Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Fünftes Kapitel

Der Pascha hatte seine Wanderungen viele Abende wiederholt ohne daß er zu einem günstigen Resultate gelangt wäre, und Mustapha, welcher bemerkte, daß sein Gebieter sehr ungeduldig wurde, hielt es für nöthig, auf die Beischaffung von Unterhaltungsstoffen besondere Sorgfalt zu verwenden.

Unter denjenigen, welche sich bei Mustapha, als er noch auf seinem früheren Gewerbe arbeitete, einzufinden pflegten, war auch ein französischer Renegat, ein sehr talentvoller Mann von schnellfertiger Erfindungsgabe, aber zugleich der grundsatzloseste Schurke, welcher vor Mustaphas Erhebung je seinen Unterhalt durch kecke piratische Versuche in einem offenen Boot gewonnen hatte. Er war jetzt im Dienste des Vezier und kommandirte eine bewaffnete Schebecke, welche letzterer angekauft hatte. Das Fahrzeug galt für einen Gouvernementkreuzer, war aber in Wirklichkeit nichts Anderes, als ein Pirat. Selim, denn dies war der Name, welchen der Renegat bei Abschwörung seines Glaubens angenommen hatte, verurtheilte jedes Schiff, das ihm unglücklicher Weise begegnete, nahm die Ladung heraus, verbrannte den Rumpf und warf die Mannschaft über Bord, damit sie, wenn sie könne, ans Land schwimme. Auf diese Weise wurde die Unbequemlichkeit einer Appellation gegen die Gerichtsbarkeit des hohen Admiralitätshofes, den er über die See gesetzt hatte, umgangen.

Die Folge davon war, daß seine Kreuzzüge erfolgreicher gingen, als je, und Mustapha, welcher sich nicht damit begnügte, die Unterthanen des Paschas auf trocknen Lande zu plündern, sammelte sich auf ihre Kosten ein großes Vermögen, indem er zur See spekulirte.

Hin und wieder erkannte man zwar an den Marken und Zahlen der Ballots oder Pakete die erst vor vierzehn Tagen vom Kai eingeschifften Kaufmannsgüter; aber der Renegat konnte dem Vezir stets befriedigende Auskunft geben, und nachdem ein Jude, welcher die Idee nicht ertragen konnte, daß er sich ohne Geschrei von seinem Eigenthum trennen sollte, gespießt worden war, zuckten die Leute ihre Achseln und sagten nichts.

Da fiel es nun Mustapha ein, Selim könne zu Erfüllung seiner Absichten mitwirken. Der Mann sprach schnell und laut, prahlte mit seinen eigenen Heldenthaten, drehte seinen Schnauzbart, während er die unwahrscheinlichsten Versicherungen beschwor, und war, seit er des Veziers Schutz erhalten, allenthalben ein Gräuel und Aergerniß geworden.

Mustapha schickte nach ihm und fragte ihn zur Einleitung, ob er je Tausend und Eine Nacht gelesen habe.

»Ja, Vezier,« versetzte der Renegat; »schon viele Jahre vorher, ehe ich Türke wurde.«

»Erinnerst Du Dich der Reisen des Matrosen Sindbad?«

»O freilich, er ist der einzige Mann, der mir je im Lügen das Licht halten konnte.«

»Wohlan denn, Seine Hoheit, der Pascha hat eine Freude an derartigen Geschichten, und ich wünsche, daß Du einen Bericht deiner eigenen Reisen zusammenstoppelst, wie Sindbad vor dir gethan hat.«

»Aber was erhalte ich dafür?«

»Meine Gunst und meinen Schutz; außerdem wird seine Hoheit, wenn sie mit Deiner Erzählung zufrieden ist, nicht versäumen Dich mit einem schönen Geschenke zu belohnen.«

»Na,« versetzte Selim, »jeder, der in dieser Welt Gold produziren kann, wird stets in der Lage seyn, es gegen schlechtes Metall auszutauschen. Ich kann in meiner Münze schneller Lügen ausprägen, als er Zechinen in der seinigen; und da Ihr es wünscht und die Sache einträglich seyn soll – je nun, so stehe ich zu seinen Diensten.«

»Merke aber auf meine Anweisungen, Selim; denn Alles muß zufällig erscheinen.«

Den von Mustapha erhaltenen Aufträgen gemäß blieb der Renegat selbigen Abend an der Ecke einer gewissen Straße, durch welche der Vezier den Pascha führte. Als Selim sie herankommen sah, rief er aus:

»Allah, Allah! Wann wird die glückliche Zeit kommen, welche mir in meiner siebenten und letzten Reise versprochen ist?«

»Wer bist Du und warum rufst Du zum Himmel um glückliche Zeiten?« fragte der Pascha.

»Ich bin Huckaback, der Matrose,« versetzte der Renegat, »welcher nach einem Leben voll Gefahr und Unglück sehnlichst auf die Erfüllung eines Versprechens harrt, das ihm von dem Höchsten geworden ist.«

»Ich muß diesen Mann morgen sehen,« bemerkte der Pascha. »Mustapha, so lieb dir dein Leben ist, sieh zu, daß er morgen erscheine.«

Der Vezier verbeugte sich, und der Pascha kehrte ohne weiteres Abenteuer nach dem Pallaste zurück.

Am andern Tage, sobald das Geschäft des Divans geschlossen war, erhielt der Renegat Befehl, einzutreten. Er warf sich vor dem Pascha nieder, stand dann wieder auf, kreuzte die Arme über seiner Brust und erwartete stumm, bis man ihm zu sprechen geböte.

»Ich habe nach Dir geschickt, Huckaback, um dich nach dem Sinne der Worte zu fragen, von denen du gestern Nacht Gebrauch gemacht hast. Ich mochte erfahren was Dir für Deine siebente und letzte Reise versprochen wurde, werde es Dir aber Dank wissen, wenn Du mit der ersten anfängst, da ich die Geschichte aller Deiner Reisen zu hören wünsche.«

»Durchlauchtige Hoheit, da ich nur lebe, um Euch zu gehorchen, so soll, wenn Ihr es befehlt. Alles, was mir in meinem ereignißreichen Leben zugestoßen ist, Euren Ohren vertraut werden. Es wird jedoch nöthig seyn, daß ich zur Zeit meiner früheren Jugend zurückkehre, um Eure Hoheit in den Stand zu setzen, das Ganze vollständiger zu begreifen.«

»Aferin! wohlgesprochen,« versetzte der Pascha. »Ich mache mir nichts daraus, wie lang eine Geschichte ist – nur muß sie gut seyn.«

Er machte sofort ein Zeichen, daß sich der Erzähler setzen solle, und Selim begann, nachdem er dem Winke Folge geleistet hatte, in nachstehender Weise:

Huckaback.

Durchlauchtige Hoheit, ich bin in Marseille geboren, wo ich zu dem Gewerbe meines Vaters erzogen wurde – zu einem Gewerbe (fuhr der verschmitzte Renegat fort) das, wie ich zu behaupten keinen Anstand nehme, weit mehr gebildete und talentvolle Männer erzeugt hat, als irgend ein anderes – ich meine das eines Barbiers.«

»Wallah Thaib; wohl gesprochen, beim Allah!« bemerkte Mustapha.

Der Pascha nickte seinen Beifall, und der Renegat fuhr in seiner Geschichte fort.

Die Natur hatte mich mit einer schnellfertigen Erfindungsgabe versehen, und auf meine Erziehung wurde einige Sorgfalt verwendet. Mein Vater hatte mit seinem Barbiergewerbe auch das eines Aderlassers und Zahnausziehers verbunden. In meinem zehnten Lebensjahre konnte ich schon ziemlich gut Haare schneiden. Die Leute sagten zwar, die Köpfe, an welchen ich mich versucht habe, sähen aus, als ob sie von den Ratten abgenagt worden sehen; aber dieß war nur die Bemerkung des Neides, und mein Vater meinte, Alles müsse seinen Anfang haben.

Mit Fünfzehn wurde ich in die Elemente des Rasirens eingeführt, und nachdem ich durch die Pfunde von Fleisch, die ich mit den Barthaaren meiner Kunden abtrug, den Kredit meines Vaters, welcher sich wieder mit der Bemerkung tröstete, daß Alles seinen Anfang haben müsse, fast ganz zu Grunde gerichtet hatte, war ich gelegentlich ein ganz geschicktes Bürschlein geworden. Später wurde ich in die höheren Zweige des Zahnausreißens und Aderlassens eingeweiht. In dem ersteren konnte ich's anfangs den Leuten gar nicht zu Gefallen machen, indem ich entweder einen mürben Zahn abbrach und die Wurzel in der Höhle zurückließ, oder mich in dem angedeuteten versah und statt dessen ein gesundes Kauwerkzeug auszog. Aber in der letzteren Branche beging ich noch ernstlichere Mißgriffe, da ich mehr als einmal so tief schlug, daß die Arterie zu spritzen begann, während ich die Vene verfehlt hatte. Die Folge davon war, daß meine Geschicklichkeit höchstens bei Ehemännern, die sich eines keifenden Weibes zu entledigen wünschten, oder bei Neffen in Nachfrage kam, welchen die Gesundheit eines unverwüstlichen Onkels an Herzen lag. Aber wie mein Vater weislich bemerkte – Alles muß seinen Anfang haben; und da sich die Proben nur an lebenden Gegenständen vornehmen ließ, so mußten eben einzelne Individuen für das allgemeine Beste leiden. Im meinem zwanzigsten Lebensjahre war ich eine vollendeter Barbier. So rasch auch übrigens meine Laufbahn war, wollte es das Geschick doch nicht, daß ich sie lange fortsetzte. Wie die Kugel, die aus der Mündung der Kanone geschleudert wird und auch in ihrer größten Schnelligkeit durch das Vorbeistreifen an der schwächsten Substanz eine Abbeugung von ihrer Richtung erleidet, so wurde der Gang meines Lebens durch mein Zusammentreffen mit einem Frauenzimmer verändert.

Mein Vater hatte einen guten Kunden, den er seit Jahren jeden Morgen rasirt hatte, dem er bereits jeden Zahn aus dem Kopf gezogen und gegen den er jetzt seine lange Rechnung abzuschließen im Begriffe war, indem er ihn unter der Anweisung eines unwissenden Apothekers täglich zur Ader ließ. Ich war oft in dem Hause – nicht gerade, um den Patienten zur Ader zu lassen; denn mein Vater hielt ihn entweder für zu werthvoll oder war zu dankbar für vergangene Gunstbezeugungen, um ihn meinen Händen anzuvertrauen – aber ich hielt das Becken, holte das Wasser herbei und ordnete den Verband. Der Patient hatte eine Tochter, ein liebliches Mädchen, das ich im Geheim anbetete; aber ihr Rang im Leben stand zu hoch über dem meinigen, um mir eine Aeußerung meiner Gefühle zu gestatten. Ich war damals ein schöner, junger Mann, obschon die Zeit in ihrer Mißgunst seitdem Alles aufgeboten hat, um mich so alt und garstig erscheinen zu lassen, als sie selbst ist. Das Mädchen faßte eine Neigung zu mir, beklagte sich über Zahnweh und bat mich um Rath. Ich erbot mich, den Zahn auszuziehen; aber entweder hatte sie von meiner Kunstfertigkeit gehört, oder wünschte sie den Vorwand für unsere Zusammenkünfte nicht zu entfernen – möglich auch und vielleicht das Allerwahrscheinlichste, daß sie gar kein Zahnweh hatte – kurz, sie wollte sich nicht dazu hergeben.

Der Tod ihrer Mutter, welcher stattgefunden, als sie noch ein Kind war, hatte sie ohne Führung gelassen, während sie ausserdem unter dem hoffnungslosen Zustand ihres Vaters allen Schutzes entbehrte. Von der Natur mit einem warmen Temperamente ausgestattet und dem Impulse ihrer Gefühle sich hingebend, führte sie eine Vertraulichkeit fort, die nur mit ihrer Schande enden konnte, und nach Abfluß eines Jahres ließ sich ihre Lage nicht länger verbergen. Ich war nun in einer schönen Klemme. Sie hatte zwei Brüder in der Armee, deren Rückkehr baldigst erwartet wurde, und ich fürchtete ihre Rache. Ich liebte sie von Herzen, aber doch mich selbst noch mehr, weßhalb ich eines Abends Alles, was ich mein Eigenthum nennen oder meinem geehrten Vater wegmausen konnte, zusammenpackte und mich an Bord eines genuesischen Schiffes begab, welches eben damals auszufahren in Begriffe war. Das Fahrzeug hatte zwölf lange Kanonen, eine Bemannung von sechzig Köpfen und war ein sogenannter Kaper. Man versteht unter diesem Ausdrucke ein Schiff, welches sich ohne Convoy durch die Meere schlägt und alle feindlichen Schiffe, auf die es trifft, wegnimmt, im Falle dieselben nicht stark genug sind, um Widerstand zu leisten. Unsere Clarirung lautete: nach Genua eine Ladung Blei, welche unten im Raum lag und fast nur als Ballast diente.

Aus den Gesprächen der Mannschaft machte ich bald die Entdeckung, daß wir nicht unmittelbar nach Genua fahren sollten. Mit einem Worte, durchlauchtige Hoheit, das Schiff war ein Seeräuber und hatte eine ganz verzweifelte Bande an Bord. Sobald meine Qualifikationen bekannt waren, hatte ich die Ehre, sechzig der größten Schurken, die nur je existirt hatten, die Bärte abzunehmen, ohne für meine Mühe etwas Anderes als Hiebe und Flüche zu erhalten. Ich vervollkommnete mich allerdings sehr in meinem Berufe; denn ich mußte, so lieb mir mein Leben war, Blut abzapfen, obschon sie keinen Anstand nahmen, während der ganzen Zeit der Operation eine Unterhaltung fortzuführen. Wir hatten die Ladungen aus mehreren Schiffen genommen, welche durch unsern pünktlichen Kapitän dem »Manifest« beigefügt worden waren, als wir eines Tages von einer englischen Fregatte gejagt wurden. Ich traf die Engländer nie am Land, muß aber sagen, daß sie zur See die unverschämtesten Leute sind, die man nur herumschwimmen sieht. Nie begnügen sie sich, vor ihrer eigenen Thüre zu kehren, obschon sie da genug zu schaffen hätten, sondern mengen sich stets in die Angelegenheiten von Andern. Sie kommen an Bord, wollen wissen, woher man kömmt, wohin man will und was man für Ladung hat – kurz, sie examiniren Einen so genau, als seyen sie die eigentlichen Zollhausbeamten der ganzen Welt.

Nun sagte es unserem Kapitän nicht eben zu, sich einer so strengen Nachforschung zu unterwerfen; er setzte daher alle seine Segel bei, um eine sieben Meilen entfernte Insel zu erreichen, und ankerte unter dem Schutze einer Batterie. Oesterreich – die Nation, welcher die Insel gehörte – stand nicht im Kriege mit England, sondern behauptete eine sogenannte »bewaffnete Neutralität.«

 

»Halt da – was versteht man unter einer bewaffneten Neutralität?« fragte der Pascha.

»Das ist je nach den Umständen verschieden, durchlauchtige Hoheit; aber in der Regel wird ein Angriff mit Bajonetten darunter verstanden.«

 

Die Fregatte folgte, und da das seichte Wasser sie hinderte, uns allzu nahe zu kommen, so schickten sie ihre Boote aus, um uns zu visitiren. Es waren ihrer sechs mit vollzähliger Bemannung und je einer Kanone in den Bugen, so daß es unser Kapitain für räthlich hielt, ihnen die Erlaubniß, bei uns an Bord kommen zu dürfen, zu verweigern. Als Wink, daß er in Betreff ihrer Maßregeln durchaus nicht mit ihnen einverstanden sey, schickte er ihnen, als sie noch etwa eine Viertelmeile entfernt waren, eine volle Kartätschenlage zu; aber sie riefen ein dreimaliges Hurrah und waren so starrköpfig, schneller als je zu rudern.

Wir empfingen sie mit allen Ehren des Kriegs, die sich durch Stutzsäbel, Pistolen und Enterpiken ausdrücken lassen; aber sie waren sehr entschieden. Sobald der Eine niedergeschlagen war, sprang ein Anderer an seinen Platz, und so kam es denn, daß sie das Schiff in kürzerer Frist gewonnen hatten, als ich zur Erzählung der Geschichte brauchte. Ich stand auf der Hütte, als ein englischer Matrose mit einem Zopfe so dick wie ein Ankertau einen Hieb nach mir führte. Ich wich zurück, um seiner Waffe auszuweichen, und prallte dabei mit solcher Macht gegen einen andern Engländer an, daß wir beide miteinander über Bord purzelten. Ich hatte meinen Säbel verloren, er aber den seinigen noch immer in der Faust und sobald wir wieder an der Oberfläche auftauchten, faßte er mich am Kragen, mir die Spitze seines Seitengewehrs auf die Brust setzend. Ihm schien es ganz gleich zu seyn, ob er auf dem Decke oder im Wasser focht. Zum Glück konnte ich mich ein wenig seitwärts drehen, und so drang der Säbel nur durch meine Jacke. Ich erinnerte mich, daß ich mein Rasirmesser in meiner Tasche hatte. Dieses nahm ich nun unbemerkt unter dem Wasser heraus, schwamm, eh' er seinen Stoß wiederholen konnte, auf ihn zu, schnitt ihm von Ohr zu Ohr die Kehle durch und suchte dann in möglichster Eile das Land zu gewinnen. Da ich merkwürdig gut schwimmen konnte, so wurde mir dies nicht schwer. Sobald ich das Ufer erreicht hatte, schaute ich zurück, und als ich bemerkte, daß die englischen Boote unser Schiff hinaustaueten, so eilte ich nach dem nahe gelegenen Fort. Ich fand daselbst eine gastfreundliche Aufnahme, und wir blieben bis nach Mitternacht unter Trinken, Rauchen und Schimpfen auf die Engländer sitzen.

Am anderen Morgen ankerte eine Felucke, um Wasser einzunehmen, und da sie nach Toulon reiste, so bat ich, man möchte mir Fahrt geben. Wir segelten mit einer schönen Brise aus, die sich aber bald in einen schweren Sturm umwandelte. Wir wurden viele Tage umhergestoßen, und der Schiffer konnte sich gar nicht denken, wohin wir getrieben wurden. Er tröstete uns jedoch mit der Versicherung, wir könnten nicht untergehen, da eine Dame von großer Heiligkeit als Kajütenpassagier mitziehe; die Heiligen würden dieselbe ohne allen Zweifel behüten, da sie ausgeschickt worden sey, um in einem Kloster bei Marseille das Amt einer Aebtissin zu übernehmen.

Dies war einiger Trost, obschon uns schönes Wetter unendlich lieber gewesen wäre. Der Sturm machte fort, und am andern Morgen meinten wir Land in unsrem Lee zu entdecken. Am Abend darauf gewannen wir die Ueberzeugung, daß unsere Vermuthung richtig gewesen war, denn das Schiff wurde an die Küste geworfen und ging nach einigen Minuten in Trümmer. Ich war so glücklich, mich auf einem Theile des Wracks zu retten, und blieb bis zum Morgen halb todt am Gestade liegen. Als der Tag anbrach, blickte ich umher; die Trümmer des Schiffs lagen zerstreut am Ufer oder trieben spottend in der Brandung. Dicht neben mir befand sich die Leiche der Dame, deren Heiligkeit der Kapitän als Schutz für uns Alle angesehen hatte. Dann wandte ich mich von der See ab, um landeinwärts zu schauen und bemerkte zu meinem großen Erstaunen, daß ich nicht drei Meilen von meiner Heimath Marseille entfernt war. Das war eine schreckliche Entdeckung; denn ich wußte, daß ich keine Schonung erhalten würde, und doch konnte ich keine Meile weit ziehen, ohne erkannt zu werden. Was war da anzufangen? Endlich fielen meine Blicke wieder auf die Leiche der todten Frau und da kam mir nun der Gedanke, ich könnte mich für sie ausgeben.

Ich zog der Leiche die Kleider aus, legte ihr die meinigen an und bedeckte sie mit Seegras; dann kroch ich in die Nonnentracht, welche sie getragen und setzte mich nieder, um die Ankunft der Leute zu erwarten, der ich, wie ich wohl wußte, in Bälde entgegensehen konnte. Ich war damals ohne eine Spur von Bart und in Folge der übeln Behandlung, welche ich an Bord des Genuesen erlitten blaß und schmächtig im Gesichte. In einem Nonnenhabit konnte man mich wohl für ein Frauenzimmer von fünf und dreißig Jahren halten, das in einem Kloster abgeschieden gewesen war. In den Taschen ihrer Kleider fand ich Briefe, welche mir die nöthige Aufklärung über ihre Geschichte gaben, und ich beschloß, lieber die Schwester Custasia vorzustellen, als mich in's Gefängniß werfen oder gar mit dem Degen durchrennen zu lassen.

Ich hatte kaum Zeit gehabt, diese Dokumente zu Ende zu lesen, als ein Häuflein Leute, welche durch die Trümmer am Ufer aufmerksam gemacht worden waren, auf mich zu kamen. Ich berichtete den Verlust des Schiffs, den Tod der gesammten Mannschaft, meinen Namen und Stand und den Grund meiner Hieherkunft, – daß mich nämlich der Bischoff ersucht habe, die Führung des Klosters Sankta Teresia zu übernehmen. Ich fügte noch bei, ich habe in meiner Noth die heilige Jungfrau angerufen, die mir zu Hülfe gekommen sey und mich mit soviel Sorgfalt und Gemächlichkeit schwimmend ans Land geführt habe, als hätte ich auf Daunenkissen gelegen. Die Kunde kam schnell in Umlauf und fand Glauben; denn der Umstand, daß ein hülfloses Frauenzimmer mit dem Leben davon gekommen sey, während doch die gesammte Mannschaft zu Grunde ging, hatte an sich Mirakelhaftes genug.

Der Bischof schickte mir seinen Wagen, und ich wurde nach der Stadt gebracht – hinter mir her ein Haufe von Priestern, Mönchen und gemeinem Volk, welche sich sehnten, sogar den Boden zu küssen, den eine Person betreten hatte, welche so ganz besonders unter dem Schutze des Himmels stand. Ich wurde nach dem Palaste des Bischofs geführt, wo ich eine Art Hof hielt, da mir Deputationen der Collegien, der Gouverneur und Leute vom höchsten Rang die Aufwartung machten. Nach einem Aufenthalte von drei Tagen verfügte ich mich nach dem Kloster, dessen Aebtissin ich vorstellen sollte, und wurde begeistert von den Nonnen aufgenommen, welche mich mit dem gemischten Gefühle der Ehrfurcht und des Entzückens umschaarten.

Am zweiten Tage meines Regiments als Aebtissin führten mir die beiden ältesten Schwestern, welche fast nie von meiner Seite wichen und kaum fortgeschafft werden konnten, als ich mich Tages zuvor zu Bette legte, der Reihe nach sämmtliche Nonnen vor, indem sie mit den älteren begannen und mit denen aufhörten, welche zuletzt das Gelübde der Keuschheit abgelegt hatten. Ich muß sagen, daß der Beginn dieses Levers nicht viel Interesse für mich hatte; je näher es aber zum Schluße ging, desto mehr fesselten die vielen schönen Gesichter meine Aufmerksamkeit, und ich ertheilte ihnen den Friedenskuß mit mehr Eifer, als sich wohl durch die Klugheit rechtfertigte. Nun kam die zuletzt eingetretene Nonne heran und wurde mir als Schwester Marie vorgestellt. Barmherziger Himmel! es war das arme Mädchen, welches ich verlassen hatte. Ich stutzte, als ich sie herankommen sah; ihre Augen waren zur Erde gesenkt, wie in tiefer Verehrung gegen meine anerkannte Heiligkeit, und wurden erst aufgeschlagen, als sie sich vor mir auf die Kniee niederließ, um den Kuß entgegenzunehmen. Die Liebe kann alle Bekleidungen durchblicken. Einen Moment glaubte sie ihren flüchtigen Liebhaber vor sich zu sehen, und der Athem stockte ihr vor Erstaunen; aber bald entsann sie sich, wie unmöglich dies sey. Sie seufzte über die ungemeine Aehnlichkeit, als sie den Kuß von den Lippen empfing, welche früher die ihrigen so oft gedrückt hatten.

Nachdem die Ceremonie durchgemacht war, beklagte ich mich über Müdigkeit und drückte den Wunsch aus, allein gelassen zu werden.

Ich wollte über die Vergangenheit nachdenken und über meine sofortigen Schritte einen Entschluß fassen; denn um der Gefahr, welche mich bedrohte, zu entgehen, hatte ich mich in eine noch weit schwierigere Lage versetzt. Wo konnte dieß enden? Nach einem langen Brüten beschloß ich, Maria zu meiner Vertrauten zu machen und in Betreff meines weiteren Benehmens mich durch die Umstände leiten zu lassen. Ich zog die Klingel und beschied die Priorin des Klosters vor, damit sie mir Auskunst über den Charakter der Nonnen, welche mir vorgestellt worden, ertheile.

Durch dieses Vertrauen sich geschmeichelt fühlend, konnte die alte Hexe in ihrer Geschwätzigkeit und ihren boshaften Bemerkungen kein Ende finden; sie hatte die Liste in der Hand und trug die Familien- und Privatgeschichte einer jeden einzeln vor. Es währte zwei Stunden, bis sie zu Ende kam. Die letzte war Maria, deren Geschichte sie mir aufs Umständlichste mittheilte, und wenn die Priorin in ihren Berichten über alle übrigen mit dergleichen Pünktlichkeit zu Werke ging, so hatte ich gewiß keinen Grund, mir wegen meiner Aebtissin-Würde ein Compliment zu machen, sofern nämlich die frühere Lebensweise der Nonnen, welche meiner Hut vertraut waren, in Frage kam.

»Gute Schwester,« versetzte ich, »habt Dank für Eure Mitteilungen, die ich in meinem Plane für die sittliche Hebung meiner Pflegbefohlenen zu benützen nicht versäumen werde. Ich habe es mir stets zur Regel gemacht, daß eine von der Schwesterschaft jede Nacht in meinem Zimmer bleibe, um zu wachen und Buße zu thun, weil ich gefunden habe, daß dies in Verbindung mit zweckmäßigen Ermahnungen eine vortreffliche Wirkung übt. Natürlich betrifft dieß nicht so weise und andächtige Frauen, wie Ihr seyd; ich meine nur diejenigen, welche sich in ihrer Thorheit und in der Aufwallung jugendlicher Leidenschaftlichkeit noch nicht durch Abstinenz und Selbstkreuzigung hinreichend gedemüthigt haben. Wen werdet Ihr für diese Nacht zum Wachen vorschlagen?«

Die alte Hexe, welche, wie ich aus dem Ungestüm ihrer Bemerkungen entnommen hatte, eine große Abneigung gegen Maria hegte bezeichnete sie augenblicklich als eine Person, welcher eine schwere Buße besonders zu Statten kommen dürfte. Ich unterhielt mich mit ihr noch eine halbe Stunde, wünschte ihr gute Nacht und ertheilte ihr noch, ehe ich zu Bette ging, die Weisung, Maria zu mir zu schicken.

Maria trat, ihr Gebetbuch in der Hand, ein, verbeugte sich demüthig, als sie an mir vorüberging, setzte sich neben der Lampe nieder, welche an dem andern Ende des Zimmers vor einem Muttergottesbilde angezündet war, und begann die Aufgabe des Wachens und Betens.

»Marie,« sagte ich von dem Bette aus. Da sie meine Stimme jetzt zum erstenmale hörte, stieß sie einen leichten Schrei aus, warf sich vor dem Bilde der Jungfrau auf ihre Kniee nieder, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schien sich in stummes, aber angelegentliches Flehen zu vertiefen.

»Marie,« sagte ich wieder; »komm her.«

Sie stand auf und näherte sich zitternd dem unteren Theile des Bettes.

»Dir – und Dir allein vertrau' ich ein Geheimniß, das, wenn es entdeckt würde, mich einem schmerzlichen und schimpflichen Tode unterwürfe. Du hast Dich nicht getäuscht, als Du über das Gesicht in Nonnentracht erstauntest, und mußt nun aus meiner Stimme entnommen haben, das ich wirklich François bin. Du sollst übrigens jetzt erfahren, wie ich die Aebtissin dieses Klosters wurde.«

Ich theilte ihr sodann mit, was ich bereits Eurer durchlauchtigen Hoheit erzählt habe.

»Wie ich mich aus dieser gefährlichen Lage winden soll, weiß ich nicht,« fuhr ich fort; »indeß gereicht es mir doch zum Troste, daß ich wieder einmal in Gesellschaft des Gegenstandes meiner Liebe bin. Komm hieher, Marie; es ist wirklich dein François.«

Maria blieb zu den Füßen des Bettes und rührte sich nicht von der Stelle. Ich konnte bemerken, daß ihr reichliche Thränen entströmten, während sie ihre Augen gen Himmel aufschlug.

»So sprich doch, Marie, wenn du mich je geliebt hast.«

»Daß ich Dich liebte, François, weißt Du nur zu gut, und selbst Deine lieblose Flucht konnte das unwandelbare Gefühl in meiner Seele nicht austilgen. Um deinetwillen habe ich Allem Trotz geboten. Weder mein Vater noch meine Brüder konnten mir das Geheimniß erpressen, und obschon sie auf dich Argwohn hatten, konnten sie doch zu keiner Gewißheit kommen. Ich trug die Frucht meiner Schuld in einsamer Angst, wurde nachher, als ich des Trostes bedurft hatte, mit Vorwürfen überhäuft, und wenn ich Nutze nöthig hatte, trafen mich betäubende Verwünschungen. Ich begrub mein Kind mit Scham, Schmerz und Schande. Du verließest mich und ich fühlte, daß mich kein Band mehr an diese Welt fesselte. So griff ich denn zum Schleier, und nie ist wohl ein armes, geopfertes Wesen so gerne aus der Welt geschieden. Ich habe hier Friede, wenn auch nicht Glück gefunden.«

»Und nun sollst Du glücklich seyn, Marie,« rief ich, ihr meine Arme entgegenbietend. »Komm zu mir; ich will Dir auseinandersetzen, warum ich Marseille verließ, und was ich für die Zukunft im Sinne hatte, wenn meine Absichten nicht durch unvorhergesehene Ereignisse vereitelt worden waren. Alles kann noch recht werden.«

»François, es ist Alles recht. Ich habe ein feierliches Gelübde abgelegt, und es ist im Himmel aufgezeichnet. Du bist durch List und Trug an diesen heiligen Ort gekommen und hast einen heiligen Charakter angenommen; erhöhe nicht Dein Verbrechen dadurch, daß Du auch nur einem Gedanken an Ungebühr Raum gibst, und tritt mich nicht noch mehr in den Staub, indem Du auch nur einen Augenblick glaubst, ich könne mich einer Mitschuld theilhaftig machen.«

»Heilige Jungfrau!« rief sie, auf ihre Kniee niederfallend, »ich gehe zu Dir um Deine mächtige Hülfe in diesem Kampfe weltlicher Leidenschaften und heiliger Wünsche. O laß mich für Alles ersterben, nur für Dich nicht und den Bräutigam, den ich aus deinen Händen empfangen habe.«

Sie stand dann auf und fuhr fort:

»Ich weiß nicht, wie es Dir möglich werden wird, dieses Kloster zu verlassen, François; aber dein Geheimniß ist sicher bei mir, vorausgesetzt, daß Du nicht wieder meine Anwesenheit verlangst, wie Du heute Nacht gethan hast. Ich werde stets für Dich beten, aber wir dürfen uns nicht wieder sehen.«

Und Marie winkte traurig mit ihrer Hand und verließ das Gemach.

Obschon ich nie einen großen Respekt vor der katholischen Religion hatte, der ich damals noch angehörte, so flößte mir doch die Schönheit der Tugend, wie sie sich in Marie aussprach, Ehrfurcht ein, und ich verbrachte die Nacht in melancholischen Betrachtungen. Ich fühlte, daß ich sie mehr als je liebte, und beschloß, sie zu überreden daß sie das Kloster verlasse und mein Weib werde. Am andern Morgen ließ ich sie rufen.

»Marie, Du ergabst Dich dem Himmel, als Du glaubtest. Du habest kein anderes Band mehr auf Erden. Darin warst Du im Irrthum, denn es gibt einen Mann, den Du noch liebst und der auch Dich anbetetet. Der Himmel hört nicht auf Gelübde, die in der Verblendung abgelegt werden; verlaß daher mit mir dieses Kloster, werde meine Frau und Du wirst deine Pflichten weit besser erfüllen, als wenn Du Dich zwischen diesen Mauern abhärmst, welche nichts als Neid, Haß und Gewissensbisse bergen.«

»François, Du hast bereits meine Antwort gehört. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Rette Dich selbst und überlaß mich meinem unglücklichen Schicksal,« antwortete Marie in Thränen ausbrechend. »O François, warum hast Du mich verlassen, ohne mir auch nur ein einziges Wort zu sagen? Hattest Du mich nur auf Deine Gefahr aufmerksam gemacht, so würde ich zuerst auf Deine Entfernung gedrungen und um Deinetwillen Alles mit Geduld, wo nicht mit Freude ertragen haben. Wäre das, was Du jetzt sagst, wahr gewesen, so hätte Alles gut werden können; aber fortan gibt es nichts mehr, was mich in meiner einsamen Pilgerfahrt aufheitern könnte – denn ich berge nur noch den Wunsch, daß sie bald ihr Ende erreichen möge. Ich verzeihe Dir, François; aber habe Mitleid mit mir, denn ich habe es um Dich wohl verdient.«

»Noch einmal, Marie, bitte ich Dich flehentlich, daß Du in meinen Vorschlag willigest.«

»Nimmermehr, François. Ich werde meinem Gott nicht weniger treu sey, als ich es Dir war. – Er verläßt mich nicht, und wenn ich auch jetzt leide, so werde ich doch jenseits meinen Lohn finden.«

Und Marie verließ mein Zimmer abermals.

Meine Lage in dem Nonnenkloster wurde mir nun unerträglich, und ich beschloß zu entweichen. Ich stellte mich krank und blieb in meinem Bette liegen. Gegen meine Wünsche schickte man nach dem Arzte eines benachbarten Klosters, der in großem Rufe stand. Als ich von seiner Ankunft hörte, kleidete ich mich an, um ihn zu empfangen, da ich mich vor einer genaueren Untersuchung scheuete. Der Arzt fragte mich, was mir fehle. Ich antwortete, daß ich keine Schmerzen empfände, aber doch der Ueberzeugung lebe, daß ich bald heimgehen werde. Er untersuchte meinen Puls und entfernte sich sofort, da er keine Krankheitssymptome entdecken konnte.

Gegen die altern Schwestern, welche mich besuchten, sprach ich in Räthseln und erklärte ihnen, es seien Offenbarungen an mich ergangen, in deren Folge sie sich darauf gefaßt halten müßten, mich in Bälde nicht mehr unter sich zu sehen. Die Heiligkeit meines Rufes bewog sie, meine Winke als Prophezeiungen zu betrachten. Eines Abends beklagte ich mich, daß ich mich viel unwohler fühle, und bat meine Umgebung, daß sie sich zeitig zurückziehen möge. Man wollte nach dem Arzte schicken; aber ich verbot es mit dem Bedeuten, daß mich kein Arzt kuriren könne, küßte die ältern Schwestern, sprach einen feierlichen Segen über sie und entließ sie. Sobald es dunkel war, warf ich meinen Nonnenhabit ab und ließ ihn in meinem Bette liegen. Da die Fenster meines Zimmers, welche in den Klostergarten hinausgingen, nicht mit Eisenstangen versehen waren, so stieg ich ungekleidet, wie ich war, hinaus, ließ mich nieder und erreichte wohlbehalten den Boden. Als ich außen war, traf ich die Vorsichtsmaßregel, das Fenster zu schließen, damit Niemand an eine Flucht denken möge, kletterte auf einen Baum an der Gartenmauer, ließ mich an einem Zweige desselben auf der andern Seite nieder und war jetzt in Freiheit. Je weiter ich von dem Nonnenkloster weg war, desto weniger hatte ich zu befürchten, als Betrüger beargwöhnt zu werden; ich suchte daher die Landstraße auf und eilte, so schnell ich konnte, in der Richtung von Marseille nach Toulouse.

Ich war eine ziemliche Strecke Wegs weit gekommen, ohne zu dieser Stunde der Nacht Jemand zu begegnen, und wurde nur hin und wieder durch das Bellen eines Hundes erschreckt, wenn ich auf meinem Wege durch Dörfer kam. Endlich setzte ich mich, vom Laufen und von der Kälte erschöpft, unter eine Hecke, um mich gegen den frostigen Wind zu schützen. Sobald letzterer ein wenig eingelullt war, hörte ich klagende Stimmen, welche in nicht großer Entfernung von der Straße herzukommen schienen. Ich stand auf und setzte meinen Weg fort, strauchelte aber mit einemmale über den Körper eines Menschen, den ich beim matten Sternenlichte untersuchte. Er war völlig todt, und es kam mir augenblicklich der Gedanke, daß hier ein Raub verübt worden sey: die Weheklagen, welche ich gehört hatte, rührten wahrscheinlich von denjenigen her, welche mit dem Leben davongekommen waren. Der Mantel des Ermordeten lag unter der Leiche – es war eine Kapote, wie sie von Offizieren getragen wird. Ich machte sie von seinem Halse los, um den sie mit zwei in Silber getriebenen Bärentatzen befestigt war, hüllte meine erfrornen Glieder darein und ging weiter nach einer Stelle, wo ich nun gelegentlich viel deutlicher als zuvor Stimmen hörte. Ich traf wieder auf zwei ausgestreckte Körper, und da der Tag nunmehr aufzudämmern begann, so bemerkte ich, daß sie wie Leute aus der niederen Classe gekleidet waren. Ich fuhr mit meiner Hand über ihre Gesichter und fühlte, daß dieselben ganz starr und todt waren. Da fürchtete ich nun, wenn ich mich an einer solchen Stelle betreten lasse und keine Auskunft über mich zu geben vermöge, so könnte ich des Mordes angeklagt werden, und dachte deßhalb auf augenblickliche Flucht; aber nun schlug eine klägliche Weiberstimme an mein Ohr, und dieß war ein Aufruf, dem ich nicht widerstehen konnte. Ich ging einige Schritte weiter und bemerkte nun einen Wagen, dessen Pferde nebst dem Kutscher todt in den Radspuren lagen. An die hinteren Räder war ein ältlicher Mann und eine junge Frauensperson mit Stricken festgebunden.

»Gott sey gepriesen, mein theurer Vater, Hülfe ist zur Hand!« rief das Frauenzimmer, als ich mich näherte, und fügte dann alsbald bei: »o ich kenne ihn an seinem Mantel; es ist der Gentleman, der uns so ritterlich vertheidigte und den wir für todt hielten. Seyd Ihr schwer verwundet, Herr?«

Da ich wohl einsah, ich könne besser jeden andern Menschen, als mich selbst vorstellen, so entgegnete ich mit meiner gewöhnlichen Erfindungsgabe und Geistesgegenwart:

»Dem Himmel sey Dank, nicht viel, Madame! Ich war betäubt, und sie ließen mich für todt liegen. Ich schätze mich glücklich, noch am Leben zu seyn und Euch Dienste leisten zu können.«

Dann schickte ich mich ohne Weiteres an, die Taue loszumachen, durch welche der Vater und die Tochter (denn dies schienen sie ihrem Gespräche nach zu seyn) an den Rädern befestigt waren. Die Räuber hatten beide fast bis auf die Haut ausgezogen, und sie waren nun so durchfroren, daß sie kaum zu stehen vermochten; namentlich schauderte das arme Mädchen, als ob sie an einem kalten Fieber leide. Ich machte ihnen den Vorschlag, sie sollten in den Wagen steigen, da er ihnen den besten Schutz gegen den bitter kalten Wind verleihen könne, und sie entsprachen meiner Andeutung.

»Wenn ich Euch nicht um eine allzu große Gunst bitte, Herr,« sagte der alte Mann, so möchte ich den Wunsch ausdrücken, daß Ihr meiner armen Tochter diesen Mantel leiht; denn sie geht vor Kälte fast zu Grunde.«

»Mit Vergnügen, sobald ihr beide in dem Wagen seyd,« entgegnete ich; denn ich war schon mit mir einig, wie ich mich benehmen wollte. Ich half ihnen hinein, schloß den Schlag, ließ den Mantel fallen, bot ihn zum Fenster hinein und sagte:

»Glaubt mir, Fräulein, ich würde ihn Euch schon zuvor angeboten haben; aber die Schurken haben mich, als ich betäubt da lag, in derselben Weise bedient, wie Euch, und ich muß nun gehen, ob ich nicht etwas auffinden kann, um mich selbst zu bedecken.«

Ich entfernte mich sodann schnellen Schrittes und hörte das Mädchen noch rufen:

»O mein Vater, er hat sich entkleidet, um mir eine Hülle zu bieten!«

Ich kehrte alsbald zu der Leiche des Gentleman zurück, dessen Mantel ich geborgt hatte und für den ich mich jetzt ohne Zweifel ausgeben konnte. Ich streifte ihm die Kleider von den starren Gliedern und legte sie an: sie paßten mir vortrefflich und waren zum Glück nicht mit Blut besteckt, da ihm eine Kugel ins Gehirn den Tod gebracht hatte. Ich schleppte dann die Leiche nach der andern Seite der Hecke, wo ich sie in einen Graben warf und mit langem Gras bedeckte, damit sie nicht aufgefunden werden möchte. Der Morgen war bereits angebrochen, als ich mit meiner Toilette zu Ende war und wie ich nach dem Wagen zurückkam, erging sich der alte Herr in lauten Danksagungen. Ich theilte ihm mit, während als ich zurückgekehrt sey, um eine der andern Leichen auszuziehen, habe ich meine eigenen Kleider in einem Bündel gefunden, welches die Räuber in der Eile ihrer Flucht zurückgelassen hatten.

Die junge Dame sagte nichts, sondern blieb, von dem Mantel umhüllt, in einer Ecke des Wagens sitzen. Ich begann nun ein Gespräch mit dem alten Herrn, der mir aus einander setzte, wie der Angriff begonnen habe, ehe ich ihnen zu Hülfe gekommen sey, und aus den Mitteilungen, die ich von ihm erhielt, konnte ich mir schon eine recht artige Vorstellung von der Geschichte bilden, die ich erzählen wollte. Ich fand, daß ich zu Pferd mit einem Diener ihnen zu Hülfe geeilt sey, daß man uns beide für todt gehalten, und daß wir noch ungefähr zwei Stunden von einer Poststadt entfernt wären. Mittlerweile war es heller Tag geworden, und ich machte nun die weitere Entdeckung, daß ich die Halbuniform eines Offiziers trug. Neugierig, auch die junge Dame zu betrachten, wandte ich mich an sie, wie sie in den Mantel eingehüllt da lag, und drückte die Hoffnung aus, daß es sie nicht friere. Sie steckte ihr Köpfchen hervor und antwortete verneinend; ein süßes Lächeln lag auf einem so süßen Gesichte, wie ich nie zuvor eines gesehen hatte. Ich betrachtete sie wie bezaubert und verwandte mein Auge nicht von ihr, bis sie erröthete und wie zuvor sich wieder in den Mantel verkroch.

Dieses brachte mich zur Besinnung. Ich erbot mich, Beistand herbeizuholen, und meine Dienste wurden dankbar angenommen. Auf meinem Wege kam ich an den Erschlagenen vorbei: der eine davon hatte eine ähnliche Livree, wie der Kutscher, welcher todt bei seinen Pferden lag; der andere trug die Tracht eines Reitknechts, und ich nahm es für ausgemacht an, daß er mein Diener gewesen war. Ich visitirte seine Taschen, um weitere Aufklärungen zu finden, sammelte den Inhalt und begann unterwegs zu lesen.

Vermittelst dieser Notizen fand ich, daß ich von Aix kam. Die Briefe und Papiere in meiner eigenen Tasche belehrten mich, wie ich hieß, wer mein Vater war, zu welchem Regiment ich gehörte, daß ich in Urlaub war, und daß ich einen Bruder besaß, dessen liebevollen Brief ich sorgfältig um der weiteren Auskunft willen durchging. Ich hatte noch nicht Zeit gehabt, die beträchtliche Geldsumme, welche in meiner Börse war, zu zählen, als ich auf einen Bauern traf, der seine Pferde auf den Acker hinaustrieb. Ich theilte ihm kurz die Umstände mit und bot ihm eine schöne Belohnung an, wenn er auf eines seiner Pferde steigen und alsbald Beistand herbei holen wolle. Nachdem er in einem Handgalopp aufgebrochen war, kehrte ich nach dem Wagen zurück, um zu versuchen, ob ich nicht das schöne Antlitz wieder zu sehen kriege, das mich so bezaubert hatte. Ich erstattete Bericht über das gute Glück, das mir begegnet war, und drückte meine Hoffnung aus, daß sie schleunigst ihrer Ungelegenheiten entnommen werden dürfte. Die Frage des alten Herrn über den Namen und Stand der Person, welcher er und seine Tochter so tief verschuldet seyen, beantwortete ich unverhohlen nach meinen Papieren, sprach viel von meinem Vater, dem Grafen de Rouillé, von meinem Regiment und bat dann um ein ähnliches Vertrauen.

Er war der Marquis de Fonseca und die junge Dame seine Tochter; sie wollten nach ihrem etwa drei Stunden entlegenen Schlosse reisen, und der Marquis drückte die Hoffnung aus, ich werde sie begleiten, und ihm Gelegenheit geben, mir seine Dankbarkeit zu beweisen.

Ich zögerte und sprach von Bestellungen – nicht daß ich die Einladung zurückzuweisen gedacht hatte, aber die junge Dame hatte sich der Bitte noch nicht angeschlossen. Mein Plan übte die gewünschte Wirkung. Das liebliche Gesicht kam abermals unter dem Mantel zum Vorschein, und die süßeste Stimme von der Welt drückte den Wunsch aus, ich möchte der Bitte ihres Vaters entsprechen. Ich erröthete und stotterte meine Zustimmung. Vergnügt über ihren Sieg lächelte sie und verhüllte sich wieder mit dem Mantel, den ich um seiner neidischen Falten willen hätte in Stücken reißen mögen.

Jetzt kam Beistand herzu. Ein Haufen Volkes näherte sich, einen Polizeibeamten an der Spitze, der uns alsbald ins Verhör nahm, und während die angelangten zwei Paar Postpferde eingespannt wurden, zeichnete der Mann der öffentlichen Sicherheit in Kürze meine und des Marquis Angaben auf – erstere »nach meinem besten Wissen und Glauben,« letztere »wie sie von den Betheiligten erlebt worden waren.« Die Papiere wurden unterzeichnet, die Leichen fortgeführt, und auf die Bitte des Marquis nahm ich meinen Sitz zwischen ihm und seiner Tochter, worauf wir nach dem Schlosse fuhren.

Nach zwei Stunden langten wir an einem herrlichen Gebäude an, welches den Reichthum und den alten Adel des Besitzers bekundete. Ich hatte jetzt das Vergnügen, das in den Mantel gehüllte schöne Mädchen in meinen Armen die lange Treppenflucht hinanzutragen, welche wir von dem Eingänge an ersteigen mußten. Sobald ich sie auf ein Sopha niedergelegt hatte, überließ ich sie der Sorgfalt ihrer weiblichen Dienerschaft und entfernte mich aus dem Gemach. Der Marquis hatte sich nach seinem eigenen Zimmer zurückgezogen, um den Mangel seiner Garderobe zu verbessern, und ich blieb eine Weile allein meinen Betrachtungen überlassen. Wozu soll alles dieß führen? dachte ich. Muß ich denn immer die Kleider und Titel anderer Leute annehmen – soll diese ewige Seelenwanderung vor dem Tode kein Ende nehmen? Und wie viel war nicht von alledem weit mehr auf Rechnung der Umstände als auf meine eigene gekommen?

Nach reiflicher Erwägung beschloß ich, der Sache den Lauf zu lassen und mich in Betreff des Ausgangs auf meine stets fertige Erfindungsgabe und auf das Glück zu verlassen. Ich fühlte, daß es mir unmöglich war, mich von dem süßen Wesen los zu reißen, dessen persönliche Reize mich bereits bezaubert hatten, und gelobte mir, jeder Gefahr kühn entgegen zu treten, um mir ihre Liebe zu gewinnen.

Nach einer Stunde trafen wir bei dem Frühstücktische zusammen und ich war mehr als je bezaubert. Indeß will ich Eure Hoheit nicht in Spannung erhalten, indem ich allzulang bei diesem Gegenstand verweile.

 

»Ya-ha – da thust Du recht daran, mein Freund,« entgegnete der Pascha gähnend. »Deine Geschichte fängt an, sehr trocken zu werden. Wir wollen Dir auch den Cypressenleib, die Hirschaugen und den Vollmond ihres Gesichtes schenken. Der Muselmann spricht nicht so viel von Weibspersonen; aber ich kann mir denken – Du warst ein Franzose und damals sehr jung, verstundest's also nicht besser. Warum auch von Weibern sprechen, als ob sie Seele hätten!«

Der Renegat hielt es nicht für passend, eine Ansicht auszudrücken, welche mit der Seiner Hoheit und der Behauptung des Propheten im Widerspruch stand.

»Man kann mir nicht nachsagen, daß ich mich gegen sie benommen habe, als ob ich ihnen etwas der Art zutraute,« versetzte er, »und ehe ich meine Religion wechselte, machte mir mein Gewissen oft Vorwürfe wegen meines selbstsüchtigen und gefühllosen Benehmens gegen Marie. Aber seit ich ein Türke bin, ist alles dieß vorbei.«

Der Renegat fuhr bei diesen Worten mit der Hand über seine Stirne, denn sein Gewissen hatte ein lang ersticktes Gefühl der Tugend heraufbeschworen. Er erinnerte sich an die verbrecherische Laufbahn, auf der er fortgeschritten war und welcher er durch die Verläugnung seines Erlösers die Krone aufgesetzt hatte. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:

 

Ich blieb eine Woche in der Gesellschaft des Marquis und seiner Tochter, bei denen ich mich täglich mehr und mehr in Gunst setzte. Ich hatte der Dame meine Leidenschaft nicht erklärt, da mich etwas Unwiderstehliches daran hinderte, aber dennoch wußte ich, daß ich nicht mit Gleichgültigkeit betrachtet wurde. Unsre Gesellschaft erhielt noch einen Zuwachs durch den Bischof von Toulouse, den Bruder des Marquis, welcher nach dem Schlosse gekommen war, um ihm und seiner Nichte wegen ihres glücklichen Entkommens zu gratuliren. Ich wurde als der Edelmann vorgestellt, welcher bei ihrer Rettung so wesentlichen Beistand geleistet hätte. Der Bischof sah mich überrascht und mit großen Augen an.

»Es ist seltsam,« bemerkte er, »daß in der Nähe der Stelle, wo der Raub vorging, in einem Graben eine Leiche gefunden wurde, in welcher man denselben jungen Offizier erkannte, den Ihr mir jetzt vorstellt, wie kann dieß seyn?«

Der Marquis und seine Tochter waren über diese Kunde erstaunt, und ich fühlte mich gleichfalls betroffen, aber nur für einen Augenblick.

»Wie, sagt Ihr,« rief ich mit Beben – »in einer Leiche wurde der Sohn des Grafen de Rouillé erkannt? Mein armer, armer Bruder! Mein theurer Viktor, so hast du also umkommen müssen! Welch' ein Unrecht habe ich Dir gethan!«

Ich warf mich sodann auf den Fauteuil und bedeckte mein Gesicht mit dem Tuche, als sey ich von Schmerz überwältigt, obschon ich in Wirklichkeit nur nachdenken wollte, was ich zunächst sagen konnte.

»Euer Bruder?« rief der Marquis erstaunt.

»Ja, Marquis, mein Bruder. Ich will nun den Umstand angeben, welche mich bewogen, vor Euch geheim zu halten, daß er zur Zeit des Angriffs in meiner Gesellschaft war. Als ich zu Eurem Beistand herzu eilte, folgte mir mein Bruder, der mit mir nach Marseille reiten wollte, und von dem ich, wie Ihr Euch erinnern werdet, bereits gesprochen habe; aber nach der ersten Entladung der Feuerwaffen fand ich, daß er nicht an meiner Seite war, und ich glaubte, er habe mich aus Furcht im Stiche gelassen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein solcher Schimpf bekannt wurde, und habe deßhalb seiner keine Erwähnung gethan. Wie wenig dachte ich, als ihn mein Herz der Feigheit beschuldigte, daran, daß er todt sey und sein Herzblut in meiner Verteidigung vergossen habe. Viktor, mein theurer Viktor!« fuhr ich fort, »wie schwer that ich Dir Unrecht, und was kann mich für Deinen Verlust entschädigen!«

Und mit den wildesten Schmerzesäußerungen warf ich mich auf das Sopha nieder.

 

»Huckaback,« bemerkte der Pascha, »es scheint mir, als seyest Du in Deinen jungen Tagen ein großer Schurke gewesen.«

»Ich gebe es zu,« versetzte der Renegat. »Aber zu meiner Entschuldigung wird sich Eure Hoheit daran erinnern, daß ich damals ein Christ war.«

»Bei dem Bart des Propheten, das ist wohlgesprochen und sehr wahr!« entgegnete der Pascha.

 

Der Marquis und sein Bruder waren sehr erschüttert, daß sie mich unabsichtlich in so große Betrübniß versetzt hatten, und boten mir Trost an; als sie jedoch ihre Bemühungen fruchtlos sahen, entfernten sie sich aus dem Gemache, weil sie es für besser hielten, wenn sie mich allein ließen. Nur Cerise, die Tochter, blieb zurück, kam nach einer kurzen Pause zu mir, legte ihre Hand auf meine Schulter und redete mich mit ihrer Silberstimme an:

»Tröstet Euch, mein theurer Felix.«

Aber ich gab keine Antwort.

»Wie unglücklich bin ich!« sagte sie. »In meiner Verteidigung hat er sein Leben verloren, und Eurem Muthe verdanke ich meine Erhaltung. Er ist todt und Ihr seyd elend. Kann Euch nichts den Verlust Eures Bruders ersetzen – gar nichts, Felix?«

Ich richtete meinen Kopf auf, und sah ihre Augen, in welchen die innigste Liebe strahlte, in Thränen schwimmen. Als ich meinen Sitz wieder auf dem Sopha einnahm, zog ich sie sanft an mich. Sie leistete keinen Widerstand, und im Nu war sie mir an die Brust gesunken, während meine Arme ihre schöne Gestalt umschlossen hielten.

»Ja Cerise,« murmelte ich; »ich habe einen Ersatz gefunden.«

Mit erröthendem Lächeln machte sie sich los und stand auf, um sich zu entfernen, kehrte aber auf meine Bitte noch einmal zurück, und ich drückte einen Kuß auf ihre Stirne. Sie winkte mit der Hand und eilte aus dem Gemache.

 

»Deiner Beschreibung nach muß dies ein sehr hübsches Mädchen gewesen seyn,« nahm der Pascha das Wort. »Sprich, was wird in Eurem Land für eine solche Person bezahlt?«

»Sie war über allen Preis erhaben,« versetzte der Renegat zerstreut, als blicke er zurück auf vergangene Zeiten. »Die Liebe läßt sich nicht mit Geld bezahlen. – Der Moslem kauft die Sklavin und unterwirft sie blindlings seinem Willen, freit aber nicht in Liebe um sie.«

»Nein, er kauft die Liebe mit,« versetzte der Pascha, »und ich muß sagen, daß es mir lieb wäre, Du hättest das Gleiche gethan; denn mit all' Deiner Liebeswerbung kommst Du nur sehr langsam mit Deiner Geschichte voran. Fahre fort.«

 

Ich blieb noch eine Woche, als der Bischof, welcher noch nicht abgereist war, eines Morgens nach Marseille hinüber fuhr und zum Mittagsessen wieder zurückkam.

»Man hat mich berufen,« bemerkte er, als wir uns zur Tafel setzten, »um mich zu Rath zu ziehen, ob es passend sey, den Papst um die Canonisation der Schwester Eustasia anzugehen, von welcher Ihr so viel gehört habt und deren Verschwinden man für ein Mirakel betrachtet. Aber während unserer Berathung lief eine Kunde ein, durch welche in Betreff der Ansichten über ihre vermeintliche Heiligkeit ein großer Wechsel herbeigeführt wurde. Es stellte sich nämlich heraus, daß in der Nähe der Stelle, wo das Schiff scheiterte, die Leiche einer Frauensperson, welche in Mannskleider gehüllt war, aufgefunden wurde, und man glaubt jetzt, daß irgend ein Elender ihre Person im Kloster vorgestellt und sich hintendrein flüchtig gemacht hat. Die Polizei hat die strengsten Untersuchungen angeordnet, und wenn der Mensch aufgefunden wird, so steht nicht zu bezweifeln, daß man ihn nach Rom an die Inquisition ausliefert.«

Wie Eure Hoheit sich denken kann, war mir dies keine sehr angenehme Kunde. Fast wäre ich von meinem Stuhl aufgefahren. Aber ich wußte mich hinreichend zu beherrschen und meine Gefühle zu verheimlichen, obgleich mir jeder Bissen im Munde quoll.

Aber ehe noch das Mittagsmahl vorüber war, wurde der Knoten verwickelter. Von meinem Adoptivvater lief an den Marquis ein Schreiben ein, in welchem der Graf de Rouillé erklärte, er höre von so verschiedenen Gerüchten, daß er über die Wahrheit nicht ins Klare kommen könne. Einerseits sage man, sein ältester Sohn sey noch am Leben und auf dem Schlosse des Marquis, von Andern aber müsse er vernehmen, daß derselbe ermordet worden sey; wieder Andere wünschten ihm in ihren Briefen Glück, daß doch einer seine Söhne sich gerettet habe. Er bat nun den Marquis, ihm den wahren Stand der Angelegenheit mitzutheilen und ihn durch den Ueberbringer wissen zu lassen, ob sein ältester Sohn wirklich bei ihm sey, oder ob es mit dessen unglücklichem Tode seine Richtigkeit habe. Der jüngere Sohn befinde sich schon seit einigen Monaten in der Heimath, und er müsse fast glauben, da in den Berichten beider Erwähnung gethan sey, daß bei der Sache ein Betrug mit unterlaufe.

Ich bemerkte aus der Veränderung auf dem Gesichte des Marquis, daß die Angelegenheiten nicht ganz gut gingen, und hatte mich schon bis auf einen gewissen Grad vorbereitet. Der alte Herr übergab nun ernst den Brief an den Bischof, welcher ihn, nach dem er ihn gelesen hatte, mit einem finstern Blicke mir hinbot.

»Die Sache betrifft Euch, Herr,« sagte er.

Ich las den Inhalt mit ruhiger Miene, gab das Blatt an den Marquis zurück und bemerkte mit einem Seufzer:

»Es ist ein verfehltes Wohlwollen, daß man den alten Mann also in einem Wahne erhält, denn der Schlag wird ihn nur um so schwerer betreffen, wenn er endlich nicht mehr verheimlicht werden kann. Ich habe Euch mitgetheilt, Herr – oder that ich's vielleicht nur gegen Mademoiselle Cerise – daß mein Vater schon seit zwei Jahren blind ist. Man scheut sich, ihm die Wahrheit zu sagen, und läßt ihn auf dem Glauben, daß Viktor in seiner Nähe sey. Ihr müßt nämlich wissen, daß mein Bruder in meiner Begleitung das Haus unseres Vaters im Geheim verließ. Unselige Stunde, in welcher ich seinen Bitten nachgab! Aber Monsieur le Marquis, ich bemerke, wie gebieterisch nothwendig es jetzt ist, daß ich zu meinem Vater gehe; er wird der zuverlässigsten Ueberzeugung von meinem Vorhandenseyn bedürfen, um seinem Schmerze nicht zu erliegen. Mit Eurer Erlaubniß, will ich dem Ueberbringer dieses Schreibens einige Zeilen mitgeben, und so ungern ich mich auch von Eurer angenehmen Gesellschaft trenne, muß ich doch morgen mit Tagesanbruch meine Reise antreten.«

Die ruhige, zuversichtliche Miene, mit welcher ich antwortete, beseitigte allen Argwohn. Nachdem ich einige Zeilen an den Grafen geschrieben hatte, bat ich den Marquis, mir sein Siegel zu borgen, drückte es dem Wachse auf und händigte das Schreiben dem Diener ein, damit er es dem Boten übergebe, welchen ich bald darauf zu meiner großen Freude an dem Fenster vorbei galoppiren sah.

»Oh!« rief ich; »das ist ja Pierre. Hätte ich dies gewußt, so würde ich einige Fragen an ihn gestellt haben.«

Dieser zeitgemäße Ausruf übte, wie ich wohl bemerkte, die erwartete Wirkung. Wir setzten uns wieder zu Tisch, und ich wurde von dem Marquis sowohl, als von dessen Bruder mit mehr als gewöhnlicher Freundlichkeit behandelt, da sie der Ansicht seyn mochten, sie seyen mir Genugthuung schuldig, weil sie für einen Augenblick Verdacht in meine Ehrlichkeit gesetzt hatten. Indeß war mir doch gar nicht wohl zu Muthe, und ich fühlte, daß ich nie mit mehr Klugheit gehandelt hatte, als indem ich von meinem baldigen Aufbruche sprach.

Am Abende war ich allein mit Cerise. Seit der Kunde von meines Bruders Tod und der darauf folgenden Scene hatten wir uns unverbrüchliche Liebe geschworen, und in dem gegenwärtigen Falle war es mir auch völlig Ernst. Ich liebte sie bis zur Verzweiflung und bete noch jetzt ihr Andenken an, obschon inzwischen Jahre verschwunden sind und sich ihr Staub längst mit der Erde gemischt hat. Ja, Cerise, wenn Du aus den Regionen des Glückes, wo Dein reiner Geist weilt, niederschauen kannst auf einen schuldbeladenen Elenden – o so wende Dich nicht entsetzt ab, sondern blicke mit Mitleid auf den, der Dich so zärtlich liebte, als nur ein Mann lieben kann, und der sich jenseits wenig um allen Segen kümmern wird, welchen ihm das Paradies bietet, wenn ihm nicht Dein schöner Geist zum Willkomm entgegentritt!

 

»Ich wünsche, Huckaback,« bemerkte der Pascha unmuthig, »daß Du in Deiner Geschichte fortfahrest und vor einem lebendigen Pascha nicht von todten Weibern plapperst.«

»Ich bitte um Verzeihung,« versetzte der Renegat; »aber Euerer Hoheit zu Gefallen bin ich auf Scenen eingegangen, die meinem Gedächtniß lange fremd blieben. Die Gefühle, welche daraus entspringen, lassen sich nicht unterdrücken. Ich will in meiner ferneren Erzählung behutsamer seyn.«

 

Cerise war sehr traurig bei dem Gedanken an meine Abreise. Ich küßte ihr die Thränen weg und die Zeit entschwand rasch. Zugleich bat ich sie, mir noch, nachdem sich die Familie zu Bette begeben hätte, eine Zusammenkunft zu gestatten, da ich ihr noch viel zu sagen habe.

 

»Schon gut – wir können uns all' das denken,« bemerkte der Pascha ungeduldig. »Fahre fort, Du weißt, daß Du am Morgen aufbrechen wolltest.«

»Ja, ja, durchlauchteste Hoheit,« entgegnete der Renegat, etwas mißvergnügt über diese Unterbrechung.

Ich trat am andern Morgen auf einem Pferde des Marquis meine Reise an und ritt, so scharf ich nur konnte, Toulon zu. Dort wollte ich mein Glück wieder zur See versuchen; denn ich fürchtete, entdeckt zu werden, wenn ich am Lande bliebe. Mit dem Gelde in meiner Börse kaufte ich einige Waaren auf Spekulation, schloß einen Vertrag mit dem Kapitän eines nach San Domingo bestimmten Schiffes, tauschte meinen Anzug gegen eine Jacke und Matrosenhosen um und sah mich nun wieder der Gnade der Wellen preisgegeben.

»Dieß, durchlauchtige Hoheit, ist die Geschichte meiner ersten Reise nebst den daraus entsprungenen Resultaten.«

 

»Na,« versetzte der Pascha, sich erhebend, »es war viel zu viel Liebe und zu wenig See darin; aber ich denke, wenn Du die erstere ausgelassen hättest, so wäre sie nicht so lang geworden. Mustapha, gib ihm fünf Goldstücke – wir wollen morgen seine zweite Reise anhören.«

Sobald sich der Pascha entfernt hatte, brummte der Renegat:

»Wenn ich noch weitere Geschichten erzählen soll, so darf man mich nicht unterbrechen und mir in dieser Weise Gesetze vorschreiben. Wäre ich nicht gestört worden, so hätte ich von Cerise noch eine Stunde lang reden können; so aber wurde die Sache gar zu kurz abgeschnitten.«

»Der Pascha ist kein Freund von derartigen Abenteuern, Selim,« versetzte Mustapha; »er möchte gern etwas Wunderbares haben. Könntest Du's nicht ein bischen mehr ausschmücken?«

»Wie meint Ihr dieß?«

»Heiliger Prophet! Wie soll ich's meinen? Flicke einige Lügen ein; Du mußt Dich nicht so ganz an die Thatsachen halten.«

»An die Thatsachen halten, Vezier? Ei, ich habe ja noch nicht eine einzige Thatsache erzählt.«

»Wie, ist nicht Alles dies wahr gewesen?«

»Kein Wort davon, so wahr ich in den Himmel zu kommen hoffe!«

»Bismillah! – Wie, auch das nicht von der Marie und dem Kloster – die Geschichte der Cerise?«

»Lauter Lügen von Anfang bis zum Ende.«

»Und Du bist nie ein Barbier gewesen?«

»In meinem Leben nie.«

»Aber warum so lange Apostrophen über die todte Cerise, während Du doch bemerktest, daß der Pascha ungeduldig wurde?«

»Blos, weil ich ein bischen in Verlegenheit war, Vezier. Ich wünschte Zeit zu gewinnen, um nachdenken zu können, was ich zunächst sagen wollte.«

»Selim,« entgegnete Mustapha, »Du hast großes Talent. Aber merke Dir, daß Deine nächste Reise wunderbarer seyn muß. Es kann Dir wohl gleichgültig seyn, wie Du sie einrichtest.«

»Das allerdings; aber der Pascha ist kein Mann von Geschmack. Na, gebt mir meine fünf Goldstücke, und ich will mich fortmachen. Die Zunge klebt mir am Gaumen, und es wird mir nicht wieder wohl werden, bis ich wenigstens ein Gallone Wein im Leibe habe!«

»Heiliger Prophet! Welch ein Türke!« rief der Vezier, indem er seine Hände erhob. »Da ist Dein Geld, Kafir; vergiß nicht, Dich morgen hier einzufinden.«

»Habt keine Sorge, Vezier. Euer Sklave lebt nur, um Euch zu gehorchen, wie wir Türken sagen.«

»Wir Türken?« murmelte der Vezier, als er seine Blicke auf die sich entfernende Gestalt des Renegaten heftete. »In der That von allen Schurken – «

»Ja wohl,« murmelte der Renegat, sobald er außer Hörweite war, »von allen Schurken – «

Was sie beide in ihren getrennten Selbstgesprächen meinten, müssen wir der Einbildungskraft unserer Leser anheim geben; denn die Vorsicht hinderte jede der betreffenden Personen, ihre übrigen Gedanken laut werden zu lassen.


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