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14. Kapitel.

In Rheinswalden saß der Hauptmann Rodenstein in seinem Lehnstuhl und stöberte in allerlei Papieren herum. Er war recht alt und grau und wacklig geworden, der alte Oberförster, und gerade heute plagte ihn die Gicht auf eine wahrhaft gräßliche Weise.

Da trat Ludwig ein, schob die Absätze zusammen, legte die Hand an den Kopf, als ob er seine Mütze aufhabe, und wartete, bis sein Herr ihn anreden werde. Dieser drehte sich endlich zu ihm und sagte mißmutig:

»'n Morgen, Ludwig!« – »'n Morgen, Herr Hauptmann!« – »Was Neues?« – »Nein.« – »Kein Wilddieb? Kein Windbruch? Keine Kuh gekalbt?« – »Nein.« – »Hole dich der Teufel, du alte Neinposaune – au!«

Der Hauptmann hatte eine schnellere Bewegung gemacht, als seine liebe Gicht es gestattete, und zog nun vor Schmerzen ein fürchterliches Gesicht.

»Da hat man's!« räsonnierte er. »Ich wollte, du wärest der Oberförster und hättest die Gicht.« – »Und Sie wären der Ludwig ohne Gicht dahier?« – Ja.« – »Habe auch meine Leiden, Herr Hauptmann.« – »Was denn?« – »Gehaltszulage.« – »Donnerwetter! Das fällt dir niederträch... au! Mensch, mache, daß du fortkommst, sonst werfe ich dir hier meine Tabakspfeife in das Gesicht, daß dir die Gehaltszulagen aus der Nase wachsen – he, wer kommt da?«

Es hatte draußen geklopft.

»Weiß es nicht dahier«, meinte Ludwig gleichmütig. – »So gucke doch hinaus, du Esel!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Ludwig drehte sich um, öffnete ein wenig, steckte den Kopf vorsichtig hinaus, zog ihn wieder ein und meldete:

»Der Telegrafenbote.« – »So laß ihn herein!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann.«

Der Bote trat ein.

»Woher?« fragte der Alte, indem er die Hand ausstreckte. – »Aus Mexiko«, antwortete der Beamte, indem er ihm das Kuvert entgegenstreckte. – »Aus Me... Me... Mexi... woher, Kerl?« – »Aus Mexiko.«

Der Hauptmann machte Augen wie ein Teller so groß.

»Ist's wahr?« fragte er. – »Natürlich. Hier steht es ja.« – »So soll mich doch gleich vor lauter Freude der Kuckuck fressen! Fahre hin, du alte Kanaille! Von heute an wird die neue gestopft! Verstanden, Ludwig?«

Der Hauptmann warf bei diesen Worten die Tabakspfeife zum Fenster hinaus, so daß sie mitsamt der zerbrochenen Scheibe in den Hof hinunterflog.

»Zu Befehl!« brummte Ludwig. »Erst mir ins Gesicht und dann zum Fenster hinaus dahier. Wollte lieber, ich hätte sie zum Präsent erhalten.« – »Gehe hinunter und hole sie dir.«

Aber der brave Bursche ging noch lange nicht. Er mußte doch auch wissen, was in der Depesche stand.

Der Alte hatte jetzt geöffnet und las:

»An den Hauptmann von Rodenstein. Rheinswalden bei Mainz in Deutschland. – Alle glücklich gerettet durch Kurt. Brieflich mehr. Euer Sternau.«

Noch einmal las der Hauptmann diese Worte leise durch, dann aber fuhr er in die Höhe, daß der Stuhl umfiel, machte einen Freudensprung und rief:

»Gerettet! Hurra! Alle gerettet! Durch Kurt! Kyrieeleison! Glücklich gerettet! Gaudeamus igitur! Brieflich mehr! In dulcio jubilo! Euer Sternau! Vivat Pestilenz! Pereat Exzellenz! Hast du's gehört, Ludwig? Na, was steht Er denn noch da und hält Maulaffen feil?«

Letztere Worte waren an den Telegrafenboten gerichtet. Dieser kannte den Alten von früher her und antwortete ruhig:

»Ich lauere auf meine Gebühr.« – »Auf deine Gebühr?« – Ja.« – »Hast du denn eine Gebühr zu bekommen?« – »Natürlich. Oder denken Sie etwa, daß so eine Depesche ganz umsonst übers Meer herübergetragen wird?« – »Alle Teufel, ist der Kerl grob! Na dieses Mal mag dir's noch so hingehen, weil ich gerade bei guter Laune bin. Also deine Gebühr. Hm! Was gebe ich dir nur gleich?«

Der Hauptmann war vor Freude ganz außer Rand und Band geraten. Er dachte in seinem Entzücken gar nicht daran, daß für das Telegramm eine feste Taxe zu zahlen sei, sondern sein Auge schweifte im Zimmer umher, um da etwas zu finden, womit er den Mann belohnen könne.

»Halt! Ich hab's!« rief er endlich.

Er sprang auf den Stuhl und von da auf den Tisch und langte an die Wand, wo hoch oben eine alte Schwarzwälder Kuckucksuhr hing, deren Schleuder und Gewicht in einem ewig langen, wurmzerstochenen Kasten steckten.

»Kerl, siehst du diese Uhr, he?« fragte er. – »Ja, Herr Hauptmann.« – »Das ist ein altes Kapitalstück. Sie geht zwar schon einundzwanzig Jahre nicht mehr, aber sie ist unter Brüdern noch vierzig Taler wert. Da nimm sie! Sie soll deine Gebühr sein! Da!«

Er hob die Uhr ab und schob sie dem Boten in die Arme. Dabei sprang er vom Tisch herab, packte den Kasten und packte denselben dem Boten entgegen, daß beide beinahe niedergestürzt wären.

»Da hast du sie! Halte sie gut! Wenn du sie nicht aufziehst, dann brauchst du sie im ganzen Leben nicht reparieren zu lassen. Gescheit muß man sein. Nun aber hinaus mit dir und dem alten Urahnenkasten! Fort! Hinaus mit euch!«

Der Telegrafenbote wollte gegen diese Art von Gebührenentrichtung protestieren, aber ehe er so recht zu Worte kam, stand er draußen, die Uhr in den Händen, und der Kasten lag neben ihm. Nach einigem Nachdenken fügte er sich in das Unvermeidliche, hob den Kasten auf und schleppte seine »Telegrammgebühr« mühselig und beladen zur Treppe hinab.

»So, der ist bezahlt«, meinte der Hauptmann. »Habe ich eine Freude, so mache ich anderen auch gern eine.«

Ludwig stand dabei, starrte ihn ganz verdutzt an und fragte:

»Aber, Herr Hauptmann, tut es denn nicht weh?« – »Was denn?« – »Beißt oder zwickt und kneipt es denn gar nicht?« – »Zum Teufel! Was denn?« – »Na, die Gicht dahier.«

Jetzt erst fiel auch dem Alten seine Gicht ein. Er machte ein eminent überraschtes Gesicht, stampfte einige Male mit den Füßen und rief:

»Ludwig, sie ist fort, rein fort, Gott habe sie selig!« – »Das ist aber doch merkwürdig«, meinte der Bursche kopfschüttelnd. – Ja. Was mag da schuld sein?« – »Die Freude oder das Telegramm.« – »Die Freude, Dummkopf! Denke dir, und an mich hat er's adressiert, an mich! Der Prachtkerl, dieser Sternau! Ludwig renne hinunter in die Küche und sage, daß ihr heute mittag ein Extraessen bekommen sollt.« – »Was denn dahier?« – »Na, was ist euch denn lieber? Nudeln mit Hering oder Eierkuchen mit Sauerkraut oder Pflaumenmus mit Schweizerkäse?« – »Alles drei!« – »Gut. Mir auch egal! Laßt es euch machen! Ich laufe aber sogleich hinüber nach Rodriganda, um die Depesche vorzulesen.« – »Laufen? Mit der Gicht?« – »Sie ist ja fort.« – »Aber sie kann unterwegs wiederkommen.« – »Das mag sie nicht etwa wagen. Ich würde ihr schön heimleuchten. Heute und Gicht! Das reimt sich schlecht auf ein Telegramm aus Mexiko!«

Damit humpelte der Hauptmann fort. Man kann sich denken, welche Freude, ja, welches Entzücken seine Botschaft bei den Lieben allen hervorbrachte.


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