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21. Kapitel.

Von da an vergingen einige Tage. Der Morgen des vierzehnten Mai brach an. Da wurde Kurt zu General Velez beordert, mit dem er eine lange Unterredung hatte. Nach Beendigung derselben kehrte er mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht in sein Zelt zurück.

Der Kleine André war bei ihm. Dieser hielt sich vorzugsweise im Hauptquartier auf, weil er da Señorita Emilia treffen und sprechen konnte.

»Was für ein Gesicht machen Sie da, Herr Leutnant?« fragte er.

Kurt antwortete nicht, sondern schritt eine Weile grübelnd in dem engen Raum auf und ab. Dann blieb er vor dem Jäger stehen und fragte:

»Wo ist Sternau heute?« – »Im Lager Eskobedos.« – »Wissen Sie das genau?« – »Ja, sehr genau.« – »Satteln Sie! Wir müssen hin!« – »Warum?« – »Fragen Sie nicht.«

In Zeit von zehn Minuten saßen sie auf und sprengten im Galopp dem Quartier des Obergenerals zu. André hatte die Wahrheit gesagt; Sternau ließ sich nicht nur im Lager überhaupt, sondern sogar in seiner Wohnung treffen. Er war einigermaßen erstaunt, als er die beiden, ganz erhitzt von dem schnellen Ritt, bei sich eintreten sah. Er begrüßte sie und fragte dann:

»So angegriffen? Es muß etwas Wichtiges sein, dem Ihr heute nachgeritten seid.« – »Allerdings«, antwortete Kurt. »Sind wir hier ungestört?« – »Vollständig. Warum diese Frage?« – »Weil ich Ihnen höchst Wichtiges mitzuteilen habe.« – »Gut. Setzen wir uns!«

Sternau verriegelte die Tür, schob den beiden ein Kistchen Cigarros zu, steckte sich selbst eine an und erwartete dann in seiner ruhigen, überlegenen Weise den Beginn der Mitteilung.

»Was ich zu sagen habe, bedarf der Verschwiegenheit«, bemerkte Kurt. – »Der meinigen bist du sicher«, meinte Sternau. – »Ich weiß es; darum will ich Ihnen sagen, daß in nächster Nacht Queretaro in unsere Hände fallen wird.«

André sprang auf.

»Wirklich? Endlich! Ah, das freut mich!« rief er.

Sternau aber fragte in seiner selbstbewußten Weise:

»Will man einen Hauptsturm unternehmen? Eskobedo hat mir ja nichts davon gesagt!« – »Es handelt sich nicht um einen Sturm«, antwortete Kurt. »Die Stadt wird durch Verrat fallen.« – »Durch Verrat? Wieso?« fragte Sternau befremdet. – »Lopez wird dem General Velez die Ausfallpforte öffnen. Ich teile Ihnen das mit, weil ich Ihrer zur Ausführung eines schwierigen Vorhabens bedarf. Ich will den Kaiser retten.«

Sternau bewegte unter einem leisen Lächeln den Kopf langsam hin und her und antwortete:

»Du weißt doch, daß ich dich lieb habe. Darum kann mir nichts verborgen bleiben, obgleich du es mir zu verheimlichen strebst. Wie aber willst du in den Besitz des Kaisers kommen?« – »Unter Umständen sehr leicht. Von Mitternacht an steht die Pforte offen. Velez schleicht sich mit zweihundert Mann ein ...« – »Ah!« unterbrach ihn Sternau. »Der Schlaukopf. Er will sich erst überzeugen, ob man ihm nicht eine Falle legt.« – »So ist es. Er hat Zutrauen zu mir gefaßt und mir eine Abteilung dieser zweihundert übergeben. Er wird zwar sofort den Kaiser aufsuchen, um ihn gefangenzunehmen, aber ich hoffe, ihm zuvorzukommen. Der Kaiser ist von mir bereits benachrichtigt, nur Zivil anzulegen ...« – »Wohl durch die Prinzessin Salm?« – »Was wissen Sie von dieser?« – »Daß du mit ihr gesprochen hast, als sie von Juarez kam. Du siehst, daß ich mich mehr mit dir beschäftige, als du ahnst.« – »Sie haben das Richtige erraten. An der Pforte bleibt nur ein Posten zurück. Gelingt ein Überfall, so sendet Velez nach Verstärkung. Vom Augenblick an, wo wir in das Fort de la Cruz dringen, bis zur Ankunft der Verstärkung wird mir Zeit genug bleiben, den Kaiser unerkannt durch die Pforte in das Freie zu bringen.« – »Und der Posten?« – »Verursacht keine Schwierigkeiten.« – »Wenn man bemerkt, daß der Kaiser entkommen ist und daß du mit einem zweiten die Pforte passiert hast, wird der Verdacht auf dich fallen.« – »Es gibt Vorwände genug, den Posten auf einige Augenblicke zu beschäftigen, so daß er nichts bemerkt.« – »Gut also, wohin mit dem Kaiser?« – »Zunächst in mein Zelt, wo André auf ihn wartet.« – »Ich?« fragte der Kleine begeistert. »Ich soll den Kaiser retten, den Señorita Emilia nicht zu retten vermochte?« – »Ja«, antwortete Kurt. »Ich muß natürlich in das Fort zurück, nachdem ich Ihnen den Kaiser gebracht habe. Dann aber bringen Sie ihn außerhalb des Lagers einstweilen in Sicherheit.« – »Wohin?« – »Hm! Der Ort ist noch nicht bestimmt. Es kam zu schnell über mich. Ich bin noch nicht ganz vorbereitet. Wir werden uns über den Ort besprechen müssen.« – »Er ist schon längst bestimmt«, lächelte Sternau. – »Bestimmt? Schon längst?« fragte Kurt überrascht. – »Ja«, antwortete der Doktor. »Ich bin älter als du, und daher wirst du mir wohl erlauben, überlegt und umsichtig zu verfahren, nachdem ich einmal deine Absicht durchschaut hatte.« – »Sie beschämen mich!« bekannte Kurt. – »Das ist nicht meine Absicht. Deine Verschwiegenheit war mir im Gegenteil ganz recht und willkommen.« – »Welchen Ort meinen Sie denn?« – »Diesen hier.« – »Ihre Wohnung?« – »Ja.« – »Das ist außerordentlich gefährlich. Ich soll den flüchtigen Kaiser nach dem Hauptquartier Eskobedos schicken?« – »Unter Umständen ist man in der Höhle des Löwen sicherer als anderswo. Du sorgst für eine Verkleidung, und André bringt ihn zu Pferde zu mir.« – »Aber hier kann er doch unmöglich bleiben.« – »Allerdings nicht. Er wird nur fünf Minuten verweilen. Die Relais sind längst gelegt und harren nur der Benutzung.« – »Was! Sie haben Relais gelegt?« – »Ja, natürlich!« – »Wohin?« – »Kannst du das nicht erraten?« – »Wie wäre mir das möglich?« – »Es muß ein abgelegener Ort sein, wo niemand den Kaiser sucht und wo er in Sicherheit und Verborgenheit leben kann, bis ihm der Weg nach der See geöffnet ist.« – »Wo liegt ein solcher Ort?« – »Ich werde dir es doch sagen müssen. Ich meine die Hacienda del Erina.«

Dieses Wort elektrisierte die beiden anderen.

»Ja, die Hazienda«, stimmte André bei. – »Ich war noch nicht dort«, meinte Kurt, »aber ich glaube, daß eine bessere Wahl nicht getroffen werden könnte. Wer aber bringt ihn hin?« – »Ich«, antwortete Sternau. – »Sie selbst? So müssen Sie Urlaub nehmen.« – »Dessen bedarf es nicht. Ich bin mein eigener Herr und kann kommen und gehen, wann es mir beliebt.« – »Aber Juarez wird Sie vermissen!« – »Er wird kein Wort darüber verlieren und im stillen sich freuen, daß ich ihm nicht gesagt habe, wohin ich reise.« – »Wie? Sie meinen, daß er ahnen wird, daß ...« – Juarez ist doch noch klüger und menschlicher, als du denkst.« – »Aber wenn nun die anderen, Velez, Eskobedo, etwas ahnen oder gar eine Spur entdecken sollten?« – »So steht dem Kaiser der noch erhaltene Teile der Höhle des Königsschatzes offen. Dort wird ihn niemand finden.« – »Dazu bedarf es der Genehmigung Büffelstirns.« – »Die habe ich. Er und Bärenherz werden mich und den Kaiser begleiten.« – »Wie? Haben nicht beide gegen den Kaiser gekämpft?« – »So lange er Kaiser war. Sobald er Mensch und Hilfesuchender ist, gilt meine Empfehlung. Sie werden ihn mit ihrem Leben beschützen und verteidigen.« – »Welch eine Umsicht!« staunte Kurt. – »Wenn du mein Alter erreicht hast, wirst du mich darin vielleicht noch übertreffen. Die Hauptsache ist, daß es dir gelingt, allen Verdacht von dir abzulenken.« – »Was aber geschieht, wenn sie abreisen, mit unseren Gefangenen in Santa Jaga?« – »Ich komme ja wieder, und übrigens kannst du dich in dieser Angelegenheit fest auf Juarez verlassen.«

Damit war der Plan entworfen. Es galt nun, die Details zu besprechen, womit man auch sehr bald zustande kam. Dann trennten sich Kurt und André von Sternau, um nach ihrem Lager zurückzukehren.


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