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26. Kapitel.

Auf dem alten Polsterstuhl seines Arbeitszimmers saß der Hauptmann von Rodenstein und starrte verdrießlich vor sich nieder. Seine Beine steckten bis zu den Knien herauf in dicken, unförmlichen Filzstiefeln, über die noch eine wollene Pferdedecke doppelt gebreitet war. Vor ihm stand sein treuer Ludwig, ebenso finster und ratlos auf den Boden niederblickend.

»Ja«, sagte letzterer, »ich weiß auch kein Mittel, Herr Hauptmann.« – »Da bist du gerade ebenso gescheit wie die Ärzte oder ebenso dumm. Die Allopathen haben mich hingerichtet, die Hydropathen haben gar den Zapfen hinausgestoßen, und die Homöopathie bringt mich nun ganz um den Verstand. Da soll ich gegen den akuten Rheumatismus nehmen Akonit, Arnika, Belladonna, Loryonia, Chinin, Chamomilla, Merkur, Nux, Vomica, Pulsatilla, gegen den chronischen Arsenik Sulfur, Rhododendron. Phytolaca und Stillingia, gegen den herumziehenden Arnika, Pulsatilla, Belladonna, Moschus, Sabina, Sulfur, Almia und Capsia. Nun sage mir ein Mensch, was für ein Kräuter-, Pulver- und Pillensack aus mir würde, wenn ich das Zeug alles verschlingen soll! Hole es der Teufel! Wenn nur wieder einmal eine so famos gute Nachricht käme wie damals von unserem Sternau. Ich bin vor Freude aufgesprungen und war plötzlich so gesund wie ein Fisch im Wasser. Aber jetzt, da ... ah, hat es nicht geklopft, Ludwig?« – »Ja, Herr Hauptmann!« – »Sieh nach!«

Ludwig öffnete die Tür. Draußen stand ein gespornter, uniformierter, junger Mensch.

»Wer sind Sie?« fragte Ludwig. – »Kurier Seiner Durchlaucht des Herrn Großherzogs an den Herrn Hauptmann von Rodenstein.« – »An mich?« rief der Alte. »Vom Großherzog? Herein!«

Der Kurier trat ein und überreichte ein wappengesiegeltes Schreiben.

»Soll Antwort erfolgen?« fragte der Oberförster. – »Nein.« – »Gut! Lassen Sie Ihr Pferd ausruhen und sich Essen geben. Sie wissen ja schon!«

Als der Mann abgetreten war, öffnete der Alte das Kuvert und las das Schreiben. Er war aber noch nicht zur Hälfte fertig, so warf er wie ein Knabe beide Arme empor.

»Juch! Juchhei! Juchheirassassa! Ludwig! Esel! Alter Knabe! Herunter mit den Stiefeln!«

Er war aufgesprungen und bemühte sich, die Stiefel von den Füßen zu schlenkern, was ihm bei der großen Weite der ersteren auch gelang. Ludwig war perplex.

»Aber, Herr Hauptmann! Die Stiefel – die Schmerzen!« – »Schmerzen? Unsinn! Ich habe keine Schmerzen. Ich bin geheilt; ich bin kuriert; der Rheumatismus ist zum Teufel! Der Großherzog hat mich geheilt. Weißt du, was in dem Brief steht?« – »Nein.« – »Nun, auch von dir steht etwas darin. Darum werde ich dir den Prachtwisch vorlesen. Du hast während der Schmerzen bei mir ausgehalten und nicht gemuckst, nun sollst du die Freudenbotschaft hören und dann mucksen.« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann. Ich werde mucksen, wenn es verlangt wird dahier!«

Der Hauptmann stand aufrecht ohne das mindeste Gefühl von Schmerzen da und las:

 

»Unserem lieben Hauptmann von Rodenstein. Es naht der Jahrestag des Festes, an dem Wir die Freude hatten, in der Verbindung der Gräfin Rosa de Rodriganda mit dem Herrn Doktor Sternau der Vereinigung zweier Herzen mit beizuwohnen, die Gottes Liebe und Güte füreinander bestimmt hatte. Da Wir anzunehmen geneigt sind, daß dieser Tag auf Rheinswalden und Rodriganda ein festlicher sein wird, so laden Wir Uns für den Abend desselben zu Gaste und werden eine Anzahl Unserer Herren und Damen des Hofes mitbringen, um zu beweisen, daß die Teilnahme der Genannten eine allgemeine sei.

Nachdenkend über die Art und Weise, wie dieser Feier am besten eine äußere Gestaltung zu geben sei, ist Uns der Gedanke gekommen, eine kleine Maskerade zu veranstalten. Die Damen und Herren, die sich in Unserer Begleitung befinden, werden vollständig maskiert abends präzis acht Uhr ankommen. Was nun die Maskierung der Bewohner Rheinswaldens betrifft, so haben Wir unserem Zeremonienmeister das Arrangement überlassen. Es ist dasselbe auf dem beiliegenden Entwurf enthalten, und übersenden Wir dieses in der Überzeugung, daß Wir bei Unserer Ankunft alle genannten Personen bereits maskiert finden.

Wir tun Ihnen dieses mit dem Befehl kund, es alle Bewohner der beiden Besitzungen schleunigst wissen zu lassen und verbleiben bis zum Wiedersehen Ihr wohlgewogener

Ludwig.«

 

Ludwig Straubenberger sperrte den Mund auf, so weit er konnte.

»Donnerwetter!« rief er, »ein Maskenball!« – »Ja, ein Maskenball mit dem Großherzog und der Großherzogin, mit dem ganzen anderen großherzoglichen Menageriegerümpel! Juchheirassassa! Heidideldumheirassa! Vivat, mein Podagra, meine Gicht, meinen Rheumatismus habe ich in den Filzstiefeln stecken gelassen! Schau, wie ich springen kann!«

Wahrhaftig, der Hauptmann stieg mit großen Schritten in der Stube umher und rief dabei:

»Und hier ist der Zettel, wie wir uns maskieren sollen. Horch: Frau Rosa Sternau und Frau Flora von Rodenstein, das ist meine Schwiegertochter, nebst Frau Herzogin von Olsunna und Fräulein Waldröschen als Mexikanerinnen. Herr Herzog von Olsunna, Herr Otto von Rodenstein als Mexikaner. Frau Helmers als Schifferin, Ludwig Straubenberger als Präriejäger und Herr Hauptmann von Rodenstein als ...«

Er hielt im Lesen inne und starrte auf das Papier.

»Alle Graupelwetter! Was steht denn da?« rief er. – »Also ich als Präriejäger?« fragte Ludwig. – »Ja.« – »Das gefällt mir! Das ist allerliebst!« – »Ja, ja. Aber meins ist nicht allerliebst. Da steht ... Donner und Doria! Da steht mit wirklichen Buchstaben geschrieben: ›Herr Hauptmann von Rodenstein als Wilddieb, hat eine Larve mit möglichst langer Nase vorzustecken.‹ Ist das nicht impertinent?« – »Sehr. Aber man hat zu gehorchen.« – »Werde sehen. Ich, der Hauptmann und Oberförster von Rodenstein als langnasiger Wilddieb! So eine Maliziosität ist mir all mein Lebtag noch nicht vorgekommen! Die lange Nase ginge noch, aber der Wilddieb wurmt mich. Was nur dem Herzog eingefallen ist! Na, ich werde mir das Ding doch erst einmal überlegen. Jetzt aber muß ich hinüber nach Rodriganda, um denen da drüben den Brief und das Verzeichnis zu übergeben. Es stehen noch mehr Personen darauf, ich habe aber keine Zeit, es zu lesen.« – »Werden der Herr Hauptmann denn auch hinüberlaufen können?« fragte Ludwig besorgt. – »Warum denn nicht? Ich möchte den Rheumatismus sehen, der mich verhindern könnte, einen großherzoglichen Maskenball mitzumachen! Ein Wildspitzbube muß laufen können. Siehe dich nach dem Kurier um, daß er gehörig zu essen und zu trinken bekommt. Der Kerl hat es verdient«

Der Hauptmann humpelte wirklich die Treppe hinab und durch den Wald nach Rodriganda, wo seine Botschaft großes Aufsehen hervorbrachte.


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