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Achtzehntes Kapitel.

In dem kleinen Wäldchen von Lazienki zwischen den Festungswerken, der Artilleriekaserne, der Militärschule und dem Schloß von Belvedere befindet sich in dem Wege, welcher das Gehölz nach dem Schlosse Belvedere hin durchschneidet, eine Brücke, auf welcher sich die Statue des großen Polenkönigs Johann Sobieski erhebt.

Von dieser Brücke aus erblickt man den Höhenzug von Skulez und kann in wenigen Minuten das Schloß, in welchem der Großfürst Konstantin seine Residenz hielt, erreichen.

Zu dieser Stelle, an welcher am Tage eine lebhafte Passage stattfand, welche aber bei Nacht höchstens von Ordonnanzen passiert wurde, die von dem Schloß nach den Kasernen zu gehen hatten, kam, als der Abend des neunundzwanzigsten November seine dunklen Nebelschatten über die entlaubten Baumkronen des Gehölzes geworfen hatte, in eiligen Schritten von der Stadt her der Leutnant Wisocki. Aber er überschritt die Brücke nicht, sondern blieb unter der Bildsäule Sobieskis stehen, um aufmerksam nach allen Seiten hin zu lauschen.

Er hatte nicht lange zu warten, denn bald nach ihm erschien von derselben Seite her eine dunkle, schwarz gekleidete Gestalt mit einer tief in die Stirn gezogenen polnischen Pelzmütze auf dem Kopfe.

Diese Gestalt trat ebenfalls unter die Bildsäule und flüsterte den Namen des großen Polenkönigs, der hier, in Erz gegossen, schweigend dastand und für jeden Polen die Verkörperung des nationalen Glanzes und Sieges bedeutete.

»Ah, Sie sind es, Gosczynski!« sagte Wisocki, dem Angekommenen die Hand reichend; »jeden Augenblick kann die lang ersehnte Stunde schlagen, mein Herz will fast zerspringen vor banger Unruhe.«

»Das meine nicht minder,« erwiderte der Dichter Severin Gosczynski, »diese Stunde schließt ja viele Jahrhunderte der Zukunft in sich, und in unseren Händen liegt die Entscheidung über Knechtschaft oder Freiheit.«

»Die Freiheit wird siegen oder wir werden sterben! Doch still, kein lautes Wort mehr, der Zufall ist oft schon bei großen Entscheidungen zum Verräter geworden.«

Es kamen nacheinander noch sechzehn junge Leute, Schüler der Akademie und Fähnriche der Militärschule.

Alle traten zu der Bildsäule heran, gaben flüsternd das Losungswort und warteten auf Wisockis Befehl in tiefem Schweigen.

Ihre Geduld sollte auf eine harte Probe gestellt werden. Die Uhren auf dem Belvedere und von der Stadt her schlugen eine Viertelstunde nach der andern – nichts regte sich rings umher und die Höhen von Skulez waren in tiefe Nebel gehüllt.

»Um Gottes willen,« flüsterte Wisocki, »was kann geschehen sein? Entsetzlich, wenn ein Verrat unsern Plan vernichtet hätte!«

»Das fürchte ich nicht,« erwiderte Gosczynski, »wenn unter uns ein Verräter wäre, so verdienten wir die Freiheit nicht, wir bedürfen Zeit, um alle Vorbereitungen sicher zu treffen, und wenn nicht alles zusammenklappt, wäre unsere Sache verloren.«

»Zeit,« seufzte Wisocki, »immer Zeit und immer warten, wenn das Herz in Flammen steht und man aufschreien möchte vor Ungeduld! Und Nabielak, der uns Waffen bringen sollte, kommt auch nicht.«

Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.

Da klangen Schritte auf dem Wege.

Auf Wisockis leise geflüsterten Befehl traten alle noch mehr in den Schatten zurück und jeder stellte sich an einen Baumstamm, so daß ein Vorübergehender kaum die hier Versammelten hätte bemerken können.

Zwei Männer kamen auf dem Wege daher, sie trugen große Körbe, denen ähnlich, in welchen die Kaufleute bestellte Waren in die Häuser senden.

Auf der Brücke blieben sie stehen und traten dann an die Statue Sobieskis.

Sie flüsterten das Losungswort und Wisocki rief:

»Nabielak, endlich!«

»Wir mußten vorsichtig sein,« erwiderte Nabielak, »und möglichst entlegene Wege nehmen, damit wir keinem Gendarm begegneten, der die Neigung haben könnte, einen Blick in die Körbe zu werfen – hier ist alles, was wir bedürfen.«

Die Körbe wurden ausgepackt. Sie enthielten Gewehre, Pakete mit scharfen Patronen und scharf geschliffene Säbel und Dolche.

Die Waffen und Patronen wurden verteilt, die Körbe unter die Brücke geworfen, und wieder lauschten die Versammelten in atemloser Spannung.

Bereits verkündeten die Glockenschläge halb sieben Uhr.

Da endlich flammte es wie ein aufleuchtender Blitz von der Höhe von Skulez herab.

Unmittelbar darauf stieg eine mächtige Feuergarbe am Nachthimmel empor, einer gewaltigen Feuersbrunst ähnlich, welche weithin die auf den Anhöhen liegenden Nebel in ihrem Widerschein glitzern ließ.

»Vorwärts!« rief Wisocki, seinen Säbel ziehend – und gespenstischen Schatten gleich stürmte die kleine Schar auf den weichen Kieswegen nach dem Palais Belvedere hin.

In einiger Entfernung von dem Schloß, das in tiefer Ruhe dalag und in welchem nur die Fenster des ersten Stockwerks, in dem die Wohngemächer des Großfürsten lagen, hell erleuchtet waren, teilte Wisocki die Verschworenen in zwei Abteilungen, die eine unter Nabielaks Führung ging im Laufschritt unter den Bäumen her, um das Schloß herum, um den hintern Eingang zu besetzen.

Wisocki blieb mit den übrigen dem Haupteingange gegenüber in etwa zweihundert Schritt Entfernung unter einer Baumgruppe stehen.

Nach einigen Minuten fiel von drüber her ein Schuß zum Zeichen, daß Nabielak sein Ziel erreicht hatte.

Nun stürmte Wisocki mit den Seinigen gegen den Haupteingang.

Unter dem aufgezogenen Gitter des Portals traten ihnen zwei Türhüter, alte russische Invaliden mit großen Stäben, in Pelze gehüllt, entgegen und fragten erschrocken nach ihrem Begehr.

Sie wurden zurückgestoßen und niedergeworfen.

Auf ihren Hilferuf traten die Wachen in dem Schloßhof unter das Gewehr.

»Sobieski und Polen,« rief Wisocki dem wachhabenden Offizier entgegen.

Dieser erwiderte die Losung und gab den Befehl, die Gewehre bei Fuß zu nehmen.

Die Soldaten der Wache von einem polnischen Linieninfanterieregiment gehorchten ohne Zögern und an der Wache vorbei stürmten die Verschworenen über den Hof hin nach dem inneren Eingange.

Die Lakaien im Vestibül, durch den Lärm erschreckt, schlossen die Türflügel und schoben von innen die Riegel vor.

»Wir haben keine Zeit, die Tür aufzubrechen!« rief Wisocki.

Mit seinem Säbel schlug er ein Fenster des Vorplatzes ein, schwang sich auf die Brüstung und sprang zuerst in den erleuchteten Raum, aus welchem die Lakaien mit lauten Hilferufen flüchteten.

Die übrigen folgten, während man auch von dem hintern Eingange her Schüsse vernahm.

Auf der breiten, mit kostbaren Teppichen belegten Treppe kam ihnen der russische General Legendre entgegen.

»Was soll das heißen?« rief er; »zurück, Verwegene – dringt man so zu Seiner Kaiserlichen Hoheit?«

Er schien zu glauben, daß die jungen Leute den Eingang erzwungen hätten, um dem Großfürsten eine Bitte vorzutragen.

Als Wisocki mit geschwungenem Säbel auf ihn eindrang, zog auch er den Degen und stellte sich auf die Mitte der Treppe, um den Weg zu sperren, im nächsten Augenblick aber gab einer der Fähnriche Feuer, und von der Kugel getroffen, brach der General zusammen.

Ueber ihn hin stürmten die Verschworenen weiter.

In der Tür des ersten Zimmers an der Galerie vor der Wohnung des Großfürsten trat ihnen der Polizeichef Lubowicki entgegen – ein zweiter Schuß und auch dieser sank leblos zu Boden.

Der Kammerdiener des Großfürsten, der ihm gefolgt war, eilte zurück, schloß die Tür hinter sich und löschte in den nächstliegenden Zimmern die Lichter aus.

Er eilte in das durch mehrere Räume getrennte Wohnzimmer des Großfürsten.

Dieser lag halb angekleidet, in seinen Schlafrock gehüllt, auf seinem Ruhebette, richtete sich unwillig auf und fragte nach der Ursache des Lärms.

In wenigen Worten teilte ihm der Kammerdiener die drohende Gefahr mit, nahm ihm den Schlafrock ab und warf einen Militärmantel um seine Schultern.

»Fort, Kaiserliche Hoheit, fort!« rief er; »über die Diensttreppe hier führt ein Weg nach dem Park hinaus, der nur von mir und dem Leiblakaien benützt wird und fast niemand sonst bekannt ist.«

Er schob den ganz fassungslos dastehenden Großfürsten durch die Tapetentür hinaus, auf die matt erleuchtete Treppe und löschte vorsichtig die Lampe hinter sich aus, während von draußen her die Säbelhiebe gegen die verschlossene Tür des Vorsaals dröhnten.

Endlich war diese Tür gesprengt. Wisocki mit seiner Schar drang in die finsteren Räume.

»Licht!« rief er. »Schafft Licht her! Die Finsternis ist das Element, das die höllische Tyrannei jetzt zu ihrem Schutz heraufbeschwören hat!«

Einige Fähnriche brachten Armleuchter und Girandolen aus dem Vorzimmer, und nach längerem Umherirren in den unbekannten Räumen drangen sie endlich in das Zimmer des Großfürsten.

Hier trat ihnen die Fürstin Lowicz entgegen, welche auf den Lärm hin durch einen Verbindungsgang zu ihrem Gemahl geeilt war.

»Zurück, Verwegene, wenn Ihr Polen seid,« rief sie, »ein Meuchelmord ist jedes Polen unwürdig!«

»Meuchelmord?« rief Wisocki. »Wer wagt das Wort zu sprechen? Wir wollen nicht sein Leben, wenn er sich uns ergibt!«

Die Fürstin war ohne Licht gekommen, das Zimmer war nur von den flackernden Kerzen der Armleuchter beleuchtet, welche die Fähnriche in ihren Händen hielten.

Wisocki öffnete alle Schränke und rückte die Kanapees von den Wänden.

Die Fürstin, welche fürchten mochte, daß der Großfürst wirklich in einem Versteck dieses Zimmers verborgen sei, fiel auf die Knie und rief jammernd:

»Ich beschwöre Euch, schont sein Leben, ich bin ja Polin und liebe mein Vaterland, und ich schwöre Euch, daß er es stets gut gemeint hat, er wird Euch hören, er wird Eure Wünsche erfüllen, er wird bei dem Kaiser für Euch sprechen!«

Ohne auf ihre Bitten zu antworten, setzte Wisocki seine Nachforschungen immer ungeduldiger fort, er durchstach die Polster und hieb gegen die Wände, ob irgendwo hinter den Tapeten ein Versteck verborgen sei.

»Er ist nicht da!« rief er endlich verzweiflungsvoll; »unsere Arbeit ist vergebens gewesen, wir haben unser Wort nicht eingelöst – was wird sie sagen?« sprach er leise mit dumpfer Stimme vor sich hin.

Dann plötzlich in einem wilden Wutausbruch auffahrend, stürzte er gegen die noch immer auf den Knien liegende Fürstin.

»Du hast ihn verborgen!« rief er. »Du kennst sein Versteck – liefere ihn aus oder der Tod ist Dir gewiß!«

Die Fürstin hatte nun die Gewißheit, daß das Zimmer leer war, daß der Fürst also entkommen sein mußte.

Sie hatte ihre Fassung und Ruhe wieder gewonnen. Sie blickte stolz zu Wisocki empor, der seinen Säbel über ihrem Haupte schwang und sagte:

»Eine Polin fürchtet den Tod nicht, eine Frau weiß zu sterben für ihren Gemahl! Tötet mich, wenn Ihr dem Durst nach meuchlerisch verflossenem Blut nicht widerstehen könnt, mein letzter Atemzug wird Gott danken, daß er meinen Gemahl vor Euren Mörderhänden bewahrt hat.«

Wisocki wich vor ihrem ruhigen stolzen Blick zurück; sein erhobener Arm sank nieder.

»Wir kämpfen nicht mit Weibern,« sagte er, sich abwendend.

»Noch ist eine Hoffnung – wenn er hier entkommen ist, muß er in die Hände Nabielaks fallen, der den hinteren Ausgang besetzt hat.«

Die Fürstin sprang erschrocken auf.

Einer der Fähnriche hatte die Tapetentür entdeckt. Er riß sie auf. Ein dunkler, schwarzer Raum gähnte ihm entgegen.

»Hier ist ein Ausweg,« sagte er. »Wohin führt diese Tür?« fragte er die Fürstin drohend.

»Zum Kammerdiener und in den Hof, so viel ich weiß,« antwortete die Fürstin aufatmend.

Zu gleicher Zeit stürzte Nabielak durch das Vorzimmer herein.

»Habt ihr ihn?« rief er. »Zu uns ist er nicht gekommen.«

»Wir haben ihn nicht,« sagte Wisocki finster, »der Teufel hat ihn mit seiner Finsternis bedeckt, aber gleichviel, wir können keine Zeit verlieren, um alle Gänge dieses verwünschten Schlosses zu durchsuchen – stellt Posten vor die Ausgangstüren, damit er nicht entkommen kann. Ihr anderen folgt mir, wir haben noch mehr zu tun und das ist vielleicht noch wichtiger – kein Augenblick ist zu versäumen.«

Er stürzte durch die Säle davon.

Nabielak stellte Wachen an die Ausgangstüren und auch an die Treppentür des großfürstlichen Kabinetts und folgte dann den übrigen.

Wisocki eilte, von seiner Schar gefolgt, auf dem Wege über die Sobieskibrücke nach der Kaserne der russischen Ulanen. Die Posten und Schildwachen waren schnell überrumpelt und zu Boden geworfen.

Alles war in aller Stille geschehen und Wisocki wendete sich zu den Kasernen der Husaren und Kürassiere, um dort ebenfalls die Posten nieder zu werfen und die Ausgänge zu besetzen.

Nabielak aber war zu einer etwas seitwärts gelegenen Kaserne der polnischen Linienjäger geeilt, deren Offiziere mit in der Verschwörung waren.

Er ließ einige Schüsse abfeuern, um den Jägern das Zeichen zum Ausrücken zu geben.

Aber noch hatte Wisocki die Türen der russischen Kavalleriekaserne nicht verrammelt, die Schüsse wurden weithin vernommen, und ehe die Jäger ausrückten, waren auch die Ulanen alarmiert und erschienen teils an den Fenstern, teils unter dem Portal ihrer Kaserne.

Sie begannen aus ihren Karabinern Feuer zu geben, während zugleich eine Abteilung einen Ausfall aus dem Tor machte.

Wisocki mußte alle seine Leute zusammenziehen und ein regelmäßiges Gefecht aufnehmen.

Die Kürassiere und Husaren rückten so schnell heran, um den Ulanen Hilfe zu bringen, daß man glauben mußte, sie seien vorher benachrichtigt.

Zu gleicher Zeit kamen auch die Jäger heran, und es standen sich nun die verschiedenen Truppen in geordneter Gefechtsaufstellung gegenüber.

Wisocki knirschte vor Wut.

Es war unmöglich, das Gefecht aufzunehmen. Er verfügte nur über die sechs polnischen Jägerbataillone. Ihm gegenüber standen drei russische Kavallerieregimenter teils zu Pferde, teils mit Karabinern bewaffnet und zum Fußgefecht bereit.

Da rückten von der Seite die Fähnriche aus der Militärschule heran, welche ebenfalls durch die Schüsse alarmiert waren.

Mit lautem Hurra stellten sie sich an der Seite der Jäger auf, aber es waren nur hundertundsechzig Mann. Die gegnerische Uebermacht war erschüttert.

Die Russen hatten das Feuer eingestellt und standen unbeweglich da.

»Von der Stadt her ist nichts zu hören,« sagte Nabielak, »kein Ruf, kein Schuß, kein Sturmläuten – sollte dort alles mißlungen sein, sollten sich dennoch Verräter gefunden haben?«

»Gleichviel,« rief Wisocki, knirschend vor Wut, »wir müssen dorthin, hier sind wir verloren – folgt mir nach der Stadt, einen Weg zu bahnen, wird uns eher gelingen, als hier den Kampf auszuhalten!«

Er führte seine Schar zum Sturm gegen die russischen Ulanen, um sich nach der Stadt hin durchzuschlagen.

»Ist der Sieg nicht mehr möglich,« sagte er dumpf, »so werde ich auf diesem Wege den Tod finden –« und den übrigen voran, allein dem Feinde deutlich erkennbar, eilte er im Laufschritt vorwärts.

Aber etwas Unerwartetes geschah.

Die geschlossenen Glieder der Ulanen öffneten sich und gaben die Straße frei. Ohne daß ein Schuß fiel, stürmten die Fähnriche und die Jäger zwischen den russischen Reihen durch und hatten dieselben bald hinter sich gelassen.

»Was bedeutet das,« sagte Wisocki, einen Augenblick seinen Lauf hemmend, zu Nabielak, der ihm nachkam, »sollten sie ihrer Sache so sicher sein, sollte uns dort drüben eine Falle gestellt sein? Wir haben viel Zeit verloren, aber hin müssen wir, um zu retten, was zu retten ist, oder mit Ehren untergehen und unser Wort mit dem Tode einlösen.«

Und weiter stürmten sie der Stadt zu, welche in tiefem Schweigen dalag.

Da sprengte ihnen ein einzelner Reiter entgegen.

»Kommt Ihr endlich?« rief er, sein Pferd parierend. »Alles wartet auf Euch – mit dem bloßen Volkshaufen können wir den Angriff gegen die Grenadiere nicht beginnen.«

»Wer seid Ihr?« fragte Wisocki, den Zügel des Pferdes erfassend.

»Konstantin Backlowicz,« erwiderte der Reiter, »Johann Sobieski ist meine Losung – ich komme, Euch zu rufen, damit der Kampf dort beginnen kann. Ist der Großfürst gefangen?«

»Wir haben ihn nicht gefunden,« erwiderte Wisocki finster, »aber das Schloß ist besetzt, die Ausgänge sind verschlossen und die Kasernen sind verrammelt. Das Signal ist zu früh gegeben,« fuhr er, bebend vor Grimm, fort, »die Russen stehen unter den Waffen und wir sind durchgedrungen, um der Stadt zu helfen. Wie steht's dort?«

»Das Zeughaus ist genommen,« erwiderte Konstantin, »die Waffen sind bereit, aber das Feuersignal ist zu früh erloschen, das Volk hat sich nicht gerührt und eben erst rücken die Truppen aus den Kasernen. Aber auch die russischen Grenadiere sind alarmiert, es ist die höchste Zeit, daß alle Kraft aufgeboten wird, um die Stadt zu erobern und zu halten, wenn nicht alles verloren sein soll. Darum kommt schnell.«

Er wendete sein Pferd.

Wisocki gab den Befehl zu schnellem Vormarsch.

Da sprengten von der Seite des Belvedere her die Generale Kurnatowski und Krasinski, von mehreren Stabsoffizieren begleitet und von einer Schwadron Husaren eskortiert, heran.

»Halt!« befahl Kurnatowski, indem er mit gezogenem Degen vor das erste Bataillon Jäger sprengte.

Die Soldaten stutzten und blieben stehen.

»Wer wagt es, hier Halt zu gebieten?« rief Wisocki, den Säbel gegen den General schwingend.

Die Husaren drängten ihn zurück.

Kurnatowski aber rief:

»Was bedeutet das, daß ihr aus der Kaserne ausrückt – wer hat den Befehl dazu gegeben?«

Ein dumpfes Gemurmel lief durch die Reihen der Soldaten.

Einer der Leutnants trat vor.

»Die Soldaten«, sagte er, »gehorchten unserm Befehl und wir haben es für nötig erachtet, nach der Stadt zu marschieren und dort die Ordnung aufrecht zu erhalten.«

»Seit wann«, rief Kurnatowski, »ist es Sitte in der Armee, daß die Herren Leutnants und auch die Hauptleute ausrücken ohne den Befehl ihrer Vorgesetzten und die königlichen Soldaten nach ihrer Willkür kommandieren? Ihr Jäger freilich konntet das nicht wissen, daß die jungen Herren nach ihrem eigenen Kopf handelten, es war ein Mißverständnis, dessen Aufklärung sie hätten abwarten müssen – Euch trifft kein Vorwurf und die Herren Hauptleute und Leutnants werden darüber Rechenschaft zu geben haben. Zunächst muß die militärische Ordnung wieder hergestellt werden. Ich bitte die Herren Majore, das Kommando über ihre Bataillone zu übernehmen.«

Der General Krasinski war zu den weiter rückwärts stehenden Bataillonen geritten und hatte dieselben in gleicher Weise angeredet.

Die Majore ritten zu ihren Bataillonen und gaben bei der auf Kurnatowskis Wink eingetretenen Stille den klar vernehmbaren Befehl:

»Kehrt!«

Einen Augenblick ging ein leises Flüstern durch die Reihen, aber als der Befehl noch einmal wiederholt wurde, tat die Gewohnheit der militärischen Disziplin ihre Wirkung.

Die Soldaten gehorchten und im nächsten Augenblick stand die ganze Truppe nach dem Belvedere zugewendet.

»Schießt die Verräter vom Pferde!« hörte man Wisocki rufen.

In der Tat fielen einzelne Schüsse, aber ohne in der allgemeinen Unruhe jemand zu treffen.

Die Husaren in der Eskorte sprengten gegen die Fähnriche an.

Diese mußten zurückweichen, denn es war nicht möglich für sie, der Kavallerie irgend einen erfolgreichen Widerstand zu leisten.

Noch einmal erschallte das Kommando:

»Marsch!«

Im nächsten Augenblick hörte man den gleichmäßigen Tritt der von ihren Majoren und den beiden Generalen geführten Jägerbataillone, welche nach dem Schlosse zurückmarschierten.

Einige der jüngeren Offiziere waren aus den Gliedern getreten und hatten sich, durch die Bäume neben der Straße gedeckt, zu den Fähnrichen begeben.

Die meisten waren aber auf ihrem Platz geblieben und folgten wie die Soldaten dem Kommando.

Wisocki stand verzweifelt da.

»Verräter,« rief er, »nichtswürdige Verräter – man sollte seinen Säbel zerschlagen und an Gottes Gerechtigkeit verzweifeln!«

»Zum Verzweifeln ist es Zeit,« sagte Konstantin ernst und vorwurfsvoll, »wenn alles verloren ist, aber noch ist es die Pflicht, zu handeln und wieder gut zu machen, was durch ungenügende Vorbereitung verdorben wurde. Die Ueberraschung ist mißlungen, nun gilt es einen ernsten Kampf, aber auch in diesem Kampf dürfen wir am Sieg nicht verzagen. Ich eile nach der Stadt zurück, folgen Sie mir, so schnell Sie können – verteilen Sie sich durch alle Straßen, rufen Sie überall das Volk zum Kampf, die Waffen finden Sie am Zeughaus.«

Er sprengte davon.

Im Sturmlauf folgte Wisocki mit den Fähnrichen, während auf verschiedenen Türmen die Sturmglocken zu läuten begannen.

Zalewski hatte, während dies alles vorging, mit einer Kompagnie des vierten polnischen Infanterieregiments das nur durch eine gewöhnliche Wache geschützte Zeughaus genommen. Er hatte zwei Grenadierkompagnien vor dem Zeughause Spalier bilden und Waffen aller Art und Munition heraustragen und geordnet niederlegen lasten, um sie an das Volk zu verteilen. Aber es kamen nur einzelne aus den nächsten Straßen her, weiterhin blieb noch alles ruhig, das Feuersignal bei Skulez war schnell wieder erloschen und darum nur von wenigen bemerkt.

Zalewski sendete einen seiner Offiziere mit drei Kompagnien des aufständischen polnischen Grenadierregiments nach der Kaserne der russischen Gardegrenadiere, um dieselben zu überrumpeln und zu entwaffnen. Aber er fand die Grenadiere alarmiert und im Hof der Kaserne aufmarschiert.

Die Aufständischen versuchten einen Angriff, der durch eine feste Salve zurückgewiesen wurde.

Sie waren nicht zahlreich genug, um die Kaserne, welche eine so vortrefflich gedeckte Stellung bot, zu erstürmen, und so zogen sie sich wieder zurück, uni Verstärkung abzuwarten.

Die polnischen Truppen wurden ungeduldig und mißmutig, ihnen war die Unterstützung durch die Volkserhebung versprochen und das Volk erschien nicht. Dazu kam, daß sie fast ausschließlich von jungen Kapitänen und Leutnants geführt wurden. Der größte Teil der Stabsoffiziere hatte sich vorsichtig zurückgehalten, und von den Generalen war noch niemand zum Vorschein gekommen, so daß es vollständig an einem einheitlichen Kommando fehlte.

Zalewski war in Verzweiflung.

»Wir müssen einen General haben,« rief er, »sonst ist die Sache verloren! Wenn Chlopitzki da wäre, er ist populär beim Volk und bei der Armee, und wenn die Soldaten seine Uniform sehen, so werden sie gehorchen.«

Einer seiner Leutnants sagte, daß er Chlopitzki habe in das Varietétheater, das nicht weit vom Zeughaus lag, gehen sehen.

»Suchen Sie ihn auf,« befahl Zalewski, »bringen Sie ihn her um jeden Preis!«

Der Leutnant stürzte davon.

Im Varietétheater fand er große Unruhe. Man hatte die Schüsse gehört, die Vorstellung war unterbrochen, das Publikum war ängstlich und unsicher, ob es sich auf die Straße wagen solle.

Der Leutnant traf den General Chlopitzki am Ausgange.

Der hohe schlanke Mann mit dem scharf geschnittenen, ernsten Gesicht, dem ergrauenden Haar und dem militärisch ausgedrehten Schnurrbart blieb verwundert stehen, als der junge Offizier auf ihn anstürmte und ihm zurief:

»Retten Sie das Vaterland, General, die Moskowiter erschlagen unsere Landsleute! Uebernehmen Sie den Befehl der Kämpfer für die Freiheit, in Ihren Händen liegt Polens Schicksal!«

Zornig wies ihn Chlopitzki zurück.

»Ich bin Privatmann, mein Herr,« sagte er kurz, »und ich habe kein Kommando zu führen, und wäre ich noch General, so würde ich niemals mit einer Straßenmeute des Pöbels etwas zu tun haben.«

»Es handelt sich nicht um den Pöbel!« rief der Leutnant. »Die polnische Armee erhebt sich gegen die Russen und bedarf eines Führers, zu dem sie Vertrauen hat. Hier ist mein Degen, nehmen Sie ihn, General, und führen Sie die polnische Armee und das polnische Volk zum Siege!«

Chlopitzki stieß unwillig die ihm dargebotene Waffe zurück.

»Ich begreife Ihr Anerbieten nicht, mein Herr,« sagte er, »da Sie, wie ich sehe, die Uniform der polnischen Armee tragen.«

Er ging hinaus.

Der Leutnant folgte ihn: traurig und niedergeschlagen.

Auf den Straßen begann es sich zu regen.

Chlopitzki ging ruhig weiter und verschwand in einer Seitenstraße, ohne daß der Leutnant es wagte, ihn noch einmal anzureden.

Endlich begannen aus den verschiedenen Straßen Volkshaufen hervorzubrechen, sie wurden sogleich bewaffnet, die jungen Offiziere übernahmen ihre Führung, und der Angriff gegen die russischen Truppen, welche zum Teil vor ihren Kasernen in Gefechtstellung herausgetreten waren, begann an den verschiedenen Stellen unregelmäßig und planlos.

Konstantin Backlowicz kam vom Belvedere her nach der Stadt zurückgesprengt, er vereinigte zahlreiche Volkshaufen, welche er auf seinem Wege fand, führte sie vor das Zeughaus, um sie dort bewaffnen zu lassen, und stellte sich dann an ihre Spitze.

Es war gerade Zeit zu ernstem Aufraffen, denn zwei Bataillone der Wolhynischen russischen Garde hatten den Befehl erhalten, das Zeughaus wieder zu erobern.

Konstantin warf sich mit seiner Schar den Angreifenden entgegen und trieb sie wieder in die Kaserne zurück. Auch die polnischen Gardejäger rückten in die Straßen aus, um den Aufstand nieder zu werfen.

Konstantin rief ihnen zu, nicht zu vergessen, daß sie Polen seien, und nicht das Blut ihrer Brüder zu vergießen.

Einen Augenblick stutzten die Soldaten, aber ihre Stabsoffiziere und die russischen Generale waren bei ihnen, und wenn auch vielleicht einige der jüngeren Offiziere für den Aufstand gewonnen sein mochten, sie wagten es nicht, hervor zu treten, die Kommandos wurden bestimmt und klar gegeben und die Jäger gehorchten.

Die Erbitterung unter den Aufständischen war groß, der Kampf wurde blutig und immer blutiger. Einen Augenblick schien es, als würden die Jäger Sieger sein, aber immer neue Volkshaufen drängten heran. Die russischen Truppen aus den anderen Kasernen waren ebenfalls ausgerückt, aber sie konnten nicht durchdringen, so daß die Jäger endlich unter fortwährendem scharfen Feuer sich ebenfalls bis vor ihre Kaserne zurückziehen mußten.

Während dieses Kampfes war auch Wisocki mit seinen Fähnrichen gekommen, er focht wie ein Rasender in der Verzweiflung über das Mißgeschick, das ihn bisher verfolgte, und trug mit seiner kleinen Schar sehr wesentlich zum Siege bei, der für den Augenblick von dem Volk gegen die Gardejäger errungen wurde.

Während der kurzen Ruhe, die dem Rückzuge der Truppen folgte, eilte Wisocki zum Zeughaus, wo Zalewski mehrere Bataillone versammelt hatte, um jeden Angriff zurückzuweisen.

»Da kommst Du endlich?« sagte Zalewski. »Und wo ist der Großfürst?«

»Gott mag es wissen,« erwiderte Wisocki knirschend, »uns ist er entkommen – der Teufel muß ihn entführt haben!«

»Das ist schlimm,« sagte Zalewski, ernst den Kopf schüttelnd, »wir gebieten nur über unzusammenhängende Massen – wenn die Russen den Kampf ernsthaft aufnehmen und militärisch organisieren, so ist alles verloren. Vor allem gilt es jetzt, die Begeisterung nicht erkalten zu lassen. Dafür sorgen unsere Freunde überall.«

»Wie ist es«, fuhr er fort, »mit den Verrätern Rozniezki und Malgienski – es war uns aufgetragen, sie zu verhaften – hast Du dafür gesorgt?«

Wisocki schlug sich vor die Stirn.

»O, mein Gott,« rief er, »wie viel unglückliche Zeit ist verloren, wie anders würde es sein, wenn der Großfürst gefangen wäre! Dank Dir, daß Du mich erinnerst, damit nicht auch dies noch mißlingt. Jene beiden sind die gefährlichsten Feinde, die teuflischen Ratgeber, sie müssen vor allen Dingen unschädlich gemacht werden. So wird es mir doch gelingen, etwas wenigstens für das Vaterland zu tun. – Kommt, meine Freunde,« rief er den Fähnrichen zu, »das Nest der Schlangen zu zerstören, die sind gefährlicher als der wilde moskowitische Eisbär!«

Er schwang seinen Säbel und eilte davon.

Die Fähnriche folgten ihm, aber auch das umstehende Volk, das aus den verschiedenen Stadtteilen herbeigeeilt war, um aus dem Zeughause Waffen in Empfang zu nehmen, hatte das Gespräch gehört und die überall so verhaßten Namen verstanden.

Viele schlossen sich den Fähnrichen an, indem sie ihre Waffen schwangen und laut riefen:

»Tod den Verrätern!«

Zalewski war bestürzt. Er hatte von den Führern der Verschwörung den Befehl erhalten, jene beiden zu verhaften.

Die Volksmenge, welche sich jetzt mit wildem Wutgeheul an Wisocki anschloß und fortwährend anwuchs, ließ befürchten, daß ein wilder und barbarischer Racheakt, wie er so oft aus den Revolutionen hervorbricht, an die Stelle der patriotischen Gerechtigkeit treten möchte. Aber es war zu spät, etwas dagegen zu tun. Schon war die wilde Schar in die nächste Straße eingebogen und ihm blieb keine Zeit, sich weiter mit dieser Sache zu beschäftigen, da immer neue Massen herandrängten, die er bewaffnen und unter den Befehl seiner Offiziere stellen mußte, damit sie überall den Straßenkampf unterhielten und das auflodernde patriotische Feuer nicht erkalten ließen.


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