Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Zwanzigstes Kapitel.

»Mustapha«, sagte der Pascha, »ich fühle mich gleich dem Kalifen Harun al Raschid in der von Menonui erzählten Geschichte voll Sorge; meine Seele ist müd – mein Herz wie ein verbrannter Braten.«

Mustapha hatte genug Verstand, um zu bemerken, daß von ihm die Rolle des Veziers Giaffar erwartet werde, und entgegnete augenblicklich:

»O Pascha, groß und mannigfach sind die Sorgen des Staates. Wenn sich Euer demüthiger Sklave Euch mit Rath nähern darf, so werdet Ihr den chinesischen Hund mit den zwei Schwänzen hereinrufen, damit er Euch noch eine Geschichte erzähle.«

»Nicht doch,« erwiederte der Pascha. »Ich bin seines ewigen Ti-tum tilly-lilly müde, denn es klingt mir noch immer in den Ohren. Weißt Du keinen andern Vorschlag?«

»Alem Penah! Zuflucht der Welt, ist es Euch vielleicht genehm, Eure Truppen ausrücken zu lassen und ihre Uebungen mitanzusehen? Der Mond steht hoch am Himmel und es ist so hell wie am Tage.«

»Nein,« versetzte der Pascha, »ich bin des Krieges und alles dessen, was dazu gehört, müde. Laß die Truppen im Frieden schlafen.«

»Dann, o Pascha, werdet Ihr Eurem Sklaven gestatten, einige Flaschen von dem Feuerwasser der Giauren zu beschicken, damit wir trinken und rauchen können, bis wir zu den sieben Himmeln verzücket sind.«

»Nein, mein guter Vezier, das muß das letzte Zufluchtsmittel seyn, weil es durch die Gesetze des Propheten verboten ist. Denke noch einmal nach, und Du müßtest nicht mehr Gehirn haben, als eine Wassermelone, wenn Du diesmal nicht auf einen Vorschlag träfest, der mich zu erleichtern im Stande wäre.«

»Euer Sklave lebt nur, um zu hören, und hört nur, um zu gehorchen,« entgegnete Mustapha. »So wird mein Gebieter wohl geruhen, sich zu verkleiden und durch die Straßen von Cairo zu ziehen. Der Mond scheint hell, und die Hyäne streicht jetzt nicht umher, sondern mischt in weiter Ferne ihr Geheul mit dem des Schakal.«

»Dein Gesicht ist weiß geworden, Mustapha, und es gefällt uns. Laß die Verkleidungen vorbereiten, damit wir aufbrechen können.«

In kurzer Zeit waren die Verkleidungen bereit. Der Vezier hatte schlauer Weise die Tracht von armenischen Kaufleuten gewählt, weil er wußte, wie sehr sich der Pascha darin gefiel, wenn er sich dem großen Al Raschid gleich stellen zu können vermeinte. Zwei bewaffnete schwarze Sklaven folgten dem Pascha und seinem Vezier in einiger Entfernung. Die Straßen waren ganz leer und sie trafen auf nichts, als da und dort auf einen Hund, welcher Abfälle verzehrte und nach den Vorübergehenden schnappte und kläffte. Die Nacht schien keine Abenteuer bieten zu wollen und der Pascha gerieth in ganz üble Laune, bis endlich Mustapha durch die Ritzen eines geschlossenen Fensters, das zu einer kleinen Hütte gehörte, Licht bemerkte und den Ton einer Stimme hörte. Er blickte durch, während der Pascha an seiner Seite stehen blieb. Nach einigen Sekunden bedeutete der Vezier seinem Gebieter, daß er gleichfalls hinein sehen möchte. Letzterer mußte seinen fetten Körper nach der größten Höhe strecken und auf die Zehenspitzen treten, um mit seinen Augen den Spalt zu erreichen. Das Innere der Hütte war ohne Möbel. Eine Truhe in der Mitte des Thonbodens schien zugleich als Tisch und als Aufbewahrungsort für Alles zu dienen, denn die Wände waren kahl. Vor dem Heerde, auf dem nur einige Fünkchen glosteten, kauerte ein altes Weib, der man Hunger und Armuth schon aus der Ferne ansah. Sie wärmte ihre welken Hände über der Asche und fuhr hin und wieder mit einer derselben über ihre knöchernen Arme, indem sie sagte: »Ja, es ist die Zeit gewesen – es ist die Zeit gewesen.«

»Was kann sie damit meinen?« flüsterte der Pascha seinem Vezier zu. »Warum sagt sie wohl, es sey die Zeit gewesen?«

»Das bedarf einer Aufklärung,« versetzte Mustapha. »So viel ist gewiß, daß ein Sinn dahinter liegen muß.«

»Du hast wohl gesprochen, Mustapha. Laß uns klopfen und Zutritt verlangen.«

Mustapha klopfte an die Thüre der ärmlichen Hütte.

»Ihr findet da nichts zum Stehlen und könnt deßhalb getrost weiter gehen,« kreischte die Alte; »aber,« fuhr sie mit sich selbst redend fort, »die Zeit ist gewesen – die Zeit ist gewesen.«

Der Pascha forderte Mustapha auf, lauter zu klopfen. Der Vezier bediente sich zu diesem Zwecke des Dolchgriffes und trommelte damit gegen die Thüre.

»Ja – ja – jetzt dürft ihr euch wohl erdreisten, zu klopfen, denn die Pantoffeln des Sultans stehen nicht an der Thüre,« sagte die Alte und fuhr dann in der vorigen Weise fort – »aber die Zeit ist gewesen – die Zeit ist gewesen.«

»Sultans Pantoffeln und gewesene Zeiten?« rief der Pascha. »Was will die alte Hexe damit? Klopf noch einmal, Mustapha.«

Mustapha wiederholte seine Schläge.

»Ja – klopf – klopf – meine Thüre ist wie mein Mund; ich öffne, wenn ich will, und halte geschlossen, wenn ich will, wie man eines Tages wohl wußte. Die Zeit ist gewesen – die Zeit ist gewesen.«

»Wir haben schon lange da gestanden, und ich bin des Wartens müde; so bin ich denn der Ansicht, Mustapha, die Zeit sey gekommen, um die Thüre einzustoßen. Sorge dafür.«

Mustapha setzte nun seinen Fuß gegen die Thüre, die jedoch seinen Bemühungen Widerstand leistete.

»Ich will Dir helfen,« sagte der Pascha, und zog sich einige Schritte zurück, worauf er und Mustapha mit aller Kraft gegen die Thüre anrannten. Sie flog jetzt mit Leichtigkeit auf und sie rollten auf den Boden der Hütte hinunter. Die Alte kreischte, sprang dann auf den Körper des Pascha, packte ihn an der Kehle und rief: »Diebe! Mörder!«

Mustapha eilte seinem Gebieter zu Hülfe, und ein Gleiches thaten auch die beiden schwarzen Sklaven, welche auf das Geschrei alsbald herbei kamen und nur mit Mühe die Knöchel der alten Jesabel von der Kehle des Pascha losmachen konnten, der in seinem Zorne gute Lust hatte, sie augenblicklich niederhauen zu lassen.

»Lahnet be Shitan! Fluch auf den Teufel,« rief der Pascha. »Das ist eine saubere Behandlung für einen Pascha.«

»Weißt Du auch, elendes Weibsbild, daß Du den Herrn des Lebens, den Pascha selbst an der Kehle genommen und beinahe erdrosselt hast?« sagte Mustapha.

»Nun, was dann?« versetzte die Alte kalt. »Es ist die Zeit gewesen – es ist die Zeit gewesen.«

»Verfluchte Hexe, was meinst Du mit Deinem ›es ist die Zeit gewesen?‹«

»Ich meine, daß es eine Zeit gab, in welcher ich mehr als einen Pascha erdrosselte. Ja,« fuhr sie fort, indem sie auf den Boden niederkauerte und vor sich hin murmelte; »die Zeit ist gewesen.«

Des Paschas Wuth war nun ein wenig beschwichtigt.

»Mustapha,« sagte er, »laß diese Alte sorgfältig bewachen. Morgen Nachmittag muß sie uns sagen, was sie unter den seltsamen Worten, ›die Zeit ist gewesen‹ versteht. Verlaß Dich darauf, es läuft auf eine gute Geschichte hinaus – die wollen wir zuerst haben – und dann« – flüsterte er dem Vezier ins Ohr – »herunter mit dem Kopfe.«

Die Alte, welche den Befehl zu ihrer Verhaftung mitangehört hatte, wiederholte abermals:

»Ah, ganz gut, die Zeit ist gewesen.«

Die Sklaven bemächtigen sich ihrer; sie aber verteidigte sich mit Nägeln und Zähnen so kräftig, daß die Schwarzen sich genöthigt sahen, sie zu knebeln und ihr Hände und Füße zu binden. Dann nahmen sie die Gefangene auf ihre Schultern und marschirten mit ihr nach dem Palaste, während Mustapha und der Pascha, letzterer hoch entzückt über sein Abenteuer, nachfolgten.

Nach dem Schlusse des Divans am andern Tage wurde die Alte vor den Pascha beschieden, und da sie sich zu gehen weigerte, so nahmen vier Wachen sie auf die Schultern und legten sie auf den Boden des Audienz-Gemaches.

»Wie kannst Du Dich unterstehen, gegen die Befehle Sr. durchlauchtigen Hoheit zu rebelliren?« fragte Mustapha mit Strenge.

»Wie ich zu rebelliren wage?« rief die Alte mit schriller Stimme. »Hu, was für ein Recht hat der Pascha, mich aus meiner armen Hütte heraus zu schleppen, und was kann er von einem alten Weibe, wie ich bin, verlangen? Ich denke nicht, daß er mich für seinen Harem braucht.«

Ueber diese Bemerkung konnten sich der Pascha und Mustapha eines Gelächters nicht erwehren. Sobald jedoch der Vezier seine Gravität wieder gewonnen hatte, bemerkte er:

»So ein altes Aas Du auch bist, sollte man doch meinen, daß Dir der Gedanke an eine Züchtigung, welche man Bastonade nennt, nie zu Sinne kam.«

»Da bist Du im Irrthum, Herr Vezier, denn ich habe sowohl die Bastonade, als die seidene Schnur erlitten,«

»Die seidene Schnur? Heiliger Prophet, wie die alte Hexe lügen kann!« rief der Pascha.

»Keine Lüge, Pascha, keine Lüge!« kreischte die Alte in ihrer Wuth. »Ich habe gesagt, die Bastonade und die seidene Schnur. Ja, es hat eine Zeit gegeben, als ich jung und schön war, und weißt Du, warum ich litt? Ich will Dir's sagen – weil ich meinen Mund nicht halten konnte – und glaubst Du, ich werde das jetzt können, da ich nur noch ein altes, welkes Gerippe bin? Ja, ja – die Zeit ist gewesen.«

»'s ist also ein Glück,« versetzte Mustapha, »daß der Pascha nicht von Dir verlangt, Du sollest den Mund halten. Man will von Dir gerade das Gegentheil – Du sollst nämlich sprechen.«

»Und weißt Du, warum ich die seidene Schnur erhielt?« kreischte die alte Hexe. »Ich will Dir's sagen, weil ich nicht sprechen wollte; und das will ich auch jetzt nicht thun, weil ich sehe, daß Ihr es haben möchtet.«

»Es scheint also,« sagte der Pascha, die Pfeife aus dem Munde nehmend, »daß die Bastonade eben so übel angebracht war, als die Schnur. In Cairo verstehen wir uns auf dergleichen Dinge besser. Höre mich, Du alte Mutter von Shitan! Ich wünsche zu erfahren, was Du mit dem Ausdrucke meinst, den Du stets in Deinem Munde führst – ›es sey eine Zeit gewesen.‹«

»Es liegt viel darin, Pascha, denn es bezieht sich auf mein Leben. Du möchtest wohl die Geschichte desselben hören?«

»Ja,« versetzte Mustapha. »So fang an.«

»Aber Du mußt mich dafür bezahlen – sie ist zwanzig Goldstücke werth.«

»Erdreistest Du Dich, Sr. durchlauchtigen Hoheit dem Pascha Bedingungen zu machen?« rief Mustapha. »Ha, Du Mutter von Afriten und Gulen, wenn Du nicht augenblicklich beginnst, soll Dein Leichnam über die Mauern geworfen werden, damit die wilden Hunde ihn beriechen und sich voll Abscheu wieder abwenden.«

»Vezier, ich habe zu lange gelebt, um Jemand zu trauen. Mein Preis ist zwanzig Goldstücke, in diese welke Hand gezählt, ehe ich anfange; ohne daß sie bezahlt sind, geht kein Wort über meine Zunge.«

Und die Alte kreuzte ihre Arme und sah dem Pascha dreist ins Gesicht.

»Gott ist groß!« rief der Pascha. »Wir werden sehen.«

Auf das wohlbekannte Signal trat der Henker ein, faßte die wenigen grauen Haare auf dem Kopfe der Alten, erhob seinen Scimetar und harrte des Nickens, welchem der verhängnißvolle Schlag folgen sollte.

»Laß zuschlagen, Pascha, laß zuschlagen!« rief die Alte verächtlich. »Ich verliere nur ein Leben, dessen ich langst müde bin; Du aber kömmst um eine wunderbare Geschichte, an der Dir so viel gelegen ist. Laß zuschlagen – zum letzten Male sage ich: ›es hat eine Zeit gegeben.‹ Möge denn jetzt die Zeit mit mir ein Ende machen.«

»Das ist wahr, Mustapha,« bemerkte der Pascha. »Ich vergesse die Geschichte. Was das für ein starrsinniger alter Teufel ist. Aber ich muß die Geschichte hören.«

»Wenn es Eurer schrankenlosen Weisheit gutdünkt,« sagte Mustapha in gedämpfter Stimme, »dürfte es nicht besser seyn, dieser habsüchtigen alten Hexe die verlangten zwanzig Goldstücke auszubezahlen? Ist ihre Geschichte zu Ende, so wird es leicht seyn, das Geld wieder von ihr zu nehmen und ihr zugleich den Kopf von den Schultern zu holen. So werden die Forderungen des alten Weibes und die der Gerechtigkeit zufrieden gestellt.

»Wallah thaib! das ist wohl gesprochen, bei Allah! Deine Worte sind wie Perlen. Zahle das Geld aus, Mustapha.«

»Es hat Sr. Hoheit dem Pascha, in Rücksicht auf die Furcht und das Zittern, womit du vor ihm erschienst, gefallen, die Summe, welche du verlangst, Dir auszahlen zu lassen,« sagte Mustapha, die Börse aus seinem Gürtel ziehend. »Murakhas, Du bist entlassen,« fuhr er gegen den Scharfrichter fort, welcher dem Befehle gehorsam, die Alte los ließ und verschwand. Mustapha zählte zwanzig Goldstücke auf und schob sie der Alten hin, welche nach einigem Zögern, als erwarte sie, daß man ihr das Geld bringen solle, aufstand und es in Besitz nahm. Sie zählte es ab und gab ein Stück, welches zu leicht war, wieder zurück. Mustapha wechselte es mit einer Grimasse gegen ein anderes um, ohne sich übrigens eine Bemerkung zu erlauben.

»Bei dem Wort des Propheten!« murmelte der Pascha. »Aber schon gut.«

Die Alte nahm einen schmutzigen Lappen heraus, wickelte die Goldstücke ein, steckte sie in die Tasche, strich ihre schmutzigen Kleider glatt und begann dann wie folgt: –

 

»Pascha, ich habe nicht immer in einer so ärmlichen Hütte gelebt. Diese Augen waren nicht immer triefend und trübe, und meine Haut war vordem glatt und weiß. Nicht immer war ich mit diesem schmutzigen Lappen bedeckt, – nicht immer sehnte ich mich oder verlangte nach dem Golde, das Du mir eben gegeben hast. Ich lebte in Palästen und habe dort geherrscht. Ich kleidete mich in Gold und war mit Juwelen bedeckt. Ich habe über Leben und Tod verfügt, – habe Provinzen weggegeben, – Paschas zitterten vor meinem Stirnerunzeln, – erhielten auf meinen Befehl die seidene Schnur – denn es gab eine Zeit, in welcher ich die Favoritin des Großsultans war. Ja, es war eine Zeit.«

»Das muß aber schon lange her seyn,« bemerkte der Pascha.

»Freilich, versetzte die Alte. Doch ich will jetzt die Erzählung meiner Abenteuer beginnen.«

Geschichte des alten Weibes.

Ich wurde in Georgien geboren, dessen Frauen man für die schönsten in der Welt hält, das einzige Cirkassien ausgenommen; meiner Ansicht nach sind übrigens die Cirkassischen Weiber viel zu groß, um mit uns in die Schranken treten zu können, und es steht mir hierin wohl ein Urtheil zu, da ich Gelegenheit gehabt habe, viele Hunderte der Schönsten aus beiden Ländern zu vergleichen. Meine Eltern waren zwar nicht reich, aber doch in gemächlichen Umständen; denn mein Vater stand als Janitschar in des Sultans unmittelbarem Dienst und kehrte, nachdem er sich einiges Vermögen erworben hatte, nach seiner Heimath zurück, wo er einiges Land ankaufte und heirathete. Ich hatte nur einen einzigen Bruder, der drei Jahre älter war, als ich, und unter die schönsten Jünglinge des Landes gehörte. Nur war sein Hals ein wenig verstellt durch ein scharlachrothes Mal in der Gestalt einer Traube, welches die Nationaltracht nicht zu verbergen gestattete. Mein Vater wollte haben, daß er dem Sultan diene, und brachte ihm eine vollständige Kenntniß sämmtlicher kriegerischen Uebungen bei. Schon in seinem vierzehnten Jahre konnten nur Wenige im Gebrauche des Bogens und im Werfen des Dschirid mit ihm wetteifern und er verstand sich vortrefflich darauf, ein Roß zu tummeln. Was mich betraf, so wußte ich wohl, daß mir das Serail des Sultans in Aussicht stand, denn ich war als Kind so schön wie eine Houri. Mein Vater war ein Mann, der kein Bedenken trug, sich für Geld von seinen Kindern zu trennen, wenn er nur einen schönen Preis für sie erlösete. Man hielt mich, – und ich glaube mit Recht, – für das schönste Mädchen im Lande, und meine Eltern trugen Sorge, meinen Teint und mein Aeußeres nicht durch Haus- oder Feldarbeit zu beschädigen. Ich durfte meiner Mutter keine Beihülfe leisten, da letztere im Gegentheil, dem väterlichen Befehle gemäß, mich bedienen mußte. Man sah mir jede Grille nach und ich wuchs so eigensinnig und launenhaft auf, als ich schön war. Lächle nicht, Pascha, – es hat eine Zeit gegeben.

Eines Tages, – ich war ungefähr vierzehn Jahre alt, – saß ich unter der Hausthüre, als plötzlich ein großer Hauf türkischer Reiter aus dem nahe gelegenen Walde hervorbrach und unser Haus umringte. Sie kamen augenscheinlich um meinetwillen, denn sie nannten meinen Namen und drohten das Haus niederzubrennen, wenn ich ihnen nicht augenblicklich ausgeliefert werde. Unsere Wohnung, die an der Grenze des Landes lag, war zur Verteidigung ausgerüstet und mein Vater, der sich auf den Beistand seiner Nachbarn verließ, weigerte sich, auf ihre Bedingungen einzugehen. Es kam nun zum Angriff; mein Vater, meine Mutter und der ganze Haushalt wurden ermordet, mein Bruder schwer verwundet, das Haus aber geplündert und bis auf die äußern Mauern niedergebrannt. Natürlich geriethen mein Bruder und ich in Gefangenschaft. Trotz seiner Wunden wurde er auf das eine, ich auf das andere Pferd gebunden, und in wenigen Stunden hatte der Trupp die Grenze wieder gewonnen. Ein junger, engelschöner Mann war der Führer der Bande, und ich bemerkte bald, daß er seine Aufmerksamkeit und alle seine Gedanken mir zuwandte. Er bewachte mich, wenn wir Halt machten, mit der größten Angelegentlichkeit, sorgte für meine Bedürfnisse, und hielt sich stets in meiner Nähe. Aus dem Gespräch der Soldaten entnahm ich, daß er der einzige Sohn des Großveziers in Stambul war. Er hatte von meiner Schönheit gehört, mich gesehen und meinem Vater eine große Summe angeboten; dieser aber weigerte sich, weil sein Ehrgeiz darnach trachtete, mich in dem Harem des Sultans unterzubringen, und die Folge davon war, daß ich mit Gewalt entfernt wurde. Ich hätte den schönen Jüngling lieben können, obschon er meinen Vater und meine Mutter ermordet hatte; aber der Umstand, daß er mich mit Gewalt in seine Hände gebracht, stählte mein Herz, und ich gelobte, nie auf seine Bewerbungen zu hören, obschon ich so vollständig in seiner Macht war. Die ganze Zeit über, während welcher ich mich in seinen Händen befand, sprach ich nie ein Wort, denn es war mir der Gedanke gekommen, mich stumm zu stellen. Nach drei Wochen langten wir zu Constantinopel an. Seit ich meine Heimath verlassen, hatte ich meinen Bruder nie wieder zu Gesicht bekommen; seine Wunde war zu bedeutend, als daß er mit gleicher Geschwindigkeit die Reise hätte fortsetzen können, und ich erfuhr erst Jahre nachher, was aus ihm geworden war. Ich wurde nach Osman Alis Harem genommen und durfte daselbst einige Tage von der Anstrengung der Reise ausruhen; dann aber erhielt ich, weil ich noch immer nur ein Kind war, die Weisung, Musik, Tanzen, Singen und alle anderen Fertigkeiten zu erlernen, welche man bei den Damen im Harem für nöthig hält. Aber ich beharrte bei meinem Entschlusse. Man versuchte es auf alle Weise, mich zum Sprechen zu bringen, aber vergeblich. Sogar Schlage, Kneipen und andere Mittel wurden in Anwendung gebracht, ohne daß ich mich in meinem Vorhaben irren ließ. Endlich kam man auf die Vermuthung, ich müsse entweder stumm geboren worden seyn, oder durch den Schreck über den Angriff und über die Ermordung meiner Familie die Sprache verloren haben. Im Laufe von achtzehn Monaten, die ich in Osmar Alis Harem zubrachte, hatte ich auch nicht eine Sylbe gesprochen.

 

»Maschallah! das ist gewiß wunderbar!« rief der Pascha »Ein Weib, das achtzehn Monate lang ihre Zunge im Zaume hält! Wer glaubt wohl dieß?«

»Durchaus nicht wunderbar,« versetzte die Alte. »Man braucht nur daran zu denken, daß man von ihr verlangte, sie solle sprechen.«

 

Einmal, aber nur ein einzigesmal wurde ich beinahe in meinem Entschluß wankend. Zwei der ersten Favoritinnen unterhielten sich in meinem Beiseyn.

»Ich kann mir nicht denken,« sagte die Eine, »was Ali an dieser kleinen Hexe sieht, daß er so in sie vernarrt ist. Sie ist sehr häßlich, – sieh nur ihren großen Mund und ihre gelben Zähne – auch haben ihre Augen nicht nur keinen Ausdruck, sondern schielen sogar. Ihre eine Schulter ist höher als die andere und das Schlimmste von Allem besteht darin, daß man sie, weil sie stumm ist, nichts lehren kann, als tanzen, wobei ihr garstiger breiter Fuß nur um so mehr ins Auge fällt.«

»Das ist Alles wahr,« versetzte die Andere. »Wenn ich Ali wäre, so würde ich sie als gemeine Sklavin verwenden. Sie taugt zu nichts als zum Aufrollen und Ausklopfen der Teppiche, zum Kochen des Reises und zur Zubereitung unseres Kaffees. Ein bischen Pantoffel auf ihren Mund würde sie bald zum Verstande bringen.«

Ich muß gestehen, daß ich nahe daran war, meinen Entschluß zu brechen, um mich rächen zu können, und wäre nicht plötzlich die Thüre aufgegangen, so würde ich ihnen bewiesen haben, daß ich sehr sachgemäß sprechen konnte; denn ich würde nicht aufgehört haben, bis man beide in Säcke genäht und in den Bosporus geworfen hätte. Aber ich that mir Zwang an, obschon meine Wangen von Wuth glühten und legte mehr als einmal die Hand an meinen mit Juwelen besetzten Dolch.

Osman Ali besuchte mich oft und bot Alles auf, um mich zum Sprechen zu bringen; ich drückte jedoch stets meinen Schmerz oder meine Freude nur durch einen harten Kehlton aus. Nachdem er sich endlich überzeugt hatte, daß ich stumm sey, tauschte er mich bei einem Sklavenhändler gegen ein schönes Cirkassiermädchen aus. Meines vermeintlichen Gebrechens that er keine Erwähnung, indem er nur meine allzu große Jugend und meine mangelhafte Unterweisung als Grund angab, warum er sich meiner entäußerte. Sobald der Handel geschlossen war und der Kaufmann das Geld, welches Ali aufgeben mußte, eingestrichen hatte, wurde ich meines Anzugs und Schmuckes beraubt und in eine Sänfte gebracht, um nach dem Hause des Sklavenhändlers getragen zu werden. Du kannst Dir denken, Pascha, daß ich nach anderthalb Jahren des Schweigens ein wenig müde war – –«

 

»Bei dem Barte des Propheten, wir glauben Dir in diesem Punkte aufs Wort, gute Frau. Du magst fortfahren.«

»Ja, ja, ich kann fortfahren. Du meinst, Weiber haben keine Entschlossenheit und keine Seelen – na, sey es drum – und was ihr bei eurem eigenen Geschlechte mir dem Namen Ausdauer beehrt, nennt ihr bei dem unsrigen Starrsinn. Sey es drum – es hat eine Zeit gegeben.«

 

Ich war kaum in der Sänfte, als ich meiner Zunge den Zügel ließ und den Weibern, welche mich nach der Thüre des Harems führen sollten, zurief:

»Sagt Osman Ali, daß ich meine Sprache gefunden habe, nun ich nicht länger seine Sklavin sey.«

Dann schloß ich die Vorhänge und wurde fortgetragen. Sobald ich im Hause meines Käufers angelangt war, theilte ich ihm mit, was vorgefallen war und warum mich Ali weggegeben habe. Der Kaufmann war höchlich erstaunt, einen so guten Handel gemacht zu haben, und lachte herzlich über meine Erzählung. Er theilte mir mit, daß er mich für das Serail des Sultans bestimmt habe, schmeichelte mir mit der Erklärung, daß ich gewiß die Favoritin werden würde, und rieth mir, den Unterricht der Lehrer, die er mir besorgen wolle, bestens zu benützen. Osman Ali hatte inzwischen von den Weibern gehört, was ich ihm sagen ließ, und kam in großem Zorn zu dem Sklavenhändler, um mich wieder an sich zu bringen; dieser aber entgegnete ihm, daß mich der Kislar Aga des Sultans bereits gesehen und Befehl ertheilt habe, mich für das kaiserliche Serail aufzubewahren. Durch diese Unwahrheit schirmte er sich nicht nur gegen Ali's Zudringlichkeit, sondern auch gegen dessen Rache. Ich befolgte den Rath meines Herrn und hatte nach wenig mehr als einem Jahr große Fortschritte in der Musik und in den meisten anderen Fertigkeiten gemacht. Ich lernte auch Schreiben und Lesen, desgleichen die meisten Verse von Hafis und anderen berühmten Dichtern deklamiren. In meinem siebenzehnten Jahre wurde ich dem Kislar Aga als ein Wunder von Schönheit und Talent angeboten. Der Kislar Aga kam, um mich zu sehen, und war erstaunt; er begriff mit einemmale, daß ich sogleich die erste Favoritin werden würde, ließ mich singen und spielen und fragte dann nach meinem Preise, der zu einer ungeheuren Summe namhaft gemacht wurde. Er erstattete dem Sultan Bericht über mich, mit dem Bemerken, daß er nie eine solche Vollkommenheit gesehen habe, erklärte ihm aber zugleich, daß der Sklavenhändler eine maßlose Forderung stelle. Der Sultan, der in der letzten Zeit wenig Interesse für die Angehörigen seines Harems gefühlt hatte und sich nach etwas Neuem sehnte, befahl, daß die Summe bezahlt werden solle, und ich wurde in einer königlichen Sänfte nach dem Serail gebracht.

Ich gestehe, daß ich mich sehr darnach gesehnt hatte, von dem Sultan gekauft zu werden. Mein Stolz empörte sich gegen den Gedanken, eine Sklavin zu seyn, und wenn es einmal nicht anders möglich war, so wünschte ich, als solche wenigstens dem Sultan anzugehören. Ich schmeichelte mir mit dem Gedanken, daß ich ihn bald zur Unterwerfung bringen werde, und daß die Sklavin herrschen dürfte über den Gebieter, dessen Händen Leben und Tod, Ehre und Schande von Millionen anheim gegeben waren. Ich entwarf mir einen Plan über mein Benehmen, und die Dichter, die ich gelesen hatte, gingen mir dabei nur zu gut an die Hand. Ueberzeugt, daß um der Neuheit willen ein wenig Eigensinn den Mann am ehesten bezaubern könne, der an stummen und leidenden Gehorsam gewöhnt war, legte ich meinem natürlichen Temperament keine Zügel an. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft theilte mir der Kislar Aga mit, daß mir der Sultan die Ehre eines Besuches zugedacht habe und deshalb der Anzug und die Bäder bereit seyen. Ich versetzte, daß ich mich erst am Morgen gebadet habe und deshalb nicht Lust habe, ein zweites zu nehmen; was den Anzug und die Juwelen betreffe, so bedürfe ich derselben nicht, und wenn mein Herr, der Sultan, kommen wolle, so sey ich bereit, ihn zu empfangen. Erstaunt über meine Anmaßung riß der Kislar Aga seine Augen weit auf, wagte es aber nicht, gegen Diejenige Gewalt zu brauchen, welche seiner Ansicht nach wahrscheinlich die Favoritin werden mußte; er kehrte daher zu dem Sultan zurück und meldete ihm, was vorgefallen war. Wie ich erwartet hatte, fühlte sich der Sultan mehr über die Neuheit belustigt, als durch den Mangel an Achtung verletzt. »Sey es drum,« versetzte er; »diese Georgierin muß eine gute Meinung von ihren Reizen haben.«

Am Abend erschien der Sultan, und ich warf mich zu seinen Füßen nieder, da ich nicht gleich von vornherein zu weit zu gehen wünschte. Er hub mich auf und war augenscheinlich hoch entzückt.

»Du hast Recht, Zara,« sagte er. »Kein Kleiderputz, keine Kleinodien hätten den Reiz Deiner Schönheit erhöhen können.«

»Verzeih mir, o gnädigster Gebieter,« versetzte ich, »aber wenn Dir Deine Sklavin gefallen soll, so möge es allein durch ihre natürlichen Reize geschehen. Soll ich die Ehre haben, mich der Fortdauer Deiner Gunst zu erfreuen, so will ich mich mit dem Geschmeide zieren, welches die Erkorene ihres Herrn schmücken muß; aber als Bewerberin um Deine Huld habe ich es verworfen – denn wer weiß, ob ich nach einigen Tagen nicht schon verlassen bin wegen eines Geschöpfes, das Deiner Gunst würdiger ist.«

Der Sultan war über meine Entschuldigung entzückt, und auch ich fand großen Wohlgefallen an ihm. Er war damals ungefähr vierzig Jahre alt, sehr schön und wohl gebaut; aber dennoch bereitete es mir noch mehr Freude, zu finden, daß ihn meine Unterhaltung fesselte, denn er blieb viele Stunden länger bei mir, als er gewöhnlich im Frauengemache zu verweilen pflegte. Ich versprach mir daraus einen Einfluß, der vielleicht die persönlichen Reize überlebte. Um mich jedoch über die Sache nicht allzu weitläufig auszulassen, will ich blos angeben, daß der Sultan bald blos noch an mich dachte. Nicht nur meine persönlichen Eigenschaften, sondern auch meine beharrliche Veränderlichkeit, welche natürlich zu seyn schien, aber gewöhnlich vor seinen Besuchen aufs Sorgfältigste überlegt war, gewannen ihn so für mich, daß seine Leidenschaft – ja ich darf sagen, seine Liebe zu mir nicht nur nicht schwächer wurde, sondern sogar mit jedem Tage zunahm.

 

»Na, 's ist möglich, daß Alles dies wahr ist,« bemerkte der Pascha, die häßliche, runzelige Alte ansehend. »Was sagst Du, Mustapha?«

»O Pascha, wir kennen ihre Geschichte noch nicht. Wie ich von meinem Vater hörte, war die Mutter Deiner Sklavin einmal sehr schön. Sie ist noch in unserem Harem – und pah –« sagte Mustapha, indem er wie im Abscheu ausspie.

»Recht, guter Vezier – recht – erinnere Dich, Pascha, was ich gesagt habe. Die Zeit ist gewesen.«

Der Pascha nickte und die Alte fuhr fort.

 

Nachdem ich einmal der Zuneigung des Sultans gewiß war, gab ich mich größeren Freiheiten hin – nicht mit ihm, sondern mit Andern; denn ich wußte, daß er über meine Possen lachte, wenn ich sie an Untergeordneten spielte, einen Achtungsmangel gegen ihn aber nicht so leicht nahm. So wurden denn die übrigen Angehörigen des Harems die Zielpunkte meiner Laune. Weit entfernt, den Sultan abzuhalten, daß er die übrigen Frauen des Harems beachtete, empfahl ich ihm sogar dieselben und lud sie oft nach meinen Gemächern ein, wenn er mich zu besuchen wünschte und ich lieber allein gewesen wäre. In der Regel wußte ich einen kleinen Streit herbeizuführen, der oft einen ganzen Monat währte und nur dazu beitrug, seine Leidenschaft zu erneuern. Kurz, der Sultan wurde, wie ich beabsichtigt hatte, so bethört, daß er ganz mein Sklave war; zugleich aber fühlte ich eine glühende Zuneigung zu ihm. Meine Macht war allbekannt. Ich erhielt unzählige Geschenke von Denen, die sich meine Dienstleistungen erbaten, behielt sie aber nie, sondern verehrte sie dem Sultan als Erwiederung der Präsente, die er mir so häufig zu schicken pflegte. Meine Gleichgültigkeit gegen das, auf was die Weiber in der Regel so sehr erpicht sind, erhöhete seine Achtung.

 

»Beim heiligen Propheten, aber Du scheinst jetzt scharf genug auf das Gold versessen zu seyn,« bemerkte der Pascha.

»Es ist eine Zeit gewesen,« versetzte die Alte. »Ich spreche nicht von der Gegenwart. Zwei Jahre führte ich ein glückliches Leben; aber so sehnlich der Sultan mit mir wünschte, daß ich ihm einen Erben möchte geben können, blieb mir doch eine solche Wonne versagt, und dieser Umstand wurde endlich die Ursache meines Verderbens. Die Königin Mutter und der Kislar Aga, die ich beide beleidigt hatte, waren unermüdlich in ihren Versuchen, meine Macht zu untergraben, und ich darf wohl sagen, daß das ganze Weltall durchspäht wurde, um für das Serail einen Gegenstand aufzufinden, dessen Neuheit und Reiz den Sultan meinen Armen entführen könnte. Statt jedoch Gegenränke zu schmieden, wie mir leicht möglich gewesen wäre, machten mir ihre vergeblichen Bemühungen nur Spaß. Hätte ich den Wollenkopf des Einen gefordert und die Andere vergiftet, so würde ich klug gehandelt haben – daß ich es nicht gethan, bereue ich noch in dieser Stunde. Ich war eine Thörin und die Sache ist nicht zu ändern – aber es hat eine Zeit gegeben.

Wie bei den meisten Männern bestand die herrschende Leidenschaft des Sultans in der Eitelkeit – eine Krankheit, welche sich in tausend verschiedenen Gestalten zeigte. Er war eigenthümlich stolz auf sein Aeußeres, und zwar nicht ohne Grund; denn er war ohne Mangel, eine kleine Ausnahme, die ich entdeckt hatte, abgerechnet: er besaß nämlich ein Mal von der Größe eines Taubeneis unter dem linken Arme. Ich hatte nie dergleichen gethan, als ob ich diesen Mangel entdeckt hätte; aber es ereignete sich ein Vorfall, der mich ärgerte, und ich vergaß meine Klugheit.

Der Kislar Aga hatte endlich eine Cirkassierin aufgefunden, die, wie er glaubte, für seine Pläne paßte. Sie war schön und ich hatte bereits seit mehr als zwei Jahren die Aufmerksamkeit des Sultans fast ausschließlich in Anspruch genommen. Die Männer sind wankelmüthig, und ich erwartete nichts Anderes. Ich wünschte nur die Herrschaft über seinen Geist und kümmerte mich wenig um seine Schäckereien mit andern Weibern. Ich hoffte, er werde wie der zahme Vogel, der aus seinem Käfig fliegt und eine kurze Zeit ausbleibt, bald wieder nach dem gewohnten Plätzchen zurückkehren, und quälte ihn daher nie mit Thränen oder Vorwürfen, sondern suchte ihn mit Lächeln und guter Laune zu gewinnen. Ich sah voraus, das neue Gesicht werde ihn für eine kurze Zeit in Anspruch nehmen, und vierzehn Tage lang ließ er sich in meinem Zimmer nicht wieder blicken. Er war nie so lang fort geblieben, und ich wurde etwas unruhig. Eines Morgens besuchte er mich und ich bat ihn, bei mir zu Nacht zu speisen. Er sagte zu und ich lud drei oder vier der schönsten Frauen im Serail, darunter auch die Dame seiner neuen Neigung, zum Mahle ein. Ich hielt diesen Schritt für klug, um ihm damit zu beweisen, daß ich durchaus nicht mißvergnügt sey, und hoffte, die Cirkassierin dürfte in den Schatten zu stehen kommen, wenn sie sich neben anderen von gleicher Schönheit befand, die durch die Vernachlässigung wieder Neuheit gewinnen konnten. Die Cirkassierin war unzweifelhaft sehr schön, konnte aber doch, ohne Eitelkeit gesprochen, keineswegs mit mir verglichen werden. Sie hatte hoffentlich nichts weiter als den Vortheil der Neuheit; indeß fühlte ich wohl, welch' eine gefährliche Nebenbuhlerin sie für mich werden konnte, wenn ihr Verstand und ihre Talente ihren persönlichen Reizen entsprachen. Der Sultan kam, und ich gab mir alle Mühe, ihm zu gefallen, wurde aber zu meinem großen Verdrusse ganz vernachlässigt. Alle seine Aufmerksamkeiten galten nur meiner Nebenbuhlerin, welche ihre Rolle bewunderungswürdig spielte und ihm jene tiefe Achtung und jene kriechende Schmeichelei zollte, die ich ihm versagt hatte und die er deshalb wahrscheinlich um der Neuheit willen höher anschlug. Endlich behandelte er mich so auffallend kränkend, daß ich meinen Gleichmuth verlor und den Entschluß faßte, den Sultan zu ärgern. Ich bot ihm einen kleinen Apfel hin.

»Will mein Gebieter diesen Apfel von der Hand seiner Sklavin annehmen? Ist er nicht merkwürdig von Gestalt? Er erinnert mich an das Mal unter Eurer Majestät linkem Arme.«

Das Gesicht des Sultans röthete sich vor Zorn.

»Ja, fuhr ich lachend fort, »es ist so, und Ihr wißt es wohl.«

»Stille, Zara!« rief der Sultan im festen Tone.

»Was, warum soll ich stille seyn, mein Gebieter? Habe ich nicht die Wahrheit gesprochen?«

»Falsches Weib, nimm zurück, was du lügnerisch behauptet hast.«

»Sultan, ich stehe der Wahrheit nicht ab, obschon ich schweigen will, wenn Ihr mir es gebietet.«

»Eure Sklavin ist mit der Aufmerksamkeit ihres hohen Herrn beehrt worden und erklärt die Behauptung für eine Schmähung,« bemerkte meine Nebenbuhlerin.

»Schweig, Elende! Du hast Dich dieser Ehre unwürdig bewiesen durch Deine lügenhafte Zunge.«

»Und ich verlange von Dir, Zara, daß Du Deiner Zunge die Zügel anlegst, oder Du sollst meinen Unwillen fühlen.«

Aber ich war nun zu aufgebracht und erwiederte:

»Mein Gebieter, Ihr wißt wohl, daß ich einmal meine Zunge achtzehn Monate lang im Zaume hielt, und daß ich wohl schweigen kann, wenn ich will; aber ich kann auch sprechen, wenn ich will, und eben jetzt habe ich Lust dazu. Was ich gesagt habe, dabei bleibt es, und ich werde mein Wort nicht zurücknehmen.«

Der Sultan wurde ganz weiß vor Wuth. Mein Leben hing an einem Faden, und die Cirkassierin bemerkte jetzt boshaft:

»Die Bastonade könnte sie vielleicht zum Widerruf veranlassen.«

»Ja, wir wollen dieß versuchen,« rief der Sultan und klatschte in seine Hände.

Dem Winke des Sultans gehorsam erschien der Kislar Aga. Der Nachrichter des Harems und zwei Sklaven streckten mich auf den Boden aus, ohne daß ich Widerstand oder Beschwerde erhoben hätte. Die juwelenbesetzten Pantoffel wurden mir abgenommen und Alles war bereit für die schmachvolle Züchtigung.

»Willst Du widerrufen, Zara?« fragte der Sultan feierlich.

»Nein, mein Gebieter, ich will nicht. Ich wiederhole, daß Du ein Mal unter Deinem linken Arm hast.«

»Schlagt zu,« rief der Sultan in einem Wuthanfalle.

Der Bambus fiel und ich erhielt Dutzend Hiebe, welche ich ohne Schrei ertrug, da mich meine Gefühle fast erstickten.

»Ich frage Dich nochmal, Zara, ob Du widerrufen willst«, fragte der Sultan in gedämpftem Tone.

»Nimmermehr, Sultan; ich will Euch beweisen, daß ein Weib mehr Muth hat, als Ihr Euch vorstellen könnt; und wenn ich unter der Züchtigung sterbe, so soll meine Nebenbuhlerin nicht einmal die Freude haben, mich stöhnen zu hören. Ihr fordert mich zum Widerruf auf, aber ich werde nicht von der Wahrheit abgehen. Ihr habt ein Mal unter Eurem linken Arme und wißt dies wohl; auch kann es dem schnöden Schmarotzerthierchen an Eurer Seite nicht unbekannt seyn.«

Ich war vor Schmerz fast ohnmächtig und meine schwache Stimme zitterte.

»Macht fort!« rief der Sultan.

Nachdem ich dreißig Schläge erhalten hatte, verlor ich die Besinnung, und der Sultan befahl nun den Sklaven, der Züchtigung Einhalt zu thun.

»Ich hoffe, Zara, Du bist jetzt für Deinen Ungehorsam hinlänglich gestraft,« sagte er.

Aber ich hörte ihn nicht, und als der Sultan bemerkte, daß ich ihm nicht antwortete, so sah er mich an und sein Herz schmolz in Mitleid. Er fühlte, wie willkührlich und grausam er gehandelt hatte. Die Cirkassierin näherte sich ihm; er befahl ihr aber mit einer Donnerstimme, sich zu entfernen, ließ mich durch die andere Frauen losbinden, legte mich auf das Sopha und sorgte dafür, daß belebende Mittel in Anwendung gebracht wurden. Als ich wieder zur Besinnung kam, war ich mit dem Sultan allein.

»O Zara,« sagte er und die Thränen standen ihm im Auge – »warum hast du mich so gereizt – warum warst Du so starrsinnig?«

»Mein Gebieter,« antwortete ich mit schwacher Stimme, »verlaßt Eure Sklavin und geht zu denen, welche ihre Zungen zur Lüge bereden konnten. Ich habe Euch nie getäuscht, obschon ich mir vielleicht öfters Euer Mißfallen zuzog. Ich liebte Euch mit Treue und Wahrheit, und nun Ihr mit Augen angesehen habt, wessen ich fähig bin, ehe ich mir eine Lüge zu Schulden kommen lasse, solltet Ihr mir Glauben schenken. Nehmt mein Leben, mein Gebieter, und ich will Euch segnen, denn ich habe Euch und mit Euch mehr als mein Leben verloren.«

»Nicht doch, Zara« versetzte der Sultan, »ich liebe Dich inniger als je.«

»Es freut mich, dies aus Eurem Munde zu hören, mein Gebieter, obgleich es jetzt nicht mehr nützt. Ich bin nicht länger die Eure und will es nie wieder seyn. Ich passe nicht mehr für Euch – meine Person ist beschimpft worden durch die Berührung der äthiopischen Sklaven – sie wurde befleckt durch die Hand des Henkers und herabgewürdigt durch eine Züchtigung, welche nur über gemeine Verbrecher verhängt werden sollte. Thut mir als letzten Beweis Eurer Liebe den Gefallen, mir ein Leben zu nehmen, das mir zur Last geworden ist.«

So despotisch der Sultan auch sonst war, fühlte er sich doch tief ergriffen; er ärgerte sich, seiner bösen Laune nachgegeben zu haben, und seine leidenschaftliche Liebe für mich war zurückgekehrt. Unter Thränen mich um Verzeihung bittend, küßte er meine geschwollenen Füße und demüthigte sich so weit, daß mein Herz weich wurde, denn ich liebte ihn noch immer innig.

»Zara,« rief er endlich, »willst Du mir nicht vergeben?« »Wann, mein Gebieter, habe ich mich je eifersüchtig erwiesen? Die wahre Liebe ist über die Eifersucht erhaben. Habe ich nicht, obschon ich in der letzten Zeit vernachlässigt wurde, erst diesen Abend Eure neue Favorite hierher gebeten, um Euch dadurch ein Vergnügen zu machen? Zur Belohnung wurde ich gröblich durch Geringschätzung und studirte Aufmerksamkeit gegen sie beschimpft. Ich war ärgerlich und rächte mich – denn ich bin nur ein Weib. Es war freilich nicht recht von mir, aber da ich einmal die Wahrheit gesagt hatte, so war es meine Pflicht, die Behauptung nicht zurück zu nehmen. Ihr habt mich herabgewürdigt – mich Euer unwerth gemacht, und nun dies geschehen ist, bittet Ihr mich, Euch zu vergeben.«

»Ich flehe noch einmal darum, meine theure Zara!«

»Hier sind meine Kleinodien, mein Gebieter. Ich habe kein anderes Eigenthum, als das, was ich von Euch erhielt und was ich als Euer Geschenk werth schätzte. Euer Schatzmeister weiß dies wohl. Nehmt diese Juwelen, mein Gebieter und gebt sie ihr; sie wird dadurch nur noch schöner werden in Euren Augen, und für mich sind sie jetzt doch werthlos. Geht zu ihr, und in wenigen Tagen werdet Ihr vergessen haben, daß es je eine Person gab, wie die unglückliche, die herabgewürdigte, die beschimpfte Zara.«

Und ich brach in Thränen aus, denn trotz der erlittenen übeln Behandlung fühlte ich mich doch elend bei dem Gedanken, mich von ihm zu trennen. Ach was vergibt nicht ein Weib dem Manne, der ihre Gunst und ihre Liebe gewonnen hat!

»Was kann ich thun, um Dir meine Reue zu beweisen?« rief der Sultan. »Sprich Zara. Ich habe Dich um Verzeihung gebeten – was forderst Du weiter von mir?«

»So möge mein Herr alle Spuren und die Erinnerung an meine Schande vertilgen. Wurde ich nicht durch zwei elende Sklaven geschlagen, welche den Vorgang durch die Stadt ausplaudern werden? Hat mich nicht der Henker niedergehalten? Denkt Euch diese Arme, die sich nur um den Herrn der Welt und nie um Jemand anders gewunden hatten, von seinen Fäusten verunreinigt.«

Der Sultan schlug die Hände zusammen und der Kislar Aga erschien.

»Hurtig,« rief er, »die Köpfe des Henkers und der Sklaven, welche die Züchtigung vollzogen.«

Nach einigen Minuten erschien der Kislar Aga wieder; er bemerkte, wie die Sachen standen, und zitterte für sein eigenes Leben. Nachdem er die drei Köpfe nach einander erhoben, warf er sie in den Sack mit Sägmehl zurück, in welchem er sie gebracht hatte.

»Bist Du jetzt zufrieden Zara?«

»Für mich selbst wohl, aber nicht für Euch. Wer hat Euch überredet, Eure Würde zu vergessen und Euch selbst zu erniedrigen, indem Ihr den Einflüsterungen der Bosheit nachgabt? Wer hat zu der Bastonade gerathen? Als Weib bin ich zu stolz, um auf sie eifersüchtig zu seyn, aber als eine Person, die Eure Ehre und Euern Ruf werth schätzt, kann ich nicht gestatten, daß Ihr eine so gefährliche Rathgeberin beibehaltet. Eure Jungfrauen, Eure Omras, Eure Fürsten werden alle ihrer Gnade preis gegeben seyn, und sie ist im Stande, durch Benutzung ihrer Gewalt Euren Thron umzustürzen.«

Der Sultan zögerte.

»Sultan, Ihr habt nur zwischen zwei Dingen zu wählen; wenn sie morgen Früh noch am Leben ist, findet Ihr mich getödtet von eigener Hand. Ihr wißt, daß ich nie lüge.«

Der Sultan klatschte in die Hände und der Kislar Aga erschien wieder.

» Ihren Kopf,« sagte er stockend.

Der Kislar Aga wartete eine Weile, um sich zu überzeugen, ob kein Widerruf nachfolgen würde, denn eine allzu schnelle Befolgung der Befehle eines Despoten ist fast eben so gefährlich, wie Zögerung. Er sah mir ins Auge und erkannte daraus, wenn ihr Kopf nicht fiele, dürfte sein eigener das Opfer seyn, weßhalb er hurtig das Gemach verließ. Nach einigen Minuten hielt er das Haupt meiner schönen Nebenbuhlerin an ihren blonden Zöpfen in die Höhe. Ich sah ihre verzerrten Züge und war zufrieden. Auf einen Wink meiner Hand entfernte sich der Kislar Aga.

»Vergibst Du mir jetzt, Zara? Glaubst Du mir nun, daß ich Dich aufrichtig liebe, und habe ich Deine Verzeihung erhalten?«

»Ja, mein hoher Gebieter, antwortete ich, »ich verzeihe Euch Alles Und nun – – will ich Euch gestatten, daß Ihr an meiner Seite Platz nehmt und mir meine Füße badet!«

Von jenem Tage an nahm ich meine Herrschaft mit despotischerer Gewalt als je wieder auf. Ich wies seine Besuche zurück, so oft ich Lust hatte, und wenn ich vermuthete, er könnte meiner auch nur im mindesten satt seyn, so durfte er darauf zählen wenigstens vierzehn Tage lang nicht vorgelassen zu werden. Ich wurde die Vertraute seiner Geheimnisse und die Triebfeder seiner Entschließungen. Mein Scepter waltete unbeschränkt, und ich machte nie Mißbrauch davon; denn ich liebte ihn, und seine Ehre, sein Wohl waren die einzigen Leitsterne meines Benehmens.

 

»Doch Du wirst müde seyn, o Pascha, und da ich Dir jetzt erzählt habe, wie ich die Bastonade erlitt, so ist es Dir vielleicht genehm, morgen die Geschichte der seidenen Schnur zu hören.«

»Ich glaube, die Alte hat Recht«, sagte Mustapha gähnend; »es ist schon spät. Ist es Eurer Hoheit Wille, daß sie morgen Abend wieder hieher komme?«

»Ja; aber halte sie in engem Gewahrsam. Du erinnerst Dich–«

»Be chesm – auf meine Augen komme es. Wachen, entfernt dieses Weib aus des Paschas erhabener Gegenwart.«

»Es däucht mich fast«, sagte der Pascha zu Mustapha, »daß die Geschichte dieser Alten wahr seyn könnte. Die Schilderung des Harems ist so richtig – am einen Tag das Commando, am andern die Bastonade.«

»Wer kann die Thatsache bezweifeln, durchlauchtigste Hoheit? Der Herr des Lebens verfügt, wie es ihm gut dünkt.«

»Sehr wahr; er könnte mir morgen die seidene Schnur schicken.«

»Allah verhüte dies!«

»Das bete ich mit Dir; aber das Leben ist ungewiß, und wir stehen unter der Fügung des Geschicks. Du bist zum Beispiel heute mein Vezier, was magst Du wohl morgen seyn?«

»Was Eurer Hoheit über mich zu entscheiden beliebt,« versetzte Mustapha, dem die Wendung des Gesprächs nicht recht gefallen wollte. »Bin ich nicht Euer Sklave und wie der Staub unter Euren Füßen? Muß ich mich nicht beugen unter Euren allmächtigen Willen und unter mein Geschick?«

»Wohl gesprochen – und das Gleiche ist bei mir der Fall, wenn mir der Kalif, was übrigens Allah verhüten wolle, einen Kapidschi Baschi schicken soll. Es ist nur ein Gott, und Mahomed ist sein Prophet.«

»Amen,« entgegnete Mustapha. »Will Eure Hoheit von dem Wasser der Giauren trinken?«

»Ja, allerdings; denn was sagte der Poet? ›Wir sind heut heiter und morgen sterben wir.‹«

»Min Allah; Gott verhüte es! Diese Alte hat so lange gelebt, warum sollten wir's nicht auch?«

»Ich weiß nicht, aber sie hat die seidene Schnur erhalten und ist noch nicht todt. Bei uns dürfte sich's nicht so glücklich fügen.«

»Sie kömmt vielleicht nie an uns, und man kann ihr auch ausweichen, o Pascha.«

»Du hast Recht Mustapha, So gib mir die Flasche.«


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