällt!«'

Regen, Schnee und Schloßen rauschten urplötzlich in Massen herab, und jäh kam der Sturm daher und schnob heulend und pfeifend um die Felsen und durch die Klüfte und Schluchten der unwirtlichen Insel. Von der Küste her kam der Donner der Brandung und erfüllte die Herzen unserer verspäteten Wanderer mit höchst unbehaglichen Empfindungen. Mühsam, mit unsicheren, stolpernden Schritten, verklammten Gliedern und durchfroren bis ins Mark, kämpften sie gegen die wütenden Windstöße an, und jeder sagte sich, daß sie nur geringe Aussicht hätten, das Schiff noch in dieser Nacht zu erreichen. Sogar Towe Tjarks, dieser in allen Wettern erprobte alte Seemann, begann sehr stark daran zu zweifeln, daß er eine solche Nacht, ohne das geringste Obdach mit heiler Haut würde überwinden können. Trotz alledem machten beide gute Mienen zum bösen Spiel und suchten einander nach Kräften aufzumuntern.

»Duert nich mehr lang, Sohn, denn kriegt wi dat Licht von de Hallig in Sicht!« rief Towe; »oder Keppen Jaspersen kümmt sülben an Land un kiekt nah us ut, us binnen to lotsen.«

»Dat is woll möglich,« erwiderte Paul. »Wir finden aber auch so – donnerlüchting!«

Dieser Ausruf entschlüpfte ihm, als er der Länge nach zu Boden stürzte, weil seine Bandage wieder an einem Stein hängengeblieben war.

Towe tastete in der Finsternis umher, seinen gefallenen Schiffsmaaten zwischen den Felsblöcken zu entdecken.

»Wo büst du, Sohn?« rief er. »Oha, dor heww ick di. Nu wüllt wi en Törn mit min letzt Kabelgarn um din Bandasch nehm, dennso ward se woll wedder 'n Wil' holln. Schall ick di nu nich en beten up'n Puckel nehmen?«

»Meinetwegen,« sagte Paul. »Wir kommen dann wohl ein wenig schneller vorwärts.« – Towe nahm ihn auf den Rücken und trug ihn stolpernd und strauchelnd einige hundert Meter durch die Finsternis; dann setzte er ihn, auf sein bestimmtes Verlangen, wieder ab.

Noch zwei volle Stunden vergingen, bis sie, durchweicht, erstarrt, zu Tode ermüdet und von zahllosen Stürzen und Stößen zerschunden, das Licht der Hallig endlich durch die Nacht flimmern sahen.

»Hurra!« rief Towe. »Dor liggt de ohle Dreemastschoner! Wi wüllt em anpreien, aber beid' toglik: Hallig ahoi!«'

Keine Antwort.

»Hallig ahoi!«

»Jetzt haben sie wieder gerufen,« sagte Paul. »Es war nur undeutlich zu hören. Wir wollen nach der Landungsstelle gehen, das heißt, wenn wir sie finden. Sie liegt mehr nach links, glaube ich.«

»Hest recht,« antwortete Towe, sich von einem Fall wieder aufraffend. »Ick heww dat an den Boden föhlt. Wi wüllt em nochmal anpreien, de Wind het just en beten abflaut.«

»Hallig ahoi!«

»Ahoi!« kam die Antwort über das Wasser.

Einige Minuten später hörten sie rojen, dann legte das Boot an.

»Ihr seid lange ausgeblieben,« rief ihnen der Schiffer entgegen. »Ihr müßt ja halbtot sein. Schnell, springt ins Boot, und dann an Bord mit euch!«

»Dat springt sick nich mehr so, Kaptein,« antwortete Towe. »Min Schippsmaat is so lahm as en Katt.«

Jaspersen reichte Paul eine hilfreiche Hand. Der Jüngling hatte seine Kaptauben trotz aller Not und Fährlichkeit nicht im Stiche gelassen und trug sie an einem Kabelgarn um den Hals.

»Ihr kommt wenigstens nicht leer zurück,« sagte der Schiffer. »Das muß ich loben.«

»Nee, Kaptein,« antwortete Towe, der ein Bündel Kohl vor dem Leibe hängen hatte, »un an Land hewwt wi noch mehr verstaut.«

An Bord warteten unsrer Abenteurer ein gutes von Fräulein Ulferts bereitetes Nachtessen und warme, trockene Kleider. Sie berichteten bei dampfender Pfeife ihre Erlebnisse, suchten dann ihre Kojen auf und schliefen »bis in die hohe Sonne«.


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