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9. Kapitel.

Ein einsamer Reiter trabte auf der Straße von der Hauptstadt nach Queretaro dahin. Zwischen beiden Städten, ungefähr in der Mitte des Weges, liegt das Städtchen Tula.

Der Mann passierte dasselbe, ohne anzuhalten, obgleich sein Pferd müde zu sein schien. Aber als er Tula im Rücken hatte, verließ er die von Militär belebte Straße und bog seitwärts in das Feld ein.

Dort lag die Ruine eines Hauses. Die geschwärzten Mauern verrieten, daß das Gebäude ein Raub der Flammen geworden sei. Jedenfalls war dies während des gegenwärtigen Krieges geschehen, denn es schien, als ob die Ruinen noch nicht alt seien.

Der Mann stieg ab, ließ sein Tier frei grasen und setzte sich in dem Schatten einer halbeingestürzten Wand nieder. Kaum war dies geschehen, so fuhr er zusammen.

»Pst!« hatte er es rufen hören.

Er blickte sich um, konnte aber nichts bemerken.

»Pst!« hörte er von neuem.

Er zog ein Pistol hervor und suchte mit dem Auge in allen seinem Blick erreichbaren Winkeln herum – vergebens.

»Pater Hilario!« rief es jetzt halblaut. Da sprang er auf. Wer kannte ihn hier?

»Pater Hilario!« wiederholte es.

Aus dem Ton entnahm er jetzt die Richtung, aus der die Stimme kam. Er trat hinter die Mauer, vor der er gesessen hatte. Dort stand – der kleine, dicke Verschwörer, ihn mit einem freundlichen, breiten Grinsen seines Gesichtes empfangend.

»Nicht wahr, das ist eine Überraschung?« fragt er. – »Ihr? Ihr?« rief der Pater erstaunt. »Wie kommt Ihr hierher?« – »Der geheime Bund ist allgegenwärtig. Ich habe Euch hier erwartet.« – »Mich? Wie konntet Ihr wissen, daß ich nach der Ruine kommen würde, um auszuruhen?« – »Das wußte ich allerdings nicht. Aber seht Ihr denn nicht, daß man von hier aus die Straße überblicken kann?« – »Wußtet Ihr, daß ich jetzt diese Straße kommen werde?« – »Daß Ihr jetzt kommen würdet, wußte ich nicht, daß Ihr aber überhaupt die Straße passieren müßtet, das konnte ich mir denken.« – »Wieso?« – »Ich war in Santa Barbara.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ich sprach mit Eurem Neffen. Ihr wäret kaum eine Stunde fort.« – »So konntet Ihr mir ja nachreiten.« – »Das war unsicher, da ich nicht wußte, welchen Weg Ihr eingeschlagen hattet. Ich hätte Euch leicht verfehlen können. Da ich aber wußte, daß Ihr nach der Hauptstadt gingt und von da, weil Ihr dort den Kaiser nicht mehr treffen würdet, gezwungenermaßen Euch nach Querétaro wenden mußtet, so zog ich vor, mir einen Punkt zwischen den beiden Städten auszusuchen, wo ich überzeugt war, Euch zu sehen. Dieser Punkt mußte, Verhältnisse halber, im Freien liegen, und so habe ich diese Brandruine gewählt.« – »So habt Ihr mir also etwas Notwendiges mitzuteilen?« – »Ja.« – »Wie ging es in Santa Barbara?« – »Warum diese Frage?«

Der kleine Dicke blickte den Pater erstaunt und forschend an.

»Nun, sie ist doch sehr natürlich. Wer von der Heimat fern ist, der will doch gern etwas von ihr wissen.« – »Ah pah! Ihr wißt doch, daß ich kaum eine Stunde nach Eurem Fortreiten dort war. Was konnte sich in dieser kurzen Zeit ereignet haben.« – »Das kann man doch nicht wissen.« – »Ihr scheint Euch dort mit geheimnisvollen Dingen herumgetragen zu haben, von denen ich nichts erfahren soll.« – »Da irrt Ihr Euch sehr. Aber wir leben im Krieg, da kann jeder Augenblick eine Änderung bringen.«

Der Kleine blickte den Pater scharf an und fragte: »Wollt Ihr etwa mit mir Versteckenspielen?« – »Fällt mir gar nicht ein.« – »Das sollte Euch auch schlecht bekommen.« – »Ich habe keine Angst. Was ist es, was Ihr mir zu sagen habt?« – »Seit dem Tag, da ich Euch meinen Auftrag gab, hat sich einiges verändert. Ihr kennt doch die Aufgabe, die Euch geworden ist, noch ganz genau?« – »Das versteht sich.« – »Nun, ich komme, Euch dieselbe wesentlich zu erleichtern. Die Verbindung hat an einige Orte, die im Rücken der Republikaner liegen, Truppen detachiert, um dort kriegerische Demonstrationen zu unternehmen.« – »Ah! Das wird den Lauf des Präsidenten aufhalten.« – »Ja, aber noch mehr als das. Es wird auch Euch beim Kaiser großen Nutzen bringen.« – »Wieso?« – »Könnt Ihr Euch das nicht denken?« – »Nein.« – »Es fehlt Euch doch mehr Scharfsinn, als ich dachte! Diese Demonstrationen geschehen scheinbar zu Gunsten des Kaisers ...« – »Ah, jetzt vermute ich«, fiel der Pater ein. – »Nun?« – »Max wird infolgedessen glauben, daß die Zahl seiner Anhänger größer ist, als er angenommen hat.« – »Sehr richtig.« – »Sein Mut, sein Vertrauen werden wachsen.« – »Das eben bezwecken wir.« – »Und infolgedessen wird er nicht daran denken, Mexiko als Flüchtling zu verlassen.« – »So ist es. Er wird seine Lage als viel besser nehmen, als sie in Wahrheit ist, und das wird ihn in die Hände der Republikaner liefern. Diese können ihn infolge seines Dekretes nicht begnadigen, und er wird erschossen. Juarez steht dann als sein Mörder da und ist vor aller Welt gebrandmarkt.« – »Wo finden diese Kundgebungen statt?« – »Die erste in Santa Jaga.« – »In Santa Jaga?« fragte der Pater erschrocken. – »Ja.« – »Alle Wetter! Warum gerade dort?« – »Der geheime Bund hat es beschlossen.« – »Wird das Kloster Barbara davon berührt?« – »Sogar in sehr hervorragender Weise.« – »Inwiefern?« – »Das Kloster ist wie eine Festung gebaut. Es gewährt genügenden Schutz gegen alle Angriffe. Darum ist es von den Unsrigen besetzt worden.« – »Donnerwetter! Wann?« – »In der Nacht nach Eurer Abreise.« – »Und ich bin nicht dort!« Der Pater machte ein Gesicht, auf dem sich eine peinliche Verlegenheit nicht verkennen ließ.

»Warum alteriert Euch das in solcher Weise?« fragte der Dicke, indem er ihn von der Seite fixierte. – »Nun, ich dächte, das wäre doch sehr leicht zu erraten.« – »Ich errate es keineswegs.« – »So seid Ihr es dieses Mal, dem es an dem nötigen Scharfblick mangelt.« – »Ah, Ihr werdet spitzig«, lachte der Kleine. »Aber ich bitte Euch, deutlicher zu sprechen.« – »Nun, Ihr wißt doch, daß ich der Leiter der Klosteranstalt bin.« – »Freilich.« – »Ich bin also auch für alles, was die Anstalt betrifft, verantwortlich.« – »Das geht mich nichts an.« – »Aber mich desto mehr. Wie viele Soldaten habt Ihr hingelegt?« – »Zweihundert ungefähr.« – »Nun, ich habe Kranke da, schwere und leichte Kranke, Rekonvaleszenten und Geisteskranke. Ihr könnt Euch denken, welchen Einfluß der Lärm und die Verwirrung, die bei einer solchen militärischen Okkupation des Klosters unvermeidlich sind, auf diese Patienten hervorbringen muß.« – »Pah! Sie mögen sterben.« – »Das sagt Ihr, ich aber nicht.« – »So sagt es mit!« – »Der Ruf meiner Anstalt wird geschädigt!« – »Pah! Seid Ihr Schuld an dieser Okkupation?« – »Nein, aber die Folgen kommen dennoch über mich.« – »Ah!« lachte der Kleine. »Seit wann seid Ihr denn so zartfühlend und bedenklich? Ich denke mir, daß Euer Mißmut noch einen ganz anderen Grund hat!«

Er hatte recht. Der Pater dachte an seine Gefangenen, die er unter der Obhut seines Neffen hatte zurücklassen müssen. Was konnte da alles geschehen! Wie leicht konnte alles verraten werden! Dennoch antwortete er:

»Ich wüßte keinen Grund, den ich noch haben könnte.« – »Nun, so braucht Ihr Euch auch nicht aufzuregen. Also, dieses Militär ist des Nachts im Kloster eingezogen und hat dann des Morgens die Stadt Santa Jaga für den Kaiser in Besitz genommen.« – »Ist das gewiß?« – Ja. Ich war zwar nicht dabei, aber es versteht sich ganz von selbst. Ich mußte noch des Abends fort, bin aber von dem Gelingen dieses Streiches vollständig überzeugt, weil da niemand da war, Widerstand zu leisten.« – »Oh, der Teufel hat zuweilen seine Hand im Spiel.« – »Der ist ja unser Verbündeter!« lachte der Kleine. Ähnliche Demonstrationen sind noch an neun anderen Orten geschehen.« – »Wo?« – »Hier ist das Verzeichnis dieser Orte.«

Der kleine Dicke zog einen Zettel hervor, den er dem Pater gab.

»Soll ich dieses Verzeichnis behalten?« fragte dieser. – »Natürlich!« – »Wozu?« – »Um es in Queretaro vorzuzeigen.« – »Bei wem?« – »Beim Beichtvater des Kaisers.« – »Ist dieser auch mit uns verbündet?« – »Das geht Euch nichts an. Ihr meldet Euch bei ihm, und das übrige wird sich dann ganz von selbst finden.« – »Sind auch diese anderen Demonstrationen gelungen?« – »Ja. Ihr könnt darauf schwören.« – »Nun, so bin ich sicher, daß wir den Kaiser festhalten.« – »Ich ebenso. Habt Ihr vielleicht noch eine Frage?« – »Nein.« – »Nun, so reitet in Gottes Namen weiter. Wir sehen uns wieder, sobald es nötig ist.« – »Wohin geht Ihr jetzt?« – »Danach habt Ihr eigentlich gar nicht zu fragen. Da man aber doch zuweilen wissen muß, wonach man sich zu richten hat, so will ich Euch sagen, daß ich nach Tula gehe.« – »Also ebenfalls nach Queretaro.« – »Nein. Ich reise nicht durch, sondern um Queretaro herum.« – »Weshalb? Wir könnten ja miteinander reiten.« – »Nein. Man braucht uns nicht beisammen zu sehen. Adieu!«

Der kleine Dicke verschwand zunächst hinter einem Trümmerhaufen und kam sodann mit einem Pferd zum Vorschein, auf dem er davonritt.

Der Pater setzte ebenfalls seinen Weg fort, indem er wieder nach der Straße hinüberlenkte. Das, was er gehört hatte, war nicht geeignet, ihn in eine gute Laune zu versetzen.

In Querétaro angekommen, begab er sich zum Beichtvater des Kaisers, dessen Wohnung leicht zu erfragen war. Dieser betrachtete ihn forschend und fragte:

»Man meldet Sie mir als Pater Hilario?« – »Ja, der bin ich.« – »Vom Kloster Santa Barbara?« – »Dort wohne ich.« – »Ich kenne Sie bereits seit längerer Zeit.« – »Ich habe leider nicht die Ehre, mich zu besinnen, wann und wo ...« – »Oh«, fiel der Beichtvater ein, »ich meine nur, daß ich Sie per Distance kenne, nämlich als verdienstvollen Arzt ...« –»Sie beschämen mich.« – »Und als treuen Anhänger Seiner Majestät des Kaisers. Oder sollte ich mich in letzterer Beziehung irren?« – »Nein. Ich bin bereit, mein Leben für den Kaiser zu opfern.« – »Ich habe das erwartet. Übrigens ist mir Ihr Besuch gestern angekündigt worden.« – »Darf ich fragen, von wem?« – »Von einem Freund, den auch Sie kennen, den ich aber jetzt nicht nennen will. Welche Botschaft bringen Sie mir?« – »Ich bringe die ebenso gute wie wichtige Nachricht, daß sich einige Ortschaften für den Kaiser erhoben haben.« – »Ah! Das wäre allerdings höchst wertvoll.« – »Welche Ortschaften sind es?« – »Hier ist das Verzeichnis derselben.«

Der Beichtvater nahm den Zettel in Empfang und las die Namen.

»Das sind ja lauter Städte, die im Rücken des Heeres von Juarez liegen«, meinte er mit gutgespieltem Erstaunen. – »Allerdings.« – »Und sind diese Aufstände als gelungen zu bezeichnen?« – »Ja, sämtliche.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ich kann es beschwören. Bei einem derselben bin ich sogar Zeuge gewesen.« – »Sie meinen Santa Jaga?« – »Ja.« – »Sie haben den Putsch mit angesehen?« – »Ich war dabei, als das Militär einzog und die kaiserliche Fahne auf die Zinne des Klosters pflanzte.« – »Wie verhielt sich die Bevölkerung?« – »Ausgezeichnet. Als der Morgen anbrach, jubelte sie dem Zeichen des Kaiserreiches zu.« – »Würden Sie diese Worte in Gegenwart des Kaisers wiederholen?« – Gern.« – »Ich werde Sie sofort zu ihm fuhren. Warten Sie einen Augenblick.«

Der Beichtvater des Kaisers trat in ein Nebenzimmer, scheinbar, um sich in Beziehung auf seine Kleidung auf den Gang zum Kaiser vorzubereiten. Aber in diesem Zimmer stand – der kleine Dicke.

»Nun, wie verhält er sich?« flüsterte dieser. – »Tadellos!« – »Bestätigt er alles?« – »Er sagt sogar, daß er bei dem Putsch in Santa Jaga gegenwärtig gewesen sei.« – »Ah, ich glaubte nicht, ihn so fügsam zu finden. Er ist das Werkzeug, das man zerbricht, nachdem man es gebraucht hat.« – »Ah, Sie wollen ihn opfern?« – »Was anders? Oder sollen wir fallen anstatt seiner?« – »Würde dies notwendig sein?« – »Sicher! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sämtliche Demonstrationen, deren Verzeichnis er besitzt, eine Lüge sind, ausgenommen diejenige in Santa Jage. Übrigens ist es nicht schade um den Kerl. Er hat Geheimnisse in seinem Kloster, die ich schon noch ergründen werde. Entweder er stirbt, oder wir beide sind verloren und – Miramon dazu.«

Der Dicke nannte diesen Namen so leise, daß er kaum gehört werden konnte.

»Ich werde ihn also zum Kaiser führen«, meinte der Beichtvater. – »Aber vorher zu Miramon.« – »Gut. Werde ich diesen in seinem Quartier treffen?« – »Nein, er ist hier im Kloster in seinem Kabinett.«

Kaiser Max hatte nämlich in dem Kloster la Cruz in Querétaro sein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort wohnte natürlich auch sein Beichtvater, bei dem sich der Pater jetzt befand.

»Und wo treffe ich Sie wieder?« fragte der Beichtvater. – »Ich verlasse Querétaro sofort«, antwortete der Dicke. »Alle Botschaften senden Sie mir nach meiner Wohnung in Tula.«

Er verließ das Gemach durch eine Seitentür. Der Beichtvater aber trat in das Zimmer zurück, in dem der Pater sich befand. Seine Miene war die eines freundlichen Protektors, als er diesem sagte:

»Wir werden zunächst zum General Miramon gehen. Sind Sie bereit dazu?« – »Warum nicht direkt zum Kaiser?« – »Sie wissen ja, daß man zu gekrönten Häuptern nicht direkt gelangt wie etwa zu einem einfachen Bürger.« – »Ich stehe zur Verfügung.«

Sie verließen das Gemach und gingen über einen Korridor, bis der Geistliche eine Tür öffnete. Sie traten ein und befanden sich in einer Art Vorzimmer.

Hierauf klopfte der Beichtvater an eine nach innen führende Tür, die er öffnete, nachdem ein lautes, gebieterisches »Herein!« erschollen war.

Nachdem er die Tür sorgfältig wieder hinter sich zugezogen hatte, stand er vor dem berühmten oder vielmehr berüchtigten General, den man mit dem besten Gewissen als einen Räuber und sogar Verräter bezeichnen kann.

Dieser warf einen forschenden Blick auf ihn und fragte dann, ohne seine tiefe Verbeugung weiter zu beachten.

»Was bringen Sie mir?« – »Einen Mann, den ich Ihnen vorstellen muß.« – »Wer ist es?« – »Pater Hilario aus Santa Jaga.«

Das Gesicht des Generals nahm einen gespannten Ausdruck an.

»Ah, dem wir jene zweihundert Mann schickten?« – »Ja.« – »Ist er zu Hause gewesen?« – »Nein, er war bereits unterwegs.« – »Schade. So wird er uns wenig nützen.« – »O doch! Er schwört, bei dem Putsch zugegen gewesen zu sein.« – »Der natürlich gelungen ist?« – »Selbstverständlich!« – »Das ist gut. Sie haben die Sache famos arrangiert. Wenn ich Präsident sein werde, erhalten Sie Ihre Belohnung.«

Er machte eine Pause, während welcher sein Gesicht einen bedenklichen, ja finsteren Ausdruck annahm, dann fuhr er fort:

»Aber meinen Sie nicht, daß unser Spiel ein gewagtes ist?«

Der Geistliche schüttelte den Kopf.

»Ich kann das nicht einsehen«, sagte er. – »Und doch kommen mir allerlei Gedanken. Wir liefern den Kaiser in die Hände des Juarez. Wird dieser dankbar sein und uns dafür frei abziehen lassen?« – »Ganz sicher.« – »Bedenken Sie, daß wir, um den Löwen zu fangen, selbst vorher in die Falle gehen müssen. Fast möchte ich es eine Dummheit von Juarez nennen, wenn er mich, ›seinen Feind und Nebenbuhler‹, frei ließe.« – »Ich kenne Juarez. Er ist edel und dankbar.« – »Sein Edelmut ist mir sehr gleichgültig, aber auf seine Dankbarkeit möchte ich rechnen. Lassen Sie den Mann ein!«

Der Pater durfte eintreten. Er ahnte keineswegs, daß er jetzt vor dem Obersten des Geheimbundes stehe. General Miramon fixierte ihn scharf und fragte dann:

»Sie nennen sich Pater Hilario?« – »Ja, Señor.« – »Man sagt mir, daß Sie aus Santa Jaga seien.« – »So ist es die Wahrheit.« – »Was haben Sie von dort zu berichten?« – »Es ist ein Trupp Kaiserlicher dort eingezogen und hat die Fahne des Kaiserreiches entfaltet.«

Miramon legte die Stirn in Falten und meinte:

»Sie wollen sagen: ein Trupp Wahnsinniger. Denn Wahnsinn ist eine solche Kundgebung, wenn sie nicht von anderen, ähnlichen Demonstrationen unterstützt wird.« – »Das letztere ist ja eben der Fall.« – »Wie? Es hätten auch an anderen Orten solche Vorgänge stattgefunden?« – »Ja.« – »Wo?« – »Hier ist das Verzeichnis, Señor. Ich glaube übrigens, daß diese Bewegung immer weiter um sich greifen wird.« – »Ah, Sie bringen mir da eine sehr gute Nachricht! Können Sie die Wahrheit derselben verfechten?« – »Ich stehe mit meinem Kopf dafür.«

Man sieht, daß der Pater bei jeder Instanz mehr sagte, als bei der vorigen, mehr, als er zu beweisen vermochte.

Der General las das Verzeichnis durch und fragte dann:

»Sind diese Demonstrationen überall geglückt?« – »Ja, vollständig.«

Miramon mußte sich alle Mühe geben, um ein halb mitleidiges, halb triumphierendes Lächeln zu verbergen, und fragte weiter:

»Ihre Antwort ist für mich bestimmt?« – »Nicht allein, Señor.« – »Ah! Für wen noch?« – »Ich hoffte, daß meine frohe Botschaft mir den Zutritt bei Seiner Majestät öffnen werde.«

Miramon machte ein scheinbar erstauntes Gesicht und fragte:

»Zum Kaiser wollen Sie?« – »Ich bitte um die Erlaubnis dazu.« – »Warum?« – »Um ihm meine Nachricht zu bringen.« – »Es genügt, wenn sie mir gebracht wird. Sie wissen wohl, daß ich hier der Oberstkommandierende bin?« – »Ich weiß es, Señor. Aber doch hat jeder brave Untertan den Wunsch, seinen Herrscher einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und ich hege die Hoffnung, daß meine Botschaft geeignet ist, zur Erfüllung dieses Wunsches beizutragen.« – »Hm! So haben Sie den Kaiser noch nicht gesehen?« – »Noch nie.« – »Ich gebe zu«, meinte Miramon mit gutgespieltem Zögern, »daß das, was ich von Ihnen höre, eine Belohnung verdient. Also, Sie können alles verbürgen?« – »Mit meinem Kopf, mit meinem Leben!« – »Und Sie werden dem Kaiser alles wiederholen?« – »Alles!« – »So bin ich nicht abgeneigt, Ihnen den Zutritt zu ihm zu eröffnen.«

Miramon schnallte den Säbel, der in einer Ecke lehnte, um und sagte zu dem Beichtvater, der wartend an der Tür stand:

»Ich danke Ihnen! Wir sehen uns wieder!«

Der Geistliche verschwand, und der General winkte dem Pater, ihm zu folgen.


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