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Sechzehntes Kapitel.

Der Kaiser war nach Petersburg zurückgekehrt, er zeigte seine Unzufriedenheit über die Opposition des Reichstages, welche die von der Regierung vorgelegten Gesetze teils abgelehnt, teils mit einer demütigenden Majorität angenommen hatte, außer den direkten tadelnden Aeußerungen, die er einzelnen Personen zuteil werden ließ, deutlich dadurch, daß er den Reichstag mit einer außerordentlich kalten und formellen Rede in französischer Sprache schloß, während er sonst in Warschau sowohl offiziell als im Privatverkehr immer nur Polnisch gesprochen hatte.

Die Opposition war darüber tief erbittert, alle Freunde der Versöhnungspolitik fühlten sich schmerzlich bewegt, weil nun eine Kluft vorhanden war, welche bei der leidenschaftlichen Reizbarkeit des polnischen Nationalgefühls und dem ehernen unbeugsamen Charakter des Kaisers schwer zu überbrücken schien. Eine tiefe Mißstimmung war allgemein, die unversöhnlichen Feinde der russischen Herrschaft gaben die Schuld der eingetretenen Spannung dem Kaiser allein. Die Friedensfreunde machten der rücksichtslos verletzenden Opposition Vorwürfe, alle aber fühlten, daß die Zustände so nicht bleiben konnten, daß irgend ein Ausweg gefunden werden müsse, alle aber fühlten auch zugleich die Notwendigkeit, in diesem Augenblick eine zeitweilige Ruhe eintreten zu lassen, welche die einen zur Vorbereitung des Ausstandes, die anderen zur versöhnlichen Umstimmung des Kaisers benützen wollten.

So trat ganz von selbst der Zustand ein, welchen der Rat der Cosienery für notwendig erachtet hatte: eine tiefe innere Erregung, welche sich weiter und weiter fortpflanzte und stetig steigerte – und über derselben eine äußere Ruhe, welche die russische Regierung sicher machen und von scharf eingreifenden Maßregeln zurückhalten sollte. Aeußerlich zeigte sich keine Veränderung in dem Leben des Volks und der Gesellschaft von Warschau. Die Mitglieder des Reichstages aus den Provinzen waren abgereist, die Gesellschaft nahm ihr gewöhnliches Leben wieder auf, und wenn auch die Sommersaison nicht Bälle und große Soireen brachte, so herrschte doch im allgemeinen eine heitere und fröhliche Bewegung, man machte Landpartien und Picknicke, bei denen man sich so unbefangen amüsierte, als ob es gar keine politischen Streitfragen in der Welt gäbe.

Luitgarde machte dies Leben mit, so weit es ihre Stellung in der Gesellschaft erforderte, sie hatte sich ja die Aufgabe gestellt, ihr inneres Seelenleben mit all seinen schmerzlichen Enttäuschungen vor den Augen der Welt zu verbergen, und ihr Stolz gab ihr die Kraft, diese Aufgabe zu erfüllen. Man sah sie überall strahlend im Glanz der Schönheit und des Reichtums bewundert und beneidet; sie vermochte es, das Lächeln auf ihren Lippen festzuhalten und ihren Blicken den Ausdruck ruhigen, zufriedenen Glücks zu geben.

Freilich litt sie dabei unendlich und ihr Leiden vermehrte sich mit jedem Tage. Das Band, das sie mit ihrem Gemahl verknüpfte und dem sie eine größere Innigkeit zu geben einst so heiß ersehnt hatte, war fast ganz gelöst, niemals hatte er wieder jenes unglückselige Gespräch berührt, er behandelte sie mit ausgezeichneter Liebenswürdigkeit, aber in seinem Benehmen lag mehr äußere Galanterie als inniges Gefühl – kein Ton der Liebe klang zwischen ihnen durch, und auch als die Ueberlastung durch die Geschäfte des Reichstages aufgehört hatte, wußte er ein trauliches Zusammensein mit ihr so viel als möglich zu vermeiden. Zuweilen auch trat er ihr ziemlich schroff, wenn auch in äußerer höflicher Form entgegen, wenn sie irgendeine Aeußerung machte, in welcher ihr patriotisches Gefühl zum Ausdruck kam, oder wenn sie den Verkehr in dem großfürstlichen Palais, zu dessen Intimen er mehr und mehr gehörte, zu meiden suchte.

Er hatte sich rücksichtslos auf die russische Seite gestellt und sprach laut und offen seine Mißbilligung über das Verhalten des Reichstages aus und erklärte, daß der Kaiser, der seine großherzigen Absichten und seine Liebe für seine polnischen Untertanen mit schnödem Undank belohnt sähe, gezwungen sein würde, schärfere und strengere Maßregeln zu gebrauchen, um Polen vor anarchistischen Unruhen zu bewahren, welche so oft schon das Land in schweres Unglück gestürzt hatten.

Luitgarde empfand mit ihrem feinen Gefühl sehr wohl die allgemeine, an Haß und Verachtung grenzende Mißstimmung gegen ihren Gemahl, sie erkannte aus gelegentlichen Aeußerungen, die sie hörte, aus der scheuen Kälte, welche selbst Freunde ihres väterlichen Hauses ihr gegenüber zeigten, daß man Malgienski nicht nur als einen egoistisch ehrgeizigen Diener der Gewalt, sondern auch für einen Spion derselben halte, vor dem man sich in acht nehmen müsse. Ihr Herz schnürte sich in schmerzvoller Erbitterung zusammen, aber sie hielt tapfer aus, sie wollte nicht nur die vor dem Altar übernommene Pflicht gegen ihren Gemahl erfüllen, sondern auch vor dem Mitleide oder der Schadenfreude der Welt das Opfer verbergen, das diese Pflichterfüllung sie kostete.

Ihrem Vater gegenüber verschloß sie alles, was sie litt, in die Tiefe ihrer Brust. Warum sollte sie ihn, der schon durch den Gang der Politik so trübe gestimmt war, noch durch ihre Leiden bekümmern, für die es ja doch kein Heilmittel gab – sie hatte ihr Schicksal gewollt, sie mußte es allein tragen.

Konstantin hatte sich, von Kasimir gedrängt, in die Gesellschaft begeben, von der er sich früher fast unartig zurückgehalten. Alle Welt war darüber erstaunt, doch man hatte sein früheres plötzliches Verschwinden fast vergessen, man nahm die Erklärung, daß eine dringende Familienangelegenheit ihn abgerufen, fast gleichgültig auf, und da er trotz seines erweiterten Verkehrs ernst und zurückhaltend blieb wie früher, sich den Damen niemals näherte und ausschließlich die Unterhaltung älterer Herren suchte, so wurde er bald in den Salons zu einer jener gleichgültigen Figuren, die man zu sehen gewohnt ist und um die man sich weiter nicht kümmert. Er hatte auch im Hause Malgienski den Besuch gemacht, den er bei seinem Vetter nicht vermeiden konnte, aber die Zeit so gewählt, daß er sicher war, nicht eingenommen zu werden.

Er erschien dann an einem der Empfangsabende, der regelmäßig an einem der Wochenabende stattfand; seine Begrüßung mit Luitgarde war kühl und zeremoniell, sie reichte ihm die Hand, aber diese Hand war ebenso kalt und starr als die seine, und während der wenigen Worte, die sie mit einander sprachen, hatten beide die Augen niedergeschlagen. Konstantin wagte es nicht, in das Gesicht zu blicken, dessen Bild so tief in sein Herz gegraben war und das er doch vergessen wollte und mußte, und Luitgarde vermochte es ebenfalls nicht, zu ihm aufzublicken, seit dem sie ihr von ihm gezeichnetes Bild gesehen, dem er so treu und lebenswahr den Ausdruck der ihr damals selbst rätselhaften Empfindung gegeben, welche sie in jenem Augenblick beherrscht hatte. Sie war überzeugt, daß er in ihren Augen würde lesen können und darin ihren Schmerz über die Täuschung, der sie ihr Glück geopfert, entdecken müßte und dazu vielleicht auch den so oft in ihr mit unsichtbarem Wehgefühl aufsteigenden Gedanken, wie es hätte so anders, so ganz anders sein können, wenn sie jener verhängnisvollen Täuschung nicht verfallen wäre.

So gingen sie nach wenigen Augenblicken wieder aus einander, und es bot sich keine Gelegenheit und Veranlassung wieder, daß sie mit einander hätten sprechen sollen.

Malgienski erschien wie gewöhnlich etwas spät in dem Salon seiner Gemahlin.

Er trat sogleich zu Konstantin und begrüßte ihn mit mehr Herzlichkeit, als es sonst in seinem abgeschlossenen und formellen Wesen lag.

Konstantin empfand einen Schauder bei seinem Anblick, weniger noch aus Haß wegen des Bösen, das jener ihm angetan, als aus Abscheu vor so viel Schlechtigkeit und feiger Hinterlist, die sich unter der Maske der Freundschaft verbarg. Auch zu ihm vermochte er nicht aufzusehen, weil er fürchtete, daß er den flammenden Zorn, der sein Blut zu den Schläfen emportrieb, nicht in seinem Blick würde beherrschen können. Er vermochte es nicht, den Händedruck Malgienskis zu erwidern.

Jener schien dies zu bemerken. Seine Augen ruhten einen Augenblick noch scharf forschend auf Konstantins Gesicht, als ob er in dessen Seele eindringen wollte, aber Konstantin hatte es gelernt, seine Züge in der Gewalt zu haben, so daß kein Nerv in seinem Gesicht zuckte.

»Du hast uns in keine geringe Angst versetzt, mein lieber Vetter,« sagte Malgienski, »durch Deine so plötzliche Abreise; mein Schwiegervater fürchtete, daß Dir ein Unglück widerfahren sei, und ich selbst habe alles aufgeboten, um Deine Spur zu finden. Freilich glaubte ich eher,« fügte er lächelnd hinzu, »an ein Liebesabenteuer, das ja bei einem so romantisch angelegten Menschen, wie Du, nahelag, und ich glaube auch, daß ich mich nicht getäuscht habe – stille Wasser sind ja zuweilen tief – die Jugend muß austoben und ihr Lehrgeld bezahlen.«

Konstantins erbitterte Entrüstung gab ihm die volle Kraft der Selbstbeherrschung. Gleichgültig sah er jetzt Malgienski an und antwortete:

»Und dennoch irrst Du Dich, mein Vetter – ich hatte Dir ja schon früher gesagt, daß die Liebe keine Macht über mich hat, da ich das Ideal, von dem ich träume, wohl nicht finden werde – mich zwang in der Tat die Ordnung einer Familienangelegenheit, über welche die Verhältnisse mir Schweigen auferlegten, zu jener plötzlichen Abreise.«

»Nun,« sagte Malgienski lachend, »ich will mich wahrlich nicht in Dein Geheimnis drängen, wäre es so, wie ich es vermute, so müßtest Du ja doch als Kavalier schweigen. Jedenfalls ist es gut, daß Du Dein Einsiedlerleben aufgibst und Dich der Welt zuwendest; vielleicht wird es Dir doch gelingen, das gesuchte Ideal zu finden, und ich werde mich von Herzen freuen, wenn Dir mein Haus, in dem Du jederzeit mir und meiner Frau willkommen sein wirst, dazu Gelegenheit bietet. Hoffentlich wirst Du auch Deine Abneigung gegen den Staatsdienst, der doch eigentlich der würdigste Beruf eines Mannes ist, aufgeben, und wenn dies der Fall ist, so stehe ich Dir selbstverständlich in jeder Weise zu Gebote.«

»Das glaube ich nicht,« erwiderte Konstantin mit derselben gleichgültigen Miene, »ich bin für die Studien der Wissenschaft und Kunst geschaffen, was Du vielleicht Träumerei nennst – um die Politik habe ich mich nicht gekümmert und werde kaum jemals Neigung und noch weniger Geschick dafür finden.«

Malgienski wendete sich ab, um andere Gäste zu begrüßen, aber er war zerstreut und schien von einem Gedanken beschäftigt, den er nicht los zu werden vermochte.

»Er verbirgt ein Geheimnis,« sagte er zu sich selbst, »er muß etwas wissen oder einen Verdacht haben. Er zuckte vor der Berührung meiner Hand zurück, sein Wesen ist verändert und er kann gefährlich werden – ich muß ihn überwachen lassen – hätte ich eine Frau, die mich verstünde, hier wäre ein Feld für sie.«

Ein feindlicher Blick aus seinen Augen schoß zu Luitgarde hinüber, welche von einem Kreise von Herren und Damen umgeben war, und ein leiser Seufzer hob seine Brust.

Nach dieser ersten Begegnung kam Konstantin mit Malgienski nur flüchtig zusammen.

Er besuchte öfter die Empfangsabende im Malgienskischen Hause, es wäre aufgefallen, wenn er es vermieden hätte, aber es war auch ganz natürlich, wenn er mit Luitgarde nur zeremonielle Begrüßungsworte wechselte, da er sich überhaupt mehr zu der Gesellschaft der älteren Herren hielt, und mit Malgienski wechselte er bei solchen Gelegenheiten nur einige leichte und gleichgültige Worte.

Der Staatsrat zeigte äußerlich immer eine gewisse verwandtschaftliche Herzlichkeit, aber auch er schien eine größere Annäherung nicht zu suchen.

So lagen die Verhältnisse, als die Nachricht von der französischen Julirevolution und der Erhebung Louis Philipps auf den französischen Thron anlangte. Dies Ereignis machte einen außerordentlichen Eindruck in allen Kreisen der polnischen Gesellschaft, der sich noch in hohem Grade verstärkte, als es bekannt wurde, daß der neue König der Franzosen dem Kaiser Nikolaus in einem eigenhändigen Schreiben seine Thronbesteigung angezeigt und seine Friedensliebe, sowie den Wunsch freundlicher Beziehungen zu allen europäischen Mächten ausgesprochen habe, daß aber dieses Entgegenkommen von dem stolzen Autokraten und eifrigsten Vertreter der Legitimität durch ein kaltes und verletzendes, hochmütiges Schreiben zurückgewiesen sei, in welchem der Kaiser dem durch die Revolution auf den Thron gehobenen König die konventionelle Anrede: »Mein Bruder« versagte.

Der russische Gesandte, Graf Pozzo di Borgo, blieb zwar in Paris, aber er erhielt kein Beglaubigungsschreiben für den König Louis Philipp, und so waren die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Rußland zwar nicht direkt abgebrochen, aber doch in Frage gestellt.

Dem neuen König der Franzosen lag vor allem daran, den Frieden um jeden Preis zu erhalten und wenigstens einen Bruch mit Rußland so lange zu vermeiden, bis er festen Fuß im eigenen Lande gefaßt und seine Beziehungen zu den übrigen Mächten geordnet und gesichert hätte. Er ließ den Herzog von Mortemart, einen Jugendbekannten des Kaisers Nikolaus, der zur Napoleonischen Zeit in Rußland gelebt hatte, vertraulich als französischen Gesandten in Petersburg vorschlagen. Es erfolgte keine Antwort, die Beziehungen blieben in einer peinlichen Spannung und die russische Diplomatie war eifrig tätig, um eine offene Anerkennung des Julikönigtums bei den Mächten der heiligen Alliance zu verhindern, so daß jeden Augenblick ein offener Bruch voraus zu sehen war.

Die Aufregung, welche diese Verhältnisse in Polen hervorriefen, wuchs mit jedem Tage. Der Bund der Cosiniery war unermüdlich tätig, seine Fäden durch das ganze Land zu ziehen und eine allgemeine Erhebung vorzubereiten, denn die Mitteilungen, welche Konstantin von seinen Freunden in Paris erhielt, stellten mit Sicherheit das Eintreten Frankreichs für die polnische Sache in Aussicht. So hatte man denn die sichere Hoffnung, für die Wiederaufrichtung eines selbständigen Königreichs einen europäischen völkerrechtlich anerkannten Krieg beginnen zu können. Aber auch die Friedensfreunde waren in lebhafter und hoffnungsvoller Bewegung, sie hielten an der vom Wiener Kongreß gewährleisteten Verfassung fest in der Ueberzeugung, daß jeder Versuch einer Abtrennung Polens von der russischen Dynastie erfolglos bleiben müsse und daß eine Wiederherstellung der alten Zustände das Land nur noch immer mehr zu politischer und wirtschaftlicher Zerrüttung führen werde. Sie hofften, daß die gespannten Beziehungen zu Frankreich, welche jeden Augenblick die Aufbietung aller Kräfte Rußlands nach außen hin notwendig machen konnten, den Kaiser Nikolaus geneigter stimmen würden, die verfassungsmäßige Selbständigkeit des Königreichs Polen zur Wahrheit werden zu lassen, und erblickten in einem solchen Zustande das Ziel aller ihrer Wünsche und Hoffnungen. Sie waren denn auch ihrerseits eifrig bemüht, jede unruhige Bewegung und jede Demonstration, welche den Kaiser hätte verletzen können, zu unterdrücken und suchten zugleich in ihrem Sinn der Versöhnung in Petersburg zu wirken. Sie erhielten auch voll dort aufmunternde, freilich nur ganz allgemein gehaltene Antworten, die sie immer mehr in ihren Hoffnungen bestärkten. Malgienski allein war unruhig und besorgt trotz aller äußeren Zeichen einer befriedigenden Ruhe. Er sah aus den Berichten seiner geheimen Polizeiagenten, daß überall, sowohl in Warschau als in den Provinzen sich die Spuren einer geheimen Agitation zeigten. Die Bauern in den Dörfern sprachen davon, daß bald eine große Erhebung stattfinden würde, welche die Befreiung von der Leibeigenschaft bringen sollte – man hatte hier und dort in den städtischen bürgerlichen Kreisen Druckschriften entdeckt, die alle Patrioten aufforderten, sich bereit zu halten, um beim ersten Aufruf in die Reihen der Kämpfer für die Freiheit zu treten, überall zeigte sich die Wirksamkeit einer weit verbreiteten und wohl organisierten Bewegung, aber niemals gelang es, die Fäden derselben zu erfassen und bis zu dem Mittelpunkt zu verfolgen, von welchem die Leitung ausgehen mußte. Umsonst waren Strafen, umsonst das Versprechen großer Belohnungen für die Agenten der Polizei; die Russen, welche man im Dienst hatte, vermochten gar nichts zu erfahren, da sich das ganze Volk scheu gegen sie abschloß, und die polnischen Agenten entwickelten eine immer geringere Geschicklichkeit und blieben immer mehr in ihrem Eifer zurück, je mehr die Anzeichen weit ausgebreiteter, geheimer Verbindungen hervortraten, welche jeden Verrat zu strafen die Macht hatten.

Er hatte durch mehrere seiner zuverlässigsten Agenten Konstantin sorgfältig beobachten lassen, aber alle Berichte lauteten dahin, daß Herr von Backlowicz viel die Gesellschaften der vornehmen Welt besuche, im übrigen aber zu Hause sich mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftige, mit keinem der jungen Kavaliere intimer verkehre und nur zuweilen den Bruder Kasimir im Karmeliterkloster besuche, mit dem er von der Universität Wilna her befreundet sei und der sich ebenso wie er mit wissenschaftlichen Studien lebhaft beschäftige.

Der Herbst war herangekommen, ein Teil der Herrenwelt war durch die Jagden in Anspruch genommen und das Leben der Gesellschaft war stiller geworden.

Luitgarde freute sich dieser Ruhe, die sie eines peinlichen Zwanges überhob, und saß eines Abends in ihrem Kabinett träumend und die Gräfin Dornowska erwartend, welche regelmäßig zur Teestunde bei ihr erschien und deren pikante Anekdoten ihr eine flüchtige Zerstreuung brachten.

Da erschien, was seit lange nicht der Fall gewesen war, Malgienski, sie schrak zusammen bei seinem Eintritt und seufzte leise bei dem Gedanken an ihr früher erträumtes Glück, das sich so schnell in bittere Enttäuschung verwandelt hatte. Fast hätte sie gewünscht, daß die Täuschung geblieben wäre und ihr das Glück und den Frieden eines schönen Irrtums erhalten hätte.

Malgienski war völlig unbefangen und sprach ihr seine Freude aus, daß ihm eine freie Stunde geblieben sei, die er mit ihr zu verplaudern komme.

Er nahm eine Tasse Tee und sprach mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit von verschiedenen Ereignissen des Tages.

Dann sagte er nach einer kurzen Pause mit ernster Miene:

»Mein Vetter Backlowicz macht mir Sorgen.«

Luitgarde fühlte bei diesem plötzlichen Uebergange, daß das Blut in ihre Wangen schoß, sie beugte sich einen Augenblick auf ihre Stickerei nieder und sagte dann in gleichgültigem Ton:

»Herr von Backlowicz? Und warum? Er scheint ja sich sehr wohl zu befinden und verkehrt überall, während er sich früher von der Welt zurückhielt. Was ihn damals bedrückte, muß also doch wohl glücklich beendet und gelöst sein?«

»Das ist es nicht,« sagte Malgienski, »wohl habe ich vermutet, daß irgendeine Liebesaffäre sein damals plötzliches Verschwinden veranlaßt hatte und ich fürchtete, daß er sich sogar zu einer Heirat unter seinem Stande möchte hinreißen lassen. Das scheint nun aber nicht der Fall zu sein, denn sonst wäre er kaum hier in die Gesellschaft zurückgekehrt. Er hat sein Leben geändert, er besucht die Gesellschaft und doch hält er sich immer noch von den jungen Leuten seines Alters zurück und umgibt sich mit einem gewissen Geheimnis – ich habe ernste Sorgen um ihn, er hat von jeher phantastische Ansichten gehabt, er ist ein politischer Schwärmer und hat auf der Universität in Wilna mit Minckiewicz und anderen unruhigen Köpfen in Verbindung gestanden. Die Zeit ist unruhig, es bestehen überall im Lande geheime Verbindungen, welche zwar nicht gefährlich für die Regierung sind, wohl aber für ihre Teilnehmer, denn diese spielen um ihren Kopf, da der Kaiser, schon mit Recht gereizt durch den Widerspruch, den er im Reichstage gefunden, unerbittlich diejenigen strafen wird, welche das Volk zur Unzufriedenheit aufreizen. Es wäre ein großes Unglück, wenn Konstantin sich mit einer solchen Verbindung eingelassen hätte!«

Luitgarde zitterte, aber mit gleichgültig ruhigem Ton sagte sie, ohne aufzublicken:

»Wie sollte er das? Früher wäre das vielleicht denkbar gewesen, aber jetzt, da er so lange abwesend war –«

»Gerade darum. Die geheimen Verbindungen haben ihren Mittelpunkt im Auslande, von wo aus die Führer dann in Sicherheit ihre Agitation treiben. Ich würde es tief beklagen, wenn Konstantin ein Unglück widerführe, und ich habe als sein Verwandter fast die Pflicht, ihn von gefährlichen Wegen abzuleiten, ich möchte ihn wohl fragen, aber er wird mir nicht antworten, und wenn er es täte, würde ich in meiner dienstlichen Stellung fast verpflichtet sein, davon Anzeige zu machen.«

»Entsetzlich!« rief Luitgarde aufschreckend. »Das darf nicht sein.«

»Und doch möchte ich ihn schützen,« fuhr Malgienski fort, »vor sich selbst, wenn es nötig ist, ihn von gefährlichen Wegen zurück zu führen. Doch dazu müßte ich wissen, was er treibt, um ihn vielleicht durch indirekte Einwirkung von gefährlichen Verbindungen loszulösen. Das wäre eine Aufgabe für Dich, Du könntest ihn sondieren, das Gespräch auf jene gefährlichen Verbindungen bringen – der weibliche Blick ist ja scharf, und wenn es Dir gelingt, mir irgendeinen Fingerzeig zu geben, so würde ich Dir vielleicht die Rettung eines Verwandten danken, für den ich fast verantwortlich bin, da er eben so viel jünger und unerfahrener ist als ich.«

Er hatte in gleichgültigem Ton gesprochen und doch schauderte Luitgarde bei seinen Worten, es war das erstemal, daß er wieder im Gespräch mit ihr das Gebiet der Politik streifte, und wieder verlangte er von ihr einen Kundschafter- und Späherdienst, der ihr tief widerstrebte.

»Und wie,« sagte sie in fast gereiztem Ton, »wie soll ich dazu kommen, den Herrn von Backlowicz in solcher Weise auszuforschen? Wie sollte es mir gelingen, von ihm irgend etwas zu erfahren? Er ist mir stets fremd geblieben und hat mir fast eine Abneigung gezeigt, die mich hätte verletzen können.«

»Das ist so seine Art,« erwiderte Malgienski, »das darfst Du nicht so übel nehmen – er ist der Freund Deines Vaters und mein Vetter, das gibt Dir Veranlassung genug, Dich ihm mehr zu nähern – er ist romantisch angelegt und es scheint mir wohl möglich, daß Du einen großen Einfluß auf ihn gewinnst.«

Wieder röteten sich Luitgardens Wangen. Sie wollte heftig erwidern, aber sie dachte daran, daß es galt, Konstantin vor einer Gefahr zu schützen, die ihm vielleicht näher drohen mochte, als Malgienski es ihr sagen wollte – und dann meinte dieser es doch jedenfalls gut mit seinem Vetter – wenn sie seinen Wunsch zurückwies, und er andere Wege einschlug, um Konstantin auszuforschen, so konnte vielleicht ein schweres Unglück geschehen. Jener Abend in Bielany tauchte wieder in lebhafter Erinnerung in ihrer Seele auf und eine entsetzliche Angst erfaßte sie bei dem Gedanken, daß Konstantin einer der grausamen Strafen verfallen könne, welche die Petersburger Untersuchungskommission für jede Auflehnung gegen die russische Herrschaft verhängte.

»Ich will es versuchen,« sagte sie, »ob ich etwas von ihm erfahren kann, doch fürchte ich, daß mein Bemühen vergeblich sein wird – wenn vielleicht mein Vater –«

»Nein,« fiel Malgienski lebhaft ein, »auch Deinem Vater dürfte ich keinen Verdacht aussprechen, daß ich eine solche Vermutung hege – es soll und muß ein Geheimnis zwischen uns bleiben, dann allein bin ich imstande, alle mögliche Gefahr von Konstantin abzuwenden.«

Die Gräfin Dornowska kam ganz voll von allen möglichen Anekdoten.

Malgienski hörte ihr eine Zeitlang zu, er lachte über die Bosheiten, die sie gegen ihre guten Freunde verschwendete, und zog sich dann zurück, nachdem er Luitgarde noch einmal zugeflüstert hatte, ihr Versprechen nicht zu vergessen.

Luitgarde war sehr zufrieden, daß kein anderer Besuch kam. Bei dem Geplauder der Gräfin konnte sie den Gedanken nachhängen, die sie ganz in Anspruch nahmen, und als sie endlich allein war, faßte sie den bestimmten Entschluß, die Andeutungen ihres Gemahls nicht unbeachtet zu lassen. Diesmal hatte ja sein Wunsch eine Berechtigung, und die von ihm gewünschte Nachforschung sollte ja nicht zur Ergänzung der Polizei dienen, sondern Konstantin vor einer Gefahr schützen, welche sie selbst zittern ließ. Aber nicht, wie Malgienski es meinte, durch Verstellung und List wollte sie den Auftrag ausführen, davor schauderte sie zurück, es war ihrer und Konstantins unwürdig und würde, wie sie überzeugt war, keinen Erfolg haben. Sie wollte gegen Konstantin kein falsches Spiel spielen und wagte es nicht, wie sie sich kaum eingestehen mochte, einen Weg zu betreten, der ihr selbst gefährlich werden könnte. Sie schrieb ein kurzes Billett und lud Konstantin ein, sie am nächsten Morgen zu einer Stunde vor der Visitenzeit zu besuchen.

Nach einer fast schlaflosen Nacht erwartete sie ihn zur bestimmten Zeit mit unruhig klopfendem Herzen.

Sie hatte all ihre Willenskraft angespannt, um äußerlich ruhig und gleichgültig zu erscheinen, aber sie vermochte dennoch kaum, ihre ruhige Fassung zu bewahren, als er plötzlich zur bestimmten Zeit bei ihr eintrat.

Er hatte mit höchster Verwunderung ihr Billett erhalten. Er vermochte keinen Grund für ihre überraschende Einladung zu finden, aber eine Ablehnung derselben wäre eine Unart gewesen, welche er gegen die Tochter des Grafen Jaczkonowski nicht begehen konnte – vielleicht hatte der Graf selbst, zu dem er die früher so engen und freundschaftlichen Beziehungen nicht wiederfinden konnte, irgendeine Vermittlung durch seine Tochter gesucht.

Er war tief erschüttert durch die nun unausweichliche Notwendigkeit einer Begegnung, die er bisher sorgsam auch vermieden oder auf die notwendige gesellschaftliche Konvenienz beschränkt hatte.

Sie wendete sich um, als er zu ihr eintrat, so daß er ihre Bewegung nicht bemerkte.

»Sie werden erstaunt sein, Herr von Backlowicz,« sagte sie nach der stummen Begrüßung, bei welcher sie nicht wie sonst ihm ihre Hand gereicht hatte, »daß ich gewagt habe, Sie zu mir zu bitten, da Sie mir ja stets deutlich gezeigt haben, daß Sie Ihre Freundschaft für meinen Vater nicht auf mich ausdehnen.«

»Sie tun mir unrecht, gnädige Frau,« erwiderte Konstantin, ohne die Augen aufzuschlagen, »meine Lebensrichtung entspricht wenig der Welt voll Heiterkeit und Liebe, in welcher Sie sich bewegen und Ihr Glück finden. Wenn ich mich darum zurückhielt, so geschah das nur, weil ich befürchtete, Ihnen lästig zu sein, einen Schatten in den hellen Kreis Ihres Daseins zu werfen und – wohl nicht verstanden zu werden.«

»Ein jeder Lichtkreis hat auch der Schatten genug,« sagte Luitgarde seufzend; »doch habe ich Ihnen keinen Vorwurf machen wollen, jeder muß den Weg durchs Leben nach seiner eigenen Art wählen, und am sichersten wohl kommt man an das Ziel des Friedens mit sich selbst, wenn man seinen Weg allein findet.«

»Sie allein, gnädige Frau?« rief Konstantin, indem er seine dunklen Augen mit einem fragenden Blick zu ihr aufschlug, der ihr bis ins Herz drang. »Sie – umgeben von Freunden, von Ihren Eltern – von –« Er stockte und schnell fiel sie ein:

»Sie sollten, so habe ich gemeint, Herr von Backlowicz, es verstehen, daß man oft in der Gesellschaft am meisten allein ist, doch das ist ein Gegenstand, über den kaum zwei Menschen sich einander verständigen können, da niemand in die Seele eines anderen hinein zu blicken vermag, und nicht, um darüber mit Ihnen zu richten, habe ich Ihren Besuch erbeten.«

»Und was befehlen Sie?« fragte Konstantin; »kann ich Ihnen einen Dienst leisten, so bitte ich, über mich zu verfügen.«

Zögernd, mit einer mächtigen Willensanstrengung ihre Scheu überwindend, sagte sie:

»Sie sind der Freund meines Vaters und –«

»Ich bin es von ganzem Herzen,« fiel Konstantin ein, »und wenn zwischen den Grafen und mich sich ein Geheimnis gedrängt hat, so darf Ihr Vater mir darum nicht zürnen und nicht an meiner Dankbarkeit und Ergebenheit zweifeln. Nicht Mangel des Vertrauens ist es, was mich zwingt, jenes Geheimnis vor ihm zu bewahren, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und wenn Sie mir beistehen wollen, ihn davon zu überzeugen, so werde ich Ihnen zu innigstem Dank verpflichtet sein.«

Luitgarde sah ihn mit einem seltsam durchdringenden Blick an. Es zuckte wie ein bitteres Lächeln um ihre Lippen.

»Mein Vater begreift es wie ich vollkommen,« sagte sie, »daß eine Herzensangelegenheit auch vor den nächsten und bewährtesten Freunden ein Geheimnis bleiben muß.«

»O, gnädige Frau,« rief Konstantin, »auch Sie glauben es, daß es eine Herzensangelegenheit war, die meine plötzliche Abreise veranlaßte? Doch wie kann es anders sein,« fügte er traurig hinzu, »mein Vetter Malgienski hat ja diese Meinung verbreitet, wie sollten Sie anders denken als er? Doch«, rief er mit aufflammendem Zorn, »ich will es nicht, daß man mich als einen törichten Phantasten gelten läßt, und ich schwöre es Ihnen, ich schwöre es bei meiner Ehre, daß jenes unglückselige Geheimnis mit meinem Herzen nichts zu tun hat, nichts, als daß es vielleicht einen Traum zerstört hat, der sich auf mein einsames Leben herabsenkte.«

Er schwieg, wie um einen unwillkürlichen Ausbruch seines Gefühls zurückzudrängen.

Luitgarde schlug zitternd die Augen vor seinem flammenden Blick nieder.

»Ich bitte Sie, gnädige Frau,« sagte er dann ruhig, »mir zu glauben und auch Ihren Vater zu diesem Glauben zu bringen – bei Gott! er kann gewiß sein, daß ich auch in einer Herzensangelegenheit kein Geheimnis vor ihm haben würde! –«

»Ich glaube Ihnen, Herr von Backlowicz,« erwiderte Luitgarde, über deren bleiches Gesicht ein freudiger Schimmer hinzitterte, »und auch mein Vater wird Ihnen glauben – doch das war es nicht, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte – wie würde ich es haben wagen wollen, solchen Gegenstand indiskret zu berühren. Es handelt sich«, fuhr sie hastig fort, »um Ihre Sicherheit, um eine Gefahr, die Ihnen droht und die ich von einem Freunde meines Vaters abzuwenden den Wunsch und die Pflicht habe.«

»Eine Gefahr, die mir droht,« erwiderte Konstantin, auf das höchste erstaunt, »die Sie von mir abwenden wollen oder können und die mir unbekannt wäre?«

»Hören Sie mich an,« sagte Luitgarde, »und verzeihen Sie mir, wenn ich den Schein einer indiskreten Einmischung auf mich nehme. Es bestehen«, fuhr sie, immer schneller sprechend, fort, als ob sie sich einer Last entledigen wolle, »zahlreiche geheime Verbindungen, um den Widerstand gegen die russische Regierung und deren Eingriffe in die Rechte unserer Verfassung zu bestärken und anzufeuern – man weiß dies in Petersburg und wird mit erbarmungsloser Schärfe gegen die Verdächtigen vorgehen, auch gegen Sie besteht der Verdacht, einer solchen Verbindung anzugehören, und wenn dies der Fall ist, so bitte ich Sie, vorsichtig zu sein und alle Verbindungen zu lösen, die Sie einer erbarmungslosen Verfolgung aussetzen können.«

Sie atmete tief auf und sah Konstantin ängstlich bittend an.

Er war totenbleich geworden, tiefer Schmerz lag in seinem Blick, den er starr auf sie richtete.

Mit höhnischem Lachen sagte er:

»Wer hat Ihnen das gesagt, gnädige Frau? Wer hat eine Dame, die auf den Höhen des Lebens steht, auf die Fährte politischer Intrigen gebracht – wer hat es verstanden, eine edle Polin, die Tochter des Grafen Jaczkonowski, zur Kundschafterin der russischen Polizei zu machen? Doch die Frage ist ja überflüssig, es gibt nur einen, der das vermag, nur einen, der dessen fähig ist. Sagen Sie diesem einen, gnädige Frau, daß seine List zu plump ist, daß ich aller Politik fern stehe und daß, wenn es nicht der Fall wäre, er durch seine Gemahlin dennoch niemals ein Geheimnis erfahren würde, das seine bezahlten Spione ihm nicht zu enthüllen vermögen.«

Hoch erglühend stand Luitgarde da, ihre sonst so klaren, sanften Augen sprühten drohende Blitze.

Gebieterisch streckte sie die Hand aus und rief:

»Schweigen Sie, Herr von Backlowicz – die Beleidigung, welche Sie einer Dame ins Gesicht schleudern, entehrt Sie selbst!«

Konstantin bebte zurück.

»Verzeihung,« sagte er, »ich vergaß, daß die Frauen das Recht haben, alles ungestraft zu tun, wofür ein Mann mit der Waffe in der Hand Rechenschaft geben müßte. Ich habe Ihnen die Antwort auf Ihre Frage gegeben, der Zweck meines Besuchs ist erfüllt.«

Er wendete sich mit einer kurzen Verbeugung zum Gehen.

»Halt,« rief Luitgarde, »bleiben Sie, Sie sollen mich hören! Ich verzichte auf das Recht, das Sie so hochmütig den Frauen gewähren wollen, ich will Ihnen Rechenschaft geben und Sie sollen Ihre Beleidigung widerrufen!«

Es klang aus ihren Worten so viel Schmerz und Entrüstung, so viel Wahrheit, daß er stehen blieb und sie mit traurig fragendem Blick ansah.

»Ich verlange es,« sagte sie gebieterisch, »daß Sie mich hören! Meine Frage, meine Warnung hatte nur die reine Absicht, Sie vor einer Gefahr zu schützen, die nahe vielleicht über Ihrem Haupte schwebt. Ja, Sie haben recht, mein Gemahl ist es gewesen, der mich zu jener Frage veranlaßt – ich weiß es wohl, daß Sie wie viele andere ihm seinen Eifer für den Dienst der russischen Regierung verdenken, ich habe nicht das Recht, darüber zu urteilen, aber dennoch tun Sie auch ihm unrecht. Er war aufrichtig besorgt um Sie, die Pflicht seiner Stellung erlaubte es ihm nicht, selbst Sie zu fragen oder zu warnen, darum hat er mir diesen Auftrag gegeben, um Sie, seinen Vetter, zu schützen, und ich habe diesen Auftrag angenommen, weil ich weiß, wie nahe Sie dem Herzen meines Vaters stehen. Können Sie es wagen, darum, daß ich dies tat, mich niedrigster Späherdienste für fähig zu halten? O, das ist ein Wort, das Sie niemals hätten aussprechen sollen, das Sie zurücknehmen müssen, wenn ich auch nicht die Macht habe, die Genugtuung dafür zu fordern, die Sie jedem Mann für solche Beleidigung gewähren müßten. Dies ist die Wahrheit, so wahr Gott über mir lebt!«

Eine furchtbare Drohung blitzte aus Konstantins Augen, wilder Zorn entstellte sein Gesicht.

»Es ist die Wahrheit,« rief er, »soweit sie Ihnen bekannt ist, das hätte ich wissen, das hätte ich glauben sollen! Aber auch Sie sollen nun alles wissen, Sie sollen es verstehen, warum ich mich zu der Feigheit hinreißen ließ, eine Frau zu beleidigen, zu der ich aufblickte wie zu einer himmlischen Lichtgestalt. Mein Vetter Malgienski hat Sie abgesendet, mich auszufragen, weil er mich vor einer Gefahr schützen wollte? So hören Sie denn, wie die verwandtschaftliche Liebe beschaffen ist, die ihn so besorgt um mich macht. Er war es,« sprach er, dicht vor Luitgarde hintretend, »der mich denunzierte, um mich durch den General Rozniezki, den feigen Verräter an seinem Vaterlande, in den Kerker werfen zu lassen, aus dem ich endlich nur befreit wurde gegen das Versprechen des Schweigens über das, was mir geschehen. Ich habe mein Versprechen gehalten, ich habe allen Haß, alle Verachtung in mich verschlossen, ich habe es über mich gewonnen, meinem lieben Vetter, der so treu besorgt um mich ist, die Hand zu reichen. Aber jetzt muß ich sprechen, die Schandtat, die er aufs neue an mir versucht, zu der er Sie, seine Gemahlin, hat mißbrauchen wollen, schreit zum Himmel! Jetzt ist es auch meine Pflicht, Sie zu warnen, daß Sie sich nicht herabwürdigen lassen zu seinem Werkzeug. Wenn ich Ihnen weh tue,« sagte er, als er Luitgarde schwanken sah, »so denken Sie daran, was ich gelitten habe und verzeihen Sie, daß ich einen Augenblick an Ihnen zweifeln konnte!«

Luitgarde sank auf einen Sessel nieder und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»O, mein Gott,« rief sie, »so ist es dennoch wahr, so hat er dennoch auch diesmal mich herabwürdigen wollen zum unwürdigen Werkzeug eines niedrigen Verrats! O, mein Gott, mein Gott, zu welchem Leben des Jammers und der Qual bin ich verurteilt, wo soll ich die Kraft finden, dies bis zu Ende zu ertragen!«

Sie brach in Tränen aus, schluchzend senkte sie den Kopf auf ihre Brust.

Konstantin stand entsetzt vor ihr, seine Brust arbeitete in furchtbarem inneren Kampf.

»Luitgarde,« rief er, »Sie sind unglücklich, Sie verzagen und verzweifeln, Ihres Lebens Last zu tragen? Und ich wähnte Sie glücklich, glücklich in einer Welt, die bewundernd zu Ihren Füßen liegt, glücklich in Ihrer Liebe!«

Sie blickte mit ihren tränenden Augen zu ihm auf.

»Glücklich!« hauchte sie leise. »Sie halten mich für glücklich und Sie kannten ihn?

»Luitgarde,« rief er außer sich, indem er zu ihren Füßen niedersank und ihre zitternde Hand erfaßte, »ein Bubenstück ohnegleichen ist an mir begangen und an Ihnen auch! Der Wahn, daß Sie glücklich seien und daß die Täuschung, die Sie glücklich machte, für Ihr Leben dauern könnte, gab mir die Kraft der Ergebung, aber jetzt möchte ich verzweifeln an des Himmels Gerechtigkeit. Was jener mir getan, ist schlimmer als ein Mord; Sie müssen es wissen, Luitgarde, daß ich Sie liebte mit aller Inbrunst meines Herzens. An jenem Tage in Bielany, als Sie in edler Aufwallung in meinem Freunde das Vaterland beklagten, da erkannte ich, daß meine Liebe mit allen Fasern meines Lebens verwachsen sei und daß ich in Ihnen das Ideal meiner Träume gesunden, da beschloß ich, um Sie zu werben und Ihnen mein Herz zu öffnen. Ihr Vater hatte mich einen Sohn genannt, und ich wollte versuchen, mir diesen Namen zu erringen. Hoffnungsvoll schlug mein Herz einem neuen Leben entgegen, ja, ich hoffte – meine Liebe war ja so rein, so warm, so gewaltig, daß sie auch Ihr Herz hätte bewegen müssen. Da«, sagte er mit dumpfer Stimme, »wurde ich in den Kerker geworfen, aus dem ich fast durch ein Wunder befreit wurde gegen das Gelöbnis des Schweigens und das Versprechen, ins Ausland zu gehen. Da waren Sie die Gemahlin dessen, der mir meine Freiheit geraubt hatte durch tückische Hinterlist, vielleicht weil er in meinem Herzen gelesen hatte. Was ich gelitten habe, weiß nur Gott.«

Er sah sie mit unendlichem Schmerz an, ihre Tränen flossen stärker, in seinem Druck schmiegte sie ihre Hand um die seine. Wie träumend sagte sie:

»So war es wahr, doch wahr, was ich zuweilen wie ein wundersames Rätsel in meinem Herzen empfand! Ja, ja, es muß wahr sein – wer jenes Bild zeichnen konnte, der mußte tief in meine Seele geblickt haben, so tief, wie es nur die Liebe vermag.«

»Luitgarde, Luitgarde,« rief er in mächtig aufwallendem Gefühl, »Sie haben jenes Bild gesehen? Sie haben meiner gedacht – so gedacht, wie es eben aus Ihrem Herzen hervorklang? O, mein Gott, mein Gott, wie herrlich hätte das Leben sein können im Sonnenstrahl der Liebe und des Glücks!«

Sie küßte seine Hand, sah ihn lange an und sagte:

»Wie hätte es werden können und wie ist es geworden! Morgendämmerung eines lichten Frühlingstages und finstere, kalte Winternacht bis zu dem Frühling, der nicht auf Erden mehr seine Blüten treibt.«

»Und wie soll es, wie kann es nun werden, Luitgarde?« fragte er.

Sie schauderte wie fröstelnd.

»Wie es werden muß,« erwiderte sie tonlos. »Der irdische Frühling ist erstarrt, der Glaube an die himmlische Erlösung muß die Kraft zum Ausharren geben.«

»Unmöglich, Luitgarde,« rief er, »menschliche Kraft erträgt es nicht, das Glück, das so nahe war, zu verlieren durch eine verruchte Missetat! Die weite Welt steht uns offen, Luitgarde, über dem Ozean wird unter fremdem Namen eine neue Welt, ein neues Leben uns erstehen!«

Sie stand auf, zog ihre Hand zurück und sagte mit ruhiger, klarer Stimme:

»Die Pflicht, welche ich vor Gottes Altar übernommen und beschworen, ist unablöslich und an keine Bedingung geknüpft nach dem Gebot unserer Kirche und nach meinem Gewissen. War ich das Opfer eines verhängnisvollen Irrtums, so muß ich die Folgen tragen, und er, der jenen Irrtum erzeugte, indem er mich so grausam täuschte, steht unter Gottes Gericht und nicht unter dem meinigen. Würde ich in eigenmächtiger Auflehnung gegen Gottes Gebot das heiligste Band auf Erden zerreißen, so würde der Fluch uns folgen für diese und jene Welt und die Hoffnung auf den himmlischen Frühling nach der Winternacht der irdischen Schmerzen wäre verloren. Was mir auferlegt ist, muß ich tragen, auch den furchtbaren Gedanken, daß es so anders, so ganz anders hätte sein können. In dieser Stunde soll Wahrheit zwischen uns sein, klar sehe ich rückwärts in jene Zeit, in welcher träumende Dämmerung mich umhüllte; ja, ich hätte Sie lieben können, ich würde Sie geliebt haben, das fühle ich, wenn Sie zu mir herangetreten wären, um das Rätsel, das in meinem Herzen lag, zu lösen, aber gerade darum, weil ich Sie geliebt haben würde, weil«, sagte sie leiser mit zitternder Stimme, »mir heute die Lösung jenes Rätsels entgegentritt, darum darf kein Verbrechen zwischen uns treten – geschieden sind wir durch Gottes heiligstes Gebot für das irdische Leben, aber ich werde den Glauben festhalten, daß unsere Seelen zu einander gehören und sich einst vor dem Thron der ewigen Liebe frei von Schuld wiederfinden werden. Ich werde Ihre Bahn verfolgen, ich werde stolz sein, wenn Ihr Name mit hellem Klang genannt wird unter den Kämpfern für das Vaterland, zu denen Sie, das weiß ich, gehören, aber nie wieder darf ein Wort von dem, was heute hier vorgegangen, zwischen uns fallen; niemals, auch wenn das Schicksal, was Gott verhüten möge, mir die Freiheit gäbe, würde ich Ihnen angehören, nachdem ich durch die Schuld meines eitlen Sinnes den Namen eines Verräters an meinem Vaterlande getragen!«

»Nein, Luitgarde, nein,« rief Konstantin flehend, »das darf nicht sein, das ist zu hart, zu übermenschlich!«

»Und doch muß es sein und wird es sein,« sagte sie in tiefer Wehmut, aber in der Festigkeit eines unwiderruflichen Entschlusses; »Sie selbst würden mich verachten, wenn ich mich von der Aufwallung der Leidenschaft fortreißen ließe, machen Sie die Stunde, in welcher ich so viel gewonnen und so viel wieder verloren habe, nicht noch schwerer.«

Sie reichte ihm die Hand.

Konstantin stand auf.

»So sei es, Luitgarde,« sagte er, »ich habe nicht das Recht, einen Engel des Himmels von seiner lichten Bahn abzuziehen zu irdischen Kämpfen. Ich schwöre es, Deiner würdig will ich sein, stolz sollst Du auf mich blicken dürfen, und ewigen Haß gelobe ich dem, der uns durch höllische Untat entfremdet!«

Luitgarde schüttelte den Kopf.

Mit sanftem Lächeln, das ihr bleiches Gesicht in lichtem Schimmer verklärte, sagte sie:

»Und ich werde für ihn beten, daß Gott ihn gnädig richte und zum Himmel zurückführe. Leben Sie wohl, Konstantin, was bedeutet die irdische Zeitspanne, die uns trennt, gegenüber der Ewigkeit, die uns wieder vereinigen wird?«

Konstantin drückte ihre Hand in langem Kuß an seine Lippen, stumm sahen sie sich in die Augen – was konnte ein Wort in diesem Augenblick noch bedeuten?

Dann zog sie mit einem letzten Druck ihre Hand zurück, er wendete sich mit einem Seufzer, der wie Todesröcheln aus seiner Brust hervorklang, ab und ging schnell hinaus.

Ihre Lippen öffneten sich zu einem jammernden Wehelaut, als ob sie ihn zurückrufen wolle, aber sie drückte die Hand auf ihr Herz und schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte sie, »kein Zweifel, kein Wanken – ich danke Gott für diese Stunde, die mir den Blick in sein Herz geöffnet, das Bewußtsein seiner Liebe wird mir die Kraft geben, das Unabänderliche zu tragen – ich habe ihn gerettet und dem Vaterlande einen Helden gegeben.«


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