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7. Kapitel.

Kurt schlich sich durch das geöffnete Klostertor und schritt den Weg hinab. Unten angekommen, war es ihm, als ob er ein leises Waffengeklirr vernehme. Er blieb also stehen und horchte aufmerksam in das Dunkel hinein. Da rief es so nahe neben ihm, daß er fast erschrocken zusammenfuhr:

»Halt! Werda?« – »Gut Freund«, antwortete er. – »Die Losung?« – »Miramara!« – »Gut! Du bist der richtige. Komm!«

Kurt wurde beim Arm gepackt und eine ziemliche Strecke vom Weg seitwärts abgeführt. Dort sah er trotz der Dunkelheit zahlreiche Männer und Pferde stehen. Eine Gestalt trat ihnen entgegen und fragte:

»Ist er da?« – Ja, hier«, antwortete der Mann, der Kurt geführt hatte. – »Wer bist du?« fragte die Gestalt. – »Ich hoffe, daß Ihr es bereits wißt«, antwortete der Gefragte. – »Allerdings. Ich frage nur der Sicherheit wegen.« – »Mein Name ist Manfredo.« – »Verwandt mit ...« – »Neffe des Paters Hilario.« – »Das stimmt. Ist oben das Tor offen?« – »Nein.« – »Donnerwetter! Warum nicht?« – Ich würde schön ankommen, wenn ich es öffnen wollte!« – »Bei wem denn?« – »Beim Kommandanten.« – »Ist denn ein Kommandant da oben?« – »Natürlich.« – »Aber davon wurde mir ja gar nichts gesagt!« – »Das läßt sich denken. Die Kerle sind ja erst seit Mitternacht dort oben.« – »Welche Kerle?« – »Nun, die Republikaner.« – »Alle Wetter! Leute des Juarez?« – Ja.« – »Wie viele?« – »Fünfzig Mann.« – »Was wollen sie denn im Kloster?« – »Hm. Ob sie Wind bekommen haben? Der Anführer fragte nämlich in einem höhnischen Ton, ob wir vielleicht heute nacht Besucht erwarteten.« – »Ah! Sie haben eine Ahnung. Aber sein Hohn soll ihm schlecht bekommen. Wir werden hinaufreiten und die Kerle zusammenhauen.« – »Wenn das nur ginge, Señor.« – »Warum soll das nicht gehen?« – »Könnt Ihr durch die Mauern oder durch verschlossene Tore reiten?« – »Das nicht; aber wir können verschlossene Tore aufsprengen.« – »Und sich vorher von denen, die dahinter stehen, erschießen lassen.« – »Pah! Es sind nur fünfzig Mann!« – »Aber diese fünfzig Mann hinter Mauern sind mehr zu fürchten als die zehnfache Zahl im offenen Feld.« – »Das ist wahr. Verdammt! Ich habe Befehl, mich des Klosters auf alle Fälle zu bemächtigen.« – »Und ich habe den Befehl, Euch auf alle Fälle hinzubringen.« – »Das ist nun doch nicht möglich.« – »Warum nicht?« – »So gibt es wohl eine Pforte, die nicht besetzt oder bewacht ist?« – »Das nicht. Aber diese klugen Republikaner haben vergessen, daß alte Klöster geheime, unterirdische Gänge zu haben pflegen.« – »Alle Teufel! Gibt es hier einen?« – »Ja.« – »Ist er gefährlich?« – »Ganz und gar nicht. Ihr kommt durch denselben in das Innere des Klosters, ohne von einem einzigen Menschen bemerkt zu werden. Die Republikaner kampieren im Hof und Garten.«

Der Anführer stieß ein kurzes, befriedigtes Lachen aus.

»Welch eine Überraschung«, meinte er, »wenn es Tag wird, und sie sehen uns als Herren des Platzes, den sie verteidigen sollen! Wo ist der geheime Eingang?« – »Gar nicht weit von hier, da links hinüber.« – »Aber wir brauchen Laternen.« – »Nur zwei, und die sind vorhanden.« – »So führe uns! Aber was wird mit den Pferden?« – »Laßt einige Leute hier bei ihnen. Wenn ich Euch an Ort und Stelle gebracht habe, kehre ich zurück und bringe sie an einen sicheren Ort.«

Der Anführer hegte nicht das mindeste Mißtrauen. Er handelte ganz nach Kurts Vorschlägen.

Als die lange Kolonne in den Steinbruch kam, tönte ihnen ein Halt entgegen.

»Guter Freund«, antwortete Kurt. – »Die Losung?« – »Miramara.« – »Alles in Ordnung!« – »Donner und Doria! Wer ist das?« fragte der Anführer. – »Ein Kamerad von mir. Wir müssen doch wenigstens zweie sein, um Euch zu führen.« – »Hm. Ist der Kerl sicher?« – »Das seht Ihr aus dem Umstand, daß er die Losung kennt.« – »Mag sein. Wo ist der Eingang?« – »Hier«, antwortete Sternau, indem er in das Loch trat und die Blendlaterne öffnete, um ihren Schein auf die Umgebung fallen zu lassen. Eine zweite Laterne reichte er Kurt hin. – »Wer geht voran?« fragte der Offizier. – »Ich«, meinte Kurt. – »Und dieser da hinterher?« – »Ja.« – »Da haben wir zu wenig Licht; aber es ist zu spät, dies abzuändern. Vorwärts also!«

Kurt stellte sich an die Spitze und betrat den Gang. Der Anführer folgte gleich hinter ihm. Langsamen Schrittes setzte sich der Zug, einer hinter dem anderen, in Bewegung, aus einem Gang in den anderen.

Nach kurzer Zeit wurde derjenige erreicht, wo die Explosion vor sich gehen sollte. Kurt hatte ihn schon ganz durchschritten und stand an der Tür, die Sternau offengelassen hatte. Nur noch ein Schritt, so hatte er den Gang hinter sich, und es war ihm möglich, das Pulver anzubrennen. Daß dies an der rechten Seite des Ganges hart an die Mauer gestreut werden solle, hatte er mit Sternau ausgemacht.

Dieser letztere war jedenfalls noch zurück und hatte, hinter dem Zug hergehend, den Gang noch gar nicht erreicht. Um Zeit zu gewinnen, hielt Kurt das Windloch seiner Laterne zu, und sofort verlöschte dieselbe.

»Donnerwetter! Was machst du denn?« fragte der Offizier. – »Nichts. Ich bin nicht schuld«, antwortete Kurt, »Es kam ein Zug durch die Tür her.« – »Hast du Hölzer?« – Ja.« – »So brenne wieder an.«

Kurt kauerte sich nieder, als ob das Licht sich in dieser Stellung besser anbrennen lasse und strich das Hölzchen an. Beim Aufflackern desselben erkannte er deutlich den Pulverstrich, den Sternau gestreut hatte.

»Manfredo«, rief es glücklicherweise in diesem Augenblick von hinten her. – »Ja«, antwortete er.

Zugleich hielt er die Flamme des Hölzchens an das Pulver. Ein blaugelber Blitz zuckte von den beiden Enden des Ganges nach dem Mittelpunkt zu. Kurt sprang zur Tür hinaus, warf dieselbe zu und schob die Riegel vor. Dann erst brannte er die Laterne wieder an und lauschte.

Er hörte hinter der Tür ein wirres Rufen und Fluchen, es folgte ein vielstimmiges Ächzen, das nach und nach verstummte, und dann ward es still. Das Pulver hatte seine Wirkung getan.

Jetzt eilte Kurt nach oben, um Hilfe zu holen. Grandeprise, Gerard, André, die Indianerhäuptlinge, kurz alle außer Don Ferdinando, der zu schwach war, folgten ihm. Sie mußten sich, an Ort und Stelle angelangt, in vorsichtiger Entfernung halten, um, als Kurt die Tür öffnete, von dem Geruch nicht erreicht zu werden. Nach einiger Zeit jedoch hatte sich derselbe so weit verflüchtigt, daß man zu den Gefangenen konnte.

»Kurt«, rief es von hinten.

Es war Sternau, der die Laternen da vorn gesehen hatte. »Ja«, antwortete der Angerufene. – »Gelungen bei dir?« – »Ja.« – »Dann schnell entwaffnen und sie wieder einschließen.« Dies wurde in aller Eile besorgt, während Sternau von seiner Seite beschäftigt war, den Eingang im Steinbruch wieder zu maskieren. Als er zu den anderen kam, waren diese fertig.

»Das ist ein Streich«, meinte der Kleine André. »Den werden diese Kerle gewiß nie vergessen.« – »Wir sind noch nicht fertig«, entgegnete Sternau. »Wo hat man die Pferde gelassen?« – »Unten, unweit des Weges«, antwortete Kurt. – »Wie viele Männer sind bei ihnen?« – »Da es dunkel war, konnte ich sie nicht zählen.« – »Viele können es nicht sein. Wir werden es mit ihnen kurz machen.« – »Sie überfallen?« fragte Andre. – »Ja.« – »Ich würde einfacher verfahren«, meinte Kurt. – »Wie?« – »Ich gehe hinab zu den Wärtern und sage, daß wir glücklich im Kloster angekommen sind und die Republikaner überwältigt haben.« – »Du denkst, sie werden dir mit den Pferden folgen und uns so von selbst in die Hände laufen?« – »Ja.« – »Hm. Möglich wäre es, daß sie dumm genug sind. Mit unseren Kavalleriepferden brächten sie es nicht fertig; die mexikanischen Tiere aber folgen wie die Pudel, wenn sie einmal eingeritten sind. Versuche es!«

Nach kurzer Zeit verließ Kurt das Kloster durch das Tor und schritt, laut pfeifend, den Weg hinab. Unten angekommen, bog er nach der Stelle ab, wo er die Pferde wußte.

»Na, da bin ich endlich«, meinte er in übermütigem Ton. – »Kerl, was fällt dir ein«, antwortete einer der Leute. – »Was denn?« – »So laut zu pfeifen.« – »Warum soll ich das nicht?« – »Du machst ja die Republikaner droben auf uns aufmerksam.« – »Fällt mir nicht ein.« – »Sie müssen es doch hören.« – »Pah! Die hören mein Pfeifen nicht. Sie stecken alle im Keller.« – »Was? Wie? Ist es wahr?« – »Natürlich. Wir haben sie ausgezeichnet überrumpelt. Sie ahnten nichts und waren entwaffnet, ehe sie Widerstand zu leisten vermochten.« – »Das ist gut. Hurra, das ist gut! Hört Ihr es, Ihr anderen?«

Diese kamen herbei und jubelten mit, als sie die freudige Botschaft hörten. Einer fragte:

»Was tun denn nun die Kerle da oben?« – »Oh, die vertreiben sich die Zeit. Sie sitzen im Saal und schmausen oder sind im Keller bei den großen Stückfässern.« – »Diese Lumpen! Und was haben wir?« – »Ihr sollt hier bei den Pferden bleiben.« – »Wer sagte das? Etwa der Oberst?« – »Nein, der sitzt beim Arzt und säuft. Ein anderer sagte es.« – »Was andere sagen, geht uns nichts an. Wenn andere essen und trinken, so wollen wir es auch. Ist der Klosterhof groß?« – »Ja.« – »Faßt er diese Zahl von Pferden?« – Hm, noch viel mehr.« – »So reiten wir hinauf.« – »Das geht ja nicht.« – »Warum nicht?« – »Die Pferde werden Euch nicht nachlaufen.« – »Kerl, was verstehst du als Neffe eines alten Pfaffen von den Pferden! Diese Tiere werden uns ganz prächtig folgen. Kannst du reiten?« – »Ein wenig.« – »So steig auf das erste beste Pferd und zeige uns den Weg.« – »Gut. Aber ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn Ihr da droben nicht so aufgenommen werdet, wie Ihr es denkt.« – »Rede nicht, sondern gehorche!« – »Meinetwegen!«

Kurt stieg auf und ritt voran. Die Pferde folgten wirklich. In der Wildnis folgt jedes Tier dem Leithengst, und diese Pferde waren ja noch halb wild.

Droben angekommen, gab Kurt das Zeichen. Das Tor wurde geöffnet, und sie ritten in den Hof, wo nur eine einzige Laterne brannte. Das Tor aber schloß sich hinter ihnen. Als die Leute den Hof so dunkel und menschenleer sahen, fragte einen

»Nun, wo sind denn die Kameraden?« – »Kommt nur hinter, in den zweiten Hof«, antwortete Kurt, »da könnt Ihr Euch eine Güte tun.«

Sie stiegen ab und folgten ihm. Allerdings war dieser andere Hof besser erleuchtet, aber kaum eingetreten, wurden sie umringt und entwaffnet, ohne daß es nur einer von ihnen zustande gebracht hätte, das Messer zu ziehen oder ein Pistol abzufeuern.

Jetzt erst konnte man sagen, daß der Handstreich vollständig gelungen sei. Helmers war stolz auf seinen Sohn, er sah ja, was für ein tüchtiger Kerl derselbe geworden war.

Nachdem die Gefangenen in Sicherheit gebracht worden waren, wurde der Alkalde geweckt und geholt. Er mußte ein Protokoll über alles, was geschehen war, anfertigen und gab gern seine Erlaubnis dazu, daß die beiden Cortejos, Josefa und Landola so lange in ihrem Klosterkeller bleiben sollten, bis Juarez eine andere Bestimmung getroffen habe.

Sodann wurde beraten, was nun geschehen solle.

Es war klar, daß der erste gerichtliche Akt in Angelegenheit der Familie Rodriganda hier in Mexiko spielen müsse. Das aber konnte nicht eher geschehen, als bis geordnetere Verhältnisse eingetreten waren. Die Franzosen waren fort, und der Kaiserthron wankte bereits so sehr, daß er jeden Augenblick einstürzen konnte. Dann erst war auf die kräftige Hilfe Juarez' zu rechnen.

Darum wurde nach längerer Besprechung beschlossen, daß Kurt, Sternau, Geierschnabel, Gerard, Büffelstirn und Bärenherz sich zu Juarez begeben sollten, auch der Kleine André setzte es durch, mitgehen zu dürfen. Die anderen aber sollten zurückbleiben, um dafür zu sorgen, daß keiner der vier so wichtigen Gefangenen entkomme. Peters blieb auch zurück. Die beiden Vaqueros wurden aus der Venta geholt, und nachdem sie alles erfahren und gesehen hatten, ritten sie nach der Hazienda zurück, um dort die frohe Botschaft auszurichten, daß alle, alle gerettet seien.

Mariano sehnte sich zwar, auch mit zu Juarez zu gehen, da Lindsay und Amy sich bei demselben befanden, aber die Rücksicht auf die höchst angegriffene Gesundheit Don Ferdinandos, seines Oheims, nötigte ihn, bei demselben zu bleiben.

Der Vormittag war noch nicht vergangen, so kam Geierschnabel den Klosterweg herangaloppiert und meldete, daß der Major in eigener Person mit zweihundert Lanzenreitern aufgebrochen sei und ihm auf dem Fuß folge.

Als einige Minuten später diese Truppe anlangte, erinnerte Sternau sich allerdings, diesen Offizier am Rio Grande del Norte bei Juarez bereits gesehen zu haben. Dieser war nicht wenig erstaunt, als er hörte, was geschehen war und auf welche Weise man sich der Feinde bemächtigt hatte.

Er bestimmte, daß die Gefangenen bis auf weiteres hier verbleiben sollten, und legte hundert Mann Garnison in den Ort. Als er hörte, daß Sternau nebst seinen Genossen zu Juarez gehe, schrieb er einen Bericht an General Eskobedo nieder, der in Zacatecas kommandierte, und bat Sternau, dieses Schriftstück dem General zu überreichen.

Jetzt nun ging es ans Ausräumen. Die im unterirdischen Gemach vorgefunden Schriftstücke und Kostbarkeiten wurden sorgfältig verpackt. Überhaupt wurde alles, was für Juarez von Interesse sein konnte, mitgenommen.


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