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28. Kapitel.

Kurt war es doch geglückt, sich Röschens noch einmal zu bemächtigen. Ihre Flucht war nur ein Scherz gewesen, und nun lauschte sie ganz aufmerksam dem, was er sagte.

»Bitte, mir zu verraten, wer von den Herren der Großherzog ist«, bat sie ihn. – »Muß ich aufrichtig sein?« – »Natürlich! Ich befehle es!« – »Nun, so muß ich gehorchen. Keiner ist es.« – »Wie? Er ist nicht hier?« meinte sie erstaunt. – »Nein, aber er wird noch eintreffen.« – »Warum so spät?« – »Um nicht bei gewissen Überraschungen zugegen zu sein, wo er nur stören würde.« – »Welche Geheimnisse wären das?« – »Es sind verschiedene, von denen ich nur eines Ihnen enthüllen dürfte.« – »So sprechen Sie!« – »Hier nicht. Bitte, kommen Sie!«

Kurt zog Röschen mit sich fort, hinaus, den Korridor hinab, bis zu einer Tür, an deren Klinge er probierte.

»Was wollen Sie?« fragte sie, ein wenig ängstlich. »Hier kann niemand herein. Das ist das Stübchen, das Leutnant Kurt Helmers zu bewohnen pflegte. Er ist abwesend.« – »Hat er den Schlüssel mitgenommen?« – »Es scheint so. Alimpo hat einen zweiten.« – »Und ich einen dritten.«

Kurt brachte einen Schlüssel aus der Tasche hervor, öffnete die Tür und trat ein, ohne Röschen loszulassen.

»Mein Gott, ich verstehe Sie nicht«, wehrte sie.

Sein Blick durchflog das Zimmerchen, das durch eine der Tür gegenüberhängende Lampe Licht erhielt.

»Sie verstehen mich nicht?« rief er beinahe jubelnd aus. »Oh, ich will Ihnen sagen, daß während der Abwesenheit dieses garstigen Helmers ein allerliebstes Waldröschen, jedenfalls mit Hilfe von Alimpos Schlüssel, zuweilen hier geblüht und geduftet hat. Dieser Stickrahmen, dieses Album, diese Bouquetts verraten es mir.«

In diesem Augenblick flammte ein Hölzchen in seiner Hand. Er zündete die auf dem Tisch stehende Kerze an und schloß dann die Tür. Röschen war von diesem sicheren Gebaren so überrascht, daß sie vergaß, ihm hindernd entgegenzutreten.

»Ja«, fuhr er fort, »so ist es, wenn zu einem Zimmer drei Schlüssel vorhanden sind.«

Da gewann sie ihre Sprache wieder.

»Von wem haben Sie den Ihrigen, mein Herr?« fragte sie. – »Von dem da!«

Bei diesen Worten nahm Kurt die Maske ab. Röschen fuhr einen Schritt zurück, dann aber warf sie sich ohne Rückhalt mit einem lauten Jubelruf in seine Arme.

»Kurt! Mein Kurt, mein lieber, lieber Kurt. Du bist es, du? O du schlimmer, du gefährlicher, hinterlistiger Intrigant. Ich muß dich streng, sehr streng bestrafen.« – »Mit einem Kuß, meine Rosita, nicht wahr?« – »Nein, sondern mit dreien oder gar noch mehr!« – »Auf diese Maske?« fragte er sie, glücklich lächelnd. – »Ah, wahrhaftig, ich habe das häßliche Ding noch dran. Komm, du Retter meines Vaters, du darfst mich küssen ohne Maske!«

Sie riß die Maske vom Gesicht und warf sie zu Boden; dann lagen sie sich am Herzen und tauschten Kuß um Kuß in seliger Vergessenheit, Sie merkten nicht, daß draußen Schritte erklangen; sie bemerkten ebensowenig, daß die Tür geöffnet wurde und daß zwei Personen unter derselben erschienen und dort stehenblieben.

»Oh, wie unendlich glücklich bin ich, dein liebes, liebes Gesichtchen wiederzusehen!« sagte Kurt. – »Ich bin nicht minder glücklich!« gestand sie ihm. »Aber, nicht wahr, du bringst mir den Vater mit?« – Jawohl, jawohl, du herziges Röschen. Ich bringe dir ihn mit und werde ihn bitten, dir all meine Geschmeide aus der Höhle des Königsschatzes schenken zu dürfen, obgleich der garstige Hauptmann einst sagte, daß ich mir keine so großen Rosinen in den Kopf setzen solle.« – »Ich nehme es an, ich nehme es an. Ich habe dir das ja versprochen unter der Bedingung, daß du meinen lieben, guten, armen Vater rettest. Aber wo hast du ihn? Wo befindet er sich?« – »Hier!«

Dieses Wort ertönte von der Tür her. Rosa hatte es ausgesprochen. Die beiden fuhren auseinander.

»Mama!« rief Röschen bestürzt. – »Gnädige Frau!« sekundierte Kurt erschrocken.

Da nahmen die Eltern ihre Masken ab und traten näher.

»Fürchte dich nicht, mein lieber Kurt!« sagte Sternau. »Glaubst du, ich könnte den Augenblick vergessen, in dem du in unser Gefängnis tratest und den Kerkermeister niederwarfst, um uns zu retten? Wollte ich daran nicht denken, so würde Gott, der ein Vergelter aller Taten ist, meiner auch vergessen.«

Röschen erkannte den Mann, mit dem sie bereits gestern gesprochen hatte. Es wurde ihr hell und sonnenklar im Köpfchen und im Herzen.

»Vater, mein Vater!« rief sie aus, und im nächsten Augenblick hing sie an seinem Hals. »Vater, mein armer, mein schöner, mein stolzer Vater. Ich bin deine Rosita, dein Kind, deine Tochter, dein Röschen, das gestorben wäre, wenn du noch länger gezögert hättest, zu kommen!«

Da legte Sternau die starken Arme um sie, hob sie hoch empor und betrachtete sie unter Wonnetränen, so, wie ein Kind die geliebte Puppe vor sich hinhält, um sie mit zärtlichen Blicken zu umfassen.

»Röschen! Rosita! Mein Leben, meine Seele, mein Abgott! Oh, wie ist mir, wie wird mir! Ich muß mich setzen!«

Der starke Mann ließ sie wieder nieder und sank langsam auf einen Stuhl. Rechts von Rosa und links von Röschen umschlungen, weinten alle drei Tränen des Schmerzes, der innigsten Rührung und des Entzückens zugleich. Kurt fühlte, daß diese Herzen mehr Rechte aneinander hatten als er an sie. Er schlich sich leise an ihnen vorüber und zur Tür hinaus, wo er stehenblieb, um die Tränen zu trocknen, die auch in seinen Augen standen. Dann kehrte er still nach dem Saal zurück.

Er hatte ganz vergessen, daß er jetzt ohne Maske war. Als er eintrat, fielen die Blicke der Anwesenden auf ihn.

»Kurt! Kurt!« rief es vor und neben ihm, von rechts und von links. Erst jetzt dachte er an sein unverhülltes Gesicht.

Der Herzog und die Herzogin, Otto von Rodenstein nebst Flora, seiner Frau, Sternaus Schwester, sie alle eilten auf ihn zu, ihre Masken entfernend, um von ihm erkannt zu werden. Zu ihnen gesellten sich ein Präriejäger und ein Wilddieb mit einer ungeheuren Nase, Ludwig und sein Herr, der Rodensteiner.

Kurt wurde von ihnen mit hundert Fragen bestürmt, die so durcheinander geschleudert wurden, daß er auf keine einzige mit Bedacht zu antworten vermochte, bis endlich Rettung erschien. Sternau, mit Frau und Tochter, die eintraten, ebenfalls ohne Hülle vor ihren Gesichtern. Auch sie hatten vergessen, die Masken wieder anzulegen. Kaum wurden sie bemerkt, so eilte Flora von Rodenstein auf den Herzog, ihren Vater, zu.

»Papa! Vater!« rief sie. »Schau hin, wer da kommt. Erkennst du ihn? Kennst du ihn noch?«

Zugleich flog sie auf Sternau zu, warf ihm die Arme um den Nacken und schluchzte unter Tränen:

»Carlos, mein Bruder, mein lieber, lieber Bruder!«

Sternau wollte erstaunt zurückweichen, da wurde er noch von vier Armen umschlungen.

»Mein Sohn! Mein Karl! Ist es wahr?« schluchzte seine Mutter. – »Mein Arzt und Retter! Mein Wohltäter! Mein Sohn!« so klang es aus dem Mund des Herzogs.

Sternaus einfache, anspruchslose Schwester fand gar keinen Raum, zu ihrem Bruder zu gelangen. Es dauerte eine lange Zeit, ehe der Sturm sich legte, den das Erscheinen Kurts und Sternaus hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde eigentlich erst durch das Erscheinen des Großherzogs besiegt, der mit seiner Gemahlin und einigen bevorzugten Herren kam, um zu gratulieren.

Jetzt erst kam es zu einem geordneten Reden und zu einem wirklich zusammenhängenden Bericht. Es ist leicht erklärlich, daß man bis zur Morgenstunde beisammenblieb, und da kamen nun auch die Personen zur Geltung, die bisher in zweiter Reihe gestanden harten: Resedilla und Pirnero, die sich glücklich von Pirna hierhergefunden hatten, der Schwarze Gerard, der Kleine André, die beiden Häuptlinge und Karja. Außer Geierschnabel war auch Grandeprise zugegen, der mit nach Spanien gegangen war, um gegen Landola, seinen teuflischen Stiefbruder, zu zeugen.

Was aber war aus diesem Landola, aus Gasparino Cortejo und Clarissa, was aus dem falschen Alfonzo, ihrem Sohn, geworden? Sternau, im Verein nach allen diesen Personen gefragt, antwortete:

»Die Entscheidung ist gefallen, und die Beweise sind geführt: Unser Mariano ist Graf Alfonzo de Rodriganda. Er mußte, um das Allernötigste zu ordnen, in Rodriganda bleiben, wird aber in einigen Tagen mit Amy Lindsay, seiner Braut, und ihrem Vater, dem Lord, hier eintreffen. Ich sehe zu meinem Erstaunen, daß aus dem einfachen Doktor Sternau ein Herzogsohn geworden ist. Unsere Schicksale haben uns gelehrt, daß der Mensch nur so viel wert ist als er wiegt, und daß Rang, Stand und Besitz nur eine nebensächliche Bedeutung haben. Daher wird es keinen von uns überraschen, daß Kurt, der Steuermannssohn, mein und unser aller Retter, durch das, was er für uns tat, sich uns allen ebenbürtig gestellt hat. Unserer Feinde wollen wir nur kurz gedenken. Clarissa spinnt für lebenslang Flachs im engen Kerker, Landola und Gasparino Cortejo sind unter der Hand des Henkers gefallen. Die alte Zarba bleibt spurlos verschwunden. Auf dem Weg zur Hinrichtung ist sie Gasparino Cortejo noch hohnlachend entgegengetreten. Ihr Racheschwur, an dessen Verwirklichung ihre geheimnisvollen Helfer mitarbeiteten, hat sich erfüllt. Alfonzo, der falsche Graf, büßt seine Taten als Sträfling, ohne Aussicht auf spätere Begnadigung. Sie alle haben ihren Lohn; darum soll auch unser Kurt den Lohn empfangen, der ihm verheißen worden ist. Eine herzogliche Prinzeß von Olsunna muß Wort halten. Röschen, stehe auf, und sage unserem Retter, daß er von uns die Erlaubnis empfängt, sein Andenken an die Höhle des Königsschatzes an Eurem Ehrentag als Brautgeschmeide dir anzulegen. Gott segne euch, so wie er uns alle fortan beschützen möge!«

Die Wirkung dieser Worte läßt sich unmöglich beschreiben. Alles rief, staunte, fragte, gratulierte, weinte und lachte. Aber zwei standen in der Ecke des Saales, in Liebe umschlungen, und weinten heiße Zähren der Herzenswonne und des Dankes an Gott, die einfachen Eltern Kurts, deren Glück nur dadurch gesteigert werden konnte, daß Waldröschen herbeikam, sie beide herzlich umarmte und küßte und dann zu dem Kreis der anderen zog.

Die Sonne ging auf. Ihre ersten Strahlen fielen in goldigem Purpur zum Fenster herein auf die so seltsame Versammlung von Personen, die, so lange hart und schwer geprüft, nun endlich sich die Garantien eines reinen und dauernden Glückes errungen hatten. Da öffnete sich die Tür, und die hohe, ernste Greisengestalt des Grafen Emanuel trat ein. Alle, außer Sternau und Rosa, erwarteten, ihn sein: »Ich bin der brave, treue Alimpo!« aussprechen zu hören. Aber ehe er noch zu Worte kam, stand bereits einer vor ihm, der die Arme zur Begrüßung ausbreitete.

»Emanuel! Bruder! O Gott, wäre er doch nicht krank!«

Der Angeredete warf einen langen, forschenden Blick in das Gesicht des anderen und antwortete:

»Ferdinando! Bruder! Du lebst? Man sagte mir doch wohl vor einigen Tagen, daß du gestorben und begraben seiest!« – »Er redet! Er spricht! Er kann denken! Gott, Gott, Allmächtiger, wir danken Dir!«

Bei diesem Ausruf Ferdinandos lagen sich die beiden Brüder in den Armen. Sternau aber trat hinzu und führte sie in ein anderes Gemach. Die zurückkehrende Denkkraft Emanuels war noch viel zu schwach, um das verwickelte Material, das vor ihm lag, zu überwinden und zu entwirren.

Er wurde wiederhergestellt. Ferdinando kehrte nicht mehr nach Mexiko zurück. Er verkaufte seine dortigen Güter und blieb mit Emanuel auf dem deutschen Rodriganda. Mariano, der junge Graf, residierte mit seiner glücklichen Amy auf dem spanischen Rodriganda, war und ist aber sehr oft Gast bei seinen deutschen Verwandten. Sternau, der einstige Arzt, weiß die Traditionen seines herzoglichen Hauses in Spanien an der Seite seiner noch immer schönen Rosa würdig zu vertreten. Otto von Rodenstein und Flora befinden sich sehr oft bei ihm. Alimpo lebt mit Elvira beim Grafen Emanuel. Der Rodensteiner zankt sich auch jetzt noch täglich mit Ludwig und mit seinem Podraga. Der Kleine André wohnt mit Frau Emilia bei Anton Helmers und dessen Emma auf der Hacienda del Erina, während der alte Pedro Arbellez sich zur Ruhe gesetzt hat. Der Schwarze Gerard lebt mit Frau und Schwiegervater in der Hauptstadt Mexiko, wo sie oft Geierschnabels Besuch erhalten. Büffelstirn jagt noch immer die Bisons und Bären und kehrt zuweilen auf der Hacienda ein. Bärenherz hat Karja als seine Squaw mit nach den Jagd- und Weidegründen der Apachen genommen, um mit seinem Bruder Bärenauge sich in die Herrschaft der tapferen Stämme zu teilen. Das tapfere Schwesternpaar, Pepi und Zilli, die hinterlassenen Kinder eines reichen, mexikanischen Granden, der ein Freund des Grafen Ferdinando gewesen war, sind mit ihren Erwählten verheiratet und leben als glückliche Professorsfrauen in Wien.

Waldröschen ist aber die glücklichste der jungen Frauen. Ihr Kurt ist bereits Oberst in einer norddeutschen Stadt, wenn man hier auch nicht verraten darf, in welcher Garnison. Beide wiegen abwechselnd auf ihren Knien ein kleines, niedliches Waldknösplein, das verspricht, das Ebenbild der Mutter zu werden – ein liebreizendes ›Waldröschen‹.


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