Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Ganz Warschau hatte ein schimmerndes Festgewand angelegt. Der Kaiser Nikolaus Paulowitsch, welcher nach der Entsagung seines älteren Bruders Konstantin den Thron bestiegen und die gefahrdrohende Militärrevolte, die sich ihm entgegengeworfen, siegreich unterdrückt hatte, war, nachdem er im Kreml zu Moskau die Krone der Zaren auf sein Haupt gesetzt, auch nach Warschau gekommen, um sich hier als König von Polen krönen zu lassen und die Huldigung seiner polnischen Untertanen entgegenzunehmen, und die so leicht empfängliche und zu vertrauensvollem Optimismus neigende polnische Nation erblickte in diesem Schritt ein Entgegenkommen, für welches sie ihrerseits warme Dankbarkeit empfand.

Der frühere Kampf um die Unabhängigkeit war zweimal vergebens gekämpft worden, und selbst die Hand des korsischen Welteroberers hatte es nicht vermocht, das alte Polen wieder herzustellen. Die allgemeine Stimmung war dem Gedanken nicht mehr feindlich, daß die polnische Nation mit dem großen Slawenreiche des Ostens zu einem Gesamtreiche verbunden bleibe, wenn sie nur innerhalb desselben ihre eigene Verwaltung und Rechtspflege behielt und der Zar sie als König von Polen nach polnischem Recht beherrschte. Der Kaiser kam, die polnische Krone auf sein Haupt zu setzen, und dies wurde allgemein als ein Zeichen dafür aufgenommen, daß er den Wünschen des Volkes entgegenkommen wolle. So war denn der Empfang, der ihm bei seinem Erscheinen bereitet wurde, nicht nur äußerlich so glänzend, wie es die feierliche Veranlassung gebot, sondern auch wirklich von warmer Herzlichkeit erfüllt.

Der große polnische Adel war von allen Seiten zusammengeströmt und entfaltete den ganzen Glanz, der in dem sarmatischen Leben so viel gilt und so verschwenderisch geübt wird. Die einen kamen, weil sie von der neuen Regierung eine glückliche Zeit nationaler Freiheit und Selbständigkeit erhofften und die guten Absichten des Kaisers durch das ihm bewiesene Vertrauen erhalten und stärken wollten – die anderen, weil sie jeder Regierung den Hof machten, um Macht und Ehre zu gewinnen, und eine solche Gesinnung war ja lange schon unter dem hohen polnischen Adel gar vielfach vertreten, der durch seinen Egoismus, seine Geldgier und seinen rein persönlichen Ehrgeiz den Untergang der alten polnischen Nationalmacht ermöglicht und befördert hatte. Gerade diese Kreise waren, so sehr sie in öffentlichen Kundgebungen des Enthusiasmus vorangingen, der wirklichen herzlichen Verständigung zwischen dem neugekrönten König und dem polnischen Volk besonders hinderlich; denn sie bedurften das Mißtrauen der Regierung für ihre persönliche Stellung, um ihren Dienst der russischen Herrschaft gleichsam einen höheren Wert zu verleihen, und es fehlte nicht an Warnungen vor Verschwörungen und Attentaten, welche gerade aus diesen polnischen Kreisen hervorgingen und den Zweck hatten, die Regierung von der Notwendigkeit einer unausgesetzten polizeilichen Wachsamkeit zu überzeugen.

Die russischen Würdenträger waren fast vollzählig in dem Gefolge ihres Herrn erschienen und ließen es auch ihrerseits an der Entwickelung blendender Pracht nicht fehlen.

In all diesem Glanz traten die Gestalten des Kaisers und seiner Gemahlin Alexandra Feodorowna, der geborenen Prinzessin Charlotte von Preußen, um so sympathischer hervor durch die außerordentliche Einfachheit und offene Natürlichkeit, welche sie in ihrer Erscheinung und ihrem fast bürgerlich herzlichen Familienleben zeigten. Wenn man auf den Straßen und in den Parken die polnischen Magnaten in sechsspännigen Galawagen, die Lakaien und Geschirre von Gold strotzend, auffahren sah, so erschien das kaiserliche Paar in zweispänniger Droschka, der Kaiser in einfacher Uniform, die Kaiserin in grauem, unscheinbarem Kostüm.

Die Kaiserin behandelte die polnischen Damen mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit. Sie wollte in Warschau, wie sie das mehrfach ausgesprochen, nur Königin von Polen genannt sein. Dies sei einer ihrer schönsten Titel.

Nikolaus war ernst und streng wie immer, aber er hatte mehrfach bei den Vorstellungen die Polen in ihrer Sprache angeredet und mit einem herzlicheren Ton, als er ihm sonst eigen war, die Versicherung gegeben, daß er seinen polnischen Untertanen warmes Wohlwollen entgegenbringe und ihren irgend erfüllbaren Wünschen Rechnung tragen wolle.

Die Stimmung war überall eine begeisterte, und sie zeigte sich nicht nur bei den großen Festen, welche vom Kaiser und seinem Bruder, dem Großfürsten Konstantin als Statthalter des Königreichs Polen veranstaltet wurden, sondern auch bei den Privatgesellschaften des großen polnischen Adels, welche die Herrschaften häufig mit ihrer Gegenwart beehrten.

So fand auch ein glänzender Ball in dem Palais des Grafen Jaczkonowski statt, zu welchem die vornehmste Gesellschaft von Warschau versammelt war und auch die kaiserlichen Majestäten ihr Erscheinen zugesagt hatten.

Graf Jaczkonowski war einer der angesehensten und reichsten Magnaten von Polen, er gehörte zu den altbewährten Patrioten, hatte unter Kosciuszko gefochten und auch in der berühmten polnischen Legion unter dem General Dombrowsky gedient, in der Hoffnung, daß Napoleon aus Dankbarkeit das Königreich Polen wieder aufrichten werde. Nachdem diese Hoffnung getäuscht war, hatte er sich, als Napoleons Herrschaft zusammenbrach, von der Politik zurückgezogen und sich dem Kaiser Alexander zugewendet. Er gehörte zu denen, welche nun das Schicksal Polens für unabänderlich mit dem russischen Reiche für verbunden hielten und in einer Personalunion die nationale Selbständigkeit so viel als möglich erhalten wollten, wie es Alexander hoffen ließ und auch wohl ernstlich meinte, ohne aber in seinem unsichern und schwankenden Charakter feste Pläne zu schaffen und durchzuführen.

So hatte der Graf denn nun vertrauensvoll den jungen Kaiser Nikolaus begrüßt, dessen stolzes, ruhiges, aber offenes und klares Wesen die Hoffnung auf die Herstellung fester Zustände gab. Er hatte freilich aus seinen Gesinnungen kein Hehl gemacht und dem Kaiser klar und bestimmt ausgesprochen, daß er von ganzem Herzen Pole sei und nur mit tiefem Schmerz die volle Selbständigkeit seines Vaterlandes aufzugeben vermöge, daß er aber treu und ehrlich der Untertan des Kaisers sein werde, da dieser König von Polen sein wolle, und daß er dahin wirken und streben werde, seinem Vaterlande auch in der großen politischen Vereinigung mit Rußland eine auf dem alten nationalen Rechte begründete Stellung zu schaffen und zu sichern.

Der Kaiser hatte ihn ruhig und ernst angehört und zwar keine bestimmte Zusicherung über einzelne Fragen gegeben, aber ihn bei jeder Gelegenheit mit ganz besonderer Auszeichnung behandelt, welche zu der Annahme berechtigte, daß des Grafen so offen ausgesprochene Gesinnung ihm nicht mißfiel.

Er hatte auch mit seiner Gemahlin die Einladung zu dem Ball des Grafen angenommen, und das alte Haus desselben entfaltete seinen höchsten Glanz zum Empfange des jungen Herrscherpaares. Die Säle waren gefüllt von den russischen Würdenträgern in ihren glänzenden Uniformen und den Polen mit ihren reichen und geschmackvollen Magnatenanzügen; prächtige Edelsteine schmückten die Halsketten und Armbänder der Damen, die Agraffen und Säbel der Herren. Viele davon waren freilich falsch, denn die großen Vermögen der alten Geschlechter waren unter schlechter Wirtschaft und unter dem Einfluß der politischen Wirren geschmolzen, und viele Familien mit berühmten Namen hatten sich von den Kostbarkeiten, die ihre Vorfahren aufgesammelt, trennen müssen, aber die falschen Steine funkelten im Licht der Kerzen ebenso hell wie die echten.

In der Mitte des großen Empfangssaales stand der Graf Xaver Jaczkonowski, eine hohe Gestalt mit einem von grauem, krausem Haar umrahmten, vornehmen Gesicht, das mit seinen blitzenden Augen und dem langen Schnurrbart in Verbindung mit der kleidsamen polnischen Tracht an die Bilder aus der Zeit des großen Königs Sobieski erinnerte – neben ihm seine Gemahlin, fast zehn Jahre jünger als er, bei der das Alter die Spuren der früheren Schönheit nicht hatte zerstören können, und die einzige Tochter des Hauses, die siebenzehnjährige Luitgarde, welche in ihrer elfenhaft schlanken und zarten Gestalt und in ihrem feinen, ausdrucksvollen und doch fast kindlich jugendfrischen Gesicht mit dem goldblonden Haar und den tiefblauen Augen fast einer Deutschen glich und um so mehr umschwärmt und umworben wurde, da sie die Erbin eines der größten und durch musterhafte Verwaltung wohl geordneten Vermögen im Königreiche war. Die Türen nach dem Treppenhause standen offen, während die gräfliche Familie die ankommenden Gäste empfing und Luitgarde fröhlich scherzend und lachend die stürmischen Huldigungen der jungen Herren annahm wie einen gewohnten Tribut.

Der Haushofmeister erschien auf der Schwelle und gab dem Grafen einen Wink.

Sogleich eilte dieser mit seiner Gemahlin die Treppe hinab, Luitgarde folgte, nachdem sie von einer silbernen Platte, die ein Lakai bereit hielt, einen Strauß seltener Blumen genommen. Soeben fuhren die kaiserlichen Herrschaften vor und wurden von dem Grafen am geöffneten Wagenschlage und von den Damen an der Schwelle des Hauses begrüßt.

Nikolaus trug die Uniform seiner Garde-Artillerie mit dem Bande und dem Sterne des weißen Adlerordens. Die Kaiserin trug eine Toilette in lichten Farben, welche wohl die einfachste der ganzen Gesellschaft war. Sie nahm die Blumen, welche Luitgarde ihr bot, und küßte die reine Stirn des jungen Mädchens.

Nikolaus bot der Gräfin den Arm.

Der Graf folgte, der Kaiserin ehrerbietig die Hand reichend, und die ganze Gesellschaft verneigte sich bis zur Erde, als die Herrschaften den Empfangssaal betraten.

Nach einer kurzen Unterhaltung mit den Wirten, welche besonders liebenswürdig und herzlich zu sein schien, wendete sich der Kaiser auf die Meldung eines Flügeladjutanten, der sich in seiner Nähe hielt, schnell wieder dem Ausgange zu, eilte in jugendlicher Hast die Treppe hinab und erreichte das Portal, als der Wagen des Großfürsten Konstantin vorfuhr.

Der Großfürst, eine starke, kräftige Gestalt von etwas untersetztem Bau, einem stark geröteten Gesicht von ausgesprochen slawischem Typus, trug die große russische Generalsuniform mit dem Bande und Stern des Sankt Andreasordens.

Er umarmte herzlich den Kaiser, der sich fast ehrerbietig vor ihm neigte und dann an den Wagen trat, um der Fürstin von Lowicz, der morganatischen Gemahlin Konstantins, der zuliebe dieser auf den Thron verzichtet hatte, die Hand beim Aussteigen zu reichen und sie die Treppe hinauf zu führen.

Der so stolze und unnahbare Selbstherrscher bewies seinem älteren Bruder, der der eigentliche Thronerbe war und den er selbst bei dem Tode Alexanders als solchen proklamiert hatte, stets eine tiefe Deferenz, um aller Welt zu zeigen, wie er die Stellung seines Bruders, obgleich dieser ihm die Herrschaft übertragen, als eine ganz besondere und ihm persönlich beinahe überlegene angesehen wissen wolle. Auch die Kaiserin umarmte die Fürstin Lowicz, als diese sich ehrerbietig vor ihr neigte, so herzlich, als ob sie ihresgleichen wäre. Dann begannen die Herrschaften ihren Cercle zu machen, alle durch Rang und Namen ausgezeichneten Personen freundlich anredend, wobei die außerordentliche Verschiedenheit in der Erscheinung der beiden erlauchten Brüder besonders sichtbar hervortrat.

Konstantin glich in seinen Gesichtszügen seinem Vater, dem Kaiser Paul, und sein Gesicht zeigte ganz slawische Züge, seine Bewegungen hatten etwas Unruhiges und Unstetes; oft lächelte er in fast kindlicher Gutmütigkeit, dann zuckte es wieder wie wilde Leidenschaft in seinem Gesicht und der jäh auflodernde Zorn entstellte ihn oft in erschreckender Weise.

Nikolaus hatte das griechische Profil und die majestätische Stirn der Kaiserin Katharina, seiner Großmutter, seine Züge waren, ebenso wie seine Haltung, das Bild ruhiger, stolzer, in sich abgeschlossener Herrscherwürde. Schwer wurde die eherne Ruhe seines Gesichts unterbrochen und selbst der heftigste Zorn machte sich kaum anders bei ihm bemerkbar, als durch die düstere Glut, welche in seinen sonst so klaren und fast starr blickenden Augen aufloderte.

Heute waren beide Brüder gegen jedermann von der herzlichsten Liebenswürdigkeit, ein verbindliches Lächeln verschönte die edlen Züge des Kaisers, der meist mit seiner Gemahlin seinen Rundgang machte, um sich mit ihr gemeinschaftlich die ihm noch nicht bekannten Personen vorstellen zu lassen.

Er hatte eben eine kurze Unterhaltung mit einer ihm von der Gräfin vorgestellten Dame beendet, als der Großfürst Konstantin zu ihm herantrat und ihm einen hochgewachsenen Mann von etwa fünfunddreißig Jahren zuführte, der die Galauniform der höheren Regierungsbeamten mit tadelloser Eleganz trug und den der Großfürst in seiner etwas brüsken, rücksichtslosen Manier am Arm gefaßt hatte.

»Erlauben mir Eure Majestät,« sagte er, »Ihnen hier den Staatsrat von Malgienski vorzustellen, einen der vortrefflichsten Beamten meines Gouvernements, der ausgezeichnete Dienste geleistet hat und gewiß noch mehr leisten wird. Er ist ein guter Pole von Blut und Geburt und liebt sein Vaterland in der rechten Weise, da er einsieht, daß die Polen Glück und Frieden nur in treuer Hingebung an Eurer Majestät wohlwollende Herrschaft finden können – sein Beispiel und seine fleißige Arbeit sind wirksam gewesen, um die neue Ordnung der Dinge zu befestigen, und ich empfehle ihn Eurer Majestät gnädigem Wohlwollen.«

Nikolaus grüßte gnädig den in so schmeichelhafter Weise Vorgestellten und betrachtete prüfend dessen regelmäßig schönes Gesicht mit den feinen, geistvollen Zügen und der hohen, von schwarzem Haar umrahmten Stirn.

Die klugen, aber etwas verschleierten Augen des Staatsrats senkten sich vor dem scharfen, durchdringenden Blick des Kaisers, der mit seiner klaren sonoren Stimme sagte:

»Wer mir durch meinen teuren und hochverehrten Bruder als ein treuer Diener meiner Regierung vorgestellt wird, ist stets meines gnädigen Wohlwollens sicher; es freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Staatsrat, ich bin gewiß, daß Sie die Erwartungen Seiner kaiserlichen Hoheit erfüllen werden.«

»Jedenfalls«, erwiderte der Staatsrat, sich tief verbeugend, »werde ich mit allem Eifer und mit der ganzen Kraft meines Lebens danach streben, die Treue und Hingebung für Eure Majestät durch die Tat zu beweisen.«

»Sie sind verheiratet?« fragte Nikolaus; »die Kaiserin wird sich freuen, Ihre Gemahlin kennen zu lernen.«

»Ich bin es nicht,« erwiderte Herr von Malgienski, »bisher hat der Dienst und die Arbeit für mein Vaterland, das Eurer Majestät Regierung einer glücklichen Zukunft entgegengeführt, mich vollständig in Anspruch genommen und mein Leben ausgefüllt.«

»Was nicht ist, kann werden!« rief der Großfürst Konstantin lachend, indem er den Staatsrat auf die Schulter klopfte – »ich hoffe, daß der Herr von Malgienski bald sein Haus der Warschauer Gesellschaft öffnen wird, und wenn er seine Wahl getroffen, werde ich ihn nach Petersburg schicken, damit er seine Frau Eurer Majestät vorstellen kann.«

»Sie wird mir willkommen sein,« sagte Nikolaus verbindlich.

Dann wendete er sich der Kaiserin zu, welche eine der Damen heranführte, und der Staatsrat trat ganz glücklich über den gnädigen Empfang, der ihm vor so vielen Zeugen zuteil geworden, zurück.

In der Nähe stand Luitgarde. Ihre Blicke waren auf Malgienski gerichtet. Sie hatte die so schmeichelhafte Vorstellung durch den Großfürsten und die auszeichnenden, gnädigen Worte des Kaisers gehört; ihre ausdrucksvollen, klaren Augen strahlten in stolzer Freude, und als nun der Staatsrat zu ihr herantrat, um sie zu begrüßen, wozu er bisher noch keine Gelegenheit gefunden, da reichte sie ihm errötend die Hand und sagte lächelnd:

»Ich wünsche Ihnen Glück, Herr von Malgienski. Sie haben mir oft gesagt, daß Sie ehrgeizig sind, wie es wohl ein jeder Mann sein soll, der die Kraft fühlt, sich über die große Menge zu erheben, und ich hoffe, daß die Anerkennung des Kaisers Ihnen den Weg bahnen wird, alle Ziele Ihres Ehrgeizes zu erlangen.«

»An mir wird es nicht fehlen –« erwiderte Malgienski, ihre Hand, die sie ihm reichte, ehrerbietig und doch so warm und zärtlich küssend, daß Luitgarde von neuem errötend die Augen niederschlug. »Ja,« fuhr er fort, mit feurigen Blicken die schlanke, anmutige Gestalt des jungen Mädchens betrachtend – »ich bin ehrgeizig, Fräulein Luitgarde, und Sie haben recht, jeder Mann, der sich selbst achtet und seinen Wert kennt, hat die Pflicht, es zu sein, aber darum füllt der Ehrgeiz mein Leben nicht aus, es wäre ein kaltes, trauriges Dasein, das nur der Arbeit gehört, um die Macht und die Ehre zu erringen, die uns über die Masse erhebt – auch der Ehrgeiz, und ob er auch noch so sehr vom Erfolg gekrönt ist, bedarf den Blütenschmuck, der das Leben mit süßem Duft erfüllt und des Herzens warme Empfindung, welche uns davor bewahrt, auf der einsamen, kalten Höhe des Stolzes zu erstarren. Das höchste Glück ist es, unser Ringen und Streben verstanden zu wissen und gewiß zu sein, daß ein befreundetes Herz unsere Hoffnungen und Wünsche teilt und glücklich ist über die Erfolge unserer Arbeit. Wenn ein Herz so für uns schlägt, so wird unser Streben und Ringen geadelt und verklärt und der kalte Glanz der äußeren Ehren mit dem warmen Schimmer des menschlichen Glücks übergossen. Des Kaisers gnädige Worte haben mir stolze Freude bereitet, Ihre Teilnahme macht mich glücklich und gibt meiner Freude die innere Herzenswärme.«

Luitgarde stand zitternd vor ihm, sie verstand mehr noch den Ton seiner Stimme, den bei aller äußern Ruhe, welche der vollendete Weltmann stets beobachtete, eine innere Bewegung durchzitterte, als den Sinn seiner Worte. Sie sah mit einem kurzen, scheuen Blick wie fragend zu ihm auf und fühlte sich wie erleichtert, als ein Generaladjutant des Kaisers herantrat und sie der Antwort überhob.

Die hohen Herrschaften hatten ihren Rundgang beendet und nahmen die für sie bereiteten Plätze in dem großen Tanzsaal ein. Die Fürstin Lowicz setzte sich bescheiden in die zweite Reihe. Die Kaiserin aber faßte mit liebenswürdiger Herzlichkeit ihre Hand und zog sie auf einen Sessel an ihre Seite, eine Aufmerksamkeit, welche den Großfürsten Konstantin in so vortreffliche Laune versetzte, daß er, der sonst niemals tanzte, seine erhabene Schwägerin bat, mit ihm zur ersten Quadrille anzutreten. Nikolaus sah lächelnd zu und die Zufriedenheit der kaiserlichen Herrschaften belebte die Stimmung der ganzen Gesellschaft.

Man setzte sich bald zur Tafel, da der Kaiser, um die Gesundheit seiner Gemahlin bei seinen vielfachen Repräsentationen zu schonen, niemals seine Abendbesuche lange ausdehnte, und als das schnell servierte Souper beendet war, zogen sich die Majestäten zurück.

Der Großfürst Konstantin aber blieb in heiterster Laune und nun nahm das Fest eigentlich erst seinen höchsten Aufschwung, jedermann war entzückt von der Liebenswürdigkeit des »Königs« und der »Königin«, wie man mit besonderer Betonung sagte, und die politischen Parteimänner aller Schattierungen blickten hoffnungsfreudig in die Zukunft, welche dem Königreich, wenn auch nicht die Freiheit und Unabhängigkeit, so doch seine nationale Selbständigkeit unter eigener Verfassung und ein wohlwollendes persönliches Regiment des Souveräns versprach.

Luitgarde, welche während der Anwesenheit der Majestäten an der Repräsentation des Hauses hatte teilnehmen müssen, kehrte nun zu den jüngeren Kreisen zurück und entzückte alle jungen Herren, welche ihr in der feurig lebhaften polnischen Art den Hof machten, durch ihre Anmut und ihre fast kindlich fröhliche Heiterkeit, mit der sie über jeden Scherz lachte und jede Schmeichelei halb mit spöttischer Neckerei, halb mit harmloser Befriedigung aufnahm.

Der Staatsrat von Malgienski nahm keinen Teil am Tanz, nicht aus blasierter Gleichgültigkeit, welche zuweilen noch jüngere Herren als er affektieren oder wirklich, durch erschöpfenden Lebensgenuß müde, empfinden, sondern in einer ruhigen, ungezwungen würdevollen Zurückhaltung, welche ihm gut stand und zu seiner für sein Lebensalter verhältnismäßig hohen Stellung paßte. Er drängte sich nicht zu Luitgarde, welche stets von den vornehmsten und elegantesten Herren der Gesellschaft umgeben war, aber seine Blicke folgten ihr, wenn sie im Tanz durch den Saal schwebte, während er sich unbefangen mit den Herren vom Hof und von der Regierung, die ihn sämtlich mit besonderer Auszeichnung behandelten, oder mit den älteren Damen unterhielt.

Luitgarde schien seine Blicke zu fühlen, denn auch sie sah oft zu ihm hinüber, sie schien über die Aufmerksamkeit, die er ihr zuwendete, glücklich zu sein, und wenn sie zuweilen in seine Nähe kam und er ihr dann ein freundlich verbindliches, fast väterliches Wort sagte, so blickte sie dankbar lächelnd zu ihm auf, und ein solches Wort schien für sie mehr wert zu sein als alle die feurigen Ausdrücke der Bewunderung der jungen Kavaliere.

Als die kaiserlichen Herrschaften sich entfernt hatten und Graf Jaczkonowski wieder freier sich seinen Gästen zu widmen vermochte, trat er zu einem jungen Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren heran, der in einfachem Gesellschaftsanzug allein dastand und mit seinen dunklen Augen, welche in wunderbarem Feuer aus seinem bleichen Gesicht hervorleuchteten, in das bunte fröhliche Treiben hineinblickte.

»Ah, mein lieber Konstantin,« sagte er, dem jungen Mann kräftig die Hand schüttelnd, »entschuldigen Sie, daß ich Sie noch nicht begrüßt habe, ich wurde von den Herrschaften in Anspruch genommen. Doch warum stehen Sie hier so einsam, warum diese ernste Miene, wo alles so fröhlich ist?«

»Ich kenne wenige von den Gästen hier,« erwiderte der junge Mann, »ich bin ja erst vor einigen Tagen von meinen Reisen zurückgekehrt und fand noch keine Gelegenheit, mich wieder in die Gesellschaft einzuführen, und ich würde auch kaum auf diesem Ball erschienen sein, wenn ich mich nicht für verpflichtet gehalten hätte, die liebenswürdige Einladung eines so verehrten Freundes meines seligen Vaters, wie Sie es sind, Herr Graf, unter allen Umständen anzunehmen.«

»Es ist mein Fehler, mein lieber Konstantin, ganz mein Fehler, an mir ist es ja, Sie vorzustellen. Der Sohn des Generals Backlowicz ist ja überall der freundlichsten Aufnahme gewiß und bei den polnischen Patrioten um so mehr, welche es nie vergessen werden, daß Ihr Vater im Kampf für das Vaterland den Heldentod starb. Sie müssen mich entschuldigen, ich mußte mich ja ganz ausschließlich unserm neuen König widmen und seiner reizenden und liebenswürdigen Gemahlin – jetzt aber will ich Sie sogleich in die Welt einführen, in die junge Welt vor allem, die sich da im Tanze dreht und zu der Sie in Ihren Jahren gehören.«

»Lassen Sie mich, Herr Graf,« bat Konstantin dringend, »ich bin durchaus nicht in der Stimmung, fröhlich mit den Fröhlichen zu sein.«

»Warum nicht?« fragte der Graf; »sind Sie nicht im Alter der Fröhlichkeit und ohne Sorgen, und muß nicht auch Ihr patriotisches Herz heute höher schlagen bei der glücklichen Zukunft, welche unserem Vaterland sich öffnet unter der wohlwollenden Regierung des jungen Kaisers, der es ausspricht und zeigt, daß er König von Polen sein und unsere nationalen Rechte achten wolle.«

Ein wehmütiges Lächeln glitt über die feinen Lippen Konstantins.

»Ihnen gegenüber, Herr Graf, kann ich offen sein,« sagte er; »ich vermag eine solche glückliche Zukunft nicht zu glauben, ich vermag nicht zu vergessen, wie grausam dieser Nikolaus gegen die Russen verfuhr, welche von seiner Regierung eine Wendung zu freier Bewegung erwartet, wie er verfahren ist gegen meinen Freund Pestel – wer in Rußland die Sklavenketten, deren Lösung man von ihm erwartete, nur noch fester zusammenschmiedet, der wird den Polen gewiß nicht die Freiheit bringen.«

»Ich glaube, Sie sehen zu schwarz, mein lieber Konstantin,« sagte der Graf, »Nikolaus steht zu den Russen anders wie zu uns. Jene sind seine von alters her angestammten Untertanen und haben ihm gegenüber keine historischen Rechte, gegen uns hat er das Unrecht zu sühnen, das uns zu seinen Untertanen machte, wir haben das Recht zu fordern, daß er unsere alte Verfassung und unsere Gesetze achtet, wenn wir seiner Herrschaft durch unsere Anerkennung einen rechtmäßigen Boden zu geben bereit sind.«

»Das ist richtig, Herr Graf,« sagte Konstantin – »richtig in der Theorie, ich verstehe es, daß Sie die Lage so auffassen und daß auch warme Patrioten in solcher Auffassung hoffnungsvoll der Zukunft entgegensehen, aber ich vermag diese Hoffnung nicht zu teilen. Gott wolle, daß ich mich täusche, ich werde dann der erste sein, der dem jungen Kaiser, welcher es verstanden hat, hier alle Herzen zu erobern, ein Unrecht abbittet.«

»Und ich glaube,« rief der Graf, »daß es so kommen wird; wir Polen haben heißes Blut und bäumen uns auf gegen jedes Unrecht, aber darum auch sind wir dankbar und können uns nicht entschließen, im voraus schwarz zu sehen, wenn uns freundliches Licht entgegenstrahlt. Sonst ist das Alter vorsichtig,« fügte er lächelnd hinzu, »jetzt ist es umgekehrt, ich bin vertrauensvoll und Sie, mein Freund, sind scheu und mißtrauisch. An meinem Patriotismus können Sie nicht zweifeln, daß Ihr Vater mein Freund war, muß Ihnen dafür bürgen – darum darf ich Sie auch bitten, meiner Auffassung ihre Berechtigung zu lassen und wenigstens zu erwarten, ob nicht das Schicksal, wie ich hoffe, auch Sie dazu bekehren wird. Heute vergessen Sie Ihre Sorge und kommen Sie, damit ich Sie zuerst meiner Frau und meiner Tochter vorstelle.«

Er führte den jungen Mann fort.

Die Gräfin begrüßte denselben mit ausgezeichneter Höflichkeit, aber ohne die Herzlichkeit, welche ihr Gemahl dem Sohn eines alten Freundes entgegengebracht hatte.

Luitgarde, welche der Graf während eines Tanzes heranrief, war betroffen von dem eigentümlich melancholischen, fast düsteren Ausdruck in dem sonst so jugendfrischen Gesicht Konstantins, der vielmehr dazu geschaffen schien, das Leben leichten Herzens zu genießen. Sie sagte ihm einige freundliche Worte und reichte ihm zum Gruß die Hand.

Konstantin schien geblendet bei dem Anblick dieser zarten, lichthellen Erscheinung, welche in ihrem kindlich heiteren Wesen fast ganz das Gegenteil von ihm selbst war und darum wohl einen um so tieferen Eindruck auf ihn machte, je mehr sie in ihrer ganzen Art von den übrigen Damen verschieden war.

Die beiden jungen Leute kamen zu keiner längeren Unterhaltung, denn der Graf rief wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt:

»Wir haben heute ein Fest gefeiert, das alle polnischen Patrioten mit frohen Hoffnungen erfüllte, wir haben unseren König in meinem Hause begrüßt, da darf bei dem Ball der alte polnische Nationaltanz nicht fehlen, den man eine Zeitlang fast als staatsgefährlich zurück gedrängt hat. Ich werde einen Masurek spielen lassen, das wird erst die rechte Stimmung in die Gesellschaft bringen, und Sie, mein junger Freund, sollen mit meiner Tochter tanzen – wenn Sie auch lange abwesend waren, werden Sie unsern vaterländischen Tanz doch noch tanzen können.«

Konstantin schien fast verstimmt durch diese schmeichelhafte Aufforderung, aber Luitgarde nickte ihm lächelnd zu, und so war es denn unmöglich, irgend eine Einwendung zu machen.

Der Graf eilte zum Großfürsten Konstantin, der neben dem Sessel seiner Gemahlin stand, und bat ihn um die Erlaubnis, den Nationaltanz tanzen zu lassen, bei dem, wie er sagte, die freudige Begeisterung der Gesellschaft erst ihren rechten Ausdruck finden würde.

Der Großfürst schien betroffen, einen Augenblick verfinsterte sich seine Stirn. Aber die Fürstin Lowicz klatschte in die Hände und rief:

»Das ist vortrefflich, mein lieber Graf – ich habe lange keinen rechten Masurek gesehen, und hier, wo sich die Blüten des polnischen Adels vereinigen, wird jedenfalls ein Meisterstück vorgeführt werden.«

Des Großfürsten Miene klärte sich wieder auf. Er nickte zustimmend.

Der Graf gab mit jugendlicher Hast seine Befehle an die Musik, und kaum ertönten die ersten Klänge der wohlbekannten Musik in dem Saal, als die sämtlichen jungen polnischen Herren mit freudigen Ausrufen sich ihre Damen suchten, um mit ihnen in die Reihe zu treten. Nur die Russen blieben ein wenig befremdet zurück und schienen nicht recht zu wissen, was sie zu dieser Demonstration sagen sollten, die ja hier doch nur ein Ausdruck der Freude über den Besuch des Kaisers sein konnte, zu welcher der Großfürst seine Zustimmung gegeben hatte.

Zahlreiche Tänzer hatten sich zu Luitgarde gedrängt, sie aber hatte Konstantins Arm genommen und trat mit diesem in die Reihe zum großen Erstaunen der ganzen Gesellschaft, welcher der so lange von Warschau abwesende junge Mann unbekannt war.

Der Tanz begann. Mit musterhafter Präzision wurden alle kunstvollen Verschlingungen seiner Touren ausgeführt, und es wäre in der Tat kaum möglich gewesen, eine schönere und vollkommenere Vorstellung dieses charakteristischen und fast ballettartigen Tanzes zu sehen.

Der Großfürst selbst war entzückt, bewegte seinen Kopf nach dem Takt und klatschte mehrfach mit lauten Bravorufen in die Hände.

Immer schneller wurde die Musik, immer kunstvoller die Verschlingungen der Touren, bald tanzten einzelne Paare einander gegenüber, bald bewegte sich die ganze Reihe in scharf festgehaltenen Linien durch den Saal. Die Herren, welche die Nationaltracht trugen, klappten nach dem Takte der Musik ihre Sporen aneinander, die Augen blitzten, die Wangen glühten, es war, als ob der alte polnische Geist, der so lange unter der Form der modernen Gesellschaft zurückgehalten war, in seiner ganzen romantischen Wildheit wieder auflebte, als ob die Zeit des großen Sobieski wieder aus der Vergangenheit emporstiege.

Konstantin Backlowicz zeigte sich wie alle polnischen Kavaliere als einen Meister im Tanz. Anfangs hatte er gemessene Zurückhaltung bewahrt, aber je schneller der Rhythmus wurde, je lockender die eigenartige Musik ihre aufregenden Töne erklingen ließ, um so mehr wurde auch er von dem allgemeinen Rausch erfaßt, den die Klänge des Masureks in dem polnischen Blut entzündeten.

Auch Luitgarde fühlte den Einfluß dieses Rausches und wurde von dem Feuer ihres Tänzers fortgerissen, so daß bald das schöne Paar, das alle anderen an meisterhafter Ausführung der Touren und an anmutigen Bewegungen übertraf, die allgemeine Aufmerksamkeit erregte.

Der Großfürst selbst rief, als beide an ihm vorüberflogen, mehrmals ein lautes Bravo zu, und als endlich bei der Schlußtour die Tänzer die Damen in schnellem Wirbel herumdrehten, da fühlte sich Luitgarde wie von einem Schwindel erfaßt, sie schloß die Augen und Konstantin mußte sie fest in seine Arme schließen, um sie vor dem Fallen zu behüten.

Der Tanz war beendet.

Konstantin führte Luitgarde zu einem Sessel, verbeugte sich tief und verschwand in der Menge der übrigen Tänzer.

Der Staatsrat Malgienski hatte auf der Schwelle des Saales dem Tanze zugesehen, er lächelte und schlug nach dem Beispiel des Großfürsten die Hände, Beifall spendend, in einander. Aber in seinen Augen blitzte es zuweilen wie feindlich drohend auf, wenn Luitgarde mit Konstantin an ihm vorüberschwebte.

Eine Dame von etwa vierzig Jahren, in einem auffallenden prätentiösen Anzug, welche den Anspruch auf Jugend und Schönheit trotz ihres welken Gesichts noch nicht aufgegeben zu haben schien, trat zu ihm heran.

»Wer ist der junge Mann,« fragte sie, »mein lieber Herr von Malgienski, mit dem unsere Luitgarde tanzt? Ich habe ihn noch nie gesehen und begreife es nicht, wie ein Fremder dazu kommt, mit der Tochter des Hauses zu tanzen, während doch so viel junge Leute mit den vornehmsten Namen hier sind.«

»Die Frau Gräfin Dornowska«, erwiderte Malgienski mit feiner, nur leicht verhüllter Ironie, »gehört doch fast zum Hause Jaczkonowski und sollte dessen Gäste kennen. Diesmal, verehrte Gräfin, kann ich Ihre Neugier befriedigen – ich kenne Luitgardens Tänzer, er ist sogar mein Vetter, und sein Name gibt ihm wohl das Recht, mit allen anderen in die Schranken zu treten.«

»Ah, Sie kennen ihn und wer ist er?«

»Konstantin Backlowicz,« sagte er, »der Sohn des Generals, der ein Jugendfreund des Grafen war; er war lange auf Reisen, nachdem er die Universität Wilna verlassen, und ist erst vor einigen Tagen hierher zurückgekehrt.«

»So, so,« sagte die Gräfin. »Backlowicz,« fuhr sie nachdenkend fort, »das war ein eifriger Patriot, der unter Napoleon diente –«

»Wie der Graf Jaczkonowski auch,« erwiderte der Staatsrat, »der heute vollkommen die Notwendigkeit erkennt, den Verhältnissen Rechnung zu tragen, und stolz ist, den Kaiser und König in seinem Hause haben empfangen zu können.«

Die Gräfin schwieg einen Augenblick.

»Wie schön Luitgarde ist, wie reizend sie tanzt! Ich habe wohl gehört,« fuhr sie fort, »was der Großfürst zu Ihnen sagte, mein lieber Herr von Malgienski, über Ihre Vermählung und wie er für Ihre Gemahlin schon im voraus die Gnade des Kaisers erbat. Das ist ein Wink, den Sie nicht überhören dürfen. Bei der glänzenden Karriere, die Ihnen in Aussicht steht, tut Ihnen eine Gemahlin not, welche eine Ihrer würdige Repräsentation führen kann, und wenn ich unsere liebe Luitgarde ansehe, wie schön sie ist, wie vornehm, so meine ich, daß sie alle Eigenschaften hätte, um als Frau von Malgienski alle Welt und auch den Hof von Petersburg zu bezaubern.«

Der Staatsrat schwieg einen Augenblick.

»Sie sind sehr gütig, Gräfin,« sagte er dann, »für mich zu denken, vielleicht sind Ihre Gedanken ebenso richtig, als sie freundlich sind – aber wie würde der Graf Jaczkonowski über eine Zukunft denken, die Sie so lockend vor mir aufrollen?«

»Mein Gott,« sagte die Gräfin, »wie sollte er anders darüber denken als jeder vernünftige Mensch? – Kann er einen besseren Schwiegersohn finden als einen jungen Staatsrat, dem der Weg zu den höchsten Ehren offen steht? – Welch' ein glänzendes Haus würden Sie machen, Sie sind reich und Luitgarde ist die einzige Erbin des unermeßlichen Vermögens der Jaczkonowski –«

»Und in diesem Hause«, sagte der Staatsrat lächelnd, »würde die Gräfin Dornowska die beste Freundin sein, wenn jemals der Plan, den ich wahrlich noch nicht so klar wie Sie zu fassen gewagt habe, den Beifall des Grafen fände.«

»Er wird ihn finden!« rief die Gräfin Dornowska lebhaft; »meine Freundin, die Gräfin Jaczkonowska, wenigstens denkt darüber ganz wie ich.«

»Sie haben mit ihr gesprochen?« sagte der Staatsrat forschend.

»Nun,« sagte die Gräfin, »wie man so spricht – ich habe ja nicht das Recht, über Sie zu verfügen, mein lieber Herr von Malgienski.«

»Verfügen Sie immer,« sagte der Staatsrat, »und seien Sie meiner Dankbarkeit versichert, wenn Ihre Gedanken zur Wahrheit werden.«

»Sie werden Wahrheit werden, auch Luitgarde bewundert den Herrn von Malgienski, den liebenswürdigen Kavalier und den ernsten Staatsmann, in einer gewissen kindlichen Verehrung, welche der beste Boden ist, aus welchem die Liebe und die Leidenschaft hervorwachsen können. Aber es wäre gut,« fügte sie hinzu, »wenn das alles bald zum Abschluß käme, damit Luitgarde keine Gelegenheit findet, noch öfter Masurek zu tanzen.«

Das Gespräch wurde abgebrochen, indem andere Personen herantraten.

Der Staatsrat hatte bei den letzten Worten der Gräfin die Lippen auf einander gepreßt, dann begab er sich wie zufällig, mit dem einen und dem anderen einige Worte wechselnd, in die Nähe des Großfürsten, der ihn sogleich heranwinkte und sich lange mit ihm huldvoll unterhielt.

Der Großfürst rühmte die Arrangements, welche der Graf Jaczkonowski getroffen, und war entzückt von der Schönheit Luitgardens und von der Anmut, welche sie beim Tanz des Masureks gezeigt hatte.

Der Staatsrat stimmte lebhaft zu. Dann aber zuckte er die Achseln und sagte leicht hingeworfen:

»Es war in der Tat ein schönes und reizvolles Schauspiel, das der Graf Eurer kaiserlichen Hoheit bereitet hat, und er wird glücklich sein über den Beifall, den dasselbe bei Höchstihnen gefunden hat. Doch hat es mir fast unvorsichtig erscheinen wollen, daß er von dem ursprünglichen Programm abgewichen ist und den Masurek in die Tanzordnung eingeschoben.«

»Warum das?« fragte der Großfürst aufhorchend.

»Das polnische Blut, kaiserliche Hoheit,« erwiderte Malgienski, »ist leicht entzündlich, ich kenne das, und gerade der Masurek, dieser alte Nationaltanz, dessen Musik die Melodien zu manchen aufregenden Liedern gegeben, wirkt berauschend auf die jungen Leute – ein solcher Rausch kann aber leicht Empfindungen und Erinnerungen wecken, welche für die heutige Zeit nicht geeignet sind – wir leben in einem Stadium der Beruhigung und, Gott sei Dank, sehen ja auch die wahren Patrioten, welche ihr Vaterland aufrichtig lieben, jetzt ein, daß nur unter der väterlich milden Regierung des Kaisers und im innigen festen Anschluß an Rußland das Heil des schwer geprüften und so viel irre geleiteten polnischen Volkes zu finden ist – wozu sollen in dieser Zeit der glücklichsten Beruhigung und des segensreich erwachenden Vertrauens Erinnerungen an vergangene unruhige und beklagenswerte Kämpfe wachgerufen werden, welche zwar der hochselige Kaiser Alexander großmütig verziehen hat, welche aber heute der so väterlich gnädigen Gesinnung Seiner Majestät des Kaisers gegenüber als ein schweres Verbrechen erscheinen müssen. Jeden Zündstoff von dem so leicht empfänglichen polnischen Volke fern zu halten, das scheint mir heute die Aufgabe sowohl der Regierung wie aller echten polnischen Patrioten zu sein. Ich gehöre zu diesen und habe zugleich durch Eurer kaiserlichen Hoheit gnädiges Vertrauen die Ehre, Ihrer Regierung meine Dienste zu widmen, und in den beiden Eigenschaften ist es meine pflichtmäßige Ueberzeugung, daß man jede Erinnerung an eine traurige, verhängnisvolle Vergangenheit fern halten müsse.«

»Sie haben recht, mein lieber Malgienski,« sagte der Großfürst, dem Staatsrat die Hand drückend, »ich hatte auch so ein Gefühl, doch war es mir nicht so klar, wie Sie es eben aussprachen. Wenn doch alle dächten wie Sie, wie leicht wäre es, Frieden und Ordnung zu erhalten! Solche Leute wie Sie, welche die verständige Liebe zu ihrem Vaterlande mit der Loyalität gegen ihren rechtmäßigen Herrn vereinen, sind für uns von unschätzbarem Wert.«

Der Staatsrat verbeugte sich tief und sagte:

»Es liegt mir unendlich fern, kaiserliche Hoheit, dem vortrefflichen Grafen Jaczkonowski einen Vorwurf machen zu wollen, aber Sie werden selbst bemerkt haben, wie der Masurek die jungen Leute in eine Art von Rausch versetzte.«

»Gewiß,« sagte der Großfürst, »ich selbst war ja entzückt und konnte mich nicht enthalten, Beifall zu rufen. Aber freilich bei mir galt das nur den meisterhaften Ausführungen der Figuren des Tanzes. Wer war der junge Mann,« fragte er, »der mit der Tochter des Grafen tanzte, er schien ganz besonders in Feuer und Flamme zu geraten?«

»Der Sohn des Generals Backlowicz,« erwiderte der Staatsrat, »ein Vetter von mir, ein gescheiter, fleißiger und hoffnungsvoller Mensch, dem es aber freilich besonders not tut, daß die Flamme seines Patriotismus richtig geleitet und in festen Schranken gehalten wird.«

»Nun, wenn er Ihr Vetter ist,« sagte der Großfürst gnädig, »so ist ja dafür gesorgt, daß er auf gute Wege geführt wird, aber weiß Gott! das Fräulein Luitgarde hat mich entzückt – wäre ich an Ihrer Stelle, mein lieber Malgienski, so würde ich daran denken, dieser Perle die rechte Fassung zu geben.«

»Wenn ich es versuchen sollte,« erwiderte der Staatsrat, »diesem gnädigen Wink zu folgen, so darf ich also wohl auf Eurer kaiserlichen Hoheit huldreiche Unterstützung zählen.«

»Ganz gewiß, von ganzem Herzen!« rief der Großfürst; »das ist eine Frau, wie für Sie geschaffen – auf mich dürfen Sie zählen, und wenn Sie meine Fürsprache nötig haben, so erlaube ich Ihnen, mich an mein Wort zu erinnern.«

Er drückte Malgienski noch einmal die Hand und dieser zog sich mit tiefer Verbeugung zurück.

Das Fest verlief bis zu Ende in der gehobenen Stimmung, in welche die Gesellschaft versetzt war, und als der Großfürst, der bis zum Schlusse da blieb, endlich aufbrach, dankte er noch am Wagenschlage dem Grafen mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit für den schönen Abend, welcher auch beim Kaiser in gnädiger Erinnerung bleiben würde.

Malgienski nahm beim Fortgehen Konstantins Arm.

»Ich bitte Dich, mich zu begleiten, Vetter,« sagte er, »das Wetter ist so schön, ich habe meinen Wagen fortgeschickt, und ein Gang unter dem funkelnden Sternenhimmel wird uns wohl tun.«

Beide schritten einige Augenblicke schweigend die Straße entlang.

»Du hältst Dich von der Gesellschaft zurück,« sagte Malgienski, »das ist unrecht, die Welt ist die beste Schule für einen jungen Mann, darum hat es mich doppelt gefreut, Dich heute hier zu sehen.«

»Ich war ermüdet«, sagte Konstantin, »von meiner Reise und noch nicht in der Stimmung, die mir in den Jahren meiner Abwesenheit fremd gewordene Welt wieder aufzusuchen.«

»Nun, Du hast heute einen guten Anfang gemacht und hast im Hause des Grafen Jaczkonowski sogleich die beste Gesellschaft von Warschau und jedenfalls die schönste und liebenswürdigste unter den jungen Damen in der Tochter des Hauses kennen gelernt. Es hat mir scheinen wollen, als ob sie in Deinen Augen volle Anerkennung gefunden habe und als ob Deine schöne Tänzerin noch mehr als die Musik des Masureks Dein Herz in Flammen gesetzt.«

»Mein Herz ist nicht so leicht entzündlich,« erwiderte Konstantin mit einem etwas erzwungenen Lächeln, »ich habe mich auf meiner Reise mehr mit der Natur und den Studien beschäftigt als mit den Menschen und bin mit den Frauen fast gar nicht in Berührung gekommen.«

»Und um so leichter wirst Du Feuer fangen –« sagte Malgienski, »und Luitgarde scheint mir ganz dazu angetan, eine Eroberung an Dir zu machen, sie ist eine der reichsten Erbinnen in Polen und in jeder Beziehung eine gute Partie.«

»Für mich nicht!« rief Konstantin. »Ich denke nicht daran, mich zu verheiraten, würde es aber geschehen, so würde eine sogenannte gute Partie mich gewiß am wenigsten locken. – Nicht eine Dame der Welt würde mich glücklich machen können; ein Wesen, mit dem ich mich für das Leben verbinden sollte, müßte fern von all' dem eitlen und leeren Tand sein, der die sogenannte große Welt beschäftigt, es müßte mich verstehen in meinen innersten Empfindungen und meinem edelsten Streben und wirklich die Hälfte meines eigenen Ichs, und zwar die bessere Hälfte, zu werden imstande sein. Das findet man aber in der heutigen Welt kaum, am wenigsten gewiß in der sogenannten vornehmen Gesellschaft und,« fügte er dann mit einem bitteren Lächeln hinzu, »eine gute Partie wie dieses Fräulein Luitgarde, von aller Welt umworben und umschwärmt, würde wohl nur mitleidig auf einen Menschen herabblicken, der, wie ich, ihren Kreisen so fern steht und von allen Eigenschaften, welche dort Anerkennung und Bewunderung finden, so gar nichts besitzt und, bei Gott, auch nichts besitzen möchte! Du siehst also, lieber Vetter, daß Du nicht nötig hast, Dir um die Ruhe meines Herzens Sorge zu machen, bis jetzt hat mich noch nichts in meinem Gleichmut dem weiblichen Geschlecht gegenüber gestört, und ich glaube, ich werde mir denselben auch weiter bewahren. Wie ich mir ein Weib denke, das ich lieben könnte, so werde ich kaum eins finden, und was die guten Partien betrifft, so habe ich sie ja nicht nötig, ist auch mein Vermögen nicht groß, so reicht es doch für meine Bedürfnisse aus.«

»Du willst in den Staatsdienst treten?« fragte Malgienski; »es ist jetzt eine gute Gelegenheit dazu, die Regierung sucht junge und tüchtige Kräfte, welche die polnischen Verhältnisse kennen, um das segensreiche Werk der Versöhnung und Beruhigung durchzuführen, das der junge Kaiser so hochherzig übernommen. Vielleicht kann ich Dir behilflich sein, wenn Du Neigung hast, eine Stellung in der Statthalterschaft anzunehmen, welche Dir ohne Zweifel den Weg zu einer vortrefflichen Karriere öffnen wird, in welcher Du unserm Vaterlande große Dienste leisten kannst.«

»Ich danke Dir,« erwiderte Konstantin, »noch habe ich wenig Neigung dazu, mein Reiseleben hat mich ein wenig ermüdet und mir einen, wenn ich so sagen darf, nomadischen Sinn der Unabhängigkeit gegeben, der vielleicht nicht in die Bureaus der Statthalterschaft hineinpassen möchte, und dann – so sehr ich auch dem Werke des Friedens und der Versöhnung, von dem Du sprichst, Erfolg wünsche, so sehr ich es begreife, daß viele polnische Patrioten demselben ihre Kräfte widmen wollen, so vermag ich es doch nicht so leicht zu vergessen, daß dieses Werk aufgerichtet werden soll auf dem Grabe einer großen und ruhmreichen Vergangenheit.«

»Daß diese Vergangenheit zusammenbrach,« sagte Malgienski kalt und stolz, »war zum großen Teil die Schuld des polnischen Adels, jedenfalls ist sie zusammengebrochen und ihre Zeiten bringen andere Lebensbedingungen für unser Volk. Ich halte es für eine Pflicht gegen unser Vaterland, dasselbe einer friedlichen Entwickelung zuzuführen. – Doch Du wirst darüber nachdenken. Du wirst die Verhältnisse kennen lernen und ja auch dahin kommen, die erreichbare Wirklichkeit der Gegenwart höher zu stellen als ein fruchtloses Brüten über den Träumen der Vergangenheit. Ich werde immer bereit sein, Deinen Wünschen für Deinen Lebensberuf in jeder Weise entgegen zu kommen. Jetzt lebe wohl, hier ist mein Haus, ich hoffe, Dich bald wieder zu sehen und wir werden dann weiter über Deine Zukunftspläne sprechen können.«

Er drückte Konstantin die Hand und zog die Glocke der Haustür eines großen Hauses, welche sogleich geöffnet wurde. Während Konstantin mit gedankenvoll gesenktem Haupte durch die nächtlich stillen Straßen nach seiner neuen Wohnung schritt, stieg der Staatsrat die noch hell erleuchtete Treppe seines Hauses hinauf. Sein Kammerdiener öffnete ihm die Tür des reich und geschmackvoll eingerichteten Salons, neben welchem sich ein großes Arbeitszimmer befand, dessen Wände die kunstvoll geschnittenen Schränke einer ausgewählten Handbibliothek und einzelne wertvolle Gemälde bedeckten. Ueber dem großen Schreibtisch hing eine helleuchtende Ampel. Eine fast peinliche Ordnung herrschte überall.

»Ist jemand hier gewesen während meiner Abwesenheit?« fragte er den Kammerdiener, der ihm die gestickte Uniform abnahm und ihm seinen seidenen Schlafrock reichte.

»Rutinski war da und hat das versiegelte Paket abgegeben, das dort auf dem Schreibtisch des gnädigen Herrn liegt, er wird morgen in der Frühe wiederkommen, um nach den Befehlen des gnädigen Herrn zu fragen.«

»Gut,« sagte der Staatsrat, »ich bedarf Deiner nicht mehr, morgen um acht Uhr will ich geweckt werden.«

Der Kammerdiener zog sich zurück und der Staatsrat setzte sich an seinen Schreibtisch, um das dort liegende Briefpaket zu öffnen.

»Ein vortrefflicher Mensch, dieser Rutinski,« sagte er, die Siegel lösend, »ein Glück, das ich ihn fand, er versteht es, jeden Faden zu verfolgen, dessen Ende man in seine Hand legt, und kennt die Verhältnisse und Personen wie kein anderer; er war Agent der französischen Polizei noch zu Fouchés Zeit und kennt keine Schwierigkeiten. Die Regierung hat ihn nicht verwendet – wie töricht sind doch die Leute oft, welche die Macht in Händen haben, ich bin stolz darauf, daß ich ihn entdeckte und zu meinem Sekretär gemacht habe. Wissen ist Macht. Durch ihn weiß ich alles, was die plumpe russische Polizei nicht zu entdecken versteht. Der Geist beherrscht die Welt und der feste Willen – und zu meinem Glück habe ich beides.«

Er schlug die Papiere, welche das Paket enthielt aus einander und begann die einzelnen darin enthaltenen Berichte zu lesen.

»Nun, es ist wenig genug,« sagte er achselzuckend. »Doch das ist natürlich, in solcher Zeit der Anwesenheit des Kaisers wagt sich nichts hervor, das der allgemeinen freudigen Stimmung feindlich ist, sie ziehen sich in das Dunkel zurück und warten ihre Zeit ab. Da,« sagte er lachend, »ein Betrunkener, der laut auf den Großfürsten geschimpft hat – das geht mich nichts an, das ist Sache der russischen Polizeisergeanten, aber hier,« sagte er dann, »das ist freilich schon etwas mehr. Den dritten Mai«, las er, »fand in einem Gasthause der Vorstadt ein Diner zum Gedächtnis der polnischen Verfassung von siebenzehnhunderteinundneunzig statt – es wurde viel von den Kämpfen während der Aufstände und von den Feldzügen unter Napoleon gesprochen, man trank auf das Gedächtnis Kosciuszkos und auf die französische Freiheit. Alle Anwesenden umarmten sich und gelobten, allezeit der Vorfahren würdig zu bleiben. – Das ist ja eine ganz hübsche kleine Verschwörung, wenn dieselbe auch keine so sehr große Bedeutung hat, so hilft sie doch zur Kenntnis der unversöhnlichen Phantasten, welche jetzt während der Anwesenheit des Kaisers nichts Besseres zu tun wissen, als auf das Wohl Kosciuszkos zu trinken. – Dieser vortreffliche Rutinski hat die Liste der Gäste beigelegt. Das ist in der Tat der Anfang des Fadens, der weiter führen kann. Sieh da,« rief er plötzlich, »da steht unter den Gästen mein lieber Vetter Konstantin Backlowicz! Ah, das ist also die Erholung, welche er nach der Ermüdung der Reise sucht, das ist die Erinnerung an die Vergangenheit, welche ihn zurückhält, in den Staatsdienst zu treten und an dem Werk der Versöhnung mitzuarbeiten. Etwas Gefährliches wird freilich bei diesem Toast auf Kosciuszko nicht herauskommen, aber dieser Bericht hier ist immerhin eine vortreffliche Waffe, wenn es dem jungen Schwärmer einfallen sollte, dennoch mir in den Weg zu treten. So kalt er sich auch stellt, ich habe wohl das Feuer in seinen Augen blitzen sehen, als er Luitgarde in seinen Armen hielt, ein solches Feuer kann immer ansteckend werden, und der Graf, der auch noch an alten Erinnerungen krankt, möchte vielleicht dem Sohn seines alten Freundes auf halbem Wege entgegen kommen. – Eine törichte Gefühlsphantasie soll aber meinem Willen sich nicht entgegen stellen, meine Rechnung nicht durchkreuzen, Luitgarde soll mein sein. Daß ihr Besitz mich reizt, würde mich allein nicht bestimmen, aber sie wird sich zu einer vortrefflichen Repräsentantin erziehen lassen, ihre Mitgift und ihr künftiges Vermögen wird mich in den Stand setzen, ein fürstliches Haus zu machen, und ein solcher Boden gibt die Festigkeit, auf welcher die Leiter zu den Höhen der Macht sicheren Grund findet. Der Bericht hier ist eine Waffe, die aufbewahrt bleiben soll für den Fall des Gebrauchs. Das Papier trägt kein Datum – um so besser, es wird also jederzeit seine Dienste tun.«

Er schloß das Schreiben mit der Namenliste in seinen Schreibtisch ein und zog sich, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, in sein Schlafzimmer zurück.


 << zurück weiter >>