Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Dreizehntes Kapitel.

»Mustapha,« sagte der Pascha, seine Pfeife aus dem Munde nehmend, nachdem er eine halbe Stunde schweigend geraucht hatte; »ich habe über die Sache nachgedacht, und es kommt mir sonderbar vor, daß unser heiliger Prophet (gesegnet sey sein Name!) sich so viel Mühe gegeben haben soll um einen derartigen Shitan's-Sohn, wie dieser schurkische Renegate Huckaback ist, dessen Religion doch nur in seinem Turban besteht. Bei dem Schwerte des Propheten, ist es nicht seltsam, mir einen derartigen Menschen zu schicken, damit er meine Flotte kommandire?«

»Es war der Wille Eurer Durchlauchtigen Hoheit,« versetzte Mustapha, »daß er den Befehl über Eure Schiffe übernehme.«

»Mustapha, war es nicht der Wille des Propheten?«

Mustapha rauchte seine Pfeife, und gab keine Antwort.

»Er war ein guter Erzähler,« bemerkte der Pascha nach einer abermaligen Pause.

»Ja,« entgegnete Mustapha trocken. »Kein Kesseguh unter unseren wahren Gläubigen konnte sich ihm vergleichen. Aber das ist jetzt vorüber, und der Hund von einem Isauri muß sich als ein Rustam in dem Dienste Eurer Durchlauchtigen Hoheit erweisen. Wohl wissend, daß Eure Hoheit Unterhaltung wünscht und daß Euer Sklave, der nur durch das Licht Eures Antlitzes leuchtet, dafür zu sorgen verpflichtet ist, habe ich – seit gestern die Sonne unterging, verzweifelnd, weil sie ihren Glanz durch den Eurer Durchlauchtigen Hoheit verdunkelt sehen mußte – durch die ganze Welt die sorgfältigsten Nachforschungen anstellen lassen und die Entdeckung gemacht, daß in der Karavane, welche zur Zeit vor der Stadt hält, ein berühmter Kessehguh sich befinde, welcher nach Mecca reisen will, um dem Sarge unsres Propheten seine Huldigung zu erweisen. Ich habe daher zuverläßige Boten abgeschickt, daß sie den Mann in die Gegenwart von Min Baschi bringen, vor dem Euer Sklave und die Tausende, die er beherrscht, nur Staub sind.«

Und Mustapha verbeugte sich tief.

»Aferin, vortrefflich!« rief der Pascha. »Und wann wird er hier seyn?«

»Ehe das Rohr, das nun durch den Kuß von Eurer Hoheit Lippen geehrt wird, in seinem Entzücken den Weihrauch eines weiteren Kopfs, mit dem duftigen Kraute gefüllt, in die Luft geschickt hat, werden die Pantoffeln des Kessehguh an der Schwelle des Palastes zurückgelassen seyn. Bé Chésm! auf meine Augen komme es.«

»Es ist gut, Mustapha. Sklave,« fuhr der Pascha fort, indem er sich an den aufwartenden Krieger wendete, der mit gekreuzten Armen und niedergeschlagenen Augen dastand; »Kaffee – und das starke Wasser der Giauren.«

Des Pascha's Pfeife wurde wieder gefüllt, sie goßen ihren Kaffee die Kehlen hinunter, und der verbotene Branntwein erfüllte sie mit doppeltem Entzücken, schon um des einfachen Umstandes willen, weil er ihnen verboten war.

»Sicherlich muß hier ein Irrthum obwalten, Mustapha. Sagt nicht der Koran, daß alles Gute den wahren Gläubigen zugedacht sey, und ist dieß nicht gut? Wie kann es also verboten seyn? Wäre es etwa nur für die Giauren bestimmt? – Mögen sie und die Gräber ihrer Väter auf ewig verunreinigt seyn!«

»Amen,« versetzte Mustapha, indem er das Glas niedersetzte und tief aufathmete.

Mustapha hatte ganz richtig gerechnet; denn noch ehe der Pascha mit seiner Pfeife zu Ende war, wurde die Ankunft des Geschichtenerzählers gemeldet. Nachdem man denselben Anstands halber einige Minuten, welche dem ungeduldigen Pascha wie eine Ewigkeit vorkamen, hatte warten lassen, klopfte Mustapha in seine Hände, und der Mann wurde eingeführt.

» Kosh amedeid! Du bist willkommen,« sagte der Pascha, als der Kessehguh in den Divan trat; er war ein schmächtiger, zierlich gebildeter Mann von ungefähr dreißig Jahren.

»Dem Winke des Pascha's gehorsam bin ich hier,« versetzte der Mann mit höchst musikalischer Stimme und einer tiefen Verbeugung. »Was verlangt Eure Hoheit von ihrem Sklaven Menouni?«

»Seine Hoheit wünscht eine Probe Deines Talents zu hören, um Gelegenheit zu Ausübung von Dero Freigebigkeit zu finden.« »Ich bin weniger als Staub und bereit, mein Haupt mit Asche zu bestreuen, weil sich meine Seele nicht in den siebenten Himmel versteigen will über die Herablassung Seiner Hoheit. Dennoch würde ich gerne sein Geheiß erfüllen und aufbrechen; denn ein Gelübde an den Propheten ist heilig, und es steht im Koran geschrieben – –«

»Wir wollen jetzt nichts vom Koran wissen, guter Menouni, sondern möchten gerne eine Probe Deiner Kunst hören. Erzähle mir eine Geschichte.«

»Ich bin in hohem Grade stolz auf diese Ehre. Wird mein Gesicht nicht weiß seyn in alle Ewigkeit? Soll Euer Sklave die Liebe von Leilah und Majnoun berichten?«

»Nein, nein,« versetzte der Pascha; »ich will etwas, was mich interessiren kann.«

»So will ich die Geschichte des narbigen Liebhabers erzählen.«

»Das klingt gut, Mustapha,« bemerkte der Pascha.

»Wer kann so gut in die Zukunft sehen, als Eure Durchlauchtige Hoheit?« versetzte Mustapha. »Menouni, es ist der Wunsch des Pascha's, daß Du beginnest.«

»Euer Sklave gehorcht. Der hohe Verstand von Min Baschi ist zu gut bekannt mit der Geographie – –«

»Nicht, daß ich wüßte. Hat er je seine Pantoffeln an unsrer Schwelle gelassen, Mustapha?«

»Ich vermuthe,« versetzte Mustapha, »daß er auch da gewesen seyn muß, weil er über die ganze Welt geht. Fahre fort, Menouni, und stelle keine solche Fragen. Kraft seines Amtes kennt die Durchlauchtige Hoheit Alles.«

»Wahr,« sagte der Pascha, indem er mit großer Würde und Selbstgefälligkeit seinen Bart schüttelte.

»Ich habe mich nur zu dieser Frage erdreistet,« erwiederte Menouni, dessen Stimme so reich und silbern tönte, wie eine Flöte am stillen Sommerabend, weil ich eine Kenntniß der gedachten Wissenschaft für nöthig hielt, um sich eine gute Vorstellung von dem Theile der Welt machen zu können, in welchem meine Geschichte spielt. Aber ich habe Staub gegessen, und Schande trifft mich für meine Unklugheit, die ich mir nicht erlaubt haben würde, wenn nicht der allergnädigste Sultan, als ich die Ehre hatte, ihm die Geschichte zu erzählen, mich zu unterbrechen geruht hätte, weil er nicht ganz überzeugt war, ob ihm die betreffenden Welttheile bekannt seyen. Ich will übrigens jetzt in meiner Geschichte fortfahren – sie soll vorwärts gehen mit dem majestätischen Schritte des Kameels, welches stolz ist auf seine Pilgerreise durch die Wüste nach dem Sarge unsres heiligen Propheten.«

Der narbige Liebhaber.

In den nordöstlichen Theilen der ungeheuren Halbinsel Indien befand sich ein blühendes, ausgedehntes Königreich, das sich besonders durch die Schönheit des Landes, die Fruchtbarkeit des Bodens und durch sein gesundes Klima auszeichnete. Das Königreich grenzte im Osten an ein Land Lusitania, genannt, und letzteres erstreckt sich nordwärts nach der Küste von Eisland, welches von der übermäßigen Hitze seiner Winter den Namen trägt. Die Südgrenze bestand aus einem Strich Landes, dessen Namen meinem Gedächtniß entwischt ist; so viel weiß ich aber, daß besagter Strich in das Meer hineinlauft, welches unter der Herrschaft des Großchans der Tartarei steht. Westlich befindet sich ein anderes Königreich, dessen Namen ich gleichfalls vergessen habe, und im Norden ist ein zweites – nun, ich kann mich des Namens nicht entsinnen. Nach dieser Auseinandersetzung werden Eurer Durchlauchtigen Hoheit Kenntnisse, gegen welche die des weisen Lokman nur sind, was der Samenkern gegen die Wassermelone – bereits ausgefunden haben, daß ich das alte Königreich Souffra meine.«

 

»Menouni, Du hast ganz Recht,« bemerkte der Pascha. »Fahre fort.«

»Es ist ein Glück für Euern Sklave, daß er so viel Weisheit gegenüber sieht,« entgegnete Menouni; denn ich war im Zweifel. Der Glanz Eurer Anwesenheit hat mein Gedächtniß verwirrt, wie der Anblick der Karavane das Zebra-Fohlen der Wüste einschüchtert.«

In diesem lieblichen Königreiche, wo die Nachtigallen ihr Daseyn verfangen in ihrer Liebe für die Rosen, und die Rosen ihren Wohlgeruch ausdufteten, bis die Luft eine einzige Essenz des Entzückens war, wie sie eingeathmet wird von den wahren Gläubigen, wenn sie sich zuerst den Thoren des Paradieses nähern und durch den Wink der Houris von den goldenen Wanden bezaubert werden – in dem lieblichen Königreich lebte eine schöne Hindu-Prinzessin, welche in Anmuth wandelte, und deren Lächeln Glück über Alle verbreitete, auf die es fiel. Dennoch hörte sie aus Gründen, welche meine Geschichte angeben wird, achtzehn Sommer die Nachtigall klagen, ohne den Bund der Ehe einzugehen. Dieses Land war damals von Allah mit Ungläubigen bevölkert, damit sie es fruchtbar machten für die wahren Gläubigen, und damit sie letzteren als Sklaven dienten nach ihrer Ankunft, welche erst einige Zeit nach den Ereignissen meiner gegenwärtigen Geschichte stattfand. Unter den Weibern von Souffra war es nicht Brauch, das Leben der Unsichtbarkeit zu führen, welches nur denen gestattet ist, die dem Vergnügen der Koransanhänger dienen; denn obgleich sie sonst ungemein bescheiden und gesetzt waren, gaben sie doch bei gewissen wichtigen Anlässen ihre Reize den öffentlichen Blicken preis – ein Irrthum, für den sie, trotz ihrer Schönheit, ohne Zweifel in alle Ewigkeit verdammt worden waren, wenn sie Seelen besessen hätten. Menou hat gesagt, die Civilisation müsse sich ferne und weit ausdehnen, ehe sich andere Nationen zu der Feinheit erhöben, um uns in der Pracht, in der Sicherheit, und in dem Glücke unsrer Harems nachzuahmen, und wenn ich Eurer Hoheit weiter bemerke – –«

 

»Fahre fort, guter Menounei,« unterbrach ihn Mustapha. »Der Durchlauchtige Pascha ist kein Freund von Bemerkungen.

»Nein, bei unsrem Barte,« entgegnete der Pascha. »Es steht Dir zu, Deine Geschichte zu erzählen, und muß dann mir belassen bleiben, meine Bemerkungen zu machen, wenn sie vorüber ist.«

»Ich stehe in dem Angesicht der Weisheit,« sagte Menouni, indem er sich tief verbeugte und fortfuhr:

Die schöne Babebibobu (denn so lautete der Name der Prinzessin, welcher in der Sprache des Landes die »Rahmtorte des Entzückens« bezeichnet) wurde durch den Tod ihres Vaters Königin der Souffraner; auch wurde ihr in seinem Testamente, welches alle Großen des Reichs beschworen hatten, eingeschärft, sie solle sich in ihrem zwölften Lebensjahre einen Gatten wählen. In Betreff des letztern war übrigens ausdrücklich bestimmt, daß der so hoch begünstigte Jüngling einer gleich vornehmen Kaste angehören und ohne Narbe oder Mängel seyn müsse. Als daher zwei Jahre nach dem Tode ihres Vaters die schöne Babebibobu ihr zwölftes Lebensjahr erreicht hatte, wurden schnelle Läufer oder hurtige Boten, welche auf den flüchtigsten Dromedaren und arabischen Pferden der reinsten Race aufbrechen mußten, durch das ganze Königreich Souffra geschickt, um die Verfügung des Königs bekannt zu machen. Die Kunde davon gelangte endlich auch in die benachbarten Königreiche, und von diesen aus nach allen Enden des Erdenrunds, so daß Alles unterrichtet wurde. In dem Königreich Souffra, in welchem die Wahl getroffen werden sollte, befanden sich alle Jünglinge der erforderlichen Kaste in einem Zustande von Gährung, weil sie Aussicht hatten, die Ehre zu erringen, während die Jünglinge von niedrigeren Stufen gleichfalls stürmisch bewegt waren über den Gedanken, daß es für sie nicht einen Schatten von Hoffnung gab; und alle Weiber von hoher Kaste, niedriger Kaste, oder gar keiner Kaste befanden sich in einem Zustande von Gährung, weil – weil –«

 

»Weil sie's immer so sind,« unterbrach ihn der Pascha. »Fahre fort, Menouni.«

»Ich danke Eurer Durchlauchtigen Hoheit, daß Ihr mir in meiner Schwierigkeit ausgeholfen habt; denn wer vermöchte auch für das Benehmen von Weibern Gründe anzugeben?«

Es reicht zu, zu sagen, daß sich das ganze Land in einem Zustand von Gährung befand; die Gründe dazu bestanden in Hoffnung, Verzweiflung, Eifersucht, Neid, Neugierde, Muthmaßungen, Verwunderung, Zweifeln, Glauben, Hören, Erzählen, Plappern, Unterbrechen und in noch vielen andern, welche hier aufzuzählen allzu langweilig wäre. Auf die erste Kunde hin versah jeder Souffraner Jüngling seine Mandoline mit neuen Saiten und gab sich der schönen Aussicht hin, der erkiesene Glückliche zu werden. Die Hoffnung wurde triumphirend durch das Land. Die Rosen stiegen zu doppeltem Preise; den Attar verfälschte man, um nur die ungeheure Nachfrage befriedigen zu können, und die Nachtigallen wurden fast angebetet. Aber so konnte es nicht fortgehen. Dem Reiche der Hoffnung folgten Zweifel, und das Nachdenken deutete daraus hin, daß aus drei Millionen sehr wählbarer Jünglinge nur ein Einziger der Glückliche seyn konnte. Aber wo viele Räthe sind, geht es nur langsam mit der Entscheidung. Die Zusammenkünfte, Besprechungen, Debatten, Verhandlungen und Reden waren so zahlreich – die Großen des Reiches hatten so unterschiedliche Einwürfe vorzubringen, daß der schöne Paradiesvogel in einem Alter von achtzehn Jahren noch ungepaart war und einsam sein jungfräuliches Lied in den königlichen Hainen trillerte.

 

»Aber warum,« unterbrach ihn der Pascha, warum hat man sie nicht geheirathet, wenn doch drei Millionen junger Menschen da waren, welche Lust hatten, sie zu nehmen? Da kann ich doch wahrhaftig den Grund einer sechsjährigen Zögerung nicht einsehen.«

»Der Grund, Durchlauchtigste Hoheit, bestand darin, daß die Großen von Souffra nicht mit Eurer leuchtenden Weisheit begabt waren; sonst hätte die schöne Babebibobu nicht so lange nach einem Gatten schmachten müssen. Die ganze Zögerung wurde durch Zweifel herbeigeführt, die von den Dichtern mit Wahrheit die Väter des Säumens genannt werden. Es handelte sich um ein Bedenken, das sich in dem Kopfe eines der Braminen erhob, und wenn dieser sich einmal mit einem Zweifel trug, so schob er denselben stets im Munde umher, ohne ihn je zu kauen, zu schlucken oder zu verdauen. Auf diese Weise kam es, daß die Erhaltung der königlichen Linie gefährdet wurde. Jahre lang hatten die Bewerber um die Königswürde, und eine mehr als königliche Schönheit den Hof umschwärmt. Die Jünglinge erschienen mit ihren Mandolinen in den Armen, und Sklaven mußten ihnen ungeheure Packe von Liebes-Sonetten nachtragen; aber doch blieb Alles im Anstande und die schöne Prinzessin Babebibobu unvermählt.

»Ich zweifle, ob wir je zu dem Punkte des Zweifels kommen werden,« unterbrach ihn der Pascha ungeduldig; »oder ob die Prinzessin überhaupt einen Mann kriegt.«

 

»Der Zweifel soll jetzt unverweilt Eurer Hoheit zu Füßen gelegt werden. Es handelte sich um die genaue Bedeutung der Worte: »ohne Narbe oder Mängel« – ferner, ob Muttermäler als Narben oder Mängel zu betrachten seyen. Der Bramine war der Ansicht, die Muttermäler seyen wirklich Mängel und viele Andere stimmten mit ihm überein; das heißt alle diejenigen, welche keine Muttermäler hatten, theilten seine Meinung, während andererseits Personen, welche von der Natur durch derartige auszeichnende Merkmale begünstigt waren, die Erklärung abgaben, sie seyen nicht nur keine Narben oder Mängel, sondern müßten vielmehr als zugäbliche Schönheiten betrachtet werden, welche der Himmel seinen Lieblingen geschenkt hätte. Der Streit wurde mit Eifer fortgeführt und die schöne Prinzessin Babebibobu blieb unverheirathet. Die wichtige Frage ward zuletzt sehr passend dem Mufti vorgelegt. Die Geistlichkeit handhabte, zerrte, drehte, addirte, multiplizirte, subtrahirte, dividirte, debattirte mit leerem und vollem Magen, nickte oder träumte, schlief oder wachte darüber, analysirte und kritisirte die Sache, schrieb acht und vierzig Foliobände, von welchen vier und zwanzig pro und vier und zwanzig contra waren; aber der einzige Schluß, zu dem sie kommen konnten tief darauf hinaus, daß Muttermäler eben Muttermäler seyen, und die schöne Prinzessin Babebibobu blieb unverheirathet.

Die Derwische und Fakirs des Landes griffen sodann die Frage von ihrem religiösen Gesichtspunkte auf. Sie spalteten sich in zwei Parteien und suchten sich durch eine Disputation unter einem Bannanenbaum zu vergleichen. Der Streit dauerte achtzehn Monate, und noch hatte nicht die Hälfte der heiligen Männer ihre Ansicht über die Sache abgegeben. Des Sprechens müde, kam es zu Schlägen, dann zu gegenseitigen Bannflüchen und Excommunicationen, bis sie zuletzt zu dem überzeugenden Beweise des Spießens griffen. Mehr als tausend gingen auf jeder Seite zu Grunde, und noch immer blieb die schöne Prinzessin Babebibobu unvermählt.

Die Collegien und Schulen des Königreichs kamen gleichfalls an die Reihe, behandelten die Frage metaphysisch, und nachdem zwischen den beiden Seiten zwei und zwanzig Millionen Argumentationsfaden unwiederbringlich verloren gegangen waren, schien das Ganze so frisch, als je zu seyn, und die schöne Prinzessin Babebibobu blieb unverheirathet.

Aber dies war noch nicht Alles; denn zuletzt nahm die ganze Nation an dem Streite Theil und spaltete sich in wilde, ungestüme Parteien. Stadt stand gegen Stadt, Einwohner gegen Einwohner, Haus gegen Haus, Familie gegen Familie, der Mann gegen das Weib, der Vater gegen den Sohn, der Bruder gegen die Schwester, und in manchen Fallen, wo die Bedenken beiderseitig waren, der Mann sogar gegen sich selber. Das ganze Volk griff zu den Waffen, und die Muttermäler stritten gegen die Nichtmuttermäler. Es kam zu vierhundert Aufständen und zu vier förmlichen Bürgerkriege, das Schlimmste aber war, daß die schöne Prinzessin Babebibobu noch immer unvermählt blieb. Eure durchlauchtige Hoheit wird zugeben, daß es eine sehr verfängliche Frage war – –«

 

»Was ist Deine Ansicht, Mustapha?« fragte der Pascha.

»Wenn Euer Sklave sprechen darf, so möchte ich sagen, daß es abgeschmackt war, über ein Muttermal so großes Geschrei zu machen.«

»Sehr wahr, Mustapha. Diese Prinzessin wird nie einen Mann kriegen. Fahre also fort guter Menonui.«

 

Ich muß Eurer durchlauchtigen Hoheit bemerken, daß die Muttermäler die stärkste Partei bildeten und höchst anmaßend waren. Nicht zufrieden, die Abzeichen der Natur zu tragen, klebten sie auf ihre Gesichter künstliche Muttermäler von jeder Gestalt und Farbe, und die ungestümsten Parteigänger sahen aus, als litten sie an einer Hautkrankheit. Auch war es ein auffallender Umstand, daß kein Muttermäler je seine Seite wechselte, während man Viele der Anti- Muttermäler kannte, die nach einem Bade den schamlosesten Abfall begangen hatten. Alles ging aufs Unglückseligste und das Land befand sich im Zustand der Verwirrung, als die Frage endlich glücklicher Weise durch die Bemerkung eines kleinen ungefähr zwölfjährigen Sklaven gelöst wurde, den sein Gebieter jeden Morgen auf den Verdacht des Malismus hin, die Gebieterin aber Abends wegen muthmaßlichem Antimalismus peitschte. Dieser arme kleine Kerl flüsterte einem andern Knaben zu, daß die Muttermäler nur je nach der Denkweise der Leute Mängel wären oder nicht; er für seinen Theil halte durchaus nichts von der Sache. Das Spionensystem war damals so scharf im Gange, daß man sogar ein Geflüster auf meilenweite Entfernung hörte, und so wurden denn auch diese Worte gemeldet. Sie waren ohne Frage neu, weil sie eine Neutralität in sich faßten, und zwar zu einer Zeit, in welcher man weder neutral seyn wollte, noch an eine Neutralität dachte. Die Bemerkung wurde hin- und hergetragen, für wunderbar erklärt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Vorstädte, kehrte durch die Stadt und erschütterte sogar den Thron des Palastes. Endlich erreichte sie den Heiligen im Divan, welcher sie für eine Eingebung der Gottheit erklärte, und nun wurde ein feierliches Edikt erlassen, welches den Souffranern als den positivsten und wichtigsten Glaubensartikel die tiefe Wahrheit ans Herz legte, daß Muttermäler keine Narben und nur dann Mängel seyen, wenn man sie als solche betrachte. Männiglich pries die Weisheit dieses Erlasses; man las und unterschrieb ihn als einen Glaubensartikel – Städte begrüßten Städte – ein Haus wünschte dem andern Glück – Verwandte drückten sich wieder die Hände – was noch seltsamer war, Männer und Weiber söhnten sich wieder mit einander aus – und die schöne Prinzessin Babebibobu hatte doch endlich einmal die entzückende Aussicht, nicht länger unverheirathet bleiben zu müssen.

Dieses glückliche Edikt, aus welchem klärlich erhellte, daß diejenigen, welche ein Muttermal für einen Mangel hielten, ganz sicher waren, die Ungläubigen aber auch nichts zu befahren hatten – setzte Alles zurecht. Die Hauptstadt füllte sich wieder mit Bewerbern, die Ohren wurden von der Musik der Mandolinen gequält und die Luft schwängerte sich mit dem Attar der Rose. Wer kann versuchen, den prachtvollen Palast und die Herrlichkeit der Halle zu schildern, worin die schöne Prinzessin saß, um die Huldigung der auserlesensten Jugend ihres Königsreichs entgegen zu nehmen? Beschwichtigend weich – süß, liebend weich klangen die Silbertöne der trillernden Asparas oder singenden Mädchen, die jetzt in zarten melodischen Güssen ebbeten und dann wieder flutheten, während durch die zierliche, mit hohen Säulen versehene Halle andere Mädchen, jede so schön wie Artie selbst in ihrem Glänze, hin und her tanzten, in ihrer Gesammtheit fast den Blick der Huldigung zu fordern scheinend, der doch nur dem Unvergleichlichen Wesen gebührte, welches auf seinem Smaragd-Throne schmachtete und brannte. Drei Tage hatte die Prinzessin in dieser Halle des Entzückens gesessen, ermüdet und ärgerlich über das beharrliche Herbeiströmen der Souffra-Jünglinge, die sich vor ihr niederwarfen und vorbeizogen. Der vierte Morgen dämmerte, und Keiner konnte sich rühmen, daß er auch nur durch einen Schatten von Vorzug, durch eine Geberde, einen Seufzer oder einen Blick ausgezeichnet worden sey. Und die edlen Jünglinge benahmen sich in ihrer Verzweiflung mit einander und murmelten unter sich. Mancher Fuß stampfte in ungebührlicher Heftigkeit, und mancher Schnauzbart wurde in kleinlicher Entrüstung gedreht. Die Einwohner der Hauptstadt tadelten das Ungestüm der Jünglinge; wenn es auch nicht geradezu unloyal sey, so müsse es doch im mindesten Falle ungalant genannt werden, und was noch das Schlimmste sey, sie zeigten keine Rücksicht für das Wohl der Bürger, über die jeder als Souverän zu herrschen trachte, – denn sie müßten doch wissen, wie jetzt die Zeit sey, in welcher die Bürger von dem Zuströmen der Bewerber eine goldene Ernte zögen. Ferner fügten sie ganz richtig bei, eine Prinzessin, welche man gezwungen habe, zu Befriedigung der Bedenken Anderer sechs Jahre zu warten, sey aufs Unzweifelhafteste befugt, auf Lösung ihrer eigenen Anstände eben so viele Tage zu verwenden.

Am vierten Tage nahm die schöne Babebibobu abermals ihren Sitz auf den goldenen Polstern ein. Ihre Beine waren gekreuzt, ihre kleinen Füße unter den Falten ihrer weiten, azurblauen, seidenen Hosen verborgen, und man glaubte, es lasse sich in ihren Augen mehr Feuer, in ihrem Gesichte mehr Leben blicken, als Tags zuvor. Aber dennoch zog die Menge unbeachtet vorbei. Sogar die gelehrten Braminen, welche in unbeweglichen Reihen zu jeder Seite des Thrones standen, wurden ungeduldig. Sie sprachen von dem Wankelmuth des weiblichen Geschlechtes, von der Unmöglichkeit, dasselbe zu einem Entschlusse zu bringen – flüsterten sich weise Sprüchlein von Ferdistan und Anderen zu über die Launenhaftigkeit der Weiber und die Unbeständigkeit ihrer Naturen – kurz je mehr sie von dem langen Stehen die Beine schmerzten, desto bitterer wurden sie in ihren Bemerkungen. Die armen, faselnden alten Narren! – Die schöne Prinzessin war schon längst mit sich einig, ohne während der sechs langen Jahre, in welchen die Bedenken und Verhandlungen der ehrwürdigen alten Hohlköpfe die ganze Nation in einen Mäler- und Antimälerzwist gestürzt hatte, auch nur ein einziges Mal von ihrem Entschlusse abzugehen.

Es war ungefähr die erste Stunde des Nachmittags, als die schöne Babebibobu sich plötzlich aus ihrer ruhenden Haltung erhob, ihre hübschen Händchen, deren Finger schon mit Henna gefärbt waren, zusammenschlug, ihren Gesellschafterinnen winkte und sich anmuthig aus der Gerichtshalle zurückzog. Die Ueberraschung war groß, und ihr Benehmen erschien dadurch um so auffallender, weil der einzige Sohn des Oberbraminen, welcher zuerst die Frage aufgeworfen hatte und an der Spitze der Anti-Mäler-Parthie stand, in diesem Augenblicke ausgestreckt vor dem Throne lag. Seine Stirn war zwar zur Erde geneigt, aber seine Brust schwoll hoch auf in Hoffnung und Ehrgeiz.

Die keuchende Prinzessin zog sich nach einer Laube von Orangenbäumen in den verborgensten Winkel des königlichen Gartens zurück. Sie wählte aus den umhergestreuten Blumen einige aus und schickte sie an ihren Lieblingsmusiker und Verehrer Acota ab. War Jemand im Königreiche Souffra, der die Mandoline so süß rühren konnte, wie Acota? Und doch – gab es nicht nur in Souffra, sondern in allen benachbarten Ländern irgendwo einen Menschen, der hin und wieder so mißtönige Noten anschlug, als Acota, und dieß noch obendrein vor den Ohren der schönen Prinzessin Babebibobu, die nicht einmal darüber mißvergnügt war, sondern das gelegentliche Ungestüm zu billigen schien, mit welchem er nicht nur die Saiten des Instruments, sondern auch die Trommelfelle der Zuhörer zu zerreißen drohte. Wie sehnten sich die Anwesenden zu entkommen und den Genuß der Dissonanz der Prinzessin ganz allein zu überlassen; es fiel ihnen freilich nicht entfernt ein, die Mißtöne dürften blos hervorgerufen seyn, damit die Harmonie der Seelen nicht gestört werden möge durch die Gegenwart Anderer, und die Prinzessin konnte reichen Ersatz finden für das Schnarren der Saiten durch die spätere Musik von Acotas Stimme.

Auf ein Zeichen der Prinzessin setzte sich Acota und begann sein Spiel, wenn es so genannt werden konnte, durch ein heftiges Reißen und Zerren auf den Saiten seines Instrumentes, dadurch so widerliche Töne hervorrufend, daß das aufwartende Madchen sich die Finger in die Ohren steckte und den schlechten musikalischen Geschmack der schönen Babebibobu bemitleidete.

»Ach, Acota,« sagte die Prinzessin, die volle Zärtlichkeit ihrer großen leuchtenden Augen gegen ihn aufschließend, »wie müde bin ich es, auf meinen Kissen zu sitzen und mitanzusehen, wie ein Laffe nach dem andern sein Gesicht vor mir in den Staub legt, während ich noch obendrein in ihren Parfümerien fast ersticke. Schlage Deine Mandoline wieder lauter, Geliebter meiner Seele – noch lauter, damit mir dieses unerwünschte Gedränge ferne bleibe.«

Acota ergriff nun seine Mandoline und klimperte ein so unerträgliches Gemisch von falschen Tönen, daß alle Vögel auf hundert Schritte kreischend davon flogen und der wachsame alte Kammerherr, welcher sich stets in der Nähe der Prinzessin aufhielt – sie meinte, nur zu nahe, während er selbst ihr nie nahe genug seyn zu können wähnte – zähneklappernd und mit dem Ausrufe: »Yah – yah – Baba senna, Fluch auf seine Mutter und seine Mandoline obendrein!« so schnell von hinnen eilte, als es sein Fett gestatten wollte. Auch die treuen Kammerfräulein, welche die Prinzessin umgaben, konnten's nie länger aushalten; in ihrer Noth bissen sie die Zähne zusammen, und wenn endlich Acota mit einem einzigen furchtbaren Rucke jede Seite seines Instrumentes zerriß, rissen auch sie sich von den Zügeln der Pflicht los und flüchteten sich nach allen Richtungen des Gartens, die Prinzessin mit Acota allein lassend.

»Geliebter meiner Seele,« sagte die Prinzessin; »endlich hab' ich einen Plan ersonnen, durch welchen unser Glück gesichert werden wird.«

Und mit gedämpfter Stimme, aber ohne einander anzusehen, damit die Aufmerksamkeit des Kämmerers nicht gefesselt würde, ergingen sie sich in süßem Gespräch. Acota lauschte einige Minuten auf die holde Stimme der Prinzessin, nahm dann die Mandoline mit ihren zerbrochenen Saiten auf und entfernte sich, indem er zum Besten des alten Kammerherrn die tiefste Ehrfurcht zur Schau stellte.

Mittlerweile verbreitete sich das Gerücht, daß mit Sonnenuntergang an den Ufern des rasch fließenden Stromes, welcher in der Nähe der Stadt durch eine geräumige Wiese rann, eine öffentliche Untersuchung sämmtlicher Bewerber stattfinden solle, damit diejenigen, welche durch was immer für eine Narbe oder einen Mangel dem Testamente des alten Königs nicht entsprachen, ausgeschieden werden könnten. Zwölf alte Fakirs und vier und zwanzig Mollahs mit Brillen wurden zu Inspektoren ernannt. Man nahm an, weil sich's um eine religiöse Ceremonie handle, so würden sämmtliche Frauenspersonen von Souffra, die sich durch ihre Frömmigkeit auszeichneten, bei der Feierlichkeit erscheinen, und alle Welt sehnte sich nach dem Beginne der Untersuchung. Wie angenehm war es nicht, mit anzusehen, wie die jungen Souffra-Nayahs, welche der Visitation anheim fallen sollten, beritten oder zu Fuße einherjagten. Ein Fremder würde ans den Tausenden und Tausenden, welche aus der Stadt hervorquollen, um die Ceremonie am Flußufer mitanzusehen, den Schluß gezogen haben, daß an dem Orte plötzlich eine verheerende Pest ausgebrochen seyn müsse. Zum Erstaunen der Leute aber verließen fast alle Rayas, sobald sie ihre Pferde bestiegen hatten, die Stadt in der entgegengesetzten Richtung, indem sie zum Theil erklärten, daß sie zwar völlig ohne Narbe oder Mangel seyen, aber doch nicht ihre Personen den Blicken so vieler Tausenden preisgeben möchten, theilweise aber ihre Narben und ehrenhaften Wunden in der Schlacht erhalten haben wollten – wirklich höchst interessante Vorwände, denn die Souffraner hatten bis auf diesen Nachmittag nicht gewußt, wie vieler Bescheidenheit und wie vielen Muthes sich ihr hoch begünstigtes Land zu rühmen hatte. Viele bedauerten, als sie die endlose Reihe tapferer junger Männer aufbrechen sahen, daß der Wille des verstorbenen Königs in der Schlacht gehabte Narben zu einem Hinderungsmittel der Beförderung gemacht hatte; aber die Braminen ertheilten ihnen ernste Verweise, indem sie erklärten, daß die erwähnte Einschärfung aus dem Testamente des alten Königs ein heiliges, tief liegendes Geheimniß berge.

 

»Bei dem Barte des Propheten, es braucht lange Zeit, bis diese Deine Prinzessin einen Mann kriegt, Menouni,« bemerkte der Pascha mit einem Gähnen.

»Eure durchlauchtige Hoheit kann sich nicht darüber wundern, wenn Ihr die Bedingungen aus dem Testamente des alten Königs ins Auge faßt.«

 

Die Untersuchung wurde aufs Strengste vorgenommen und sogar die kleinste Ritze für zureichend erklärt, um einen jungen Mann als unwählbar zu prädiziren. Ein Hühnerauge erschien als ein Mangel, und wenn ein junger Mann einem Blutegelbisse die Rettung seines Lebens zu danken hatte, so war für ihn alle Aussicht auf die Hand der Prinzessin verloren.

»Sey so gut, mir zu sagen, ob es auch als Narbe betrachtet wurde, wenn ihnen ein Barbier beim Rasiren ihrer Köpfe die Haut geritzt hatte?«

»Aufs entschiedenste, durchlauchtige Hoheit.«

»Dann waren diese Fakirs und Mollahs mit ihren Brillen, wie auch Deine Braminen weiter nichts, als ein Haufen dummer Tröpfe. Meinst Du nicht auch, Mustapha?«

»Eure durchlauchtige Weisheit gleicht den Ueberströmen des Honigtopfes,« versetzte Mustapha.

»Du weißt so gut, wie ich, Mustapha, daß es fast unmöglich ist, ohne ein bischen Blut auszureichen, wenn zufälligerweise eine Finne vorhanden oder das Rasirmesser schlecht ist. Doch fahre fort, Menouni, und bring' diese schöne Prinzessin wo möglich unter die Haube.«

 

Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang erschien die liebenswürdige Babebibobu, »die Rahmtorte des Entzückens,« prächtiger als zuvor gekleidet, wieder in der Audienzhalle und fand zu ihrer Ueberraschung, daß unter den vielen Tausenden junger Rayas nicht fünfzig zurückgeblieben waren, welche auf die Ehre einer Bewerbung um ihre Hand und um den Thron Anspruch machen konnten. Unter ihnen befand sich, nicht länger als Musiker, sondern in das Kostüm seiner hohen Kaste gekleidet, voll stolzen Selbstbewußtseyns Acota, und obgleich seine Juwelen bei den übrigen Bewerbern ihres Gleichen finden konnten, so war doch keiner der Anwesenden im Stande, sich im Glanze der Augen mit ihm zu messen. Neben Acota stand Mezrimbi, der Sohn des Oberbraminen, der allein an persönlicher Schönheit mit Acota zu vergleichen war; zugleich aber kannte man auch seinen stolzen, übermüthigen, grausamen Charakter. Die schöne Babebibobu fürchtete ihn, weil dem Testamente ihres Vaters eine Klausel angefügt war, vermöge welcher, im Falle die erste Wahl der Prinzessin durch einen dazwischen kommenden Zufall ungültig würde, sein Vater, der Oberbramin, die Ermächtigung erhielt, für die Prinzessin zu wählen; seine Entscheidung sollte dann für eben so unverletzlich gehalten werden. Die schönen Augen der Prinzessin flogen anfangs über Mezrimbis Gestalt hin, und sie zitterte; aber Acotas stolze Haltung flößte ihr wieder neuen Muth ein. Mit einem Winke ihrer Hand setzte sie sich nieder und redete die versammelten Jünglinge folgendermaßen an: –

»Getreue und edle Rayas, schreibt es keinem Mangel an Bescheidenheit zu, daß ich die anmuthige Verschämtheit der Jungfrau fallen lasse und die dreistere Haltung der Königin annehme. Wo Alle augenscheinlich so viel Verdienst besitzen, möchte ich nicht durch die Macht eines Einzigen allen Uebrigen Kränkung bereiten. Ueberlassen wir daher dem unsterblichen Vishnu die Entscheidung, wer am würdigsten ist über dieses unser Königreich Souffra zu herrschen. Möge Euch Vishnu Eure Bestimmung lesen lassen. Ich habe eine Blume an diesem unwürdigen Busen verborgen, welcher in Bälde einen von Euch seinen Herrn nennen soll. Nennet mir den Namen dieser Blume, und wer ihn zuerst ausspricht, der soll als gesetzlicher König von Saffra ausgerufen werden. Nehmt daher Eure Instrumente, edle Nayas, um in gemessenem Vers den Namen der verborgenen Blume und den Grund meiner Wahl zu singen. Das Schicksal mag dann die Frage entscheiden, damit Niemand sage, seine Verdienste seyen gering geschätzt worden.

Nachdem die schöne Prinzessin ihre Rede geendigt hatte, ließ sie ihren Schleier fallen und verstummte. Dann folgte ein lautes Beifallgeschrei und ein wildes Stimmen der Mandoline, nebst einem gelegentlichen Kratzen am Kopf oder Turban, um auf diese Weise dem Gedächtnisse oder den Versuchen einer improvisirten Versifikation zu Hülfe zu kommen. Die Zeit entschwand und Niemand von den Rayas schien geneigt zu seyn, den Anfang zu machen. Endlich trat Einer vor und nannte die Rose in einem geborgten Couplet. Die Prinzessin entließ ihn mit einem anmuthigen Winken ihrer Hand; er aber schlug ärgerlich seine Mandoline zusammen und verließ die Audienzhalle. So fuhren sie der Reihe nach fort – sie nannten Blume um Blume und verließen nach einander verzweifelnd die Audienzhalle. Man hätte damals die schönen Jünglinge selbst mit schönen Blumen vergleichen können, die in ihren Hoffnungen starke Wurzeln geschlagen hatten und sich in der Sonne der königlichen Gegenwart wärmten; sobald aber ihre Hoffnungen geknickt waren, erschienen sie wohl in einem andern Lichte, als in dem derselben Blumen, welche, losgetrennt von ihren Stengeln, unter den jetzt allzugewaltigen Sonnenstrahlen vertrockneten oder, von dem Thau der Thränen beladen, ferne und unbeachtet dahin welkten? Es waren nur noch Wenige übrig, als Mezrimbi mit seiner Mandoline vortrat; denn er glaubte den rechten Namen getroffen zu haben und las in Acotas Gesichte eine ungeduldige Sorglosigkeit, welche ihn auf den Glauben brachte, sein Gegner sey auf denselben Gedanken gekommen und dürfte ihm wohl den Vorsprung abgewinnen wollen. Mezrimbi galt als einer der besten Dichter in Souffra und besaß überhaupt jedes Talent, leider aber auch nicht eine einzige Tugend. Er beugte sich in zierlicher Haltung vorwärts und sang, wie folgt:

Wie liebt die Nachtigall? Wir wissens ja.
Sie singt ihr Schmachten in der stillen Nacht
Und nennt doch nie den Namen der Geliebten.

Was sind die Blumen, als der Liebe Sprache?
Und ruht die Brust der Nachtigall nicht auf
Dem Dorn, wenn schallen ihre Klagelieder?

So nimm aus deiner Brust die süße Blüt'
Des Mai's, die dort sich birgt, der Liebe Bild
Selbst in dem süßen Schmerz, den sie erzeuget.

Mezrimbi hatte die zwei ersten Verse geendigt; die schöne Prinzessin hätte vergehen mögen vor Angst, weil sie ihr Geheimniß entdeckt glaubte, und mit dem Gefühle einer halben Ohnmacht hörte sie dem letzten Vers zu. Aber ihrer Noth folgte das Entzücken der Freude, weil es dem Sänger nicht gelungen war, das rechte Wort zu errathen. Ungeduldig winkte sie mit der Hand, und eben so ungeduldig schied Mezrimbi aus ihrer Gegenwart.

Nun trat Acota vor. Nach einem Vorspiele, dessen Schönheit die ganze Umgebung der Königin in Erstaunen setzte, weil man ihm nie die Fähigkeit zugetraut hatte, daß er eine ordentliche Arie durchführen könne, sang er mit klarer melodischer Stimme folgende Stanzen:

Die holde Wange prangt in Rosen-Gluth
Und streuet aus der Rose Duft nicht minder;
Die Lilie auf Deinem Busen ruht
Und Deine Worte selbst sind Floras Kinder.

Doch Lilie und Ros' und jede Blüth'
Aus Indiens Gärten müssen schnell ersterben
An Deiner Brust; denn wonniglich durchglüht
Sieht man verzücket um den Tod sie werben.

Bescheiden schmiegt sich an Dein zartes Herz
Die Blüthe, die Du pflücktest von der Nessel;
Geboren unter Stacheln gibt nicht Schmerz
Ihr grüner Kelch, getrennt von gift'ger Fessel.

Acota verstummte. Sobald der Sänger geendigt hatte, erhob sich die schöne Prinzessin langsam und bebend von ihrem Polster, nahm die Blüthe einer Nessel aus ihrem Busen, legte sie in die Hand des glücklichen Acota und sprach mit viel Frömmigkeit:

»Es ist der Wille des Himmels.«

 

»Aber wie wurde es Acota möglich, ausfindig zu machen, daß die Prinzessin eine Nesselblüthe in ihrem Busen hatte?« unterbrach ihn der Pascha. »Die hat Niemand errathen können. Ich kann mir die Sache nicht erklären – kannst Du's, Mustapha?«

»Eure durchlauchtige Hoheit hat Recht, denn kein Mensch hätte je etwas der Art errathen können,« entgegnete Mustapha. »Ich kann mir nur einen einzigen Erklärungsgrund denken, welcher darin besteht, daß ihm die Prinzessin ihre Absichten mitgetheilt haben muß, als sie allein in dem königlichen Garten waren.«

»Sehr wahr, Mustapha – nun, Allah sey Dank, die Prinzessin kriegt doch endlich einen Mann.«

»Ich bitte Eure durchlauchtige Hoheit um Verzeihung, aber die schöne Prinzessin ist noch nicht verheiratet,« sagte Menouni. »Meine Geschichte hat ihr Ende noch nicht erreicht.«

»Wallah el Nebi!« rief der Pascha. »Bei Gott und seinen Propheten, soll sie denn nie unter die Haube kommen?«

»Ja durchlauchtige Hoheit, aber jetzt noch nicht. Soll ich fortfahren?«

»Ja, Menouni, und je schneller Du vorwärts kömmst, desto besser ist es.«

   

Mitten unter dem Rufe: »lange lebe Acota Souffras legitimer König!«

»Legitim? Sag' an, mein guter Menouni, was hat dies Wort zu bedeuten?«

»Durchlauchtige Hoheit, der Ausdruck legitim faßt den Begriff in sich, daß ein König und seine Abkömmlinge von Allah erliesen seyen, über ein Volk zu herrschen.«

»Gut, aber ich sehe nicht ein, daß Allah mit Acotas Wahl viel zu schaffen hätte.«

»Vermuthlich ist es bei der Wahl eines jeden andern Königs der gleiche Fall, Hoheit, aber dennoch bringt man die Leute auf diesen Glauben, und das ist zureichend. Was kümmert sich Allah um die Wahl der Fürsten, welche nicht über die wahren Gläubigen herrschen? Der Sultan ist der Statthalter des heiligen Propheten auf Erden und bekleidet unter der Leitung des Propheten in den Personen seiner Paschas die Tugend und Weisheit mit dem Kalaats der Würde.«

»Sehr wahr,« versetzte der Pascha, »der Sultan wird durch Allah geleitet und« – fuhr er in gedämpfterem Tone gegen Mustapha fort – »durch ein paar hundert Beutel obendrein. Menouni Du magst fortfahren.«

 

»Mitten unter dem Geschrei: »lange lebe Acota, Souffras legitimer König!« wurde Acota von den anwesenden Großen der Nation nach dem Throne geführt und nahm von hier aus die Huldigung der Versammelten entgegen. Die Großwürdenträger und Mollahs waren unter sich einig geworden, daß die Vermählung am nächsten Tage stattfinden sollte. Die Versammlung löste sich auf, und ihre Bestandteile eilten nach allen Richtungen, um die Vorbereitungen für die erwartete Ceremonie zu treffen.

Aber wer vermag die Eifersucht, den Neid, den Unwillen und alle die Gefühle zu schildern, welche die Brust Mezrimbis und seines Vaters, des Oberbraminen, schwellten! Sie machten mit einander ihre Anschläge und Entwürfe. Trotz der erlassenen Proclamation war Acota noch nicht König und wurde es erst, nachdem die Trauung mit der schönen Prinzessin Babebibobu, »der Rahmtorte des Entzückens,« vollzogen war. Wenn man daher dem glücklichen Begünstigten vor der Hochzeit des andern Tages eine Narbe oder einen Mangel beibringen konnte, so mußte, dem Testament des alten Königs zufolge, der Bramin den Nachfolger wählen, und warum sollte er dabei nicht sein Augenmerk auf den eigenen Sohu richten können?«

»Vater,« sagte der junge Mezrimbi, und sein schönes Gesicht wurde von den schnödesten Leidenschaften Jehanums verzerrt, »ich habe mir folgenden Plan erdacht. Meine Stummen sind bereitwillig, meinen Wünschen Folge zu leisten, und ich bin im Besitze einer ätzenden, brennenden Säure, welche tief in das Fleisch des stolzen Acota fressen soll. Er wird ohne Zweifel seine Zeit in dem königlichen Park zubringen, und ich kenne sogar die Laube, in welcher er um die schöne Prinzessin gefreit und sie gewonnen hat. Wir wollen die Stummen herbeirufen und ihnen erklären, was von ihnen verlangt wird; die morgige Sonne wird sodann den Thron von Souffra auf das Geschlecht der Mezrimbis übertragen. Sind wir nicht vom reinsten Blute der Ebenen, und ist Acota nicht ein bloßer Rajah des Gebirgs.«

Der Oberbramin war sehr erfreut über den Antrag seines Sohnes, und die Stummen wurden herbeigerufen. Die schwarzen zungenlosen, garstigen Geschöpfe beugten sich demüthig nieder und folgten ihrem Gebieter, welcher in Gesellschaft des Oberbraminen auf einem weiten Umwege in den Bann des königlichen Parkes einzudringen wagte. Langsam und vorsichtig näherten sie sich der Laube, wo, wie Mezrimbi ganz richtig bemerkt hatte, Acota auf seine geliebte Prinzessin wartete. Zum Glück entlockte das zornige Zischen einer aufgestörten Schlange dem alten Bramin einen entsetzten Ausruf, welcher Acota aus seinen Wonneträumen weckte. Durch das Gebüsch bemerkte und erkannte er Mezrimbi, seinen Vater und die Stummen. Daß sie Schlimmes gegen ihn brüteten, war ihm augenblicklich klar, weßhalb er unter den Rosenbüschen einen Versteck suchte und sich ausgestreckt auf den Boden niederlegte, obschon er in der Eile seinen Mantel und seine Mandoline zurückließ. Mezrimbi trat in die Laube, erklärte den Stummen durch Zeichen, was er von ihnen wünschte, zeigte ihnen den Mantel und das Instrument, um sie den Gegenstand seines Zornes kennen zu lehren und übergab ihren Händen die Flasche mit ätzender Säure. Sie überzeugten ihn, daß sie ihn begriffen hatten, und das Häuflein zog sich dann zurück, der Oberbramin, um sich nach Hause zu begeben, die Stummen, um unter den Büschen auf Acotas Ankunft zu lauern, und Mezrimbi, um an den verborgensten Plätzen des Parkes umherzugehen und den Ausgang des Anschlags abzuwarten. Acota, welcher nun deutlich sah, was gegen ihn im Schilde geführt wurde, lachte ins Fäustchen und dankte Allah für seine glückliche Befreiung. Um nicht bemerkt zu werden, kroch er mit seinem Mantel und der Mandoline auf Händen und Knieen weg, suchte einen Versteck und bewachte nun seinerseits die Bewegungen der Uebrigen. So standen also sämmtliche Parteien auf der Lauer, bis sich die Sonne hinter die blauen Berge senkte, welche das Königreich Souffra von dem andern Königreiche trennten, dessen Namen mein trügerisches Gedächtniß in Eurer Hoheit durchlauchtigsten Gegenwart zu vergessen so dreist war. Mezrimbi war die einzige Person, welche nicht regungslos blieb. In der Beklommenheit des Vorgenusses und der Zweifel schritt er auf und nieder, bis er endlich, von widerstreitenden Gefühlen erschöpft, Halt machte und sich an dem Fuße eines Baumes dicht bei der Stelle niederließ, wo sich Acota verborgen hatte. Die Nachtigall erging sich in ihren süßen Melodieen und fuhr, den Liebenden freundlich, darin fort, bis endlich Mezrimbi, dessen zürnende Gefühle durch die lieblichen Noten gemildert waren, in Schlaf versank. Acota bemerkte dies, kam heran, legte seinen Mantel über den Schlummernden und berührte eine Saite der Mandoline, die, wie er wohl wußte, auf das scharfe Ohr der Stummen ihre Wirkung üben mußte, selbst wenn sie nicht laut genug tönte, um Mezrimbi zu wecken. Acota hatte Recht. Eine Minute nachher sah er die Schwarzen wie Schakals, welche Beute wittern, durch das Unterholz kriechen, was ihn bewog, sich hurtig wieder in das dichte Laubwerk zu verstecken. Schatten gleich kamen sie in der Dunkelheit heran und bemerkten den schlafenden Mezrimbi mit Acotas Mantel und Mandoline, die Acota, nachdem er sie angeschlagen, an seiner Seite niedergelegt hatte. Dies war zureichend. Mezrimbi's Gesicht war, noch ehe er erwachen konnte, mit der brennenden Säure bedeckt. Sein Geschrei wurde mit einem Tuche erstickt, und in der vollen Ueberzeugung, den Einschärfungen ihres Gebieters Folge gegeben zu haben, eilten die Stummen zurück, um ihren Erfolg zu berichten, nachdem sie zuvor Mezrimbi's Hände und Füße gebunden hatten, damit er nicht nach Hause gehe und in seiner Noth Hülfe suche. Sie entwischten aus dem Garten und meldeten dem Oberbraminen den Erfolg ihrer Operationen – deßgleichen, wie sie Acota in dem Gebüsche gelassen hätten. Nach einigem Nachdenken hielt es der alte Mezrimbi für räthlich Acotas Person in seine Gewalt zu bringen, damit er im Stande seyn möchte, sie erforderlichen Falls am andern Tage vorzuzeigen. Er forderte daher die Stummen auf, sie sollten zurückgehen, Acota nach Hause bringen und strenge Wache über ihn halten, damit er nicht entwische.

Sobald die Stummen Mezrimbi verlassen hatten, erhob sich Acota aus seinem Verstecke und ging auf den unglücklichen Elenden zu, der noch immer vor Schmerzen ächzte; sein Gesicht war aber in das Tuch eingehüllt, so daß man dasselbe nicht sehen konnte. Anfangs wollte Acota den verrätherischen Feind verspotten, aber sein edles Herz gestattete ihm keine derartige Rache. Dann kam ihm ein anderer Gedanke in den Kopf. Er nahm Mezrimbri den Mantel ab und hängte ihm seinen eigenen um; dann tauschte er auch die Turbane und Scymetars, worauf er seinen Nebenbuhler verließ und nach Hause ging. Kurz nachdem Acota das Gebüsch verlassen hatte, kehrten die Stummen zurück, hoben den unglücklichen Mezrimbi auf ihre Schultern und trugen ihn nach dem Hause des Oberbraminen, welcher, nachdem er ihnen befohlen hatte, den Gefangenen in einem Außenhause zu bewachen, sein Gebet sprach und zu Bette ging.

Die Sonne ging auf und goß ihre lieblichen Strahlen auf das Land Souffra. Tausende und Tausende von Einwohnern hatten sich vor ihr erhoben, um sich für die Wonne des Tages vorzubereiten – des Tages, der sie mit einem König segnen sollte – des Tages, an welchem die schöne Prinzessin Babebibobu. die Rahmtorte des Entzückens, einmal aufhörte, unvermählt zu seyn. Seidenstoffe aus China, Halstücher und Schärpen aus Kaschmir, Juwelen, Gold und Diamauten, Pferde, Kameele und Elephanten, kurz Alles sah man über der Ebene und durch die Stadt Souffra ausgebreitet. Ueberall Freude, Jubel und Festlichkeit, denn es war der Tag, an welchem die schöne Prinzessin Babebibobu heirathen sollte.

 

»Wollte der Himmel, daß es einmal so weit wäre,« bemerkte der Pascha ungeduldig.

»Eure durchlauchtige Hoheit halten zu Gnaden, es wird bald geschehen seyn.«

 

Zu früher Stunde wurde die Proclamation erlassen, daß die Prinzessin im Begriff sey, sich einen Gatten aus den Rayah-Jünglingen Souffras zu wählen; wer sich daher für die Sache interessire, möge sich nach dem Palaste begeben, um der Ceremonie anzuwohnen. Da ganz Souffra daran Interesse nahm, so war auch ganz Souffra anwesend. Die Sonne hatte beinah ihr Zenith erreicht und blickte fast neidisch auf die frohe Scene nieder, das Gehirn der guten Leute von Souffra bratend, deren Köpfe das Land meilenweit gepflastert hatten, als die schöne Prinzessin Babebibobu, begleitet von ihren Kammerfräulein und den Großwürdenträgern Souffras, welche das Testament ihres Vaters zu vollziehen hatten, in der Audienzhalle erschien. Vorne an stand der Oberbramin, der sich angelegentlich unter dem Gedränge nach seinem Sohne Mezrimbi umsah, weil sich derselbe während des ganzen Morgens nicht vor ihm hatte blicken lassen. Endlich erspähte er seinen reichen Anzug, seinen Mantel, seinen Turban und den mit Juwelen besetzten Scymetar; aber sein Gesicht war mit einem Tuche eingehüllt, und der Oberbramin lächelte über den witzigen Einfall seines Sohnes, der seine eigene schöne Person ebensogut vermummt hatte, wie der jetzt mit Narben versehene Acota. Nun wurde durch tausend Trompeten und durch die Entladung von zweitausend Kanonen Stillschweigen geboten – ein Befehl, der von dem meilenlangen Köpfepflaster mit lautem Geschrei wiederholt wurde, bis endlich die Ordnung wieder zurückkehrte und Stille eintrat. Der Oberbramin stand auf, sprach ein extemporirtes Gebet, wie es für die Feierlichkeit und Wichtigkeit des Anlasses paßte, und verlas dann das Testament des verstorbenen Königs. Darauf kam die Rede auf die Maler-Controverse und wie es jetzt zu Suffra ein Glaubensartikel sey, dessen ketzerische Verläugnung den Spieß verdiene, »daß Muttermäler keine Narben und nur dann Mängel seyen, wenn man sie dafür betrachte.« Die Wahl der Prinzessin, fuhr der gelehrte Bramin fort, ist jedoch noch nicht getroffen; sie hat dem Zufall überlassen, was aus ihrem eigenen freien Willen hätte hervorgehen sollen, ohne daß sie darüber die Diener unserer heiligen Religion um Rath fragte. Schon gestern sagte mir mein Herz, daß dies nicht recht sey und nicht nur dem Testamente des Königs, sondern auch dem Willen des Himmels widerspreche. Ich habe den Gegenstand nach neunmaligem Gebet reiflich erwogen – ein Traum stieg während meines Schlafes auf mich nieder, und ich entnahm daraus, daß die Bedingungen des Testaments erfüllt werden würden. Wie ich diese Antwort von Oben erklären soll, weiß ich nicht; vielleicht ist der Jüngling, welcher so glücklich war, die Blume zu errathen, auch der Jüngling, den sich die Prinzessin auserlesen hat.

»Es ist so,« versetzte die Prinzessin mit sanfter, melodischer Stimme, »und deßhalb soll dem Willen meines Vaters Folge geleistet werden.«

»Und wo ist der glückliche Jüngling?« rief der Oberbramin. »Möge er vortreten.«

Babebibobu, welche sich wie die Andern vergeblich nach Acota umgesehen hatte, war nicht wenig erstaunt über sein Ausbleiben, noch mehr aber, als er endlich mit verhülltem Gesichte und von vier schwarzen Stummen geführt erschien.

»Dies ist also das Glückskind Acota« sagte der Oberbramin. »Entfernt sein Tuch und führt ihn der Prinzessin vor.«

Die Stummen gehorchten, und zu Babebibobu's Entsetzen stand der vermeintliche Acota mit einem so vernarbten und verbrannten Gesichte da, daß seine Züge durchaus nicht mehr zu unterscheiden waren. Sie sprang von ihrem Throne auf, stieß einen so wilden Schrei aus, daß er dem Vernehmen nach von dem ganzen meilenweiten Köpfepflaster vernommen wurde, und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Kammerfräulein.

»Wir erkennen zwar seinen Anzug, höchst edle Großwürdenträger,« fuhr der Oberbramin fort, »aber wie können wir in diesem Gegenstand den Jüngling ohne Narbe oder Mängel entdecken? Es ist der Wille des Himmels!« fuhr er mit einer frommen und ehrfurchtsvollen Verbeugung fort, während alle übrigen Großen in derselben frommen Weise erwiederten: »Es ist der Wille des Himmels.«

»Ich bin der Ansicht,« nahm der Oberbramin wieder auf, »daß der Grund davon in dem Umstande liegen muß, weil die Prinzessin nicht gewählt hat, wie es in dem Testament ihres Vaters verordnet war, sondern unfromm dem Zufall überließ, was durch ihren freien Willen entschieden werden sollte. Spricht sich nicht hier unverkennbar die Hand, der Finger der Vorsehung aus?« fuhr er mit einer Berufung an die Großen fort.

Die Braminen verbeugten sich sammt und sonders tief und erklärten, die Hand und der Finger der Vorsehung ließen sich nicht verkennen, während die Stummen, welche wußten, daß ihre Hände und Finger die That gethan hatten, so gut als es bei ihren Zungenüberresten möglich war, vor sich hinkicherten.

»Und nun,« sagte der Oberbramin, »müssen wir dem Testament des verstorbenen Königs gehorchen, welches ausdrücklich befiehlt, daß, im Falle nach der Wahl der Prinzessin ein Unfall eintreten sollte, ich, als das Oberhaupt unserer heiligen Religion, den Gatten für sie auswählen solle. Kraft meiner Gewalt also, rufe ich Dich auf, mein Sohn Mezrimbi, seinen Platz einzunehmen. Beugt Euch vor Mezrimbi, dem künftigen König von Souffra.«

Bis an die Augen vermummt und in Mezrimbis Gewand eingehüllt trat Acota vor. Der Oberbramin und alle Anwesende warfen sich, in Gemäßheit des erlassenen Befehls, vor Acota nieder und berührten mit ihren Stirnen den Staub. Der Jüngling ersah die Gelegenheit, das Tuch zu entfernen, und als sich die Großen und das Volk wieder erhoben, stand er im vollen Glanze seiner Schönheit und seines Stolzes neben dem Thron. Ueber diesen Anblick stieß der Oberbramin einen Schrei aus, welcher nicht nur weiter als der Schrei der schönen Prinzessin Babebibobu gehört wurde, sondern auch die Wirkung übte, sie wieder ins Leben und zur Besinnung zu rufen. Alle stimmten in den Ruf des Erstaunens ein, als sie Acota in Mezrimbis Kleidern bemerkten.

»Und wer bist denn Du?« rief der Oberbramin seinem Sohn in Acotas Kleidern zu.

»Ich bin,« entgegnete sein Sohn, erschöpft von Schmerz und Verdruß – »ich bin – ich war Mezrimbi.«

»Ihr Großen,« rief Acota, »wie bereits der Oberbramin behauptete und ihr durch euren Zuruf bekräftigtet, erblickt ihr hierin den Finger des Himmels, welcher stets die Heuchelei, die Grausamkeit und die Ungerechtigkeit zur Strafe zieht.«

Und der Oberbramin brach, von einem Schlage gerührt, zusammen, und wurde nebst seinem unglücklichen Sohne Mezrimbi fortgebracht.

Inzwischen hatte sich die schöne Prinzessin Babebibobu wieder erholt und lag in den Armen Acotas, welcher, nachdem er sie ihren Kammerfräulein überantwortet hatte, an die Versammlung eine so schöne und nachdrucksvolle Rede hielt, daß sie, weil man nie etwas Aehnliches in der Souffra-Sprache gehört hatte, mit goldenen Buchstaben niedergeschrieben wurde; er erklärte den Anwesenden, wie schändlich Mezrimbi versucht hatte, dem Willen des Himmels entgegenzuhandeln, und wie er zuletzt in die Schlingen gefallen sey, die er anderen gelegt habe. Und nachdem er zum Schlusse gekommen, begrüßte ihn die ganze Versammlung als ihren König, und die Bevölkerung, deren Köpfe meilenweit den Raum pflasterte, rief: »Langes Leben dem König Acota und seiner schönen Prinzessin Babebibobu, der Rahmtorte des Entzückens!«

Wer könnte wohl versuchen, die großartige Procession zu schildern, welche an demselben Abende stattfand? Wer vermag die stolze Haltung des Königs Acota und die leuchtenden Augen der schönen Prinzessin Babebibobu zu beschreiben? Soll ich erzählen wie sich die Nachtigallen zu Tode sangen? Soll ich –«

 

»Nein, laß das lieber bleiben, unterbrach ihn der Pascha. Wir wollen nur Eines wissen – hat die schöne Babebibobu endlich doch einen Mann gekriegt?«

»Sie wurden am nämlichen Abende vermählt, durchlauchtige Hoheit.«

»Allah sey gepriesen!« entgegnete der Pascha. »Mustapha, laß Menouni erfahren, was es heißt, einem Pascha eine Geschichte zu erzählen, selbst wenn sie etwas lang ist und man fast auf den Glauben kommen mußte, daß die Prinzessin nie unter die Haube kommen werde.«

Der Pascha stand auf und humpelte nach seinem Harem.


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