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Der Abend dieses für Mexiko und auch andere Kreise so wichtigen Tages brach an. Er war mild, so daß in Queretaro die Soldaten auf den Straßen kampierten. Die Gewehre standen in Pyramiden beisammen, rund um dieselben saßen die Krieger, miteinander flüsternd.
Der Kaiser hatte nämlich für die Zeit gegen Morgen einen allgemeinen Ausfall angeordnet, von dem er sich vielleicht mehr Erfolg versprach, als von den früheren, die abgeschlagen worden waren.
Da galt es, angestrengt und tapfer zu kämpfen, und so sank ein Kriegerhaupt nach dem anderen nieder, um die Ruhe zu suchen, bis der Befehl zum Aufbruch gegeben werde. Endlich schlief die ganze Stadt, und nur einzelne Posten wachten, müde, über die ihnen auferlegten Pflichten schimpfend.
Der Kaiser hatte in seinen Gemächern keine Ruhe gefunden, daher begab er sich mit dem Prinzen Salm, seinem Adjutanten, hinab in den Garten, ohne daß dies jemand bemerkt hätte. Er hoffte, dort besser schlafen zu können als in dem schwülen Klostergemach.
Es war Mitternacht. Da schlich eine Gestalt aus dem Kloster nach der Ausfallpforte. Ein Schlüssel knirschte leise, und die Pforte öffnete sich. Neben derselben lag ein wohl gefülltes Portefeuille, das der Mann – es war Oberst Lopez – an sich nahm. Er trat in das Türgewölbe zurück, wo er sich sicher fühlten konnte, zog eine Laterne aus der Tasche, brannte das Licht derselben an und untersuchte den Inhalt der Brieftasche. Als er sie dann einsteckte und das Licht wieder ausblies, murmelte er befriedigt:
»Alles richtig! Der General hat Wort gehalten, und so soll er auch mit mir zufrieden sein!«
Unterdessen war auch draußen bei den Belagerern alles still geworden. Niemand ahnte, was bevorstand. Rückwärts lag zwar ein Regiment in Waffen, aber das fiel nicht auf, da man stets auf einen etwaigen Ausfall vorbereitet sein mußte.
Aber seitwärts sammelte sich kurz vor Mitternacht eine Schar von zweihundert Männern, die alle bis an die Zähne bewaffnet waren. Leise Schritte näherten sich dem Zelt Kurts! Der Vorhang wurde beiseite geschoben, und eine gedämpfte Stimme fragte:
»Sind Sie bereit, Señor?« – »Ja, General.« – »So kommen Sie.«
Die beiden nahmen die Richtung auf die zweihundert zu und stellten sich an die Spitze derselben. Der General gab seine Befehle, und dann setzte sich die Truppe langsam und vorsichtig in Bewegung.
Die Sterne leuchteten am Himmel. Sie hätten sich in Anbetracht dessen, was geschehen sollte, hinter dichte Wolken verhüllen mögen, um nicht zu sehen, daß Verrat und Untreue auf Erden oft den Sieg davontragen über Treue und Zuverlässigkeit.
Als man die Pforte erreichte, war dieselbe nur angelehnt. Velez öffnete ein wenig und schob langsam und vorsichtig den Kopf in die Wölbung.
»Señor!« rief er mit gedämpfter Stimme. – »General!« antwortete es ebenso. – »Seid Ihr der Rechte?« – »Ja.« – »Wie steht es drin?« – »Gut! Es schläft alles, ohne zu ahnen, wie man erwachen werde.« – »Wo befindet sich der Kaiser?« – »Er liegt in seinem Schlafzimmer.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ich habe Achtung gegeben. Übrigens ist es sehr gut, daß wir die gegenwärtige Zeit bestimmt haben. Kurz vor Anbruch des Tages sollte ein allgemeiner Ausfall stattfinden.« – »Das hätte uns höchst fatal werden können. Also Sie führen uns?« – »Ja.« – »Hundert Mann für das Innere des Klosters.« – »Wie die anderen?« – »Ich werde sie oben verteilen.« – »Dann vorwärts!«
Die Klingen wurden entblößt und die Pistolen in die linke Faust genommen; dann schlich sich die Schar, Lopez mit dem General voran, vorwärts.
Die Verteilung begann, und es glückte Kurt, an die Spitze derjenigen Schar zu kommen, die den Garten zu besetzen hatte, während Lopez den General in das Innere führte.
Kurt hatte nur fünfzehn Mann bei sich. Dies war ihm außerordentlich lieb. Als er den Garten erreichte, teilte er sie und befahl ihnen, den Zaun desselben zu umschleichen, damit von keiner Seite ein Entrinnen möglich sei. Als sie dieser Weisung gefolgt waren, schritt er auf das Zelt zu, das er im Sternenschimmer liegen sah.
Bereits erscholl lautes Waffengeklirr aus dem Inneren des Klosters. Max wurde dadurch geweckt und trat aus dem Zelt. Er sah eine Gestalt, die schnell auf ihn zukam.
»Was ...« – »Pst! Um Gottes willen still!« unterbrach ihn der Nahende. »Majestät.«
Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen.
Ja«, antwortete der Kaiser ebenso. »Was wollen Sie?« – »Sie retten, Folgen Sie mir!« – »Retten? Wer sind Sie? Was ist geschehen?« – »Ich bin Leutnant Helmers und ...« – »Sie? Sie sind es? Wie kommen Sie in das Innere der Stadt?« – »Velez ist mit den Seinigen durch Verrat eingedrungen. Ich flehe Sie an, mir schleunigst zu folgen!« – »Mein Gott! Wohin?« – »Durch die Ausfallpforte ins Freie. Der Weg steht noch offen. In einer Minute kann das vorüber sein.« – »Und was dann da draußen?« – »Es sind Relais gelegt. Sobald Sie die Pforte hinter sich haben, sind Sie in Sicherheit.«
Max antwortete nicht. Das Gehörte schien ihn zu überwältigen. Da faßte Kurt ihn bei der Hand und bat dringend:
»Ich bitte Sie um des Himmels willen keinen Augenblick zu verlieren, sonst ist es zu spät!«
Jetzt hatte der Kaiser sich gefaßt. Er antwortete:
»Ich danke Ihnen. Ist eine Rettung möglich, so will ich mich nicht sträuben, aber ich gehe nicht ohne diesen und den treuen Mejia.«
Dabei deutete er nach dem Zelt, aus dem der Adjutant trat.
»Wer ist dieser?« fragte Kurt, dessen Atem flog. – »Mein Adjutant Prinz Salm.« – »Nun wohlan! Und wo ist Mejia?« – »Auf dem Cerro de las Campanas.« – »So ist er nicht zu retten.« – »So bleibe auch ich!«
Das Waffengeklirr hatte überhandgenommen. Kurt hörte, wie einige Leute nach der Ausfallpforte eilten, um Verstärkung herbeizurufen.
»Um Gottes willen, kommen Sie ohne Verzug!« drang Kurt in den Kaiser. »In wenigen Augenblicken ist man im Garten, und die Republikaner dringen in die Stadt.« – »Nicht ohne Mejia!« lautete die unerschütterliche Antwort. – »Ich bitte Sie um Ihrer Anhänger, um alles, was Ihnen lieb ist, um des Vaterlandes, um Österreichs willen, mir zu folgen, Majestät! Ich werde ... ah! Da haben wir es! Zu spät, zu spät! Kommen Sie, kommen Sie!«
Er faßte den Kaiser beim Arm und riß ihn mit sich fort in einen Laubengang hinein; der Adjutant folgte eilig. General Velez war mit seiner Schar in den Garten gedrungen und rief wütend:
»Er ist nicht drin, er ist nicht im Kloster! Sucht hier, hier, hier!«
Zugleich hörte man draußen im Feld den Laufschritt heraneilender Militärmassen. Velez war in den Garten eingedrungen, der Eingang war auf einige Augenblicke frei. Dahin riß jetzt Kurt den Kaiser.
»Gott, zur Flucht ist's nun zu spät!« stöhnte er. »Schnell, schnell, hier hinaus und nach dem Cerro de las Campanas, Majestät!«
Er zog den nur widerwillig folgenden Max, der von hinten von dem Adjutanten gedrängt wurde, aus dem Garten hinaus. Aber da kam ihnen eine neue Schar Republikaner entgegen.
»Hat! Wer ist das? Wohin?« rief der Führer derselben, indem er den Fliehenden den Degen vorhielt. – »Was wollen Sie, Orbejo?« antwortete Kurt. »Sehen Sie denn nicht, daß diese Señores friedliche Bürger sind?« – »Bürger? Der Teufel mag das glauben!« – »Ich kenne sie! Wollen Sie das etwa bezweifeln?« – »Ah, wer sind denn Sie selbst?«
Der Führer trat nahe an Kurt heran, um ihm in das Gesicht zu blicken, und erkannte ihn.
»Sie sind es, Señor Helmers?« sagte er. »Das ist etwas anderes. Aber was haben diese beiden Hidalgos denn hier zu suchen?« – »Sie sind vom Wein nach Hause gegangen und neugierig herbeigeeilt, als sie hier ein Geräusch vernahmen.« – »Das glaube ich, das richtige Geräusch. Aber sie mögen ein anderes Mal ihre Nase unter das Bett stecken und nicht in eine solche Art von Geräusch. Lassen wir sie laufen!«
Er entfernte sich nach dem Garten zu. Die Verstärkung war angekommen und drang in Masse vor.
»Fort, fort! Geschwind!« bat Kurt, indem er den Kaiser eine Strecke weiterzog.
Dort aber blieb Max stehen.
»Lassen Sie!« sagte er in wunderbarer Ruhe. »Ich sehe jetzt ein, daß ich Ihnen hätte Gehör schenken sollen. Prinzeß Salm hat mir von Ihnen erzählt, und auch da hatte ich keinen Glauben. Sie wollten mich retten und vermochten es nicht, denn Sie waren nicht so stark wie das Schicksal, dem ich zu gehorchen habe. Nehmen Sie den innigsten Dank und leben Sie wohl!«
Er drückte Kurt die Hand.
»Majestät, Gott schütze Sie besser, als ich es vermochte!« schluchzte der junge Mann.
Die beiden anderen verschwanden im Dunkel der Nacht. Kurt aber stand da und lauschte auf ihre Schritte, die er längst nicht mehr hören konnte. Da schlug ihn jemand mit der Faust auf die Schulter.
»Heda, Faulenzer! Was stehst du da und träumst? Auf zum Sieg! Hurra, die Republik! Hurra, Juarez! Hurra, Eskobedo und Hurra unser Velez!«
Da ergrimmte Kurt. Er hob den Arm und schmetterte den Mann nieder, als ob seine Faust ein Schmiedehammer sei.
»Da, Schreihals!« knirschte er. »Ich wollte, ich hätte in dir die ganze Menschheit zu Boden geschlagen. Fort, fort! Hier habe ich nichts mehr zu tun! Hier ist meines Bleibens keinen Augenblick länger!«
Er wandte sich um und stürmte der Ausfallpforte zu. Er traf gerade einen Augenblick, in dem niemand passierte, und gelangte in das Freie. Schweigend schritt er seinem Zelt zu.
Dort trat ihm der Kleine André entgegen.
»Endlich«, sagte dieser. »Wo ist der Kaiser?« – »Da drin«, antwortete Kurt, nach der Stadt deutend. – »Ist's nicht gelungen?« – »Pah! Es wäre gelungen, aber er wollte nicht!« – »Er wollte nicht? Gott, welche Torheit! Was wird Señorita Emilia dazu sagen! Nun kann ich ihn nicht retten! Aber, Herr Oberleutnant, warum wollte er denn eigentlich nicht?« – »Lassen Sie mich in Ruhe, sonst schlage ich auch Sie nieder!«
Kurt warf sich, unbekümmert um das, was draußen vorging, auf sein Lager und vergrub das Gesicht tief in die Decke. So lag er noch, als der Morgen anbrach, und so lag er noch am Mittag, als Sternau eintrat, um sich nach dem Grund des Fehlschlagens ihres Planes zu erkundigen. Auch er hatte vergebens gewartet und vergebens seine Relais gelegt.
Das Fort de la Cruz und die Stadt Querétaro befanden sich bereits beim Morgengrauen in Eskobedos Besitz, der überrascht herbeigeeilt war, als er hörte, daß die Seinigen ohne Schwertstreich eingedrungen seien.
Der von den Belagerern eng umschlossene und schon früher von ihnen fast zerstörte Cerro de las Campanas, den der Kaiser glücklich erreicht hatte, konnte sich nur wenige Stunden halten.
Um sieben Uhr sandte Max einen Parlamentär, um die Übergabe anzubieten, sie konnte nur auf Gnade oder Ungnade sein, und bereits um acht Uhr überlieferte er seinen Degen an den General Eskobedo.
So fiel Querétaro mit seiner ganzen Besatzung in die Hände der Sieger.
Kurz sei hier erwähnt, daß sich am neunzehnten Juni auch die Hauptstadt Mexiko an General Porfirio Diaz auf Gnade und Ungnade ergab, nachdem sich der schändliche Kommandant, General Marquez, heimlicherweise aus der Stadt geschlichen hatte. Und am siebenundzwanzigsten desselben Monats zogen die Scharen des Präsidenten siegreich auch in Verakruz ein.
So kam es, daß Juarez die von den Franzosen verhöhnte und besudelte Fahne Mexikos, die er bis nach Paso del Norte, dem äußersten Punkt des Reiches, gerettet hatte, triumphierend wieder in das Hochtal von Onahuak zurückbrachte und auf der Plaza mayor von neuem aufpflanzte.
Die Republik war im ganzen Bereich von Mexiko neu hergestellt, und die Autorität des Präsidenten Juarez wurde wieder anerkannt Der Kaisertraum war ausgeträumt und – der Kaiser selbst? Wir werden sehen!
Am fünfzehnten Mai berichtete General Eskobedo folgendes an den Kriegsminister des Präsidenten in San Luis Potosi:
»Lager vor Querétaro, am 15. Mai 1867. Heute morgen um drei Uhr haben die Truppen das Fort La Cruz genommen, indem sie den Feind an jenem Punkt überrumpelten. Kurz darauf wurde die Garnison des Platzes gefangengenommen und die Stadt durch unsere Truppen besetzt, während der Feind mit einem Teil der Seinigen sich auf den Cerro de las Campanas zurückzog, in großer Unordnung und von unserer Artillerie auf das wirksamste beschossen. Schließlich, etwa um die achte Stunde, ergab sich mir Maximilian auf Diskretion, ebenfalls auf dem erwähnten Cerro. Haben Sie die Güte, dem Bürger Präsidenten meine Glückwünsche zu diesem großen Triumph der nationalen Sache darzubringen!
General Eskobedo.«
In dieser Depesche ist allerdings der Verrat des Obersten Lopez nicht erwähnt, aber höhere, republikanische Offiziere pflegten, wenn darauf die Rede kam, diese Angelegenheit mit der Bemerkung abzutun: »Solche Leute benutzt man und gibt ihnen dann einen Fußtritt.«
Kaum war die Kunde erschollen, daß der Kaiser gefangen sei, so vereinigten die Vertreter fast aller Mächte sich in der eifrigsten Anstrengung zur Rettung des Gefangenen. Allein der Zapoteke schien taub zu sein. Wie konnte er auf die Vorstellung von Mächten hören, die seine Erniedrigung geduldet und das Kaisertum anerkannt hatten!
Der österreichische Gesandte in Washington wandte sich an die Regierung der Union mit der Bitte, um die Begnadigung des Kaisers nachzusuchen, und diese ging wirklich darauf ein. Aber der Zapoteke antwortete kurz:
»Ich gebe allerdings zu, daß der Prinz die Schuld eines anderen büßt, der weit schuldiger ist als er selbst, aber seine Invasion war ein Attentat auf die Unabhängigkeit meines Volkes, und daher ist es unmöglich, ihn zu begnadigen. Sollen wir in ihm den Mittelpunkt aller feindseligen Machinationen bestehen lassen? Es mag der Republik zum Ruhm gereichen, des Gefangenen Leben zu schonen, aber mit dieser Ansicht ist gegen die Logik der Notwendigkeit nicht aufzukommen.
Juarez.«
Am einundzwanzigsten Mai hatte der Kaiser eine Zusammenkunft mit Eskobedo. Er erbot sich, abzudanken, und verlangte dafür Leben und sicheres Geleit aus dem Land für sich, seine deutschen Offiziere und Soldaten und ebenso für Mejia und seinen mexikanischen Privatsekretär. Miramon wurde ausgeschlossen.
Juarez verwarf alle diese Punkte. Er hatte die Ansicht, daß ein gefangener Kaiser ohne Land und Volk ganz überflüssig von Abdankung spreche.
Und doch tat er noch einen Schritt, um Max zu retten. Er entzog nämlich den gegen diesen gerichteten Prozeß der gewöhnlichen Standrechtsübung und brachte denselben vor ein eigens zu diesem Zweck bestelltes Kriegsgericht.
Er wollte dadurch Zeit gewinnen, damit die Leidenschaften sich inzwischen abkühlen sollten. Währenddessen konnte er seinen Einfluß aufbieten, so daß von dem Kriegsgericht nicht auf Tod, sondern auf einfache Landesverweisung erkannt worden wäre. Diese Absicht wäre wohl erreicht worden, allein gerade derjenige, den er retten wollte, arbeitete ihm entgegen.
Max nämlich setzte ein Schriftstück auf, in dem er zu Gunsten des alten, schwachen Iturbide entsagte und die Herren Larez, Lakunza und Marquez zu Mitgliedern der Zwischenregierung ernannte, lauter Feinde des Präsidenten.
Außerdem wurden von verschiedenen Seiten Versuche unternommen, Max zu befreien. Dadurch wurde die Aufregung der Republikaner hochgradig erhalten, und Juarez sah sich gezwungen, nun endlich auf alles zu verzichten, was er zugunsten des Gefangenen hätte unternehmen können.
Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht begann am dreizehnten Juni seine Sitzungen. Die Anklage lautete auf Verschwörung, Usurpation und das an den rechtmäßigen Verteidigern begangene Verbrechen der Ächtung. Mitangeklagt waren Mejia und Miramon. Am vierzehnten Juni nachts elf Uhr wurde gegen alle drei der Todesspruch gefällt. Das Hauptquartier bestätigte dieses Urteil, das am sechzehnten vollzogen werden sollte, doch wurde den Verurteilten noch eine weitere Frist von drei Tagen bewilligt, damit sie Zeit fänden, ihre Angelegenheiten zu ordnen.
Dieser Aufschub wurde von dem preußischen Geschäftsträger, Herrn von Magnus, schleunigst benutzt, um doch noch das Leben Maximilians zu retten. Er sandte folgenden Protest an die Regierung des Präsidenten Juarez:
»An Seine Exzellenz Señor Sebastian Lerdo de Tejada! Heute in Queretaro angekommen, werde ich mir klar, daß die am vierzehnten dieses Monats verurteilten Gefangenen bereits am verflossenen Sonntag, dem sechzehnten, moralisch gestorben sind. So wird die ganze Welt es ansehen, denn da alle Vorbereitungen für jenen Tag getroffen waren, so warteten sie eine ganze Stunde darauf, zum Richtplatz geführt zu werden, ehe der die Urteilsvollstreckung aufschiebende Befehl ihnen angezeigt wurde. Der humane Geist unseres Zeitalters wird es nicht gestatten, daß sie, die einen so schrecklichen Todeskampf bereits bestanden haben, nun morgen zum zweiten Male zum Tode geführt werden sollen. Im Namen der Humanität und der Ehre beschwöre ich Sie, anzuordnen, daß ihnen das Leben nicht genommen werde, und ich wiederhole Ihnen nochmals meine sichere Überzeugung, daß mein Herrscher, Seine Majestät der König von Preußen, und alle gekrönten Häupter Europas bereitwilligst darauf eingehen werden, Eurer Exzellenz jede Bürgschaft zu stellen, daß keiner der Gefangenen jemals wieder den mexikanischen Boden betreten wird.« Es war zu spät. Die Antwort des Ministers lautete:
»Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß, wie ich Ihnen schon vorgestern anzeigte, der Präsident der Republik nicht der Ansicht ist, daß es sich mit den großen Rücksichten auf die Gerechtigkeit und auf die Notwendigkeit der Sicherstellung des zukünftigen Friedens der Republik vereinigen lasse, Maximilian von Habsburg zu begnadigen.«
Max hatte sich Tinte und Feder bringen lassen und schrieb in der letzten Nacht einen Brief an seine Frau und einen an seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Der erste lautete:
»Meine vielgeliebte Charlotte!
Wenn Gott es zuläßt, daß Du eines Tages genesest und diese Zeilen liest, so wirst Du die ganze Grausamkeit des Schicksals erkennen lernen, das mich ununterbrochen schlägt seit Deine Abreise nach Europa. Du hast mit Dir mein Glück und meine Seele fortgeführt. Warum habe ich Deine Stimme nicht gehört! So viele Ereignisse, ach, so viele plötzliche Schläge haben die Fülle meiner Hoffnungen zerstört, so daß der Tod für mich eine glückliche Befreiung und keine Agonie ist. Ich werde glorreich fallen wie ein Soldat, wie ein besiegter König, nicht entehrt. Wenn meine Leiden zu heftig sind, wenn Gott mich bald mit Dir vereinigt, so werde ich seine göttliche Hand segnen, die uns schwer getroffen hat. Adieu, adieu!
Dein armer Max.«
Diesem Brief legte er eine Haarlocke bei, die ihm die Frau seines Kerkermeisters abgeschnitten hatte. Er küßte sie und steckte sie in das bereits geschlossene Kuvert.
Ganz verschieden nun war das Verhalten der beiden übrigen Gefangenen.
Der treue Mejia war in Beziehung auf sich ganz entzückt über das Todesurteil. Er war ein Indianer, der eine Klage über körperliches Leid und Wehe gar nicht kennt, und für den es der größte Ruhm ist, für seinen Freund, den er liebt, zu sterben.
Anders bei Miramon.
In jener Nacht des Überfalles war er erschrocken aufgewacht und hatte nach Oberst Lopez gesandt. Dieser war auch wirklich kurze Zeit darauf erschienen.
»Was geschieht? Welch ein Lärm ist das?« hatte Miramon gefragt.
Lopez hatte kaltblütig die Achsel gezuckt und geantwortet:
»Die Republikaner sind in der Stadt.« – »Alle Teufel! Sind sie Sturm gelaufen?« – »Nein.« – »Wie sind sie denn hereingekommen?« – »Niemand weiß es.« – »Wer führt sie an?« – »Velez.« – »Ich denke, daß er erst in drei Tagen kommt!« – »Er hat Ihnen nicht Wort gehalten, wie es scheint.«
Der Ton, in dem diese Antworten gegeben wurden, hatte den General frappiert. Er hatte geahnt, was vorgegangen sei.
»Aber Ihnen hat er desto mehr Wort gehalten?« – »Das müßte man untersuchen.« – »Verräter!« hatte Miramon gezischt. – »Pah! Was sind denn Sie? Soll ich bekanntgeben, daß Sie mich beauftragten, mit dem General Velez zu verhandeln? Sie haben sich in Ihrer eigenen Schlinge gefangen und werden ganz dasselbe Schicksal erleiden, das Sie dem Kaiser bereiten wollten.«
Damit war er davongegangen.
Miramon hatte sich bewaffnet, fand aber, daß aller Widerstand nutzlos sei. Er war, ebenso wie Mejia, mit dem Kaiser gefangengenommen worden.
Seit dieser Zeit saß er finster brütend in seinem Gefängnis.
Er war ein Feind von Juarez gewesen, hatte diesen stürzen wollen und doch gefühlt, daß er nicht die Kraft besitze, dies allein zu vollbringen. In Mexiko einen Verbündeten zu finden, war ihm unmöglich gewesen, und so war ihm der Gedanke gekommen, Juarez durch einen Fremden zu stürzen, dessen Herrschaft ja auch nur auf kurze Zeit berechnet sein konnte – er hatte zu denjenigen gehört, die die Kaiserkrone gemacht und dem Erzherzog von Österreich gebracht hatten. Dieser Prinz war, wie das Werkzeug Napoleons, so auch das seinige gewesen.
Seit Maxens Einzug in Mexiko hatte Miramon für einen Anhänger desselben gegolten, war aber im stillen bemüht gewesen, nur für sein eigenes Interesse zu handeln. In der Überzeugung der jedenfalls nur kurzen Dauer des Kaiserreiches hatte er im trüben gefischt; aber seine Rechnung war an der Zähigkeit und Ausdauer Juarez' gescheitert. Diesen zu stürzen, hatte er alles aufgeboten, aber es war ihm nicht gelungen. Seine letzte Falle war der Verrat an dem Kaiser gewesen – er hatte sich selbst in derselben gefangen.
Jetzt nun sah er ein, daß alles verloren sei. Einen einzigen Hoffnungsstrahl hatte er zu sehen geglaubt, die Begnadigung des Kaisers. Wäre diese ausgesprochen worden, so hätte man auch die Generäle dessen, den man Usurpator nannte, nicht töten können. Es wäre nur eine Verbannung ausgesprochen worden, die Miramon Gelegenheit gegeben hätte, seine feindselige Rolle von neuem aufzunehmen.
Dieses war es, was jedenfalls auch mit in Betracht gezogen wurde, als der Gedanke an die Begnadigung des Kaisers zur Sprache kam.
Man hätte nicht nur in Max einen immerwährenden Prätendenten der mexikanischen Herrschaft gehabt, sondern es wären in Miramon und Konsorten Männer am Leben geblieben, die als ewige Ruhestörer eine stete Aufmerksamkeit erregt und eine immerwährende Sorge bereitet hätten.
Auch dies müssen diejenigen bedenken, die einen Schrei der Entrüstung ausstießen, als sie die Kunde von dem Tode des Kaisers vernahmen.
Also jetzt saß Miramon, aller, auch der letzten Hoffnung bar, im Gefängnis. Nicht Reue war es, die über ihn kam, sondern ein Gefühl des Hasses, der Wut gegen Lopez, der ihn betrogen hatte. Und aus Rache gegen diesen Verräter ließ Miramon einen der Untersuchungsrichter kommen und vertraute ihm an, was Lopez getan hatte.
»Zu welchem Zweck sprechen Sie zu mir von dieser obskuren Angelegenheit?« fragte der Richter. – »Ich hege die Hoffnung, daß Sie meine Mitteilung dem Kaiser vermitteln werden«, antwortete Miramon. – »Welchen Nutzen könnte er davon haben? Er hat nur noch wenige Stunden zu leben.« – »Den Nutzen, daß er wenigstens weiß, wem er sein gegenwärtiges Schicksal zu verdanken hat.« – »Er weiß dies bereits.« – »Ah, er hat von Lopez' Verrat gehört?«
Der Richter antwortete nicht gleich. Er hielt den strengen Blick auf Miramon gerichtet und antwortete dann:
»Er weiß allerdings, daß unsere Truppen nicht dadurch in die Stadt gekommen sind, daß sie das Fort de la Cruz erstürmt haben.« – »Sondern daß sie von einem der Unseligen verräterischerweise eingelassen worden sind.« – »Ja, aber der Kaiser weiß auch, wie wir alle, daß Lopez eigentlich nur das Werkzeug eines kaiserlichen Generals war.«
Miramon gewann es über sich, eine gleichgültige Miene zu heucheln, und sprach:
»Das ist mir neu, das ist mir höchst unwahrscheinlich. Jedenfalls eine Erfindung des Lopez, um seine Tat zu beschönigen.« – »Sie irren! Es kann Lopez nicht einfallen, von dieser Tat zu sprechen, also hat er gar keine Gelegenheit, dieselbe zu beschönigen, wie Sie sich auszudrücken belieben.« – »Dennoch möchte ich den Namen dessen kennen, in dessen Auftrag er gehandelt haben soll.« – »Sie kennen diesen Namen besser als jeder andere.« – »Ich?« fragte Miramon mit gut gespieltem Erstaunen. – »Ja, Sie, denn Sie sind es selbst!«
Da wollte Miramon zornig auffahren.
»Ich?« rief er. »Was fällt Ihnen ein?«
Der Richter machte eine abwehrende, verächtliche Handbewegung und sagte:
»Schweigen wir darüber.« – »Nein, Señor, schweigen wir nicht darüber! Es kann nicht die Rede davon sein, daß ich einen so krassen, so entehrenden Vorwurf auf mir sitzen lasse.« – »Und dennoch wird er auf Ihnen sitzen bleiben. Wir kennen die Unterredung, die Sie mit Lopez geführt haben, sehr genau.« – »Ich habe keine auf diesen Gegenstand bezügliche Unterredung mit ihm gehabt. Und selbst wenn eine solche stattgefunden hätte, wer könnte sie Ihnen verraten haben?« – »Der, welcher zugegen war.« – »Lopez selbst?« – »Nein. Dieser wird sich hüten, ein Wort darüber zu verlieren!« – »Wer aber sonst?« – »Ich will es Ihnen sagen, obgleich ich das nicht notwendig habe. Der General, der mit Ihnen in eine heimliche Unterhaltung getreten war, ist als ein schlauer und vorsichtiger Mann bekannt ...« – »Welchen General meinen Sie?« – »Namen sind nicht notwendig. Und überdies sind Sie ja wenigstens ebensogut unterrichtet wie ich selbst. Dieser Offizier wußte ganz genau, welche Gefahren ein solches geheimes Verhältnis mit sich bringen kann. Er mußte sich überzeugen, ob Sie es ehrlich meinten, und es gelang ihm, einen Mann zu gewinnen, der sich in Ihrer unmittelbaren Nähe zu befinden pflegte.« – »Alle Teufel! Wer ist das?« fragte Miramon zornig. – »Ich wiederhole, daß ich Namen nicht nenne.« – »So erkläre ich dieses Gerücht für eine niederträchtige und armselige Lüge!« – »Leugnen Sie nicht!« meinte der Richter in strengem Ton. – »Señor!« brauste Miramon auf. – »Pah!« erklang es im Ton der Verachtung. »Ihr Zuruf kann nicht die mindeste Wirkung haben. Man weiß, was geschehen ist. Wenn man die drei Personen nach der Richtstätte führt, wird man Max bemitleiden, den treuen Mejia bewundern und Sie ver... ah, erlassen Sie mir das Wort auszusprechen, das Sie sich ja selbst sagen können.«
Dabei drehte sich der Richter um und verließ das Gefängnis.
Miramon blieb in einer fürchterlichen Stimmung zurück.
»Ver- verachten, Sie aber wird man verachten, hat dieser Mensch gemeint. Das bietet er mir! Oh, wäre ich frei! Ich wollte diese Kreatur des Zapoteken lehren, mich zu verachten!«
Er war unfähig, Reue zu fühlen, und auch der Zuspruch des Beichtvaters, der ihm gewährt worden war, brachte ihn nicht dazu.
Ein amerikanischer Bericht vom 30. Mai hatte gesagt: »Morgen werden wahrscheinlich Maximilian und seine vornehmsten Generäle zum Tode durch Pulver und Blei verurteilt werden.«
Man sieht aus diesem und ähnlichen Berichten, daß man über das Schicksal der Gefangenen selbst im Ausland nicht im Zweifel war. Eine jede Regierung besitzt das Recht, denjenigen, der durch Gewalt oder List ihre Fundamente zu untergraben strebt, als Verräter oder Empörer zu bezeichnen oder zu bestrafen. Von diesem Standpunkt aus war das bereits allerwärts vorher geweissagte Todesurteil ausgesprochen worden, und heute, am 19. Juni, sollte dasselbe auf dem östlich vor der Stadt gelegenen Cerro de las Campanas vollzogen werden.
Max hatte die ihm von Kurt gebotene Rettung verschmäht; er war nach dem Cerro geflohen und hatte damit aus eigener Entschließung den ersten Schritt ins Grab getan.
*
Am Morgen des angegebenen Tages herrschte in Queretaro eine dumpfe Stille, obgleich kein Mensch schlief, sondern alle Welt wach und auf den Beinen war. Der Mexikaner pflegt sich überhaupt sehr früh vom Lager zu erheben, und so waren die Teile der Stadt, durch die der Zug kommen mußte, bereits vor sechs mit Tausenden und aber Tausenden bedeckt.
Bürger, Soldaten, Vaqueros zu Pferde und zu Fuß, Indianer und Weiße, Neger, Mestizen, Mulatten, Terzeronen, Quarteronen, Chinos, überhaupt Menschen in allen Farben und Trachten standen wartend auf den Plätzen oder schoben sich in dichter Menge schweigend durch die Straßen, um die Hinrichtung eines Kaisers zu sehen.
Es war nicht das Gefühl wilder Befriedigung, das aus den Augen dieser meist nur halb zivilisierten Menschen leuchtete; nein, in ihren ernsten Gesichtern sprach sich eine Teilnahme aus, die auch der Barbar dem Unglück nicht versagen sollte.
Man redete nicht laut. Wo man sich unterhielt, da geschah es im Flüsterton. Es war, als ob man sich in der Kirche oder in einem Trauerhaus befände.
Um sieben Uhr wurden die Gefangenen aus den Zellen geholt.
Für einen jeden war ein von einer starken Eskorte umgebener Wagen bestimmt und ein starkes Holzkreuz, an das gelehnt er die Kugel empfangen sollte.
Auf der Hauptstraße trafen die drei Wagen zusammen und fuhren dann, langsamen Schrittes und von einer ungeheuren Menschenmenge gefolgt, dem Richtplatz zu.
Der Zug wurde von einer Schwadron Lanciers eröffnet. Dann kam die Musik, die einen Trauermarsch spielte. Das Spalier bildete eine Bataillon Infanterie, das Gewehr im Arm, in zwei Reihen zu je vier Mann.
Als der Zug die hohe Spitalpforte erreichte, warf Mejia einen herausfordernden Blick auf die Menge und rief mit lauter Stimme dem Kaiser zu:
»Majestät, geben Sie uns zum letzten Male ein Beispiel Ihres edlen Mutes! Wir folgen Ihnen in Tod und Grab!«
Gerade in diesem Augenblick zogen die Franziskaner vorüber. Die beiden Vordersten trugen das Kreuz und das geweihte Wasser, die anderen hielten Kerzen in den Händen.
Jeder der drei Särge, die den Verurteilten folgten, wurde von vier Indianern getragen. Dann kamen die drei Hinrichtungskreuze nebst den Bänken.
In den Augen Maximilians lag während des ganzen Weges ein Ausdruck, den niemand vergessen kann, der den verratenen und verlassenen Kaiser in seiner letzten Stunde geschaut hat.
Sobald sein Wagen den Hauptplatz verlassen hatte, wandte er das große Auge mit unverwandtem Blick nach Osten, wo die Heimat lag und alles, alles, was er verlassen hatte, um einem Trugbild zu folgen, das ihn in das nun offene Grab führen sollte. Dort drüben über der See lag auch Miramare, wo die Kaiserin gestörten Geistes durch die Gemächer und die Gärten irrte, nichts von all der Herrlichkeit bemerkend, durch die sich dieser Edelsitz vor anderen auszeichnet.
Ein schmerzvolles Lächeln umspielte seine Lippen. Die eine blasse Hand lag ruhig auf dem Polster des Wagens, während die andere leise den schönen, vollen Bart strich.
Als der Zug den Richtplatz erreichte, wurde die Menge zurückgehalten, und die Truppen bildeten ein Viereck, das nach einer Seite zu offen blieb.
Eskobedo, der die Exekution selbst befehligte, näherte sich mit seinem Stab den drei Wagen und befahl den Gefangenen auszusteigen.
»Vamos nos a la liberdad – sterben wir für die Freiheit!« sagte Max mit einem Blick in die aufgehende Sonne, die ihm zum letzten Male leuchten sollte. Dann zog er seine Uhr und ließ eine daran angebrachte Feder spielen. Es sprang ein Deckel auf, der das Miniaturporträt der Kaiserin Charlotte barg. Er küßte das Bild und reichte dann die Uhr dem Beichtvater mit der Bitte:
»Überbringen Sie dieses Andenken meiner geliebten Gattin in Europa. Sollte dieselbe Sie jemals verstehen können, so sagen Sie ihr, daß meine Augen sich schließen mit ihrem Bildnis, das ich mit nach oben nehme!«
Die Sterbeglocken hallten dumpf zusammen. An der starken, äußeren Kirchhofmauer hielten die Verurteilten, denen ihre Plätze angewiesen wurden. Maximilian schritt in fester, aufrechter Haltung nach dem Holzkreuz und der Bank, die man für ihn neben dem geöffneten Grab aufgestellt hatte. Mejia tat desgleichen. Miramon aber wankte. Sein Auge irrte, wie nach Hilfe suchend, über die Höhe und in die Ebene hinaus.
Jetzt wurden das Todesurteil und die Gründe verlesen, und dann erteilte man den Gefangenen die Erlaubnis, noch einmal zu sprechen. Miramon stammelte einige Worte. Mejia machte eine stolze Handbewegung als Zeichen, daß er auf diese Gnade verzichte. Aber der Kaiser ergriff die Gelegenheit, zum letzten Male auf Erden seine Stimme öffentlich hören zu lassen.
Man hat viel über seine letzten Worte gefabelt; man hat ihm Reden in den Mund gelegt, die die Zeit einer ganzen Viertelstunde in Anspruch genommen hätten, sie sind erfunden. Nach authentischen Berichten trat er einen Schritt vor und sagte mit lauter, fester Stimme:
»Ich sterbe für eine gerechte Sache, die der Freiheit und Unabhängigkeit Mexikos! Möge mein Blut das Unglück meines Vaterlandes auf immer besiegen! Es lebe Mexiko!«
Diese Worte fanden keinen Widerspruch, aber auch nicht den leisesten Widerhall.
Nun wurden drei Pelotons kommandiert, ein jedes aus fünf Mann und zwei Unteroffizieren bestehend. Sie näherten sich den Verurteilten auf drei Schritte.
Der Kaiser winkte den Feldwebel, der die Pelotons befehligte, zu sich heran, zog eine Hand voll Goldstücke hervor und sagte:
»Verteilen Sie dies nach meinem Tode unter Ihre Leute, und sagen Sie ihnen, daß sie nach meinem Herzen zielen sollen. Auf die Brust! Zielt nach meinem Herzen! Zielt gut!«
Der Feldwebel trat zurück und ebenso der Kaiser. Die geladenen Gewehre wurden erhoben. Miramon sank auf die Bank nieder, wo er kraftlos sitzen blieb. Die Franziskaner legten ihm die Arme kreuzweise übereinander. Der Kaiser umarmte Mejia. Dieser erwiderte die Umarmung schluchzend und mit einigen Worten, die niemand verstehen konnte. Dann kreuzte der treue, tapfere General die Arme über der Brust, die Kugeln mutig erwartend.
Der Bischof trat hierauf zu Maximilian und sagte:
»Majestät, geben Sie in meiner Person dem Land und Volk von Mexiko den Kuß der Versöhnung. Mögen Sie im letzten Augenblick allen und alles verzeihen!«
Max ließ sich umarmen und küssen. Er war tief erregt. Er wußte, was der Bischof meinte. Ein innerer Kampf folgte, dann aber sagte er laut:
»Sagen Sie Lopez, daß ich ihm seinen Verrat verzeihe!«
Viele von den Umstehenden weinten, und selbst diejenigen, die keine Tränen hatten, waren sichtlich gerührt. Was Eskobedo fühlte, konnte kein Mensch erraten. Sein Gesicht war ernst und unbeweglich. An ihn wandte sich Max mit den Worten:
»A la disposition de usted – ich stelle mich zu Ihrer Verfügung!«
Bei diesen Worten lehnte er sich aufrecht an das Kreuz, das für ihn bestimmt war. Der Feldwebel blickte auf Eskobedo. Dieser nickte mit dem Kopf und gebot:
»Adelante – vorwärts!«
Die Schützen traten an. Ein entblößter Degen hob sich, und die Gewehrläufe senkten sich, der Degen hob sich abermals, die Schüsse krachten, die Hörner gellten, und die Trommeln wirbelten.
Der Kaiser fiel, durch das Herz getroffen, auf das Kreuz, an das er sich gelehnt hatte. Man hob ihn auf und legte ihn sofort in den Sarg.
Miramon war schwerfällig in den Sand gerollt, aber tot. Mejia blieb stehen und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er war schlecht getroffen. Einer der Unteroffiziere trat zu ihm heran, hielt ihm die Mündung seines Gewehres hinters Ohr und drückte ab. Dieser Schuß aus nächster Nähe streckte den treuen Mann zu Boden.
»Libertad y independencia – Freiheit und Unabhängigkeit«, erscholl es über die drei Särge hinweg.
Dies war die Grabrede, die die mexikanische Nation dem toten Kaiser und seinen vornehmsten Generalen hielt.
Am dreißigsten Juni erhielt der Kaiser von Österreich, der sich in München aufhielt, die Botschaft von der Hinrichtung Maximilians. Das »Neue Wiener Fremdenblatt« berichtete über den Tod des Erschossenen:
*
»Kaiser Maximilian von Mexiko ist tot! Aus dem kühnen Zug eines geistvollen Prinzen ist ein Trauerspiel geworden, so grandios, wie es noch in dem Sinne keines Dichters entstand. Der Kaiser, ausgezogen, um ein Werk der Zivilisation zu vollbringen, liegt nun, von seinen Feinden erschossen, auf den Feldern von Mexiko, und die Kaiserin sitzt wahnsinnig auf dem Schloß zu Miramare. Fürwahr, die Geschichte hat der kommenden Generation da eines ihrer geheimnisvollsten Rätsel aufgegeben!
Wir aber sagen:
So starb Maximilian von Österreich. Er war wert, für eine bessere Sache zu sterben; er hat dies durch sein Verhalten in den letzten Tagen seines Lebens bewiesen.«