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Dreizehntes Kapitel.

Die Erklärung, welche zwischen Luitgarde und ihrem Gemahl stattgefunden, hatte die bisher so glückliche junge Frau in ihrem innersten Wesen wie ein schwerer Wetterschlag erschüttert, der die Frühlingsblüte ihres Lebens vernichtete. Zu Malgienski hatte sie aufgeblickt wie zu einer weit über ihr stehenden, idealen Gestalt. Die Bewunderung für ihn und der Stolz, ihm anzugehören, hatte ihr Herz so ganz erfüllt, daß sie nicht zum Nachdenken darüber kam, ob das Gefühl, dem sie ganz hingegeben war, die wirkliche und echte Liebe sei, welche das ganze Menschenleben umfaßt und durchdringt, und sie hatte nur eine Empfindung schmerzlicher Demütigung darüber gehabt, daß ihr Gemahl es für nötig hielt, zu ihr herab zu steigen, und nicht den Versuch machte, sie zu sich zu erheben. Nun hatte sie es versucht, die Scheidewand, welche sie bekümmerte, hinweg zu räumen; es war ihr gelungen, einen Blick in die Welt seines Denkens und Strebens zu tun, die er ihr bisher verschlossen gehalten hatte, aber noch tiefer und schmerzlicher war die Demütigung, die sie bei diesem Einblick empfunden. Freilich hatte er sie zur Gefährtin seines Strebens machen wollen, aber dies Streben selbst, das ihr bisher von idealem Licht umflossen schien, hatte seinen Nimbus verloren. Er hatte Dienste von ihr verlangt, um die Spionage der Polizei zu ergänzen; durch Intrigen, die ihrem reinen, edlen Sinn niedrig und unwürdig erschienen, hatte sie ihm helfen sollen, die Ziele feines Ehrgeizes zu erringen, sein Streben selbst erschien ihr nicht mehr als der kühne Flug des Adlers, sondern als ein Schleichweg, der im Dunkeln sich aufwärts windet – nicht mehr hoch über sich erblickte sie ihn, sondern fast kam es ihr vor, als müsse sie nun tief unter sich zu ihm herabsehen in ein Treiben, vor dem ihr schauderte und das ihren Stolz verletzte. Da begann sie, über ihr Herz zu grübeln, und mit Entsetzen wurde es ihr mehr und mehr klar, daß ihr Gefühl für ihn eine Bewunderung äußerlich glänzender Eigenschaften, eine halb kindliche Eitelkeit gewesen sei, aber keine Liebe, aus welcher eine innige Gemeinschaft des ganzen Lebens hervorwachsen muß. Hätte sie ihn geliebt mit einer wahren und tiefen Leidenschaft, so wäre sie ihm trotz des ersten Bangens und Zögerns dennoch auf seinen Wegen gefolgt oder sie hätte ihre ganze Kraft daran gesetzt, ihn von solchen Wegen zurück zu führen. Davon aber empfand sie nichts, nur Schauder und Widerwillen fand sie in ihrer Empfindung. Alles, was sie bisher in ihm bewunderte, schien ihr plötzlich wie eine Maske, unter welcher sich eine Gestalt verbarg, vor der sie zurückbebte. Und auch er konnte sie nicht lieben, nie geliebt haben, wie ihr Stolz verlangte, geliebt zu werden. Fast spöttisch hatte er zuerst ihre Sehnsucht nach einer inneren Annäherung zurückgewiesen. Dann hatte er sie als ein Werkzeug für seinen Ehrgeiz in einer Weise benützen wollen, die er nach ihrem Gefühl für seine Gemahlin hätte unwürdig halten müssen, und ihre Entrüstung darüber hatte er mit kühler Gleichgültigkeit aufgenommen, ohne sich die Mühe zu geben, seine Wege, auf die er sie mitführen wollte, zu rechtfertigen oder zu erklären, was ihm bei seiner geistigen Ueberlegenheit und seiner Kunst der Rede vielleicht nicht schwer geworden wäre. Er hatte sie zu seinem Werkzeug machen wollen, und als dies ihm nicht sogleich gelang, sie als unnütz und unbrauchbar fallen lassen. Er war in den nächsten Tagen nicht, wie sie im stillen hoffte, auf sein Gespräch mit ihr zurückgekommen, er hatte leicht und heiter über gleichgültige Dinge mit ihr geplaudert, geistvoll und anregend wie immer; aber was sie früher an ihm bewundert hatte, erschien ihr jetzt leer und inhaltslos. Daß sie schweigsam und scheu sich verhielt, schien er nicht zu bemerken, niemals streifte er auch nur einen Gegenstand, der mit seinem politischen Streben in irgendeiner Beziehung hätte stehen können. Wenn er mit ihr allein war und wenn solche Dinge in Gegenwart anderer berührt wurden, bemerkte sie zuweilen einen schnell zu ihr herüber schießenden Blick von ihm, der kalt und spähend zu forschen schien, ob sie sich dessen erinnere, was er ihr gesagt, und in dem zugleich die Furcht lag, daß sie davon irgendeinen indiskreten Gebrauch machen könne.

Dies kränkte und beleidigte sie.

Er empfand also doch, daß sein Ansinnen unwürdig für sie und für ihn gewesen sei, und hätte sie nicht in dem guten Glauben eigener Ueberzeugung auf Wege führen sollen, über die er in Gegenwart anderer zu erröten fürchtete. Er zog sich ohne einen Schein der Absichtlichkeit immer mehr von ihr zurück, wozu die gehäuften Arbeiten, welche der zusammengetretene Reichstag ihm auferlegte, eine ganz natürliche Veranlassung boten. Immer seltener erschien er bei der Teestunde, und wenn dies der Fall war, so kürzte er dieselbe so sehr als möglich ab, und trotz seiner sicheren Selbstbeherrschung empfand sie wohl, daß seine Unterhaltung gezwungen war und jedes wärmeren Tons entbehrte.

Sie war damit zufrieden, denn das Alleinsein mit ihm, das vordem ihr so reizvoll erschien, war ihr jetzt peinlich und qualvoll, jede Heuchelei widerstrebte ihr, und dennoch hätte sie das, was sie empfand, um keinen Preis vor ihm aussprechen mögen, da sie gewiß war, von ihm nicht verstanden zu werden. Sie litt unaussprechlich, denn sie hatte die Ueberzeugung, daß ihr Leben, das so schön und hoffnungsvoll vor ihr gelegen, zu einer inneren Einsamkeit für immer verurteilt sei und sein Licht und seine Wärme verloren habe, aber ihr Stolz verhinderte sie, das, was in ihr vorging, äußerlich zu zeigen und auch nur ahnen zu lassen. Sie war in der Gesellschaft, die sie mehr als früher aufsuchte, heiterer als je zuvor, auch in ihrem elterlichen Hause zeigte sie sich so, und jedermann war überzeugt, daß sie so glücklich war, als es eine junge Frau, der das Leben allen Glanz und Reiz bot, nur immer sein könne. Nur ihr Vater schien zuweilen durch ihr aufgeregt fröhliches Wesen befremdet, er sprach ihr wohl mit forschendem Blick seine Freude aus, daß sie so glücklich sei, und wenn sie dann sich an seine Brust lehnte, um ihm die in ihren Augen aufsteigenden Tränen zu verbergen, dann küßte er sie zärtlich auf die Stirn und sagte mit liebevoller Innigkeit:

»Vergiß niemals, mein Kind, in glücklichen Tagen und noch weniger in trüber Zeit, vor der Dich Gott bewahren möge, daß Dein Vater Dein bester Freund ist.«

Sie küßte ihm dann die Hand und gewann die Kraft, lächelnd zu ihm aufzublicken, um ihm zu versichern, daß sie vollkommen glücklich sei.

Der Reichstag war zusammengetreten und die Zeit wurde immer bewegter und unruhiger.

Die Regierung hatte verschiedene Gesetze vorgelegt, welche die von dem Kaiser Alexander gegebene polnische Verfassung in vielen Punkten aufhoben. Ganz besonders entrüstete die Abgeordneten das Gesetz, nach welchem alle Ehesachen den Zivilgerichten entzogen und der Geistlichkeit übergeben werden sollten und dann die Abtrennung der polnischen Gebiete von Litauen, welche ganz und gar in Rußland einverleibt werden sollten. Eine feste Opposition schloß sich zusammen und heftige Reden wurden gehalten.

Die Erregung übertrug sich auch auf die gesellschaftlichen Kreise.

In dem Hause des Grafen Jaczkonowski kamen die gemäßigteren und ruhigeren Patrioten, welche den Frieden mit der russischen Herrschaft erhalten wollten, häufig zusammen, aber auch sie alle und der Graf selbst, so sehr er sich auch zurückhielt und von allen heftigen Schritten und verletzenden Demonstrationen abriet, stand den russischen Gesetzesvorschlägen, besonders der Abtrennung von Litauen bestimmt und fest entgegen. Die Entfremdung zwischen Russen und Polen wurde auch in den Salons fühlbar und immer gespannter, und Luitgarde, deren Blick und Verständnis sich geschärft hatten, bemerkte wohl, daß alle Freunde ihres Vaters sich von ihrem Gemahl mit einer eisigen Kälte zurückhielten, die sich selbst ihr gegenüber fühlbar machte, denn er verteidigte gerade die das ganze Volk aufregenden und empörenden Propositionen im Reichstage mit außerordentlicher Schärfe und ließ sich, im Eifer, der russischen Regierung zu dienen, in seinen Reden zu verletzenden Bemerkungen hinreißen, welche das polnische Gefühl empörten. Der Kaiser Nikolaus kam selbst, um durch seinen persönlichen Einfluß auf den Reichstag zu wirken; aber wie anders war sein Erscheinen und sein Empfang als bei seiner letzten Anwesenheit: die russische Garde des Großfürsten bildete Spalier auf den Straßen bis zum Schloß; eine Menge Neugieriger war wohl versammelt und auch Hochrufe ließen sich vernehmen, aber sie waren ohne Feuer und verschwanden fast unter dem Hurra der Truppen, und trotz der zahlreichen uniformierten und nicht uniformierten Polizei hörte man hier und dort einzelne Rufe: »Es lebe die Verfassung!« welche bis zum Ohr des Kaisers dringen mußten. Seine Blicke wurden finster und sein edles Gesicht nahm noch mehr wie sonst den kalten, strengen Ausdruck an, der den Kopf des Kaisers einem Marmorbilde ähnlich erscheinen ließ.

Am Stadttor erwarteten die Vertreter der Bürgerschaft den kaiserlichen Wagen.

Nikolaus hörte die Begrüßungsreden an, ohne eine Miene zu verziehen, er erwiderte einige kurze Worte, betonte scharf die Treue und Ergebenheit, die er von der Stadt erwarte, und fuhr schnell weiter, ohne daß er selbst mit dem Großfürsten, der ihm eine Strecke weit entgegen gefahren war, sich unterhielt.

Im Schloß erwarteten ihn dem Befehl gemäß die Generale, die Minister und ersten Beamten der Regierung.

Auch hier sprach der Kaiser nur wenige Worte und zog sich, nachdem er die Fürstin Lowicz artig und fast herzlich gegrüßt hatte, in seine Gemächer zurück.

Der erste, den er rufen ließ, war sein Kommissär bei der polnischen Regierung, der geheime Staatsrat Nowosültzow.

»Nun, wie steht es hier?« fragte er mit seiner tiefen Stimme den Staatsrat, der gebückt und demütig vor ihm stand.

»Nicht gut, Majestät,« erwiderte Nowosültzow mit bedenklicher Miene. »Der Geist der Meuterei ist überall lebendig, es gärt von unten herauf, und wenn nicht ein mächtiger Druck die feindlichen und aufrührerischen Elemente niederhält und die halben und lauwarmen sogenannten Patrioten zwingt, ernstlich Farbe zu bekennen, so können wir jeden Tag vor dem Ausbruch einer neuen Revolution stehen.«

»Und woher kommt das?« fragte der Kaiser streng.

Nowosültzows kleine stechende Augen blitzten tückisch.

»Wenn ich meine Meinung sagen darf, Majestät,« erwiderte er, »von der zu großen Rücksicht und Milde, die man gegen das polnische Nationalgefühl, wie man sagt, oder, wie ich sagen möchte, gegen die nationale Eitelkeit beobachtet.«

» Man?« fragte Nikolaus; »was heißt ›man‹?«

»Die Regierung der Statthalterschaft,« erwiderte Nowosültzow, »und die Aengstlichkeit der Herren hat ihren Einfluß auf Seine kaiserliche Hoheit ausgeübt. Ich bedaure es, das Allerhöchstdieselben mehrfach meinen Rat nicht befolgt haben. Wenn der Trotz, den sich der General Chlopitzki erlaubt hat, unbestraft bleibt, so glauben die Polen, sich alles erlauben zu dürfen. Ich habe die Ehre gehabt, Eurer kaiserlichen Majestät davon zu berichten und mein Bedauern auszusprechen, daß Seine kaiserliche Hoheit nicht seinem ersten Impuls gefolgt sind.«

Der Kaiser unterbrach ihn mit finsterem Stirnrunzeln.

»Mein Bruder«, sagte er kurz, »hat mir darüber geschrieben, und er hatte recht gehabt. Chlopitzki ist ungefährlich und er hätte nur gefährlich werden können, wenn man ihn zum Märtyrer gemacht haben würde. Ich werde Ihnen sagen, wo die wirkliche und ernste Gefahr für die Ruhe und Ordnung liegt, sie liegt in den geheimen Gesellschaften, welche das ganze Land durchsetzen und mit den revolutionären Elementen in ganz Europa zusammenhängen. Ich weiß das sehr Wohl, aus Frankreich und Deutschland ist mir darüber berichtet worden und es hat mich in hohem Grade befremdet, daß ich von hier nichts darüber erfahren habe. Wenn man die Fäden, die von hier aus das Ausland durchziehen, dort wahrnimmt, so begreife ich nicht, daß man hier den Ausgangspunkt desselben nicht entdeckt.«

Nowosültzow zuckte mit einem mitleidig höhnischen Lächeln die Achseln.

»Diese Verbindungen, Majestät, sind ziemlich ungefährliche Spielereien junger Phantasten, Eure Majestät wissen, daß ich mehrere derselben auf der Universität in Wilna angefaßt habe und daß ich ihr Treiben mit wachsamen Augen verfolge. Es hat sich nichts Ernstes daraus entwickelt und man hat keinen Faden gefunden, der zu wirklich politischen Kreisen hinführt.«

»Man hat keinen gefunden,« sagte Nikolaus streng, »das beweist mir nicht, daß solche Fäden nicht da sind. Mit unreifen Studenten würden sich die revolutionären Agitatoren in London und Paris nicht einlassen. Meine Polizei hier«, fuhr er fort, mit dem Fuß heftig auf den Boden tretend, wie es im Zorn seine Gewohnheit war, »taugt nichts, das begreife ich jetzt, da Sie mir sagen, daß die geheimen Gesellschaften nichts bedeuten. Es ist freilich sehr schwer, etwas zu finden, was man zu suchen nicht der Mühe für wert und auch sehr leicht, etwas für unwichtig und ungefährlich zu erklären, das man nicht zu finden vermag. Was ich sehen kann, fürchte ich nicht und mag es noch so gewaltig und drohend sein – ich habe die Kraft, jeden Feind, den ich zu erfassen vermag, auch zu zermalmen, aber gefährlich ist alles, was man nicht sieht, was im Dunkeln schleicht und unter den Fundamenten der Ordnung Minengänge gräbt, die man nicht verfolgen kann.«

»Wenn Eure Majestät befehlen,« sagte Nowosültzow mit erschrocken zitternder Stimme, »so will ich sogleich ans Werk gehen, und ich hoffe, es wird mir gelingen –«

»Das ist überflüssig,« unterbrach ihn Nikolaus mit eisiger Ruhe, »was bis seht nicht gelang, wird auch künftig kaum gelingen. Sie sind Prokurator der Akademie zu Wilna, Ihre doppelte Tätigkeit überlastet Sie, kehren Sie nach Wilna zurück, vielleicht wird es Ihnen dort gelingen, durch die Ueberwachung phantastischer Studenten dann auch einmal einen Faden des Gewebes zu finden, dessen Netz das ganze Land durchzieht.«

»Majestät,« stammelte Nowosültzow, »ich schwöre, daß ich nach bestem Wissen und Vermögen meine Pflicht getan.«

»Wenn ich das nicht glaubte,« fiel Nikolaus mit einem furchtbaren Blick ein, »so würde Ihr Weg ein anderer sein – ich will aber niemand eine Pflicht auferlegen, der er nicht gewachsen ist.«

Er winkte entlassend mit der Hand und Nowosültzow ging schwankenden Schrittes hinaus, durch die dichtgefüllten Vorzimmer, welche er sonst so hochmütig zu durchschreiten pflegte, scheu dahinschleichend.

Nikolaus blickte ihm finster nach.

»Ich habe mich geirrt,« sagte er, »diese Polen sind ein wildes, unbändiges Volk, aber es ist die Wildheit des Löwen, und der Löwe ist nur zu bändigen durch die überlegene Kraft im freien und offenen Kriege, nicht durch die schleichende List. Sie sind gewohnt gewesen, mit ihren Königen, die sie selbst erhoben und selbst wieder erniedrigen konnten, zu spielen; sie müssen es lernen, das von Gott durch seine Lenkung der Weltgeschichte eingesetzte Königtum, das sich durch keine aus Verfassungsparagraphen geschmiedete Kette fesseln läßt, zu achten und zu fürchten. Sie werden es lernen, sie werden begreifen, daß ein König von Gottes Gnaden, der seine Macht vom Altar und nicht aus der Wahlurne empfangen hat, das Zepter führen muß als das Zeichen wirklicher Herrschaft, und wenn sie das erfahren haben, so werden sie auch inne werden, daß ich ein Herz für sie habe wie für alle meine Untertanen und daß mir die Pflicht ebenso heilig ist wie mein Recht – die Pflicht, die mir Gott auferlegt hat und nicht eine von Menschenhand geschriebene Verfassung.«

Eine Stunde später begrüßte er den im großen Saal des Schlosses versammelten Reichstag.

Nowosültzows Entlassung war bekannt geworden und hatte auf die Abgeordneten aller Parteien einen günstigen Eindruck gemacht.

Der Kaiser wurde mit aufrichtigen Hochrufen empfangen.

Er sprach klar und bestimmt, er erklärte, daß er die Annahme der vorgelegten Gesetze von der richtigen Erkenntnis der politischen Notwendigkeit des Reichstages erwarte, und versicherte das polnische Volk seiner Liebe und väterlichen Sorge.

Die Anhänger der Versöhnungspolitik schöpften wieder Hoffnung auf einen freundlichen Ausgleich der bestehenden scharf zugespitzten Differenzen, und einige Tage schien es, als ob die politische Spannung sich lösen wolle. Aber bald schwanden diese Hoffnungen, die Regierung blieb unbeugsam bei den vorgelegten Gesetzen und wies selbst jede Modifikation derselben zurück. Die Opposition verschärfte sich immer mehr und jede Vermittlung erschien erfolglos.

Graf Jaczkonowski war traurig und niedergeschlagen. Nach seiner Ueberzeugung mußte jeder gewaltsame Ausbruch der überall vorhandenen und täglich steigenden Verstimmung zu schwerem Unglück für Polen und zum gänzlichen Untergange der Freiheit und nationalen Selbständigkeit führen, da das durch so viele Kämpfe geschwächte und wirtschaftlich zerrüttete Land gar keine Aussicht haben konnte, einen Kampf siegreich zu bestehen, der schon so oft vergeblich versucht war.

Der Graf zürnte den übereifrigen Patrioten, welche die Opposition auf die Spitze verletzender Formen trieben, noch mehr aber zürnte er den unbedingten und rücksichtslosen Anhängern der russischen Regierung, welche dieselbe in ihren das Gefühl des Volks verletzenden Forderungen bestärkten und den Widerstand gegen dieselben als eine unberechtigte Auflehnung darstellten und durch ihr hochmütiges und oft geradezu beleidigendes Verhalten im Reichstage die Spannung immer mehr verschärften, während nach seiner Ueberzeugung ruhige und wahrheitsgemäße Vorstellungen bei dem staatsklugen und im Grunde wohlwollenden Sinn des Kaisers Nikolaus Erfolg haben mußten. Unter jenen aber, die den klagenswerten Konflikt verschärften, stand sein eigener Schwiegersohn, der Staatsrat Malgienski, voran; er war es, der durch den Ton, den er bei den Debatten im Reichstag anschlug, die Opposition zu immer schärferem Widerstand auch in nebensächlichen Fragen reizte. Der Graf wußte, daß Malgienski mehrfach vom Kaiser empfangen war, er hatte also Gelegenheit gehabt, seine Meinung zu sagen und mußte diese Gelegenheit in verderblicher Richtung benützt haben.

Der Graf empfand dies schmerzlich, er war trotz seiner versöhnlichen Ansichten von warmer Liebe und treuer Sorge für sein Vaterland erfüllt, und er mußte es nun erleben, daß sein Schwiegersohn, der als der Gemahl seiner einzigen Tochter und Erbin fast die Stellung seines Sohnes einnahm, von der öffentlichen Meinung als einer der Feinde Polens und als ein Werkzeug für die Unterdrückung des Vaterlandes bezeichnet wurde.

Es war von dem Reichstage eine Bewilligung von sechs Millionen polnischer Gulden für ein Denkmal des Kaisers Alexander gefordert worden. Trotz der beschränkten Finanzmittel des Landes hatte der Graf alle seine Freunde im Reichstage dringend gebeten, diese Forderung ohne Debatte zu bewilligen, da ja der Kaiser Alexander in der Tat ein Wohltäter Polens gewesen war, indem er sogar Kosciuszko ehrenvolle Anerkennung gewährte und die selbständige Verfassung des Landes gegeben hatte. Eine Ablehnung oder eine feindliche Debatte mußte das persönliche Gefühl des Kaisers Nikolaus verletzen und in seinen Augen denjenigen recht geben, welche Polen für undankbar erklärten und nur in der schärfsten Gewaltherrschaft das Mittel zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung finden wollten.

Des Grafen Vorstellungen hatten überall Verständnis und Gehör gefunden, aber als die Forderung im Reichstage zur Beratung kam, sagte der Staatsrat Malgienski als Kommissarius der Regierung: es sei eine Ehre für die polnische Nation, daß ihr durch das Wohlwollen des Kaisers Nikolaus die Gelegenheit geboten werde, ihre Dankbarkeit gegen die Wohltaten Alexanders zu beweisen, der das durch den frevelhaften Ehrgeiz der revolutionären Parteiführer zerrüttete Land unter den sicheren Schutz einer monarchischen Herrschaft und einer nationalen Verfassung gestellt habe, und es sei zu beklagen, daß der Ausdruck dieser Dankbarkeit nicht längst aus dem freien Antriebe des Volkes hervorgegangen sei.

Diese in hochmütig wegwerfendem Ton gesprochenen Worte erregten eine allgemeine Empörung. Roman Soltyk, der Führer der Opposition, antwortete in einer flammenden Rede, in welcher er die Helden der Freiheitskämpfe verherrlichte und darauf antrug, die geforderten sechs Millionen zur Freikaufung der Leibeigenen zu verwenden. Das Denkmal wurde allerdings trotzdem bewilligt, aber die Debatte, welche Malgienskis Herausforderung hervorgerufen, nahm dieser Bewilligung jede versöhnende Wirkung, und der Graf mußte von seinen Freunden bittere Bemerkungen über seinen Schwiegersohn hören.

Am Tage nach diesem ganz Warschau tief aufregenden Vorgange trat Luitgarde, wie sie es immer bei ihren Besuchen im elterlichen Hause zu tun pflegte, in das Kabinett ihres Vaters, um ihn zu begrüßen und in seinen liebevollen Blicken für einen Augenblick wenigstens Trost zu finden für ihr so kalt und einsam gewordenes Leben. Sie fand den Grafen vor seinem Schreibtisch, mit der Ordnung von Papieren und Briefschaften beschäftigt, die vor ihm ausgebreitet lagen. Er küßte sie auf die Stirn, blickte mit herzlicher Innigkeit in ihr schönes Gesicht, das sie zu einem freundlichen Lächeln zwang, und sagte:

»Ich habe heute unter den vielen Sorgen, die mir die Zeit bringt, eine Freude gehabt – eben erhielt ich einen Brief von Konstantin Backlowicz, der sich entschuldigt, daß er in dringenden Familienangelegenheiten so plötzlich hat abreisen müssen und sich nicht verabschieden konnte.«

»Das ist eine späte Entschuldigung,« sagte Luitgarde, flüchtig errötend, »die kaum seine Unart rechtfertigen kann, und was ist es denn gewesen, das ihn zu einer so plötzlichen Abreise zwang?«

»Das schreibt er nicht,« erwiderte der Graf seufzend, »obgleich ich doch wohl erwarten könnte, daß er Vertrauen zu mir hätte. Sollte es wirklich wahr sein, was Malgienski vermutete, daß er in jugendlicher Leidenschaft irgendeine Fessel sich auferlegt, die ihn nun bindet oder die er zu lösen bemüht ist? Es wäre traurig, sehr traurig, wenn ein so reiches Menschenleben auf solche Weise gelähmt würde. Aber auch das hätte er mir anvertrauen können, er wußte ja wie treu ich es mit ihm meine und«, sagte er leise vor sich hin, »welche Hoffnungen ich auf ihn baute. Doch, was es auch immer sein möge, er muß seine Angelegenheiten zu irgend einem Abschluß gebracht haben, denn er schreibt mir, daß er bald zurückkehren werde, und ich war eben beschäftigt, seine Papiere zu ordnen, die ich in seiner Wohnung an mich nahm, um sie nicht in fremde Hände fallen zu lassen.«

Er schob einige Briefpakete, die neben ihm auf dem Tisch lagen, in eine große Mappe zurück, welche mit Konstantins Namen bezeichnet war, dabei fiel ein Blatt auf den Boden.

Luitgarde bückte sich schnell, um dasselbe aufzuheben. Dann aber blieb sie erbleichend unbeweglich stehen und sah mit starren Blicken aus das Blatt, das sie in ihrer zitternden Hand hielt.

Sie erkannte ihr eigenes Bild mit dem wunderbar lebensvoll sprechenden Gesichtsausdruck, und der Abend in Bielany, dessen Erinnerung die flutende Zeit überspült hatte, tauchte lebendig mit all den rätselhaften Empfindungen, die damals ihr Herz erschüttert hatten, wieder vor ihr auf.

Der Graf war erschrocken.

Mit gezwungenem Lächeln sagte er:

»Ein merkwürdiges Talent, nicht wahr? Konstantin hat seine Bekannten zu seiner eigenen Erinnerung skizziert, und mancher Maler vom Fach könnte ihn um die Schärfe seiner Auffassung beneiden.«

Noch immer starrte Luitgarde das Bild an. Schmerzlich verzog sich ihr Gesicht.

Dann aber sagte sie mit spöttisch bitterem Lachen:

»Ein solches Talent ist nicht angenehm für die Bekannten dessen, der es besitzt – es ist unheimlich, das eigene Bild, ohne daß man eine Ahnung davon hat, in fremden Händen zu wissen, und jedenfalls war es nicht rücksichtsvoll von dem Herrn von Backlowicz, ein solches Blatt für jedermann liegen zu lassen.«

»Nicht für jedermann –« fiel der Graf ein, indem er das Bild schnell aus den Händen seiner Tochter nahm und in die Mappe legte – »ich habe dies Bild in dem verschlossenen Schreibtisch gefunden, als ich denselben öffnen ließ, da die Hauswirte seine zurückgelassenen Sachen bei der Polizei deponieren wollten.«

»Nun ist es wenigstens gut,« sagte Luitgarde bitter, »daß es in Sicherheit ist, es müssen aber freilich sehr zwingende Gründe gewesen sein, die Herrn von Backlowicz veranlassen konnten, so alle seine Sachen im Stich zu lassen.«

Sie wendete sich ab und blickte wie träumend zum Fenster hinaus in den Garten, der sich hinter dem Hause ausdehnte.

Der Graf hatte die Mappe in seinen Schreibtisch verschlossen.

Er stand auf, nahm die Hand seiner Tochter und sagte:

»Ich möchte ein ernstes Wort mit Dir sprechen, Luitgarde.«

Ihre Hand zitterte. Erschrocken und fragend sah sie auf, als ob sie das in einer fast feierlichen Weise eingeleitete Gespräch mit ihrem Vater fürchte.

»Du bist kein Kind mehr, Luitgarde –« sagte der Graf, »durch Deine Vermählung bist Du in das reife Leben eingetreten, und meine Tochter, die Tochter eines der ältesten Geschlechter Polens, hat die Pflicht, in einer so ernsten Zeit, wie wir sie jetzt durchleben, auch an das Schicksal des Vaterlandes zu denken.«

Schmerzlich seufzend, erwiderte Luitgarde:

»Ich denke daran, mein Vater, ich sehe, daß Du verstimmt bist, und verstehe wohl, daß nicht alles so geht, wie es soll, das tut mir weh und um so mehr, da ich so gar nichts dabei tun kann.«

»Du kannst viel tun, Luitgarde, die Frauen haben oft schon in der Politik großen Einfluß geübt und sollten es um so mehr, wenn es gilt, den Frieden zu erhalten und vielleicht großes Unheil abzuwenden. Ich darf gegen Dich aufrichtig sein – Malgienski geht in seinem Eifer, der russischen Regierung zu dienen, zu weit. Freilich wird ihm dafür hohe Anerkennung zuteil, denn der Kaiser beweist ihm seine Gnade und hört seinen Rat, aber er dient auch dem Kaiser am besten, wenn er die Gegensätze nicht verschärft, sondern zur Ausgleichung führt. Ich bin betrübt darüber, weil ich schwere Folgen voraussehe und weil der Haß aller Patrioten immer mehr gegen den Mann auflodert, der mir doch so nahe steht und dessen Namen mein einziges Kind trägt. Leider habe ich mich nie mit ihm so zu stellen vermocht, daß ich ihm darüber sprechen könnte – eine Mahnung meinerseits würde ihn verletzen und ihm vielleicht als einen Eingriff in seine Selbständigkeit erscheinen. Aber Du kannst ihn um größere Zurückhaltung bitten, Dich liebt er, Dein Wort wird er nicht mißdeuten, er wird es verstehen, daß es Dich kränkt, wenn sich der Haß aller derer gegen ihn wendet, die seine Freunde sein sollten. Du würdest ihm und Deinem Vaterlande zugleich einen großen Dienst leisten, denn Dein Wort würde Erfolg haben und –«

»Ich!« fiel Luitgarde ein; »ich sollte mit Malgienski über Politik sprechen! – ich sollte ihn – niemals, mein Vater!« unterbrach sie sich.

Sie war bleich geworden, ihre Augen blitzten fast drohend. Abwehrend streckte sie die Hand aus.

»Warum nicht?« fragte der Graf, erstaunt über die Heftigkeit seiner Tochter; »das Wort einer geliebten Frau ist etwas anderes als das Urteil eines Mannes, und stände er ihm auch so nahe wie ich.«

»Nein, mein Vater, nein!« rief Luitgarde noch heftiger als zuvor. »Verlange alles von mir, nur das nicht – niemals werde ich mit Malgienski ein Wort über Politik sprechen und über das, was er in seinem Dienst tut. – Ich habe ein polnisches Herz, mein Vater, und wenn ich mein Vaterland leiden sehe, so kann ich wohl darüber trauern, aber ändern kann ich nicht, was ich tief beklage.«

»Gerade weil Du ein polnisches Herz hast,« sagte der Graf, immer mehr betroffen, »so ist es Deine Pflicht, den Mann, den Du liebst und dessen Weg durchs Leben Du teilst, daran zu erinnern, daß auch er ein Sohn Polens ist und auch seinen Namen frei halten soll von den Vorwürfen seiner Landsleute.«

»Nein, mein Vater,« rief Luitgarde, »niemals! – Die Frauen haben ja genug zu tun,« fuhr sie mit einem bitteren, höhnischen Ton fort, den der Graf noch nie an ihr gehört, »wenn sie mit ihrem Putz sich beschäftigen und mit den kleinen Nichtigkeiten, welche wie schimmernde Blasen auf die Oberfläche des Lebens hinaufsteigen. Wozu man sie in der Politik vielleicht gebrauchen könnte, das, mein Vater, wird Deine Tochter niemals begreifen, niemals lernen wollen.«

»Ich verstehe Dich nicht, mein Kind. Meine Bitte war gut gemeint, nicht nur für Dich, sondern mehr noch für Deinen Gemahl.«

»O, frage nicht, mein Vater,« rief Luitgarde, »was ich nicht beantworten kann, nicht beantworten darf, aber verlange niemals, ich beschwöre Dich, daß ich mit Malgienski über die Wege der Politik sprechen soll, die ihn ja immer höher hinaufführen zu dem Gipfel, den er ersehnt.«

Tränen brachen aus ihren Augen hervor. Sie schlang die Arme um die Schultern ihres Vaters und lehnte, leise schluchzend, ihr Haupt an seine Brust.

Ein tiefer Schmerz zuckte über das Gesicht des Grafen, er begriff, daß das Leben seines Kindes ein schmerzvolles Geheimnis berge, daß ihr Herzensglück, um das die Welt sie beneidete, innerlich gebrochen sei – er fragte nicht, er hatte ja kein Recht, den Schleier eines solchen Geheimnisses zu heben, das jedes menschliche Herz allein tragen muß.

Er strich sanft mit der Hand über ihr weiches Haar und sagte tief erschüttert:

»Mein armes Kind, Gott segne Dich und gebe Dir Kraft, den Weg der Pflicht und der Ehre zu gehen. O, wie anders,« flüsterte er leise, »hätte es sein können, sein sollen!«

Sie hatte diese leisen Worte gehört. Rasch richtete sie sich auf und sagte, ihre Tränen trocknend, mit stolz aufleuchtenden Blicken: »O, ich bin stark, mein Vater, ich werde alles ertragen – was das Leben mir auch an Schmerzen und Täuschungen bringen mag – zwingt mich eine heilige Pflicht, die heiligste auf Erden, meinen Weg allein zu gehen, so werde ich doch glücklich sein in dem Bewußtsein Deiner Liebe, und sei gewiß, Deine Tochter wird stets Deiner würdig sein.«

Der Kammerdiener des Grafen trat nach einem kurzen Schlag an die Tür ein und meldete den Herrn von Backlowicz.

»Er soll kommen,« sagte der Graf. »O, wäre er früher gekommen – wäre er nicht fortgegangen, es wäre doch wohl anders geworden –« fügte er leise mit einem tiefen Seufzer hinzu.

Luitgarde hatte die Hand auf ihr Herz gedrückt.

»Um Gottes willen,« rief sie, als der Kammerdiener hinausgegangen war – »ich kann jetzt niemand sehen – diese Tränen in meinen Augen, was sollte man denken! Man könnte an meinem Glücke zweifeln,« sagte sie mit einem schmerzlichen Lächeln, »und ich bin doch so glücklich. Erlaube, mein Vater, daß ich dort durch Dein Schlafzimmer zurückgehe.«

Sie verschwand durch eine kleine Tapetentür in dem Augenblick, als Konstantin durch den an das Kabinett anstoßenden Salon eintrat.

Der Graf, noch tief bewegt durch das Gespräch mit seiner Tochter, ging Konstantin entgegen, reichte ihm beide Hände und sah ihn mit tiefer Wehmut an.

Der Anblick des jungen Mannes mit dem offenen, kühnen Blick erinnerte ihn an die Hoffnungen, die er einst im Herzen getragen und die nun für immer verloren waren, ohne daß dadurch das Glück seines Kindes erkauft worden.

»Willkommen, mein Freund,« sagte er, »die Freude des Wiedersehens läßt den Vorwurf nicht aufkommen, den ich Ihnen wohl machen müßte, daß Sie uns so plötzlich ohne Abschied verlassen und so lange keine Nachricht gegeben haben.«

»Der Vorwurf ist gerecht, Herr Graf,« sagte Konstantin mit tiefem Ernst, »ich muß ihn tragen und kann es kaum versuchen, mich zu rechtfertigen. Das einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß mein Verschwinden von meinem Willen unabhängig war, ich stand unter dem Zwang einer unerbittlichen Notwendigkeit, und meine Ehre verbietet mir, Ihnen mehr zu sagen oder auch nur eine Andeutung zu machen. Nur eines schwöre ich Ihnen, für mein Schweigen ist nicht ein Mangel an Vertrauen zu Ihnen der Grund, vor Ihnen würde ich kein Geheimnis haben, wenn nicht mein Wort mir die Lippen verschlösse, vielleicht kommt einmal die Zeit, da ich Ihnen das beweisen kann.«

»Kein Wort weiter,« sagte der Graf abwehrend, »ich bin zufrieden, daß Sie wieder da sind, die Neugier war wahrlich nicht der Grund meiner Sorge um Sie. Sie waren in Paris, von dort her kam Ihr Brief, der Ihre Rückkehr hier ankündigte?«

»Ich war in Paris –« erwiderte Konstantin nach kurzem Zögern – und dann erzählte er dies und jenes von Bekannten, die er dort getroffen, und von den neuesten Ereignissen, die dort die Welt bewegten.

Der Graf hörte traurig zu.

Die Unterhaltung war bei einem Wiedersehen nach so langer Trennung gezwungen und entsprach kaum den Beziehungen, die früher zwischen beiden bestanden hatten.

Der Graf fühlte wohl, daß zwischen ihnen ein Geheimnis lag, das Konstantin nicht berühren wollte oder durfte. Abbrechend sagte er:

»Erlauben Sie, mein lieber Freund, daß ich Ihnen Ihre Papiere zurückgebe, die ich an mich genommen habe, als Ihre Wirte in Verlegenheit um die Aufbewahrung kamen – ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich keinen der Briefe gelesen habe.«

»O, ich bitte, Herr Graf,« rief Konstantin, ihn unterbrechend, »davon bin ich überzeugt und danke Ihnen inständigst für Ihre Güte! Uebrigens«, fügte er hinzu, »hätten Sie alles lesen können, ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen außer dem einen, das ein übermächtiges Verhängnis mich vor jedermann zu bewahren zwingt.«

Als der Graf die Mappe aus dem Schreibtisch nahm, schien eine Erinnerung in Konstantin aufzutauchen, die ihn peinlich berührte. Er errötete und blickte mit einem Ausdruck scheuer Frage den Grafen an, als dieser die Mappe ihm reichte.

Der Graf aber schien seine Verwirrung nicht zu bemerken.

»In meinem Hause«, sagte er ruhig, »hat eine Veränderung stattgefunden, seit Sie uns verließen – meine Tochter hat Ihrem Vetter Malgienski ihre Hand gereicht und ist dadurch Ihre Cousine geworden.«

Konstantin erbleichte.

»Meine Cousine –« wiederholte er mit einem bitter schmerzlichen Lächeln.

Dann faßte er die Hand des Grafen und sagte:

»Ich habe davon gehört, Herr Graf, und ich muß Ihnen gestehen, daß mich die Nachricht überraschte. – Malgienski ist mein Vetter,« fuhr er, mühsam seine Bewegung beherrschend, fort, »aber zwischen unseren Gesinnungen und Lebensanschauungen besteht keine Verwandtschaft, ich fasse die Pflichten gegen das Vaterland anders auf als er, ernster und heiliger, phantastisch vielleicht, wie er sagen würde, und wer die Pflicht gegen sein Vaterland leicht nimmt, der mag auch wohl andere Pflichten weniger heilig halten, als ich es für notwendig achte. Mich schmerzt es, daß derjenige, der in die Rechte Ihres Sohnes getreten ist, vor der Welt als ein Abtrünniger beurteilt wird und daß Ihre Tochter vielleicht mit auf Wege geführt werden möchte, die Sie selbst, Herr Graf, wie ich Ihre Gesinnungen kenne, nicht billigen können. Ich habe in Ihnen den Freund meines Vaters verehrt und Ihnen die Gefühle des Sohnes gewidmet, die mich unveränderlich erfüllen werden. Alles, was Sie angeht, Herr Graf, ist mir heilig. O, ich bitte und beschwöre Sie, wachen Sie über Ihrem Kinde!«

»Das werde ich tun, mein Freund,« sagte der Graf, Konstantins Hand drückend, »und auch Sie sollen mir darin beistehen, wenn ich auch sicher bin, daß das eigene Gefühl meiner Tochter stets den rechten Weg finden wird – haben Sie aber etwas, das Sie besonders zu der Bitte und Warnung veranlaßt, die Sie mir eben ausgesprochen, dann wahrlich dürften Sie nicht schweigen, dann habe ich das Recht, aufrichtige Wahrheit von Ihnen zu verlangen.«

Konstantins Brust arbeitete in heftigem Kampf, seine Wangen glühten, es schien, als ob ein Wort sich von seinen Lippen losringen wollte. Aber mit gewaltiger Willenskraft unterdrückte er seine Bewegung und sagte ruhig mit leise zitternder Stimme:

»Ich habe nichts, Herr Graf, das ich Ihnen sagen könnte, aber ich werde wachen, wachen wie Sie.«

Er drückte noch einmal des Grafen Hand, nahm die Mappe mit den Papieren und griff nach dem Hut.

»Auf Wiedersehen,« sagte der Graf, »ich hoffe, daß Sie ebenso wie früher mein Haus als das Ihrige betrachten werden, auch meine Tochter wird sich freuen, Sie zu sehen.«

Konstantin verbeugte sich schweigend und ging schnell hinaus.

»Es hat nicht sein sollen,« sagte der Graf, ihm nachblickend, »jetzt empfinde ich es doppelt schmerzlich, daß meine Hoffnungen geknickt sind – es ist ein unseliges Geheimnis, das sich zwischen ihn und mich stellt. Armer Konstantin, arme Luitgarde, Ihr hättet beide glücklich sein können, und nun –«. Er setzte sich wieder vor seinen Schreibtisch nieder und versank in tiefe Gedanken.

*

Auf der Promenade, welche sich mit sorgfältig gepflegten Parkanlagen um die Stadt Warschau hinzieht, bewegte sich die ganze elegante Welt. In zwei Reihen fuhren die Equipagen in den breiten Alleen, die Reiter tummelten ihre Pferde auf den weichen Reitwegen oder ritten neben den Wagen her, um Bekannte zu begrüßen, und auch die den Park durchkreuzenden Wege waren von Fußgängern angefüllt, welche häufig in Gruppen stehen blieben, um sich mit ihren Bekannten zu unterhalten. Die Damen zeigten ihre geschmackvollen Sommertoiletten, die Offiziere ihre glänzenden Uniformen, und dies alles bot im schimmernden Sonnenlicht ein ungemein heiteres, farbenreiches und buntbewegtes Bild.

Unter den Fußgängern befand sich der Bankrat Hoffmann mit seiner Frau, begleitet von der Gräfin Emilie Plater und dem Fräulein Marie Raszanowicz.

Der Bankrat und seine Frau, welche Arm in Arm langsam dahingingen, hatten ein fast spießbürgerliches Ansehen in ihrer einfachen unmodischen Kleidung und ihrer etwas steifen Haltung.

Die beiden jungen Damen in ihren ebenfalls außerordentlich einfachen, aber eleganten und geschmackvollen Toiletten erregten durch ihre Schönheit und Anmut und ihre vornehme Haltung vielfaches Aufsehen bei den Vorübergehenden.

Die jungen Herren blickten ihnen bewundernd nach und diejenigen, welche ihnen bekannt waren, traten heran, um einige Begrüßungsworte mit ihnen zu wechseln.

Die Gräfin Plater hatten viele gegrüßt, man kannte sie trotz ihres zurückgezogenen Lebens, und alle Welt wunderte sich und bedauerte zugleich, daß diese so schöne junge Dame mit dem berühmten Namen einer der ersten Familien des Landes sich so ganz von der großen Welt zurückzog und sich fast ausschließlich auf den engen Kreis des Hoffmannschen Hauses beschränkte.

Die Gräfin selbst achtete weder auf die bewundernde Aufmerksamkeit, welche sie erregte, noch schien sie eine Ahnung von den Bemerkungen zu haben, zu denen sie Anlaß gab. Sie blickte häufig wie suchend in die schattigen Seitenwege hinein und zeigte zuweilen eine gewisse Ungeduld, mit der sie schneller vorwärts schritt, so daß sie endlich an dem Bankrat vorbei nach einem freien runden Platz vorausging, in dessen Mitte sich ein von der Sonne beleuchtetes Blumenparterre befand, während ringsum steinerne Bänke von den hohen Bäumen beschattet wurden.

Als sie mit Fräulein Raszanowicz dieses Rondell betrat, kamen ihr schnell aus einem andern in dasselbe einmündenden Wege die Leutnants Wisocki und Zalewski entgegen, beide in ihren glänzenden und kleidsamen Uniformen der Artillerie und der Ulanen.

Sie traten zu den jungen Damen heran.

Wisockis Augen strahlten, als ihm die Gräfin Emilie die Hand reichte, und auch das ernste ruhige Gesicht Zalewskis belebte sich in glücklicher Freude, als Fräulein Marie errötend zu ihm aufblickte.

Die Begrüßung war zeremoniell galant, wer aber aufmerksam beobachtet haben würde, der hätte wohl eine innigere Beziehung zwischen den schönen Damen und den beiden eleganten Offizieren vermuten können, auch ohne zu hören, was sie sprachen.

Der Park war ziemlich leer, da alles sich nach den belebteren, großen Alleen hindrängte, und so waren sie denn sicher, hier kaum beobachtet und belauscht zu werden.

»Sie haben gerufen,« sagte Wisocki, entzückt in das Gesicht der Gräfin blickend, »und ich bin glücklich, Sie zu sehen, noch glücklicher, wenn Sie einen Befehl für mich haben, durch dessen Ausführung ich Ihnen meine Liebe und Ergebenheit beweisen kann.«

»Ein Befehl«, sagte die Gräfin lächelnd, »ist wohl nicht das Wort, aber ich habe einen Gedanken,« fuhr sie ernst mit blitzenden Augen fort, »dessen Ausführung eine große und herrliche Tat sein würde. Darum wollte ich Sie allein sprechen, und man ist ja am sichersten allein unter dem freien Himmel und unter gleichgültigen Menschen, die sich nicht um uns kümmern.«

»Mit Ihnen bin ich immer allein,« erwiderte Wisocki feurig, »da die ganze übrige Welt für mich in nichts versinkt.«

»Das soll sie nicht,« sagte die Gräfin fast unmutig, – »wir brauchen diese Welt, soweit sie aus unseren Freunden besteht, und müssen sie beobachten, wo sie uns feindlich ist. Auch Sie, Herr von Zalewski, habe ich gerufen,« sagte sie, dem jungen Ulan die Hand reichend, »und Marie hat gern die Botschaft übernommen.«

»Und auch ich«, erwiderte Zalewski, »stehe ebenso wie mein Freund den Damen zur Verfügung.«

Der Bankrat trat heran.

Die beiden Offiziere begrüßten ihn und seine Frau und dann ging man langsam auf den um das große Blumenbeet hinführenden Wegen weiter.

Frau Hoffmann war ermüdet und setzte sich mit ihrem Manne bald auf eine der unter den Bäumen stehenden Bänke.

Die beiden jungen Paare setzten in einiger Entfernung von einander ihre Promenade fort.

»Nun machen Sie ein Gesicht, mein lieber Freund,« sagte die Gräfin Plater lächelnd, aber mit ernster Stimme, »als ob Sie mir die Cour machten, aber hören Sie aufmerksam zu, denn, was ich Ihnen sagen will, ist ernst und wichtig.«

»Ich höre,« sagte Wisocki, indem er sich zu seiner schönen Begleiterin hinüberneigte und sie mit so feuriger Bewunderung ansah, daß sie mit der Erfüllung ihres Befehls zufrieden sein mußte.

»In vier Tagen«, sprach die Gräfin, kokett zu ihm auflächelnd, da eben einige Fremde an ihnen vorübergingen, »findet das große Volksfest auf dem Plan vor der Stadt zu Ehren des Kaisers statt.«

»Ein Volksfest –« fiel Wisocki ein, »dies Wort schon ist ein Hohn und eine Lüge! Ist doch der Kaiser gekommen, um das Volk nieder zu treten und seiner letzten Freiheiten zu berauben.«

»Und diesem Hohn«, sagte die Gräfin, »soll die Antwort gegeben werden, welche den Tag zu einem wirklichen Volksfest machen wird, wenn es noch Männer in Polen gibt, die bereit sind, für die Freiheit ihr Leben einzusetzen.«

»Diese Bedingung, Gräfin,« erwiderte Wisocki vorwurfsvoll, »ist eine Kränkung, da Sie an mir doch nicht zweifeln dürfen.«

»Ich zweifle nicht,« sagte die Gräfin mit einem Blick, der zündend in sein Herz drang. »So hören Sie denn. Der große Platz, auf dem das sogenannte Volksfest stattfinden sollte, wird von polnischen Grenadieren umstellt sein, welche die Ordnung aufrecht erhalten sollen. Der Kaiser wird nur mit seinem kleinen militärischen Gefolge erscheinen – man muß es anerkennen, daß ihm die Furcht fremd ist. Das freut mich, da es erniedrigend ist, gegen einen feigen Feind zu kämpfen. Es werden also nur das polnische Volk und polnische Soldaten auf dem Platze sein, und bei dem Volk wie bei den Soldaten ist die Stimmung vortrefflich vorbereitet – beide werden einer Tat kein Hindernis bereiten, welche die Freiheit, so Gott will, ohne Blutvergießen verbürgt.«

»Und was kann geschehen?« fragte Wisocki in atemloser Spannung – »o, ich ahne Ihren Gedanken!«

»Wenn Sie ihn ahnen,« fuhr die Gräfin fort, »so muß er wohl gut sein. Nikolaus,« fuhr sie fort, »wird nur seinen Bruder und einige russische Generale um sich haben, das Volk wird ihn nahe umdrängen und er wird dazu gute Gelegenheit geben, um durch seine Persönlichkeit zu wirken, und wenn nichts anderes, so wenigstens den Schein der Popularität zu gewinnen und dadurch die parlamentarische Opposition in Widerspruch mit der Stimmung des Volkes zu stellen. Würden Sie imstande sein, hundert ganz zuverlässige Freunde zu finden, auf welche Sie sich verlassen können?«

»Tausend, Gräfin, und mehr,« rief Wisocki, »die ganze Armee ist durchdrungen von patriotischem Geist.«

»Hundert genügen,« sagte die Gräfin – »je weniger bei einer wirklich ernsten Sache beteiligt sind, um so sicherer ist das Gelingen, um so sicherer wird Verrat und ängstliches Schwanken ausgeschlossen. Hundert Männer, welche außer ihrem Degen noch Pistolen und Dolche verborgen bei sich tragen, werden imstande sein, sich der Person des Kaisers und des Großfürsten zu bemächtigen, deren Umgebung zu überwältigen und, wenn es sein muß, nieder zu machen. Und sobald dies gelungen ist, werden wir das Schicksal Polens in unserer Hand halten, der gefangene Kaiser wird mit uns verhandeln müssen, die russische Macht wird ohnmächtig sein, denn die Regierung in Petersburg wird ohne den leitenden Willen gelähmt sein und keinen Gewaltschritt wagen, da der Zar selbst, dessen Leben wir in unseren Händen halten, uns als Geisel bürgt. Wir werden ihnen die Bedingungen vorschreiben und vielleicht werden dann noch andere Mächte, die den russischen Hochmut und das russische Uebergewicht in Europa nur widerwillig ertragen, sich auf unsere Seite stellen. Es ist möglich, daß wir dann die völlige Freiheit des Vaterlandes erzwingen, und wenn dies nicht möglich sein sollte, wenn uns so weit die europäischen Mächte nicht zur Seiten stehen sollten, so werden wir es sicher erzwingen, daß dem russischen Zaren nur der persönliche Ehrentitel eines Königs von Polen bleibt und daß das Land von einem polnischen Vizekönig, sei es Czartoryzki oder ein anderer, und von polnischen Ministern nach eigener selbständiger Verfassung regiert wird, daß nur polnische Soldaten im Lande bleiben und die Festungen besetzen. Damit könnten wir, wenn anderes nicht zu erreichen ist, zufrieden sein, denn jeder Versuch, einen solchen einmal geschaffenen Zustand wieder umzustürzen, würde einen wirklichen Krieg erfordern, in den wir in geschlossener und wohlvorbereiteter Macht eintreten können. Einen solchen Krieg aber zu verhindern, werden sich die Mächte, denen so viel am Frieden Europas liegt, mit allen Kräften bemühen – wir würden in Wahrheit die Freiheit und Selbständigkeit errungen haben, und vielleicht würde dann wohl später die Form, wenn wir sie zunächst noch bewahren müßten, von selbst zusammenbrechen.«

»Sie haben recht, Sie haben tausendmal recht!« rief Wisocki; »o, wie klar ist das, wie einfach, wie natürlich und doch wie groß und gewaltig!«

»Dem Manne, der das vollbrächte,« sagte die Gräfin, »würde für alle Zeit der Dank des Vaterlandes gehören, sein Name würde strahlen unter den Helden der Vergangenheit und das Herz jeder Tochter Polens würde ihm in warmer Bewunderung entgegen schlagen!«

»Und dieser Mann ist gefunden!« rief Wisocki; »er verlangt nur den Dank und die Liebe eines einzigen Herzens, er verlangt nur in einem Auge zu lesen, daß die Liebe zum Vaterlande auch auf ihn ihre heiligen Flammen überträgt.«

»Das habe ich von Ihnen erwartet –« sagte die Gräfin, »bedenken Sie aber wohl, daß die Männer, die Sie für diesen heiligen Dienst auswählen, jeder Probe gewachsen sein müssen. Die Tat sieht leicht aus und wird sich auch leicht vollziehen, wenn das versammelte Volk und die versammelten polnischen Grenadiere in dem entscheidenden Augenblick das Wehen des patriotischen Geistes fühlen und begreifen, daß mit einem einzigen Atemzuge gewonnen werden kann, was in so vielen blutigen Kämpfen vergebens versucht wurde. Würde diese Hoffnung aber versagen – würde das Volk schwanken und die Grenadiere dem Befehl gehorchen, den sie ohne Zweifel erhalten werden, dann wäre das Leben aller, die das kühne Wagnis beginnen, verloren ohne Hilfe und ohne Erbarmen, und darüber müssen sich alle klar sein, denn ihre Tat führt zu unsterblichem Ruhm oder zum sicheren Tode auf dem Schafott und schlimmer noch in den Bergwerken Sibiriens.«

»Wenn nicht«, sagte Wisocki finster, »der Tod des Unterdrückers die heldenmütigen Söhne des Vaterlandes rettet.«

»Niemals, niemals«, rief die Gräfin, »darf das geschehen! Um Gottes willen, verbannen Sie jeden solchen Gedanken! Wenn Sie den Kaiser gefangen nehmen, um die Freiheit des Vaterlandes zu erzwingen, so ist das eine kühne, eine mutige und erlaubte Tat, würde er dabei sein Leben verlieren, so wäre es ein Meuchelmord und für alle Zeiten ein unaustilgbarer Fleck auf der Ehre Polens.«

»Sind nicht der Unschuldigen genug gefallen, als Suwarow Praga verwüstete?« fragte Wisocki.

»Immer«, erwiderte die Gräfin, »war es ein Kampf und offene Feinde standen sich gegenüber – würde der Kaiser hier fallen, wenn er fast wehrlos in die Mitte des Volkes tritt, so würde vor Europa und vor der Geschichte eine solche Tat keine Rechtfertigung finden. Geben Sie mir Ihr Wort, daß das Leben des Kaisers unter allen Umständen geschützt bleibt.«

»Sie haben recht wie immer –« sagte Wisocki, »für eine heilige Sache darf man nur mit edlen Waffen kämpfen. Uebrigens glaube ich nicht, daß wir etwas zu befürchten haben, die Grenadiere sind treu gesinnt, die Offiziere und Mannschaften sind vorbereitet für den Fall eines plötzlich ausbrechenden Kampfes und das Volk wird wahrscheinlich nicht den Arm für den Kaiser erheben.«

»Also,« fragte die Gräfin, »Sie halten die Sache für ausführbar, auch in der Kürze der Zeit, die uns noch bleibt?«

»Sie wird ausgeführt werden, Gräfin!« rief Wisocki feierlich; »ich bürge für mich und alle diejenigen, die ich auswählen werde, unter denen in erster Reihe mein Freund Zalewski steht.«

»Dem meine Freundin Marie«, sagte die Gräfin lächelnd, »soeben auch unser Geheimnis mitgeteilt hat.«

Sie blieb stehen und wendete sich um.

Zalewski und Marie, welche im eifrigen Gespräch folgten, traten heran.

»Nun,« fragte die Gräfin ihre Freundin, »ist die Werbung gelungen?«

»Wie konnte es anders sein,« erwiderte Zalewski, zärtlich auf das junge Mädchen an seiner Seite blickend, »wenn die Liebe im Namen des Vaterlandes eine Rittertat verlangt, so gibt es kein Zweifeln und Besinnen.«

»Und Sie halten die Sache für ausführbar?«

»Sie ist fast so gut wie ausgeführt,« sagte Zalewski zuversichtlich, »und fast könnte ich Sie beneiden, Gräfin, daß ein solcher Gedanke nicht in meinem Geiste entstanden ist. Doch wir empfangen ja alles Gute, Schöne und Herrliche aus der Hand der Frauen, und unsere Sache ist es, solcher Gaben würdig zu sein.«

»Nun kein Wort weiter,« sagte die Gräfin strahlenden Blicks – »möge der Schutzgeist unseres Vaterlandes in dieser Stunde segnend auf uns herabblicken, und von jetzt an ist es an Ihnen, zu handeln, an uns, den Schutz des Himmels zu erflehen.«

Sie schritten schnell weiter, mit lauter Stimme ein gleichgültiges, heiteres Gespräch führend.

Hoffmann und seine Frau, welche sich von der Bank erhoben hatten, kamen ihnen entgegen und die kleine Gesellschaft kehrte, zwanglos mit einander plaudernd, nach dem belebteren Teil des Parkes zurück.

In einer der großen Alleen hielten gerade, als sie aus dem Seitenwege heraustraten, die Wagen an, die Reiter parierten ihre Pferde, die Fußgänger blieben stehen, alle Häupter entblößten sich – in einer leichten polnischen Droschke fuhr der Kaiser durch die Mitte des breiten Weges. Seine Miene war finster, aber mit verbindlicher Artigkeit grüßte er nach allen Seiten und winkte dankend mit der Hand, wenn ihm hier und dort Hochrufe entgegen klangen, die sich freilich nur ziemlich schwach und vereinzelt hören ließen.

Wisocki und Zalewski machten die militärischen Honneurs, Hoffmann hielt seinen Hut in der Hand und auch die beiden Damen verbeugten sich.

Der Kaiser musterte die beiden Offiziere mit seinem scharfen, klaren Blick und grüßte artig die fast vereinzelt am Ausgange des Seitenweges stehende Gruppe.

»Wenn er ein Pole wäre,« flüsterte die Gräfin Plater, ihm nachblickend, »bei Gott, dann wäre mir um unsere Freiheit nicht bange – warum hat ihn das Schicksal zu unseren Feinden gemacht!«

Wisocki hatte diese geflüsterten Worte gehört und sagte mit leisem Vorwurf:

»Bald wird der gewaltige Selbstherrscher in unseren Händen sein, und Sie werden sehen, daß es auch in Polen noch Männer gibt, die sich nicht fürchten und nicht beugen.«

Der Kaiser grüßte besonders artig zu einer heranfahrenden Kalesche hinüber, in welcher zwei Damen saßen.

Sein ehernes Gesicht erhellte sich durch den Schimmer eines freundlichen Lächelns.

»Das ist die Frau von Malgienski,« sagte die Gräfin Emilie bitter, »sie erntete den gnädigen kaiserlichen Gruß für den Verrat ihres Mannes – Gott wird es geben, daß auch für ihn die Stunde des Gerichts schlägt.«

»Sie ist unschuldig«, sagte Frau Hoffmann lebhaft, »an allem, was ihr Mann tun mag, ihr Herz schlägt treu und warm für das Vaterland – wenn sie das Treiben ihres Mannes durchschaut und erkennt, so kann sie kaum glücklich sein, und glücklich sieht auch ihr bleiches Gesicht wahrlich nicht aus.«

Luitgarde fuhr vorüber.

Neben ihr saß die Gräfin Dornowska, lebhaft sprechend und gestikulierend.

Die junge Frau schien darauf nicht zu hören, sie verbeugte sich grüßend gegen Frau Clementine. In demselben Augenblick aber färbte eine dunkle Röte ihre Wangen, sie verneigte sich nochmals und lehnte sich dann, ihr Gesicht mit dem aufgeschlagenen Fächer bedeckend, in den Wagen zurück.

Die Gräfin blickte sich um.

Hinter ihr vorüber ging ein hochgewachsener junger Mann mit bleichem, ausdrucksvollem Gesicht, der ebenfalls zu dem Wagen hin gegrüßt hatte und eben sein Haupt wieder bedeckte.

»Wer ist dieser Herr?« fragte die Gräfin den Bankrat, als jener, noch einmal sich umblickend, vorüber gegangen war.

Herr Hoffmann sah ihm nach.

»Das ist ja der Herr von Backlowicz,« sagte er mit freudigem Erstaunen, »der vor einiger Zeit so plötzlich verschwunden war, daß man sich in seinen Bekanntenkreisen Sorge um ihn machte. Er ist ein Freund des Grafen Jaczkonowski, und es freut mich aufrichtig, daß er wieder da ist. Er ist ein geistvoller und strebsamer junger Mann, der seinen Studien lebt und einen schönen Weg machen könnte, wenn er sich entschließen würde, sein einsames Leben aufzugeben. Doch, es ist Zeit für uns, nach Hause zu gehen, die Herren machen uns wohl die Freude, unsere Gäste bei uns zu Tisch zu sein.«

Wisocki und Zalewski nahmen die Einladung dankend an.

Die Gräfin Plater aber flüsterte vor sich hin:

»Wie doch zuweilen ein einziger Augenblick wunderbares Licht über Menschenleben und Menschenschicksale geben kann, dem Blitze gleich, der die dunkle Nacht in Tageshelle verkehrt. Arme Frau, des Kaisers Lächeln wird ihrem Herzen kein Glück bringen.«


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